Cover

My Amrican Dream


Endlich: Das Flugzeug ist sicher gelandet. Applaus für den Piloten. Letzte Durchsagen.
Mit wackeligen Beinen und meinem schwarzen Rucksack in der Hand stehe ich auf und mache mich auf den Weg aus dem Flugzeug heraus. Alles kommt mir vor wie in einem Traum. Es ist, als würde ich mich selbst von außen beobachten.
Müdigkeit und Übelkeit verursachen bei mir Schwindel. Jetzt bloß nicht umkippen, das wäre peinlich. Ohne Reiseübelkeit wäre das Leben sehr viel angenehmer. Denn mir wird schlecht, ob im Flugzeug, im Bus oder auf dem Schiff. Aber wahrscheinlich kommt die Übelkeit heute auch von der Aufregung. Der feste Knoten in meinem Magen und das schnelle Pochen meines Herzens sprechen dafür.
Bitte lass meinen Koffer hier sein, bitte, denke ich. Und ich habe Glück. Schon von weitem kann ich meinen quietschgrünen Koffer auf dem Gepäckband stehen sehen. Immer noch mit dem Gefühl von Übelkeit nehme ich ihn vom Gepäckband und gehe zur Tür, die in die Empfangshalle führt. Die Aufregung wird immer stärker, je näher ich der Tür komme. In meinem Bauch kribbelt es.
Wartet meine Gastfamilie dort auf mich? Hoffentlich. Aber was, wenn nicht? Und war diese ganze Sache mit dem Auslandsjahr vielleicht doch nicht die richtige Entscheidung?
Seit über einem Jahr habe ich diesen Traum schon. Ein Jahr und dreieinhalb Monate, um genau zu sein. Aber jetzt, wo es endlich losgeht, oder, wo es schon unlängst vor einigen Stunden angefangen hat, bekomme ich Zweifel. Was, wenn ich nicht zu meiner Gastfamilie passe? Oder wenn ich nichts verstehe? Oder sie mich nicht mögen?
Es gibt so viele Dinge, die schief laufen könnten.
Aber es gibt auch Dinge, die einfach gut sind, so wie sie sind. Okay, das ist altklug.
Hoffentlich, bitte, lass mich und meine Gastfamilie auf einer Wellenlänge sein!
Von vielen anderen Austauschschülern habe ich gehört, dass sie bevor es losging, plötzlich große Zweifel bekamen, aber ist es auch normal, dass man die erst bekommt, wenn man schon da ist? Wenn es keinen Weg zurück mehr gibt? Wahrscheinlich. Hoffentlich.
Freu dich doch, sage ich mir in Gedanken, das hier ist dein Traum. Es wird schon alles gut werden. Es wird das beste Jahr deines Lebens. Naja, das vielleicht nicht, aber es wird gut.
Dann trete ich durch die Tür und bin plötzlich von noch mehr Menschen umgeben. Die Lautstärke ist ziemlich hoch und noch dazu ist alles auf Englisch. Naja logisch, ich bin hier in den Staaten, in den USA. Ich stehe plötzlich mittendrin in der Masse, und versuche jemanden aus meiner Gastfamilie zu finden. Mit meinen 1,68m ist es nicht gerade leicht, über die anderen rüber zu gucken, denn die meisten sind schließlich größer. Tja, Pech für mich. So ist das Leben. Rücksichtslos und gemein.
Aber zum Glück habe ich einen Blick auf den Eingangsbereich. Und siehe da, die Frau von dem Foto meiner Gastfamilie, das mir meine Gastmutter in einer E-Mail gesendet hat, sieht derjenigen, die gerade hereinkommt verdächtig ähnlich. Sie sieht sogar genauso aus: schwarzes langes Haar, hellbraune Haut, dunkle Augen, ungefähr so groß wie ich und ein bisschen kräftiger. Man sieht ihr ihre indianischen Wurzeln an, aber nicht dass es negativ wäre, im Gegenteil, sie ist hübsch.
Neben ihr läuft ein junger Mann mit braunem Haar, der ihr ähnlich sieht. Das müsste Riley sein, mein 19 jähriger Gastbruder. Und die Frau müsste meine Gastmutter sein, Caitlyn.
Eine Welle der Erleichterung durchfährt mich, und ich gehe in ihre Richtung. Kaum haben sie mich entdeckt, kommen auch sie auf mich zu, mit einem breiten Lächeln im Gesicht. Und dieses Hammerlächeln lässt die beiden verdammt gut aussehen.
„Willkommen in Amerika, Helena!“, begrüßt Caitlyn mich und umarmt mich herzlich.
„Hallo“, sage ich mit einem müden Lächeln. Sie sind gekommen, Alptraumszenario eins, meine Gastfamilie würde mich nicht vom Flughafen abholen, hat sich erledigt. Ein Punkt weniger auf meiner roten Liste...
„Wir freuen uns so, dass du da bist. Wie geht es dir?“, fragt sie mich.
„Oh…ähm, ich bin ganz schön müde, weil ich im Flugzeug nicht schlafen konnte…“
„Natürlich. Ich denke, wir sollten schnell nach Hause fahren, damit du dich erst einmal ausruhen kannst, Darling. Ach, darf ich dich überhaupt Darling nennen? Und soll ich langsamer sprechen?“
„Darling ist gut und das Sprechtempo ist auch gut. Mein Vater ist halber Engländer, deshalb sollte mein Englisch nicht allzu schlecht sein“, sage ich.
„Super, also, das hier ist Riley, mein ältester Sohn. Übermorgen muss er wieder zur Army, die Welt retten, er hat gerade ein paar freie Tage. Und er wird jetzt deinen Koffer tragen. Hübsche Farbe übrigens.“
„Danke“, antworte ich und lächle Riley zur Begrüßung zu. Grinsend reicht er mir seine Hand. Ein Schatten von leichten Bartstoppeln überzieht seine Wangen, aber es macht ihn nur noch sexier. „Mom hat mich ja schon vorgestellt, übrigens danke Mom, ich kann schon ganz alleine reden. Ja, ich bin dann ab jetzt dein neuer großer Bruder.“
„Cool, ich hatte noch nie einen Bruder“, grinse ich.
