Vor langer Zeit lebte eine Königin mit ihrem Königssohn in einem Schloss, umgeben von einem wunderbaren Blumengarten. Dieser Garten war der ganze Stolz der Königin. Es wuchsen vielfältige Blumen in kräftigen Farben, denn die Königin liebte leuchtende Farben.
Gleich in der Nachbarschaft stand auf einer Anhöhe ein einfaches Häuschen, indem ein Mädchen wohnte. Von ihrem Zimmer aus hatte sie den schönsten Ausblick auf das Schloss und den prächtigen Schlossgarten. Abends saß das Mädchen gern am offenen Fenster und malte den Schlossgarten mit all seiner bunten Vielfalt.
Sie hörte auch des Öfteren Geigenklänge vom Schloss her, die ihr Herz berührten. Es hieß, dass der Königssohn selbst so zauberhaft auf der Violine spielte, denn die Königin liebte nicht nur ihren Blumengarten sondern auch die Kunst des Geigenspiels.
Das Mädchen fühlte sich von den schönen Klängen inspiriert.
So malte sie eines Tages zu der Musik ein Bild in den allerschönsten Pastellfarben. Nie zuvor – so fand sie – war es ihr gelungen, solch ein Bild zu malen, sie war sehr glücklich darüber und zeigte es ihrem Vater. Er betrachtete das Bild lange und sagte zu ihrer Enttäuschung nur:
„Die Farben sind viel zu zart, es sagt nichts aus und ich kann kein rechtes Motiv darin erkennen.“
Das Mädchen nahm sich das Urteil des Vaters zu Herzen und nahm sich vor, nicht mehr zu malen.
Der Königssohn unterdessen spielte weiterhin Abend für Abend auf der Geige. So saß das Mädchen am Fenster und hörte die wundersame Musik und es kamen ihr dabei immer wieder die schönsten Bilder in den Sinn, die sie dazu gern gemalt hätte.
Eines Tages aber – das Herz des Mädchens war wieder voll der schönen, reizenden Melodien - ging sie unbemerkt in den Schlossgarten. Sie hatte ein Kästchen in der Hand und eine kleine Schaufel. Sie kam zu einem Beet in dem zahlreiche rote Rosen kurz vor der Blüte standen. Das Mädchen hatte von ihrem Fenster aus schon oft beobachtet, dass der Königssohn selbst immer wieder in dem Rosenbeet gärtnert und so für die roten Rosen der Königin sorgt.
Sie vergrub das Kästchen zwischen den Rosen in der Hoffnung, dass es der Königssohn finden würde. Und er fand es auch tatsächlich bald darauf. Er nahm das Kästchen mit auf das Schloss, öffnete es und fand darin ein Bild mit feinsten pastellfarbenen Pinselstrichen gemalt. Der Königssohn war darüber sehr erstaunt und wusste nicht recht, was das zu bedeuten hatte.
Doch als er an diesem Abend seine Geige zur Hand nahm und darauf spielte, bemerkte er, dass seine Musik voll von diesen zarten Farben war. So malte er ebenfalls ein Bild, schrieb ein Briefchen dazu, legte alles in das Kästchen, ging zu dem Platz im Garten und vergrub es an gleicher Stelle.
Als wiederum das Mädchen nach dem Kästchen sah, fand sie darin das Bild und das Briefchen, darauf hatte der Königssohn geschrieben:
„Dein Bild ist wunderschön, deine zarten Farben passen sehr gut zu meiner Musik, ich schicke dir auch ein Bild, das ich gemalt habe.“
Das Mädchen freute sich von Herzen.
Von da an gingen beide des Öfteren zu dem Platz im Blumenbeet, vergruben abwechselnd das Kästchen, ohne sich je zu begegnen und sie erfreuten sich gegenseitig mit ihren Künsten.
Eines Tages fiel dem Mädchen auf, dass just dort wo sie stets das Kästchen vergruben ein Pflänzchen wuchs. So war sie immer recht behutsam beim Ein- und Ausgraben. Der Königssohn bemerkte es ebenfalls und war auch darauf bedacht es wachsen zu lassen.
Es dauerte einige Wochen und das Pflänzchen war zu einer weißen Rose erblüht. Eine weiße Rose mitten in einem Beet von roten Rosen – ziemlich seltsam. Aber es war eben ihre gemeinsame Rose, niemand wusste wie sie dorthin gekommen war…
Einmal saß der Königssohn in seinem Zimmer und betrachtete eines der Bilder. Da kam die Königin hinzu, nahm dem Königssohn das Bild aus der Hand, sah es abschätzend an und sagte:
„Die Farben sind viel zu zart, es sagt nichts aus, hat kein erkennbares Motiv. Es ist mir lieber, wenn du auf deiner Geige spielst, das kannst du besser!“
„Das Bild habe nicht ich gemalt.“ antwortete der Königssohn.
