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Der Ruf nach Stille wurde immer lauter! Was nicht verwundert, in einer Zeit, wo die Menschen von Lärmbelästigungen aller Art geplagt sind. Sei es das Dauergeplapper in den TV - Serien, die musikalische Berieselung in Supermärkten, Restaurants und WCs, oder die entbehrliche Informationsflut in der U-Bahn, um nur einige Geräuschquellen zu nennen, durch die sich der moderne Mensch gestört fühlt und leider sind wir ja so gebaut, dass wir zwar die Augen, aber nicht die Ohren zumachen können.
Das Bedürfnis nach mehr Stille wurde so drängend, dass die Menschen auf die Straße gingen, um für dieses Anliegen lautstark zu demonstrieren und so kam es paradoxerweise zu Krawallen…

Natürlich gab es auch im Fernsehen entsprechende Diskussionsrunden und Dokumentationen zum Thema „Umweltverlärmung“. Man berief auch eine Expertenkommission ein. Allen voran haben die beiden Universitätsprofessoren Schall und Rauch eine These aufgestellt, wonach „überhaupt kein Grund bestünde, sich wegen der Lärmproblematik die Ohren zu zerbrechen, denn es gäbe in der Realität weder leise noch laute Laute. Die Ausnahme liegt in der Wirklichkeit. Sämtliche akustische Wahrnehmungen sind nichts weiter als ein Schabernack des menschlichen Gehörsinns und somit unreal, denn der Schall wird erst zum Ton, wenn ein Ohr in der Nähe ist! Also kein Ohr – kein Ton.“ sagt Schall.
„Wozu also die ganze öffentliche Aufregung, selber Schuld, wenn der Mensch seine Ohren ständig in irgendwelche Schallwellen hängt“, sagt Rauch, „also geht einfach dorthin, wo es keine Schallwellen gibt, ihr werdet staunen, wie leise es plötzlich ist!“
Soweit also die – wenig hilfreichen - Stimmen von Politik und Wissenschaft.

Bei so drängenden gesellschaftlichen Problemen sind es aber auch die Künstler, die den Unbillen der Zeit kritisch gegenüberstehen und die geradezu prädestiniert dafür sind, auf Misslichkeiten der Welt meist sehr schnell und geradezu seismografisch anzuschlagen und auf ihre Weise, also mehr oder weniger chaotisch, darauf zu reagieren. So kam es, dass die zeitgenössische Musik in diesen geräuschüberfluteten Zeiten eine ganz eigenartige Ausformung annahm und deswegen war der neueste „Knaller“ des Musikgeschäfts die unhörbare Musik – nicht weil sie so schlecht ist, dass sie keiner hören wollte – das wär ja in der Branche nicht unbedingt neu – nein, sie war tatsächlich unhörbar weil tonlos. Da sich die Menschen also sehr nach der Stille sehnten, war die tonlose Musik wirklich der letzte Schrei und die Leute, ob alt, ob jung, strömten nur so in die Konzertsäle da sie dort endlich ungestört der Lautlosigkeit lauschen konnten.
Ja, erstmals in der Geschichte der Musik, fühlten sich sogar die Gehörlosen angesprochen, denn sie konnten sich besonders gut in dieser neuen Musikrichtung zurechtfinden.
Ein besonderer Publikumsmagnet war der Komponist Johann Krach-Bumm. Da aber speziell in Wien der Johann schnell zum "Schani" wird und Krach-Bumm auch nicht urwienerisch klingt, wurde er beim heimischen Publikum kurz, bündig und liebevoll "Krawäuschani" genannt. (wörtlich ins Hochdeutsch übersetzt: "Lärm-Johann" - Anm. d. Verf.)
Ob das jetzt ein passendes Pseudonym war, für einen der immerhin als Vater der tonlosen Musik galt, sei dahingestellt. Wie dem auch sei, Krach–Bumm spielte seine einfallsreiche Musik in bummvollen Konzertsälen. Dabei trat er meistens mit seinem Orchester „Sang und klanglos“ auf, das er auch selbst dirigierte.

