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Resie



Resie packte ihre wenigen Habseligkeiten zusammen und verstaute sie sorgfältig in ihrem Koffer. Es war klar, dass es nur ein kleiner Augenblick der Versuchung, der Schwäche gewesen war, dem sie nachgegeben hatte. Und ihr Leben hatte sich dadurch von der einen Sekunde zu der anderen völlig auf den Kopf gestellt. In das genaue Gegenteil verkehrt. Nur ein kleiner dummer Fehler, Fehltritt, Fehlgriff, wenn man so wollte und nichts war mehr so, wie es einmal gewesen war. Bitter stellte sie fest, dass die Buchstaben ihres Namens ja schon ihren weiteren Weg aufzeigten, wenn man sie nur in eine andere Reihenfolge brachte.
Wehmut legte sich dunkel und klamm wie giftiger Tau um das klagende Herz.
Trübnis würgend.


Windchor



Wenn der Wind von Nordwesten gegen die mürbe Hauswand drückt und der Regen scheinbar unaufhörlich hernieder geht auf die geschundene Erde, versammelt sich die allen Unbilden der Natur trotzende Gemeinschaft aller Familienmitglieder vor der klappernden Haustür. Eingepackt in wetterfestes Zeug und fest entschlossen, den ungebändigten Naturgewalten durch schauderhaften Gesang und ausdauerndes, ausgelassenes Gelächter ins Gesicht zu spotten, dem tumben Wettergott, so es ihn denn gäbe, zu zeigen, was man von derlei Budenzauber und Hokuspokus hält. Unverdrossen und mit entschlossenen Mienen hielten sie tapfer stand. Sangen und lachten so lange das Unwetter andauerte. Mitunter Stunden und Tage. Unverzagt und stets guten Mutes. Unbeeindruckt, weder von Sturm noch Schnee, noch Regen noch Allem. Eisern, die kalten Gesichter dem Wind entgegen gereckt. Ein Lied auf den Lippen und schallend lachend. Muttern immer wieder in die Küche eilend, dem grausligen Lachenchor mit allerlei Warmem und Wärmendem zu versorgen. Wusste das Wetter, das dumme, denn nicht, mit wem es sich hier angelegt hatte? Lachenumtost brandete der Sturm ohn Unterlass gegen die Unbeugsamen an. Vergeblich. Sie wichen weder Wind noch Wasser. Ungebrochen und niemals nachgebend. Wissend um die eigene Stärke.
Ewig schaurig schallt das gellende Gelächter, von besagtem Wettergotte nimmer gehört. Der Wind trägt es schleunigst davon.
Auch bei Sonnenschein liess das Gelächter nicht nach. Auch allerschrägester Gesang liess schräg sich unerhört vernehmen. Oh welch Graus.


Faltenrock



Behende auf den Trockenboden geschlichen. Hier hängten alle Mietparteien ihre Wäsche zum Trocknen auf die Leine. Schnell rüber zur Wäsche der eigenen Mutter und auch gleich etwas passendes gefunden. Ein Rock. Er zog seine Hose aus und schlüpfte in Mutters Wäsche. Das gefiel ihm. Sehr sogar. Er tanzte ausgelassen umher, summte tatsächlich eine kleine Melodie und streichelte den zinnoberroten Stoff. Ihm träumte von einer besseren Zeit, einem besseren Leben. Ohne Mutter aber mit ihren Röcken und Kleidern. Irgendwie freute er sich schon ein klein wenig darauf, sie beizeiten beerben zu können. Dann würden all die schönen Kleider ihm gehören und sie könnte ihm nie wieder dreinreden. Ein kurzes Lachen gönnte er sich bei diesem Gedanken. Er sah sich als einen befreiten Mann. Losgelöst aus den Klauen des ewig besorgten, besitzergreifenden des übermächtigen Muttertieres. Versonnen, und sich in seiner strahlenden Zukunft schon häuslich einrichtend, legte er den Rock wieder ab und warf ihn, nachdem er ihn zerknüllt hatte, auf den Boden. Zweimal noch trat er darauf. Und wenn Mutter fragte, woher denn die ganzen Knitterfalten herkämen, würde er die Nachbarin, nein besser noch den Nachbarn als Verdächtigen aus dem Hut zaubern. Dem würde man es zutrauen, der guckte nämlich immer so komisch.