„Also Helena, wo soll ich anfangen? Es gibt so viel, was ich dir erzählen möchte, aber naja, alles auf einmal wäre vielleicht ein bisschen zu viel. Ich denke als erstes solltest du wissen, dass du mich gerne Cait oder Mom nennen kannst. Ganz wie du willst. Und…“
„Mom, wir sollten vielleicht mal zum Auto gehen, meinst du nicht?“, unterbricht Riley sie.
„Ja, stimmt. Also los.“

Die ganze Autofahrt lang konnte ich immer noch nicht schlafen. Ich habe stattdessen die ganze Zeit mit halb geschlossenen Augen aus dem Fenster geguckt, wo ich allerdings nicht allzu viel sehen konnte. Nur ein paar Lichter hier und da, dann mal eine kleine Stadt, oder ähnliches. Während der Fahrt hat Caitlyn nicht geredet, da sie scheinbar der Ansicht war, ich würde schlafen, was allerdings nicht ich, sondern Riley tat.
Schließlich biegt Caitlyn scharf nach rechts ein und schaltet den Motor aus.
„Aufwachen, wir sind da!“
Verschlafen öffnet Riley die Augen und schnallt sich ab. Ich tue es ihm nach, doch ich kann meine Tür nicht öffnen.
„Entschuldigung, aber ich bekomme meine Tür nicht auf“, sage ich hilflos gefangen im Auto. Das ist irgendwie peinlich.War ich jetzt etwa schon zu dumm um eine Autotür zu öffnen?
Caitlyn macht sie lächelnd von außen auf und entschuldigt sich. „Sorry, aber auf der Seite sitzt meistens Aidan, und deshalb ist da noch die Kindersicherung drin.“
„Braucht er mit seinen sieben Jahren denn überhaupt noch eine Kindersicherung?“, frage ich etwas verwirrt. Aidan ist der jüngste Spross der Familie Hadley. Laut Foto hat er große Ähnlichkeiten mit Riley, im Gegensatz zu den mittleren Zwillingen im Alter von siebzehn Jahren. Leah hat schwarze Locken und ebenso dunkle Haut wie ihre Mutter. Aber ihre Augen sind leuchtend grün, genau wie die ihres Vater Daniel Hadley. Jas sieht genauso aus, wie seine Zwillingsschwester, nur eben mit kurzen verwuschelten schwarzen Haaren und männlich. Wäre auch schlecht, wenn nicht.
„Früher brauchte er die nicht, aber seit er auf die Idee gekommen ist, bei voller Fahrt die Tür aufzumachen und seinen Fuß rauszustrecken, um zu sehen, wie schnell sich die Schuhsohlen bei hundert Sachen auf dem Highway abnutzen, ist bei seiner Autotür immer die Kindersicherung drin.“
„Verstehe“, sage ich und wir lächeln uns an.
Caitlyn hat das Auto in der Doppelgarage geparkt. Der Raum ist beleuchtet, aber nicht besonders schön. Graue Wände, graue Decke, grauer Betonfußboden. An der hinteren Wand steht ein ziemlich großes und ziemlich voll gestopftes Regal. Aber was soll man schon sagen, die Autos haben schließlich keine Augen in der Motorhaube und die sind diejenigen, die sich die ganze Zeit den Raum angucken müssten, wenn sie es denn könnten.
Riley hat schon meinen Koffer aus dem Kofferraum geholt und ist mit diesem im Schlepptau auf dem Weg zur Haustür. Lampen mit Bewegungsmelder sind angegangen, sodass der Vorgarten leicht beleuchtet ist.
Ich folge Caitlyn, die mit dem Schlüssel in der Hand über den dunkel gepflasterten Weg zur Tür geht. Das schneeweiße Haus, das etwas Villen-artiges an sich hat, hat drei Stockwerke. Links und rechts neben der Haustür wurden schöne Blumenbeete angelegt.
Wow.
Auf den Bildern, die sie mir geschickt hat, sah das Haus ein bisschen kleiner aus. Aber mir soll’s recht sein. Je größer, desto besser!
„Willst du jetzt gleich ins Bett?“, fragt Riley mich. „Oder soll ich dir vorher noch das Haus zeigen?“
„Haus zeigen wäre ganz gut, denke ich, aber nur im Kurzdurchgang, bitte.“
Kaum betritt man das Haus, erwarten einen links neben sich ziemlich viele Schuhe und Jacken. Rechts ist eine Wand mit einem aufgemalten Palmenstrand. Der ist ziemlich gut, man kann beinahe das Wasser rauschen hören und die Hitze der Sonne auf der Haut spüren, und dann den warmen Wind, der auch die Palmenblätter leicht bewegt…Nein, Spaß, aber das Bild sieht wirklich gut aus.
„Okay, komm Helena. Kannst deine Schuhe hier ausziehen.“ Ich tue wie geheißen und stelle meine grauen Chucks ordentlich neben die unordentlich hingeschmissenen Schuhe meiner Gastfamilie. Vielleicht ist das ein wenig spießig, aber man muss ja nicht schon am ersten Tag/Abend negativ auffallen.
„Du musst deine Schuhe nicht so ordentlich hinstellen, die werden eh wieder von irgendwem durcheinander gebracht“, meint Riley grinsend.
„Riley, lass sie doch. Nimm sie dir lieber als Vorbild, mein Lieber, von Helena kannst du bestimmt noch eine Menge lernen!“, sagt Caitlyn und lächelt mich aufmunternd an. „Meine Kinder haben wohl leider nicht die perfekte Erziehung genossen, wie ich feststellen muss, aber ich hoffe es stört dich nicht. Und deine Schuhe musst du nicht ordentlich hinstellen, nicht dass du das nur wegen uns machst oder so.“
Müde grinsend kicke ich gegen meine Schuhe und schon kippt der eine um. „Besser?“
„Besser“, meint Riley und beginnt, mich im Haus herumzuführen, im Kurzdurchgang natürlich, wie gewünscht.
