Es war ein winterlicher Donnerstag nachmittig und die Sonne neigte sich dem Horizont zu, bereit dazu der Welt für diesen Tag auf wiedersehen zu sagen. Ein leichter kühler Wind fegte über die Straßen Mannheims und die Leute liefen dick eingemummelt eilig auf den Straßen hin und her um ihre Weihnachtsgeschäfte zu erledigen, oder kurz: In der ganzen Stadt herrschte emsiges Treiben, wie es um die Weihnachtszeit halt üblich war. Doch nicht nur die Erwachsenen waren aufgeregt auf das kommende Weihnachtsfest. Auch die Kinder waren furchtbar aufgeregt und das nicht nur wegen Weihnachten und der Geschenke, sondern auch wegen der langen Weihnachtsferien.
Mit dieser Geschichte, die ich vor langer Zeit mit meinen Freunden Annika Kreid und Lea Utzi erlebt habe, möchte ich euch Lesern sagen, dass sich nicht alle Geschenke auf dem Präsentierteller unter dem Weihnachtsbaum zu finden sind, sondern, dass auch das ein oder andere Geschenk dort sein kann, wo man es erst gar nicht vermutet und dass man Menschen nicht immer zu erst nach ihrer Erscheinung betrachten soll. Besonders in Situationen, in denen man solche Menschen brauchen kann wenn sie da sind. Vor allem in lebensgefährlichen Situationen......
Es war, wie schon erwähnt, ein typisch winterlicher Donnerstag und in der Küche des MRS Mannheims war, auch wenn man es vielleicht nicht sofort spürte, eine angenehme Weihnachtliche Freude aufgekommen .Eine Küchenfrau war gerade in Gedanken über die Planung ihres Weihnachtsfestes versunken, als der Ton der Schulglocke durch den Speisesaal hallte. Annika und ich hatten noch einen Zahn zu gelegt um schneller als die anderen da zu sein. Denn keiner von uns beiden wollte sich in das Quetschkaos stürzten, dass sich immer vor dem Saal ereignete. Keuchend und erschöpft kamen Annika, (ein hageres Mädchen mit blonden Haaren, die ihr bis unter die Schultern reichten, außerdem grünlich- blaue Augen. Sie trug eine Jeans mit einer blauen Jacke.) und ich im Speisesaal ein. Wir setzten uns auf unsere Plätze und aßen. „ Hallo Anni, hi Domme!“, rief plötzlich eine Mädchenstimme. Überrascht drehten Annika und ich uns um. Vor uns stand Lea Utzi eine gute Freundin von uns, die aber schon seit Wochen versuchte in das Detektivbüro aufgenommen zu werden, das Annika und ich gegründet hatten. Sie setzte sich zu uns. „ Na, wie geht’s euch?“, fragte sie ermuntert. „Mir geht’s ziemlich gut“, antwortete ich. Annika die gerade eine nicht schöne Antwort auf Leas Frage erwidern wollte wurde plötzlich von einem auf und abfallenden Ton unterbrochen der aus dem Lautsprecher an der Wand drang. Obwohl es im Saal extrem laut war fesselte der Ton innerhalb von Sekunden alle anwesenden. Auch Annika Lea und ich waren von dem unheilversprechenden Ton wie hypnotisiert. Und allen stockte der Atem als ihnen nur ein einziger Gedanke durch den Kopf schoss: Dies war nicht der gewohnte Ton der immer zu hören war und es war wie sich herausstellte auch keiner der irgendeinem auch nur im leisesten vertraut vorkam. Für kurze Zeit waren alle wie gebannt von dem fremdartigen Ton, bis ein markerschütternder Schrei die unheimliche Stille im Saal mit einem Mal zerriss!
Augenblicklich fuhren alle herum und alle sahen dass eine Lehrerin gerade die Treppe hauraufgestürzt kam und wieder entfuhr ihr ein Schrei und plötzlich schrie eine weitere Lehrerin „Feuer! Feuer! Es brennt!“ Wie als hätte sie auf ihr Startzeichen gewartet fing plötzlich die Sirene an wie wild zu summen. Alle Schüler schauten nun voller Angst und Sorge auf die Straße hinunter und plötzlich hörten alle das laute Martinhorn der Feuerwehr. Sofort brach unter den anwesenden die Panik aus und bevor ein Lehrer überhaupt etwas dagegen erwidern konnte drängelten sich alle angsterfüllt und mit großem Geschrei dem Ausgang zu, obwohl überhaupt keine Gefahr bestand. Annika und ich versuchte in dem ganzen Durcheinander die Ruhe zu bewahren und zusammen zu bleiben was aber in dem Durcheinander aus Lehrern die inzwischen auch von Angsterfüllten Schreien der Schüler angesteckt worden waren und den Schülern selbst so gut wie unmöglich erschien. Lea versuchte verzweifelt zu uns zustoßen, aber sie ging in der tobenden Flotte der Menschen schließlich vollständig unter. Annika und ich waren nun fast die letzten im Raum, doch der Schock stand uns noch ins Gesicht geschrieben. „ Komm wir gehen runter“, unterbrach ich das schweigen, Annika nickte und wir rasten die Treppe hinunter. Als wir unten ankamen, standen alle Schüler dicht gedrängt auf dem Schulhof. Lea die uns bemerkt hatte lief uns aufgeregt entgegen. „ Wo brennts denn?“, fragte Annika und ich wie aus einem Munde. „ Unser Weihnachtsbaum.“, entgegnete sie grinsend. Während ich versuchte über die Menschenmenge einen Blick zu erhaschen, sah Annika sie mit ärgerlicher Miene an. „ Jetzt ist der falsche Zeitpunkt zum Späße machen!“, sagte sie in ernster Tonlage. So hörte man sie recht selten aber wenn dann richtig. Nachdem ich einigemal hin und her gehüpft war um nur wenigstens einen Blick zu erhaschen tat sich schließlich eine Lücke auf und gerade bevor sie sich wieder schloss warf ich einen Blick hindurch. Das kann nur ein schlechter Scherz gewesen sein, dachte ich und ging wieder zu den anderen. „ Lea sagt die Wahrheit!“, rief ich den anderen zu. Annika drehte sich skeptisch zu mir um. „Sicher?“, erkundigte sie sich misstrauisch und mit skeptischer Miene. „ Ja wirklich, ich habe es doch gerade selbst gesehen.“
Es dauerte noch ein paar Minuten bis auch die letzte Flamme gelöscht war und bis die schaulustigen wieder gegangen waren. Annika, ich und Lea schauten uns nochmal den verkohlten Weihnachtsbaum an. „Möchte zu gern wissen wer das war.“, sagte Annika. Ich und Lea sagten nichts. „ Das ist doch bestimmt ein guter Fall für uns!“, begann Lea ein Gespräch. „ Ja“, entgegnete Annika. „ Für Dominik und Mich, stimmts Dominik?“ Ich nickte nur. „ Oh mann, jetzt lass mich doch nur einmal bei eurer Detektivspielerei mit machen!“, sagte sie genervt. Annika drehte sich verärgert zu ihr um. „ Wie oft muss ich dir es eigentlich noch sagen“, und schaute ihr dabei direkt ins Gesicht. „ Das ist keine >Detektivspielerei
Die Zentrale der Detektei A & D lag am Rande der Stadt in einem Viertel, indem nur alte, teilweise auch unbewohnte und abrissbereite Häuser standen. Wir gingen auf ein, durch einen Hinterhof abgeschirmtes Haus zu, dass über und über mit Efeu überwachsen war. Als wir durch ein großes Tor den Innenhof betraten, Lief Lea ein eisiger Schauer über den Rücken. Annika und ich waren den Anblick des etwas abstoßenden Hauses schon gewohnt, doch trotzdem wirkte auch für uns das Haus immer noch ein wenig unheimlich. Lea schaute es sich noch einmal genauer an. Es war ein großes mit Efeu überwachsenes Haus, das von einer hohen Mauer umzäunt wurde. Das große Tor durch das sie gekommen waren, war alt und verrostet und auch wenn es total abstoßend aussah, machte es jedoch den Eindruck, dass es in seiner Vergangenheit mal ein großes und durchaus majestätisches Tor gewesen sein muss, dass einfach für jedermann ein Blickfang gewesen sein muss. Jetzt jedoch war es verrostet und keineswegs mehr majestätisch. Sie schaute sich weiter um, während Annika und ich den Schlüssel für die alte und morsche Haustür suchten. Fast überall am Rande der Mauer war ein großer Bereich, der mit Unkraut überwuchert war und in der Mitte der ganzen Szenerie war ein großer Kreis der ebenfalls mit Unkraut überwuchert war und in der Mitte stand ein kleiner, völlig heruntergekommener Pavillon. Lea schloss daraus dass hier mal ein großer angelegter Garten gewesen sein musste. Das ganze Anwesen des Hauses war überhaupt nicht sehr sauber gehalten. Sie war so in dieses gespenstisch wirkende Anwesen versunken, dass sie nicht merkte wie Annika und ich nach ihr riefen. Schließlich ging ich zur ihr hin und tippte sie an. Sie fuhr vor Schreck zusammen. „ Kommst du?“, fragte ich, sodass ihr keine Zeit zur Klage blieb. Annika, die beim Eingang stand, verdrehte genervt die die Augen. „ Kommt ihr jetzt endlich oder soll ich hier Wurzeln schlagen?“ „ Schon gut wir kommen ja schon.“, rief ich zurück und gleich darauf betraten wir drei das Treppenhaus. Wie nicht anders zu erwarten war es von der Beleuchtung her eher dämmrich. Das Treppenhaus sah genau so aus wie man es von draußen auch hätte vorstellen können. Es war schmutzig und hier und da lagen auch winzige Glassplitter herum und die Ecken waren an sich auch keine Ecken mehr- sie waren nur noch winzige Nischen die von einer Zentimeterdicken Staubschicht abgedeckt. Und hier und da huschte auch mal eine Ratte oder eine Maus vorbei. Wir gingen in den dritten Stock in dem es nicht sauberer war als im übrigen Gebäude. Schließlich endete der kleine Fußmarsch als wir an eine Tür kamen, die die letze in diesem Stockwerk war. „ Hast du die Kugel?“ Gleich darauf holte Annika eine recht große Glasmurmel aus ihrer Jackentasche und ging damit zu einem keinen Kasten an der Wand der für Lea wie ein Schaltkasten aussah. Sie öffnete ihn, doch statt vielen Sicherungen war der Kasten vollkommen leer. Plötzlich viel Lea eine runde Öffnung in der Wand auf als sie näher herantrat. Ohne ein Wort lies sie die Murmel in das dunkle Loch gleiten, machte den Kasten wieder zu und wandte sich wieder der Tür zu. Kurz darauf vernahmen wir ein leises Klicken und Annika stieß die Tür auf. Lea trat überrascht einen Schritt zurück und wagte dann einen Blick un den Raum, während sie langsam in den Raum trat. Es war eine kleine, aber nicht zu kleine Wohnung in die viel Sonnenlicht viel. Vor einem großen Fenster, das zu einem kleinen Balkon gehörte, stand eine kleine Couch mit einem keinen Tisch auf dem ein altes Fernsehgerät stand. Außer einem großen Teppich der den Raum ausschmückte, einer komfortablen Computeranlage die auf einem Tisch stand und einem Tisch mit Stühlen war der Raum leer. Annika ließ sich auf die Couch fallen während ich in die Küche ging um Tee zu machen. „ Sogar eine Küche habt ihr hier?“, fragte Lea erstaunt. „ Noch nie eine Wohnung gesehen?“, fragte Annika mürrisch und griff sich eine Zeitschrift und blätterte darin herum. Lea verdrehte die Augen, dann kam ich mit dem Tee aus der Küche. „ Ja“, antwortete ich ihr. „ Allerdings ist sie zum Wohnen eigentlich weniger geeignet, aber als Zentrale für die Detektei A & D ist sie perfekt. „Und wie lang gibt es die Detektei A & D schon?“, erkundigte sich Lea. „ Nun schon seit ungefähr 2 Jahren.“, antwortete ich. Wir diskutierten lange über den Fall ob es das Werk eines Trittbrettfahrers war oder ob es doch nur ein Unfall war. Wir vertieften uns so gigantisch in den Fall dass bald die verworrensten Vermutungen und Theorien und Spekulationen dabei herauskamen. Wir unterhielten uns so lange darüber das niemand mehr auf die Zeit achtete und schließlich wurde das Thema doch langweilig und ich schaltete den Fernseher ein. Wir hatten nicht vor uns länger damit zu beschäftigen, doch bald waren Annika und Lea fast eingeschlafen. Es war mittlerweile neun Uhr als die beiden wieder so langsam aufwachten. Als Annika auf die Uhr sah, fuhr sie erschrocken zusammen und gleich darauf war sie schon aus der Tür verschwunden. Auch ich hatte nicht vor mich länger hier aufzuhalten und streckte mich gähnend. „ Ist sie eigentlich immer so mürrisch?“, erkundigte sich Lea.
„Wer?“
„ Na Annika.“
„ Nun ja“, begann ich. „ Bei Neulingen wie dir ist sie anfangs sehr misstrauisch und wie du sicher weißt hängt in der detektivischen Zusammenarbeit sehr viel von Vertrauen ab, aber glaub mir, die Vertrauensbasis baut sich ganz von allein auf. Ich schaltete den Fernseher aus und wir verließen das Gebäude. Als wir durch das große Tor gingen, blies uns ein eisiger Wind entgegen doch der Himmel war völlig klar an diesem Abend. Als Lea noch einmal zurück sah viel ihr auf, dass das alte Gemäuer von außen aber vor allem in der Nacht viel majestätischer und gespenstischer aussah als tagsüber. Sie blickte sich das Haus mit dem alten Torbogen noch einmal an, dann drehte sie sich um und verschwand im Schutz der Dunkelheit in Richtung Bushaltestelle.
Der darauffolgende Tag war nicht besser als die Tage zuvor. Ein starker eisiger Wind fegte durch die Straßen und trug teilweise noch Blätter die die Herbststürme überlebt hatten. Auch in der Schule war der Alltag bereits wieder zurück gekehrt und anstelle der großen verkohlten Tanne stand jetzt ein neuer aber nur halb so schöner Baum. Der Brand des alten Baumes war längst vergessen und alle hielten den Brand für das Werk eines Trittbrettfahrers, bis eines Tages etwas geschah, was niemand erwartet hätte:
Die Schule war an diesem Tag offensichtlich nicht für alle der Oberbuorner, doch den Lehrern machte das wenig aus, denn alle waren gespannt auf die kommenden Weihnachtsferien. Noch zwei Tage!, ging es jedem durch den Kopf. Und so waren alle froh, als die Schulglocke endlich ihr Entlassungssignal von sich gab und nur innerhalb von weinigen Sekunden die ganze Aula voll mit Kindern war, die sich durch die schmalen Ausgänge wälzten. Ich steuerte sofort das Klo an. Als ich dort ankam war ich nicht allein. Marcel Haselman ein guter Freund von mir der auf den Namen Hasel (Aussprache: Heysel) hörte, war auch da. Ich gesellte mich zu ihm.
„ Sag mal“, begann er missmutig. „ Hörst du das auch?“
„ Was?“
„ Na,.... dieses Ticken!“, diesmal war er in den Flüsterton gestiegen. Beunruhigt sah ich mich um. Doch da war nichts, außer dem Lärm der von draußen herein drang.
„ Vielleicht hast du ja ein Ticken.“, feixte ich.
Doch mein gegenüber machte sich keinen Spaß daraus. Stattdessen horchte er angestrengt weiter. Ich wollte gerade etwas erwidern als ich es plötzlich auch hörte. Ein leises, kaum vernehmbares Ticken. Mir stockte der Atem. Was konnte das nur für ein Ticken sein? Marcel und ich wagten einen gezielteren Blick in den Raum. Und sofort machten wir uns auf die Suche nach der Ursache des Tickens. Schließlich warfen wir einen Blick in die Kabinen, die wir von rechts nach links durchsuchten. Bei der letzten Kabine hielten wir den Atem an. Dann öffnete Marcel entschlossen die Tür. Und sofort erstarrten wir. Auf dem Fensterbrett war eine Bombe montiert. Eine ganze Weile lang standen wir nur da und hörten dem bedrohlich wirkenden Tick Tack der Uhr zu. Doch dann verließ uns der Mut und wir stürmten schreiend aus dem Raum. Und das war auch gut so, denn als wir gerade aus der Tür herausstürzten, explodierte die Bombe und eine gewaltige Wolke aus Feuer und Gas wurde aus der Kabine geschleudert. Jetzt ging es um Sekunden. Blitzschnell rasten wir die Treppe hinauf und sofort auf den Schulhof. Unten war bereits ein gigantischer Krach zu hören. Und aus einigen offenen Fenstern des Kellergeschosses drang schwarzer Rauch. Marcel und ich standen nur angewurzelt da und der Schreck saß uns noch in den Gliedern.
Danach ging alles ganz schnell. Die Feuerwehr war es, die als erstes eintraf und gleich darauf war auch schon ein so großes Polizeiaufgebaut da, dass man davon ausgehen konnte, bei uns sei eine Bombendrohung eingegangen. Auf einer Seite des Schulhofs auf dem auch der Eingang zum Pausenhofs vom Altbau lag, befand sich ein kleines rotes Tor, das sehr abgenutzt war. Es trennte die Schule von der Mozart Grundschule, die direkt an den Altbau gekoppelt war. Und genau durch dieses Tor rollten jetzt 3 Polizeibusse ein und als ich erkannte dass in dem ersten Auto mindestens 3 Scharfschützen saßen, schüttelte ich verständnislos den Kopf. Bei diesem Anblick von Sicherheitsaufgebot, das man normalerweise nur im Fernsehen sah, konnte man den Eindruck gewinnen unsere Schule sei Terror gefährdet. Ich versuchte mich weniger auf die Autos zu konzentrieren, als auf das Geschehen auf der andern Seite des Schulhofs. Aus den zersplitterten Milchglasfenstern drang schwarzer Qualm und extrem stinkender Rauch. Aus der Toilette drang Lärm. Ich dachte inständig daran, was dieser Anschlag zu bedeuten hatte. Ich stutzte. Ein Anschlag? Wie kam ich darauf dass das was ich gerade in der Toilette erlebt hatte, was man eigentlich nur im Fernsehen zu Gesicht bekam, gerade ein Anschlag war? Ich war in meine Überlegungen so vertieft, dass ich erschrocken zusammenfuhr, als ein nett aussehender Polizist mir auf die Schulter tippte. „ He Junge“, sagte er kühl, als ich mich umdrehte. „ Die einzigen, die hier noch die Befugnis besitzen hier sein zu dürfen, sind ich und meine Kollegen. Also geh zu den anderen.“ Als ich mich umdrehte sah ich, dass außer mir tatsächlich keiner mehr hier war. Noch ein Haufen Spusis rannten hektisch herum und nach weis der Teufel was. Mit schnellen Schritten lief ich wieder zurück in den Schulhof. Dieser Teil wurde von dem Mittelbau überdacht. Und genau unter dem Mittelbau war zwischen Zaun und einer Säule war ein Absperrseil. Und hinter diesem Absperrseil hatte sich eine Dichte Traube aus Schülern versammelt, die so neugierig gafften, dass man meinen konnte, Marc Medlock persönlich würde vor der Schule stehen. Hastig ging ich hinter diese Absperrung. Nervös lugte ich über die Menge hinweg die einen unglaublichen Lärm von sich gab. Und dann sah ich die beiden. Lea, absolut eingequetscht zwischen einer Meute größere Jungen und Mädchen. Und dann Annika. Sie stand etwas abseits von der Menge und es sah so aus, als warte sie auf irgendetwas. Sie schien geistesabwesend. Ich winkte ihr zu. Nach kurzem Zögern hob sie den Kopf. Nochmal winken. Und diesmal bemerkte sie mich und drängte sich durch die Menge zu mir durch. „ Wo warst du?“, fragte ich. „ Na da hinten!“, erwiderte sie. „ Was ist den so außergewöhnliches passiert, dass hier so viel Polizei und das Ganze ist.“
„ Das ist doch wohl nicht wahr oder?“, fragte ich sie ärgerlich. „ Hast du wirklich nichts was hier abging mitbekommen?“ Und diesmal drehte ich mich zu ihr um. „ Doch. Dieser Knall!“
Ich grinste hilflos.
„ Gut ich sags dir“
„Und?“
„Das Klo ist in die Luft gegangen!“
Annika schaute mich in einer Mischung aus Witz, Skepsis und Ungläubigkeit an. Sie musste lachen.
„ Hat da einer zu oft gebläht oder waren die Blähungen zu stark?“, fragte sie lachend.
„ Nein. Da hat jemand eine Bombe installiert“
Das Lachen verstummte augenblicklich.
„ Kein Scherz?“
„ Definitiv nicht.“
„ Das weist du aber ziemlich genau.“, sagte sie beunruhigt.
„ Ich war zum diesem Zeit punkt ja auch drin.“, sagte ich kühl. Annika schluckte hörbar.
„ Doch nicht etwa ein Anschlag. Oder?“, fragte sie ängstlich. „ Doch. Sieht ganz danach aus.“
Es dauerte nicht lange, da kam auch schon der Konrektor. Als er bemerkt wurde, wurde es augenblicklich still. Keiner rührte sich, keiner wagte es auch nur ein Wort zu reden. Es war so still, dass man eine auf den Boden fallende Stecknadel hätte hören können. Stille- bedrückende Stille. „ Liebe Schülerinnen und Schüler“, sagte er. Immer noch Stille. Außer ihm und den Spusis war niemand zu hören. „ Aufgrund des Vorfalls in der Jungstoilette, fällt der Unterricht für heute und morgen aus. Aufgrund dieses Anschlags wollen wir kein Risiko eingehen.“ Man konnte deutlich die Angst in seinen Augen sehen.
„ Die beiden Zeugen möchte ich bitte in der nächsten viertel Stunde in meinem Büro sehen.“
Dabei musterte er die Reaktionen der Schüler genau. Er warf noch einen Misstrauischen Blick zu der Stillen Meute. Dann ging er, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, langsam, jedoch sichtlich angespannt, wieder ins Schulgebäude zurück. Es wurde erleichtert ein- und ausgeatmet.
Jeder Lehrer, der auch nur einen Funken Ahnung von Schülern hatte, wusste, dass Schüler normalerweise bei so einer Mitteilung aus dem Häuschen geraten würden. Nur die wenigsten freuten sich, doch keiner derjenigen brachte sie richtig zum Vorschein. In diesem Moment lag eine bedrückende Stille über dem Schulhof. Jetzt kam auch Lea zu uns. „Wo ward ihr denn.“, fuhr Sie uns an. „ Ich hab euch überall gesucht?“
„ Weist du Lea“, begann Annika zögernd „ Wir waren auf dem Mond.“, sagte sie kühl.
Ich rammte ihr leicht den Ellbogen in die Schulter.
„ Was denn?!“
„ Was das wohl zu bedeuten hat.“, fragte sich Lea.
„ Vielleicht ein Trittbrettfahrer. In den letzten gab es einige Fälle mit Trittbrettfahrern. Die wollten manchmal auch Schulfrei heraus provozieren.“, schlug Sie vor.
„ Glaub ich nicht!“, murmelte Annika.
„ Ich auch nicht. Für das Werk eines Trittbrettfahrers war dieser Anschlag doch viel zu krass und weitreichend.“, fügte ich hinzu.
„ Wie kommst du eigentlich darauf, dass es ein Anschlag war?“, erkundigte sich Lea beunruhigt.
„ Ich gebe es zwar nicht gerne zu, aber mir fällt kein anderes Wort dafür ein.“, erwiderte ich.
Ich warf einen kurzen Blick auf meine Uhr.
„ Noch ungefähr 10 Minuten!“, murmelte ich.
Vielleicht sollten wir uns den Tatort noch einmal ansehen!“, schlug ich vor. Lea schüttelte sofort den Kopf. „ Vergiss es.“, wehrte sie mit einer Handbewegung ab. „ Da unten wimmelt es noch von Polizisten. Da kommen wir nicht durch!“
„ Im Haus wird alles bewacht. Aber nicht hier.“, meinte Annika mit einem Grinsen.
„ Gute Idee!“, sagten Lea und ich wie aus einem Munde. Auch auf unseren Mündern breitete sich ein Grinsen aus.
Wir hatten einen günstigen Moment abgewartet um unbemerkt auf die andere Seite des Schulhofs, zu den kaputten Fenstern zu kommen. Am Himmel wurde die strahlende, aber nicht besonders warme Mittagssonne und der strahlend blaue Himmel, von düsteren Wolken abgelöst, die sogar einen Stich lila aus ihren Kernen ausstrahlten. Außerdem fing es an leicht zu schneien, und es wurde kalt. Da wir alle Handschuhe, Mützen und das ganze drum und dran anhatten, war uns nicht kalt. Wir standen nun vor der kahlen, mit Ruhs und Schmutz überzogenen Wand. Dort wo vorher die beiden einzigen Fenster der Toilette gewesen waren, klafften jetzt zwei große Löcher die wie tote Augen in den völlig zerstörten Raum blickten.
Es hatte mittlerweile angefangen heftig zu schneien. Lea sah sich die Scherben an und den ein oder anderen Mauerrest, Annika steckte ihren Kopf durch eins der Fenster und ich ließ den ganzen Vorfall vor meinem geistigen Auge revuepassieren. „ Gut“, sagte Annika und stieß dabei einen langen Seufzer aus. „ Nach was suchen wir?“ Wir schauten uns alle gegenseitig an.
Lea gab keine Regung von sich und ich zuckte nur mit den Schultern. Annika sah uns nur ungläubig an. In diesem Moment fiel mir das auf, was Annika schon längst wusste. Wir hatten tatsächlich keinen Plan warum wir uns hier hinter dieser Polizeiabsperrrung aufhielten auch wenn wir das eigentlich nicht durften und wir hatten auch keinen Plan nach was genau wir eigentlich suchen wollten. Denn im Großen und Ganzen war der Aufenthalt hier wirklich sinnlos. Denn was sollte man, wenn man suchte, schon großes finden. Höchstens eine ganze Menge Staub, Tonreste, die früher einmal ein Waschbecken oder Bestandteil einer Klobrille gewesen sein mochten. Die ganze Aktion war völlig sinnlos. Wir wussten ja selbst nicht einmal wonach genau gesucht werden soll. Und jetzt begriff auch Lea. „ Ne sehr gute Frage.“, murmelten ich und Lea wie aus einem Munde. Annika seufzte, verdrehte die Augen und kniete sich hin, als ob sie nach etwas bestimmten Ausschau hielt. Wir taten es ihr nach.
„ Nach was suchst du eigentlich?“, erkundigte sich Lea. „ Weiß ich auch noch nicht genau.“, erwiderte Annika völlig geistesabwesend. Doch jetzt drehte sie sich ganz zu uns, als wüsste sie ganz genau nach was zu suchen sei. „ Halt nach irgendwas Ausschau was uns weiterbringt!“ In ihrer Stimme schwang Verzweiflung mit was nur bedeuten konnte, dass auch sie keinen blassen Schimmer hatte nach was genau eigentlich gesucht werden sollte. Und gerade als sie noch etwas hinzufügen wollte, vernahmen wir eine Stimme. Erschrocken drehten wir uns um. Doch zum Glück gehörte der Mann, der da vor uns stand weder zur Spusi noch zur Schulleitung, sondern zur ganz normalen Polizei. Wir musterten ihn und er musterte uns. Der Mann, der da vor uns stand war groß und etwas untersetzt. Er hatte schwarze Haare und trug eine kleine Sonnenbrille mit runden Augengläsern. Außerdem trug er Wollhandschuhe. „ Herr Dominik Deichsel?“, fragte der Mann mit leichtem zögern.
Ich trat nach vorne. „ Ja der bin ich.“
„ Ich bin Kommissar Meier und ich hätte diesbezüglich des Vorfalls von vorhin einige Fragen.“ Von Annika und Lea schien er keine Notiz zu nehmen. „ Natürlich.“
Ich erzählte ihm detailiert was sich in der Toilette abgespielt hatte. Hin und wieder warf ich verstohlen Blicke zu Lea und Annika und mir viel auf das Annika immer wieder die Mundwinkel bewegte und total angespannt wirkte. Ich wusste genau was das hieß: Annika hatte etwas Wichtiges auf der Zunge, wollte sich aber zurückhalten. Der Kommissar, der völlig in unser Gespräch vertieft schien das jedoch gar nicht zu bemerken. Nach gut 5 Minuten war das Gespräch beendet und der sichtlich angespannte Kommissar wollte gerade in seinen kleinen Merzedes einsteigen, als Annika schließlich herausbrach. „ Herr Kommissar!“, rief sie ihm nach. Er hielt inne. „ Ja“
Annika wühlte in ihrer Hosentasche herum, zog ihren Geldbeutel heraus, während Herr Meier langsam auf sie zu kam. Ich und Lea hatten keinen blassen Schimmer von dem was sie vorhatte. Bis sie jedoch eine Visitenkarte aus einem Fach hervorzog. Wir begriffen sofort und schauten sie entgeistert an. Sie hatte doch tatsächlich vor Herrn Meier unsere Visitenkarte zu geben. Und dann sah ich sie. Die Karte der Detektei A&D. Annika versuchte inbrünstig sich von unseren Blicken nicht weich machen zu lassen. Doch in Wahrheit drohten ihr jetzt schon die Knie einzusacken. Sie war so aufgeregt wie selten zuvor in ihrem Leben, als sie dem Kommissar die Karte überreichte. Ihre Knie drohten einzusacken und für den Bruchteil einer Sekunde glaubte sie in Ohnmacht fallen zu müssen. Und plötzlich musste sie mit Entsetzen feststellen, dass ihr ein Schweißtropfen über die Wange rann. Sie wusste nicht ob man ihr ihre Verzweiflung, ihre Nervosität, ihre Angst, ihre bange Hoffnung ansah und daher beschloss sie um sich nicht als Angsthase vorkommen zu müssen sich das nicht anmerken zu lassen. Die Zeit die ihr gegenüber brauchte um die Karte zu nehmen kam ihr wie eine halbe Ewigkeit vor. Sie schloss für einen kurzen Moment die Augen. Als der er die Karte las, hob er erstaunt eine Augenbraue. „ Detektive?“, fragte er beeindruckt-
„ So ist es“, erwiderte sie.