Gerda



Verwegen ihr Anblick, Abenteuerlust im Antlitz. Schwarze Striche aus altem Makeup im angespannten Gesicht. Sich ihre Kittelschürze ungestüm vom Leibe reissend, verliess sie sich voll und ganz auf ihre durch den Ansturm der Gefühle vollends übermenschliche Ausstrahlung. Ihre Züge entspannten sich. Ruhe trat ein in ihre Seele und ein gelassenes Etwas trat an die Stelle des vormals zaudernden Gemütes. Sich ihrer Aura der unangreifbaren Frau, der Unbesiegten und Unbesiegbaren vollauf bewusst, legte sie sich handgreiflich mit dem Erstbesten an, wohl wissend, dass sie dem Vierschrötigen körperlich niemals gewachsen sein konnte. Aber Furcht war nicht ihr Motto. Gelassen sah sie den Dingen entgegen.
Ihr Verstand signalisierte Zuversicht und Siegesgewissheit.
Der Vierschrötige lachte zögerlich nur auf.
Unsicher der Ausgang aber sicher die Trostfreiheit.


Sportschau



Dunkle Ränder, tiefe Furchen unter ihren einstmals so strahlend blauen Augen, die vor Unternehmungslust und Lebensfreude nur so sprühten. Niemals zuvor war er ihr so fern, so fremd, wie in diesen Momenten. Selbst er hatte sich nicht halten können. Der jugendliche Charme war dahin, die Sorglosigkeit der frühen Jahre verflogen. Die Kinder aus dem Hause und er selbst steckte fest im Haus. Und es ergab sich zu jener Zeit keine Möglichkeit dem Unausweichlichen zu entweichen. Er hasste sich dafür, ganz sicher, er hasste sich für seine Gedanken aber noch mehr für seine Gedankenlosigkeit. Später, später vielleicht aber nicht jetzt, in diesem Augenblick sollte etwas dem Ganzen einen Sinn geben. Um sich abzulenken schaltete er zurück zur Sportschau. Das unwürdig gröhlende Publikum, die umherlaufenden Spieler und der ganze Zirkus, sollten ihn ablenken. Soviel war ihm klar, er war ein auserwählter Blödmann vor dem Herrn. Nicht zu verleugnen. Schalke lag jetzt vorn. Völlig unverdient zu diesem Zeitpunkt wie auch zu jedem anderen Zeitpunkt auch, wenn Schalke in Führung lag. Wolfsburg würde straucheln. Unweigerlich.
Ihre Augen lagen jetzt noch ein wenig tiefer.
Nur nicht darüber nachdenken müssen.


Haare



Sein Blick wanderte. Der Spiegel zeigte all die Seiten von ihm, die er so genau lieber nicht sehen wollte. Hatten sich die kleinen Fältchen um die Augen herum vermehrt? War es Täuschung oder Wirklichkeit? Lachfalten nannte man sie leichtfertig. Aber nach Lachen war ihm wahrlich nicht zumute. Auch in den Brauen fanden sich mittlerweile graue Haare. Seine Haut hatte nicht mehr die Glätte von früher. Das Rauchen liess ihn älter aussehen als er in Wirklichkeit war. Auch um den Mund herum nahm die Zahl der grauen Haare rapidement zu. Das durfte einfach nicht sein. Er wollte sich nicht damit abfinden. Auch am Hals faltete es sich gebirgig auf. Grausam die Natur, das Vergehen, das grausame, in die Zellen programmiert und unaufhaltsam tickte die Uhr. Ticketacke ticketacke. Die Arme hatten nicht mehr die Kraft wie zu Jugendzeiten. War er nicht auch im Kopf schlaffer geworden? Manchmal kam es ihm vor, als lasse der Verstand nach. Alzheimer und dergleichen weitere Gebrechen kündeten vom Niedergang. Blaue Pillen sorgsam gehütet zum alsbaldigen Gebrauch, den Kopf, den schlaffen aufzurichten.
Aber am allerschlimmsten war es um seine Haare bestellt. Auf dem Kopf sah er aus, als hätte er sämtliche Haare, die er in überhasteter Eile vom Boden des Frisiersalons aufgeklaubt hatte, mit Bastelkleber auf seinem beinahe schon kahlen Schädel festgeklebt. Es schillerte in allen Farben. Einer Glückskatze sehr, sehr ähnlich.
Trübes Gedankengut umwehte den Vergehenden. Laub aus den Bäumen gesellte sich sehr stark bräunend hinzu.
Der Leim würde nicht für ewig halten.




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Tag der Veröffentlichung: 14.03.2010

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