Wenn ich jetzt eine Werkbeschreibung seiner Kompositionen ausführen soll, wäre seine beliebte Sinfonie in Fis-Dur besonders hervorzuheben: Im an sich unspektakulären 4/4 Takt reihen sich in bemerkenswerten Mustern diverse Pause-Zeichen über den Partituren. Nun fällt es Musikern ja nicht allzu schwer Pausen zu spielen. Die Raffinesse liegt in der Intonierung der Pausen, im passenden Tempo, in der wahrlich mitreißenden Rhythmik und im exakten Zusammenspiel. Noch dazu moduliert das Stück im 2. Satz von Fis-Dur nach H-Moll und dies ist nur am Gesichtsausduck der Musiker von fröhlich auf traurig abzulesen. Es ist also durchaus auch ein Hang zur Pantomime erforderlich, um dieser Musikrichtung die passende Artikulation zu verleihen.
Das ausschließliche Pause-Spiel verlangt höchste Konzentration und einiges an Virtuosität, denn gerade durch die Lautlosigkeit der Musik fällt es besonders unangenehm auf, wenn doch wer einen Ton von sich gibt, indem er sich vergreift, verzupft oder gar geräuschvoll verblast, weil solche unangebrachten Lautäußerungen natürlich sehr störend wirken.
Dafür hat die tonlose Musik den Vorteil, dass niemand beim Umblättern der Noten in Stress kommt und selbst wenn ein ganzer Notenständer scheppernd in sich zusammenfällt, dann ist das zwar schon sehr laut, aber es hat die Musiker noch nie spieltechnisch aus dem Konzept gebracht.
Abgesehen von solchen Pannen erobert Krach-Bumm und sein Sang und Klanglos-Orchester die Herzen des Publikums normalerweise ganz still und leise und versetzt seine Fans in kürzester Zeit in wunderbare Entspannung und meist auch in wohligen Schlummer. Bei den tonlosen Konzerten schlafen nachweislich wesentlich mehr Zuhörer als bei herkömmlichen Konzerten. Dieser Effekt ist durchaus erwünscht, ja sehr schmeichelhaft für die ausführenden Musiker und ersetzt somit den Applaus, der als Lärmfaktor sowieso nicht angebracht wäre.
Alle im Publikum, die also nicht schlafen und an der entspannten Körperhaltung der Musiker bemerken, dass ein Stück zu Ende ist, demonstrieren ihren Beifall durch eifriges Winken, das ist leise und für die Künstler immerhin gut sichtbar. Es gilt also die Regel: Wer schläft winkt nicht und wer winkt schläft nicht. Beides ist jedenfalls großartig.

Aber auch das eindrucksvollste Pause-Konzert ist mit der Zeit doch etwas öd, da wird mir jeder noch so ruhebedürftige Musik-Liebhaber sicher zustimmen. So hat Krach-Bumm zwischendurch schon auch spannungsgeladenere Werke zu bieten.
Nehmen wir zum Beispiel seine Fantasie in A-Dur. Da finden sich durchaus hin und wieder Noten - jawohl, Noten - welche die Pausen wirkungsvoll umspielen. So lauscht die Zuhörerschaft gebannt nach dem Ob und Wann der orchestralen Lautäußerungen. Diese Variante der minimalistischen Musik ist jedenfalls nichts für Schreckhafte, da die Töne recht unvermittelt und scheinbar zufällig die Pausen durchbrechen, andererseits ist besser abzuschätzen, wann ein Musikstück zu Ende ist und folglich gehustet, geschnäuzt und geräuspert werden darf. Außerdem eignet sich diese Variante der Musik besser für intellektuelle Pausengespräche, da man wenigstens irgendwas dazu sagen kann.
Ebenso erwähnenswert ist auch der legendäre Konzertabend bei dem Krach-Bumm seine Fans zu Begeisterungsstürmen in Form von minutenlangen Winken bzw. Schnarchen hinriss. Es handelte sich um eine symphonische Dichtung in drei Sätzen, die der geniale Komponist folgendermaßen benannte:

1. Satz: Sieht denn hier keiner
2. Satz: dass der
3. Satz: Kaiser keine Kleider anhat

Die leicht frivole Interpretation - vor allem im letzten Satz – wurde von einem aufgeschlossenen Publikum durchwegs positiv aufgenommen, allerdings hatte der Komponist bei der Uraufführung das Gefühl, das Publikum habe die eigentliche Botschaft seines Werkes nicht verstanden…

Einen Nacheil – das sei abschließend noch gesagt - hat die unhörbare Musik: Sie lässt sich nur sehr schwer auf CD bannen. Duzende Tontechniker haben sich schon die Haare gerauft. Aber der vielseitige Musiker Krach-Bumm schaffte auch diese Hürde, allerdings eher im Genre der Pop-Musik. Mit seinen Alben “Best Of Nothing“ und „Soundless“ gelang ihm der Sprung auf Platz 1 in den Charts, was bestätigte, dass auch junge Leute das wohlige Gefühl der Stille zuhause im Wohnzimmer genießen wollen.

Die tonlose Musik hat also Anklang gefunden und es sei noch hinzugefügt, dass die logische Antwort von Seiten der Maler die „weißen Bilder“ waren und bei den Schriftstellern fanden sich die wortlosen Erzählungen, was sich in Büchern ohne Buchstaben auswirkte… Deswegen noch ein ganz besonders Schmankerl meinerseits als Abschluss:

Auf den folgenden weißen Blättern findet mein hoffentlich noch geneigter Leser meine neueste wortlose Geschichte. Das Lesen dieser Geschichte hat den Vorteil, dass man dazu garantiert keine Brille braucht:


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 28.12.2008

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