Lea und ich sagten keinen Ton.
Der Kommissar begriff sofort. „ Hör mal zu Mädchen i“ Annika schnitt ihm das Wort ab. „ Ich heiße Annika- Annika Kreid“ „ Gut Annika, dann hör mir mal zu. Ich finde es ja gut, dass ihr euch so für die Sicherheit eurer Schule einsetzt aber 1. Ist das ein Job für die Polizei 2. Seid ihr dafür noch ein wenig zu jung und 3. Weis ich nicht ob eure Eltern das so gut fänden, wenn sich ihre Kinder pausenlos in Gefahren begeben. Was ihr aber machen könnt ist die Augen offen zu halten und vielleicht verschwundene Katzen zu suchen. Was hälst du davon?“ Nichts, dachte Annika. Doch sie ging nicht auf die Frage ein. Und plötzlich schäumte eine unglaubliche Wut in ihr auf. Sie hasste es wenn man sie nicht gleichwertig behandelte und noch mehr hasste sie den Spruch den die Erwachsenen schon immer draufhatten. > Ihr seid doch noch so jung<. Am liebsten hätte sie ihm auf den Kopf zu gesagt, dass Alter mit Intelligenz nichts zu tun hatte. „Also dann- Tschüss.“ Mit diesen Worten stieg er in sein Auto, der summte auf und Sekunden Später war er verschwunden. Sie versuchte sich zu beruhigen, doch als sie bei uns ankam, war ihre Wut nicht verflogen. Wir starrten sie an. „ Iss was?“, erkundigte sie sich sauer. Gerade als Ich etwas darauf erwidern wollte, blieb Annika stocksteif stehen. Und jetzt spürte sie es. Das was sie auch schon im Gespräch mit dem Kommissar erlebt hatte. Zuerst gaben ihre Beine nach, dann wurde ihr schwarz vor Augen und sie spürte wie sie viel. Das letzte was sie mitbekam war, dass sie jemand vor der unsanften Kollision mit dem Boden bewahrte.
Sie wusste nicht wie lange es gedauert hatte, aber sie wusste, dass es eine ganze Weile war. Das erste was sie spürte war, dass sie extrem unbequem lag. Doch ihr war nicht klar worauf. Als sich ihr Tastsinn wieder aktivierte, erinnerte sich das worauf sie da lag an eine Bank. Als sie sich wieder einigermaßen gut fühlte, versuchte sie die Augen zu öffnen. Sie musste durch die plötzliche Helligkeit blinzeln und als sich ihre Augen einigermaßen an die Helligkeit gewöhnt hatten, sah sie zwei Schatten über sich stehen. Einen großen und einen etwas kleineren. Sie schaute nach oben. Wo war sie? Sie konnte oben nur weißes erkennen und am Rande leichtes Grün.
Die beiden Schatten redeten miteinander. „ Da, sie kommt zu sich!“ Diese Worte drangen nur schwer zu ihr durch. Sie schloss für einen kurzen Moment die Augen. Als sie sie wieder öffnete konnte sie erkennen, dass die beiden Schatten in Wirklichkeit Ich und Lea waren. Jetzt konnte sie auch wieder klar hören, klar denken, klar fühlen. „ Herzlich willkommen im Diesseits. Wir hofften sie hatten einen schönen Ausflug und heißen sie herzlich willkommen zurück.“, witzelte ich herum. Annika und Lea konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen.
Jetzt setzte sie sich auf. „ Was ist passiert?“, fragte sie noch etwas erschöpft. Die Antwort kam von Lea. „ Nun sagen wirs Mal so. Du hast etwas gemacht was sich von uns garantiert niemand getraut hätte.“ Und schlagartig viel Annika alles wieder ein. Das Gespräch mit dem Kommissar, die Visitenkarte, ihre Wut. Schließlich mischte auch ich mich in das Gespräch ein. „ Annika. Das was du da gerade abgezogen hast...war...extrem mutig!“, sagte ich würdevoll. Und da kam das, was ich aus ihr heraus kitzeln wollte. Ein Lächeln. Und sie wurde auch ein bisschen rot. Doch plötzlich fiel mir schlagartig ein, dass ich ja noch eine Verabredung im Sekretariat hatte.
Annika und Lea wollten mitkommen, doch ich lehnte ab. Ich braute ja schließlich für so etwas keine Begleiter, obwohl ich genau wusste das die beiden nur auf Informationen scharf waren und das wie Annika sagte > zur besseren Verarbeitung des Falls< führte. Doch ich ließ sie nicht gewähren. Somit entschlossen sich die beiden auf mich zu warten. Und obwohl mir bei diesem Gespräch weder Strafe noch sonst etwas drohte, war mir verdammt mulmig zumute. Ich wusste nicht was mich im Direktorenzimmer erwarten würde und obwohl ich wusste, das es sich nur um ein ganz normales Verhör handelte würde, hatte ich weiche Knie. Dies war nicht das Verhör, das man im Fernseher oder sonstwo sah, sondern eine verdammt ernste Sache. Ich hockte mich angespannt auf die nach oben führende Treppe und wartete. Nach nur wenigen Minuten kam Haisel. „ Und wie wars?“, fragte ich zögernd und leise. „ Will nicht drüber reden.“, antwortete er tonlos und ging in Richtung Ausgang.
Ich trat ein in das warm geheizte Sekretariat. Vor mir stand ein großer Schreibtisch, der in drei Bereiche geteilt war. An allen Bereichen standen Computer mit Monitoren. Doch diese blieben dunkel. Schreibtischstühle waren sauber an ihren Plätzen gestellt. Zu meiner linken hingen einige Bilder und zu meiner rechten stand ein großes Bücherregal und ebenfalls direkt neben mir stand ein kleines Regal in dem die Klassenblätter einsortiert wurden. Zu meiner rechten befand sich noch ein anders Zimmer, das hell erleuchtet war. > Direktion
Als das Gespräch beendet war, machten auch die Rektoren und die Polizei Schluss. Nach dem ich aus der Tür des Sekretariats ging und sich die Tür schloss und leise ins Schloss fiel, blieb ich noch einmal stehen. Ok, dachte ich. Erst einmal tief durchatmen. Ich ging weiter in den Pausenhof, bis mir Annika und Lea einfielen, die ja auf mich warten wollten. Ich traf sie in einer Ecke der Aula, die mit Plakaten über Frankreich und Infos über die >Adler Mannheim
Ich musste wirklich zugeben, dass die Gründung der `The three Detectives` wirklich gut verlaufen war. Zugleich musste ich zugeben, dass es für mich eine große Überraschung war, dass Annika es so eilig hatte, die zweite Detektivin zu sein. Ich kannte sie schon seit der fünften Klasse und..... Moment, ich weis was manche von euch Lesern jetzt wahrscheinlich denken! Dass Annika und ich mal mit einander gegangen sind nicht wahr?
Aber dazu sage ich nur eines: Nein! Uns hat bisher nur die normale Freundschaft bezogen. Da Annika auch sehr gerne hin und wieder Schnüffler gespielt hat und ich das auch sehr gerne tat war bald die „ Detektei A&D“ (A&D: Annika& Dominik) gegründet. Annika hatte in der 5. Klasse bereits den zweiten Detektiv machen wollen und ich hatte den ersten Posten, da ich als Detektiv viele Erfahrungen hatte. Annika war schon immer ein Mensch, der sehr nach neuem Wissen gestrebt hat. Daher hatte es mich auch ein bisschen gewundert, dass sie nicht den Recherche und Archiv- Job genommen hat. Wahrscheinlich wollte sie sich jedoch nicht von Lea abhängig machen aus welchen Gründen auch immer. Auch über Leas Entscheidung war ich etwas überrascht. Sie forschte zwar auch gern, war darin jedoch etwas schlampig.
Als wir die Zentrale erreicht hatten, setzte Annika wieder den gewohnten Mechanismus in gang.
Ich schaltete den Fernseher ein und Annika hockte sich auf den angerußten Schreibtischstuhl, der eigentlich in seiner Kariere bereits abgedient hatte, doch für unsere Zwecke war er wie gemacht.
Darauf ließ sich Annika nieder und fuhr den Computer hoch. Auf dem großen LCD- Bildschirm erschien bald auf blauem und dunkelblauem Hintergrund „ Willkommen“. Lea hatte sofort geschnallt, dass dies ein Windows XP war.
„ Wow“, sagte sie überrascht und zog erstaunt die Augenbrauen hoch. Annika und ich lächelten uns verschmitzelt an. „ Muss ja ziemlich teuer gewesen sein. So ein XP ist nicht gerade günstig.“ Wieder das verschmitzte Lächeln. „ Also jetzt macht ihr mich erst recht neugierig.“, sagte sie und lachte ebenfalls.
„ Annika und ich schauten uns kurz an.
„ War ne ganz süße Geschichte.“, meinte Annika lächelnd.
„ Hängt mit unserer Geschichte zusammen“, fügte ich hinzu.
„ Dann erzähl sie mir!“
„Gut“, flüsterte ich.
„ Als wir vor 5 Monaten die Detektei A&D gegründet haben, haben wir, wie man sehen kann uns für dieses Haus entschieden. Wir hatten uns damals bei Annika zu Hause verabredet und mehr durch Zufall gründeten wir unsere Detektei. Wir hatten schon damals einen geeigneten Computer gesucht und nur zwei Straßen weiter um die Ecke stand ein neu aussehender XP. Wir fragten, ob wir den PC haben durften und waren bereit 50 Euro dafür hinzublättern, doch der Mann war nur froh darüber, dass er endlich dieses Übergroße Stück Schrott weghatte. Wir sind zunächst zu einem Fachmann gegangen um ihn reparieren zu lassen“, ich kicherte leise, doch Lea war ganz auf die Geschichte fixiert. „Wir hatten uns auf eine lange Rechnung eingestellt und bangten um unser Taschengeld. Und als wir nach zwei Wochen wiederkamen, sagte uns der Mensch, dass nur das Betriebssystem kaputt war und wir brauchten nur eine CD- Rom.“
„ Der Besitzer muss offensichtlich keine Ahnung von Computern gehabt haben.“, ergänzte Annika.
Lea musste bei dieser Geschichte lachen.
„ So ihr beiden Klatschtanten, die Visitenkarten sind fertig und ausgedruckt. Und ich habe noch einen Vorschlag einzubringen. Wir könnten doch einen Viermonats- Vertrag machen?“
„Die Idee ist gar nicht schlecht. Also ich bin dabei.“
Lea schien sehr überzeugt von diesem Plan zu sein und war in dieser Sache zu Recht auch sehr optimistisch.
„ Gut.“, seufzte Annika. „ Dann werde ich mich heute noch dran setzen und morgen treffen wir uns wieder in der Zentrale?“
Mit diesem Vorschlag von Annika waren alle einverstanden und da es zum einen recht spät war und zum anderen an morgigen Tag wieder Schule war und wir eh nichts mehr zu besprechen hatten machten wir uns auf den Weg nach Hause.
Der nächste Schultag verlief wieder ganz normal, doch man konnte sowohl bei den Schülern als auch bei den Lehrern noch eine gereizte Spannung feststellen und da war noch diese Stimme in den Hinterköpfen, die sagte, dass das was bisher passiert war nur der Anfang gewesen sei und dass noch weit mehr passieren würde als bisher. Doch wenn jemand eine Frage auf dieses „weit mehr“ stellte, konnte sich niemand erklären was dieses „weit mehr“ sein könnte. Die Schüler machten sich Sorgen, die von den Eltern ausgingen, denn das eine Toilette in die Luft gesprengt wird, ist schon etwas recht ungewöhnliches und wie sich später herausstellte, fand auch die Polizei später, dass hinter dieser Tat womöglich alles steckte nur nicht das was in das normale Schema passte...
Es war ein schöner, wolkenloser Freitag und obwohl die Sonne warm auf den Rücken schien, war es sehr kalt. Wir hatten 2 Stunden schulfrei bekommen, aus welchen Gründen auch immer.
Da ich keine Lust hatte in die Schule zu gehen, schlenderte ich ein bisschen in Mannheims Innenstadt herum. Schon zu dieser frühen Morgenstunde waren hunderte von Menschen auf der Straße und in der Luft lag der Geruch von frischen Plätzchen und anderen Leckereien, die in der Weihnachtszeit sehr beliebt waren und die Läden und Geschäfte waren alle feierlich geschmückt und hinter einem Schaufenster von Galeria Kaufhof saß eine blonde Frau die den Kindern über Lautsprecher und Mikrofon Märchen vorlas. Ich blieb stehen und schaute auf die andere Straßenseite. Ich war so in diesen Anblick vertieft, dass ich erschrocken herumfuhr als eine Stimme hinter mir meinen Namen sagte. Der Junge, der da jetzt vor mir stand war mittelgroß und schlank. Seine blond- braunen Haare gingen ihm bis an die Ohren. Es war Haysel. „ Hi, wie geht’s?“, sagte er aufgemuntert. Doch gleich darauf wurde er wieder ernst. „ Was machst du denn hier so allein in der Stadt?“, erkundigte er sich und obwohl er sich sehr warm angezogen hatte frierte er. „ Dasselbe könnte ich dich fragen.“, erwiderte ich.
Er blickte sich um, als wolle er sicher gehen, dass ihn niemand belauschte. „ Musst du ein geheimes Päckchen bei der Postbank abgeben oder warum tust du so geheimnisvoll?“, fragte ich belustigt.
„ Nein.“, sagte er lachte. „ Ich muss nur sichergehen, dass sich Annika nicht hier rumtreibt.“
„ Also jetzt machst du mich aber erst recht neugierig!“
Wieder blickte sich Marcel(so heißt er in Wirklichkeit) um. „ Ich möchte ein Weihnachtsgeschenk für Annika besorgen.“
„ Ach daher weht der Wind. Seid ihr denn noch zusammen?"
„ Klar. Schon seit einem halben Jahr.“
„ Du Marcel?“, er schaute zu mir auf. „ Wir können uns ja gerne unterhalten, aber wenn dann bitte im warmen.“ Also setzten wir uns in ein Cafe und bestellten uns Tee und Kuchen. Die Sonne ging gerade auf und begrüßte Mannheim, indem sie einen orange- roten Schleier um die so langsam belebtere Stadt Mannheim warf. Auch in die prall gefüllte Grimminger Bäckerei, zu der ich zwar nur selten aber sehr gerne ging, fiel dieses wunderschöne Morgenlicht, dass garantiert mit keinem Geld der Welt zu bezahlen war. Auch Marcel schien diesen Anblick der Natur zu genießen. „ Du magst diesen Anblick, nicht wahr?“, fragte ich.
„ Oh ja.“, erwiderte er träumerisch.
„ Annika scheint diesen Anblick auch zu mögen, oder?"
„ Woher weißt du das?“, fragte er in einer Mischung aus erstaunt und überrascht.
Ich grinste. „ Reine männliche Intuition. Nicht das ich damit schon Erfahrungen gemacht hätte, aber wie du ja weißt, habe ich selbst eine Schwester und daher habe ich selbst Erfahrungen gesammelt, was Mädchen so mögen und so.“
„ Ach so."
Wir schlürften einen Schluck Tee.
„ Hast du schon das neuste vom neusten gehört?“
Nein. Aber du.“
„ Mittlerweile glaubt die Polizei ja daran, dass die Explosion im Keller kein Unfall war.“ Ich fiel aus allen Wolken. „ Und woher weißt du das?“, erkundigte ich mich. „ Stand im Mannheimer Morgen.“ Er blickte sich kurz nach einer Zeitung um, doch sie wurden alle bereits von anderen Gästen gelesen. Zumindest befanden sich dort wo die Zeitungen an ihren kleinen Holzlatten meist hingen, keine einzige mehr. Doch ich wollte trotz alledem noch mehr darüber erfahren. „ Wie kommt die Polizei darauf, dass das was da neulich geschehen ist kein Unfall sondern vielleicht doch ein Anschlag war?“ Er beugte sich zu mir vor, als wolle ich verhindern, dass Außenstehende, dass was er da sagen wollte nicht mitbekamen. „ Das ist doch völlig klar. Der Weihnachtsbaumbrand und dann auch noch das Explodieren der Toilette. Das kann doch kein Zufall mehr sein.“ Er beugte sich wieder zurück. Ich war immer noch völlig entsetzt
darüber, was Marcel mir da gerade erzählt hatte.
Denn wenn das, was die Polizei glaubte wirklich der Wahrheit entsprach, dann hatte in diesem Fall niemand mehr etwas zu lachen. Niemand!
„ Und weiß man auch warum, oder hat sich ir“
Marcel unterbrach mich. „ Nein.“ sagte er während er ein Stück Kuchen aß. „Und genau das ist ja auch der Haken bei der ganzen Sache. Man vermutet zwar dies, aber auf die eigentliche Frage Warum, weiß niemand eine Antwort.“
„Es ist ein Rätsel.“, seufzte ich.
„ Du sagst es“ Der orange- rote Schleier, den die Sonne noch vor einigen Minuten über Mannheim ausgebreitet hatte, wurde inzwischen von der Sonne selbst abgelöst, sodass helles Sonnenlicht in die Backstube fiel. Jedermann hier musste vom hellen Sonnenlicht blinzeln. Und doch war so langsam zu vernehmen, wie die Stadt Mannheim langsam aufwachte und ein kalter, aber dafür ein wolkenloser und wunderschöner neuer Tag begann. Als Marcel daraufhin einen Blick auf die Uhr warf, wusste ich sofort, worauf er hinaus wollte. Es war zehn vor acht. Die Schule begann zwar erst um fünf nach, doch wir würden gewiss noch zehn Minuten brauchen, bis wir an der Schule angekommen waren. Außerdem hatten wir Deutsch in der ersten Stunde und unsere Lehrerin Frau Helger, eine hoch gewachsene Frau mit roten Lockenhaaren, mochte es nicht, wenn man in ihrem Unterricht zu spät kam. Die Deutschstunden waren außerdem dass, was an der Schule viel Spaß machte. Der Grund: Es wurde sehr viel gelacht. Eben Comedy vom feinsten.
Zur selben Zeit war das Ludwigshafener Industrie und Hafengebiet noch so gut wie ausgestorben. Obwohl sich die Sonne mit ihrem leuchtend orangenen Tunt auf die klare blaue Himmelsmasse kämpfte, und die ersten warmen Sonnenstrahlen auf die Erde fielen, war es immer noch sehr kalt- was zur Folge hatte, dass es um diese Zeit noch niemand für nötig hielt mit seiner Schicht zu beginnen. Nur hin und wieder zeigte sich der ein oder andere Hafenarbeiter, der sich allerdings nach kurzer Zeit wieder ins warme zurückzog. Wie zu erwarten war auch die schimmernde Wasserstraße, die sich an dem Hafengebiet entlang zog vollkommen leer. Auch hier waren nur hin und wieder ein paar kleine Kutter oder Segelboote zu sehen.
Und genau dieser Faktor, diese Ausgestorbenheit in diesem Gebiet machte es geradezu magisch anziehend für die Kriminalität: Denn an diesem Ort versammelten sich oft diverse Schule schwänzende Jugendbanden oder Drogendealer, die hier bevorzugt ihre Veranstaltungen abhielten.
Zwar kannte die Polizei diesen Ort und sie wusste auch, dass es dort viele illegale Versammlungen gab und auch die Dealer waren ihnen nicht entgangen, doch aus unerfindlichen Gründen hatte sich bisher noch niemand darum gekümmert. Zwar wussten auch die Menschen, die sich hier versammelten, dass die Polizei diesen Ort kannte, doch diese Tatsache ließ sie völlig kalt. Und wenn man doch auf dieses Thema zu sprechen kam, wehrte man dies mit einer verachtenden Handbewegung ab. „ Die Bullen ham sich für hier doch noch nie intressiert, warum solltn sies diesmal tun?“ Jegliche Sorge um Auffliegen verflogen in Rauchwolken. Doch in den Wintermonaten waren diese Treffen nur selten. Das lag vor allem an der klirrenden Kälte, die vor allem in dieser Woche angekündigt war.
Doch mitten in dieser ganzen Szenerie, in dieser Ausgestorbenheit, stand ein Mann. Er schien auf etwas zu warten, verzog dabei jedoch keine Miene. Er war eher untersetzt, hatte fast eine Glatze, und war in einem Schwarzen Anzug gekleidet. Er stand vor einer Fabrikhalle, die vor Jahrzehnten aufgegeben und einfach vergessen wurde. Er stand in einem Teil des Hafengeländes, in dem sich bevorzugt Menschen aufhielten, die bei dem was sie taten, nicht gesehen werden wollten. In einem Teil des Umschlagplatzes, der wie die Fabrikhalle, vor Jahrzenten aufgegeben und von seinen Nutzern vergessen wurde. Man brauchte sich nur die teilweise zu Wolkenkratzern aufgestapelten Container anzusehen, um zu wissen, dass sie jede Hoffnung darauf, auf ein Schiff geladen und abtransportiert zu werden verloren hatten. Und das schon vor Jahren.
Der Mann bemerkte die unverwechselbare schwarz- goldene Limousine nicht. Er bemerkte sie auch dann nicht, als sie sich fast lautlos durch die Straßen, die durch die Container entstanden waren, schlängelte. Er bemerkte ihn auch dann nicht, als er ein paar Meter vor ihm zum Stehen kam. Erst als sich die vorderste Tür öffnete und ein hagerer Chauffeur hastig zur hintersten Tür eilte, bemerkte er den Wagen. Er wurde zugleich etwas nervös, wollte sich dies aber nicht anmerken lassen. Als der Chauffeur die Wagentür geöffnet hatte, entstieg diesem langsam, wie in einem Hollywood- Film, ein in ebenfalls schwarzem Anzug gekleidete Mann. Im Gegensatz zum anderen hatte dieser eine Glatze und trug eine schwarze Sonnenbrille. Aber die Totenbleiche in seinem Gesicht, machte seine äußerlich kalte Erscheinung komplett.
„ Señor Ibi.“, sagte der Mann höflich und deutete eine Verbeugung an. Sein Gegenüber Señor Ibi jedoch machte keine Miene oder erwiderte den Gruß. Stattdessen sagte er nur kühl: „ Mit Schmeicheleien kommen sie bei mir nicht weit, Herr Kalli.“
„ Natürlich.“, sagte der Mann, der Herr Kalli hieß etwas nervös. „ Darf ich sie hereinbitten?“
„ Warum.“, sagte Ibi schmunzelnd, obwohl sein Mund keinerlei Gesten zeigte. „ Sind wir hier etwa nicht sicher genug oder haben sie hier irgendwo die Polizei oder sonstwen?“ Señor Ibi schien an solche Überraschungen gewöhnt.“
„ Nein“, antwortete Kalli etwas unsicher, und er spürte wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat. Bei solch einer kalten Erscheinung und der dazugehörigen kühlen Redensart, hätte er sich am liebsten ganz klein gemacht und wenn es darauf ankam immer klein bei gegeben.
„ Aber?“
Herr Kalli erwiderte darauf nichts und Ibi wusste, dass dieser auf seine Frage keine Antwort hatte. Und auch wenn Kalli es sich nicht anmerken lassen wollte, wusste Señor Ibi, dass er verdammt nervös war. Doch das interessierte ihn nicht. Also fuhr er fort.
„ Wie sieht es mit meinem Auftrag aus?“, erkundigte sich Ibi. Auf diesen Teil des Treffens, hatte er sich besonders gefreut, weil er nun mit dem was er zu berichten hatte, glänzen wollte und sich somit Respekt bei Señor Ibi verschaffen wollte.
„ Absolut hervorragend, Sir.“ Kalli konnte sich das Grinsen nicht verkneifen, doch als er sah, dass der um einiges größere Señor Ibi daraufhin keine Miene verzog, entschloss er sich, wieder ernst zu bleiben. Schließlich wollte er vor dem noblen, erfahrenen Señor Ibi nicht als unseriös gelten. Denn das war etwas, was er gerade jetzt am wenigsten brauchte. Und obwohl er wusste, dass er den Auftrag von Ibi hatte, hatte er das Gefühl, nein er wusste es, dass Señor Ibi ihn nicht sonderlich ernst nahm.
„ Welche Unternehmungen haben sie gemacht?“, fragte er in einem bis zur Seele durchdringendem Tonfall. Und auch hier blieb er kühl. Herr Kalli dachte inständig darüber nach, ob Ibi in seinem Leben noch nie besonders viel gelacht hatte, oder ob dieser Mann das Lachen einfach verlernt hatte. Denn auch wenn Señor Ibi eine pechschwarze Sonnenbrille trug und man dadurch nicht in seine Augen blicken konnte, wusste er, dass Ibi in seinem Leben nicht viel gelacht hatte.
„ Ich habe einen Weihnachtsbaum angezündet.“ Ibi verdrehte den Kopf als würde er nicht verstehen.
„Das ist alles?“, fragte er und Kalli merkte, dass in seinem Auftraggeber die Wut hochschäumte. Er errötete etwas und er merkte, wie ihm der Angstschweiß über die Stirn rann. „Nein Sir, ich habe noch ihre Toilette in die Luft gesprengt.“, sagte ängstlich. Jetzt war Ibi erst recht sauer. Man sah es ihm zwar nicht an, aber er verzog wütend sein Gesicht.
In einer plötzlichen, unerwarteten Sekunde, befand sich Ibis Gesicht so nahe an dem vom Kallis, dass dieser den Atem Ibis spürte. Und jetzt kam der Angstschweiß. Und jetzt war Señor Ibi nicht der immer kühle Señor Ibi- jetzt war er der richtige Señor Ibi. „ Ich kann mir nichts kaufen mit der Information, dass sie einen Baum angezündet haben oder ein Klo in die Luft gesprengt haben. Ich will Ergebnisse. In zwei Wochen will ich das von ihnen haben, wofür ich so bezahle. Ist das klar?“ Kalli nickte nur voller Angst was nun passieren würde. Er wollte Ibi gerade die Hand geben, als dieser sich plötzlich zu der Limousine umwandte. „ Cem! Roberto!“, rief er. Gleich darauf stiegen aus dem Wagen zwei dunkelhäutige, kräftige Männer, die etwa so groß waren wie Kalli. Der eine trug einen schwarzen Lederkoffer in der Hand. Ibi wandte sich wieder Kalli zu.
„ Zum einen, damit sie etwas bewacht werden und zum anderen, da sie mit der Aufgabe, wie sich bestätigt, nicht zurecht kommen, bin ich so gnädig und überlasse ihnen hier zwei durchaus starke Kerle.“ Und diesmal merkte Kalli, dass in Ibis Stimme etwas Freudiges war. Er wurde jedoch gleich wieder der alte. „ Ihr Anzahlungshornorar ist in diesem Koffer. Ich empfehle mich.“ Ehe Kalli auf den Gedanken kommen konnte, seinem neuem Auftraggeber die Hand zu reichen, ging der schon wieder Richtung Auto. Als dieses gerade anfahren wollte, wurden die Scheibe heruntergekurbelt und Señor Ibi rief noch einmal in etwas drohendem Tonfall: „ Denken sie dran, ich will Ergebnisse!“ Dann fuhr der Wagen wieder durch die Containerstraßen davon. Es war mittlerweile 10 Uhr und die Sonne hatte bereits einen hohen Stand erreicht. Und es war auch nicht mehr so kalt. Hinter Kalli war ein lautes Hupen zu hören. Er drehte sich um. Vor ihm fuhr ein Frachter vorbei. Jetzt erwachte auch die Hafen City wieder zu neuem Leben. Doch das half nichts. Wütend trat Kalli gegen ein rostiges Ölfass, das polternd umkippte. Kalli schäumte vor Wut. Er wusste zwar nicht genau warum, nur dass es wegen Ibi war, aber schäumte. Fast hätte erseine beiden neuen Schützlinge vergessen, die etwas verunsichert dastanden und nicht wussten was sie machen sollten. „ Sir?“, fragte der eine, der eine Halskette trug, im Gegensatz zum anderen. Die beiden hatten selbst die Klamotten an, die Hafenarbeiter sonst trugen. „ Was.“, brüllte Kalli, der sich irgendwie an der Hand verletz hatte. Die Wunde blutete. Er sah sie mit feuerrotem Gesicht an und begriff die Lage sofort.
„ Ach geht schon mal rein!“, sagte dieser unwirsch. Die beiden hörten und gingen ohne einen Kommentar in die Halle. Kalli sah noch einmal auf den Rhein hinaus. Der Hafenbetrieb war mittlerweile voll im Gange. Kalli sah angestrengt auf den durch die Sonne blau schimmernden Fluss. Dabei gingen ihm noch einmal die letzten Worte Ibis durch den Kopf.
„ Denken sie dran, ich will Ergebnisse!“
Jetzt war es also amtlich! Der Baumbrand und die Kloexplosion waren nun auch aus Sicht der Behörden kein Zufall. Doch insgeheim wussten auch sie, dass sie mit dieser Information immer noch im Dunkeln tappten. Der Grund: Zwar hatte man die Tatsache, aber über ein Motiv oder Indizien war noch nichts bekannt. Die Folgerung daraus: Man hatte keine Ahnung über den Fall, geschweige denn vom Täter. Bestimmt wusste man bei dieser Beweislage noch nicht einmal genau, ob es wirklich ein gezielter Anschlag oder doch nur ein Trittbrettfahrer war. Wahrscheinlich war es der Polizei einfach nur peinlich und sie wollten mit dieser Vermutung wenigstens nicht als Idioten dargestellt werden. Doch auch wenn die Polizei dies nicht erwähnt hatte, war auch über den Täter, wer immer es auch war, ein Wort zu verlieren: Entweder er hatte sich lange darauf vorbereitet, oder er war ein verkannter Profi. Was auch immer er war oder wie er sich vorbereitete, er hatte eine nahezu perfekte Arbeit geleistet, über die sogar ich meinen Hut ab nehmen musste.