„Wo hast du es dann her?“
„Aus dem Rosenbeet.“
„Wie kommt es dorthin?“ wollte die Königin wissen und er erklärte vertrauensvoll:
„Ein Mädchen hat es mir geschickt, sie malt Bilder zu meiner Musik.“
„Unsinn,“ die Königin lachte, „zu Musik kann man keine Bilder malen.“ erklärte sie und betrachtete das Bild argwöhnisch:
„Ich kann in diesem Bild nichts erkennen und diese blassen Farben.... die müssen viel kräftiger sein, ICH mag leuchtende Farben!“ Sprach`s, nahm Farben und Pinsel zur Hand und übermalte das Bild sogleich nach ihrem Geschmack um es dann dem Königssohn zu überreichen. Er sagte nichts über das neue Bild - er wollte die Königin auch nicht weiter vergrämen und ließ ihr ihre Meinung.
Aber als er am Abend auf seinem Instrument spielte, konnte er der Musik kaum die rechten Farben geben, denn er war in einer seltsam gleichgültigen Stimmung.
Inzwischen ging das Mädchen, von all dem nichts ahnend, wieder zum Rosenbeet und fand die weiße Rose ausgerissen am Boden liegend vor. Sie war traurig darüber, denn sie dachte, der Königssohn hätte ihre Blume unachtsam behandelt. So wollte sie das Kästchen diesmal nicht vergraben, nahm die verwelkte Rose und ging nach Hause.
Auch der Königssohn kam Tags darauf zu dem Beet. Die roten Rosen standen inzwischen dank seiner liebevollen Pflege in prächtiger Blüte, aber er wunderte sich, dass er die weiße Rose nicht finden konnte. Er grub da und dort nach dem Kästchen, schaute auch überall nach der gemeinsamen Rose, aber das Beet war einfach viel zu groß. So ging er zurück ohne etwas gefunden zu haben.
Abends spielte er ganz bewusst in kräftigen Farben, um seine Gedanken von der verlorenen Rose und den zarten Farben abzulenken. Der Königssohn glaubte nämlich, dass das Mädchen die Rose mitgenommen habe um sie für sich allein zu besitzen.
So wussten sie lange nichts voneinander, aber er vermisste ihre Bilder, die doch so schön zu seiner Musik gepasst hatten.
Unterdessen wuchsen zwischen den Rosen kleine, blaue Vergissmeinnicht. Niemand wusste, wie sie dort hingekommen waren. Die Blümchen standen in einer ganz endlosen Reihe, diese führte quer durch den Garten zu einem kleinen Wald. Dort war es kühl und lauschig, die Sommerhitze hatte keinen Zutritt. Es gab grünes, saftiges Moos, Farne, Efeu und Immergrün, dazwischen unzählige von den Vergissmeinnicht. Eine Quelle gluckste vergnügt zwischen den Steinen, hunderte helle Tupfen aus Sonnenlicht tanzten auf und nieder.
Der Königssohn nahm die Violine und folgte dem Verlauf der Vergissmeinnicht- Reihe bis er zu dem besagten Platz im Wald kam. Er setzte sich zum Bächlein und spielte dort mit all seinen Empfindungen Melodien in den allerzartesten Farben. Das Mädchen war in der Nähe, denn sie hatte diesen Ort für sich entdeckt: Hier ließ es sich wunderbar malen. Als sie die Klänge hörte, nahm sie ihre Sachen und lief wohin sie ihre Ohren führten. Da standen sie sich erstmals gegenüber und sie freuten sich über dieses Zusammentreffen. Der Königssohn spielte weiter, sie setzte sich gegenüber und malte. Sie wurden ganz zeitlos. Er spielte, sie malte dazu, sie malte, er spielte dazu, sie waren einfach glücklich. Ihre Seelen trafen sich in ihren Künsten.
Der Königssohn fand schließlich als erstes Worte und meinte:
„Deine Kunst ist größer als meine, denn ich kann deine Bilder aufbewahren und immer wieder betrachten, sooft ich mag. Wenn ich aber spiele, so ist meine Musik nur für die Dauer eines Liedes da und du hast dann nichts, was du mitnehmen könntest.“
Sie schüttelte den Kopf:
„Ich glaube, es ist deine Kunst, die größer ist. Ich habe schon einmal darüber nachgedacht: Ein Maler braucht, um ein Bild zu malen, nur eine Fläche.“
Der Königssohn war ratlos: “Ja,…und?“
Sie nahm ein Blatt Papier und setzte einen winzigen Punkt.
„Was siehst du?“ fragte sie den Königssohn und hielt ihm das Blatt hin.
„Einen Punkt.“ sagte er.
Sie schaute ihn schelmisch an:„Falsch, das ist ein Strich.“
„Ich sehe aber nur einen Punkt.“ beharrte er und konnte sich nicht vorstellen worauf sie hinauswollte.
“Denke räumlich, denn dann ist es ein Strich von vorne.“
Der Königssohn schaute verdutzt. Sie zeichnete jetzt einen Strich und fragte ihn wieder was das sei.
