Lieder des Fräuleins
1.
Mein Vater thront auf hohem Schloß
Im reich verzierten Saal,
Es beugen sich vor seinem Wink
Vasallen groß an Zahl.
Die Mutter sitzt auf goldnem Stuhl,
Auf sammtnem Polster weich,
Rund um sie stehn der Damen viel,
Geschmückt mit Perlen reich.
Denn durch die hohe Flügelthür'
Der Gäste Schaar erscheint,
Man grüßet, scherzet, spricht und lacht,
In froher Lust vereint.
Und durch die Menge dränget sich
Geschäft'ger Diener Schaar,
Auf goldnen Tellern bieten sie
Confekt und Früchte bar.
Und im cristallenen Pokal
Dazu den goldnen Wein; —
Ein Jeder scheinet wohlgemuth
Des Festes sich zu freun.
So geht es alle Tage fort,
In Festen, Lust und Glanz,
Bald Jagd, Conzert und Schlittenfahrt,
Bald Feuerwerk und Tanz.
Nur mich, des Grafen Töchterlein,
Drückt, ach! die goldne Pracht,
Mir ist so bang, mir ist so weh,
Wenn Alles scherzt und lacht.
Der Herren viel mit Stern und Band
Mir ebenbürtig sind,
Und mancher schmeichelnd nahet sich
Mir armen trüben Kind,
Und quält mit Liebeswerbung mich,
Dann werd' ich blaß und roth,
Dann mein' in Angst ich zu vergehn,
Dann wünsch' ich mir den Tod!
2.
Dort unten im grünenden Thale,
Dort stehet ein kleines Haus,
Drauf ruhen die sehnenden Blicke,
Schau' ich zu dem Fenster hinaus.
Drin wohnet der bräunliche Fischer,
Ein Jüngling, so muthig und kühn;
Oft seh' ich frühmorgens die Netze
Vom Frühlicht vergoldet ihn ziehn.
Oft auch in dem schwankenden Nachen
Schwebt er auf dem stürmenden Rhein,
Doch scheint's, ihm gehorchen die Wogen,
So sorglos und kühn sieht et drein.
Dann kehret mit Beute beladen
Er Abends zur Hütte zurück,
Hängt sorgfältig auf noch die Netze
In des Abendlichts scheidendem Blick.
In's Netz bin ich arme gerathen
Des Fischers so schön und so kühn! —
Ach könnt' ich hinab von dem Schlosse
Zu ihm in die Hütte entflieht!
Wie gern ließ' ich alles zurücke
Hier oben im glänzenden Saal,
Das seidne Gewand und die Perlen
Mitsammen dem Schleier und Schawl!
Dann trüg' ich ein Mützchen und Mieder
Und Blumen, die er mir gepflückt,
Und lebt' in dem einsamen Thale
Als Fischerin froh und beglückt!
Das Hüttchen so traut und so enge
Hätt' wohl für zwei Glückliche Raum. —
Schon wieder ach! ruft man zum Feste! —
Fahr wohl du, mein goldener Traum!
3.
Wär' ich doch die Stromnajade
Im cristallnen Wasserreich!
Schöner Jüngling, schöner Fischer,
O dann wärst du mein sogleich!
Könntest dann nicht widerstehen
Meinem Liebesgruß und Sang,
Liebend würd' dein Herz erbeben,
Und vergessen Netz und Fang.
Zu mir nieder würd' ich ziehen
Dich herab auf Stromes Grund,
Fest dich halten, dich umschlingen,
Drücken dich an Herz und Mund.
Und des Rheines Silberwelle
Hielt' als Schleier uns bedeckt,
Und kein Sterblicher würd' ahnen,
Welche Liebe sie versteckt!
Der Diener ging zum Thale früh
Die Fische zu bestellen;
Der Fischer ging zum Schloß hinauf
Mit Lachs und mit Forellen.
Dort heute großes Festmahl ist,
Dem fremden Herrn zu Ehren,
Geladen sind der Gäste viel,
Um Lust und Glanz zu mehren.
Die Diener rennen hin und her
Im Glanz der goldnen Tressen,
Dem hohen Gast zu Ehren will
Heut' keiner was vergessen.
Der Fischer steht im Hofe still,
Er muß heut' lange warten,
Da geht die Herrschaft froh und laut
An ihm vorbei zum Garten.
Er tritt bescheiden schnell bei Seit',
Den stolzen Zug zu schauen,
Das schöne Fräulein führt der Gast
Mit Stolz und Selbstvertrauen.
Wer wird wohl auf den Fischersmann
Dort an der Mauer sehen?