In der Schule angekommen hätte ich Annika und Lea am liebsten gleich in meinen Kenntnisstand eingeweiht, doch der Gong und Frau Helger kamen mir leider zuvor Ich wollte Annika einen Brief schreiben, ließ es aber dann doch, da die ganze Klasse wusste, dass Briefchen an unserer Deutschlehrerin nur schwer vorbei zu schmuggeln waren. Ich drehte mich trotzdem kurz zu ihr um. Unsere Blicke trafen sich und ich konnte in ihr den gleichen Ausdruck im Gesicht erkennen wie bei mir. Auch sie hatte uns offensichtlich etwas mitzuteilen. Ich wollte die gerade vor die Tür winken, doch Annika kam mir wie so oft zuvor. Wir gingen vor die Tür und von dort aus hinter eine Glaswand, in der wir ungestört sein konnten, da die Klasse, die sich vor uns befand gerade eine Kassenarbeit schrieb. Annika wollte gerade anfangen zu berichten da fiel ich ihr ins Wort.
„ Leute, wir haben nur noch drei Minuten und deshalb schlage ich vor, dass wir uns heute in der Zentrale treffen und dort in aller Ruhe alles besprechen.“ „ Was habt ihr denn zu berichten?“, fragte Lea energisch. „ Hast du nicht zugehört? In der Zentrale!“, fuhr Annika sie an und verdrehte die Augen. Lea verzog darauf keine Miene sondern ging wieder zurück ins Klassenzimmer
Ich hatte das Gefühl, dass es hier etwas zu klären gab. Ich seufzte. „ Annika, musste das sein?“
„ Was denn?“, rief sie. Sie wollte sich umwenden um zurück zu gehen, aber ich hielt sie fest.
„ Annika, ich weis, dass du Lea nicht besonders gern hast, aber dann versuche sie doch einfach in Ruhe zu lassen.“ Ich sah wie Annika etwas Rot anlief. Und das passierte oftmals, wenn sie wütend war. „ Auf welcher Seite stehst du eigentlich?“, rief sie etwas lauter und jetzt war ihre Wut deutlich zu hören. Um sie etwas zu beruhigen sagte ich: „ Ich stehe auf der richtigen Seite. Nämlich auf beiden Seiten.“ Der Gong ertönte. Willkommen für mich, dachte Annika und ehe sie mir eine Antwort gab, machte sie auf dem Absatz kehrt, immer noch wütend rot im Gesicht. Ich sah, dass unsere Englisch- Lehrerin Frau Satte, eine hochgewachsene Frau um die vierzig, die Treppe hochkam und ich hielt es für besser wieder ins Klassenzimmer zu gehen. Die Schule verging viel zu langsam. Trotz des Streits mit Annika, der in dieser Form fast nie vorkam, freute ich mich auf das Treffen in der Zentrale.
Als die Schule dann doch endlich vorbei war und wir alle vom Unterricht erlöst wurden, machte ich mich so schnell wie möglich auf zum Bahnhof und bekam zum Glück noch den früheren Zug nach Wiesloch. Als ich zu Hause ankam, war noch niemand da. Das lag daran, dass meine Mutter Auslandskorrespondentin war und daher viel reiste. Meine Schwester war noch in der Schule und musste laut Stundenplan noch zehn Minuten Mathe büffeln. Ich versuchte Hausaufgaben und das ganze Zeug so schnell wie möglich hinter mich zu bringen um wiederrum so schnell wie möglich in der Zentrale zu sein.
Ich fuhr wieder mit der schnellsten Verbindung nach Mannheim, jedoch mit einer Viertelstunde Verspätung. Ich rannte so schnell wie möglich in die Zentrale. Annika und Lea waren bereits da. Als ich hereinkam saßen die beiden brav auf dem Sofa und lasen in irgendwelchen Klatschzeitschriften. Ich wunderte mich zwar über ihr stilles Verhalten, war zugleich aber auch froh, dass sich die beiden einmal nicht in den Haaren hatten. Die beiden sahen fast gleichzeitig auf als ich hereinkam.
„ Ganz schön spät.“, bemerkten es die beiden wie aus einem Munde. „ Habt ihr euch einen Empfang ausgedacht?“, ich musste etwas lachen. „ Ne“, kam es wieder wie aus einem Munde. Ok.?“ Jetzt musste ich erst recht schmunzeln. Ich setzte in der Küche Tee auf. Als ich wieder zurückkam, waren die beiden immer noch am lesen. Ich servierte den Tee. „ Ey Leute, wir sind nicht zum Klatschlesen zusammengekommen. Die beiden legten ihre Hefte weg. „ Übrigens habe ich mich bei Lea entschuldigt.“, sagte Annika etwas verlegen. „ Wir haben uns auch gegenseitig ausgesprochen.“, warf Lea ein. Ich sah die beiden aus einer Mischung aus Ungläubigkeit, Erleichterung und zugleich Stolz an. Dass sich die beiden versöhnen würden, hatte ich erwartet. Dass dieser Vorgang aber so schnell voran ginge, hätte ich vor allem von Annika nicht erwartet. „ ich finde darauf sollten wir anstoßen!“, rief ich voll Optimismus. Annika stand auf legte die neue Ausgabe des Mannheimer Morgen auf den Tisch. Sie schlug Seite 3 auf.
„ Lest euch das mal durch!“, sagte sie. Doch ich wusste sofort, dass es sich nur um den Artikel handeln konnte, von dem mir auch Marcel erzählt hatte. Darin stand:
Ist MRSM noch sicher?
Die Polizei tappt im Fall des MRSM noch immer im Dunkeln. Nachdem der bislang völlig unbekannte Täter vor 14 Tagen den Weihnachtsbaum der Schule angezündet hatte, hielt man es lediglich für das Werk eines Trittbrettfahrers. Nachdem auch in der letzten Woche (sowie die Polizei felsenfest weis) derselbe Täter das WC der Schule in die Luft sprengte, ist die Polizei davon überzeugt, dass diesmal kein Trittbrettfahrer am Werk war. Motive sowie weiteres in diesem Fall ist noch unklar. Aufgrund jedoch von Druck aus dem Stadtrat und der Schule wird wohl in kürze mit ersten Erkenntnissen zu rechnen sein. Doch bis dahin halten alle den Atem an.
„ Das haut mich um.“, mehr viel mir bei diesem Artikel nicht ein. „ Ich habe Marcel heute Vormittag in der Stadt getroffen. Er hat mir von diesem Artikel berichtet, allerdings in stark verkürzter Form. Aber das es so gravierend ist….mhm.“
„ Ich muss auch zugeben, dass ich etwas blass geworden bin, als ich diesen Artikel gelesen habe.“, gestand Annika
„ Jetzt mal ehrlich: Glaubt ihr daran, dass die Polizei bald was hat, womit sie auftreten könnte?“, fragte Lea in die Runde. Doch wir mussten alle feststellen, dass dem garantiert nicht so sein würde.
„ Ein solcher Artikel ist übrigens nicht der erste, den ich gesehen habe.“, warf Lea ein.
„ Wieso?“, fragte Annika
„ Ich habe heute noch einmal in alle Zeitungen geschaut und ich muss zugeben, dass ein Artikel schlimmer kling, als der andere.“ Draußen war die Sonne schon fast untergegangen und man konnte deutlich sehen, dass es schneite. Ich machte unser Solar betriebenes Licht und setzte mich wieder. „Tja“, sagte ich und lehnte mich auf dem Sofa zurück. „ Dann wollen wir mal abstimmen: wer ist dafür, dass wir diesen Fall übernehmen, Hand hoch.“
Nun stimmten wir also ab. Und wie zu erwarten, waren alle Hände oben. Damit war es entschieden. Die Detektei „ The three Detectives“ hatte nun ihren ersten Fall, der ihr gesamtes Können mächtig auf die Probe stellte. „ Gut.“, stellte ich fest.
„ So. Jetzt sollten wir sammeln, was wir alles brauchen!“, beschloss Annika.
„ Genau. Daher sollten wir mit dem wichtigsten anfangen. Zunächst brauchen wir ein Archiv oder irgendetwas, worin wir unsere Akten und Berichte aufbewahren können.
„ Gut, das übernehme ich.“, rief Annika
„ Wieso?“, wandte Lea ein. „ Ich bin doch hier für Recherchen und Archiv zuständig.“
„ Schon. Aber er hat schon einiges miterlebt. Er ist ein bisschen empfindlich und sie ist die einzige, die ihn kennt wie ihre Hosentasche.“, stellte ich klar.
„ Genau.“, stimmte Annika zu und machte sich zugleich ans Werk.
„ Als nächstes sollten wir uns an die Beweissuche machen. Wir brauchen mehr Infos über diesen Fall.“
Und wie willst du da vorgehen?“, fragte Annika ganz in ihr Arbeit versunken. Und in ihrer Stimme war Skepsis.
„ Bei der Polizei anfragen.“, erwiderte ich gelassen.
„Und wie willst du das machen?“, fragte Lea sehr zweifelnd. „ Willst du sagen: Hallo ich bin der Dominik und ich möchte gerne etwas mehr über den Fall MRSM wissen. Die werden dir so schnell keine Infos geben. Oder hast du irgendeinen Staatsanwalt, bei dem du noch was gut hast.“
Ich grinste nur. „ Das nicht. Aber ich habe einen Freund bei der Polizei, der kann mir vielleicht helfen.“ Lea zuckte nur mit den Schultern, nahm ihr Magazin zur Hand und las weiter.
„ Lea ich glaube ich habe eine Aufgabe für dich.“
Sie nahm ihr Heft herunter. „ Und die wäre?“
„ Du kannst dich nach Möglichkeit heute noch schlau machen was unseren Fall betrifft.“
„ Nach was soll ich denn da suchen. Nach noch mehr Schauerartikeln?“
„ Nein.“, erwiderte ich. Und ich musste zugeben, dass ich selbst keine Ahnung hatte nach was eigentlich gesucht werden sollte. „ Suche einfach nach…...Hinweisen…in der Geschichte der Schule, die mit diesem Vorfall in Zusammenhang gebracht werden könnten.“
„ Ich kann allerdings nicht garantieren, dass ich heute noch dazu kommen werde.“, sagte Lea entschuldigend.
„ Wieso?“, fragte ich.
„ Ich bin heut noch beim Zahnarzt.“, sagte sie, als ob ihr diese Tatsache ziemlich unangenehm sein würde.
„ Eine all- round- Untersuchung?“, erkundigte sich Annika, die sich wieder ihrer Arbeit widmete.
„ Ja, leider.“
„ Wieso leider? Hast du Angst vorm Zahnarzt?“
„ Ne. Der braucht aber für seine Untersuchungen sowas von viel Zeit, da war sogar ne Schnecke schneller, als der!“
„Ist er wenigstens gründlich?“, fragte ich.
„ Meistens. Manchmal ist er sogar so gründlich, dass es mich fast schon aufregt. Auch wenn ich nur fünfmal im Jahr bei ihm bin, reichen mir die fünf Male. Ich hab sogar letztens damit angefangen ne Stoppuhr mitzunehmen um die Zeit zu messen.“
„Und?“, fragte Annika.
„ Sein Rekord bisher liegt bei 2 Stunden 54 Minuten und 59 Sekunden.“
Annika und mir blieb vor staunen der Mund offen stehen.
„ Und bei was?“, fragte ich schmunzelnd.
„ Das willst du gar nicht wissen.“, wehrte Lea ab.
„ Leute!“, rief Annika jubelnd. Wir eilten zu ihr.
Sie lehnte sich zufrieden auf dem Sessel aus. Annika hatte ein weiteres Benutzerkonto eingerichtet. Sie gab das Passwort: „The three D“ ein. Auf diesem Benutzerkonto war so ziemlich alles zu finden, was ein perfekt ausgestatteter Detektivcomputer brauchte. Vom Internet bis hin zu einem Programm, mit dem man Fingerabdrücke mit einander vergleichen konnte und einem Phantombild- Erstellerprogramm, das auf dem aktuellsten Stand war, war alles vorhanden. Auf Annikas Gesicht hatte sich ein breites Grinsen ausgebreitet. Lea war bereits damit beschäftigt, die Dateien und Programme zu durchforsten.
„ Gute Arbeit!“, sagte ich zu Annika und klopfte ihr anerkennend auf die Schulter.
„ Ich weis.“, sagte sie und lächelte mich an. Es war ein bezauberndes Lächeln. Das typische Annika- Lächeln, dass ich schon lange von ihr kannte. Und es war eines von vielen Details in ihr, die ich sehr mochte. Besonders dieses Lächeln.
Nach der schnellen Entscheidung in der Zentrale mussten wir alle nach Hause. Ich musste mich noch auf den morgigen Tag vorbereiten, Annika musste nach ihrem Hund Rena sehen und Lea musste zum Zahnarzt. Dieser lag mitten im Herzen von Schwetzingen. Leas Schwester war auch mitgekommen, weil die Mutter sie auch bei ihm angemeldet hatte. Die Praxis lag unscheinbar in einem großen Fachwerkhaus.
Die Sonne neigte sich dem Horizont zu und es begann heftig zu schneien. Schließlich standen die drei vor der schweren hölzernen Eingangstür. Lea sah noch einmal auf das gläserne Schild:
DR. Ludwig Gans
Fachzahnarzt mit Biss
Darunter waren die Öffnungszeiten Und ein Gebiss. Im Großen und Ganzen hatte man sich bei dem Schild keine große Mühe gegeben. Und ebenso solide und einfallslos war auch die Praxis. Das fing schon bei den Tresen an. Eine wortkarge, von Pickeln übersäte schwarzhaarige Vorzimmerdame führte sie schnurstracks ins absolut kahle und ungemütliche Wartezimmer. Lea und ihre Mutter ließen sich auf die steinharten Bänke nieder. Das Zimmer scheint irgendeinen bösen Fluch auf sich zu haben, dachte sich Lea immer wieder, wenn sie hier her kamen, denn die Zeit kam einem hier wie eine Ewigkeit vor. Fast wäre Lea eingenickt, als aus den uralten und schwachen Lautsprechern eine Stimme drang. „ Lea Utzinger in Zimmer drei bitte!“ Und ehe Lea sich versah befand sie sich schon in Zimmer drei. Der Raum, in dem sie sich mit ihrer Mutter befand war, im Gegensatz zum Wartezimmer ein wahrer Palast. Sie hatte es sich gerade auf der hölzernen Liege bequem gemacht, als die Tür aufging. „ Ah. Guten Abend Frau Utzinger und auch dir guten Abend Lea!“, dröhnte er mit einer leichten Verbeugung.
Dr. Gans hatte einen ziemlich massigen, braunen Vollbart und eine Glatze. Außerdem war er ziemlich füllig, was zur Folge hatte, dass man seine leichte Verbeugung überhaupt nicht so ganz mitbekam. Dann begann die Behandlung und diese war die längste Zeit ihres Lebens. Während der Arzt unermüdlich damit beschäftig war, Leas Mund in eine Baustelle zu verwandeln, hatte sich Leas Mutter in eine wahrhaftige Quasselstrippe verwandelt. Leas Schwester, die neben ihrer Mutter saß, schwieg einfach nur und warf Lea ansonsten nur bemitleidende Blicke zu. Und Lea selbst langweilte sich einfach nur. Zwar hatte er genug damit zu tun Lea ein World Trade Center in den Mund zu hämmern, war aber trotzdem auf das laufende Gequassel ihrer Mutter eingestiegen. Und genau das war der Grund, weshalb sich die Besuche bei Dr. Gans sich immer so fürchterlich in die Länge zogen. Dann endlich:
Obwohl der Arzt lediglich ein paar Kontrollen durchgeführt hatte, hatte der Besuch 2 Stunden gedauert, doch Lea waren sie wie eine Ewigkeit vorgekommen. Draußen war es bereits stockdunkel geworden und man konnte im faden Licht der Straßenlaternen sehen, dass es geschneit hatte und immer noch heftigst schneite. Dann war noch Händeschütteln an der Reihe: Noch eine halbe Stunde verloren. Erst als Leas Schwester darauf drängte, endlich nach Hause zu fahren, gab die Mutter nach. Als sie sich nun endlich verabschiedet und zur Tür hinaus traten, wurden sie von einer Lawine fast begraben, die vom Dach herunter kam. Erst jetzt merkten sie, dass sie nur mit heftigsten Mühen zu ihrem Auto kamen. Zu allem Überfluss hatte Lea nur sehr dünne Winterstiefel an, was dazu führte, dass ihre Füße total nass waren. Als sie am Auto angekommen waren und gerade einsteigen wollten, sah Lea, dass auf den Rücksitzen ein riesiger Weihnachtsbaum lag, der bis auf den Fahrersitz alles unter sich begraben hatte. Lea und ihre Schwester legten die Stirn in Falten. „ Und wo soll da noch Platz für uns sein?“, erkundigte sich die Schwester bei der Mutter, die offenbar Schwierigkeiten mit dem Baum hatte, als sie ihre Tasche ablegen wollte. Obwohl ihre Mutter im Versicherungswesen arbeitete, war es insbesondere in der Weihnachtszeit gerne so, dass ihre Mutter nicht sehr weit dachte. Diese hatte es sich gerade bequem gemacht, als sie auf ihre Uhr sah und erschrocken rief: „ Tut mir leid Kinder, ich muss noch zu einem Meeting.“ Als sie schließlich auch nach hinten sah und feststellen musste, dass es da hinten keinen Platz mehr gab, griff sie in ihre Hosentasche und holte einen 50 Euro Schein hervor, und drückte ihn Lea in die Hand. „ Hier.“, sagte sie in Eile. „ Fahrt damit nach Hause und macht euch von mir aus einen schönen Abend.“ Und ehe die Beiden etwas darauf erwidern konnten, hatte sie die Tür zugemacht, und raste bereits die eisige Straße hinunter. Lea und ihre ältere Schwester standen noch mit offenen Mündern auf dem Bürgersteig. Die Schwester nahm Lea den Geldschein ab und grinste. „ Gut. Dann machen wir uns noch einen schönen Abend.“ „ Gut“, erwiderte Lea und die beiden setzten sich in Bewegung. Mittlerweile war es stockdunkel geworden, und es schneite noch mehr als zuvor. Dabei waren die Straßenlaternen in dem Schneegewühl keine große Hilfe. Zwar schwiegen beide auf den ersten hundert Metern zum Bahnhof, doch man konnte spüren, dass einer der beiden etwas sagen wollte. Und schließlich brach die Schwester das Schweigen. „ Also als du dich vor einer Woche vor dem Arzttermin gegruselt hast, hielt ich das noch für übertrieben. Aber nach dem Termin heute verstehe ich dich Maßlos.“, sagte sie mit einem tröstenden Unterton. „ Warts ab. In ein paar Wochen bist du selbst unter seiner Baustelle.“, erwiderte Lea. „Und glaub mir: dann geht’s dir richtig schlecht.“
„ Aber ich wusste gar nicht, dass Mama so eine Plaudertasche sein kann.“
„Denkst du ich?“, erwiderte Lea.
Die beiden bogen in eine Straße ein, in der man auch schon die Lichter des Bahnhofs sehen konnte. Die Schwester zog noch einmal den zerknitterten 50- Euroschein hervor und grinste. „ Setzen wir uns noch in ein Kaffee?“, fragte sie. „ Nein.“, antwortete Lea. „ Ich muss noch mal kurz weg.“ „ Um diese Zeit?“, fragte die Schwester überrascht nach. „ Sonst bist du doch auch nicht der Mensch für Nachtausflüge.“, hagte sie nach. „ ich habe noch eine Verabredung.“ Die Schwester nickte nur. „ Gut. Dann mach ich mir einen schönen Abend.“ Offensichtlich schien es Leas Schwester zu gefallen, dass sie den Schein für sich ausgeben konnte. Der Bahnhof vor ihnen wurde immer größer. Und obwohl man sehen konnte, dass der Schnee immer weniger wurde, schien es so, als würde das Schneegewühl nur größer werden. Jetzt waren sie endgültig auf dem Bahnhofsvorplatz angekommen. Und wie zu erwarten, war der Platz geradezu gespenstisch leer. Hier würden sich nun die Wege der beiden trennen. Und so kam es dann auch. „ Bleib aber nicht zu lange da, wo du auch immer hin willst!“, ermahnte Leas Schwester sie noch einmal. „ Du aber auch nicht!“, erwiderte Lea und die beiden setzten sich in Bewegung. Als einen Blick auf die Uhr warf, stellte sie entsetzt fest, dass es bereits 17.30 Uhr war. Und um 17.30 kam auch der Zug. Und nun kam das Sahnehäupchen: Als sie aufblickte und zum Gleis 2 hinübersah, fuhr der Zug gerade ein. In der nächsten Sekunde sprintete Lea in Richtung Bahnhof, am Haus vorbei, die Unterführung hinunter, die Treppe wieder rauf. Zwar stellte sie zu ihrer Erleichterung fest, dass der Zug noch stand, als aber ein Pfeifsignal ertönte und sich die Türen mit einem lauten regelmäßigen Piepton zu schließen begannen, erlosch dieser Optimismus gleich wieder. Sie wollte wieder rennen, aber ihre Beine wollten nicht mehr. Sie war völlig außer Atem. Sie schloss für einen kurzen Moment die Augen, als ihr schwindlig wurde.
Sie wusste nicht wie sie in den Zug kam, erst recht wusste sie nicht wodurch. Doch auch wenn sie es nicht wusste, die Tatsache, dass sie es doch noch schaffte, verblüffte sie etwas. Und kaum eine Sekunde, bevor sie groß darüber nachdenken konnte, hatten sich die Türen schon wieder geschlossen. Und der Zug fuhr durch den kalten, nebligen Abend. Und auch die Tatsache, dass der Zug sehr leer war, überraschte Lea kein bisschen. Sie ließ sich müde auf einem der Bänke nieder. Und irgendwann fielen ihr schließlich auch die Augen zu.
„ Hallo aufwachen!“, sie registrierte es noch nicht sofort. Sie war es nicht gewohnt zu Hause aufgeweckt zu werden. Die Hand auf ihrer Schulter rüttelte immer noch. „ Aufwachen!“, dröhnte die fremde Stimme schwach zu ihr. „ Endstation!“
Wieso Endstation? Sie befand sich doch zu Hause, oder?
Sie hatte aber keine Lust jetzt aufzuwachen!
Also schüttelte sich, um die Hand, die immer noch an ihrer Schulter rüttelte, abzuwehren. Die Hand war sofort weg. Nun begann sich ungewollt Leas Gehirn wieder hoch zu fahren. Und jetzt dämmerte es ihr. Sie war mit dem Zug zurück nach Mannheim gefahren, nachdem sie sich von ihrer Schwester getrennt hatte. Jetzt lachte jemand… und schlagartig fiel es ihr wieder ein: Sie war nicht zu Hause. Sie war im Zug in Mannheim.
Von einer Sekunde auf die nächste war Lea hellwach. Der Zug war hell erleuchtet und außer ihr und zwei Männern, die wie ein Zugführer und ein Schaffner aussahen, war niemand mehr im Zug. Draußen war es stockdunkel. Die beiden sahen sie lachend an. Plötzlich spürte Lea wie sie rot wurde und innerhalb von wenigen Sekunden war sie an der eiskalten Luft. So schnell es ging, lief sie ins Bahnhofsgebäude, in dem es einigermaßen warm war. Sie schaute auf die Uhr. 20 nach sieben. Normalerweise wäre sie um diese Zeit längst zu Hause. Aber das war jetzt egal. Sie hatte eine Aufgabe hier zu erfüllen und sie wollte schon gleich bei ihrem ersten Auftrag in der Detektei nicht gleich in einen schlechten Ruf geraten. Es war immerhin für sie schon schwer genug gewesen überhaupt in die Detektei zu kommen. Also machte sie sich gleich auf den Weg. Sie fuhr mit der Linie 4, die zu ihrem Erstaunen ziemlich voll war. Allein schon die Tatsache, dass sie etwa 5 Minuten brauchte um sich zur Tür zu drängen war schon Nervenaufreibend. Dann hätte sie deswegen fast die Haltestelle verpasst. Als sie dann endlich im freien stand, fing es gerade an zu schneien und es war noch kälter geworden.
„Jetzt aber schnell“, sagte sie zu sich selbst. Dann lief sie los und kam irgendwann in der Seitenstraße an, in dem das Haus stand. Hier war der Weg wenigstens einigermaßen gut beleuchtet und in einigen Häusern brannte Licht. Doch ungefähr fünfzig Meter weiter war bis auf ein paar Laternen, die aber nur schwach leuchteten gar kein Licht mehr. Es war der fast völlig unbewohnte Teil der Straße.
Und jetzt stand sie direkt davor. Vor dieser Dunkelheit, vor diesem schwarzen Loch, das sie, wenn sie hineingehen würde, verschlucken würde! Was würde sie auf der anderen Seite wohl erwarten? Ebenfalls Dunkelheit? Oder etwas anderes?!
Nein! , dachte sie, so schlimm kann das doch nicht sein. Außerdem ist die Zentrale überhaupt nicht weit von hier entfernt! Im Höchstfall fünf Minuten. Als Lea dies dachte wurde ihr sehr mulmig zumute und ihr lief ein mächtiger Schauer über den Rücken. Da stand sie nun. Am liebsten wäre sie sofort umgekehrt, aber dann fiel ihr der Auftrag wieder ein. Sie wollte sich nicht ausmalen was passieren würde, wenn sie morgen ohne Material dastand. Nein, Nein und nochmals Nein. So weit sollte es nicht kommen. Ihr Herz pochte wie verrückt und innerhalb von Sekunden war sie in Schweiß gebadet. Doch das half nichts. Also nahm sie all ihren Mut zusammen, atmete noch einmal tief durch und verschwand dann in der Dunkelheit.
Und bald darauf musste sie feststellen, dass es gar nicht so schlimm war, wie sie es sich ausgemalt hatte. Es war zwar extrem dunkel, aber wenn sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte man sich gerade mal so zurechtfinden. Leas Angst war damit aber noch lange nicht besiegt. Im Gegenteil. Sie wuchs sogar noch ein bisschen. Lea erinnerte sich an Filme oder an die ZDF-Serie „Aktenzeichen XY ungelöst“, in denen ebenfalls Mädchen oder Frauen durch die Straßen gingen, und urplötzlich kam von hinten jemand, warf sein Opfer zu Boden und…machte das, was er halt tat. Lea selbst hatte zwar noch nie die Angst, dass ihr so etwas passieren könnte, jedoch im Falle eines Falles war sie weitgehend gut vorbereitet. Das lag an ihrem Vater. Dieser leitete mit großem Erfolg eine eigene Security Firma und war dementsprechend auch ein absoluter Sicherheitsfreak. Somit war seine Tochter mit „Mit dem Nötigsten“, wie er immer sagte, versorgt. Dieses „Nötigste“ bestand aus:
- Einer großen Flasche Pfefferspray
- Einem Elektroschocker
- Einem runden Ding, dass per Knopfdruck einen 5 Minuten lang anhaltenden unerträglichen Ton ausstieß
- Und für den absoluten Notfall eine Softairpistole, die aber überhaupt nicht stark war
Plötzlich schreckte sie aus ihren Gedanken auf. Außer ihren Schritten hörte sie weitere Schritte. Schritte, die näher kamen. Sie drehte sich sofort um. Sie blickte sich beinahe panisch um, sah zunächst niemanden. Doch dann erkannte sie im flackernden Licht einer Straßenlaterne die Silluhette eines Mannes, der sehr zerlumpt aussah. Ein Obdachloser, dachte Lea und ging weiter. Der Mann ebenfalls. Sie waren bereits zwei Straßen weiter abgebogen und so langsam, hatte Lea den Eindruck, dass er nicht von ihren Fersen wich. Lea lief etwas zügiger, der Mann tat es ihr gleich. Sie lief noch schneller, der Mann auch. Jetzt drehte sie sich ganz zu ihm um. Er war etwa fünfzehn Meter hinter ihr. Auch der Mann hob den faltigen, zerzausten Kopf. Ihre Blicke trafen sich. Der Mann machte einen Satz nach vorne. Und Lea rannte los!
