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Im letzten Wiener Kaffeehaus

Am Anfang der Auhofstraße, in Hietzing, befindet sich das letzte traditionelle Wiener Kaffeehaus, wo noch die echte alte Kaffeehauskultur gepflegt wird: Das „Özcaliskan“. Nur wenigen ist es erinnerlich, dass es früher „Dommayer“ hieß, denn wir schreiben das Jahr 2080.
Das Cafè ist immer gut besucht. Hier kann man noch – wenn man staatlich anerkannter Kaffeephilosoph ist – den Einspänner vom Kapuziner unterscheiden und die Schale Gold ist ein goldbrauner Kaffee in einer großen Teeschale. Hier trinkt man Melange lieber, als Verlängerten und natürlich fragt man bei der Melange nicht nach Schlagobers – das wäre blamabel, denn eine Melange wird niemals mit Schlagobers serviert!
Es geht das Gerücht herum, dass gewitzte Oberkellner stets mit einer Maler-Farbtabelle sämtlicher Brauntöne herumlaufen und die Gäste können sich den Bräunegrad ihres Kaffees anhand der Nummerierung ganz genau bestellen. Mitunter heißt es dann:
„Herr Ober, was soll das? Ich habe einen 12er bestellt und Sie bringen mir einen 16er ?“

Apropos Ober: Er heißt nur mehr selten Franz oder Schani. Die Gattung der Franzen und Schanis pflegt sich seit Jahrzehnten zu wenig fortzupflanzen. Der Ober, mit dem wir es hier zu tun haben, heißt Ahmet – na immerhin ein echter Urwiener, türkischer Abstammung, seit vier Generationen in Wien.
Natürlich muss auch ein traditionelles Kaffeehaus in manchen Dingen auf den Zug der Zeit aufspringen. So gibt es neben Würstel mit Saft als kleinen Imbiss, durchaus auch Kebab oder Hotdog, Hummerchips mit Sojasauce zum Knabbern neben Bierstangerl. Und in der süßen Vitrine findet sich Apfelstrudel neben Baklava oder Guglhupf nicht nur mit Rosinen, sondern mit kandiertem Ingwer.
Und das mit den – im Kaffeehaus üblichen – Zeitungen hat sich auch stark gewandelt:
Unser Ober Ahmet läuft gerade mit dem Laptop in der Hand zum Stammtisch des „Clubs der 100 plus Generation“. Der Laptop ist flach wie eine Zeitung und er IST eine Zeitung.
Sodann zückt er den ebenso papierlosen, elektronischen Notizblock. Die kleine, feine, altehrwürdige Gesellschaft am Stammtisch bestellt. Der Ober ist wie jeden Tag enttäuscht – er braucht nicht zu notieren – es ist immer das Selbe, was gewünscht wird. Ein Ritual das sich hartnäckig wiederholt. Gusto bleibt eben Gusto.
Die illustre Runde sitzt also über ihre Laptop-Zeitungen gebeugt und verfällt nur selten vom Schweigen ins Gespräch. Man kann eben nirgendwo so gut in geselliger Runde allein sein wie hier…

