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Es war spät am Abend, als ich wieder in Berlin ankam. Das Wetter war grau und trist, leichter Regen fiel von einem bewölkten Himmel und auf den Straßen war nahezu nichts los. Ich stieg in das Auto, das auf mich wartete. Hinter dem Steuer saß Alfred, mein treuer Assistent, der mir schon seit gefühlten Jahrzehnten zur Seite steht.
Zwei Tage werde Ich zuhause in Berlin bleiben, bevor es mir für die nächsten Wochen wieder nach New York, Washington, Los Angeles und Rio de Janeiro verschlagen wird. Das Leben scheucht einen oft herum, aber nie dorthin, wo man eigentlich sein will.
Manche denken, es wäre schön und toll, so ein Leben wie Ich zu haben. Reich, bekannt, Geschäftsmann eben. Aber die Wahrheit ist: In all den Jahren, wo das Leben wie eine bizarre Diashow vor meinen Augen ablief, habe ich irgendwas verloren. Ich weiß nicht was, ich weiß auch nicht wie, vielleicht ist es auch einfach das Gefühl, dass immer nur andere über mein Leben bestimmen. Du musst zu dem Meeting hierhin, du musst zu der Sitzung dorthin…
Berlin zog an mir vorbei, grau und trist.
Als ich jung war, habe ich den Moment herbeigesehnt, es zu etwas zu bringen im Leben, ich lag Nachts im Bett und spürte, wie mich die Sehnsucht nach einen besseren Leben langsam zu verzehren begann. Wenn man in Berlin Kreuzberg aufgewachsen ist, weiß man, wie es ist sich alles im Leben zu erkämpfen. Die Eltern, arm, ohne Job und Perspektive, die Freunde, arm und ohne Perspektive und schließlich ich, arm und mit dem Drang, im Leben etwas zu erreichen. Wir saßen oft Nachts betrunken auf dem Spielplätzen, haben zu den Sternen geschaut und das verdammte System verflucht. Wir waren immer zu fünft und ich war der einzigste aus dieser Gruppe von Versagern, der es später zu etwas gebracht. Die anderen sind entweder ausgewandert in eine andere Stadt oder nach Amerika, in der Hoffnung, im Land der Träume es doch noch zu schaffen.
Und jetzt?
Berlin zog an mir vorbei, grau und trist.
Eine Ehefrau, die mich betrügt, weil Ich fast nie zuhause bin, eine Tochter, die gerade mitten in der Pubertät steckt und gegen alles rebelliert, was ihr über den Weg läuft und einen Hund, einen Golden Retriever, Tamino, das einzigste Lebewesen auf dieser verdammten Welt, dass zu mir hält.
Er hat mich begleitet, war bei meinen Aufstieg dabei und vielleicht fühlt er, wie ich jetzt langsam falle, ohne dass mich jemand auffängt.
Das alte Leben… Jeder Tag war eine neue Herausforderung, ich bin oft mit ihm durch die Parks und die Strassen von Berlin Mitte gegangen. Er war ein braver, wohlerzogener Hund und voller Energie. Tollte durchs Laub und genoss den Tag, als wäre es sein letzter. Selbst jetzt, im hohen Alter von 13 Jahren, gingen wir oft zusammen durch die nächtlichen Strassen, dachten über unser Leben nach und machten einander glücklich. Seine Anwesenheit erinnerte mich an mein altes Leben, wo irgendwie noch alles in Ordnung war. Ich hatte einen einfachen Job, meine Frau liebte mich, meine Tochter wollte mit mir immer ins Kino gehen… Kurz gesagt: Man konnte das Leben genießen. Selbst wenn die Zeiten noch so schwer waren hielten wir zusammen, einander liebend und achtend. Bis ich schließlich meinen ersten kleinen Laden zusammen mit meinen Partner hochzog. Das Geschäft lief gut, mit der Zeit immer besser und schließlich ging der Weg nach oben los.
Nach außen hin ist der Weg nach oben, doch im inneren will ich meine Sehnsucht nach… keine Ahnung, nach der guten Alten Zeit einfach in den Wind schreien und hoffen, dass jemand meine Laute vernimmt und mich rettet.