Der Mann rannte ebenfalls los. Und zu ihrem Entsetzen holte er rasend schnell auf. Doch schneller konnte sie nicht! Noch schlimmer, sie hatte das Gefühl, dass sie langsamer wurde. Und sie spürte wie ihre Kräfte nachließen. Da sie spürte plötzlich eine starke Hand auf ihrer Schulter! Schock! Und das Horrorszenarium begann…
Sie versuchte ihre Beine, die ihr nicht mehr gehorchen wollten zu bewegen, aber das gelang ihr nicht mehr. Der Mann jedoch hatte sie an der Schulter gepackt und riss sie zu Boden. Der Mann warf sich auf sie drauf. Sie wollte um Hilfe schreien, aber wer bitte sollte sie denn in dieser abgelegenen Gegend hören. Doch einen Versuch war es wert. Sie wollte schreien, doch der Mann hielt ihr bereits den Mund zu. Lea wollte die Hand wegdrücken, sich dagegen wehren, doch plötzlich spürte sie einen scharfen Gegenstand an ihrem Hals. Sie hielt inne. Sie würde gleich anfangen zu heulen, sie spürte es. Sie hatte einfach nur undefinierbare, panische Angst! „ Mach keine Mucks!“, zischte der Mann drohend. „ Ansonsten isch disch machen werden kalt!“ Es erinnerte sie irgendwie an französisch. Der Mann suchte ihre Taschen ab. Augenblicklich fuhr es Lea durch den Kopf: Er durfte ihre Waffen nicht finden. Sie suchte sofort nach dem runden Ding. Der Mann schien das nicht zu bemerken. Und er lockerte unbewusst seinen Griff. Das war ihre Chance! Und gerade als der Mann bemerkte, dass er Leas Hände nicht beachtet hatte und sie packen wollte, hatte Lea bereits gedrückt. Sofort sprang ein unausstehbarer Ton hervor. Der Mann wich sofort zurück. Sie nutzte diese Chance, warf ihn zurück und sprintete los. Und jetzt merkte sie erst recht, dass sie heulte. Doch stehen bleiben konnte sie nicht! Nicht jetzt! Sie hätte am liebsten um Hilfe gerufen, aber wer sollte ihr in diesem verlassenen Viertel helfen? Niemand! Also blieb ihr nur eine Wahl: Sie musste das Haus rechtzeitig erreichen. Plötzlich war sie über sich selbst schockiert. In all ihren Gedanken, hatte sie den Mann ganz außer acht gelassen. Und jetzt spürte sie wieder, dass er direkt hinter ihr war. An ihrem Gürtel waren sämtliche Waffen versteckt und auch der Piepton war verstummt. Sie nahm den Elektroschocker, drehte sich um und drückte ab. Der Schlag traf den Mann im Gesicht, als er gerade im Begriff war sich von neuem auf sein Opfer zu stürzen. Zu Leas Freude wurde er einige Meter zurückgetrieben und fiel zu Boden. Doch ehe sie sich darüber erfreuen konnte, kam ihr ein weiterer schockierender Gedanke: Wo war das Haus? Hatte sie es schon hinter sich gelassen? Oder war sie auf ihrer Flucht in die falsche Straße eingebogen? Oder Kam es noch? Sie hatte keine Ahnung wo sie war. Das einzige Beleuchtungsmittel hier war der Mond und dieser spendete nicht genug Licht um sich hier orientieren zu können. Und wieder hörte sie nahe Schritte. „ Ein zäher Bursche ist er, das muss man ihm lassen!“, sagte sie sich, als sie sich mit der Pistole umdrehte und siebenmal abdrückte. Und auch wenn sie keine Ahnung hatte, wo sie hin schoss, schienen alle sieben Treffer gewesen zu sein. Der Mann war gute 30 Meter zurückgedrängt worden. Und jetzt gaben ihre Beine nach und sie fiel. Die Kälte die hier draußen herrschte spürte sie schon nicht mehr. Sie war vor einem Haus, in dem eine Nummer ins Mauerwerk gebrannt war: 3. Und plötzlich erinnerte sie sich wieder. Ihr Haus hatte die Nummer 9. Neuer Optimismus stieg in ihr auf. Doch als sie sich aufrichten wollte, roch es nach abgestandenem Schweiß und der Mann stürzte sich wieder auf sie. Doch Lea hatte bereits ihre stärkste Waffe, das Pfefferspray in der Hand und sprühte ihm eine Ladung mitten ins Gesicht. Ihm entfuhr ein greller Schmerzensschrei und sie warf ihn zu Boden. Sie selbst sprintete weiter durch die Dunkelheit. Zu ihrem Entsetzen war der Mann wieder auf den Beinen. Beinahe wäre sie an Nummer 9 vorbeigerannt, doch sie erkannte das Tor im Mondlicht und rannte hinein. Und wieder hatte sie zwei Probleme am Hals. 1. War der Mann nur noch wenige Schritte entfernt und 2. Wusste sie nicht wo der Schlüssel war. Sie lief zur Haustür und suchte verzweifelt nach dem Schlüssel. Sie langte in eine Pflanze, spürte in ihrem Finger einen Schmerz, merkte, dass sie blutete und hatte schließlich den Schlüssel in der Hand. Der Mann war nur noch wenige Schritte entfernt. Sie lief zur Haustür und versuchte den Schlüssel hinein zu stecken. Doch sie war viel zu zittrig. Und nun kroch auch noch die Kälte in ihre Kleidung. Sie wollte sich nicht ausmalen, was passieren würde, wenn sie der Mann hier entdeckte, und sie wusste auch, dass sie die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Bitte Gott, hilf mir!, dachte Lea und plötzlich merkte sie wie der Schlüssel steckte. Sie drehte ihn um. Der Mann war fast da. Die Tür ging auf, sie schlüpfte hinein und in dem Moment, als der Mann das Haus völlig außer Atem erreicht hatte, viel die Tür hinter Lea ins Schloss. Und jetzt konnte Lea die Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie ließ sich auf den Boden sinken und heulte.
Mittlerweile hockte sie schon fünf Minuten auf dem kahlen, eiskalten Boden. Es war ein Fehler gewesen hierher zu kommen, oder? Nein! , sagte sie sich. Es war kein Fehler. Sie war aus einem guten Grund hierher gekommen. Plötzlich spürte sie etwas an ihrer Hose. Sie fuhr erschrocken hoch und langte sich an die Hose. An ihrer Hose krabbelte etwas und als sie hineinlangte kam ein Weberknecht zum Vorschein. Sie schrie auf und schüttelte ihn sich von der Hand. Sie griff noch einmal hinein um alle Spuren zu verwischen. Sie hatte schon ihr ganzes Leben lang eine Spinnenfobie gehabt. Sie fragte sich ob der Mann noch im Garten war und sie vielleicht gehört hatte? Aber dies war nun auch egal. Zur Sicherheit schloss sie die Haustür leise ab und machte sich dann auf dem Weg nach oben und setzte dort den bekannten Mechanismus in Gang. Sie trat ein und schloss die Tür. Was sollte sie nun tun falls der Mann noch im Garten war? Zunächst verriegelte sie die Tür. Dann schaute sie sich um. Bis auf den hellen Mondschein, der ins Zimmer kam, gab es keine Beleuchtung. Und um den PC in Gang zu bringen, brauchte sie schließlich Strom. Sie sah sich die Vorhänge an. Diese waren schwarz, dicht genug um kein Licht durchzulassen, dick und schwer. Sie zog alle Vorhänge zu, ging zum Sicherungskasten in der Küche und schaltete den Strom und die Lichter an. Innerhalb von 2 Sekunden war der ganze Raum hell erleuchtet. Sie machte sich Tee, schaltete PC und Fernseher ein. Als sie sah, dass es 10 Uhr war rief sie über ihr Handy zu Hause an.
„Hallo?“, meldete sich Leas Schwester.
„Hi. Ist Mama schon zurück?“
„Nein. Warum?“, fragte ihr gegenüber gähnend.
„ Sag ihr bitte, dass ich bei einer Freundin übernachte!“
Die Skepsis der Schwester war deutlich herauszuhören. „ Is was passiert Lea?“, frage sie beunruhigt. „ Nein. Erzähl ich dir morgen!“, erwiderte sie. „ Und was soll ich ihr erzälhn?“
„Keine Ahnung. Lass dir was einfallen! Wer ist denn hier der kreative Kopf?“ Die Schwester seufzte. „ Na gut mach ich.“, sagte sie verschlafen. Wow. Das das so einfach ist hätte ich nie für möglich gehalten, dachte Lea. „ Danke! Gute Nacht!“, rief sie in den Hörer. Auf der anderen Seite wurde aufgelegt. „Yes!“, rief Lea. Und sofort machte sie sich an die Arbeit.
Sie ging ins Internet und gab alles Mögliche ein was ihr einfiel. Das waren „Geschichte MRSM“, „MRSM“, „bedeutende Ereignisse „MRSM“ usw. Irgendwann gegen elf Uhr hatte es wieder heftig angefangen zu schneien. Lea dachte an den Mann, wie er wohl da draußen dastand. Sie wurde langsam müde und schaltete den PC ohne ein Ergebnis aus. Sie hatte bis jetzt nichts gefunden, was ihr weitergeholfen hätte. War das gut? Oder eher schlecht? Sie wusste es und schaltete den Fernseher ein. Als es halb zwölf war, arbeitete sie völlig übermüdet am Computer weiter. Sie wusste nicht, was sie eingab, sie wusste ebenfalls nicht was sie um etwa halb eins ausdruckte. Sie legte es auf den Couchtisch und machte sich völlig erschöpft Bettfertig. Um eins lag sie schließlich auf dem Sofa und schaute fern. Doch schon nach ein paar Minuten machte sie alle Lichter aus und schlief ein. Gegen halb drei Uhr morgens wachte sie noch einmal auf und plötzlich kam ihr ein Gedanke. Was stand überhaupt in dem Artikel, den sie vor Stunden ausgeduckt hatte.
Sie nahm den Artikel vom Couchtisch und las ihn im hellen Schein des Mondlichts, das reichlich ins Zimmer fiel. Und mit jeder Zeile, die sie las, wurde sie wacher. Als sie fertig war schaute sie auf. Mit diesem Artikel, mit diesem Dokument, mit diesem geschriebenen Inhalt trat aus Leas Sicht nun endlich die entscheidende Wendung ein!
Um etwa halb sieben Uhr früh wurde Lea von ihrem Handy geweckt. Doch sie wollte nicht aufstehen. Sie wollte abwarten, bis jemand kam um sie aus dem Bett zu werfen…doch dann fiel ihr wieder ein, dass sie sich hier in der Zentrale befand. Sie öffnete die Augen und tastete in der völligen Dunkelheit nach dem Handy. Dann fand sie es. Sie versuchte es in die Hand zu nehmen, fiel dann aber aus dem Bett. Das Telefon landete auf dem Boden. „ Mist!“, fluchte sie leise. Dann bekam sie das Handy zu fassen und drückte auf eine Taste. Der Klingelton verstummte sofort und das Display leuchtete auf. Es war nicht sehr hell, aber für Lea reichte es. Sie stand vom Boden auf stieß sich den Kopf am Couchtisch an und leuchtete den Weg zum Schaltkasten. Die Lichter gingen an. Sie schleppte sich ins Wohnzimmer. Diese Couch bringt einen ja um, dachte sie, denn ihr Rücken war steif und der ganze Körper tat weh. Außerdem war ihr Kopf schwer wie Blei, tat weh wie ihr ganzer Körper. Sie sah auf ihr Handy. 15 nach 7. Nun musste sie sich beeilen, wenn sie es noch rechtzeitig in die Schule schaffen wollte. Sie zog sich in Windeseile an. Immer noch schläfrig und mit einem schmerzenden Körper, ging sie in die Küche um sich wenigstens einen Café machen zu können. Als sie den Kühlschrank öffnete, traute sie ihren Augen nicht. Sie hatte im Kühlschrank ein Angebot erwartet, mit dem sie sich gerade mal satt essen konnte. Weit gefehlt. Der Schrank war gefüllt, als wäre hier ständig jemand, der auch ständig etwas zu essen brauchte. Sie griff sofort zu und wusste sie musste sich beeilen. Schließlich hatte sie nur noch eine halbe Stunde, bis die Schule anfing. Sie hatte sich schließlich Rührei, Toast und andere Leckereien gemacht. Und schläfrig war sie nicht mehr. Als sie fertig war packte sie ihre Tasche, verriegelte die Tür und Haus und stand schließlich draußen. Als sie die Tür hinter sich zuwarf machte es über ihr Rumms! Und in der nächsten Sekunde hatte sie eine Ladung Schnee über sich. Sie grub sich aus dem, Schneeberg heraus und merkte plötzlich dass sie bis auf die Haut nass war. Scheiße! dachte sie. Und zu allem Überfluss war hatte es hier draußen Minustemperaturen. Und ihre Jacke versagte ihr schließlich auch den Dienst. Den Weg zur Haltestelle fand sie schnell, dennoch war die Orientierung alles andere als einfach. Es hatte wieder heftigste angefangen zu schneien und es dauerte nicht lange, bis die ganze Straße zugeschneit war. Ihr fiel wieder der Mann von gestern ein. Doch sie konnte ihn nirgendwo entdecken. Doch der Schnee hatte auch seine Vorteile. Zum Beispiel diesen, dass sie ohne das Chaos, das mittlerweile auf den Straßen herrschte, die Straßenbahn gerade noch erwischte. Und sie war nicht die einzige, die durch dieses Chaos zu spät kam. Wir hatten in der ersten Stunde Deutsch und damit Frau Helger, die übertrieben großen Wert auf Pünktlichkeit legte. Und obwohl sie fast zehn Minuten zu spät war, meckerte sie viel darüber, dass alleine 6 Schüler zu spät kamen. Darunter auch Lea. Ich blickte sie kurz an. Unsere Blicke trafen sich und ich sah in ihren Augen Optimismus, woraus zu schließen war, dass sie auf etwas Interessantes gestoßen war. Ich warf einen Blick zu Annika, die sich entweder versuchte auf den Unterricht zu konzentrieren oder in Gedanken versunken war. Sie überlegte fieberhaft wie sie diesen Fall nennen sollte. Und da fiel ihr der richtige Titel ein: Späte Abrechnung. Der Titel passte einfach. Zumindest nach dem, was in dem Zeitungsartikel stand. Warum hatte sie ihn überhaupt ausgedruckt? Denn obwohl er genau das war, was sie die ganze Zeit über gesucht hatte, fragte sie sich ob es wohl ein Zufall war oder ob sie im Dämmerzustand doch noch das richtige gefunden hatte. Wie dem auch sei. Sie musste mir und Annika auf schnellstem Wege eine Nachricht zukommen lassen. Doch sie wusste auch, dass an der Deutschleherin nur schwer Briefe vorbei zu schmuggeln waren. Doch sie war geübt darin. Von ungefähr 10 Malen hatte sie es 3 Mal geschafft. Schon klar, es war nicht gerade oft, aber immerhin besser als gar nichts. Andererseits wusste sie nicht was passieren würde wenn die Deutschlehrerin sie beim Briefchen schreiben erwischen würde. Wahrscheinlich würde sie zu Hause anrufen und das brauchte Lea nicht, denn sie hatte zu Hause schon genug Probleme. Aber trotzdem wollte sie es riskieren. Vielleicht würde ihr Trick funktionieren, wenn sie sich ganz ruhig verhielt. Also nahm sie ein Blatt aus ihrem Ranzen. Sie hielt inne. Wenn sie auffliegen sollte, wäre es sehr ungeschickt, wenn sie die ganze Sache ausplaudern müsste. Also schrieb sie lediglich Wortfetzen auf das Stück Papier: 12.30 Uhr, Park, Informationen! Das müsste reichen! Und gerade als sie das Papier in Umlauf bringen wollte, brüllte plötzlich jemand durch das Zimmer und eine Hand schlug aufs Pult. „ Le a!“, brüllte Frau Hell durch den Saal. Es herrschte augenblicklich Stille. Und Lea, die gerade im Begriff war sich umzudrehen dachte nur, na bravo! Jetzt bin ich schon wieder aufgeflogen! „ Zeig mal Lea was du da unter der Bank machst.“, sagte die Lehrerin mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Das Umkippen von Schreien zu Ruhig war einer ihrer Stärken. Trotzdem versuchte Lea es nicht zu intensivieren. „Is nicht so wichtig.“, brachte sie leise hervor. „ Doch. Doch Lea. Gib mir das, worauf du dich während meines Unterrichts konzentriert hast.“ Jetzt konnte sie es nicht mehr vermeiden und sie gab das Zettelchen nach vorne. Als die Lehrerin die drei Worte las, zog sie begriffsstutzig die Augenbrauen hoch. „ Aha. 12.30 Uhr, im Park, Informationen!“ Frau Hell war ratlos, doch Annika und ich wussten genau was diese Botschaft zu bedeuten hatte. Den Rest dieses für Lea peinlichen Aktes wollen wir uns alle lieber ersparen.
Und um punkt 12.30 Uhr erwartete Lea uns auch schon auf einer Parkbank. Annika und ich fanden sie dort nach langem Suchen. „ Ach da bist du!“, rief Annika leicht verärgert. „Wir haben dich schon überall gesucht“, auch ich konnte meine Verärgerung nicht verbergen. „ War die ganze Zeit hier.“, erwiderte sie. Wir setzten uns zwischen sie. „Na dann zeig was du rausgefunden hast.“ Ich war so langsam neugierig geworden. Lea gab mir ein Papier, das in einer Klarsichtfolie eingepackt war. Als einen Blick auf das Datum warf, war ich etwas verblüfft. „ 18 Dezember 1933? Stimmt das Datum?“ Lea grinste nur. Ich begann zu lesen.
Spektakulärer Bankraub
Am Abend des 18.12.33 gegen 21.36 Uhr stürmten drei maskierte Männer das Bankgebäude M6 in Mannheim. Laut bisherigem Ermittlungsstand bedrohten die drei Männer die zwei einzigen Angestellten, die sich zum Tatzeitpunkt noch im Dienst befanden mit Pistolen und zwangen sie dazu den Tresor zu öffnen. Anschließend flüchteten sie sie mit rund 356.0000 Mark. Die sofort eingetroffene Polizei konnte die Täter noch verfolgen, verlor aus bisher ungeklärter Ursache jedoch die Spur. Es wird darüber gemunkelt, dass die Räuber über eine Art geheimen Tunnel entkommen sind, der an das Bankgebäude grenzte. Weitere Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen, nimmt jede Polizeidienststelle in Mannheim entgegen. Die Belohnung beträt 15.000 Mark.
„Ok.“ Mehr fiel mir zu diesem Artikel definitiv nicht ein. Ich gab ihn Annika. „ Und was hat das mit diesem Fall zu tun?“, erkundigte sich Annika.
„ Ich hab mir in ETG ein bisschen den Grundriss der Bank angesehen. Und dabei fällt eines sofort auf.“ „Und das wäre?“, fragte ich. „Ganz einfach. Die Schule liegt direkt auf dem ehemaligen Grundstück der Bank. Und außerdem habe ich herausgefunden, dass man die Täter am Ende gefasst hat. Und die haben alle gesagt, dass sie nicht mehr dazu kamen die Beute aufzuteilen. Die Wohnungen wurden auch durchsucht. Nichts. Doch wo die 356.0000 Mark versteckt waren, wollten sie aus welchen Gründen auch immer auch nicht sagen.“
Annika, die über dem Artikel aufsah fiel auch nur eines dazu ein: „Gut gemacht Lea. Wirklich. Aber ich glaube wenn du dich in der Schule auch so rann halten würdest wie jetzt, dann wären deine Noten besser.“ Das hat zwar gesessen, aber sie hatte hier auch irgendwie recht. Lea wurde rot.
Doch um davon abzulenken wollte sie noch mit etwas anderem glänzen. „Wollt ihr eigentlich wissen wie ich unseren Fall genannt habe?“ Wir schauten Lea nur fragend an. „Späte Abrechnung.“, verkündete sie grinsend, als hätte sie gerade die Lösung für den Bau einer perfekten Solarzelle gehabt. Doch bei diesem Namen tauchten weitere Fragezeichen in meinem Kopf auf. „Wie kommst du eigentlich auf diesen Namen?“ „Ja stimmt!“, auch Annika hatte Interesse mehr darüber zu erfahren.“ Doch Lea hatte die Antwort parat, als hätte sie mit dieser Frage felsenfest gerechnet. Und bei ihrer Vorbereitung überraschte mich das auch nicht. „ Auch das ist ganz einfach. Die Täter kamen ja nicht mehr dazu die Beute aufzuteilen und wo sie versteckt wurde haben sie ja auch nicht gesagt. Und außerdem haben alle Nachkommen. Einer ist tot, der andere im Pflegeheim und der letzte lebt sogar noch hier in Mannheim. Und wenn es nicht noch mehr Nachkommen gibt ist es ja möglich, dass er heute auf die Millionen Zugriff haben will. Und vielleicht ist dieser sogar dafür bereit unseren Baum anzuzünden und unser WC in die Luft zu sprengen.“ Doch auch Annika war noch etwas unklar: „Und warum gerade jetzt? Der Überfall ist fast 80 Jahre her, also warum gerade heute. Wieso hat er das nicht vor unserer Zeit gemacht?“ Doch darauf wusste niemand eine Antwort. Niemand außer dem Verantwortlichen. „ Und was ist mit dem Tunnel?“, brachte ich mit ein. Doch Lea war in diesem Fall eisern. „Alles eine Frage der Ermittlungsarbeit.“, sagte sie langsam. Anscheinend war sie über sich selbst verwundert. Was man zu Annika und mir auch nicht anders sagen konnte. Niemand hätte es wahrscheinlich für möglich gehalten, dass Lea so zielstrebig sein konnte. Schließlich wollte ich noch einmal Gewissheit, wie meine Kollegen zu dem Fall standen. „Also. Zwei Möglichkeiten: Die erste, wir könnten diesen Fall nun der Polizei überlassen oder aber wir ermitteln auf eigene Faust weiter.“
Und plötzlich sprachen Annika und Lea wie aus einem Munde: „ Natürlich das zweite. Jetzt geht’s doch erst richtig los.“ Wir waren einstimmig. Und als die beiden ausgesprochen hatten, fiel mir auf, dass sie sich ein verstecktes Lächeln zuwarfen. Dazu fielen mir nur zwei Wörter ein: Geht doch!
„Oh Mann, so eine Scheiße!“ Wir hatten die siebte Stunde Englisch und die Lehrerin teilte gerade die Arbeiten aus, was der ganzen Klasse sehr missfiel. Der unlustige Satz kam von Lea. Bei ihr war die die Arbeit nicht sehr gut ausgefallen. Sie war einfach nur unzufrieden, was man zu mir und Annika nicht sagen konnte. Ich drehte mich zu ihr um. „Was hastn? “ Lea, die ihren Kopf auf den Tisch gelegt hatte, schaute auf. Ihre Augen waren etwas verquollen. Sie sah mich nur aus einer Mischung aus Traurigkeit, Wut und Hoffnungslosigkeit an. Und ich wusste, was sie mir mit diesem Blick sagen wollte. Ich drehte mich wieder um und Leas Kopf fiel wieder auf den Tisch. Die Lehrerin schrieb den Durchschnitt an die Tafel. Die ganze Klasse traute ihren Augen nicht. 4,3 war der Durchschnitt. Ein ernüchterndes Ergebnis. Doch auf der anderen Seite wunderte das niemanden. Die Klasse war laut, doch der Unterricht war praktisch vorbei. Während die Lehrerin dabei war, für Ruhe zu sorgen und gleichzeitig die wie sie sie nannte „schlechte- Noten- Patienten“ zu trösten. Doch dieser Trost bestand aus… naja ich glaube das will keiner so genau wissen. Außerdem ist es nicht von Bedeutung.
Dann war die Stunde vorbei und im Großen und Ganzen absolute Zeitverschwendung. Auch als wir uns in Richtung Zentrale bewegten war Lea immer noch am Boden zerstört. Doch jetzt gab es für uns drei wichtigeres zu tun. Es gab noch jede Menge offene Fragen, die zu klären waren. Da war z.B. die Frage nach den Tätern. Und warum sie gerade jetzt zuschlugen? Und was hatte es mit dem Geheimgang auf sich, durch den die Täter flüchteten? Fragen über Fragen. In der zentrale angekommen war Lea fast dabei das Handtuch zu schmeißen, ließ sich jedoch noch umstimmen. Es gab keine Zeit zu verlieren. Während ich in die Küche ging um Kaffee zu machen, ließ sich Annika auf dem Sofa nieder und machte den Fernseher an. Lea setzte sich ebenfalls aufs Sofa. „Gut Kollegen. Die Sitzung ist eröffnet.“ Ich wollte nicht um den heißen Brei reden. „Also, es stehen noch jede Menge Fragen an. Die 1. Was hat es mit dem Geheimgang auf sich, durch den die Täter geflüchtet sind?“ Annika fuhr fort: „Dann Frage 2. Wie hieß der Täter, der noch einen Nachfahren hat. Und wie heißt dieser? Name, Adresse und vielleicht Telefonnummer.“ „Das gilt es herauszufinden.“, beendete ich und trank einen Schluck Kaffee. Annika drehte sich zu Lea um. „Hast du auf Frage 2 schon eine Antwort?“ Lea, die bereits am PC saß, murmelte geistesabwesend: „ Noch nicht. Aber gleich.“
Doch die Suche war schwieriger als zunächst gedacht. Allein bis Lea die Räuber gefunden hatte, verging eine halbe Stunde. Dann endlich nach einer Stunde fast hoffnungslosem Suchen rief uns Lea zu sich. Wir hatten zuvor fern gesehen. „Haste es endlich?“, fragte Annika erwartungsvoll. „Ja“, seufzte Lea erleichtert. „Fernando Carres. Und sein Nachfahre?“ „Fernandes Bii.“, erwiderte Lea. „Und die Adresse?“ So langsam schien Annika ungeduldig zu werden. Ein Klick. „Oha wie geil!“, rief Lea während Annika pfiff als sie die Adresse sahen. Ich hatte keine Ahnung warum sie so reagierten. „Darf man fragen was an dieser Adresse so großartig ist?“ „Du weist nicht was ist?“, fragte Annika, als wäre es eine Sünde das nicht zu wissen. Ich schüttelte den Kopf. „Das Mannheimer Quadrat X ist die Villengegend in Mannheim.“, erklärte Annika. „Wer da ein Haus oder eine Wohnung hat, hat Geld.“, ergänzte Lea. „Na gut dann wissen wir ja wonach wir suchen müssen.“ Ich lehnte mich zufrieden zurück. „Und wann fahren wir hin?“, fragte Lea in die Runde. „Morgen?“, fügte Annika hinzu. „Nein.“, beschloss ich. „Und wann dann?“, erkundigte sich Lea. „Nun ja. Da bald Weihnachten ist, schlage ich vor, dass wir den Hausbesuch verschieben.“ Die beiden sahen mich gekränkt an. „Jetzt wos anfängt interessant zu werden?“, fragte mich Lea enttäuscht. „Ja. Ich denke wir haben hervorragende Arbeit geleistet und das sollten wir mit einer Woche Urlaub belohnen.“ Es war beschlossene Sache. „Na gut.“ Aus Annikas Stimme war deutlicher Einwand zu hören. „Nächste Woche um die gleiche Zeit hier!“, ordnete ich an. Und auch wenn es weh tat, doch dieser Beschluss gefiel keinem von uns.
