Begnadet
..und doch allein
Klavierstück No. 1
Er war begnadet, seine Finger waren schnell und seine Stücke schwer. Neal spielte seit dem sechsten Lebensjahr Klavier, doch seine Klavierlehrer schoben ihn immer ab. Sie sagten er wäre ihnen zu unheimlich. Anstatt das sie sein Talent versuchten zu steigern hatten sie Angst vor ihm. Der damals sechsjährige hatte sich gewundert warum er dauernd abgeschoben wurde, im Fernsehen hatte er oft mitbekommen wie so junge Talente an die Öffentlichkeit geschoben wurden, warum dann nicht er?
Ja warum wurde Neal nicht bekannt gegeben, warum wurde sein Talent nicht offenkundig gemacht?
Das seine Lehrer den starren Blick des Jungen fürchteten, der sich immer auf die Tasten des Instrumentes richtete wenn er anfing zu spielen, dass sie Angst vor seiner kalten und ausdruckslosen Art hatten, dass sie seine Augen fürchteten, dass sie ihn fürchteten wenn er über zehn Minuten vor dem Flügel saß und sich nicht rührte, dabei nur die Tasten anstarrte und erst nach diesem ‚Vorgang‘ anfing zu spielen, das konnte der Junge nicht ahnen. Jeder hielt Abstand vor dem Jungen, wich ihm aus und sprach nur mit ihm wenn es unbedingt nötig war. Neal sonderte sich immer mehr von der Außenwelt ab und kümmerte sich um sein Klavier.
Als er dann im Alter von sieben Jahren eine Schwester bekam, würde seine Psyche immer mehr unter Druck gesetzt. Das Mädchen lernte sehr früh Klavier zu spielen und mit jedem Jahr in der sie Älter wurde sah der Junge eine Gefahr in ihr. Als er dann 16 Jahre alt war, und seine Schwester stolze 10 Jahre, geschah etwas, was sein Leben von Grund auf veränderte. Seine Schwester, Lilly, hatte sich an seinen Klavierstücken vergriffen, sie angefangen nach zu spielen und einige Noten um zu ändern. Der Schwarzhaarige Junge war aufgesprungen, hatte seine Schwester von dem Hocker des Flüges gestoßen, ihr die Noten aus den Händen gerissen und sie angefangen wie wild anzuschreien. Er schrie sie an, beschimpfte das kleine Mädchen als Bastard. Sie habe keine Ahnung von Musik, sie sei nur eine Ausgeburt der Hölle. Sie solle sterben.
Sein Vater der ihn schon immer als ein widerlicher Haufen Dreck angesehen hatte, hatte diesen Vorfall mitbekommen. Er hatte sich auf Neal gestürzt ihn zusammen geschlagen und beschimpft er solle seine Tochter, sein Engel, eine Bereicherung der Menschheit, in Ruhe lassen.
Dann fand man den jungen Neal in einem Kinderheim wieder.
Pflegeeltern, die sich für ihn interessierten, da sie ihn oft an einem Piano sitzen sahen, bekamen, nach dem sie ihn näher kennen lernten, genauso Angst vor ihm wie die vielen Menschen vor ihnen.
Der Schwarzhaarige war bis zu seinem 16 Lebensjahr in einer wohlhabenden Familie aufgewachsen, die ärmlichen Zustände waren ihm ungewohnt und auch die Jugendlichen über seinem Alter hatten ihn auf dem Kicker. Sie schlugen ihn oft zusammen, weil sie Angst vor dem Jungen hatten, weil sie ihn dafür hassten das er einst mal Geld besaß. Immer geriet Neal an Andere, wobei er nur für die Musik leben wollte. Und so kam es das er oft die Heime wechselte. Einmal rannte er von einem Heim davon, da diese kein Piano besaßen. Er flüchtete, wurde aber schnell von Polizisten eingefangen, die ihn dann wieder in ein Heim steckten.