Gleichgültig rauschten sie vorbei,
Nur Eine sah ihn stehen.
Die grüßt' ihn mit Holdseligkeit, —
Wie ward sein Sinn befangen! —
Er sah ihr lange, lange nach
Mit sehnendem Verlangen.
Des Fischers Lied
Ich höre erzählen vom Fischer so oft
In alten Liedern und Sagen,
Vom glücklichen Fischer in uralter Zeit
In längst schon vergangenen Tagen.
Sie sagen, er fischte einst aus dem Meer
So Kron' und Zepter von Golde,
Die bracht' er dem Herrscher, der gab ihm dafür
Viel Dank noch zum Ehrensolde.
Ich weiß etwas Schön'res, das fischte ich gern,
Doch ist's nicht im Wasser zu schauen;
Es weilt auf dem Lande im blumigen Hain,
Die Lieblichste ist es der Frauen.
Und hätt' ich das Liebste und Schönste erhascht,
Damit möchte anders ich schalten,
Kein König, kein Kaiser entrisse mir das,
Fest hielt' ich's mit Liebesgewalten!
Schon wieder enteilet der Diener
Hinunter zum Fischer in's Thal:
"Auf's Schloß bringt uns heute das Beste
An Fischen, denn zahllose Gäste
Erscheinen zum glänzenden Mahl."
"Das Fräulein, so reizend und lieblich,
Von Allen geliebt und gelobt,
Verdienet es, daß sie vor Allen
Dem vornehmen Gaste gefallen, —
Sie wird ihm heut' Abend verlobt."
"Nun haben wir viel noch zu schaffen,
Gar hurtig die Zeit uns vergeht;
Und hätte man noch so viel Hände,
Es nimmt doch die Arbeit kein Ende, —
Kommt nicht mit den Fischen zu spät!"
Wie hat ihn die Nachricht getroffen!
Ihm ist es, als sank' er in's Grab.
Da stammelt er schmerzlich beklommen:
"Zum Schloß kann ich heute nicht kommen,
Holt selber die Fische euch ab."
Wie des Rheines glatter Spiegel
Silbern glänzt im Sonnenlicht!
Wolkenlos der blaue Himmel
Heut' den schönsten Tag verspricht.
Seht, die hell gemalten Kähne
Stehn am Ufer schon geschaart,
Bunte Wimpel, weiße Segel
Laden ein zur Wasserfahrt.
Und mit Kränzen und mit Maien
Ist die Jacht gar schön verziert,
Lüfte spielen mit der Flagge,
Die des Grafen Wappen fuhrt.
Alle Schiffer stehn am Ruder,
Sehn die Herrschaft, die schon naht,
Dort herab mit vielen Gästen
Kommt der Graf den Bergespfad.
An des Fischers kleiner Hütte
Geht's vorbei so froh und laut,
Doch die Holde trüben Blickes,
Nun des hohen Fürsten Braut,
Geht so still und bleich vorüber,
Auf die Hütte fällt kein Blick. —
"Vivat!" schrei'n die Schifferleute,
"Heil dem Brautpaar, Heil und Glück!"
Doch man sah den Fischer schweigend
Trüb in seine Hütte gehn,
Niemand hat ihn an dem Tage
Auf dem Strome fischen sehn.
Wie so klar am frühen Morgen
Auch die helle Sonne schien,
Ward es doch am Mittag trübe,
Finstre Wolken sah man ziehn.
Und der Wind erhebt sich sausend,
Stürmt, daß Baum und Mast erbebt,
Tobt mit wilden Regengüssen,
Wie man kaum sie je erlebt.
Durch des Himmels schwarze Decke
Dringt kein einz'ger Sternenblick;
Von der Fahrt kehrt mit den Seinen
Spät im Sturm der Graf zurück.
Auf dem Lager liegt der Schiffer
Wachend, sie nur schwebt ihm vor,
Horch! da ttaf durch Windes Heulen
Angstgeschrei um Hüls sein Ohr.
Hülfe! Hülfe! ruft es wieder
Lauter durch den Sturm dahin.
Halb bekleidet springt der Fischer
Auf, und eilt zum Ufer hin,
Findet dort die Jacht gestrandet,
Auf den Klippen borst der Kiel,
Ankertau und Segel rissen,
Sind des wilden Sturmes Spiel.
Schon beginnt die Jacht zu sinken,
Immer höher steigt die Noth
Der Bedrängten auf dem Schiffe;
Bebend vor dem nahen Tod,
Klammern sie in Angst und Schrecken
Sich an Mast und Stangen an. —
Auf den Wogen schwebt der Fischer
Im gewohnten leichten Kahn,
Kämpft besonnen, kühn und mächtig,
Durch der Wogen Drang mit Muth; —
Heil und Glück dir, kühner Retter,
Auf der wild empörten Fluth!