Eine Woche später:
„Hey Leute wartet mal!“, keuchte Annika von hinten. „Sag mal Domme, weißt du überhaupt ob wir hier noch richtig sind?“ Ich verdrehte die Augen und stoppte mein Fahrrad. Ich drehte mich um. Wir befanden uns in der Oststadt, dort wo die „die Villen stehen“, wie man es in Mannheim ganz oft sagte. Es war eine Woche vergangen, in der nichts passierte. An meinem Lenker hatte ich mein nagelneues iPhone befestigt, das ich zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte. Ich fuhr mit dem Finger ein bisschen auf dem Navigationsprogramm herum. Nur ein paar Schritte hinter mir stand Lea mit ihrem neuen Fahrrad und mindestens fünfzig Meter hinter uns trottete Annika. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn. Dieser Donnerstag war für einen Winter definitiv zu warm. Ich wusste nicht wie viel Grad es hier draußen hatte, doch ich wollte es auch nicht wissen. Der Himmel war strahlend blau, kein Wölkchen war zu sehen. Lea und ich schauten zu Annika und warteten bis sie bei uns angekommen. „Können wir ne Pause einlegen?“, fragte sie keuchend und völlig erschöpft. „Warum die Steigung haben wir hinter uns, ab jetzt wird’s eben.“ Annika nahm mit zittrigen Händen eine Thermosflasche aus ihrem Rucksack und trank… naja man konnte es nicht direkt als trinken bezeichnen, sondern eher als Saufen. „Warum bisten nach der Steigung so hinten dran gewesen, war deine Kondition zu schlecht?“ Nun nahmen wir alle einen Schluck. „Ne.“, begann Annika verärgert. „ Aber irgendwie ist mir auf halber Strecke der Gang verreckt. Bis auf den ersten.“ Lea und ich verkniffen uns das Gelächter. „Das ist nicht witzig!“, rief sie. Doch auch in ihrer Stimme lag ein Lachen. „Sag mal sind wir hier noch richtig. Wieder tippte ich auf meinem iPhone herum. Ich blickte geradeaus. „Dem Navi nach zu urteilen nein. Die Nummer 1233 muss sich etwa einen halben Kilometer vor uns befinden.“ Lea und Annika nickten. Wir setzten uns wieder in Bewegung. „Hey Leute könnt ihr auf mich ein bisschen Rücksicht nehmen?“, beklagte Annika. Ich sah zurück, nickte Lea kurz zu und wir fuhren alle mit dem ersten Gang, was gar nicht einfach und sehr, sehr mühselig war. Nach etwa einer Viertelstündigen Fahrt kamen wir zum stehen. Vor uns befand sich ein riesiger Mauerblock, die sich mindestens über 200 Meter erstreckte. Ich bremste mein Rad als erster. Meine Kollegen blieben ebenfalls stehen und sahen mich fragend an. Ich sah noch einmal auf mein Handy, dann auf das Mauerwerk. „Wir sind da.“ Aus meiner Stimme war deutlich Skepsis herauszuhören. Und da war ich nicht der einzige. „Das ist unmöglich“, stellte Annika fest. „Hier ist nirgends ein Eingang.“ Wir fuhren zum anderen Ende der Mauer, wo wir auf ein goldbeschlagenes Tor stießen. Als wir hindurch schauten, blieb und der Mund offen. „O-ha!“, auch Annika fiel dazu nur dieses eine Wort ein. Das Grundstück war riesig. Bis auf den Kiesweg, der zum imposanten Haus führte, war das ganze Grundstück mit Gras bepflanzt, der säuberst gemäht war. Überall standen in Gruppen Bäume mit Sitzbänken. Und hier und da stand auch mal ein großer Baum, der sich aber perfekt in das Gesamtbild einfügte. Ansonsten war das Grundstück übersät mit Pflanzen und großen Seen, an den teilweise sogar Ruderboote befestigt waren. Wir waren so in den Anblick versunken, dass wir völlig den Grund unseres Daseins vergaßen. „Sagt mal gibt’s hier keine Klingel?“ Nun waren Annika und Lea auch wieder da. Wir sahen uns um. Eine Klingel war nirgends zu sehen. Auch nicht dann, als wir das ganze Gebäude noch einmal umrundeten. Nun standen wir wieder vor dem Tor und wollten gerade aufgeben, als aus irgendeinem Lautsprecher eine unbekannte Stimme drang. Als wir uns erschrocken umblickten deutete Lea mit ihrem Kopf nach oben. An einem der beiden Mauerpfeiler war ein unscheinbares Vogelhäuschen befestigt. Ein schlauer Trick die Besucher zu überwachen. „Hallo?“, rief ich nach oben. „Hallo! Was kann ich für sie tun?“, fragte eine ältere Männerstimme. „Wir würden gerne mit Fernandes Bii sprechen.“, antwortete ich. Einige Sekunden herrschte Stille am anderen Ende der Leitung. „Haben sie einen Termin?“ „Nein.“ Wieder Stille. „Warum möchten sie ihn sprechen?“ Ich wurde so langsam nervös. Mir viel nichts ein was ich hätte sagen können! Eine falsche Reaktion könnte genügen um alles auffliegen zu lassen! Doch noch bevor der Mann etwas merken konnte, kam mir Annika zu Hilfe. „Wir müssen in der Schule ein Referat halten.“ Bei dieser Lüge wirkte sie sehr selbstsicher. Ich atmete erleichtert aus. Auf der anderen Seite herrschte Stille. „Ich werde Señor Bii fragen, ob er sie empfangen möchte!“ Es wurde aufgelegt. „Danke Annika“ Sie nickte zurück, was so viel wie `keine Ursache` hieß. Plötzlich vernahmen wir alle ein Quietschen uns das Geräusch von Motoren. Und als wir uns zum Tor wandten wurde es geöffnet. „Señor also.“, bemerkte Annika. Wir gingen rasch hindurch und als wir im Anwesen waren schloss sich das Tor sofort wieder. Von innen war es hier noch viel schöner. Und wir erblickten einige Dinge, die man von außen nicht sehen konnte. Z.B. dass in einigen Großen Seen kleinere Pavillons standen. Doch unsere Blicke waren auf das Haus gerichtet. Und wenn man sich das Anwesen insgesamt ansah, dann wunderte es einen nicht, dass das Haus gerade zu lächerlich groß war. Vor dem Haus auf dem Vorhof stand ein großer Springbrunnen. Wir lehnten unsere Fahrräder an dem Brunnen an und gingen zu großem Eingangstür. Auch hier war nichts zu sehen, was auf eine Klingel hindeutete. Dafür war ein großer Türklopfer angebracht. Ich klopfte damit dreimal und gleich darauf wurde uns geöffnet. Der Diener, der uns hereinbat war hochgewachsen und dünn. Und als wir in das Haus eintraten, waren wir vor lauter Luxus überwältigt. Überall hingen riesige Bilder, Wandteppiche waren aufgehängt und überall befanden sich geschlossene, mit Gold beschlagene Türen, goldene Kerzenleuchter. Der Diener vor uns räusperte sich, als wolle er diskret sagen, dass wir mitkommen sollten. Der Mann ging voraus, dann kam Annika, dann ich und das Schlusslicht bildete Lea. Unser Führer führte uns über eine riesige Wendeltreppe, öffnete eine Tür und wir gingen durch einen ebenfalls prunkvoll gestalteten Korridor. Und irgendwie gewannen wir langsam den Eindruck, dass das Haus von innen größer war, als es von außen aussah. Ich wollte gerade wissen, wie weit es noch sei, da erblickte ich am Ende des Korridors eine riesige, goldene Tür. Und da standen wir davor. Und plötzlich spürten ich, Annika und Lea eine ungewohnte Nervosität. Unser Puls wurde immer schneller. Der Mann klopfte leise gegen die Tür. „Herein!“, drang es zu uns. Der Mann öffnete die Tür und wir traten ein. Und irgendwie schien es, als ob dieses Zimmer das das Sahnehäubchen sein sollte. Das Zimmer, nein, der Saal wir riesig, fast doppelt so groß wie unser Klassenzimmer. Der Prunk hier jedoch überraschte keinen mehr von uns. Auch hier war genau dasselbe wie im ganzen Haus. Bilder, Teppiche und Kerzenleuchter. Und alles natürlich aus irgendwelchen Edelmetallen. „Solch einen Luxus bekommt man nicht alle Tage zu sehen wie?“ Wir drehten uns etwas beschämt zu dem Mann um, der hinter einem großen, edel und teuer aussehendem Schreibtisch auf einem riesigen Ledersessel am andren Ende des Raumes saß. Hinter ihm knisterte ein Kamin, was die unbeschreibliche Hitze im Raum erklärte. Er hatte unsere Miene offenbar bemerkt und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Vor dem Schreibtisch standen drei Stühle, die er uns mit einer Handbewegung zuwies. Jetzt konnten wir ihn auch von der Nähe sehen. Er war ziemlich blass, wenn nicht sogar leichenblass, zusammen mit der dunkel getönten Sonnenbrille ergab er eine Erscheinung, bei der es einem kalt den Rücken runter laufen konnte. Der Mann stand auf. „Ihr seid nicht aus der Gegend?“, fragte er, während er zu einer Minibar ging, um sich eine gelb- orangene Flüssigkeit in ein Glas einzuschenken. Er drehte sich zu uns um. „Wollt ihr auch ein Glas Gin?“ Auch wenn er sehr unheimlich, tückisch, gefährlich wirkte, schien er sehr elegant. Wir schüttelten die Köpfe. Wieder ein Lächeln. Nur für einen kurzen Augenblick. „Eine gute Einstellung. Wir wollen doch nicht gegen das Gesetz verstoßen.“ Er setzte sich wieder. „Für mich ist Gin jedenfalls nicht wegzudenken.“ „Doch nun zur Sache.“ Er wurde ernst. „James sagte mir, dass ihr ein Referat für die Schule halten müsst. Was aber habe ich damit zu tun.“ Keiner von uns konnte etwas sagen. Wir waren einfach zu aufgeregt. Keiner von uns hatte damit gerechnet, dass wir es so weit schaffen würden. Wir waren auf den Ledersesseln wie festgenagelt, fürchteten einen falschen Schritt, der alles verraten könnte. Und was uns vor allem Angst machte war dieser Mann. Wir wussten zwar, er war ein ganz gewöhnlicher, reicher Mann, aber mit diesem kantigen, etwas faltigen, leichenblassem Gesicht und der Sonnenbrille, durch die man seine Augen nicht sehen konnte und der Glatze, ergab er ein schauriges Bild. Er erinnerte an einen Mafiaboss mit undurchdringlicher Miene. Doch noch bevor unser Gegenüber misstrauisch werden konnte, rettete Annika die Situation wieder. Das konnte sie besonders heute sehr gut. „ Wie haben sie es lieber. Señor Bii oder Herr Bii?“, wollte Annika wissen.“ Unser Gegenüber zögerte nicht mit der Antwort. „Das liegt in deiner Hand. Meine Freunde, Kollegen und Diener nennen mich Señor, außenstehende dagegen nennen mich von und zu Bii. Aber euch erlaube ich in diesem Fall das einfache Herr Bii. Denn im Grunde sind wir doch alle gleich.“ Er nahm einen Schluck Gin, den er anscheinend so kostbar fand, dass er ihn nicht auf einmal austrinken wollte.
Und dann war es auch schon passiert. Ich saß da mit meinem iPhone und zeichnete das Gespräch auf. Lea hatte einen Notizblock dabei und dokumentierte. Und Annika, die sich gerade erst wieder gefasst hatte, wollte diese Fassung nicht gleich wieder verlieren. Also begann sie mit der ersten Frage: „Herr Bii um genau zu sein geht das Thema über die Vergangenheit unserer Schule.“ Herr Bii nickte nur. Annika fuhr fort. „Um genau zu sein geht es um den Bruch ihres Vaters Fernandos vor über 80 Jahren.“ „Ah!“, machte Bii, als ob er verstanden hätte, worum es uns ging. Und Annika wurde es plötzlich ganz mulmig zu mute. Denn obwohl sein Gesicht keinerlei Regung zeigte, glaubte sie, obwohl sie es nicht sehen konnte, in seinen Augen unbändig baren Hass zu sehen. Doch sie blieb stur. „Was ist damals ganz genau passiert?“, stellte sie sich dumm.
„Nun so genau kann ich das euch nicht mehr sagen. Es ist schließlich wie du schon sagtest fast neunzig Jahre her. Aber folgendes weis ich noch: Etwa jetzt im Januar, mitten in der Nacht drang mein Vater zusammen mit fünf weiteren Männern in die Bundesbank ein. Zum Glück kam dabei jedoch niemand zu Tode.“ Er trank einen Schluck. „Sie hatten fast 5 Milliarden Mark erbeutet. Anschließend sind sie aus dem Gebäude geflohen und verschwunden. Die Presse berichtete danach irgendetwas von einem Geheimtunnel, durch den die Täter geflüchtet sein sollen. Doch schon nach ein paar Untersuchungen fand man keinen Geheimgang und man stellte die Ermittlungen hier ein.“ Noch ein Schluck Gin. Er schien jeden Schluck dieses Tropfens zu genießen. „Die Täter hatte man zwei Monate später. Sie waren gerade dabei sich nach Costa Rica abzusetzen, doch das erbeutete Geld blieb, und bleibt bis heute verschwunden. „Warum so fette Beute?“, wollte ich wissen. Bii brauchte ein paar Sekunden. „Am Vorabend war dort ein Geldtransport von der deutschen Post.“ Ich nickte. „Haben die Täter wenigstens verraten, wo das Geld ist oder war?“ Nun schien auch Lea sich wieder zu fassen. Herr Bii machte ein Gesicht, als würde er sich darüber wundern, dass er das nicht wusste. Ich blickte aus dem Fenster. Wir befanden uns in dem Teil des Hauses, vor dem sich der riesige Garten und vermutlich auch das Tor standen. Doch das Tor konnte man von hier aus nicht sehen. Es war fast dunkel und es schneite wieder heftig. Und allein die Regung, die Bii zeigte, ließ wissen, dass er auf diese Frage keine Antwort hatte. Für einige Sekunden herrschte Stille im Raum. Nur der Schneesturm, der draußen tobte drang zu uns durch. Doch Annika bohrte noch eine Frage: „Was ist mit Nachkommen? Gibt es da noch irgendjemanden?“ Bii machte ein nachdenkliches Gesicht. „Soweit ich weis nicht.“, es klang etwas nachdenklich, als wäre er sich nicht ganz sicher. „Außer mir hat mein Vater keine Verwandten. Von zwei kann ich euch sagen, dass sie tot sind. Samt Familie. Ich sage nur KZ.“ Obwohl wir seine Augen nicht sehen konnten, wussten wir, dass er nicht gerne darüber redete. „Von den restlichen Leuten weis ich nur, dass sich einer hier in Deutschland aufhält. Was die anderen betrifft habe ich keine Ahnung.“ An Annikas Gesichtsausdruck merkte man, dass sie unzufrieden war. „Wissen sie sonst noch etwas darüber?“, hakte sie hoffnungsvoll nach. „Tut mir leid. Nur das was ich euch bereits sagte.“ Er krempelte seinen Ärmel hoch und eine große, goldene Uhr kam zum Vorschein. „Es ist gleich fünf. Bei mir gibt es um diese Zeit immer Tee und Kuchen. Möchtet ihr mich vielleicht beehren?“ Unsere müden Augen leuchteten. „Wie kommen wir zu dieser Ehre?“, erkundigte Lea sich. „1. Übertreibt meine Haushälterin gerne mit der Menge und 2. Hat mir dieses Gespräch viel Spaß gemacht.“ Warum also nicht. Und Bii hatte weisgottnicht übertrieben. Die Haushälterin hatte tatsächlich genug gemacht, dass man davon garantiert eine ganze Armee hätte versorgen können. Wir saßen in einem kleinen, der sehr gemütlich ausgestattet war. Bii schlurfte wieder an einem Glas Gin und ich, Annika und Lea waren mit Kaffee versorgt worden. Bii verabscheute Kola oder Fanta.
Zwar verlief das Kränzchen sehr schweigsam, doch Bii machte einen sehr netten Eindruck. Wir vergaßen für einige Momente warum wir überhaupt hier waren. Außer uns waren noch vier weitere Personen anwesend. Bii sprach dann und wann mit ihnen in einer Sprache, die keiner von uns verstand.
Jemand tippte mich von der Seite an. „Dominik! Dominik!“ Wir hatten fast acht Uhr, als ich auf mein iPhone schaute. Ich drehte leicht den Kopf. Ich war sehr müde, mein Kopf war schwer wie Blei und ich hatte Bauchweh. Wahrscheinlich vom Kuchen. Wir befanden uns im Foyer, in dem Zimmer, durch das wir gekommen waren. Annika stand neben mir und tippte mit dem Finger auf ihrer Uhr herum. Doch ich wusste, was sie auch wusste. Es war spät. Lea hatte es sich in einem Sessel bequem gemacht und war eingeschlafen. Doch auch Annika und ich hatten Mühe unsere Augen offen zu halten. Herr Bii hatte das Kränzchen bereits vor einer halben Stunde aufgelöst. Er unterhielt sich noch mit den vier anderen Männern. Als das Gespräch beendet war, ging ich auf ihn zu. „Herr Bii ich möchte nicht unhöflich sein, aber wir müssen gehen. Wenn sie erlauben.“ „Ihr wollt doch nicht bei diesem Sturm nach draußen. Nein. Das kommt gar nicht in Frage!“, stellte Bii klar. „Und wie dann?“, wollte Annika wissen. Bii griff zu einem Telefon, das neben ihm an der Wand befestigt war. Er drückte eine Taste. „Stanley? Tu mir den gefallen und mache die Limousine bereit. Danke.“ Er legte auf. Wir waren mit einemmal hellwach. Bii lächelte uns an, als tue er uns gerne diesen Gefallen. „Ich hoffe ihr habt nichts dagegen.“ „Überhaupt nicht.“, sagte Annika völlig überrascht.
Und da war es passiert. Eine Viertelstunde später saßen wir zusammen mit Bii in einer pechschwarzen Limousine. Die Fahrt mit diesem edlen Gefährt faszinierte uns. Der Motor war kaum zu hören. Alles hier schien uns nur noch wie ein schöner Traum…
„Endstation!“, rief eine Stimme von hinten. Wir erwachten aus einem Dämmerschlaf. „Habt ihr wenigstens angenehme Ruhe?“ Nun erwachten wir alle. Neben uns saß Herr Bii, der uns freundlich anlächelte. Wir bedankten uns und stiegen aus dem Luxusauto. „Immer wieder gern.“, verabschiedete sich Bii von uns. Dann fuhr es wieder weg. „Ey Leute! Wisst ihr womit wir gerade gefahren sind?“, schwärmte Lea. „Ein interessanter Mann dieser Bii.“, stellte ich fest. „Alles nur Fassade!“, sagte Annika wütend und an ihrer Stimme konnte man hören, dass sie kurz vor dem Wutausbruch stand. „Was hasten jetzt Annika?“, fragte ich. Sie hatte uns den Rücken zugewandt. „Das Gespräch war doch ganz aufschlussreich.“ „Aufschlussreich?“, rief sie wütend und als sie sich zu uns umdrehte, hatte sie Tränen in den Augen. „Mit dem was wir haben, sind wir keinen einzigen Schritt weitergekommen.“ Und ich musste zugeben, dass Annika recht hatte. Lea schwelgte immer noch in ihren Gedanken. Ich glaube es wäre ihr lieber gewesen, dass dieser Tag nie zu Ende gegangen wäre. „Gehen wir zur Haltestelle?“, fragte ich. „Mir egal.“, sagte Annika trotzig. Wir liefen los. Der Schneesturm hatte sich inzwischen etwas beruhigt. Über uns legte sich ein dunkler Schatten. Denn nun wurde mir endgültig klar, was Annika bereits wusste: Wir standen wieder am Anfang. Endlich kam auch Lea wieder aus ihren Träumen. Es war mittlerweile stockdunkel geworden und dennoch war die Stadt gut gefüllt. Es schien, als ob die Nacht zum tag werde. Annika setzte sich beleidigt auf eine Bank. „Hey Domme!“, rief Lea von hinten. Sie kam auf mich zu gerannt. „Was ist denn mit Annika?“ „Nun ich will es mal so sagen. Sie ist mit dem bisherigen Ergebnis alles andere als zufrieden.“ „Aha.“, erwiderte sie nicht verstehen. „Musste nicht verstehen.“ Lea zuckte die Schultern. Ich setzte mich zu Annika auf die Bank. „Ich war mir so sicher. Ich war so sicher, dass uns diese Spur zur Lösung dieses Falles führen könnte.“, sagte sie in einer Mischung aus Hoffnungslosigkeit und Wut. „Glaub mir. Das waren wir alle.“, versuchte ich sie zu trösten. Zugleich war ich erstaunt darüber, wie sehr sie dieser Fall beschäftigte. „Warum beschäftigt dich dieser Fall so?“ Sie schaute mich an. Ich konnte ihren Blick nicht definieren, doch er strahlte keinerlei Freude mehr aus. Wie eine dunkle Regenwolke, die nur Trauer mit sich brachte. „Dieser Fall wäre unsere richtig große Chance gewesen, die Einstellung der Erwachsenen gegenüber uns zu ändern. Verstehst du?“ Ich nickte.
„Ich weis was du jetzt denkst.“ „Aha und was?“ „Dasselbe was ich vor ein paar Minuten auch gedacht habe. Du denkst, dass wir wieder am Anfang stehen, die letzten Spuren abgesucht haben und nun spielst du mit dem Gedanken den Fall fallen zu lassen.“ Sie sagte das, als ob sie es nicht ganz wahr haben wollte. Doch sie hatte ins Schwarze getroffen. „Mal schauen ob die Polizei schon was Neues weis.“, schlug ich vor. „Du glaubst doch nicht im Ernst, dass diese Nichtskönner schon was Neues haben.“, sagte sie empört. „Aber ich weis, dass es da noch irgendeine Spur gibt. Ich weis es!“ Doch anscheinend glaubte sie selbst nicht mehr daran. Lea kam mit fünf großen Pizzakartons auf uns zu. Als sie sahen, nahmen wir ihr ein paar Kartons ab. Und da rollte die Bahn ein.
Als wir in der Zentrale waren, kam es uns allen so vor, als ob die Müdigkeit geradezu auf uns gewartet hätte. Sie fiel von der decke herab und umhüllte uns wie ein Schleier. Zum Pizza essen kamen wir gar nicht mehr. Und irgendwann gegen zehn Uhr gaben wir der Müdigkeit nach und schliefen ein.
„Hey! Aufwachen Schlafmütze!“ Jemand rüttelte an meiner Schulter. Ich wälzte mich auf der Luftmatratze herum. Ich stutzte. Luftmatratze? Ich kroch gähnend unter der Bettdecke hervor. Ich war überhaupt nicht damit einverstanden so früh geweckt zu werden. Mein Rücken, mein Nacken, ja mein ganzer Körper war steif. Ich hasste es auf einer Luftmatratze zu schlafen. Und als ich die Augen öffnete, erkannte ich auf dem Sofa eine weitere rosa angezogene Gestalt, die sich reckte und nicht aufstehen wollte. Annika. Als ich stand und wieder einigermaßen mein Gleichgewicht hatte, lag Annika immer noch auf dem Sofa. Während Lea dabei war sie aufzuwecken, hatte sie sich auf den Bauch gelegt. „Kann man nicht einmal in Ruhe schlafen?“, protestierte sie. „Der frühe Vogel fängt den Wurm.“
„Der frühe Vogel kann mich mal!“ Mit diesen Worten zog sie sich ihr Kissen über den Kopf. Lea drehte sich Ratlos zu mir um. „Morgen Domme. Is Annika eher n Langschläfer?“ Ich nickte nur. Meine Sachen waren neben meinem Bett aufgestapelt. Ich ging damit ins Nebenzimmer. In diesem Zimmer war das Esszimmer. Zu meiner Überraschung war der Tisch gedeckt. „Gefällt es dir?“ Ich drehte mich zu Lea um, die direkt hinter mir stand. Ich war sehr verblüfft. „Du scheinst wohl kein Langschläfer zu sein oder?“ In der ganzen Wohnung war es noch sehr dunkel, doch durch die Rollladenschlitze drang schwaches Licht was hieß, dass draußen die Sonne aufging. Ich warf einen Blick auf mein Handy. Zehn nach zehn. Normalerweise würde ich noch schlafen. Ich zog mit Lea die Rollladen hoch, die aufgehende Sonne leuchtete mir direkt ins Gesicht, ich musste blinzeln, verspürte jedoch eine angenehme Wärme. „Du hast mich in der Schulzeit noch nicht erlebt.“, erzählte Lea. „Während ich mir hier alle drei Wochen einen neuen Wecker kaufen muss, bin ich in den Ferien immer als erste auf den Beinen.“ „Gehst du so radikal mit deinem Wecker um?“ Ich konnte mir das Grinsen nicht verkneifen. „Naja.“, grinste sie. „Meine Eltern können sich diese Eigenart auch nicht erklären. Mein Vater hat mir sogar mal gesagt, dass er im Keller eine Reihe nur für Wecker einräumen wird oder dass er seinen Freund bitten wird einen gepanzerten Wecker für mich zu bauen.“ Wir lachten. Wir gingen auf den Balkon des Esszimmers, von dem aus man über die Dächer der übrigen Häuser schauen konnte. Eine kalte Brise war zu verspüren, doch die Sonne war da und schien warm auf unsere Haut. „Bei dir will ich kein Wecker sein.“ Ich sah ihr in die Augen. Dort sprühte Lebensmut, Freude, Optimismus. Lea verschränkte die Arme. „Sollen wir rein gehen und Annika aus dem Bett holen?“ Sie nickte. Dann gingen wir ans Werk, das daraus bestand, Annika aus dem Bett zu holen. Und das war wirklich anstrengend. Zum Schluss entbrannte noch eine heiße Kissenschlacht. Danach wollte sich Annika wieder hinlegen, musste aber feststellen, dass sie zu aufgewühlt war. Lea und ich saßen am Tisch und warteten nur noch auf Annika. Schließlich reichte es mir. „Annika! Frühstück!“
In den nächsten fünf Minuten waren wir alle beisammen. „Warum habt ihr mich nicht früher geweckt?“, beschwerte sich Annika. „Haben wir ja versucht.“, verteidigte ich mich. Das Frühstück verlief recht schweigsam. Dann neigte es sie dem Ende zu. Es war ein wunderschöner Freitagmorgen. In die Schule brauchten wir heute nicht zu gehen, da dort angesichts der Vorfälle nun der Krisenstab tagte. Ich begann das Gespräch über den Fall. „Kollegen, ich glaube es gibt im Fall des Falles noch eine Möglichkeit.“ „Und die wäre?“, fragte Annika. „Wie wäre es wenn wir Herrn Maier noch einmal fragen. Vielleicht haben die ja inzwischen was Neues.“ Annika blickte mich böse an. „Du glaubst doch nicht im Ernst, dass die schon was Neues haben!“, rief sie aufgebracht. „Wieso man kann’s doch mal versuchen.“, mischte sich Lea ein. Annika lehnte sich fassungslos zurück. „Wollt ihr sie auch noch in unseren Kenntnisstand einweihen?“, rief sie empört. „Du hoffst jetzt aber nicht, dass die Polizei dir was sagt oder?“ „Warum nicht, vielleicht ist da ja doch noch was rauszuholen.“, warf Lea ein. Für diese Worte war ich ihr mehr als dankbar. Annika schlug sich mit der Hand auf den Kopf. „Ey Leute ich sags euch. Selbst wenn ihr ganz nett fragt und versichert, dass die Sache vertraulich bleibt werden die euch nichts geben. Das ist Schweigepflicht.“ Annika war immer noch sehr aufgebracht, was ich irgendwie auch verstehen konnte. Ich stand auf. „Was machste jetzt?“, erkundigte sich Lea. Ich antwortete nicht. Stattdessen griff ich zum Telefonhörer. „Ich warn dich. Lass es.“, rief Annika wütend. „Und was wenn nicht?“, erwiderte ich stur. Annika sprang auf, knurrte wütend und verschwand im Wohnzimmer. Hinter mir wurde die Tür zugeknallt. Ich wählte die Nummer und schaltete auf Lautsprecher. Als ich gerade auflegen wollte, nahm auf der anderen Seite jemand ab. „Maier?“, fragte eine gestresst wirkende Person. „Guten Tag Herr Maier. Mein Name ist Dominik Deichsel. Sie erinnern sich?“ Stille am anderen Ende. „Ach ja genau. Du bist doch der mit dem Detektivspiel, nicht wahr?“ „Das ist kein Spiel!“, schrie Annika aus dem Wohnzimmer. „Was war denn das?“, wollte der Kommissar wissen. „Nur der Fernseher.“, lenkte ich ab. Ich wusste, dass er mir das nicht abkaufte. „Na gut. Dann schieß mal los. Ich bin gerade sehr gestresst.“ „Warum?“
„Pressekonferenz.“
„Oh“
„Nur noch eine Zwischenfrage. Wie steht’s denn mit dem Fall?“ Jetzt interessierte es mich erst recht.
„Gar nicht gut. Wir tappen immer noch im Dunkel.“, sagte er etwas niedergeschlagen.
„Auch gut. Ich hab nämlich einige Infos, die sie gut gebrauchen könnten. Ich schicke es gerade per Fax.“
„Aha. Ein Zeitungsausschnitt.“ Er überflog ihn.
„Und weiter?“
„Als nächstes möchte ich sie bitten bei einem Fernando Bii vorbei zuschauen. Er kann ihnen einige recht gute Informationen zu dem Fall geben.“ Stille.
„Ich gehe mal nicht davon aus, dass ihr selbst schon bei ihm ward, oder?“
„Doch waren wir.“, sagte ich bestimmt.
Aus der kurzen Pause war die Verblüffung deutlich herauszuhören.
„Aber ich hatte euch doch unmissverständlich gesagt, dass ihr eure Finger aus dem Fall lassen sollt.“, sagte er ruhig.
„Ihre einseitigen Ermittlungen hätten doch nie zu was geführt.“, brüllte Annika wutentbrannt aus dem Wohnzimmer.
„Wieder der Fernseher?“, erkundigte sich der Kommissar, als ob er mehr vermuten würde. „Diese Stimme klingt aber ziemlich echt.“
„Wir haben Surround Lautsprecher.“, versuchte ich wieder abzulenken. Und das konnte ich diesmal besonders gut.
„Nun gut. Ich werde diesem Herrn Bii einen Besuch abstatten, aber nur wenn du mir versprichst, dass ihr das nun uns überlasst.“
„Ehrenwort Herr Kommissar.“, sagte ich und verkreutzte hinter meinem Rücken die Finger
„Also dann ich muss los s“
„Herr Kommissar“, unterbrach ich ihn. „haben sie denn schon neue Anhaltspunkte?“
„Tut mir leid. Nein. Aber selbst wenn ich welche hätte, ich würde sie dir nicht sagen. Du weist warum?
„Schweigepflicht?“, fragte ich enttäuscht.
„Genau. Und jetzt wünsche ich euch noch schöne Ferien. Ich muss los. Tschüss.“
Und noch bevor ich etwas erwidern konnte, hatte der Kommissar schon aufgelegt. Lea, die noch am Tisch saß, sah mich enttäuscht an. „Das ist alles nur nicht gut, oder?“ Ich schüttelte den Kopf und legte auf.
„Kollegen. Lagebesprechung.“, verkündete ich.
Nun kam auch Annika aus dem Wohnzimmer. Sie war immer sauer. Wir setzten uns aufs Sofa. „Kollegen, Krisenstab. Das Gespräch mit der Polizei hat keinerlei Ergebnisse gebracht, wie ihr alle mitbekommen habt.
