Letzte Woche war ich mit meinem Vater wandern, um meine innere Ruhe zu finden und einige schmerzhafte Dinge in den Hinterkopf zu drängen. Es war mir nicht so wichtig wo wir waren, ich konzentrierte mich nur darauf, an diese Dinge nicht zu denken. Ich selbst war mir sicher, dass mein Plan nicht aufgehen könnte, doch es klappte. Ich war so abgelenkt von den äußeren Einflüssen, dass mir, trotz weniger Konversationen mit meinem Vater, nicht viel Zeit für das Nachdenken schwerwiegender Probleme blieb. Als wir an unserer Jugendherberge ankamen war ich enttäuscht von mir selbst, mein Knie bereitete mir Probleme und auch meine Füße machten es mir unmöglich eine dritte Etappe am folgenden Tag zu laufen. Ich saß auf einer niedrigen Steinmauer während mein Vater etwas aus unserem 6er Zimmer holte und wenige Meter neben mir saß eine kleine Gruppe von jungen Leuten die sich angeregt unterhielten und lachten. Langsam verfloss ich mich wieder in der Leere die ich wohl wieder aus meinem Hinterkopf hervorgeholt hatte und dachte nach, so sachlich und konzentriert wie möglich. Dieses Vorhaben ist eigentlich unmöglich, man kann bei seinem eigenen Laster nicht sachlich bleiben, es geschieht immer auf der emotionalen Ebene. Mein Kopf und ich sind schon so gut auf einander eingestimmt, dass er meine Gedanken in eine bestimmte Richtung dirigiert, Mal für Mal. Ausbrechen aus diesem geregelten Auftauchen alter Erinnerungen ist sehr schwer, doch in Momenten völliger Ausgeglichenheit ist es möglich. Ich steckte jedenfalls tief in meinem Sumpf der Memoiren drin, als ich erstaunlich klar eine stimme heraus hörte, der junge Mann rief lachend : „Als wir durch die Stadt gingen und riefen 'Guckt mal, die sind alle nicht glücklich!“' wurde mir sowohl mein Fauxpas bewusst, das abdriften in eine Gedankenwelt voller Pein, aber mir schoss sofort die blinde Wut in den Kopf. Wie konnte man so etwas rufen?Ist es lachhaft wenn Menschen traurig, oder auch nur nicht glücklich sind? Und auch wenn die ganzen Leute in der Stadt traurig gewesen wären – was ich bezweifle, Städte sind immer noch Plätze, mit denen Liebe und Glück verbunden wird – so wäre das nichts schlimmes, im Gegenteil. Heißt Trauer nicht eigentlich nur, sich mit seinen Problemen auseinander zu setzen? Jeder hat sein Päckchen zu tragen, sagt man so schön. Ist es schlimm dieses Päckchen vor sich herzutragen, so dass andere in Begriff sind es sehen zu können? Soll das etwa ein Zeichen von Schwäche darstellen, ihrer Meinung nach? Ich überlegte und fand, dass das Gegenteilige der Fall war. Es war wohl der einzige Weg, sein Päckchen zu öffnen und mit dem Inhalt sich etwa anzufreunden, es zu akzeptieren, oder einiges herauszunehmen und zurückzulassen. Wenn man das Päckchen versucht hinter seinem Rücken zu verstecken, belügt man sich nur selbst, denn das Päckchen gehört zu dir und es ist auch ein Teil von dir und deiner Persönlichkeit. Krampfhaft versuchst du es versteckt zu halten, selbst guten Freunden nicht zu zeigen, doch währenddessen schwillt dein Problem immer weiter an, sodass es bald zu groß für dich geworden ist. Wenn Alle also ein solches Päckchen zu tragen haben, dann hieße das, dass die glücklichen Menschen entweder mit ihrer Last fertig geworden waren, das Päckchen noch leer bleiben durfte, oder dass sie ihr Päckchen hinter ihrem Rücken kaschierten. Und der junge Mann der solche Sachen hinausschrie konnte mir plötzlich nur noch leid tun. Denn entweder sein Paket wuchs hinter ihm immer weiter und sein Lächeln würde bald weder seine Freunde, noch Fremde in der Stadt trügen, oder sein leeres Paket hatte bei ihm die Unwissenheit und das Unverständnis für Probleme anderer zu folge, beides sollte ihn nicht weit führen. Doch er ist nicht allein – seine Spezies ist inzwischen weit verbreitet. Aber das führt zu weit und auch in diesem Augenblick der Erkenntnis kommt mein Vater wieder und wir genießen die wunderschöne Altstadt – ich mit dem Gedanken, dass ich mein Paket ganz sicher mit der Zeit öffnen werde und mir meiner Last bewusst werde, nur nicht jetzt.
Tag der Veröffentlichung: 20.07.2010
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