Im Erdgeschoss liegen überall helle Fliesen und die Wände sind hell gestrichen. Obwohl, im Wohnzimmer gibt es wenig weiße Wand, denn ein Großteil der Wand ist verglast. Das Badezimmer ist hellblau gefliest, und wirklich sehr hübsch. Genauso hübsch und modern wie der Rest des Hauses.
Unser Dialog im Wohnzimmer:
„Wow“, sage ich, denn ich bin wirklich beeindruckt.
„Das ist ja noch nicht alles, wir haben draußen auch noch einen Pool, aber der ist nicht ganz so groß.“
„Habt ihr einen Goldesel?“, frage ich ungläubig.
Lachend erwidert Ryan: „Nee, nee. Dad verdient ziemlich gut als Chefarzt in der Unfallchirurgie. Aber ein Goldesel wäre auch nicht schlecht.“
„Ich hab schon gewusst, dass dein Dad Chirurg ist, aber dass man damit so viel Geld verdient? Wow. Ihr habt hier ein ganz schönes Luxushaus.“
„Deswegen will ich auch Medizin studieren.“
„Möchtest wohl nicht auf Luxus verzichten, was?“
„Nee, nicht wirklich. Damit lässt es sich einfach bequemer leben.“
Aha.

Im ersten Stock ist der Flur mit Parkett ausgelegt, genauso wie der Flur und das Wohnzimmer im zweiten Stock. In die Zimmer meiner anderen Gastfamilienmitglieder gucken wir lieber nicht rein, denn obwohl alle anderen bei den Großeltern sind, wie ich erfahren durfte, sollten sie mir ihre Zimmer lieber selbst zeigen. Aber entgegen meiner Vorstellung, die Amis würden es lieber sehen, wenn die Türen nicht geschlossen werden, sind hier alle zu. Naja, mich stört es nicht.
„Und wo soll ich heute Nacht schlafen?“, frage ich Riley.
„Du kannst gerne in deinem zukünftigen Zimmer, sprich meinem schlafen, das habe ich eh schon ausgeräumt.“
„Und wo schläfst du dann?“, frage ich etwas verunsichert, denn ich möchte hier niemandem das Zimmer und das Bett klauen.
„Ich schlaf einfach in Jas’ Zimmer. Kein Problem, ehrlich.“
„Sicher?“
„Ja, sonst hätte ich es doch nicht gesagt.“
„Okay, dann hol ich noch eben meinen Koffer hoch.“
„Das kann ich schnell machen, guck dich einfach schon ein bisschen in deinem neuen Reich um“, meint Riley und läuft schnell die weiße Wendeltreppe hinunter, um meinen Koffer zu holen. Ich gehe derweil zu der Tür rechts neben der Treppe und öffne sie. Links neben der Tür ertaste ich einen Lichtschalter, den ich sofort betätige.
Noch ein wow.
Auf dem Fußboden liegt auch helles Parkett. An der Decke hängt ein Ventilator, der wahrscheinlich sehr praktisch sein wird. Denn es ist hier noch warm, obwohl es schon mitten in der Nacht ist. Geradeaus von der Tür steht ein Eckschreibtisch, auf dem sogar ein moderner Flachbildcomputer steht. Zwei Fenster zeigen in Richtung Garten, ein anderes zeigt in Richtung der Nachbarn. Links an der Wand steht ein gemütlich aussehendes Bett mit knallroter Bettwäsche. Gleich links neben der Tür ist ein modernes Glasregal, in dem sogar eine hübsche Musikanlage steht. Hoffentlich mache ich das nicht kaputt, denke ich nur.
Neben dem Regal ist eine Tür ohne Tür. Hihi, nein, da ist sozusagen ein Loch in der Wand, wo eine Tür reingepasst hätte, aber stattdessen hängt dort ein Vorhang. Aber auch wieder kein richtiger Vorhang, sondern lauter einzelne weiße Stoffbändchen, die zusammen die Wirkung von einem Vorhang erzielen. Verstanden?
Dahinter ist eine Art Ankleidezimmer. Die zwei großen Holzschränke, die auf dem weichen schwarzen Flusenteppich stehen, sind viel zu groß. Die bekomme ich doch niemals voll. Rechts in einer Nische steht ein gemütlich aussehender roter Sessel. Auch hier gibt es ein Fenster, das zu den Nachbarn zeigt.
Wow, kann ich nur sagen. Wirklich, es ist unglaublich.
Dann kommt Riley mitsamt meinem Koffer herein.
„Und, gefällt’s dir?“, fragt er grinsend.
„Ja, und wie.“
„Gut. Ich habe extra alle Poster abgenommen und es nochmal weiß gestrichen und so. Und der rote Sessel ist auch neu, der alte war nämlich ziemlich kaputt. Und die Vorhänge haben wir auch noch erneuert, also ich dachte mir, dass dir weiße Vorhänge besser gefallen, als Uraltvorhänge mit Star Wars Figuren. Ach ja, Mom hat mir hier noch ein paar Vasen und weiße Plastikrosen mitgegeben, ich sollte fragen ob du die zum Dekorieren haben willst?“
„Klar“, antworte ich. „Aber Streichen, neue Vorhänge und ein neuer Sessel, das ist ganz schön viel Arbeit. Die hättet ihr euch wirklich nicht machen müssen“, sage ich und habe irgendwie ein schlechtes Gewissen. Ich mag es nicht, wenn andere Leute sich so viel Mühe wegen mir machen. Obwohl, die weißen Vorhänge gefallen mir wahrscheinlich tatsächlich besser als beispielsweise Star Wars Vorhänge.