„Das war ja auch zu erwarten.“, knurrte Annika. Ich fuhr fort. „Als erster Detektiv fühle ich mich verpflichtet eine Bilanz der Spuren in diesem Fall aufzustellen. Und in diesem Fall muss ich leider feststellen, dass wir so ziemlich jede verfügbare Spur abgesucht haben und aus meiner Sicht wäre es wirklich besser, wenn wir den Die Ermittlungen einstellen. Aber nicht, weil das die Polizei gerne hätte, sondern weil ich der Ansicht bin, dass alle Spuren in eine Sackgasse führen. Doch bevor wir zu einer Abstimmung kommen, möchte ich eure Meinung dazu noch einmal hören. Lea, deine Meinung.“
Lea seufzte und zuckte die Schultern, als ob sie nicht wüsste was sie dazu sagen sollte. „Ich schließe mich dir an.“, sagte sie schließlich. Wir schauten Annika an. Sie war mit ihrem Blick auf dem Boden. „Ich schließe mich euch nicht an. Ich weis genau, dass es noch Spuren gibt, die man verfolgen kann. Was ist z.B. Mit dem Geheimgang? Wir sollten versuchen über den noch was rauszukriegen. Und wenn wir dann immer noch nichts haben, dann können wir weitersehen.“, versuchte sie uns zu überzeugen. „Und was soll uns das bringen?“, wandte Lea ein. „Selbst wenn wir ihn finden sollten, bringt uns das noch lange nicht zu den Tätern.“ „Lea hat recht.“, beendete ich die Debatte. Annika war noch immer unnachgiebig und sauer. Sie wusste was jetzt kommen würde. „Also gut. Wer ist dafür, dass wir diesen Fall fallen lassen. Hand hoch.“
Nur noch Annikas Stimme fehlte. In ihr schäumte Wut auf. Sie hasste es nachzugeben, aufgeben zu müssen. Und sie wusste, dass sie auch hier niemals nachgeben würde. „Fügst du dich freiwillig?“, fragte ich sie. Es stand 2:1. Jetzt reichte es ihr. „Ich gebe niemals auf!“, knurrte sie. Damit stand sie. „Wo willst du hin?“, fragte Lea. „Weg“, war Annikas kurze Antwort. „Und warum?“, fragte ich. Als sie sich zu uns umdrehte, sah ich, dass sie Tränen in den Augen hatte. „Es mag ja sein, dass ihr schon ans Aufgeben denkt, aber ich werde nicht ruhen, bis ich die letzten Teile beisammen habe!“, rief sie wütend. Und nur wenige Sekunden später wurde die Tür hinter uns zugeknallt. Ich und Lea schraken zusammen. „Ist Annika oft so drauf?“, erkundigte sich Lea bei mir. „Glaub mir. Selten genug.“
Als die Polizei etwa eine Stunde nach dem unserem Gespräch bei Bii eintraf, kam es nicht nur Bii, sondern auch der ganzen Belegschaft etwas merkwürdig vor. Bii saß gerade beim Frühstück, als sich die Beamten Zutritt zu seinem Haus verschafften. Er war zunächst überrascht, aber sofort wieder gelassen. Als Kommissar Maier schließlich jedoch in Biis Arbeitszimmer saß, und dem unheimlich wirkenden Mann durch Zufall die gleichen Fragen stellte wie wir, weigerte er sich noch an einen Zufall zu glauben. Als die Beamten wieder weg waren, versuchte ein die gesamte Belegschaft Bii umzustimmen, dass es doch nur ein dummer Zufall gewesen sei. Doch für Bii hatte es noch nie Zufälle gegeben, und er war nicht bereit in diesem Fall zum ersten Mal in seinem Leben dem Zufall Vortritt zu gewähren. Das lag nicht zuletzt daran, dass sich diese Eistellung noch nie als Fehler erwiesen hatte. Doch wie dem auch sei. Bii wusste, dass er in diesem Fall Maßnahmen ergreifen musste. Er saß in seinem Arbeitszimmer und hatte den Telefonhörer in der Hand. „Kalli?“
„Guten Tag Herr Kalli. Ich nehme an, sie wissen wer ich bin. Oder?“
„Señor Ibi?“
„Ganz genau.“
„Ich habe noch keine Ergebnisse Señor Ibi. Ich ich hab“, stammelte Kalli.
„Kein Problem Kalli. Ist zwar gut über den Stand der Dinge informiert zu sein, aber deswegen rufe ich nicht an.“
„Weswegen dann?“, fragte Kalli erleichtert.
„Hören sie zu. Ich möchte, dass sie ihre Kontakte spielen lassen und herausfinden, wo eine gewisse Annika Kreid wohnt.“
„Und warum?“, erkundigte sich Kalli verwundert.
„Ich habe das Gefühl, dass es eine kleine Sicherheitslücke gibt, die es zu schließen gilt. Verwenden sie alle Maßnahmen, um dies zu tun. Und bleiben sie weiter am Ball.“
„Jawohl, Señor Ibi. Ich werde alle Maßnahmen außer natürlich Mord einsetzen. Das Problem wird bald behoben sein.“
„Das hoffe ich für sie Kalli. Ich melde mich wieder.“
Die Reifen quietschten leicht, als das Taxi auf dem nassen Asphalt des Vorplatzes der Mannheimer Staatsbibliothek zum Stehen kam. Die versteinerte Miene des Fahrers machte den gleichen Eindruck wie dieser verregnete, trübe und dunkle Donnerstag. Nämlich Traurigkeit und Trostlosigkeit. „Endstation.“, nuschelte der Mann mit südländischem Akzent. Seine ebenfalls trostlos und lustlos wirkende, harte Stimme fügte sich perfekt ins Gesamtbild ein. Das Mädchen, das hinten saß, stieg aus. Es war kühl heute, ein schwacher Wind fegte über den gepflasterten Platz und dennoch fielen ihr die langen, blonden Haare ins Gesicht. Es standen nur drei Autos auf dem Platz. Diese Tatsache verwunderte niemanden. Sie bezahlte und ging auf das graue Sandsteingebäude zu, das ziemlich groß war und ein paar Stockwerke in den dunklen Himmel ragte. Doch auch wenn das Gebäude von außen imposant und eindrucksvoll wirkte, hatte es seinen Glanz schon vor Jahren verloren. Der Bau war alt und hatte dringend Reparaturen notwendig. Was noch hinzu kam, war, dass das Gebäude an einigen Stellen renoviert oder saniert werden musste. Als sie in den dunklen Himmel sah, wollte sie lieber schnell hinein. Sie ahnte, dass der Regen nur noch stärker werden sollte. Sie lief rasch zum Haupteingang und stieß die schwere Holztür auf. Warme Luft wurde ihr ins Gesicht geblasen, die die erste Nässe aus ihren Haaren und ihren Kleidern verbannte. Sie befand sich im Vorraum der Bibliothek, dem einzigen Raum, in dem es einen Fahrstuhl gab. Sie lief noch ein weiteres Mal durch eine hölzerne Drehtür und als sie drin war, blieb sie überrascht stehen. Denn nach den Autos draußen zu urteilen, hätte es nach ihrer Ansicht fast leer sein müssen. Weit gefehlt. Zu ihrer Überraschung herrschte hier Hochbetrieb. Auf der anderen Seite störte sie dies überhaupt nicht. Immerhin war es einigermaßen leise. Sie wusste immerhin ungefähr wonach zu suchen war. Ihre weitrechenden Ermittlungen hatten mit den aus ihrer Sicht gescheiterten Gesprächen in der Zentrale angefangen. Danach hatte sie im Internet nach weiteren Informationen gesucht. Nachdem sie dort jedoch nicht auf das erhoffte Ergebnis getroffen war, setzte sie nun auf die Staatsbibliothek. Ihre Hartnäckigkeit hatte noch nie allen Leuten gefallen, erst recht dann nicht, wenn sie nur Pessimisten um sich herum hatte. Doch bis jetzt hatte sie ihre Hartnäckigkeit meistens ausgezahlt und genau das sollte es auch diesmal tun. Unter ihr ging es weitere zwei Stockwerke hinunter. Sie schaute auf eine große Holztafel, auf der die jeweiligen Gebiete für jedes Stockwerk geschrieben waren. Sie fuhr mit dem Zeigefinger über die Schrift, bis er schließlich stehen blieb.
5. Stock: Chroniken
Computeranlage
„Chroniken.“, murmelte sie nachdenklich. Könnte oder ich das was ich suche auch unter der Chronik von Mannheim finden, dachte sie. Doch einen Versuch war es wert. Sie musste also in den fünften Stock. Sie ging zu einer großen hölzernen Treppe, die am anderen End des Erdgeschosses war und in die darüber liegenden Stockwerke führte. Auch wenn sie nicht ganz genau darauf achtete, musste sie feststellen, dass sich seit ihrem letzten Besuch hier einiges verändert hatte. Die Beleuchtung z.B. sollte zwar freundlicher wirken, an einem so schlechten Wetter wie heute aber, war es zwar angenehm hell, der Nebeneffekt aber wurde nicht mehr erfüllt. Als nächstes jedoch fiel ein Detail besonders ins Auge: Die Struktur, wie die Bücher in ihre gebiete eingeteilt waren. Die Kinder und Jugendbücher und die Jurabücher teilten sich das EG. Nun aber war das EG ganz den Kindern und der Jugend gewidmet. Jura wiederum hatte mehr als die Hälfte des zweiten Geschosses für sich. Eines aber hatte sich zu ihrer Enttäuschung überhaupt nicht verändert. Die Art wie die Regale aufgestellt waren war alles Mögliche nur nicht übersichtlich. Es war vielmehr ein dichtes Labyrinth. Was erschwerend hinzukam war, dass die einzelnen Geschosse riesig waren, was zur Folge hatte, dass man sich nur dann zurechtfinden konnte, wenn man mind. Einmal hier war oder aber wenn man fachkundiges Personal dabei hatte. Jeweils an den Enden des Gebäudes befanden sich im Abstand von 1-2 Metern große bogenartige Fenster, die sich vom Boden aus fast einen Meter in die Höhe erstreckten. Doch trotz dieser Umstrukturierung kannte sie sich gut aus, was bedeuten musste, dass sie schon oft hier gewesen war. Und so war es auch. Meistens waren die gründe für ihr Kommen schulische Dinge gewesen. Doch auch aus privaten Gründen hatte es sie immer wieder hierher gezogen. Der Gang vom Eingang bis zur Treppe war frei von Bücherregalen. Früher war dies noch anders. Es gab keine Ecke, in der man keine Bücher traf. An jedem Ende der Regale befanden sich Schaukästen, in denen sich Bücher des jeweiligen Themas befanden. In einigen entdeckte sie einige Bestseller, die sie selbst gelesen hatte. Harry Potter, Tom Sawyer, Fünf Freunde. Auch die drei Fragezeichen hatte sie mit Freude gelesen. Wenn sie Geburtstag hatte, wurde sie oft über Bücherwünsche ausgefragt. Im Grunde hatte es für sie noch nie eine Lieblingskategorie gegeben. Sie las einfach alles. Sie hatte die mit rotem Samt überzogene, große Treppe erreicht. Sie führte beidseitig nach oben. Nur zwei Jahre war ich nicht hier und so viel hat sich verändert. Als sie empor stieg, knarrten die Stufen unter ihren Füßen.
Als sie angekommen war, machte sie sich gleich an die Arbeit. Doch die Suche stellte sich als schwierig heraus. Das lag vor allem daran, dass dieses Stockwerk ziemlich abstrakt strukturiert war. Als sie dann endlich die Mannheimer Chronologie gefunden hatte, jedoch nicht das fand, was sie suchte, reichte es ihr. Sie suchte die Computeranlagen. Als sie früher hier war, befanden sich die Computer noch auf der Nordseite, doch offensichtlich wurde umgeräumt. Sie wäre fast ausgeflippt, als sie feststellte, dass das Bücherregalsystem dasselbe war wie im ganzen Gebäude. Dann endlich. Nach fast einer halben Stunde wütendem Gesuche war sie in der Mitte des Büchergewirrs und wollte gerade einen Angestellten fragen, als sie es plötzlich sah. Direkt vor ihrer Nase war eine Lücke zwischen den Regalen. Und direkt dahinter, vor zwei großen Fenstern stehend, zwei Computer. Annika traute ihren Augen nicht. Sie schlug sich mit der Hand auf die Stirn. Sie ärgerte sich über sich selbst. Dabei drehte sie leicht den Kopf. Diese kleine Bewegung reichte aus, um etwas zu bemerken, was sie vorher nicht wahrgenommen hatte. Keine fünf Meter rechts von ihr war ein kräftig gebauter, dunkelhäutiger Mann. Er war in seine Lektüre vertieft und schaute nicht auf, was er auch dann nicht, als sie ihn sich genauer ansah. Erst jetzt fiel ihr auf, dass er, seit sie im Gebäude war, ihr nicht mehr von den Fersen wich. Ein mulmiges Gefühl stieg in ihr auf. Wurde sie verfolgt? Und wenn ja, seit wann? Als sie auf dem Vorplatz war hatte sie niemanden gesehen. Kein Grund zur Unruhe, dachte sie. Wahrscheinlich Zufall. Als sie sich wieder umdrehte, hatte sie den Eindruck, dass er hin und wieder heimlich über sein Buch hinweg schaute. Sie setzte sich an einen der beiden PCs. Der Bildschirm leuchtete auf. Sie überlegte, forderte die Suchmaschine an, überlegte wieder. Draußen schüttete es wie aus Kübeln. Sie hatte also recht gehabt. Sie gab etwas und löschte es wieder. Dann tippte sie „Geschichte Mannheim“ in den Computer ein. Nur zwei Sekunden später spuckte ihr der Computer 15.000 Ergebnisse aus. Doch schon als sie die ersten zehn durchforstet hatte, erkannte sie, dass dies der Holzweg war. Sie gab „MRSM“ ein, doch auch dieser Weg führte nicht zum Erfolg. Dann gab sie „F4,3“ an. Hier waren es nur fünfzig Ergebnisse, die einen deutlich attraktiveren Eindruck machten als deren Vorgänger. Sie war so in ihre Arbeit vertieft, dass sie nicht merkte, wie der Mann, der ihr zuvor aufgefallen war, sich neben sie an den anderen PC setzte. Auch er wählte die Suchmaschine an. Der Mann dachte er sei unauffällig. Doch Annika hatte bemerkt, dass er immer wieder versteckte Blicke zu ihr wandern ließ. Als sich dies auch nach fünf Minuten nicht änderte, reichte es ihr. „kann ich ihnen helfen?“, fragte Annika sie unvermittelt, in ihre Arbeit vertieft und ohne ihn anzusehen. Offenbar war es dem Mann peinlich entlarvt worden zu sein. „Nun ja“, begann er in einer Nervosität, die er zu verstecken versuchte. Doch das misslang ihm gänzlich. „Ich habe gerade gesehen, dass du in der Mannheimer Chronologie nach etwas suchst.“ So langsam kam ihre Neugierde zum Vorschein. Doch sie drehte sich noch nicht zu ihm um. „Was ist daran so besonders?“, erkundigte sie sich. Der Mann zögerte mit der Antwort. „Ich muss schulisch genau dasselbe machen.“, erwiderte er. Der Mann hatte eine stattliche Größe und war muskulös. Jetzt sah sie ihn an. „Wie n Student sehen sie aber nicht gerade aus.“, stellte sie fest. „Bin ich auch nicht. Nicht direkt. Abendgymnasium.“ Der Klang seiner Stimme war undefinierbar. Irgendetwas zwischen weich und hart. Sie nickte. „Und was machst du, da?“ Noch bevor sie antworten konnte, beugte sich der Mann über ihren Bildschirm. Annika erkannte ein markantes Tatoo, das er auf seinem Nacken trug. Es zeigte einen Drachen. „Du machst dich über einen Bunker bei der MRSM schlau, nicht wahr?“ Der Monitor zeigte einen Artikel mit dieser Überschrift. Dennoch machte sie ein verblüfftes Gesicht.
„Woher kennen sie“, sie wurde unterbrochen.
„Ich bin früher auf der MRSM zur Schule gegangen. Ja ja, war eine verrückte und zugleich aufregende Zeit.“ Der Mann schwelgte in Erinnerungen. „Aber genug von mir. Warum interessierst du dich dafür?“ Sie konnte in seinem Ton die Neugierde heraushören. Doch zugleich hatte sein Unterton etwas Undefinierbares an sich. Es war etwas… Bedrohliches! Einen ganzen Moment lang überlegte sie, ob es gut wäre, dem freundlich wirkenden Mann über ihr Vorhaben in Kenntnis zu setzen. Andererseits konnte sie darin weder Risiko noch Gefahr sehen. Warum also nicht?
„Bei uns in der Schule gab es einige bizarre Vorfälle und ich versuche zusammen mit ein paar Freunden die Sache aufzuklären.“ „Ah. Ich weis schon. Aber wer macht denn so was?“ Zwar machte er ihr deutlich, dass er darüber erstaunt und entsetzt war, dennoch hatte Annika den Eindruck, dass seine Miene nur gespielt war. Tja, genau das wollen wir herausfinden. Ich und meine Freunde. Wir sind nämlich Detektive.“, sagte sie stolz. Gleich darauf zog sie eine Visitenkarte hervor. Als sie der Mann las, hatte sie den Eindruck, dass sich seine Miene verfinsterte. Er schaute auf eine Uhr. „Oh. Ich muss gehen. War schön dich kennen gelernt zu haben, Annika.“ Plötzlich zögerte sie mit dem Abschiedsgruß. Annika war verblüfft. Der Mann erhob sich und verschwand zügig im Büchergewirr. Annika wollte noch hinterher laufen, ließ es dann aber doch bleiben. Es wunderte sie. Woher kannte dieser Mann ihren Namen? Gut. Er hatte die Karte und hatte wahrscheinlich einfach getippt. Aber egal. Sie hatte jetzt wichtigeres zu tun.
Zu ihrer Freude fand sie zwar auch in diesem Artikel das was sie suchte, jedoch befand sich ein Buchhinweis im Artikel. Was das ganze noch toppte war, dass das Buch „Der unterirdische Beschützer aus Beton“ gleich im regal neben ihr zu finden war. Zum Glück befand sich der Lesesaal nur zwei Regale weiter und war leer. Er war hell beleuchtet und Annika erkannte sechs Tische. Sie setzte sich an den hintersten und begann zu lesen. Ein paar Minuten später kam ein Mann, der sich leise an den vordersten Tisch setzte und seine Lektüre las. Und da stieß sie auf den ehemaligen Bunker F6,3. Und je mehr sie las, desto mehr wurde ihr Interesse geweckt. Als sie mit dem Kapitel fertig war, grinste sie zufrieden. In diesem Buch hatte sie alles gefunden was sie suchte. Plötzlich stieg ein ungutes Gefühl in ihr auf. Ihr schien es, als ob der Mann, der mit ihr im Raum war, sie fortwährend beobachtete. Sie stand auf und ging zur Tür. Sie war nur noch 4-5 Schritte entfernt, da stand der Mann auf und stellte sich vor die Tür, sodass ihr der Weg abgeschnitten war. Annika versuchte an dem Mann vorbei zu kommen, doch dieser ließ sie nicht vorbei. Was sollte das? „Kann ich da bitte vorbei?“ Der Mann reagierte nicht darauf, stattdessen schaute er ihr nur finster in die Augen, als stünde er kurz davor sie umbringen zu wollen. Ihr machte dieser Blick Angst. Als sie erneut versuchte an dem Mann vorbei zu gehen, stieß der sie mit einer starken Hand nach hinten und sie hatte Mühe das Gleichgewicht zu halten. Der bedrohlich aussehende Mann ging auf sie zu. Und plötzlich spürte Annika, wie eine unbändig bare Angst in ihr aufstieg. Ihr Herz raste, ihr brach der schweiß aus. In ihrem Kopf war nur eine einzige Frage: Was wollte dieser Mann? Sie spürte, wie die Panik in ihr aufstieg. Sie ging langsam rückwärts. Der Mann tat es ihr gleich. Er hatte immer noch diesen drohenden Blick in den Augen. Nicht in die Augen sehen! Nicht in die Augen sehen!! Plötzlich holte der Mann einen glänzenden Gegenstand aus seiner Tasche. Sie hatte keinen blassen Schimmer was der Mann von ihr wollte, doch eines wusste sie garantiert. Was auch immer es war, es konnte nichts Gutes bedeuten! Und als sie sah, dass der Gegenstand eine Pistole war, weiteten sich ihre Augen vor Panik. Und plötzlich spürte sie, wie ihr die Tränen in die Augen liefen. Sie schrak zurück. „Was wollen sie von mir?“, fragte sie den Tränen nahe. Ihre Stimme zitterte. Sie ging weiter rückwärts. Und als sie den Fuß noch einmal bewegte, stieß sie auf Wand! Der Mann starrte sie immer noch an. Für einen ganz kurzen Moment schloss sie die Augen, um sich zu vergewissern, dass das kein schlimmer Traum war. Doch eine solche Vorstellung war einfach nur verrückt. Sie hätte am liebsten aufgeschrien vor Panik und Angst, als der Mann seine Pistole auf sie richtete und lud. „Bitte tun sie mir nichts.“, flüsterte Annika. Sie stand kurz vor einer Panikattacke. Sie wollte es nicht wissen, ob man ihr ihre Angst ansah. „Ich warne dich Mädchen, halt dich aus dieser Sache heraus.“ Welche Sache? schoss es ihr durch Kopf. Doch sie wagte es nicht die Frage auszusprechen. Doch allmählich wollte sie Klarheit. „Ich habe keine Ahnung was sie meinen.“ Sie versuchte bestimmt aufzutreten, dem Mann gegenüber bestimmt zu klingen. Und das gelang ihr sogar gut. Doch der Mann verfinsterte seine Miene immer weiter und in einer blitzartigen Bewegung hatte der Mann seine Waffe mit ihr in Berührung gebracht und ein sengender Schmerz durchfuhr ihren linken Arm. Jetzt konnte sie Tränen nicht mehr aufhalten. „Lass dir das eine Lehre sein!“, zischte der Mann drohend. Dann verließ er den Raum und nahm dabei das Buch mit, das Annika zuvor benutzt hatte. Dann schloss er die Tür ohne sich noch einmal umzusehen. Und jetzt konnte und wollte sie sich gegen den Tränenfluss nicht mehr wehren. Die Tränen topften auf ihre stark blutende Wunde und vermischten sich dort zu einer dunkelroten Flüssigkeit.
Als in der Zentrale das Telefon klingelte, war ich gerade dabei aufzuräumen.
„Hallo?“
„Hi. Bist du es Domme?“
„Annika?“
„Genau. Also hör zu. Ich habe einige vielversprechende Dinge für unseren Fall herausgesucht. I“, ich unterbrach sie. „Ich dachte wir wären uns einig, dass wir den Fall fallen lassen.“
„Schon. Aber nach den Infos, die herausgefunden habe, können wir wieder die Spur aufnehmen.“, sagte sie euphorisch.
„Wo is Lea?“, fragte sie.
„Die ist zu Hause. Dort wo ich auch sein sollte.“
„Gut.“, murmelte sie. Es klang nachdenklich. „Dann bestelle sie um 17.00 Uhr ein. Ich denke es ist Zeit für eine Teambesprechung.“
„Dir ist aber schon klar, dass solche Besprechungen eigentlich mein Gebiet sind.“
„Bitte!“
„Na gut. Bis in zwei Stunden.“
„Bis dann!“
Damit wurde aufgelegt.
„Also Kollegen. Während ihr zu Hause gesessen seid, habe ich einen Abstecher zur Staatsbücherei unternommen und einige interessante Details herausgefunden.“, begann Annika die Konferenz. Ich hatte Lea gerade noch rechtzeitig in die Zentrale bestellen können, die zu Hause gewesen war. Man konnte ihr ansehen, dass sie kein gutes Gefühl hatte. „Und was hat es jetzt mit dem tunnel auf sich?“, fragte Lea gelangweilt. „Also. Laut den heutigen Erkenntnissen müsste der Tunnel heute noch existieren“, sie wurde vom Geklingel des Telefons unterbrochen. Ich nahm ab. „Ja? Hier Dominik Deichsel von den drei Detektiven?“
„Ja, hallo.“, drang eine tiefe Stimme aus dem Hörer. „Mein Name ist Schalli. Karl Schalli. Bin ich hier richtig bei den „three Detectives“?“
„Äh,… ja.“
„Sehr gut. Ich habe von einem guten Freund erfahren, dass ihr euch für gewisse Vorfälle in eurer Schule interessiert. Und ich hätte ein paar Dinge für euch, die euch weiterhelfen können.“
„Sieh mal einer an. Der Fall scheint jetzt interessant zu werden.“, sagte Lea, die nun genauso wie Annika und ich, aufhorchte.
„Ok. Da gibt noch ein Problem. Wir haben eigentlich beschlossen, die Ermittlungen einzustellen. Aufgrund jedoch der neuen Beweislage sind wir wieder dabei, die Ermittlungen aufzunehmen.“
„Ok.“, sagte der Mann.
„Können wir uns dann treffen?“
Ich blickte Annika und Lea an, die interessiert wirkten und nickten. „ In Ordnung. Sagen sie uns wo und wann!"
Als wir aus der Bahn ausstiegen, kam uns eiskalte Luft entgegen, die in der Nase wehtat, wenn man sie einatmete. Es war ein sternenklarer Abend, außerdem war es Vollmond. Die Adresse, die uns der Mann gegeben hatte, war am Rande der Stadt, in einem Viertel, das hauptsächlich von Ausländern bewohnt war. Und in der Ludwigshafener Straße 37 waren wir dann mit Herrn Schalli um Punkt 20 Uhr verabredet. Hinter uns rauschte die Bahn vorbei und die kleine Straße, die das Viertel von den Gleisen und den Feldern dahinter trennte, war leer. Wir sputeten uns, denn obwohl wir warm angezogen waren, war uns kalt. Es gab mehrere kleine Straßen und Gassen, wir nahmen die Gasse, die direkt vor uns lag. Ein kleines, klaffendes Loch das den Anschein machte, als sei es der Pfad einer nahezu ewigen Dunkelheit. Unsere Pulse rasten und obwohl wir alle vor Dunkelheit eigentlich keine Angst hatten, bekamen wir eine Gänsehaut und uns lief ein Schauer über den gesamten Körper. Nun standen wir da, wartend auf das Signal von einem, der mutig genug war dieses Signal zum Start zu geben. „Also gut.“, sagte Annika mit zittriger Stimme. Dann stiegen wir gemeinsam ins Loch der Dunkelheit.
Die Straße durch die wir jetzt gingen war menschenleer. Das eher flackernde Licht der Straßenlaternen tanzte auf den Bergen aus Müllsäcken, die sich haufenweise neben den Häusern aufstapelten.
„Is irgendwie unheimlich hier.“, sagte Lea. „Wem sagst du das?“, flüsterte Annika. „Wo ist die Straße noch mal?“, fragte Lea mit leicht zittriger Stimme. „Hier.“, antwortete Annika, als ob sie das selbst nicht glauben würde. Und irgendwie klang ihre Stimme unheilvoll. Und mit diesem Tonfall hatte sie sogar recht. Denn ja tiefer wir in die Straße liefen, desto dunkler wurde es. Sogar einige Straßenlaternen leuchteten nicht mehr, sondern flackerten nur noch. Und jetzt fiel uns ein Detail auf, das uns allen plötzlich Angst machte. Die gesamte Straße schien unbewohnt! Alles hier war in Stille getaucht! Nicht einmal der Lärm der Straße drang zu uns durch. Kein anderer Mensch war außer uns zu sehen. Das einzige was man hörte war das Rauschen eines kühlen Windes, der durch die Straße heulte. Und obwohl es mittlerweile sehr dunkel war, glaubte ich zu sehen, dass sich etwa 200 Meter vor uns eine Sackgasse befand. Uns war ziemlich mulmig zu mute. „Tut mir übrigens leid, dass ich vor ein paar Tagen so, naja, überreagiert habe.“, sagte Annika in die Dunkelheit, die uns immer mehr umgab. Lea und ich waren froh, dass wenigstens einer den Mut dazu hatte, ein Gespräch anzufangen. „Schon gut.“, erwiderte ich. „Ich glaube, dass auch wir ein bisschen überreagiert haben.“, gab Lea zu.
„Sackgasse, Kollegen.“, stellte ich fest.
„Ist das hier die richtige Hausnummer?“, fragte Lea stark zweifelnd. Wir versuchten in der Dunkelheit etwas zu erkennen, aber ohne Erfolg. Etwas leuchtete mir in die Augen. Annika hatte ihre Taschenlampe eingeschaltet. Ich wusste nicht, wonach sie sah, doch sie schaute auf ihren Zettel. „Hausnummer 103.“ Aus ihrer Stimme war deutliche Skepsis herauszuhören. Das große, vielleicht 5-stöckige Haus vor dem wir jetzt standen war alt und verfallen. „Ganz ehrlich.“ Lea, die vor Annika und mir stand drehte sich um. „In so einer Bruchbude lebt doch niemand.“ Und irgendwie hatten wir da die gleiche Auffassung. Wir stiegen auf die Veranda. Das Haus unterschied sich von den übrigen Häusern hier nicht gerade. Es passte ins Gesamtbild. Dennoch hatte es etwas Unheimliches an sich. Eine Klingel gab es anscheinend nicht. Und so wie es aussah gab es hier auch kein Licht. Als Lea dann spontan an die Haustür klopfte, fiel diese plötzlich aus den Angeln und polterte auf den staubigen Boden. „Ah!!“ In der nächsten Sekunde waren Annika und ich da. Und wir blickten in ein klaffendes, dunkles Loch. Alle Glieder unserer Körper hielten uns davon ab, dennoch betraten wir das Haus. Unsere Pulse rasten und wir hatten das Gefühl, dass wir gegenseitig unsere Herzschläge hören konnten. „Also entweder hält unser Klient von sich und seiner Behausung nicht sehr viel…“, flüsterte ich. „Oder aber hier läuft ein ganz ein ganz mieses Ding.“, beendete Lea den Satz. Annika ließ den Lichtkegel ihrer Taschenlampe durch den Raum wandern. Vor uns befand sich eine Treppe, die nach oben führte. Der ganze Boden war zentimeterdick verstaubt, es lagen Glassplitter oder Teile von Holz auf dem Boden. „Ok Leute. Ich würde den sofortigen Rückzug vorschlagen?!“, Die Antwort auf meine Frage lag auf der Hand. „Das lass ich mir nicht zweimal sagen!“ Der trug Annikas Stimme durch das Haus. Wir zur Tür und blieben abrupt stehen, als plötzlich ein Fallgitter sich in den morschen Boden rammte! „Was zum Teufel geht hier ab?!“, kreischte Annika. Wir schauten uns panisch um. Es war hier zwar niemand, doch ab jetzt wussten wir, dass hier noch jemand war! Wir wussten es einfach! Plötzlich zischte es und von einer Sekunde auf die andere war der ganze Raum in Nebel gehüllt.
„Domme!“, „Lea!“, „Annika!“, unsere verzweifelten Rufe verloren sich. Ich lief, ohne zu wissen wohin, aber ich lief! Ich suchte die Tür! Irgendwo musste sie doch sein!! Jemand schrie, jemand stöhnte und auf einmal hörte ich nichts mehr! „Annika! Lea!“, schrie ich. Ich hörte Schritte, drehte mich um und von einer Sekunde auf die andere wurde es Nacht!
