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Losgelöst. Völlig ungelöst. Aufgelöst und schließlich doch noch eingedöst. Aber nur kurz, zu kurz. Hingefläzt wie ein gestreckter Haufen alter Lumpen. Verschwunden unter dem Berg von Decken,Kissen und dem mittlerweile schon üblichen Hausanzug. Eingewickelt in Stoff, in Plüsch und Plunderließ es sich ganz vortrefflich schlummern. Gewappnet und vielleicht sogar ein wenig beschützt. Den Tag zerschlafen, ihn in regelmäßige Atemzüge und unregelmäßige Schlummerrollen zerteilen, ihn wie ein Messer zerschneiden und zerteilen, wie ein scharfes Beil ihn in kleine und kleinste Stückchen zerhacken. Mehr brauchte man nicht. Alles ruhte in Frieden und der Frieden würde kommen um den Schlafenden mit sich zu nehmen, ihn zu entführen in eine von Fratzen und beängstigenden Bildern und Albträumen beherrschte Welt der ausufernden Höllenqualen und Martyrien. Eine Folter und Marter. Seit Wochen schon die immer gleiche Heimsuchung. Tag für Tag die Bilder des Schreckens vor den angstvoll zugekniffenen Augen. Und jeden Tag die immer gleiche Frage nach dem Woher. Aber niemals eine Antwort. Woher denn auch. Den ganzen Tag von Müdigkeit übermannt aber doch nicht in der Lage in den vermissten Tiefschlaf zu fallen. Zerfressen und zerfasert von der Schlaflosigkeit, der namenlosen Ruhelosigkeit. Die wehen Augen brennend vor Schmerz, die Lider so schwer. Der Blick verschwommen und ewig ruhelos. Kein Punkt an dem man zur Ruhe kommen konnte. Erleichterung weit und breit nicht in Sicht. Sich gehen lassen in Mattheit. Gleichgültig in den Tag hinein blinzeln. Schlaffes sich hängen lassen, vergehen lassen. Die Zeit hängt träge in der Luft, der Kopf fällt auf die Brust und sofort bestürmen ihn die Dämonen der Nacht. Selbst am Tage geben sie keine Ruhe, verfolgen den Geplagten und rauben ihm den Verstand. Keine Linderung. Kein Entrinnen. Kein Erbarmen. Er schaudert vor Müdigkeit. Er sackt in sich zusammen und schreckt wieder hoch. Der Nacken schmerzt. Die Festung aus Stoff bot keinen Schutz. Wehrlos das Schluchzen ertragen und hoffen, dass die Zeit verrann. Das Ticken der Uhr. Das Rascheln der Mäuse. Aber es gab hier keine Mäuse. Ein Wachtraum, ein Halbschlaftraum. Schlummertrug. Die Nerven aufgestachelt. Jedes noch so leise Geräusch nahendes Unheil ankündigend. Er dachte an Mäuse und anderes Getier, sah sie
förmlich vor sich und sofort begann die Haut zu jucken. Käfer, Larven, Maden, Würmer in verwesenden Kadavern hausend und wühlend. Eine Gänsehaut. Kratzen mit abgenagten Fingernägeln. Der Juckreiz ließ nun etwas nach. Er zitterte leicht. Das Getier verschwand in quälend langen Minuten. Er wurde wieder ruhiger. Auch die Flut der eklen Bilder ließ nach. Hatte er sich nicht gerade selbst dabei zugehört wie er zu schnarchen begann? Das konnte nicht sein. Wieder hellwach. Ein schwerer Seufzer, der Erleichterung bringen sollte. Aber die wollte sich nicht einstellen. Eine andere Lage. Vielleicht seitlich. Zu unbequem in diesem Moment. Dann eben auf dem Rücken. Schweiß bildete Tropfen auf der Stirn. Er rann seitlich über die pochenden Schläfen herab in die Kissen und Laken. Die Haare nass, ebenso der Stoff auf dem er lag. Der Hausanzug aufgeweicht und klamm. Kein Augenblick des Ausruhens, keine Sekunde der Entspannung. Stattdessen Gedanken an Tod und Untergang, an Verderben, Zerstörung, Not und Elend. Die ganze Welt ging in seinem schwermütigen Kopf zuschanden. Verwüstung der schmerzbeladenen Art toste ungebremst durch den angstvollen Kopf. Der Schweiß aber rann weiter und sickerte ungehindert durch den Stoff in die