In einer anderen Ecke des Lokals sitzt ein Gast bei Kaffee, nein, bei einem großen 14er Braunen und einem Eclair mit Kastanienreis und scheint in seine Lesebrille vertieft zu sein. Also diese Lesebrille ist natürlich nicht das, was man noch vor 50, 60 Jahren darunter verstand, sondern die ungemein praktische Errungenschaft und Weiterentwicklung der Laptop-Zeitung. Man setzt die Brille auf und hat sogleich das gesamte aktuelle Tagesgeschehen in Wort und Bild buchstäblich vor Augen. Vom weltpolitischen Großereignis bis zum Ladendiebstahl in Krummnussbaum.
Nun nimmt der Gast die Lesebrille ab, blickt zum Stammtisch der 100-jährigen dann zum Ober Ahmet und winkt diesen heran. Als er neben ihm steht, sagt der Gast leise, sodass sich Ahmet etwas herunterbeugen muss:
„Sagen Sie, die verstaubte Gesellschaft da drüben – die lesen ja noch vom Laptop…“
„Naja,“ entschuldigt der Ober, „eine Generation die noch mit Laptop aufgewachsen ist, kommen halt mit der heutigen Technik nicht mehr mit…immerhin…waren alle mal bekannte Persönlichkeiten. Schauspieler, Maler, Literaten…große Geister ihrer Zeit, ist allerdings schon ein Weilchen her, sind inzwischen durchwegs über 100, ist ja kein Alter heutzutage, der älteste ist 117…Jaja mit 117 fängt das Leben erst an.“ witzelt er abschließend, weil er das Thema für beendet hält, wieder dienstlich wird und in beste Alt-Wiener Kaffeehaus-Höflichkeit verfällt:
„Wünschen der Herr Dr. Sandsturm noch ein Glas Wasser?“
Der Gast bessert wie schon so oft aus:
„Ich heiße Wüstenstaub.“ Um gleich wieder zum ursprünglichen Thema zu kommen:
„Also eine Künstlergesellschaft…? Erzählen Sie mir mehr…“
Wüstenstaubs Interesse ist durchaus beruflicher Natur – arbeitet er doch zur Zeit an einer Studie über „Blüte und Niedergang des kreativen Potentials der österreichischen Seele im 21. Jahrhundert“.
Ahmet schaut sich kurz im Lokal um, alle Gäste scheinen wunschlos, so rückt er sich einen Sessel heran und setzt sich zu Dr. Wüstenstaub an den Tisch.
Eine halbe Minute blickt er versonnen zur Stammtischrunde, die heute wieder mit Schweigsamkeit brilliert.
Ja, er kennt sie alle recht gut, ihm ist manche Story bekannt, manche Eigenarten, bei alten Leuten auch „Schrulle“ genannt, er kennt die ganzen Anekdoten aus gesprächigeren Zeiten so gut, dass er längst nicht mehr darüber lacht.
„Also der ganz links“, beginnt Ahmet, „war einmal Filmschauspieler, ein recht bekannter, bis zu der Zeit, als man Filme nur noch durch Computeranimation herstellte – kommt billiger... Daraufhin musste er sich den neuen Zeiten fügen und animierte am Computer seine eigene Figur. Er hat es aber nie überwunden, dass er als Schauspieler überflüssig geworden war…So ist er inzwischen 110 geworden….daneben sitzt übrigens seine Frau, sie sind schon 25 Jahre verheiratet…“
„Die könnten es doch leicht auf 75 Jahre bringen!“ wirft Wüstenstaub ein.
Ahmet schüttelt den Kopf:„Sie wissen ja, erst die Ausbildung, dann die Karriere,… zwischendurch auf der Suche nach der Liebe des Lebens schnell ein paar Beziehungen….eh man sich’s versieht ist man 70 oder 80…immerhin haben die beiden eine 18 jährige Tochter!“
„Donnerwetter!“ zeigt sich Dr. Wüstenstaub beeindruckt.
Ahmet rückt näher und flüstert:
„Naja, späte Mutterfreuden, ist ja alles möglich heute, wird immer beliebter, wenn die Frauen erst mal mit 70 in Pension gehen, ist ja schließlich genug Zeit. Sie sind dann nach dem Berufsleben so richtig ruhig und ausgeglichen und haben genug Lebensreife für ein Kind…“
„Und ob!“ pflichtet der Gast bei, „Nur mit der Vaterschaft ist es dann manchmal schon schwieriger“, fügt er hinzu, „Viagra ist eben auch nicht alles!“
Der Ober nippt nun gedankenverloren an Dr. Wüstenstaubs Wasserglas, was aber beiden nicht weiter auffällt und erzählt weiter:
„Der in der Mitte war ein berühmter Maler und Bildhauer. Er war bekannt für seine Experimente mit ungewöhnlichen und neuartigen Materialien. Den Aufsehen erregenden Durchbruch schaffte er, als er Collagen aus Haifischknochen und Seepferdchenkot schuf.“
Nun ist Wüstenstaub doch sehr erstaunt und während er noch grübelt, wie das wohl aussieht, fällt sein Blick zufällig auf das Eclair mit Kastanienreis, er schiebt den Teller unwillkürlich etwas auf die Seite.