„Domme! Domme!“, jemand rüttelte an meiner Schulter. Ich öffnete die Augen und erkannte einen fahlen Lichtstrahl. Ich schloss ein weiteres Mal und öffnete sie wieder. Ich erhob mich und aus irgendeinem Grund war meine Wirbelsäule steif. Und plötzlich fiel mir alles wieder ein: Das Haus, das Fallgitter und nicht zuletzt der Nebel. „Hallo?“, fragte ich irritiert in den Raum, in dem immer noch der Lichtkegel tanzte. „Ah. Auch schon aufgewacht?“ Jemand leuchtete mir mit der Taschenlampe in die Augen, die sich gerade an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Ich wandte mich ab und musste mir die Hand vor die Augen halten. Als ich wieder aufblickte tanzte der Lichtkegel wieder auf den Wänden. Die Stimme jedoch kam mir bekannt vor. „Lea?“, rief ich in die Dunkelheit. „Ja?“ Sie war es wirklich. Irgendwie ein erleichterndes Gefühl. Wieder leuchtete sie mir in die Augen, doch diesmal hielt ich meine Hand vor den Strahl. Ich stand mit wackligen Beinen auf und sah mich irritiert um. „Wo sind wir?“, ich war irgendwie noch etwas benebelt. „Ich würde sagen in einer Hütte.“, hörte ich Lea schätzen. Ich hatte Mühe das Gleichgewicht zu halten, außerdem war die Luft hier ziemlich muffig. Ich sah mich im Licht der Taschenlampe um. „Wo ist Annika?“, wollte ich wissen. Doch Leas Blick ließ mich wissen, dass sie keine Ahnung hatte. Ich stemmte die Hände in die Hüften. „War Annika bei dir, als der Nebel ausbrach?“ Erst jetzt merkte ich, dass ich starke Kopfschmerzen hatte. „Ja. Sie stand neben mir und kurz bevor bei mir die Lichter ausgingen, kam von ihr ein Stöhnen.“
„Und was machen wir jetzt?“, fragte ich.
„Versuchen, hier raus zu kommen.“
„Toll. Und wie?“
„Die Tür ist verriegelt. Die Fenster ebenfalls.“
„Andere Möglichkeiten?“
„Handys!“, rief Lea euphorisch.
„Hast du eines?“, erkundigte ich mich. Leas Euphorie hörte augenblicklich auf. Doch dann fiel mir mein iPhone ein. Ich griff in meine Hosentasche und holte es hervor. Lea sprang vor Freude in die Luft. Doch wieder musste ich ihre Euphorie vorläufig stoppen. „Der Akku ist fast leer. Außerdem hat irgendein Idiot das Display zerstört. Man kann kaum noch was erkennen.“
„Probier’s trotzdem!“, flehte Lea.
Und in der Ungewissheit ob es ging oder nicht, wählte ich den Notruf.
Als sie erwachte, merkte sie zuerst drei Dinge. 1. Roch es muffig, 2. Sie hatte Kopfschmerzen und 3. Lag sie unbequem. Sie versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Und schlagartig fiel ihr alles wieder ein: Das Haus, das Gitter und nicht zuletzt der Nebel. Annika hatte so schnell wie möglich verschwinden wollen, doch dann irgendetwas oder irgendjemand einen Gegenstand über den Schädel gezogen. Seid ihrer Recherche und dem Mann hatte der Fall „Späte Abrechnung drastische Wendungen genommen. Noch ehe sie darüber genauer nachdenken konnte, fiel ihr eine anderer Frage ein, dessen Aufklärung ihr jetzt viel wichtiger schien: Wo war sie? Als sie sich zurecht tasten wollte, stellte sie entsetzt fest, dass ihre Hände und Füße gefesselt waren! Angst stieg in ihr auf, Angst, die sich bald in Panik verwandeln könnte! Sie versuchte ihre Hände freizubekommen, aber ohne Erfolg. Sie schüttelte sich in ihrem Gefängnis. Dabei stieß sie mit einer Hand gegen eine scharfe kante. Da hatte sie einen Gedanken. Sie drehte sich seitlich nach links, fand die Kante und fing an ihre Fesseln daran zu reiben. Sie verzweifelte fast als es nicht funktionierte, doch als sie fester daran rieb, brauchte sie fast 5 Minuten, bis ihre Fesseln gelöst waren. Sie stöhnte erleichtert auf, als sie endlich wieder ihre Hände frei hatte. Als sie sich erneut umher tastete, stockte ihr erneut der Atem. Nein! Nein, das konnte und durfte nicht sein! Die die Ergebnisse ließen keinen Irrtum zu! Sie wurde in einem Sarg gefangen gehalten. Diese Vorstellung hier gefangen zu sein, grauste sie einfach nur! Jetzt ergriff sie die Panik. „Hilfe! Hilfe!“, rief sie so laut sie konnte und klopfte und stampfte gegen ihr Gefängnis, wobei der Deckel heftig schepperte. Doch aus irgendeinem Grund wurde ihr schnell klar, dass man sie hier, wo sie war nicht hören konnte. Sie überlegte in ihrer Panik wohin man sie wohl verfrachtet hatte. Ob sie noch immer in diesem Haus war, oder wo anders? Wieder kam ihr ein Gedanke. Der Deckel schien nicht besonders stabil zu sein. Also trat sie wild dagegen, aber ohne Erfolg. Sie schnaufte. Früher, als sie im Karate war, hatte ihr der Lehrer immer einen Satz eingebläut: „Kläfte sammeln Annika! Kläfte sammeln, dann zutleten!“ Sie schloss für ein paar Momente die Augen. Dann trat sie noch einmal mit voller Kraft zu, probierte es noch ein paar male. Beim dritten Mal flog der Deckel auf und sie wurde vom hellen Licht einer Neonröhre geblendet. Sie konnte ihr Glück kaum fassen! Sie war frei! Dadurch, dass ihre Beine noch gefesselt waren, fiel sie eher aus ihrem Gefängnis heraus. Auf dem Boden, direkt vor ihr lag eine große Glasscherbe, die sehr scharf aussah. Behutsam hob sie sie auf und hatte schon nach wenigen Minuten ihre Füße frei. Ein erleichtertes Lächeln ging über ihr Gesicht. Jetzt brauchte sie nur noch ihr Handy zu holen und die Polizei anzurufen. Doch Entsetzen leuchtete in ihren Augen, als sie feststellte, dass man ihre Taschen geleerte hatte. „Scheiße!“, fluchte sie laut. Der Raum in dem sie war, war fensterlos und bis auf den Sarg war hier nichts. Annika ging auf eine Stahltür zu und drückte die Klinke hinunter. Verdammt! Abgeschlossen! Plötzlich hörte sie Schritte. Panisch schaute sie sich um! Ihr Puls fing wieder an zu rasen. Die Tür wurde aufgeschlossen und ein dunkelhäutiger Mann trat ein. Er wirkte erschrocken, als er Annika hier stehen sah. Er sah über sie hinweg auf den Sarg, verzog jedoch keine Miene. „Äh, b bitte, haben sie ein Handy?“, stammelte Annika. „Man hat mich und meine Freunde entführt, mich gefesselt und in dem Sarg eingeschlossen.“ Der Mann schien sich zu wundern. Wieder ging die Tür auf und der Mann, den Annika in der Bücherei getroffen hatte, trat ins Zimmer. Für einen Moment glaubte sie, sie bekäme einen Herzinfakt. „Aha. Wen haben wir denn da?“, sagte der Mann mit einem höhnischen Grinsen. Er schloss die Tür und noch bevor Annika es registrieren konnte hatte der Mann sie an die Wand gepresst. „Ich habe dich gewarnt, aber du und deine Freunde wolltet ja nicht hören.“ „Was haben sie mit ihnen gemacht?“, schrie Annika. Die Antwort des Mannes war brutal. Er presste sie noch fester gegen die kalte Betonwand, sodass sie fast keine Luft mehr bekam und ließ seine Faust in ihr Gesicht prallen. Blut tropfte aus Annikas Nase auf den Boden. Er zog seine Pistole und hielt sie ihr an den Kopf. Annika kniff die Augen zusammen, sie konnte kaum atmen. „Cem lass den Scheiß!“, versuchte ihn der andere Mann zu beschwichtigen. Cem hieß also der Angreifer. Wieder hatte sein Finster-Face aufgesetzt. „Der Boss will sie lebend!“ „Na gut kleine! Diesmal hast du Glück gehabt.“, zischte der Mann wütend. Dann ließ er sie los und sie landete hart auf dem Fußboden. Der der Mann sie am Hals gepackt und ihr fast die Luft abgeschnürt hatte, bekam sie einen Hustenanfall, der ihr die Tränen in die Augen trieb. Sie stütze sich auf dem Boden auf, weil sich plötzlich alles drehte. Cem packte ihren Arm und zog sie so ruckartig hoch, dass sie dachte, er hätte ihr den Arm ausgekugelt. „Bringen wir sie zum Boss!“ Damit öffnete Cem die Tür. Ein Schalter wurde betätigt und nacheinander leuchteten Leuchtröhren auf. Annika war immer noch schwindelig, dennoch erkannte sie im verschwommenen Licht einen Gang. Einen Gang, der in die Ewigkeit führte, einen Gang, der nie zu enden schien!
Auf der Stein befließeten Terrasse standen Zypressen. Es gab nur eine einzige Bank und in der benebelten Beleuchtung wirkten die Zypressen wie kleine Soldaten, die uns umstellten und auf den Befehl zum Angriff warteten. Nach den Erlebnissen der vergangenen Stunden irgendwie ein beklemmendes Gefühl. Ich spulte die Erinnerungen noch einmal zurück.
Zu unserem Glück hatte der Notruf funktioniert. Trotz des schwächelndem Akkus hatte man uns orten und aus der Hütte befreien können. In der Gegend standen viele Hütten, worauf man diese gleich untersuchte. Das Ergebnis war zwar ernüchternd, doch es überraschte niemanden. Es blieb, wie es blieb. Annika war spurlos verschwunden. Lea und ich wandten uns um, als wir Schritte hörten. Vor uns stand, die Arme dicht vor der Brust verschränkt und in einem grünen Overall bekleidet, Kommissar Meier. Und an seinem Gesichtsausdruck konnten wir erkennen, dass sein Kommen nichts Gutes bedeuten konnte. Wir erhoben uns. „Und?“, fragte ich. Ich konnte Lea ansehen, dass sie auch diese Frage aussprechen wollte, doch anscheinend fehlte ihr der Mut, was ich angesichts ihrer Lage gut verstehen konnte. Er bedeutete uns mit einer Handbewegung, dass wir hereinkommen sollten. Wir verließen die kalte Terrasse und traten ins wohl beheizte Gebäude ein. Trotz der späten Stunde war hier noch Hochbetrieb. Auf dem langen Flur, der 20 m weiter an einer Treppe und einem Fahrstuhl endete, rannten einige Beamten umher, die einen mit Bergen von Papier und Akten, die anderen mit Handys am Ohr oder einer Tasse in den Händen. Wieder andere, die in den Archiv- und Kopierräumen standen. Und dann gab es dann noch die, die in den Büros hockten, müde dreinblickten und abwechselnd auf die Uhr, den PC oder dem Treiben der Kollegen zuschauten. Eben volles Polizei- Reallife. Es war das letzte Büro des Ganges, in das wir schließlich eintraten. Der Kommissar setzte sich hinter seinen großen Schreibtisch, der etwas an den von Señor Bii erinnerte. Auf dem Tisch lagen Akten, in den zwei Regalen standen Bücher und andere Ordner. Poster zierten die weiße Tapete. Auf einigen erkannte ich Michael Jackson. Und bis auf das kleine Sofa, mit dem runden Beistelltisch, das neben der Tür stand, war aus dem relativ mittelgroßen Raum nichts mehr rauszuholen. Über einen Mausklick holte Herr Maier seinen Computer wieder aus dem Ruhezustand. Auch wenn es jemandem nicht ganz klar schien, konnte man spüren, dass Ärger in der Luft war! Die einleitende Frage stellte Lea. „ Haben sie schon eine Spur?“ Sie wirkte unsicher. „Nicht wirklich. Eure Freundin ist und bleibt verschwunden.“ Er erhob sich von seinem braunen Ledersessel und ging im Zimmer auf und ab. „Ich hatte euch doch ausdrücklich gesagt, dass ihr eure Finger aus diesem Fall lassen sollt, nicht wahr?“ Wir nickten, ohne ihn dabei anzusehen. „Aus welchem Grund habt ihr trotzdem weitergemacht?“ Zum Glück war Annika nicht hier. Sie hätte ihm wahrscheinlich einige unschöne Antworten an den Kopf geworfen. „Nun ja, am Ende war es schlichter Ehrgeiz, der uns antrieb. Und nach dem Besuch bei Bii hatten wir wirklich aufgehört, nur Annika offenbar nicht.“ „Interessant.“, sagte er, als ob er das verstehen würde. Ich hatte sogar die etwas verrückte Vermutung, dass er uns dafür bewunderte.
„Und hat sie euch eingeweiht in ihre Ergebnispläne?“
„Ja. Hat sie.“, antwortete Lea kleinlaut.
„Und?“
„Was und?“
„Was habt ihr gemacht?“
„Zunächst nichts.“
„Aber?“ Der Kommissar hatte meine nachdenkliche Miene wohl bemerkt.
„Nun ja. Als sie uns einweihen wollte, wurden wir von einer ominösen Person angerufen, die uns einen Treffpunkt nannte, um uns Informationen zu geben. Über den Fall. Am Treffpunkt wurden wir dann überfallen, und den Rest der Geschichte kennen sie ja.“
„In der Tat. Was war das für ein Treffpunkt?“ Ich wusste nicht mehr genau wie die Straße hieß. Ich dachte an den Zettel mit der Adresse. Doch den hatte leider Annika. Ich griff geistesabwesend in meine Jackentasche und hielt plötzlich den Zettel in der Hand! Ich hatte keine Ahnung, wie der Zettel in meine Tasche kommen konnte, doch das war mir in diesem Moment egal. „Das war die `Strahlinstraße` 121`.“
Der Kommissar tippte den Namen ein. „Wow. Dieses Haus ist schon seit fast 30 Jahren unbewohnt.“
„So sah es auch aus.“, seufzte Lea. „Fandet ihr nicht, dass dies ein etwas ungewöhnlicher Treffpunkt war?“ Wir sagten nichts dazu. Diese Antwort schien ihm zu reichen. Er stand auf, nahm Mantel und Ausrüstung und ging zur Tür. Als ich auf die Uhr sah, stellte ich fest, dass es schon 2 Uhr früh war. Erst jetzt fiel Lea und mir auf, wie müde wir eigentlich waren. „Kommt ihr mit?“, fragte er, während er die Tür öffnete. „Wohin?“, fragte Lea. Wir waren beide zu müde, um denken zu können. Herr Maier grinste. „Sagen wir mal, wir gehen ein wenig auf Streife.“
In zwei Überlegungen hatte sie bis jetzt richtig gelegen. Zum einen wo auch immer sie war, es war definitiv nicht das alte Gemäuer. Und zum anderen: Die Begegnung in der Bibliothek mit Cem war definitiv kein Zufall gewesen. Noch wusste sie nicht wie die Ereignisse in Zusammenhang gebracht werden konnten, dennoch wusste sie, dass sie hier die Antwort auf die vielen Fragen bekommen würde.
Annika war immer noch schwindelig, als sie von Cem und dessen Kumpanen durch den langen Gang geschleppt wurde. Ihre Augen taten weh, sie war müde und hatte Kopfschmerzen. Mit dem endlos lagen Gang hatte sie nicht übertrieben. Im Abstand von zwei Metern kamen sie an Stahltüren vorbei. Die einen waren durchgerostet, andere sahen relativ neu aus. Es war jedoch zu uniform, um als Abwechslung zu gelten. Der Gang war alt, überall von Spinnweben übersät, doch die Luft hier drin war bis auf den Schweißgeruch frisch. Als sie schon fast jede Hoffnung verloren hatte, hatte die Truppe das Ende des Ganges erreicht. Es hatte nur zwei Minuten gedauert, doch Annika war es wie eine Ewigkeit vorgekommen. Die Tür wurde aufgestoßen, doch Annika blieb stehen. Ihre Beine wollten ihr nicht mehr gehorchen. „Na los!“ Cem schuppste sie so unsanft in den Raum, dass sie fast das Gleichgewicht verlor. Der Schwindelanfall hatte immer noch nicht ausgesetzt. Der Raum, in dem sie sich jetzt befand, war nicht größer als der vorherige. Am anderen Ende befand sich ein weiterer kleiner Raum, der, im Gegensatz zu den anderen Räumen, ein paar Fenster hatte, die jedoch, wie der Raum, ihre besten Tage hinter sich hatten. In der Mitte des Raums war ein großer Schreibtisch, auf dessen Ledersessel ein untersetzter, glatzköpfiger Mann saß. Er hatte wohl gerade ausgiebig ein großes Plakat studiert. Als er die Ankömmlinge bemerkte, ließ er es sofort unter seinem Tisch verschwinden. Die beiden Wachhunde schien das nicht zu stören.
„Na wen haben wir denn da?“ Der etwas merkwürdig aussehende Mann schaute sie spöttisch an. Annika wurde auf den Stuhl gesetzt, der vor dem Schreibtisch stand. Sie hatte längst registriert, dass der Mann sie musterte. „Ich muss zugeben, ich habe mit einer zumindest etwas älteren Person gerechnet.“ Er erhob sich und ging im Zimmer auf und ab. Annika beobachtete ihn so gut es ging, ohne sie umzudrehen, als er hinter ihr stand. „Und mit deinen Freunden hatte ich auch nicht gerechnet.“ Wutentbrannt stand sie auf, wurde jedoch von Cem gleich wieder auf den Stuhl gepresst. Das hielt sie aber nicht davon ab sich umzudrehen. „Was haben sie mit ihnen gemacht?“, schrie Annika ihn an. „Keine Sorge, keine Sorge.“, versuchte die weiche Stimme sie zu beruhigen. „Ich habe sie an einen sicheren Ort gebracht. Zudem habe ich deinem sein Mobiltelefon gelassen.“ Auf der einen Seite war sie erleichtert, auf der anderen Seite wütend. Der Mann wusste wohl, dass sie ihn mit dem hasserfüllten Blick verfolgte.
„Aber kommen wir zur Sache. Du hast etwas was ich haben will.“
„Hab ich eine Wahl?“
„Wie man es nimmt. Entweder du gibst mir das was ich haben will oder ich werde dich töten.“
„Dann wäre meine Entführung aber ganz umsonst gewesen.“ Der bemerkte sofort, dass Annika dabei war den Spieß umzudrehen. Doch er hatte bereits das nächste Ass im Ärmel. „An der deiner Schule gab es ein paar Vorfälle.“ Obwohl er dicht hinter ihr stand, drehte sie sich nicht um. „Und wenn du möchtest, dass nicht noch mehr passiert, würde ich an deiner Stelle auspacken.“ Annika saß da wie vom Blitz getroffen. Der Schlag hatte gewirkt. Aus irgendeinem Grund hatte sie Tränen in den Augen. „Sie waren das!“, sagte sie so hasserfüllt, dass sie nicht die Kraft hatte, zu schreien. Ihr Gegenüber lächelte selbstgefällig. Doch ohne lange gesucht zu haben hatte Annika das nächste Mittel parat, um ihn auszubremsen. „Ich habe keine Ahnung, welche Information sie von mir wollen.“ Das Beste an diesem Blöf war, sondern die Wahrheit. Das Gelächter des Mannes verstummte augenblicklich. Und jetzt reichte es ihm! Er setzte sich wieder. Er holte einen Ordner unter dem Schreibtisch hervor und brachte Kopien zum Vorschein. „Cem war so freundlich mir einige Kopien mit zu bringen. Kopien aus dem Buch, das du dir durchgelesen hast.“ Er legte ihr die Pläne auf den Tisch, auf denen Grundrisse der Lauer`schen Gärten und der Grundriss eines langen Tunnelgeflechts aufgezeichnet waren. Dieser Grundriss wurde an der Westseite von einem dicken Strich umzäunt, der sich von oben bis nach unten erstreckte. Annika schloss daraus, dass dieser Strich eine Art Mauer darstellen sollte. Jetzt würde ihr die gespielte Ahnungslosigkeit nichts mehr bringen. Soviel wusste sie jetzt. Doch schon tauchte wieder die nächste Frage auf. „Und wozu brauchen sie mich da?“ Der Mann fuchtelte noch mit weiteren Plänen vor ihrer Nase, auf denen sich das Geflecht noch weiter erstreckte.
„Ganz einfach. Es steht zwar überall `Mannheim` drauf, aber nicht wo genau das Geflecht ist bzw. der Eingang.“
Jetzt war die Katze aus dem Sack und so langsam wurde ihr Interesse geweckt. Wusste der Mann vielleicht mehr als sie? Wenn ja, gab es nur einen Weg das heraus zu finden. „Es geht um die 5000.000.000 Mark nicht wahr?“ Der Mann wusste, dass sie verstanden hatte, was er von ihr wollte. „Tut mir leid. Aber auch ich habe keine Ahnung, wo das ist.“, sagte sie entschlossen. Und zu ihrer Freude stellte sie fest, dass ihr nicht mehr schwindelig war. Doch jetzt wurde ihr das ständige Blöffen zum Verhängnis, denn der Mann glaubte ihr das nicht. Sie hatte keine Ahnung woher er diese Überzeugung nahm, doch ihr war klar, dass sie ihr Lügen- Budge ausgeschöpft hatte. „Schade, schade. Ich hatte mir erhofft auf nicht so viel Dickköpfigkeit zu stoßen. Aber gut. Cem, bring sie zum Nachdenken in die Todeszelle!“
Der kleine Raum, in dem Annika jetzt saß, trug seinen Namen zurecht, aber irgendwie auch nicht. Die Gesamtlage hatte sich für sie kaum verändert. Cem und Joe hatten sie in den Nebenraum gebracht und gefesselt. Besonders Cem hatte sich beeilt und Annika hatte das Gefühl, dass er ihre Angst auskostete und die Big Brother- Rolle genoss. Den Namen „Todeszelle“ hatte sich der Mann wohl deshalb ausgesucht, um ihr Angst zu machen. Doch wenn diese Vermutung stimmte, hinterließ das bei ihr keinen Eindruck. Viel mehr Sorge, bereitete ihr allerdings der verlauf ihrer Entführung. Was, wenn man sie nicht fand? Ob man überhaupt nach ihr suchte? Bei diesen trüben Gedanken verlor Annika fast jede Form von Hoffnung. Nein! Nein! Das durfte sie sich nicht einreden! Sie hatte sich schon einmal aus einer ausweglosen Situation befreit und das würde sie auch diesmal tun! Als sie noch klein war hatte man ihr erzählt, dass es immer einen Weg gibt um etwas zu erreichen. Man musste es nur wirklich wollen und fest daran glauben. Sie hatte noch nie besonders darauf gesetzt, aber sie wusste, dass jetzt der Zeitpunkt dafür war, um dies zu tun. Neue Energien durchströmten sie, Hoffnung, Mut, Stärke! Kräfte, die bewirkten, dass es einen Weg gab um hier- möglichst heil- wider rauszukommen.
Doch eines musste Annika Cem lassen. Seine Fesselkünste waren wahrlich meisterhaft. Alle versuche sich zu befreien scheiterten. Sie wollte gerade aufgeben, als ihr auffiel, dass der Stuhl sehr unstabil war. Mit einem kurzen Blick in den anderen Raum vergewisserte sie sich, dass sie niemand beobachtete, dann machte sie sich ans Werk.
Mit Hilfe einiger geschickter Handgriffe war es Annika ein leichtes sich aus den Fesseln zu befreien. Doch bei den Fesseln hatte Cem eines nicht bedacht. Zwar war sein Werk perfekt, aber das Nylonseil war elastisch und dehnbar. Eine scharfe Kante tat ihr übriges. Doch ihr Optimismus ging gleich wieder zu Grunde. Die Stahltür, die die beiden Räume von einander trennte, war abgeschlossen. Annika ärgerte sich über sich selbst. Wie konnte sie auch damit rechnen, dass sich ihre Entführer nach einer solchen Aktion, die gut durchdacht war, einen solchen Leichtsinnsfehler leisteten! Doch wieder hatte sie Glück. Eine Haarklammer eignete sich offensichtlich sehr gut als Dietrich. Das Lächeln sparte sie sich. Denn noch war nichts entschieden. Die Tür ging fast lautlos auf, als sie vorsichtig heraus lugte. Doch niemand war da. Weder der Mann, noch Cem, noch sein Begleiter. Die perfekte Fluchtgelegenheit.
Annikas Hand zitterte leicht, als sie vor der Stahltür stand, und die Hand nach der Klinke ausstreckte. Sie stand vor der Stahltür, die sie von dem Gang trennte. Mit der Haarklammer würde sich auch dieses Schloss garantiert knacken lassen, dachte sie. Doch was würde sie hinter der Tür wohl erwarten? Sie wollte sich nicht ausmalen, was passieren würde, wenn ihre drei Wächter vor ihr stünden! Annika schüttelte verärgert den Kopf. Nein! Nein! Nein! Diese Gedanken durften ihr den Mut nicht kaputt machen. Sie war nicht so weit gekommen, um sich jetzt wieder einkerkern zu lassen. Alles, was sie jetzt noch von ihrer Freiheit trennte, war diese Tür. Also machte sie sich ans Werk.
Der Gang war leer und bis auf das leichte Surren der Neonröhren hörte sie nichts. Dann wagte sie angespannt und mit aufgerissenen Augen einen Schritt aus der Tür. Doch niemand war zu sehen. Sie atmete erleichtert aus und trat in den Gang. Ein großer Fehler!
Annika hatte nur in die Richtung geguckt, aus der sie gekommen war, ein weiterer Gang war ihr nicht aufgefallen, weshalb sie nicht nach rechts geschaut hatte. Das wurde ihr jetzt zum Verhängnis! Denn als sie den anderen Gang entdeckte, erkannte sie eine Person, bei der sich ihre Augen vor Entsetzen weiteten und ihr Puls wieder zu rasen begann: Cem!
Für einen kurzen Moment sahen sie sich an. In Cems Augen der hasserfüllte Blick, in Annikas Augen panische Angst. Für einen Moment wollten Annika ihre Füße nicht mehr gehorchen, doch dann entfesselte sie sich aus seinem Blick und war losgerannt, ohne dass Cem etwas tun konnte. Doch dieser ließ nicht lange auf sich warten und als sie gerade und als sie gerade um die Ecke gebogen war, preschte er los! Der Sport, den sie regelmäßig trieb, schien sich zu lohnen, denn sie wurde immer schneller. Dennoch blieb Cem ihr dicht auf den Fersen.
Sie rannte, sie rannte immer weiter durch den Gang aus dem sie gekommen war. Die Stahltür, die vor ihr war, wurde immer größer. Und während ihre Kondition immer schlechter wurde, wurde Cems immer besser, denn er holte rasend schnell auf, zu schnell! An der Tür angekommen, stieß sie sich von der Wand ab und schnellte um die Ecke. Und plötzlich sah sie ein Hindernis: Aufgestapelte Ölfässer! Es war unmöglich, dass sie da hinüber fliegen konnte. Sie blieb wenige Meter davor stehen. Was sollte sie tun? Fast wäre sie zurück gerannt, doch Cem bog gerade um die Ecke und grinste sie höhnisch an. Er sah die Fässer und packte die Gelegenheit beim Schopf. Cem wollte sie nicht in die Arme laufen. Also blieb ihr keine andere Wahl. Sie musste springen! Egal wie! Sie rannte los, doch Cem war nur noch einen Meter von ihr entfernt. „Bleib stehen! Stehen Bleiben!“, brüllte er. Er griff nach ihr und hätte sie fast gehabt, doch sie war gesprungen! Der Rest passierte wie in Zeitlupe. Unter ihr krachte Cem in die Fässer. Sie selbst landete auf dem Rücken und rollte sich ab. Sie wollte Cem keine Gelegenheit geben ihr zu folgen und brachte den Turm zum Einsturz. Cem, der direkt darunter war, konnte nur laut aufschreien, als die dutzenden Fässer auf ihn hinabstürzten. Annika lächelte zufrieden. Der Abstand vergrößerte sich. Als sie in sicherer Entfernung war, sah sie Cem, der sich wieder aufgerappelt hatte, und bei dem Versuch zu gehen erneut stürzte. Er stand nicht mehr auf. Sie konnte es nicht fassen, aber irgendwie hatte sie Mitleid mit ihm. Sie widerstand der Versuchung ihm zu helfen, sondern lief weiter in Richtung Freiheit. Ihr weg zur Freiheit war kurz, das wusste sie. Sie konnte es förmlich riechen. Jetzt war die Tür in Sichtweite, die Tür, die sie in die Freiheit entlassen würde. Plötzlich hielt sie inne. Hatte sie Schritte hinter sich gehört? Sie brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass dem so war. Sie drehte sich auch nicht um. Sie hatte eine schlimme Ahnung. „da ist ja unser Ausreißer. Alle Achtung. Bisher hat Cem noch keiner besiegt.“ Annika hörte das Ladegeräusch der Pistole. „Hände hoch und zu mir kommen!“, sagte er im Ton eines strengen Soldaten. Mit erhobenen Händen ging sie zu ihm. Sie ahnte was jetzt kommen würde. „Geht doch.“, sagte der Mann, während er seine Waffe wegsteckte. „Cem kannst du vielleicht reinlegen, aber bei mir wird das schon schwieriger. Er holte ein Walkie-Talkie aus seiner Tasche. „Ich hab sie.“, sprach er triumphierend hinein. Er drehte sich um. Anscheinend war er sich seiner Sache sicher. Und für Annika bot es die perfekte Gelegenheit. „ Ja. Ich bin im Ostfl“ Er stöhnte auf vor Schmerz und fiel um wie ein Baum, als ihm Annika zwischen die Beine trat. Sofort rannte sie wieder auf die Tür zu und versuchte sie zu öffnen. Als sie zurück blickte, musste sie mit Entsetzen feststellen, dass der Mann wieder aufgestanden war und auf sie zu preschte. Sie versuchte die Tür aufzustoßen, was sie erst schaffte, als der Mann direkt hinter ihr war. Annika versuchte los zu rennen, doch der Verfolger stellte ihr so das Bein, dass Annika schmerzhaft auf den Betonboden krachte. Sie wollte wieder aufstehen, musste jedoch begreifen, dass sie ihrem Gegner unterlegen war. Und dieser war wütend. Noch viel wütender, als Cem es je hätte sein können. In dem Raum war es dunkel, sodass Annika ihren Verfolger nicht sehen konnte, doch sie wusste, dass er direkt vor ihr stand. „Mir reichts. Jetzt ist das Maß voll. Und soll ich dir noch was sagen? Ich wage es zu bezweifeln, dass wir nach den Vorkommnissen noch mit dir zusammen arbeiten wollen. Es tut mir leid, aber wir müssen alle Spuren vernichten.“ Annika kniff die Augen zusammen, als sie den Revolver hörte. Gleich würde es passieren, der Knall, der Schmerz und letztlich der Tod. Der Mann drückte ab! „NEIN!!“, kreischte Annika, vor lauter Angst.