Als ich zuhause ankam, saß meine Tochter im Wohnzimmer und schaute sich ein Live-Konzert von Tokiohotel an. Ich sagte nichts, diesen Kampf gegen den schlechten Geschmack habe ich schon lange aufgegeben. Das Haus sieht unordentlich aus, meine Frau sitzt in der Küche, liest eine Zeitung und sieht danach aus, als würde sie sich jeden Moment von mir scheiden lassen. Als sie kurz darauf mir damit droht, weil Ich fast nie zuhause bin, fühlte Ich mich wie in einem schlechten Traum gefangen und als sie mir erzählte, dass Tamino vor zwei Tagen von einem Lastwagen überfahren wurde, rechnete ich fest damit, im nächsten Moment wieder im Flieger aufzuwachen.
Doch nichts der gleichen geschah. Der Abend ging vorbei, meine Tochter verendete vor dem Fernseher und ich schlief mit meiner Frau. Nach dem Höhepunkt lagen wir still nebeneinander im Bett, wie ein altes Ehepaar, dass sich nichts mehr zu sagen hatte. Ich konnte den Fernseher leicht aus dem Wohnzimmer hören und dachte über mein zerbrochenes Leben nach.
Warum lebe ich eigentlich noch?
Gibt es irgendetwas, dass mich auf dieser Welt festhält?
Wo sind die ganzen Träume hin, die man in seiner Jugend hat?
Wie oft haben wir damals über so etwas geredet, wir, die ganzen Versager, die im Leben einfach Pech hatten. Wir hatten Träume, wir saßen mit Wodkaflasche und Zigaretten nachts auf den Bänken in Kreuzberg und haben uns gegenseitig immer unwahrscheinlichere Sehnsüchte und Träume aufgetischt. Der eine war in ein Mädchen verliebt, dass sechs Jahre älter wie er ist und ihn nicht mal anschaut. Aber, hat er uns mit lallender Stimme gesagt, er werde mit 18 Millionär und ihr dann auf seiner Privatjacht im Mittelmeer einen Heiratsantrag machen. Anschließend ist er in Tränen ausgebrochen und wollte sich vor das nächst beste Auto werfen, wenn ich ihn nicht aufgehalten hätte. Lass mich los, hatte er mich damals angebrüllt, das Leben macht doch sowieso keinen Sinn. Aber ich ließ ihn nicht los, bewahrte ihn nur schweigend vor dem Selbstmord und ließ erst locker, als er neben mir auf den Bürgersteig sank und sich erbrach.
Ein anderer war Drogenabhängig, und das schon seit Jahren. Er hatte Talente und wollte mal Autor werden, doch die Drogen ruinierten sein Leben. Seine Eltern machten ihn fertig, die Schule war auch ein Weg nach unten und das Leben schien ihm bei jeder Gelegenheit eine reinzuhauen. Ich habe ihn mal gefragt, warum er Drogen nehme, er antwortete mir, dass er irgendwie vor der Realität flüchten wollte. Er starb drei Jahre später an einer Überdosis, die er sich in einer Bahnhofstoilette in Berlin Mitte gesetzt hatte, kurz nachdem er mal wieder Streit mit seinen Eltern hatte, die ihn dauernd vor Augen führten, was für ein Versager er eigentlich war.
Aber am meisten blieb mir Julian Hermann in Erinnerung. Julian Hermann, der Kämpfer, Julian Hermann, der nie aufgeben wollte. Julian Hermann, der einen Traum hatte, den er sich auch erfüllen wollte. Julian wollte nach Amerika, zusammen mit seinen Freunden Dennis und Oleg. Ihm war egal, wie er das Geld dafür auftrieb, und wurde zum Verbrecher. Schließlich eskalierte eine Situation, es kam auf der Flucht aus Deutschland zu einem Schusswechsel mit der Polizei, wo auch seine Freundin starb. Ich habe nicht mehr sehr viel von ihm gehört, soweit ich weiß, hat er es doch noch bis nach Amerika geschafft.
Und ich?
Der kleine verrückte, der mit 11 Jahren schon anfing, sein Taschengeld für den Führerschein zu sparen, ich, der nie aufgeben wollte, ich, der schließlich den Absprung geschafft hat. Ich, der jetzt hier neben einer Frau liege, die alles von dem verloren hat, was ich an ihr liebte, ich, der eine Tochter hat, die mir wie eine Fremde ist, ich, dessen einziger Freund gerade von einem Laster überfahren wurde.
Mein Traum ist irgendwann wahr geworden, doch irgendwie habe ich mich selbst verloren. Ich lebe ein Leben, dass nur anderen nützt, ich selber… bin Orientierungslos. Ich habe erreicht, was ich wollte, doch bin ich glücklich damit, dass meine Träume wahr wurden?