Nun war Neal 25 Jahre alt, er redete nie viel. Schwieg wenn man ihn was fragte, schwieg selbst dann wenn man ihn lobte. Nur selten redete er. Einmal hatte er zu einem seiner Kollegen gemeint, dass er sich mit seinem Klavier verständigen würde, sein Klavier sei seine Stimme. Am darauf folgenden Tag wurde er gefeuert.
Neal trug einen schwarzen Smoking, unter seinen Armen klemmte er einen dicken Ordner voll von seinen Werken die er selber geschrieben hatte, und ein paar Werke von anderen Künstlern.
Er hatte vor sich einen Job bei einer Bar zu besorgen, als Musiker der Stimmung brachte. Aber auch die Barkeeper merkten schnell das etwas nicht mit Neal stimmte. Seine Augen blickten immer starr durch einen hindruch. Wenn man einmal die Möglichkeit hatte mit ihm zu reden, so hatte man stets das Gefühl das er nie einem in die Augen sah, sondern gezielt durch einen hindruch.
Doch heute sollte es anders sein, Neal trat in die Bar und lief mit großen Schritten auf die Bar zu. Eine schlanke Frau mit langen braunen Haaren drehte sich zu ihm um. Sie setzte ein freundliches Lächeln auf.
„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie und holte aus ihrer Hosentasche ein Haargummi hervor, welches sie dafür benutzte um ihre Locken zu einem wirren Dutt zusammen zu binden.
„Sie suchen Jemand zur Musikunterhaltung?“, fragte Neal monoton und starrte dabei, so wie er es immer tat, durch die Frau hindruch, wie man es immer dachte. Die Barkeeperin merkte das der junge Mann vor ihr seltsam war, sie blickte ihn eine Weile an und seufzte. Warum sollte sie ihn raus schicken? Sie war eine unbekannte Bar, keiner kam hier her um nach einem Gelegenheitsjob als Musikunterhalter zu fragen. Man war hier schlecht bezahllt und fast Niemand kam um einen zu trinken.
Vielleicht war dieser seltsame Kautz gar nicht mal so schlecht und brachte ihr ein paar Kunden mehr ein? Man wusste ja nie. „Natürlich. Auf welches Instrument sind Sie den speziallisiert?“, fragte sie und beschäftigte sich nebenbei damit ein Weinglas ab zu trocknen.
„Klavier.“, antwortete er knapp und regte dabei weder Arm, noch Bein, noch sonst irgendeines seiner Gliedmaßen. Die Frau lehnte ihren Ellebogen auf den Tisch und beugte sich vor.
„Ich bin Leigh Cullumn. Mit wem habe ich die Freude?“, fragte sie und setzte ein Lächeln auf.
„Neal.“, kam wieder knapp die Antwort. Leigh zog einer ihrer geschwungenen Augenbrauen hoch. „Uhm, haben Sie keinen Nachnamen?“, fragte die junge Frau und blickte den Mann an. „Nein. Nicht mehr.“
Sie seufzte, es hatte wenig Sinn sich mit Neal zu unterhalten wenn sein Wortschatz vielleicht auf 10 Wörter geschrumpft war. „Nun gut. Kommen Sie heute Abend um 10 Uhr in die Bar. Ich dulde keine Verspätungen.“, erklärte sie und stellte eines der Gläser welches sie abgetrocknet hatte in die Regale zurück. Als sie sich wieder zu Neal umdrehen wollte, war das letzte was sie von ihm sah wie er die Tür zu ihrem Resturant schloss.
„Was war’n das für ein komischer Kautz?“
Leigh drehte ihren Kopf nach rechts und sah ihren Bruder Drake mit hochgezogenen Brauen an. „Das war Neal. Er sieht nicht so aus als ob er Freunde oder so hätte. Freunde dich doch mit ihm an, vielleicht tritt er dann auch öfter hier auf.“, meinte sie und legte das Geschirrhandtuch um den Griff des Kühlschrankes. „Warum sollte ich das machen? Du weißt doch nicht ob er gut ist.“, sagte Drake und lehnte sich gegen den Türrahmen.