Doch anstatt eines Knalls trug der Wind nur das leise Klicken zu ihr. „was zum Teufel?!!!“ Er überprüfte seinen Revolver. Die Chance nutzte sie. Ehe der Mann etwas bemerken konnte, hatte sie ihm mit den Beinen den Boden unter den Füßen weg gerissen. Der Mann fiel um und wurde bewusstlos. Annika stand auf, rannte, stolperte, bis sie an dem Rolltor angelangt war. Sie zog es hoch und ein eiskalter Nachtwind blies ihr entgegen. Die Nacht war sternenklar. Sie rannte weiter, sodass sie sehen konnte wo sie war: Am Ludwigshafener Hafen. Plötzlich hörte sie Reifen quietschen, Scheinwerfer rasten direkt auf sie zu. Gleich würde es zu dem tödlichen Crash kommen. Was würde bloß sein, wenn sie nicht mehr war? Was würden ihre Freunde, ihre Familie tun? Bei diesen Gedanken bekam sie Tränen in sie Augen. Die Scheinwerfer waren ganz nah. Nein! Soweit durfte es nicht kommen! Nicht jetzt! Und als das Auto sie fast überfahren hätte, sprang sie zur Seite und landete auf dem Asphalt. Das Auto fuhr noch einen Meter weiter, ehe es zum Stehen kam. Doch Annika war längst wieder aufgestanden und losgerannt. Auch wenn sie nicht wusste, wohin. Doch das Auto hatte längst wieder die Verfolgung aufgenommen.
Fast wäre sie stehen geblieben, doch dann entdeckte sie ein Schild. „Straße 500 m“. Das Schild verlieh ihr neue Kräfte, sie bog um die Ecke und sprintete in die eiskalte Dunkelheit. Offenbar hatten ihre Verfolger das Schild auch entdeckt und jetzt wurde es gefährlich, denn es fielen Schüsse!
In seiner Vergangenheit hatte Herr Maier oft mit Entführungen zu tun. Aus diesem Grund waren wir auf Streife gefahren. Doch nicht kreuz und quer durch die Stadt, in der Hoffnung weiter zu kommen. Nein. Lea und ich hatten den Eindruck, dass er ein Ziel verfolgte. Die Fahrt war bis jetzt schweigend verlaufen.
„Wo fahren wir hin?“, fragte ich kleinlaut.
„Ins Hafengebiet.“, antwortete er ohne Regung.
„Warum suchen wir gerade dort?“, fragte Lea gähnend. „Reine Polizistenintuition.“ Das Ende der Straße war fast erreicht. Es war fast zwei Uhr. Lea schien fast eingeschlafen. Ich sah müde durch das Fenster. Und so langsam fielen auch mir die Augen zu. „Ich schreckte auf, als ich einen lauten Knall hörte! „Was war das?“, fragte ich erschrocken. Dem Kommissar war der Knall offenbar nicht entgangen. „Das würde ich auch gern wissen.“ Wieder fielen drei Schüsse, soviel hatte ich erkannt! „Das genügt!“, murmelte der Kommissar, aktivierte Blaulicht und Martinshorn und gab so ruckartig Gas, dass ich und Lea in unsere Sitze gedrückt, und Lea davon wach wurde. „Was is los?!“, fragte sie noch immer schläfrig. „Es sind Schüsse gefallen! Vier!“, erwiderte ich angespannt. Noch immer rasten wir auf der Straße entlang. „Woher kamen die Schüsse?“, erkundigte sich Lea. „Aus dem Hafengebiet. Es gibt keine andere Möglichkeit.“, antwortete Herr Maier von vorne. Und da tat sich die dunkle Einfahrt auf. Dort standen nur noch zwei Laternen, die letzten, die hier waren. Drei weitere Schüsse ließen uns zusammenzucken, doch wir hatten wohl die Ursache dafür gefunden. „Da!“, rief Lea und wir erkannten Scheinwerfer, ein Auto! Unweit vor dem Auto rannte eine Person auf uns zu und als sie unter der letzten Laterne war, erkannten wir die Person und wir glaubten, wir bekämen einen Herzinfarkt: Es war Annika!
„Da ist Annika!“, riefen Lea und ich im Chor. „Scheiße!“, sagte der Kommissar und während sich zwei weitere Schüsse lösten, hatte er seinen Lautsprecher: „Hier spricht die Polizei! Halten sie ihr Fahrzeug an und steigen sie mit erhobenen Händen raus!“ der Fahrer ließ sich nicht beeindrucken, im Gegenteil! Er feuerte drei noch dreimal und traf das Auto. Doch es war zu spät. Sie hatte den Wagen fast erreicht, da driftete der Fahrer und raste in die andere Richtung davon. Er war weg. Herr Maier schrieb sich etwas auf, Annika machte mit zittrigen Händen die Tür auf fiel Lea und mir geradezu auf die Füße. „Domme! Lea!“, rief sie überglücklich. Sie war ganz rot im Gesicht, ihre Haare waren zerzaust, außerdem hatte sie Tränen in den Augen. „Ich bin so froh euch zu sehen!“
„Und wir erst!“, entgegnete Lea. Sie umklammerte uns fest. Herr Maier stieg wieder in den Wagen. Er war wohl noch einmal suchen gegangen. „Annika, du lebst.“, sagte er erleichtert. „Ja noch.“, antwortete sie und jetzt konnte und wollte sie sich nicht mehr wehren und sie fing an zu heulen, wie sie noch nie geheult hatte.
Der Morgen graute bereits, als Annika, Lea und ich zusammen mit Herr Maier übermüdet an der Polizeidirektion ankamen. Annika fiel ihrer Mutter vor Freude in die Arme, die auf der Direktion gewartet hatte. Sie wollte mit ihr nach Hause fahren. Doch Annika wollte nicht. Stattdessen wollte sie, dass man sie und uns bei der Zentrale absetzte. Ihre Mutter war anfangs nicht einverstanden, doch dann ließ sie sich überreden. Ich hielt das für keine gute Idee, doch irgendwie war mir das doch recht.
Eine halbe Stunde später hatte uns Annikas Mutter vor der Zentrale abgesetzt. Annika sah immer noch recht mitgenommen aus. In der Zentrale fielen wir aufs Sofa, auf den Sessel. Wir waren sofort eingeschlafen.
In dieser Nacht, schlief Annika nicht gut. In ihrem Kopf tauchten ständig die Bilder ihrer Entführung auf, dann sah sie sich auf dem Boden liegend und der Mann, mit der Waffe auf sie zielend, drückte ab. Sie schrie auf und ein Schmerz durchzog ihre Brust. Das Bild vor ihr wurde immer dunkler, immer unschärfer. Der Schmerz wurde immer undeutlicher, bis sie nichts mehr spürte und einfach nur weg war. Sie schreckte aus dem Schlaf hoch. Sie war schweißgebadet. Als sie sich wieder beruhigt hatte, legte sie sich schlafen und träumte viele kleine Träume auf einmal.
Wir schliefen zwar bis um ein Uhr durch, doch keiner von uns kam sonderlich gut aus dem Bett. Dennoch half es nichts. Wir machten Frühstück.
„Kollegen. Ich glaube ich weis jetzt wo der Bunker ist.“ Es schien ihr wieder besser zu gehen, denn in ihren Augen strahlte wieder die Annika, die wir kannten. Lea und ich waren überrascht. „Darf ich fragen warum? Und woher?“, erkundigte ich mich. „Der Mann, der mich entführt hatte, hat mir einige Pläne gezeigt. Er dachte wohl, dass ich damit was anfangen könnte.“
„Und? Konntest du?“, fragte Lea.
„Nein. Aber jetzt. Im Schlaf ist es mir eingefallen.“
„Normale Menschen schlafen und du denkst im Schlaf. Deinen Kopf will ich haben.“ Mehr fiel mir dazu nicht ein. Doch Lea lenkte wieder auf das eigentliche Thema ein. „Aber wo liegt der Zusammenhang zwischen unserer Schule und diesem Tunnel?“, fragte sie in die Runde.
„der Zusammenhang ist klar. Unsere Schule liegt etwa am gleichen Standort, wie die Bank. Und die lauer`schen Gärten sind direkt daneben. Klarer geht’s doch nicht mehr. Und anscheinend ist man davon ausgegangen, dass der Bunker in der Nähe der Schule oder in der Schule liegt, kapiert?“ Noch immer lag Leas Stirn in Falten.
„Und warum sprengen die dann unser Klo in die Luft?“ Ich atmete tief durch.
„Das ist das letzte Puzzleteil, zur Lösung unseres Falles.“, erklärte Annika. Das machte sie sehr gut. Das fand ich zumindest so. Wir nickten zustimmend. „Kollegen wir sind ganz nah dran. Wir haben fast unseren ersten Fall gelöst!“, triumphierte Annika vor Freude. „Erhoffst du dir noch weitere Fälle?“, fragte ich.
„Warum nicht.“
„Ok. Also an mir soll es nicht liegen.“
„An mir auch nicht.“, fügte Lea hinzu. Ich stand auf.
„Was machst du?“, erkundigte sich Annika, die bemerkte, dass ich zum Telefon ging. „Wenn wir diesen Fall tatsächlich lösen wollen, müssen wir unter die Erde. Ich ruf Herrn Maier an.“
Es hatte angefangen zu regnen, als fünf Polizeiwagen vor den Lauer`schen Gärten auffuhren. Beim vordersten Wagen wurden die Türen geöffnet. Ich, Annika, Lea und Herr Maier entstiegen. Wir gingen voraus, hinter uns ein dutzend Polizisten. Wir blieben stehen. Unter uns war nur Wiese und einen Meter rechts befand sich die Mauer. Der Garten grenzte die Schule und den Spielplatz von einander ab. „Hier.“, murmelte Annika und lehnte sich gegen die 3 Meter hohe Mauer. „Hier war eine klare Mauer gezeichnet.“
„Und die Eingänge?“, drängte Herr Maier. Nun hatte auch er den Braten gerochen. „Erinnere dich bitte ganz genau.“, bat ich sie. Doch allein ihr Gesichtsausdruck sagte, dass sie nicht weiter wusste. Wieder lehnte sie sich gegen die Mauer und drückte dabei einen losen Stein ins Mauerwerk. Annika bemerkte das nicht. Plötzlich löste sich an der Oberkante ein Steinblock. „Räuberleiter!“, rief sie und zwei Minuten später versuchte sie den Stein hochzuhieven. Als ihre Finger schmerzten machte sie eine Pause. „Brauchst du Hilfe?“, rief ich, als Annika es erneut versuchte. Sie murmelte etwas, fluchte, dann hatte sie mit einem Ruck den Block oben. Annika leuchtete mit einer Taschenlampe in das dunkle Loch. Sie strahlte zu uns herunter. Wir stiegen zu ihr auf die Mauer. „Gute Arbeit Annika.“ Ich klopfte ihr anerkennend auf die Schulter. „Wer geht vor?“
„Ich.“, sagte Herr Maier, knipste seine mitgebrachte Taschenlampe an und ging hinab. Wir folgten ihm und Lea schloss als letzte den Eingang. Die Luft hier drin war frisch, dennoch war sie staubig und der Gang war klein, sodass Annika etwas ihren Kopf einziehen musste. Im fahlen Licht der Taschenlampe konnten wir sehen, dass das Ende der Treppe fast erreicht war. Die Wände waren übersät mit Spinnweben und manchmal bekam jemand eine ins Gesicht. Das war etwas, was besonders Lea nicht gefiel, da sie sich vor nichts mehr fürchtete als vor Spinnen, sie wäre am liebsten umgekehrt, doch als sie das Ende der Treppe sah, schloss sie einfach die Augen, denn sie wollte sich nicht blamieren, wenn sie vor ihren Freunden und Herrn Maier schreiend davon lief, und vor allem war sie immer noch auf Bewährung und das wollte sie sich jetzt nicht kaputt machen. Annika trat neben Herr Maier. „Wo geht’s lang?“, fragte er irritiert. „Null Plan.“, antwortete Annika und ging weiter in eine der vielen Gänge, die hier mündeten. Plötzlich hörten wir aus ihrer Richtung einen Schrei! Wir waren sofort an der Stelle. „Annika?“, rief ich. „Ja. Hier unten!“ Herr Maier leuchtete in das stockdunkle Loch und blendete Annika dabei, die gerade dabei war, sich nach dem Sturz wieder aufzurichten. Wir sahen zu ihr hinab. „Sollen wir dich wieder hochziehen?“, hallte Leas Frage dumpf wieder. „Moment.“, erwiderte sie. „Was ist? Hast du was entdeckt?“, fragte der Kommissar eifrig. „Ja!“, rief sie und stand vollends auf. „Da vorne ist ein Licht. Kommt ihr runter?“ Herr Maier meldete sich zu Wort. „Ihr geht und ich schick euch 5 Beamten runter. Ist das ok?“ Wir nickten, auch Annika nickte dem Kommissar zustimmend zu. Dann holte er seine Leute.
Schon nach etwa 2 Minuten waren die Beamten da. Sie hatten Taschenlampen dabei und stiegen als erste hinab. Den Schluss bildete Lea. Als ich hinunter steigen wollte, hielt mich Herr Maier an der Schulter. Ich sah ihn an. „Viel Glück. Seid vorsichtig.“ Er lächelte mich anerkennend an. Ich verstand den Sinn dieser Geste und lächelte dankbar zurück. Er nahm seine Hand von meiner Schulter, dann wurde ich von den anderen in das Loch geholt.
Dann waren wir unten. In einem schmalen Gang, der auch sehr klein war, sodass sich einige ducken mussten. Und auch wenn ich der vorletzte in der Reihe war, konnte ich das undeutliche Flackern am Ende des Ganges deutlich erkennen. Der vorderste Beamte hielt inne. Er zeigte auf das Licht und ging voran. Dann kam er zurück. „Das Licht da wird nur reflektiert. Um die Ecke geht’s weiter.“ Wir nickten. Auch wenn wir dicht an dicht gingen, war uns ziemlich mulmig zu mute. Es kam uns immer enger hier vor. Bei jedem Schritt rieselte Staub von der Decke und es kam einem so vor, als wurde man die schreienden, kreischenden, flehenden und rufenden Stimmen der Leute hören, die sich hier einst versteckt hatten. Wir hatten die Biegung erreicht und hätten fast eine tiefe Stufe übersehen. Und dann, 100m weiter war ein weiteres Licht. Da fiel Annika noch etwas ein. Sie rechnete damit, dass sich Cem und sein Kumpane vor uns befinden könnten. „Die Leute, die da sind, sind bewaffnet.“, flüsterte sie dem vordersten Beamten zu. „Wie kommst du darauf, dass da“, er brach den Satz ab, denn jetzt hörten wir alle Stimmen. Ganz dumpf und undeutlich. Der Polizist gab den Kollegen ein Zeichen und ihre Waffen kamen zum Vorschein. Nach einigen Metern waren wir am Eingang zu einer Höhle, von der das Licht kam. „Na los! Mach schneller!“, hörte man eine Männerstimme und es war nicht die von Cem. Die Polizisten gaben sich ein Zeichen, dann stürmten sie in die Höhle. „Polizei! Hände hoch!“ „Polizei, alles fallen lassen. Und an die Wand!“
Erst als die Handschellen um die Handgelenke gelegt waren, wank man uns hinein. Annika stellte fest, dass Cem nicht da war und es war ihr auch recht so. Der Schreck jedenfalls war den Männern ins Gesicht geschrieben. Denn damit hatte wohl keiner gerechnet. Einen der beiden erkannte Annika sofort wieder. Es war Cems Handlanger! Als dieser auch sie wieder erkannte, knurrte er wütend und wäre am liebsten auf Annika los gegangen, doch er hatte die Handschellen vergessen, außerdem hielt ihn ein Polizist in Schach. Ich entdeckte in der Ecke eine große Öllampe. Das war also die Lichtquelle. Auf dem Boden in der Mitte des Raumes war der Boden aufgebrochen und 8 Metallkisten lagen frei. Annika hob eine davon auf. Sie musste ein bisschen am Deckel rütteln, ehe er sich löste. Dann zeigte sie mit einem zufriedenen Lächeln den Inhalt. Es war das verschwundene Geld! Wir lächelten alle stolz und zufrieden. Ich nahm die Lampe und wir gingen ins Freie. Als wir von der Mauer kletterten, sahen wir gerade noch wie die beiden Verbrecher in Polizeiwagen gesteckt wurden und losfuhren. Jubelnd fielen wir uns in die Arme. Wir hatten unseren ersten Fall gelöst! Der Kommissar bekam das mit. Er lächelte und kam auf uns zu. „Ich habe ehrlich gesagt nicht mit dieser Wendung gerechnet. Tut mir leid, dass ich euch das nicht zugetraut habe. Ich denke ich hab etwas für euch.“, sagte er etwas verlegen und wurde rot. Der Fall „Späte Abrechnung“ war gelöst! Plötzlich hörten wir laut Schüsse! Wir sahen uns um. Niemand war zu sehen. Wieder zwei Schüsse! Wieder drehten wir uns um. Annika machte ein schmerzverzerrtes Gesicht. „Was ist los?“, fragte ich und berührte sie zufällig an der Schulter. Und plötzlich lag sie auf dem Boden und rührte sich nicht mehr. „Annika, was ist los?!“ Sofort sprangen Lea und Herr Maier herbei! Ich sah entsetzt auf meine Hand. Sie war blutverschmiert! „Sie hat keinen Puls!“, rief Lea. „ich hol einen Rettungswagen.“, rief Herr Maier. Wir drehten sie auf den Rücken. Zwei glatte Durchschüsse. „Sollen wir stabile Steinlage machen?“, rief Lea panisch. „Warum? Wenn kein Puls da ist? Beatmung und Herzmassage!“, ordnete ich panisch an. Während Lea eine Art Mund-zu-Mund Beatmung machte, drückte ich Annika im Sekundentakt auf die Brust. Fast wäre ich in einer Panikattacke ausgebrochen, als ich nach oben auf die Mauer sah. Dort stand Annika bzw. ihr Geist! Ich wusste nicht ob es Einbildung oder Realität war, dass sie mit ihrem Finger auf etwas deutete, doch ich vertraute der plötzlichen Stimme in meinem Kopf, die mir sagte, dass ihr Mörder auf der Flucht war. Ich gab Herrn Maier daraufhin ein Zeichen, dieser setzte sich sofort in Bewegung und sprintete los. Und das Wort „Mörder“ brachte mich vollkommen aus der Fassung. Es trieb mir Tränen in die Augen und jetzt hielt ich es nicht mehr aus. „Bitte Annika! Komm zurück! Wir brauchen dich! Bitte komm zurück!!!“, brüllte ich aus Angst, Wut, Verzweiflung! Doch es brachte nichts. Sie lag immer noch reglos auf dem Rasen. Die Augen geschlossen. Ich fing an zu weinen. Der Herzmassage schien zwar geholfen zu haben, dennoch wurde ihr Körper immer blauer. Auch Lea hatte Tränen in den Augen. Doch auch wenn wir beide die Hoffnung nicht aufgeben wollten, war eines sicher: Allzu lange würde Annika nicht mehr durchhalten und wenn nicht bald Hilfe käme, würde sie es nicht mehr schaffen und einschlafen. Für immer! Damit begann der Wettlauf gegen Tod und Zeit…
Die Hoffnung konnten wir nicht aufgeben! Auch nicht dann als der Krankenwagen auftauchte. Innerhalb weniger Sekunden war Annikas lebloser Körper im Wagen verschwunden. Das ganze Ereignis kam uns unwirklich vor. Wie in Zeitlupe schienen sich die Ärzte zu bewegen. Wir fuhren ins Krankenhaus. Als wir dort ankamen, war Annika bereits im OP. Zu unserer Überraschung war Annikas Mutter auch schon da. Mit gesenktem Blick hockte sie auf einer Bank. Wir setzten uns stumm zu ihr. Herr Maier kam auf uns zu. Er hatte mit einer Schwester geredet. „Es sieht nicht gut aus.“, sagte er niedergeschlagen. „Ich geh uns Kaffee holen.“ Mit diesen Worten ging er. Lea und mir war das gar nicht recht, allein, mit Annikas Mutter hier zu sitzen, und alle Hoffnung auf Annika und die Ärzte zu setzten. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in uns aus. Doch womöglich war Herr Maier genau darauf aus. Ich sah in die Richtung, in die er gegangen war. Nichts zu sehen. Ich sah auf die Tür zum OP, doch auch dort tat sich nichts. „ich habe ihr gesagt, dass das schlimm enden wird. Ich drehte mich verwundert zu Frau Kreid um. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass gerade sie den Mut hatte, ein Gespräch zu beginnen. Doch das war auch gut so, denn es half auch dabei, die innerlichen Barrieren zu brechen. „In wie fern?“, wollte ich wissen.
„Als ihr mit eurem Detektivbüro angefangen habt, hatte ich nichts dagegen. Aber sie war einfach zu dickköpfig.“
„Ja. Das kennen wir.“
„Wie weit seid ihr eigentlich?“
„Der Fall ist abgeschlossen.“
„Nun denn.“
„Jetzt können wir nun noch hoffen, dass Annika durch kommt.“
Ich kann nicht sagen, wie lange wir jetzt schon im Krankenhaus ausharrten. Ich hatte längst aufgehört, die Stunden zu zählen. Uns blieb nichts anderes übrig, als zu sitzen, Kaffee zu schlürfen und auf ein Wunder zu hoffen. Lea und ich fragten uns immer wieder, ob die Lösung des Falles das hier wert war. War es überhaut ein Fehler, diesen Fall zu übernehmen? War es überhaupt ein Fehler die Detektei zu gründen?
Berge von Zeit schwebten an uns vorbei. Uns alle quälte das Bedürfnis wissen zu wollen, wie es nun weiterging. Nach einigen Stunden meldete sich Herr Maier ab. Er wollte nicht vor 2 Uhr wieder im Präsidium sein. Draußen war es längst dunkel. Wir drei waren jetzt die einzigen im Krankenhaus. Die Schwester hinter den Tresen machte Feierabend. Dass wir schon seit Stunden da saßen, war ihr nicht entgangen. Sie fragte, ob sie etwas für uns tun könne, doch wir schüttelten die Köpfe. Dann ging sie.
Nur wenige Minuten später kam eine Schwester aus dem OP. Wir standen auf, alle nerven bis zum zerreißen gespannt! Sie blieb kurz stehen. „Es sieht nicht gut aus.“ Wir setzten uns wieder. Die Ärztin verschwand im OP.
Etwa zehn Minuten später kam wieder eine Ärztin aus dem OP. Sie kam auf uns zu, wir standen müde und erschöpft auf. Ihr Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes. „Wir haben getan, was wir konnten, aber wir konnten nichts mehr für sie tun. Es tut mir leid.“
Den weiteren Verlauf möchte ich euch ersparen, denn ihr könnt euch sicher vorstellen was die Nachricht in uns ausgelöst hat.
Das schlimmste was passieren konnte war eingetroffen. Annika war tot. Auch zwei Tage nach ihrem Tod hatten wir nicht wirklich begriffen, was eigentlich passiert war. Doch dass wir spürten, dass etwas fehlte wurde vor allem deutlich, als wir in der Zentrale waren. Als wir dort alles ausräumten, war es drückend still. Was wir vermissten war vor allem ihr Witz, ihr Humor- auch wenn er manchmal sehr trocken war- ihr Sarkasmus. Ihre große Klappe, aber auch ihr Dickkopf. Aber eigentlich war es einfach nur sie selbst, die uns fehlte.
Bei der Beerdigung wenige Tage später waren nur wenige Trauergäste eingeladen. Lea und ich waren auch dabei und wir hatten den eindruck, dass die Miene dieser Feier nur gespielt war. Doch niemand wollte genauer darüber nachdenken.
Eine Woche in der der sich nichts ändern wollte, verstrich. Lea und ich hatten die Zentrale fast ausgeräumt, als das Telefon klingelte. Ich nahm ab. „Hallo?“, fragte ich niedergeschlagen. „Hallo Dominik. Hier spricht Herr Maier.“
„Ah. Hallo.“ Ich hatte den Kommissar fast vergessen.
„Hallo. Kommt bitte auf dem schnellsten Weg zu mir ins Präsidium. Ich habe eine tolle Überraschung für euch.“
„Wollen wir?“, fragte ich Lea. Sie nickte.
„Ok. Wir sind in 20 Minuten bei ihnen.“
Jemand rief dumpf „Herein“ und wir öffneten die Tür. „Kommt rein. Hier ist die Überraschung.“ Er deutete auf den Drehstuhl neben ihn. Dieser wendete sich und darauf saß quicklebendig Annika. Ihre Brust war etwas dick, womöglich durch einen Verband. Wir trauten unseren Augen nicht. Da saß sie tatsächlich. Sie stand auf. „Hey Leute.“, sagte sie munter. „Annika, du lebst!“ Wir fielen uns in die Arme vor Freude. „Wo warst du und was ist überhaupt passiert?“, fragte ich freudestrahlend. Die Antwort kam von Maier. „Annika hatte die Schüsse gerade noch so überlebt. Ich hatte Bedenken, dass das bestimmte Personen erfahren würden. Ihre Mutter weis natürlich längst bescheid. Ich habe sie für tot erklären lassen und eine Beerdigung arrangiert. In dem Sarg sind nur Steine. Sie wird unter dem Namen Anita Kreit ein paar Monate leben, bis Gras über die Sache gewachsen ist.“
„Annika. Wir sind so froh dich heil wieder zu sehen.“ Wieder nahmen wir uns in die Arme. „was ist aus den zwei Männern geworden?“, erkundigte sich Lea. „Ach genau. Der eine war seit Anfang dabei und der andere war nur eine Art Gelegenheitsarbeiter.“ Ich sah den Kommissar an, der beiläufig nickte. „Der Zusammenhang zwischen den Anschlägen und dem Geld ist etwas merkwürdig. Der Mann, der mich in der Höhle wieder erkannt hat- und der alles gestanden hat- hat gesagt, dass man vor dem Finden der Pläne annahm, dass das Geld irgendwo in der Nähe der Schule oder direkt dort war. Die Anschläge waren daher völlig überflüssig. Versteht ihr?“ Klar verstanden wir das.
„Fall ist gelöst.“, rief Annika freudig. Jetzt übernahm Herr Maier das Wort. „Ihr habt höchsten Respekt verdient, TTD. Denn ihr habt nicht nur der Polizei geholfen, sondern habt auch eurer Schule wahre Treue bewiesen. Auf eine gute Zusammenarbeit.“ „Danke Herr Maier.“, sagten wir im Chor. „Ach übrigens Lea.“, Annika wurde rot. „Tut mir leid, dass ich dir gegenüber si misstrauisch war. Möchtest du im Club bleiben?“ Lea lächelte uns wohlwollend an und wir lächelten zurück.
Als er bei Ibi anrief, um ihn um ein Treffen zu beten, hatte dieser schon eine verärgerte Miene. Wieder hatten sie den Freitagmorgen um 11 Uhr vereinbart und wieder war die Limousine vorgefahren. Als Ibi ausstieg war zu spüren, dass Ärger in der Luft war. „Guten Tag Señor Ibi.“, begrüßte er ihn und wollte ihm die Hand reichen, doch Ibi erwiderte die Geste nicht. „Denken sie ich wüsste nicht, dass sie meinen Auftrag nicht ausgeführt haben?“
„Es tut mir leid, aber ich habe alles Mögliche getan.“
„Sie haben sich hereinlegen lassen. Von Kindern!“, knurrte Ibi zornig und jetzt suchte Kalli Angst heim. „Ich muss aber sagen, dass ihre Leute auch nicht wirklich gut waren.“
„Wagen sie es nicht die Schuld auf meine Arbeiter abzuwälzen. Haben sie das Geld schon ausgegeben?“ Kalli schüttelte nervös den Kopf. Dann nahm Ibi die Sonnenbrille ab uns Kalli blickte in zwei eiskalte Augen, Augen, die schon seit Ewigkeiten böse waren, Augen, bei denen man erschreckte, Augen bei dessen Anblick es einen fröstelte! „Es tut mir leid. Aber ich kann kein Risiko einer Verfolgung annehmen.“ Damit zog er eine Pistole hervor und schoss dreimal. Alle Schüsse trafen Kalli tödlich in die Brust. Er starb sofort und lag am Boden. „Werft ihn ins Wasser.“ Die Arbeiter gehorchten und warfen Kallis Leiche ins Hafenbecken. Ibi trat an den Rand des Piers und sah aufs Wasser hinaus. Und was euch Kinder betrifft: Ich werde zurück kehren, und dann werde ich mich rächen.
Texte: Copyright by Dominik Merz
Tag der Veröffentlichung: 21.04.2010
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