Doch vergebens nach der Liebsten
Späht er in der Dunkelheit,
Ach! sie micht' zuerst er retten,
Doch zum Säumen ist nicht Zeit.
Alles strebt mit wildem Drängen,
Der Gefahr sich zu entziehn,
Alle sind in Todesnöthen,
Alle fordern sein Bemühn.
Doch nun naht von allen Seiten
Auch der Strandbewohner Schaar,
Naht mit Kähnen und mit Fackeln
Bei des theuern Herrn Gefahr.
Glücklich durch vereinte Kräfte
Wird Verderben abgewandt;
Gott und Menschenhülfe preisend,
Sind wohl Alle schon am Land.
Man erkennt sich, sucht sich wieder
Bei dem hellen Fackellicht,
Alle glücklich sind gerettet,
Nur des Grafen Tochter nicht.
Welcher Schrecken, welch Entsetzen!
Vater, Mutter jammem laut,
Und der Fürst erbleicht erschrocken
Beim Verlust der schönen Braut.
Hoher Lohn wird dem verheißen,
Der die schnellste Hülfe schafft,
Ob sie lebe, ob als Leiche
Sie der Wasserfluth entrafft.
Und die Schaar gewandter Schiffer
Stürzt alsbald zum Suchen fort,
Doch vergeblich ist die Mühe,
Sie bringt Keiner mehr zum Port.
Denn der Fischer hat sie schon gefunden
Starr und regungslos im Weidengrün,
Düstern Blickes hält er sie umwunden,
Trägt sie stumm nach seiner Hütte hin.
Lautlos legt er sie auf weiche Decken,
Spendet, was die Hütte nur vermag,
Läßt nichts unversucht sie zu erwecken,
Zu beleben ihres Herzens Schlag.
"Kann nichts" ruft er bebend aus "beleben
Diesen schönen, jugendlichen Leib?
Soll vergebens seyn mein banges Streben,
Wäre todt dies heißgeliebte Weib?
Himmel, nein! o Himmel, hab' Erbarmen!
Gieb der Liebe, gieb sie mir zurück!
Mir? Was sag' ich? Nein, nicht mir; — mir Armen
Ward versagt sie feindlich vom Geschick!"
"Kamst du, Tod, um mir sie zu vermählen,
Die voll Huld auf mich herabgeblickt?
Nicht im Leben durfte sie mich wählen,
Doch der Tod hat Herz an Herz gedrückt!"
In Verzweiflung faßt er ihre Hände,
Eiseskalt, und wie der Schnee so weiß,
Will erwärmen sie, und ohne Ende
Drückt er sie an seine Brust so heiß.
Drücket in des Schmerzes bangem Beben
Fest auf ihre Lippen seinen Mund,
In sie hauchen möchte er sein Leben; —
Giebt sich denn kein Lebensfunke kund?
Ja, es regt sich leise ihr im Herzen,
Auf ihn fällt ihr erster matter Blick. —
Jüngling, was sind alle deine Schmerzen
Gegen diesen ersten Augenblick?
Sie erholt sich, lebt und athmet wieder,
Die als Leiche er dem Sturm entrafft,
Schon bewegen sich die schönen Glieder,
Anmuthsvoll in neuer Lebenskraft.
Sie gewahrt mit Lust sein frohes Beben,
Sieht ihn nahe sich, — welch froher Traum!
Ging sie denn wohl ein zum sel'gen Leben?
Himmel scheinet ihr der Hütte Raum.
Nimmer kann sie mehr von ihm sich trennen,
Dem sie Liebesglück und Leben dankt,
Gattin will sie dem sich fürder nennen,
Der vor ihr in Glück und Wonne schwankt.
"Mag man," spricht sie, "ferner todt mich glauben,
Niemand ahnen, daß ich hier erstand.
Niemand soll das hohe Glück mir rauben.
Das bei dir ich durch den Tod hier fand!"
"Längst schon abgestorben jenem Glanze,
Der im Schloß des Vaters mich umgab,
Heimlich bebend vor dem Hochzeitskranze,
Hofft' und wünscht' ich nur ein frühes Grab:
Doch mir wird, was ich in tiefem Sehnen,
Gab im Lied nur und Gebete kund:
Hier bei dir ein neues, schön'res Leben,
Süßes Glück im stillen Thalesgrund!"
Tag der Veröffentlichung: 23.11.2010
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