„Hast du seine Finger gesehen? Ich wette mit dir das die drei Knochen mehr haben als meine Finger. Er ist gut, darauf verwette ich diese Bar.“, sagte Leigh und stämmte ihre Hände in ihre Hüfte.
„Dann hoffen wir mal das er schlecht ist.“, meinte ihr Bruder und grinste breit. „Sei still und folge ihm. Ich möchte das ihr zwei die dicksten Freunde werdet.“, sagte die Braunhaarige und schob ihren Bruder Richtung Ausgang. „Jaja, dürfte aber bei so einem Eisklotz schwer werden.“, maulte Drake und stolperte aus der Bar. „Nicht wenn du dich bemühst.“, bekam er noch als Antwort zu geworfen ehe sie die Tür zuzog und das Schild auf dem normalerweise immer ‚Offen‘ stand umdrehte und ein ‚Geschlossen‘ zum Vorschein kam.
Drake seufzte und sah sich nach Neal um.
Es stimmte, Neal hatte keine Freunde, er wohnte allein in einer Wohnung. Viel Platz war in dieser nicht. Nein und viel gab es dort auch nicht. Das einzig wertvolle was er in dieser Wohnung stehen hatte war vielleicht sein elektrisches Piano. Telefon besaß er nicht, genauso wenig wie einen Fernseher.
Wenn man genau überlegte wusste Neal vielleicht noch nichtmal wozu ein Fernseher oder ein Handy gut war. Der 25-jährige verließ das Haus nur um Essen einkaufen zu gehen. Mit Mitmenschen hatte er keinen Kontakt und sonst, sonst saß er immer vor seinem Klavier, spielte Stunden über Stunden und vergaß sich und die Zeit. Wenn er die Tasten des Klaviers erblickte, sah er seine Inspiration. Viele Künstler redeten davon das sie bekannte Musiker als Idol und Inspiration hatten. Doch für Neal war es das Instrument selber. Erblickte er die schwarz, weißen Tasten des Klaviers so fühlte er sich vollkommen und inspiriert.
Manchmal kam es vor das Nachbarn sich über das ständige Klavierspiel aufregten, ihn bei dem Hausmeister meldeten, Neal entgenete darauf hin immer wieder mit der selben Antwort: „ Würdet ihr die Chance haben das Talent zu besitzen Klavier zu spielen würdet ihr es nicht anders tun als ich.“ Als Gegenantwort kam dort oft ein „Sie halten mich für talentlos?“, auf dieses erwiederte der junge Mann nie etwas, da er die meisten Menschen für Talentlose und Musikbeschmutzende Taugenichtse hielt.
Neal lief in seine Küche und schaute sich dort nach etwas Essbarem um. Das einzige was er vielleicht zum Essen verwenden konnte, war ein braun angelaufener Apfel, aber er zwang sich dann doch lieber dazu, schnell zum Supermarkt zu laufen und sich ein paar Istantnudeln zu holen. Seufzend zog er schnell Alltagsklamotten an. Eine Jeans, ein schwarzes Hemd und eine Jacke. Nocheinmal seufzend verließ er seine „Wohnung“ und lief die Treppen lustlos herunter, danach Richtung Supermarkt.