„Neben dem Bildhauer“, fährt Ahmet fort, „ sitzt die bedeutende Wiener Architektin des 21. Jahrhunderts. Sie entwarf in den 30er Jahren die hängenden Häuser, seither gibt es keine Parkplatzprobleme in der Stadt, da es darunter genug Freiflächen gibt.
Rechts von ihr sitzt ein Schriftsteller. Er schaffte das Kunststück, mit dem Thema seiner steindummen 400-Seiten-Schwarte die Gesellschaft zu verändern und war deshalb sogar für den Literaturnobelpreis nominiert.“
Wüstenstaub nickt, er hat sich inzwischen einige Stichwörter notiert:
„Das war wohl sein Roman „Die Männeremanzipation“
„Genau“, bestätigt der Ober, „und es bedeutete das Ende der matriarchischen Gesellschaft.“
„Allerdings gibt es seither wieder mehr Kriege“, kombiniert Wüstenstaub und nahm einen Schluck vom längst lauwarmen 14er.
Ahmets Stimme wurde wieder leiser als er hinzufügt:
„Von wegen „emanzipierter Mann“ – er stellte sich in dem Buch selbst als karrieresüchtigen, knochenharten Macho dar… Er hat`s nötig, dabei weiß die ganze Stadt, dass er kein Kostverächter war, bei den Frauen landete er als zartschmelzendes Sensibelchen…“
Nun deutet Ahmet unauffällig zum Stammtisch hinüber und sagt zu seinem Gesprächspartner:
„Der letzte in der Runde war Musiker, einer von denen, die noch auf einem echten Instrument spielten. Kein DJ, kein Scratcher, nix hightech-music…Er spielte Klavier und ich glaube, sie haben heute Glück, Dr. Mehlstaub.“
Wüstenstaub spart sich das Verbessern, immerhin ist der Ober nun dem richtigen Namen so nah wie nie und fragt nur:
“ Wieso Glück?“
„Er liest heute keine Zeitung, ich kenn ihn, er sitzt dann da und starrt oft den ganzen Nachmittag Löcher in die Luft, lebt an solchen Tagen irgendwo in seiner Vergangenheit, wenn er dort lang genug gewesen ist, steht er auf und….“
Ahmet verstummt abrupt, denn in diesem Moment, als hätte er es gehört, steht der alte Mann wirklich auf, zupft umständlich an seinem Pullover herum und geht mit langsamen, schlurfenden Schritten ( auch im Jahr 2080 ist das Leben jenseits von 100 schon recht mühsam) geht also an den Tischen vorbei zu einem Piano, das mehr als nostalgische Dekoration, als zum Gebrauch herumsteht.
Beim Klavier, das gut so alt ist wie er selbst, muss er sich nach dem langen Fußmarsch abstützen. Er tarnt es aber so, als würde er dem Piano über die Oberfläche streichen. Dann rückt er sich ein dreibeiniges Drehstockerl zurecht, das knarrend protestiert, als er sich setzt.
Der Musiker klappt den Deckel auf, ein verschlafenes Quietschen lässt sich vernehmen. Er steigt dem Klavier probeweise auf die Zehen, das heißt, auf die Pedale. Die Scharniere ächzen wie ein alter Fischerkahn. Seine zitternden Finger streifen zunächst leicht über die Tastatur, sodass kein Ton zu hören ist. Dann erprobt er ein paar Klänge, die Stimmung ist alles andere als zufrieden stellend. Doch plötzlich lässt er seine Hände einige Male von den tiefsten Tönen angefangen in Oktavschritten auf die Tasten niedersausen, sodass das Instrument ein paar erschreckte Schreie in verschiedenen Tonlagen von sich gibt.
Einige Gäste nehmen ihre Lesebrille ab und schauen irritiert zum Verursacher der Ruhestörung. Sie sehen aber nur einen alten Mann am Klavier, dem einige Strähnen weißer Haare ins Gesicht gefallen sind, dahinter blitzen lebhafte dunkle Augen hervor. Nun lässt er seine Finger über die Tasten tasten, sucht gezielt nach Akkorden und Melodiefolgen. Die Hände zittern jetzt kaum mehr, ja sie werden auf der Klaviatur wieder jung, wenn auch nicht mehr so flink, wie er es gerne möchte. Eine stille Freude geht von ihm aus. Der alte Pianist lauscht den Klängen nach, er hat nichts Besonderes im Sinn, plant nichts und fühlt sich frei für jeden musikalischen Gedanken – so wie früher. Es ist die Welt, die ihm verblieben ist, hier findet er sich gut zurecht, hier fühlt er sich wohl. Die Finger finden nun altbekannte Wege ganz von selbst, alles webt sich zu einem melodischen Teppich und es gelingt ihm noch immer ganz leicht einige aufmerksame Zuhörer in so etwas wie Zeitlosigkeit mitzunehmen, als er eine stimmungsvolle Phantasie ersinnt…
Nachdenklich sitzt er da als er die Melodie verklingen lässt und erschrickt über den Applaus der Gäste, deren Anwesenheit er ganz vergessen hat.


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 07.01.2009

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