„Ach, das war lustig. Also mir hat es zumindest Spaß gemacht.“
„Na, okay, dann bin ich ein bisschen beruhigt. Aber das Zimmer ist echt richtig hübsch.“
„Gut. Also willst du jetzt schlafen? Ist schon fast elf Uhr.“
„Ja, ich bin wirklich todmüde. Ich weiß auch nicht, im Flugzeug konnte ich nicht schlafen. Ich war wahrscheinlich zu aufgeregt.“
„Kann ich mir vorstellen. Also gute Nacht dann, und wenn was ist, ich bin in Jas’ Zimmer. Und Mom ist in ihrem Zimmer. Weißt ja jetzt wo das ist.“
„Ja. Gute Nacht und danke fürs Haus zeigen und Koffer schleppen und so weiter.“
„Hab ich doch gerne gemacht.“ Grinsend verlässt er sein altes Zimmer, nachdem er mir noch drei schwarze Vasen mit jeweils einer hübschen Plastikrose, die jeweils ziemlich echt aussehen, in die Hände drückt. Normalerweise stehe ich überhaupt nicht auf Plastikblumen, aber diese hier sind wirklich hübsch. Keine Ahnung warum. Auf jeden Fall stelle ich erst einmal eine Vase ins Regal, eine auf den Holzschreibtisch und die dritte auf die eine Fensterbank. Das Schwarz der Vasen steht in einem schönen Kontrast zu dem Weiß der Rosen. Es gefällt mir.
Gähnend suche ich ein hellblaues Schlafshirt und dunkelgraue Boxershorts aus meinem Koffer, aus dem nach dem Öffnen alles heraus zu quellen droht. Eigentlich habe ich gar nicht so viel mitgenommen, aber mein Koffer ist voll, genauso wie mein Rucksack.
Damit man eine Vorstellung davon hat, was ich so alles mitgenommen habe, hier meine Packliste:

Rucksack
-mein Zeichenbuch (schon zu Dreivierteln voll, ich sollte mir bald mal ein neues zulegen...)
-1 Bleistift und 1 Radiergummi
-mittelgroßes Wörterbuch
-MP3-Player mit Wackelkontakt und nun leerem Akku, da ich ziemlich lange im Flugzeug Musik gehört habe mit der Musik von All Time Low und Blink 182, meinen beiden absoluten Lieblingsbands
-2 unangerührte Packungen Taschentücher
-Süßigkeiten: 13 Kaugummis, 12Apfelbonbons, halbe Tafel Milka-Schokolade
-meine nagelneue schwarze Digitalkamera
-Portemonnaie (inkl. allen wichtigen Papieren, Infos, Flugtickets, etc.)

Koffer

Kosmetikutensilien:
-1 zusammenklappbare knallpinke Zahnbürste
-1 kleine Tube Pfefferminzahnpasta
-meine schwarze Glitzerhaarbürste, die mir meine kleine Schwester vor zwei Jahren zum Geburtstag geschenkt hat, inklusive sechs schwarzen Haargummis
-wasserfester Mascara
-Kajal
-Abschminktücher
-1 Labello
-1 kleines Deo, das nicht sonderlich gut riecht, dafür aber im Sonderangebot war
-mein treuer pinker Damenrasierer
-Schmuck, d.h. meine Konfirmationskette, sprich, ein schwarzes Lederband mit einem silbernen Kreuz daran und eine weitere Kette aus einem schwarzen Lederband und einem Chinesischen Schriftzeichen „Freundschaft“ von meiner besten Freundin in Deutschland
(eigentlich hatte ich mir extra alle meine guten Ohrringe zusammengepackt, aber die habe ich zu Hause auf meinem Schreibtisch liegen gelassen)
-meine ebenfalls schwarze, schicke Spiegelsonnenbrille

Kleidung:
-Sportschuhe in Größe 40
-grüne Flip Flops
-3 weiße schlichte BHs (wer es genau wissen will: 80 D und nein, es ist nicht immer von Vorteil große Brüste zu haben!!)
-Unterhosen
-3 Schlaf T-Shirts (alle in hellblau)
-3 Boxershorts zum Schlafen (alle in Dunkelgrau, aber zwei mit jeweils schwarzen und weißen Mustern zum auseinander halten)
-2 lange Jeans (eine in schwarz die andere in dunkelblau)
-1 kurze helle Jeans
-1 kurze Sporthose in schwarz
-3 gute kurzärmelige Oberteile (eins in rosa, eins in dunkelblau und eins in hellblau)
-2 Sweatjacken (in grau)
-viele Socken (gestreifte mit allen möglichen Farben; gepunktete in allen möglichen Farben)
(Jaja ich weiß, ich habe es wohl darauf angelegt Klamotten in den USA zu kaufen…aber man will sich der örtlichen Mode ja auch anpassen ;))

Sonstiges:
-USB-Kabel für Mp3-Player und Digitalkamera
-1 Stick mit viel Speicherplatz (32 MB, der war sau teuer!)
-mein Tagebuch, das ich mir extra für das Auslandsjahr angeschafft habe und mir geschworen habe, es ordentlich und regelmäßig zu führen
-Gastgeschenke  ein Fotoalbum von mir und meiner Familie, wo auch ein paar typisch deutsche Rezepte drin stehen; einen kleinen Schlüsselanhänger mit der Deutschlandflagge und auf der Rückseite die Flagge der USA darauf; für jeden eine Tafel feinste Milkavollmilchschokolade und eine Tüte Gummibärchen
-1 Wecker, den ich gleich mal raus hole und auf den Nachttisch zu der weißen Nachttischlampe neben meinem neuen Bett stelle
-1 Armbanduhr, die ich auch eigentlich hätte tragen können, wie mir gerade auffällt, denn dann hätte ich nicht immer nach Uhren Ausschau halten müssen (Handy habe ich in Deutschland gelassen, denn mit dem Schrotteil, das eher aussieht wie ein Spielzeughandy, kann ich mich hier erstens nicht blicken lassen, und zweitens kann ich mir hier billig ein besseres kaufen, so wie ich mir hier wohl ziemlich viel kaufen werde…)
-Vokabeln für Französisch und Latein, ich hoffe ich werde dazu kommen, mir wenigstens ein paar anzugucken, damit ich nicht komplett hinterher hänge, wenn ich wieder nach Deutschland komme, da ich das Schuljahr eigentlich nicht wiederholen will

Federtasche mit:
-2 weiteren Bleistiften in anderen Stärken
-2 Kugelschreiber (ein dunkelgrüner von Gelomyrtol: Nasenpflege und ein neonorangefarbener von meinem Friseur)
-mein weißer Füller mit goldener Feder (teures Erbstück!)