„Also ich denke räumlich“, begann er zögernd, „hinter dem Strich…vielleicht…ein Quadrat?“
Sie nickte und zeichnete ein Quadrat. Dann meinte sie:
„Diese Fläche ist das Reich der Maler! Musik aber, lässt sich nicht auf eine Fläche bannen. Sie braucht Raum!“
Nun entstand eine längere Pause, der Königssohn war still mit seinen Gedanken dazu beschäftigt und sie wollte ihre weiteren Überlegungen auch noch nicht verraten. Schließlich fragte er:
„So ist dieses Quadrat die Frontansicht eines Würfels?“
„Ja! Und ein Musiker füllt den Raum mit Klängen aus! Und manchmal“, flüsterte sie geheimnisvoll, „geht die Musik auch über das Räumliche hinaus, dann erreicht sie sogar die Seelen“, sie sah ihn lächelnd an als sie hinzufügte:“Deshalb musizieren die himmlischen Heerscharen auch immerzu – oder hast du schon je gehört, dass Engel malen? Was denkst du jetzt, welche Kunst größer ist?“
Statt einer Antwort fasste er sie an den Händen und sah ihr in die Augen, die keineswegs pastellfarben waren, wie er feststellte und die hellen Sonnenlichttupfen hatten sich wie Goldregen auf ihrem Haar niedergelassen. Sie fühlte sich angenehm berührt und erwiderte den Druck seiner Hände für einen Moment, befreite sich dann aber sanft, denn sie fürchtete sich vor allzu kräftigen Farben.
Um ihrer Verlegenheit zu entgehen, beugte sie sich zu der Wasserquelle, hielt ihre Hände auf und schöpfte Wasser um zu trinken. Es umgab die beiden aber noch der Zauber der Musik und der zarten Farben und sie spürte, dass sein Blick weiterhin auf ihr ruhte. Er ließ sich neben ihr nieder. Sie reichten sich die Hände so, dass sich nur ihre Fingerspitzen ganz leicht berührten. Ihrer beider Farben schienen ineinander zu fließen und wurden zu ganz neuen, nie da gewesenen Mustern. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als er plötzlich eine Vermutung aussprach, die ihn schon länger beschäftigte:
„Du bist eine der Musen! Deswegen malst du nur pastellfarben, deswegen weißt du über die Dimensionen der Musik Bescheid!“
„Ich male pastellfarben, weil es meiner Seele entspricht, aber auch, weil die kräftigen Farben der Königin vorbehalten sind. Ich kenne die Dimension der Musik, weil ich die Musik so erlebe.“
„Du bist also keine Muse?“
Sie wurde nachdenklich und sagte mehr zu sich selbst:
„In dem Moment wo ich dir wie eine Muse erscheine, bin ich es auch.“
Er hätte noch gerne näher nachgefragt, aber sie sah sich um und meinte plötzlich:
„Die Schatten werden länger, es ist spät geworden! Wir müssen gehen, du musst ja noch die roten Rosen der Königin gießen, nach dem heißen Sommertag.“
Der Königssohn nickte gedankenverloren und wandte sich zum Gehen. Da fragte sie ihn noch schnell:
„Wirst du mit mir so ein wunderbares Fest wie heute auch noch feiern, wenn schon Schnee liegt?“
Er wollte nicht bemerken, wie wichtig ihr diese Frage war, deshalb sagte er scheinbar unbekümmert:
„Vielleicht….vielleicht auch nicht. Ich denke jetzt nicht über den Schnee nach. Es ist doch Sommer! Es ist die Zeit der Rosen!“
„Ja“, bestätigte sie und versuchte ihrer Stimme einen überzeugten Klang zu geben, „die Rosen sind wichtig…“
Sie reichten sich noch einmal die Hände und sie wagte kaum, ihn anzusehen um ihre Gefühle nicht preiszugeben. Dann ging der Königssohn eilig zum Rosenbeet.
Tatsächlich sahen die roten Rosen schon etwas traurig aus und er goss sie ausgiebig. Da entdeckte er mitten im Rosenbeet einige blühende Schneerosen!
Schneerosen im Sommer? Ziemlich seltsam. Er wusste nicht wie sie dorthin gekommen waren…
„Auch gut“, überlegte der Königssohn, „die Schneerosen brauchen nicht ständig meine Aufmerksamkeit wie die edlen Rosen und gedeihen trotzdem, sie werden sogar im Schnee blühen! ---- Im Schnee?“
Ihm fiel ein, was das Mädchen gesagt hatte und er dachte über den Sinn ihrer Worte nach. Da bemerkte er, dass die Schneerosen das zarteste Rosa hatten, das man sich vorstellen konnte und ihm wurde ganz farbenfroh ums Herz.
Tag der Veröffentlichung: 13.02.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für alle die "ihre Rosen" pflegen
Für alle "Schneerosen"
Für alle Maler und Musiker
Für alle Poeten und Träumer