Als ich drei Tage später in Washington ankam, begann das alte Spiel wieder, Meetings, Geschäftsitzungen und alles mögliche bis zum Abwinken. Ich lernte Alicia kennen, eine Unternehmensberaterin für eine amerikanische Firma, die moderne Unterhaltungsmedien produziert. Ich lud sie auf einen Drink ein und wir begannen uns zu unterhalten. Sie war 30 Jahre alt, Single und irgendwie auch fertig mit der Welt. Sie erzählte mir, wie sie voller Hoffnung und großer Träume ihren Beruf angetreten war, fest im Glauben, die Welt zu verändern. Doch sie zerbrach an dem ganzen Spiel, hielt die Regeln nicht ein, wollte ihr eigenes Ding machen. Jetzt sitzt sie wie ein gefallener Engel vor mir, blonde Lockenhaare und blaue Augen, die für mich wie der Himmel auf Erden war. Ich erzählte ihr von meiner Traurigkeit, die ich wie eine schwere Last mit mir herumschleppte. Anschließend fuhren wir in mein Hotelzimmer, schliefen miteinander und träumten von einer besseren Welt.
Zwei verlorene Seelen, durch die Einsamkeit für einen Moment miteinander vereint.
Als der Höhepunkt kam, schien die Welt für einen Augenblick ohne Fehler, einfach perfekt zu sein. Wir lagen schließlich da, ich hielt sie im Arm und konnte fühlen, wie sie gleichmäßig und entspannt atmete. Ich konnte die Hoffnung in meinen inneren spüren, ein kleines, loderndes Feuer, das mir Mut gab, mit dieser Frau das Leben doch noch lebenswert zu machen.
Ich will dich nicht verlieren…
Wer weiß, vielleicht habe ich auch mal Glück, dachte Ich und schlief ein.
Ich will dicht nicht verlieren…
Am nächsten Morgen war die Betthälfte neben mir leer. Nichts deutete daraufhin, dass sie jemals bei mir gewesen ist. Keine Kleidung, kein Schmuck, keine Karte. Ich stand auf und blickte aus dem Fenster auf das morgendliche Washington. Es regnete, und die Welt war grau und trist.
Wie immer irgendwie.

Das Leben ging weiter, zog an mir vorbei. Ich saß im Flieger nach Los Angeles, als der Anruf meiner Frau kam. Sie schluchzte irgendwas und sagte mir schließlich, dass es vorbei ist. Ich solle mich nie wieder zuhause blicken lassen sondern am besten gleich in einen meiner zahlreichen Hotelzimmer wohnen.
Ich schwieg und klappte das Handy zu.
Mein Leben, dachte ich und sank in den Sitz zurück, eine einzigste Diashow von verrückten, trostlosen Bildern.

Los Angeles - Die Stadt der Engel, ein nächtliches Meer aus Lichtern, in dem Millionen Seelen einsam sind.
Und ich bin eine von ihnen.
Nur einer von viele, der es im Leben zu etwas bringen wollte und schließlich am Ruhm zerbrochen ist.
Ich saß in meinen Hotelzimmer im “Four Seasons” auf den Bett, blickte zum Fenster und die Lichter blickten zurück.
Neben mir stand eine Flasche Wodka, die nahezu schon fast zur Hälfte leer war, gleich daneben zwei leere Packungen Zigaretten. Ich hatte mir eigentlich am Anfang meiner Karriere das Rauchen abgewöhnt, wollte lange und glücklich leben, doch das hat sich jetzt auch alles erledigt.
In meiner Jugend haben wir oft geraucht, was soll’s, die Welt wird auch prima ohne uns zurechtkommen, niemand würde uns vermissen. Als ich Angelika damals in Berlin kennen lernte, war auf den besten Weg nach oben. Ein gut bezahlter Job, eine Frau, die mich liebt… Das Leben war gut, und deshalb habe ich aufgehört zur rauchen. Ich habe ein Leben, das will Ich jetzt genießen.
Ich weiß nicht, wann alles begann. Ich weiß nicht, wann ich in diesen dunklen, tiefen See gefallen bin, auf dem ich heute noch in einen kleinen Boot hin und her treibe, kein Land in Sicht und ohne Hoffnung. Niemand, der mich befreien kann, ich bin da, und treibe alleine.
Manchmal gibt es Momente, in denen denke ich, das alles wieder gut wird. Es sind diese Momente, die man hofft hat, wenn zusammen mit einer hübschen Frau stockbesoffen im Bett liegt und kurz vorm Einschlafen ist. Oder wenn irgendetwas passiert, dass einen Hoffnung gibt, wenn jemand einen sagt, dass an er einen glaubt, oder wenn ein kleiner Lichtschimmer an diesen langen, dunklen Tunnel, der sich Leben nennt, zu sehen ist.
Los Angeles… ein Lichtermeer der Sehnsucht, der Hoffnungen und Träume, die nie wahr werden.
In einer paar Stunden geht alles wieder los, Termine, Meetings und der ganze Schwachsinn eben.
Was mache ich eigentlich noch hier?
Warum?
Ich bin verloren, stehe vor den Splittern meines Leben, halb besoffen, ein Dasein ohne Sinn und Zweck.
Wer weiß, vielleicht gibt es bessere Welten als diese, dachte ich, nahm den Revolver, der neben mir lag, entsicherte ihn und drückte ihn an meine Schläfe.
Ich blickte aus dem Fenster.
Die Lichter blickten zurück.
Ich drückte ab.


ENDE

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Tag der Veröffentlichung: 24.06.2009

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