„Hey! Du bist doch Neal!“, rief Jemand hinter ihm, sodass Neal sich umdrehte und den Mann nur anstarrte. „Wer will das wissen?“, fragte er und machte keine Anstalten, diesen Mann freundlich zu begrüßen oder ihn gar auf einen Kaffee einzuladen. „Ich bin Drake. Drake Cullumn. Der Bruder von Leigh.“ ,erklärte dieser, so als ob sie jetzt auf einmal die dicksten Freunde seien. „Und?“, fragte Neal und legte seinen Kopf schief, was wollte dieser Drake nur von ihm? „Wohin des Weges?“, Drake bemühte sich wirklich nett zu bleiben, aber es war verdammt schwer, da Neal einfach kein Interesse daran hatte nett zu anderen zu sein. „Zum Supermarkt, Essen holen.“, knappe Antworten, nichtsaussagende Sätze, Neals Markenzeichen. Drake seufzte und versuchte Leighs „Auftrag“ auch wirklich zu erfüllen. „Wie wärs wenn du mit zur Bar kommst und ich koch dir was?“, fragte Drake und fuhr sich durch die Haare. „Ich meine du siehst nicht aus wie der Typ Mensch der sich von gescheitem Essen ernährt, falls du dich je wirklich gescheit ernährt hast.“, fügte er hinzu und ein keckes Grinsen huschte über seine Lippen. Ja Neal hatte noch nie eine Bratpfanne in der Hand gehabt, aber in diesem Moment verstand er nicht was Drake von ihm wollte, denn der fünfundzwanzigjährige Pianist hatte noch nie „Nettigkeit“ erlebt, weswegen er sein Gegenüber nur perplex ansah. „Nun komm schon!“, meinte Drake und zog Neal am Arm die Straße runter. Neal zwang ein „Warum?“ hervor, Drake lachte nur und antwortete mit einem netten „Weil ich es so will.“
Neal spürte wie etwas wie „Freude“ seine Brust empor kroch und sich tief in seinem Herzen breit machte. Noch nie war wirklich Jemand nett zu ihm gewesen, hatte nie versucht ihn und seine Art zu verstehen. Dieser Drake gab sich da doch alle Mühe und Drake fing in seinem Leben zum ersten Mal an, eine Person zu mögen.
Neal trat erneut in die Bar, als Leigh diese für die Beiden öffnete. „Da seid ihr ja wieder.“, sagte sie belustigt und schenkte ihrem Bruder ein strahlendes Lächeln. Als Drake auch sogleich in die Küche verschwand –es stellte sich herraus das Leigh und Drake (sie waren ja bekanntlich Geschwister) zusammen in einer Wohnung, über der Bar, welche die Beiden leiteten, wohnten- waren Neal und Leigh alleine. Neal blickte sich einmal genau in der Bar rum und es schien, das Leigh schnell andere Personen in ihr Herz schloss. An den Wänden hingen Fotos von vielen verschiedenen Menschen, die einander anlächelten, sie saßen in ihrer Bar, mit Biergläsern in der Hand oder tanzend.
„Wie lange spielst du schon Klavier?“, die Frage warf Neal so unheimlich aus der Bahn das er Leigh erstmal nur perplex anstarrte. „Was?“, fragte er und seine Augenbrauen wanderten in die Höhe. „Wie lange spielst du schon?“, fragte Leigh kichernd. Neal hatte nie Jemanden erlebt der sich dafür interessierte. Diese zwei Geschwister waren schon sehr sonderbar.
„Seit ich Denken kann.“, murmelte Neal und ein kleines, zaghaftes Lächeln huschte über seine Lippen. Neal blickte zu dem Fernseher, welcher an der Ecke des Raumes, neben den aufgestellten Gläsern, angebracht worden war. Seine geschulten Ohren vernahmen schöne gespielte Noten, welche von einem Klavier kamen. Er trat näher an den Fernseher heran, schaute sich die schmächtige Gestalt hinter dem riesigen Flügel genauer an. Die Kamera schwenkte zu den Zuschauern, die ganz begeistert der jungen Frau zuhörten. Dann wieder ein Blick auf die Frau. Lange rote Locken, eine glückliches Lächeln und zwarte Finger.
„Wer ist das?“, fragte Neal und versuchte nicht all zu interessiert zu klingen.
„Lilly Evans, sie ist eine der bekanntesten Pianistinnen in dieser Umgebung. Wenn du willst kann ich sie dir mal vorstellen, sie kommt ab und zu mal hier her, wenn sie mal nicht auf Tournee ist. Manchmal sagt sie, sie vermisst die Zeit als sie noch keiner kannte.“
„Nicht nötig.“, sagte Neal und versuchte seine Wut zu unterdrückten. „Wieso? Ihr würdet euch gut verstehen! Sie kommt in ein paar Wochen...“, meinte Leigh und lächelte zaghaft.
„Sie ist meine Schwester.“
Tag der Veröffentlichung: 05.07.2010
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