-1 Radiergummi
-1 Anspitzer (klein und groß wohlgemerkt)
-1 Geodreieck
-1 Zirkel
-mein geliebter Taschenrechner namens „Rachel“ (natürlich nicht in der Federtasche, aber zähl ich jetzt mal dazu)
-1 rote Schere
-1 Rolle Billigtesafilm (hoffentlich klebt das auch)
-ein paar Stabilos in den wichtigsten Farben, sowie einige dünne Buntstifte, ebenfalls in den wichtigsten Farben
-1 Klebestift, der nach Lavendel riecht
-und der restliche Platz in der Federtasche ist mit kleinen Tintenpatronen ausgefüllt

Das war’s denn auch. Naja, ist ja auch genug. An Klamotten habe ich im Gegensatz zu den anderen Sachen irgendwie gespart, aber egal. Naja, auf jeden Fall durfte ich die Gewichtsgrenze von 23kg nicht überschreiten, weil mich das ganz schön viel Geld extra gekostet hätte.
Nachdem ich mich umgezogen habe, mache ich das kleine Licht auf dem Nachttisch an, schalte das große Licht aus, krieche schnell ins Bett und werfe einen letzten Blick auf meinen kleinen Wecker. Schön dass es ein Funkwecker ist, denn er hat sich schon automatisch umgestellt. Denke ich zumindest. Dann schalte ich auch das kleine Licht aus und kuschle mich in das sehr willkommene Bett.
Die Bettdecke ist schön fluffig und der Stoff der Bettwäsche ist sehr angenehm auf der Haut. Oh Gott, jetzt hör ich mich schon an wie meine Mutter! Natürlich nicht das mit dem fluffig, aber der Rest…
Mama…Plötzlich wird mir trotz der bleiernen Müdigkeit bewusst, dass sie ganz weit weg ist. Ganz weit weg für eine ganz lange Zeit. Zuhause in Deutschland. Zuhause.
Tränen steigen mir in die Augen. Ich sehe den letzten Anblick von meiner Familie: meine Mutter, die mit der fast einjährigen Josephine auf dem Arm dasteht und mir tapfer zulächelt und meine elf-jährige Schwester Carolina, die sich vor Heulen kaum noch einkriegt. Und dann daneben noch mein kleiner Hund, Caspar. Er ist der niedlichste Hund der Welt, wenn auch nicht der artigste, aber auf jeden Fall ist er der beste Freund im ganzen Universum. Und jetzt muss Caro sich um ihn kümmern. Das wird wohl eine ganz schöne Umstellung für sie sein, denn bisher habe fast ausschließlich ich mich um ihn gekümmert.
Von Papa musste ich mich schon vorher verabschieden, denn meine Eltern sind geschieden und daher sind nicht beide Elternteile mit zum Flughafen gekommen, sonst hätten sie sich wieder nur gezofft. Papas Mutter kommt ursprünglich aus England, weshalb mein Englisch auch bereits ziemlich gut ist.
Mama, Papa, Caro, Josie und Caspar…Mir wird schmerzlich bewusst, wie sehr ich sie gerade vermisse. Natürlich vermisse ich auch meine Freunde, aber meine Familie schmerzt mehr. Was sie wohl gerade machen? Wahrscheinlich ist Caro auf dem Weg zur Schule, Mama macht sich fertig für den Stall und zieht sich ihre blaue Latzhose an. Dann kommt Martin, ihr neuer Freund, der übrigens auch der Vater von Josie ist und gar nicht mehr so neu ist, denn Mama und er leben schon fünf Jahre lang zusammen (Caro und ich sind erst vor knapp einem Jahr nachgekommen), und fragt: „Kommst du?“. Dann guckt Mama noch schnell zu Josie ins Zimmer, ob sie noch schläft, und dann geht sie mit ihm in den Schweinestall. Wir leben nämlich auf einem Bauernhof. Und nein, es ist nicht so schlimm wie sich alle das vorstellen. Ich habe mit den Schweinen, etc. nichts zu tun.
Ich merke, dass ich mittlerweile ziemlich weine. Wie gerne wäre ich jetzt zu Hause, oder auf dem Weg zur Schule. In Deutschland ist es schon Freitag und die erste Schulwoche haben meine Schwester und meine Freunde schon hinter sich. Hier fängt am Montag die Schule an. Aber das soll erst später meine Sorge sein.
Mein Kissen ist schon ganz nass von den Tränen. „Gute Nacht Mama, Papa, Caro und Josie. Gute Nacht, ich habe euch ganz doll lieb und ich vermisse euch. Aber wir sehen uns ja wieder. Ich werde meine Zeit hier genießen und mich gut einleben. Ich hoffe es. Mein großes Abenteuer ganz allein in Amerika.“
Nachdem ich das in die Dunkelheit geflüstert habe, geht es mir eine bisschen besser.
Und dann kommt endlich der lang ersehnte Schlaf.

Als ich aufwache, ist es noch dunkel. Meine Glieder sind schwer und ich möchte mich kein bisschen bewegen. Komischerweise wusste ich sofort, wo ich war. In dem hübschen Zimmer in dem großen hübschen Haus in Amerika. Weit weg von zu Hause. Aber ich werde es durchziehen.
Ich strecke meinen Arm nach meinem Wecker aus und drücke oben drauf, damit das kleine Licht angeht.
3:24am.
Zu früh, um jetzt aufzustehen. Und außerdem bin ich ja eigentlich noch müde. Einfach weiterschlafen…Zwar ist meine innere Uhr ziemlich verwirrt, doch ich schlafe tatsächlich noch mal ein.

Als ich das nächste Mal aufwache, ist es schon hell. 9:15am. Schon ganz schön spät. Naja, wahrscheinlich nur für mich. Die Sonne scheint durch mein Fenster neben dem Bett, welches zu den Nachbarn zeigt. Mittlerweile ist es hier drinnen auch schon ganz schön warm. 25°C stehen auf meinem Wecker. Das kann ja noch was werden. Ich habe mich im Internet (immer meine Quelle Nummer 1) und bei meinem Vater (Meteorologe, anders gesagt „Wetterforschermann“) informiert, dass die Sommer hier in der Gegend sehr heiß werden, bis zu 40°C und die Winter können schweinekalt werden, nämlich bis zu -15°C. Ich meine, das sind 55° Temperaturunterschied! Das ist eine Menge.