Matratzen, wo, so fiel es ihm nun ein, ja ungezählte Armeen von hungrigen Milben und vielleicht auch noch viel schrecklicheren Krankheitserregern lauerten. Die Fühler und Facettenaugen ließen ihn abermals aufschrecken. Ihm war als hätte er einen Biss, ein Zwicken gespürt. Aber nein, das konnte doch nicht wirklich sein. Es kribbelte und es war ihm als krabbelte etwas unter ihm in den Matratzen herum. Das Herz klopfte stark. Was, wenn es doch Mäuse gab, die direkt unter ihm es sich gemütlich eingerichtet hätten? Das war zwar möglich aber sehr unwahrscheinlich. Ein weiteres Trugbild also, aber eines, das ihn verunsicherte. Und urplötzlich fuhr die Katze in seinem Kopf die scharfen Krallen aus und zeigte die spitzen Zähne. Riesig erschien ihm das Tier und er fuhr hoch. Ein Schrecken. Mit
einem Hemd Gesicht und Kopf abgetrocknet. Zurück in die ursprüngliche unbequeme Lage. Die Katze war verschwunden. Ein brutaler Hund, der sie verscheuchte? Ein bissiger vielleicht? Auch er mit Zähnen so furchteinflößend groß und so spitz? Hatte er die Katze gepackt und gebeutelt? Sie gerupft und zerpflückt. War jetzt nicht sogar ein fernes Bellen zu hören? Eine Täuschung? Das digitale Ticken der Armbanduhr. Leise zwar aber doch unerträglich laut. Er streifte sie ab und ließ sie auf den Boden fallen. Ruhe trat ein. Der Puls immer noch zu schnell, das Herz immer noch zu aufgeregt. Es klopft im Ohr. Für Sekunden ein leises Pfeifen. Das Bild des wasserdurchfluteten Venedigs tauchte auf in seinem geschundenen Kopfe und die dem Tode geweihte Stadt tauchte unter. Wellen schwappten gemächlich und ungehindert durch die Gassen und Straßen. Der Untergang ist nahe. Er fühlte mit der Stadt, ihn verdross ihr Verschwinden, ihr stetiger und unwiderruflicher Untergang. Sie war des Todes. So wie er, der selbst ja des Todes war. Plötzlich war da wieder dieses Schnarchgeräusch. Sein eigenes vielleicht sogar? Nein, das durfte nicht sein. Unmöglich. Die Nässe umgab ihn, klammerte sich fest an ihn und das Rauschen in seinen Ohren wurde stärker als das Klopfen zuvor. Noch einmal mit dem Hemd die schweißnasse Denkerstirn getrocknet. Diese Stadt in seinem Kopf war ihm fremd. Er hatte sie nie gesehen und trotzdem zerbrach er sich den Kopf darüber. Sie würde untergehen ohne ihn. Ganz sicher. Er würde sie niemals zu sehen bekommen. Darüber war er sofort verärgert. Zerknirscht. Zähneknirschen. Tief durchatmend lauschte er in die vermeintliche Stille. Ein kalter Schauer. Der Schweiß kühlte. Die Feuchte seiner Bettstatt war so unerträglich ungemütlich. Sollte er nicht doch besser aufstehen? Ein längst überfälliges Bad nehmen? Fernsehen? Nachher vielleicht. Jetzt wollte er nur noch schlafen. Zumindest ein paar Stunden. Nicht lang. Nur ein wenig Erholung. Mehr brauchte er doch gar nicht. War das schon zu viel verlangt? Gab es denn nur für ihn keine Ruhe mehr? Die Ausgeruhtheit fehlte ihm schon so lange, er konnte sich kaum noch darauf besinnen, wann er mal auch nur eine einzige Nacht durchschlafen hätte. Es musste schon Jahre zurückliegen. Er erinnerte sich einfach nicht mehr daran. Das Lager auf dem er mehr schwamm als ruhte, nahm die Form eines Floßes an und es schwankte von der einen Seite zur anderen. Sein Körper rollte von der einen auf die andere Seite und das verschnarcht schnarchige Röchelrotzen setzte wieder ein. Es konnte doch niemals das Seine sein. Nimmer. Da sei Gott vor. Ja war er denn jetzt total verrückt geworden. Nein nicht verrückt, nur ein ganz klein wenig schlafwütig wahnsinnig. Gutmütig schlafmütig. Schlafmützig. Der rollende Klopfkopf, die steifen Gliedmaßen, feuchtigkeitsdurchtränkt und einfach nur noch nicht
mehr zu ertragen. Und der Schweiß floss in Strömen. Angst im Kopf, die Wesen vor seinen Augen versuchten nach ihm zu schnappen, ihn zu zerpflücken, zerhacken und zu zerfressen. Zerteilt und aufgelöst in Nervosität und Rastlosigkeit verharrte er in albtraumsatter Ruhelosigkeit und dannendlich sah er im schlaflosen Schlummer die schlaflose Schlummerstadt seiner wetterwendischenvenediger Träume.
Und ganz Venedig versank in seinem Schweiß.

 

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Texte: Alle Rechte liegen bei der Autorin.
Tag der Veröffentlichung: 27.11.2011

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