Wieder läuft eine Träne über meine Wange.
Stopp. Ich bin nicht hierher gekommen, um zu weinen und mich wieder zurückzuwünschen. Nein, ich möchte Neues erleben, neue Leute kennen lernen, eine neue Schule besuchen, eine zweite Familie finden. Ich möchte ein Abenteuer erleben.
Aber dazu muss ich mich jetzt aufraffen und loslegen. Am besten fange ich mit dem Duschen an. Das erste Mal duschen in den USA. Ein ganzes Jahr lang werde ich das jetzt machen.
Und es wird toll. Ganz bestimmt. Ich muss mich nur darauf einlassen.
Nur fehlt mir zum Duschen ein Handtuch. Soll ich Riley oder Caitlyn fragen? Ich habe keine Ahnung. Am besten ist es wohl, wenn ich einmal nach unten gucken gehe, ob ich dort jemanden finde.
Tatsächlich sitzt Caitlyn in T-Shirt und kurzer Hose mit der Zeitung, welche im übrigen sehr viel schmaler, aber auch höher ist) vor sich ausgebreitet und mit einer dampfend heißen Tasse Kaffee in der Hand an dem dunklen Esstisch.
„Guten Morgen, Darling“, begrüßt sie mich strahlend wie die Sonne höchst persönlich, und pustet leicht in ihre Tasse, damit sich der Kaffee abkühlt. Sie hat kleine Lachfältchen um die Augen, was sie sehr sympathisch macht. „Möchtest du auch einen Kaffee?“
„Nein danke, ich wollte eigentlich fragen, wo ich ein Handtuch finde.“
„Also Handtücher sind in den Schränken in allen Badezimmern. Auch große. Und in jedem Bad müsste eigentlich ein Föhn zu finden sein, falls du einen brauchst.“
„Danke.“
„Was möchtest du nach dem Duschen frühstücken?“, fragt sie mich und nippt an ihrem Kaffee.
„Was gibt es denn?“, frage ich. Ich hasse es sagen zu müssen, was ich essen will, wenn ich gar keine Ahnung habe, was es denn zur Auswahl gibt.
„Sind Toasts okay? Oder möchtest du Cornflakes?“
„Ich mag beides. Vielleicht Cornflakes?“ Das macht weniger Arbeit. Und ich möchte niemanden zur Last fallen.
„Okay, dann stell ich die Sachen schon mal raus. Und möchtest du Kakao trinken? Oder Milch oder Cappuccino?“ Mhm…Cappuccino.
„Cappuccino mit Milch.“
„Wird gemacht.”
Schnell laufe ich wieder die Treppe nach oben, die kein einziges Geräusch von sich gibt. Das ist geradezu gruselig. Normalerweise knartscht jede Treppe wenigstens ein bisschen. Aber egal. Ich suche mir meine kurze Jeans und das hellblaue gute Oberteil sowie Unterwäsche zusammen und nehme meine Kulturtasche mit in das große Badezimmer. Gestern habe ich erfahren, dass das kleine Bad, welches identisch mit dem im Erdgeschoss ist, das private Badezimmer von Leah ist. Infolgedessen benutze ich das andere.
Dort ziehe ich als erstes die zwei Rollos herunter, damit niemand herein gucken kann.
Dann stelle ich mich nach dem Ausziehen unter die Dusche. Ich genieße die warme Dusche. Es tut wirklich gut, endlich wieder zu duschen und sich zu entspannen. Ich liebe es, mir heißes Wasser über den Kopf und das Gesicht laufen zu lassen. Wenn es dabei auch über die Ohren läuft und du nur das Rauschen des Wassers hörst, kann man sich wunderbar entspannen…
Als ich nach geschätzten zehn Minuten das Wasser wieder ausdrehe, fühle ich mich wieder viel besser. Schnell wickle ich mich in das flauschige Handtuch ein und stelle mich vor den Spiegel. Ich habe mich gestern nicht abgeschminkt, weswegen die Wimperntusche beim Duschen verlaufen ist. Irgendwie sehe ich ein wenig wie ein blasses Monster aus. Aus Spaß blecke ich meine Zähne und ziehe Fratzen. Danach geht es mir noch ein bisschen besser. Dann wickle ich mir das rosa Handtuch um den Kopf und ziehe mich an. Das hellblaue T-Shirt ist relativ schlicht, aber es passt gut zu meinen ebenfalls hellblauen Augen. Dann noch schnell abschminken und neu schminken. Nur ein bisschen Abdeckstift, Labello und Mascara.
Meine normalerweise glatten dunkelblonden Haare sehen immer ganz braun und gewellt aus, wenn sie nass sind. Vielleicht sollte ich mich heute tatsächlich föhnen? Normalerweise mache ich das nie. Hm. Dann mache ich es heute auch nicht. Stattdessen nehme ich meine Haare zu einem unordentlichen nassen Knoten zusammen und befestige ihn hoch oben am Hinterkopf. So stören mich meine nassen Haare nicht.
Das benutzte rosa Handtuch hänge ich neben ein schwarzes an den Schrank, der gleich links neben der Tür ist, um es trocknen zu lassen.
Dann bringe ich meine restlichen Sachen wieder in mein Zimmer und gehe nach unten um zu frühstücken.
In der Küche stehen eine weiße Schale und daneben eine Tüte Cornflakes und Milch. Caitlyn ist nicht zu sehen, aber auf ihrem Platz steht ein Teller mit einem halb aufgegessenen Toast und ihre Tasse Kaffee. Unsicher gehe ich zu der Anrichte und mache mir mein Frühstück. Irgendwie ist es komisch, sich in einem fremden Haus zu benehmen, als wenn es schon lange dein Zuhause wäre. Mit der Schüssel und einem Löffel, der ebenfalls bei der Schüssel lag, setze ich mich auf einen gemütlich gepolsterten Stuhl an die Fensterseite neben dem Kopfende, das an der Palmenstrandwand steht.
Ich drehe mich um und schaue aus dem Fenster. Auf der Straße, welche übrigens Bakers Street heißt, fahren ab und zu einige Autos lang, aber eigentlich ist es ziemlich still.
Ich fange an meine Cornflakes zu essen, die ziemlich süß schmecken. Dann kommt Caitlyn endlich aus dem Badezimmer und setzt sich lächelnd an ihren Platz.
„Also, wo sollen wir anfangen? Es gibt so viel, was wir uns erzählen müssen.“ Sie nimmt einen Schluck Kaffee und fängt (immer wieder kauend) an zu reden: „Also, heute ist Freitag und am Montag fängt die Schule schon wieder an, das heißt dass wir, du, Riley und ich etwas unternehmen können, und die anderen morgen Vormittag wiederkommen. Riley wird morgen Abend wieder abgeholt. Er hat gerade vor den Sommerferien seinen Abschluss gemacht, und ich muss sagen, ich bin wirklich stolz auf ihn. Er hat bis auf zwei B’s nur A’s. Das ist wirklich gut. Hier in Illingworth leben übrigens ungefähr 3500 Leute. Und ja, auf die Illingworth Charter School gehen insgesamt 455 Schüler. Aber das müsstest du eigentlich schon wissen. Ich bin auf jeden Fall sehr zufrieden mit der Schule. Also von der Elementary bis zur High School ist da alles vertreten. Dann gibt es in Illingworth einen Kindergarten, Walmart, 2 Cafés, also einmal McCoffee und einmal Lil’Corner, dann gibt es noch vier Restaurants und ein Fitness/Wellnesscenter. Das ist so der größte Treffpunkt hier. Also unten ist ein Hair and Nail Studio, dann noch Massagen und Saunen, und oben ist dann ein Fitnesscenter. Also das musst du dir selbst mal ansehen, auf jeden Fall gefällt es den meisten Leuten dort sehr gut. Was gibt’s hier sonst noch so… Achja, das Eishockeystadion. Direkt neben der Schule. Das Schulteam, in dem auch Jas mitspielt, ist richtig erfolgreich. Mehr gibt es hier in Illingworth leider nicht, aber ich denke, das ist wohl nicht so schlimm, oder?“ Nach einem Kopfschütteln meinerseits redet sie gleich weiter. „Gut, ähm…deine Klamotten, willst du die gerne selbst waschen? Oder soll ich das machen? Das ist gar kein Problem, ich wasche eigentlich für alle die Wäsche.“
„Also wenn es dir nichts ausmacht, dann kannst du das gerne machen. Natürlich nur wenn es dich nicht stört.“
„Natürlich nicht. Ich meine, du bist ein Teil der Familie, aber es hätte ja sein können, dass dir das unangenehm wäre. Das wollen wir ja schließlich nicht. Also, du kannst deine schmutzige Wäsche einfach unten in den Wäschekorb neben der Waschmaschine packen.
Am Kühlschrank kannst du dich immer bedienen. Und in der Garage stehen Getränke, falls hier drinnen nichts mehr ist. Also Aufräumen. Dein Zimmer müsstest du natürlich selber aufräumen. Badezimmer mache ich, sowie eigentlich das ganze Haus.
Du teilst dir das Badezimmer nur mit Jas, es ist also die meiste Zeit nicht besetzt. Leah hat zum Glück ihr eigenes. Tisch aufdecken und abräumen kann jeder mal mithelfen. Genauso Staubsaugen oder so. Aber das musst du jetzt nicht die ganze Zeit über machen. Wenn du irgendwelche Fragen wegen Mikrowelle oder Backofen hast, also wenn du mal was kochen willst, kannst du gerne fragen. Aber wahrscheinlich bekommst du das ohne meine Hilfe besser hin.
So, Regeln, wann man nach Hause kommen soll. Eigentlich ist es größtenteils dir selbst überlassen, wann du schlafen gehen willst und wann du aufstehst, solange du zur Schule gehst. Aber um neun Uhr solltest du bitte spätestens zu Hause sein. Das soll jetzt nicht böse klingen, aber die anderen müssen auch um spätestens neun Zuhause sein.“
„Ist okay“, sage ich und Caitlyn fährt fort: „Okay, also wenn es mal später wird oder so, oder du nach der Schule spontan mit zu Freunden gehst, dann solltest du bitte hier anrufen. Hast du ein Handy?“
„Nein, aber ich wollte mir hier eins kaufen. Das ist billiger.“
„Gut. Und wenn wir nicht da sind, dann auf den Anrufbeantworter sprechen. Oder wenn du noch Mal kurz hier bist, kannst du auch ein kleines Zettelchen schreiben und es in die Küche legen. Gut, dann ähm…du rauchst nicht, oder? Zumindest stand in deinem Profil bei der Austauschorganisation nicht, dass du rauchst.“
„Nein, ich rauche nicht.“
„Gut, wir nämlich auch nicht. Und dann noch die Kirche. Ähm…wir sind ehrlich gesagt nicht so gläubig, also wir gehen eher selten in die Kirche. Ist das ein Problem für dich?“
„Nein, keineswegs. Ich gehe ehrlich gesagt auch nicht sehr oft hin.“
„Gut, dann sind wir da ja einer Meinung. Weißt du, ich muss das jetzt alles einmal mit dir durchgehen, nicht dass sich bei dir etwas geändert hat. Ich möchte ja, dass es dir hier gefällt. Und alles, was wir bis vor kurzem über dich wussten, stand ja in dem Profil über dich.“
„Es ist alles noch beim Alten.“
„Sehr gut. Hast du noch Fragen?“
„Eigentlich nicht. Obwohl, gibt es einen Grund, warum ihr einen Austauschschüler aufnehmen wolltet?“ Im nächsten Moment kommt mir diese Frage unhöflich vor. Ich hätte sie besser erst in einem Monat stellen sollen, wenn wir uns besser kennen, und nicht gleich am ersten Morgen. Aber ich kann sie schließlich nicht mehr zurücknehmen. Außerdem sieht Caitlyn nicht gerade böse aus, sondern lächelt mich an.
„Also die Schwester von Dan, also deine Gasttante, das heißt, Sienna, die hatte letztes Jahr einen Gastschüler aus Dänemark. Sie hat gesagt, das wäre eine ganz tolle Erfahrung gewesen und auch ihre Kinder Keenan und Shannon waren ganz begeistert. Dann haben Dan und ich überlegt, ob wir nicht auch jemandem die Chance bieten wollen, einem Schüler aus einem anderen Land hier ein zweites Zuhause zu geben. Und ja, unsere Kinder fanden die Idee gut. Dann mussten wir uns nur noch, nachdem wir geprüft wurden, einen Austauschschüler aussuchen. Und dann haben wir dein Profil gesehen, und dachten, das passt. Also wir haben alle zusammen entschieden. Riley und Aidan waren richtig begeistert.“
„Okay, das klingt ja gut.“ Irgendwie bin ich beruhigt, dass sie alle mit einem Austauschschüler, oder besser gesagt einer Austauschschülerin, einverstanden sind.
Caitlyn nimmt noch einen Schluck Kaffee und isst ihr letztes Stück Toast auf. Auch ich habe mittlerweile meine Cornflakes aufgegessen.
„Und wenn du irgendetwas brauchst, egal was es ist, schreib es einfach auf unseren großen Einkaufszettel. Der hängt mit einem Magneten am Kühlschrank. Stifte sind hier überall im Haus verteilt, also sollte man eigentlich immer irgendwo einen finden. Und ja, Telefone. Hier unten im Wohnzimmer ist eins, und oben im Wohnraum auch. Du kannst immer mit denen telefonieren, auch nach Deutschland.
So, Computer. Den in deinem Zimmer kannst du benutzen, Riley hat sich einen neuen Laptop gekauft und seinen alten Computer braucht er nicht mehr. Ins Internet kannst du auch, ganz einfach auf den Firefoxbutton drücken. Der Rest müsste von alleine funktionieren.
Den Fernseher hier unten kann Riley dir heute am besten selbst erklären. Ich habe da nämlich so meine Schwierigkeiten mit. Ich bin nicht so der Technikmensch. Der oben funktioniert genauso. Ja, wenn Riley dann auch irgendwann mal aufsteht, könnten wir auch planen, was wir heute machen wollen.“
„Riley ist schon da!“, ruft er, während er die Treppe hinunter gepoltert kommt. „Ich bin für Shopping. Ich brauch noch neue Klamotten.“
„Ist das für dich in Ordnung, oder willst du lieber was anderes machen, Helena?“, fragt Caitlyn mich.
„Shoppen ist gut. Ähm…gibt es zufälligerweise irgendeinen Dresscode an der Schule?“, frage ich.
„Nur so’n paar kleine Regeln. Du darfst keine Tops tragen, das heißt deine Schultern müssen bedeckt sein, Hosen müssen…“
„Willst du noch mehr essen, Helena?“, fragt Caitlyn dazwischen.
„Nein, danke. Ich bin satt. Hat aber gut geschmeckt.“
„Mom, unterbreche mich doch nicht! Das machst du immer. Nur weil du so gerne redest heißt das nicht, dass andere nicht auch reden dürfen. Also, Hosen dürfen höchstens drei Hände breit unter dem Po enden. Und keine Kopfbedeckungen, auch nicht, wenn es modisch zum Outfit gehört. Da gibt’s öfters mal kleine Diskussionen. Und ja, deine Kleidung darf keine Löcher haben, und sie darf nicht schmutzig sein. UND sie darf nicht stinken. Das ist eine ziemlich gute Regel. Du hast Glück, dass du das nicht mehr mitbekommen musst, wie die Leute alle stinkend zur Schule gekommen sind, einfach darum, weil sie kein Bock hatten sich zu duschen und umzuziehen. Schon ekelig. Und du darfst keinen zu auffälligen Schmuck tragen. Das war’s glaub ich.“
„Okay, ich hoffe, ich kann mir das merken.“
„Bestimmt, und wenn nicht, kannst du mich ja anklagen, als derjenige, der dir die Regeln nicht schriftlich gegeben hat“, meint er grinsend.
„So, Riley, nun iss mal. Wir wollen bald los. Oh, ich habe unser Willkommensgeschenk vergessen! Warte mal, ich hol es kurz.“ Aufgeregt steht Caitlyn auf. Da fällt mir ein, dass ich auch meine Geschenke vergessen habe.
„Soll ich euch jetzt schon meine Geschenke geben, oder erst, wenn die anderen da sind?“, frage ich Riley.
„Wenn du mir verrätst, was es ist, dann kannst du sie auch erst morgen übergeben. Ich meine, ich fahre dann ja schon…“
„Also, okay. Es sind ein Fotoalbum, wo ganz viele Fotos von mir als kleines Kind und auch sonst mein Zuhause in Deutschland drin sind. Dann noch Kleinigkeiten. Und Süßigkeiten.“
Caitlyn kommt mit zwei kleinen in buntes Geschenkpapier eingepackten Geschenken in der Hand zum Tisch.
„Ich hoffe, es gefällt dir“, meint sie und überreicht sie mir.
Eines ist länglich und weich, das andere eher unförmig. Zuerst mache ich das längliche weiche auf. Es ist eine Amerika Flagge. Eine ziemlich große sogar.
„Die kannst du in deinem Zimmer aufhängen, wenn du willst.“
„Danke“, sage ich und lächle zurück. Das finde ich wirklich total nett von ihr. Ich meine, es ist schon üblich, dass man der Gastfamilie ein Geschenk mitbringt, aber dass die Gastfamilie dem Gastschüler ein Geschenk gibt? Einfach nett.
Das zweite Geschenk ist wesentlich kleiner. Es stellt sich als ein Haustürschlüssel heraus.
„Damit du auch rein kommst und nicht vor verschlossener Tür stehen musst.“
„Danke, vielen, vielen Dank. Das ist wirklich nett von euch.“ Mir gleich einen Schlüssel zu geben ist irgendwie ein Vertrauensbeweis. Ich meine, wir kennen uns noch nicht mal vierundzwanzig Stunden lang persönlich, und sie gibt mir schon einen Haustürschlüssel. Na gut, wir haben schon einige E-Mails geschrieben, und Vertrauen gehört einfach dazu. Schließlich bin ich ab jetzt ein Familienmitglied.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 17.07.2012

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /