Qindie steht für qualitativ hochwertige Indie-Publikationen. Achten Sie also künftig auf das Qindie-Siegel! Für weitere Informationen, News und Veranstaltungen besuchen Sie unsere Website: http://www.qindie.de/
Mein besonderer Dank an dieser Stelle gilt all jenen Menschen, die zum Entstehen meiner Geschichte beigetragen haben – natürlich meiner Familie und ganz besonders meinen beiden Kindern, ohne die es Darius, den Drachen, nie gegeben hätte, allen treuen Lesern und Kritikern der Bookrixcommunity und ganz besonders Katrin B. und Divina Michaelis für ihre kreativen und hilfreichen Korrekturen.
Ein besonderes »Gratias ago!« sei den Königen der Spielleute gewidmet, Corvus Corax, für deren wundervolle, unnachahmliche Musik, die mir Anregung und Inspiration beim Schreiben war.
Ein großes Dankeschön euch allen und nun viel Spaß beim Lesen der ›Magier von Art-Arien‹!
Sophie André
Eine großformatige Darstellung der Karte und weitere Skizzen zum Buch finden Sie auf meiner Homepage unter
http://www.sophie-andrae.de/intro.html
Arken erzählt:
Als wir, Danái und ich, nach Schuma zurückkehrten, waren wir voller Hoffnung und in Erwartung einer friedlichen, von Liebe erfüllten Zukunft. Wir wussten, dass der Minági Nashoba sich schon vor uns auf den Weg in die Drachenburg gemacht hatte und es war leicht zu erahnen, welche Gründe ihn zu dieser Reise bestimmt hatten. Deshalb waren wir nicht erstaunt, als wir auch Archon in Schuma antrafen.
In jener Zeit waren es vor allem die von Archon und Darius hochgehaltenen drei Lebensgrundlagen, die unser Leben in Art-Arien bestimmten: Geduld, Mitgefühl und Großmut. Nur deshalb war es möglich, dass Danáis Wahlgeschwister Darius und Atreus in jenen Bund einwilligten, der mich mit ihr erneut und nun von Herzen und ohne die Zwänge der Dunkelmagie verbinden sollte.
Sie alle waren dabei, als wir das Ritual bei der geheimnisvollen dreigesichtigen Göttin der Dakoraner und bei den Grundsätzen der Dämonenkrieger beschworen – der Primus Archon von den Elementemagiern; der Minági Nashoba, der die Inokté anführte und uns während unserer Zeit in Ipioca zu einem guten, ehrlichen Freund geworden war; Darius, unser Fürst, samt seinem Bruder Atreus und selbst Shayan, der mir vielleicht auch vergeben hatte.
Shayan war es auch, der mir von den Kämpfen und seltsamen Begebenheiten erzählte, die sich kurz vor jenen Ereignissen abgespielt hatten, welche Danái und mich ein halbes Jahr zuvor nach Schuma geführt hatten. Der Löwendämon war der erste, der mir mehr über die geheimnisvolle Gefährtin des Phoenix’ verriet. Und was er berichtete, war wirklich kaum zu glauben. Obwohl auch in mein Leben eine dakoranische Heilerin getreten war und ich Danái gegenüber vieles nie völlig gutmachen konnte, so war die Geschichte Sirigans von Haidala dazu angetan, vor Grauen zu schaudern und erneut überkam mich die Scham, wenn ich bedachte, dass auch ich mich vor noch nicht allzu langer Zeit zur Dunkelmagie bekannt hatte.
Ragnar, der Großmeister, unter dessen Herrschaft Atreus’ Gefährtin gestanden hatte, war mir nur ein einziges Mal begegnet – an jenem Tag, an dem auch ich mich den dunklen Meistern unterworfen hatte. Noch heute trieb mir der Gedanke an das gefühllose Reptil kalte Schauer über die Haut. Von diesem Wesen beherrscht zu werden, musste die Hölle auf Erden gewesen sein. Doch so wie Shayan mir die Magierin Sirigan geschildert hatte, war sie dieser Hölle letztendlich unbeschadet entkommen.
Als Atreus ankündigte, nach Dakoros aufbrechen zu wollen, um seine Gefährtin von dort zu holen, war ich gespannt, was für ein Wesen sich unserer winterlichen Gemeinschaft anschließen würde. Und als er wenige Tage später die kleine, stille Dämonenkriegerin zu uns in die Burg brachte, war nicht nur ich fasziniert von der Schönheit ihres Wesens und der Stärke, die ihre Magie ausstrahlte. Sirigan war die würdige Partnerin eines Kriegers und durch ihre dakoranische Abstammung zugleich auch ein wunderbares Gegenüber für den Heiler Atreus. Sah man die beiden zusammen, so lag ihre Gefährtenschaft auf der Hand.
Als der Zeitpunkt nahte, an dem sie sich ihre Verbundenheit schwören wollten, waren Schuma und die Drachenburg von Freude und Zuversicht erfüllt. Nicht, dass wir ein rauschendes Fest erwarteten, vielmehr erschien es der Persönlichkeit der Heilerin angemessen, ein leises und liebevolles Ritual abzuhalten. Dennoch war an jenem sonnigen Morgen, den das ›Omnia vincit amor‹ beschließen sollte, halb Schuma auf den Beinen.
Männer, Frauen und Kinder pilgerten hinaus in die Ebene, um am Weg zu dem magischen Ritualplatz der art-arianischen Dämonenkrieger ein buntes, fröhliches Spalier für das angehende Paar zu bilden. Menschen winkten mit farbigen Tüchern. Kinder warfen die letzten Herbstblumen in die Luft und die Spielleute der Stadt hatten sich ebenfalls positioniert, um dem geachteten Bruder ihres Fürsten standesgemäß den Weg zu bereiten.
Den Ritualplatz von Schuma nahm auch ich an jenem Morgen zum ersten Mal genauer in Augenschein, obwohl ich ihn aus der Luft schon mehrmals betrachtet hatte. Die Struktur des hölzernen Bauwerkes erschloss sich am ehesten bei einem Blick von oben. Die Einheimischen nannten den Bau Kreis der Göttin, denn wie alle Art-Arianer verehrten sie die namenlose Dreigesichtige, in der sich die Jungfrau, die Mutter und die Todesbotin zu einer ewigen Gestalt vereinten.
Danái und ich hatten uns im Sommer viel Zeit genommen, um unsere Wurzeln zu vergleichen und so waren wir zu dem Schluss gekommen, dass es zwischen dem Glauben der Dakoraner und dem der Dämonenkrieger trotz aller vordergründigen Verschiedenheiten keine wesentlichen Unterschiede gab. Gewiss wichen die Rituale in ihrer Ausführung voneinander ab, lag die dakoranische Glaubensausübung eher in den Händen der Frauen, wie auch die gesamte Rechts- und Gesellschaftsstruktur der Inseln matrilinear war. Doch letzten Endes verehrten wir die Göttin als Ursprung allen Lebens, Hüterin der Natur und der fühlenden Wesen, Herrscherin über den Tod und die Anderwelt.
Mit diesem Wissen war es uns leichtgefallen, den Weg zu unserem gemeinsamen Bund zu gehen. Unsere Gespräche hatten uns bewiesen, dass wir uns nicht nur aufgrund unserer gegenseitigen Liebe verbunden fühlen durften, sondern dass sich auch unsere verschiedenen Spezies nahestanden. In der Generation unserer Großeltern musste es erstmals vorgekommen sein, dass sich Magier verschiedener Rassen miteinander verbanden, doch jetzt schien dieses Vorurteil nicht mehr zu gelten und wohin man auch blickte, ob nach Ipioca, Arien oder Schuma, überall rückten die magischen Wesen enger zusammen und verbanden sich über die Grenzen der Magie hinaus miteinander.
Während wir uns dem Kreis der Göttin näherten, erinnerte ich mich unwillkürlich daran, wie sich Danái mir erneut versprochen hatte. In den ersten Tagen nach jenem magischen Gericht, in dessen Verlauf mir die art-arianischen Magier den Weg zu einer ungeahnten, berauschenden Freiheit gewiesen hatten, war es mir immer wieder unverständlich gewesen, wie es ihr möglich war, mir so viel Nähe und Zuneigung zu gewähren. Nach und nach hatte sie sich zwar ein Bild davon gemacht, auf welche Weise ich von den dunklen Großmeistern beeinflusst worden war, während sie unfreiwillig als meine Gamos-Gefährtin bei mir lebte. Ich hatte versucht, ihr die Dunkelmagie zu erklären, die mich beherrschte. Dennoch war Danái in ihrem ganzen Wesen von einer grundlegenden, nachgiebigen Güte und Großmut, dass sie mich beschämte. Die Art, wie sie Vergangenes ruhen ließ und unserem gemeinsamen Neuanfang eine Chance gab, schenkte mir eine Ahnung vom wahren Glück, der ich mich unbedingt als würdig erweisen wollte.
Daher war ich sofort bereit, etwas zu wagen, als mir Archon in Arien vorschlug, mit seiner Zauberkraft gegen die dunkelmagischen Prägungen Mokors vorzugehen. Er verschwieg mir die Gefahr nicht, die in jener Magie ruhte – das Risiko, Verstand oder Leben zu lassen. Aber wie es mir schien, konnte ich bei diesem Versuch nicht viel verlieren, jedoch alles gewinnen. Blieb die Dunkelmagie in mir erhalten, würde ich langfristig weder in Art-Arien noch mit Danái leben können, soviel stand fest. Konnte mich der Primus aber von jener Macht befreien, die mich beherrschte, so hatte ich die Gelegenheit, meine Zukunft selbst zu gestalten und ich würde Danái nicht schaden, wenn ich ihr nahe blieb. Ich würde meinen Sohn lieben können, ohne ihn in Gefahr zu bringen. Mit den Gesichtern dieser zwei Geschöpfe vor Augen, die mir alles bedeuteten, stellte ich mich der Magie des Primus.
Archon hatte nicht gelogen, wenn er mir Schmerz vorhergesagt hatte. Schmerzhaft war die Prozedur in der Tat, doch der Zauber gelang und letztlich war nur das von Bedeutung. Als ich ihm später für seine Hilfe dankte, gab mir der alte Elementemagier eine überraschende Antwort. Er versicherte mir, dass eine Zeit kommen würde, in der ich ihm um ein Vielfaches zurückgeben könne, was er mir in diesen Tagen geschenkt hatte. Ich verstand nicht, wovon er sprach und ganz seiner Art gemäß gab der Alte keine Erklärungen.
Doch schienen all unsere Gespräche in der folgenden Zeit nur zu drei Themen hinzuführen: Großmagie, das Hieros-Gamos-Ritual und das Überwiegen der Gemeinsamkeiten zwischen den magischen Spezies. Ich lauschte ihm und versuchte so viel wie möglich von dem aufzunehmen, was er mich offenbar lehren wollte, auch wenn ich die Zusammenhänge nicht verstand. Als dann Danái in Tsiigehtchic auf mich wartete und wir uns näher kamen, als ich je zu hoffen gewagt hatte, nahm ich an, dass er mich hierauf hatte vorbereiten wollen.
Man mag es mir verzeihen, wenn ich so weit vom eigentlichen Thema abweiche. Doch es war tatsächlich so, dass mich das Ritual von Atreus und Sirigan machtvoll in Gedanken zu dem vergangenen Sommer zurückführte und zu all jenen wundervollen, unglaublich glücklichen Stunden, in denen Danái und ich endlich auf eine ehrliche, bewusste Weise zueinanderfanden, bis wir schließlich kurz nach der Rückkehr in die Drachenburg unseren Bund erneut beschworen, ohne Zwang, ohne Dunkelmagie, nur kraft der Liebe, die wir füreinander empfanden.
Dies würden nun auch Atreus und Sirigan tun und so folgte ich voller Gedanken und Erinnerungen dem Weg zu jenem zweifachen Palisadenkreis, der von einem weiteren Erdwall umgeben war und in dessen Mitte sich die Ritualstätte der Dämonenkrieger befand – acht mehr als mannshohe Monolithen, die kreisförmig einen steinernen Tisch umschlossen, der als Altar diente. Die riesigen unbehauenen Felsbrocken konnten nicht aus der Umgebung des Ortes stammen. Sie waren aus dunklem, grauen Granit, während die Gegend um Schuma fast nur hellroten Sandstein aufwies. Selbst Darius konnte nicht mit Sicherheit sagen, wie die Felsen nach Schuma gelangt waren. Doch nahm er an, dass man sie über den Fluss transportiert hatte. Holz hingegen war zur Genüge vorhanden und dieser Reichtum erklärte auch die dichten Palisaden in doppelter Reihe, die lediglich drei torförmige Eingänge aufwiesen, die nach Norden, Südosten und Südwesten ausgerichtet waren.
Wie es der Phoenix erbeten hatte, nahmen nur wenige enge Freunde im Inneren des Henge – denn so muss man den Steinkreis bezeichnen – an dem Ritual teil. Dass ich ebenfalls dort stand, lag nicht daran, dass die Gefährten an diesem Tag nicht auf mich verzichten wollten. Es war jener Wahlgeschwisterbund, der Atreus mit Danái verband und der mich als Partner derselben akzeptierte. Eigentlich war das mehr, als ich verdiente, denn ich hatte bisher noch gar nichts zu der magischen Allianz beigetragen.
Doch die Art-Arianer waren zu jener Zeit alle guten Willens und vergaben schnell. Und so duldeten sie mich auch später bei allen ihren Ritualen und selbst als ich als Einziger von allen blieb, um den größten und magischsten von ihnen in ein zutiefst bindendes Ritual zu führen, vertrauten sie mir, selbst Darius … Doch davon wird später noch zu berichten sein!
An jenem Tag betrat ich gemeinsam mit Danái, Shayan und den Wölfen den magischen Kreis. Der Phoenix würde mit seiner angehenden Gefährtin erst nach Aufforderung durch den Hohepriester eintreten und so waren es nur die rituellen Führer, die uns im Zentrum des Henge begrüßten.
Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte und ob ich mir überhaupt ausreichend Gedanken über jene spirituellen Anführer gemacht hatte, die den Bund der Gefährtenschaft für die beiden Dämonen besiegeln würden. Den Ritus für Danái und mich hatte auf unsere Bitte hin Archon abgehalten und irgendwie erwartete ich, ihn auch heute am Platz des Priesters stehen zu sehen. Und wirklich stand er, ruhig und leicht gebeugt vom Alter, nahe dem Altar in Erwartung des Rituals. Doch er hatte den Platz eines Zeugen eingenommen.
Die Leitung des Ritus und seine spirituelle Führung hatte ein anderer Magier inne. Wenn ich es recht bedachte, so konnte man auch keinen anderen als Darius erwarten. Ich war dennoch überrascht. Von dem Drachen hatte ich nicht angenommen, dass er sich intensiv genug mit der Spiritualität befasst hatte, um heute das Amt eines Priesters auszuüben. Doch so war es und ich entdeckte nicht ohne Neugier eine für mich vollkommen neue Seite an unserem Herrscher.
Darius zur Seite stand eine äußerst würdevolle, ältere Dakoranerin, deren Magie sich wie ein goldenes Leuchten um sie schloss. Danái schien sie zu kennen, denn sie verneigte sich ehrfürchtig vor der älteren Heilerin, die sie mit einer sichtlich gerührten Umarmung begrüßte. Dies war Leondara von Dakoros, die Mutter Sirigans und Erste Priesterin der Inseln, wie mir Danái kurze Zeit später flüsternd verriet.
Die Zeugin des Rituals für Sirigan war eine ebenso starke, wie zurückhaltende Magierin aus Ipioca, Solinacea von Dakoros, die Gefährtin des Minágis Nashoba. In wieweit die wirren Familienverhältnisse der Geburts- und Wahlverwandtschaften diese Zeugenschaft möglich machten, kann ich nur vermuten. Fast jeder wusste, dass Leondara in Solinacea eine Tochter sah und gewiss hatten die beiden Frauen in irgendeiner Form zueinander gefunden.
Auf jeden Fall war die Gefährtin des Wolfsersten ein Geschöpf, dem man Vertrauen und Ehrerbietung entgegenbringen konnte. So erging es mir jedenfalls, so oft ich die Prima Magica der Inseln in Ipioca getroffen hatte und auch hier erzwang ihr bloßes Erscheinen im rituellen Gewand der Heilerinnen meine Ehrfurcht. Hätte mich je irgendeiner nach den stärksten Magiern von Art-Arien gefragt, so wäre ihr Name gefallen, zusammen mit Archon von Arien, Nashoba von Ipioca und Dariuvahush von Smyrna. Damals war es mir noch nicht klar, wie recht ich hatte, doch die Zukunft sollte meine Gedanken bestätigen.
An jenem Tag hatten sie sich alle versammelt, um ihren Bruder und Freund samt seiner Gefährtin durch das Ritual zu geleiten. Als das Paar den Eingang zur inneren Palisade erreicht hatte, ließ Darius sie nicht warten, sondern sprach prompt die rituellen Worte des Eintritts. Und sie waren ein wundervolles Paar, wenn ich das so sagen darf. Beide außergewöhnlich mit ihren bronzenen und rotgoldenen Schwingen, beide Dämonenkrieger und Heiler in einer Person, beide mit Mitgefühl herausfordernden Lebenswegen – er ohne die Zuneigung seiner Familie als Waise in Dakoros aufgewachsen, sie mit der fürchterlichen chromnischen Vergangenheit, beide mit einem magischen Potential, das man nur schemenhaft hinter ihrer Zurückhaltung erahnen konnte, das sich jedoch schon jetzt wie ein feines Knistern um sie herum deutlich machte.
Als sie eintraten und langsam auf uns zukamen, Hand in Hand und dabei ruhig und entschieden, konnte ich die Bedeutung dieses Augenblicks fast mit Händen greifen. Hier gestaltete sich nicht nur der Lebensweg dieser beiden Wesen, hier wurde die Zukunft Art-Ariens geschrieben. Und auch alle anderen Anwesenden schienen zu spüren, wie sich die Zeit an diesem Moment ausrichtete. Als Darius für seinen Bruder und dessen Gefährtin das Ritual begann, tat er es mit einem ruhigen Ernst, der diesem magischen Bund angemessen war.
Mit dem Wissen von heute liegt die Bedeutung dieses Rituals klar vor allen offen. Doch damals ahnte keiner von uns, Solinacea und Darius eingeschlossen, dass wir hier die Anführer der kommenden Generation vor uns sahen – die nächste Prima Magica der Dakoraner und den kommenden Anführer der Dämonenkrieger.
Nur, nun ja, Archon … Aber wer kann schon mit Sicherheit sagen, was genau die Visionen des Elementemagiers zeigten? Manchmal glaube ich zu wissen, dass auch er nur die Möglichkeiten sah, die die Zukunft für uns vorgesehen hatte. Denn wäre unsere Zukunft im Voraus in Stein gemeißelt gewesen, welchen Wert hätte dann noch die freie Entscheidung eines jeden von uns gehabt?
Auch wenn sie beide zu jener Zeit noch nichts von ihrer zukünftigen Bestimmung ahnten, so waren der Ernst und die Schönheit des Rituals für die Berglöwin und den Phoenix eine berührende und prägende Erfahrung. Und als das ›Omnia vincit amor‹ den Bund der Gefährtenschaft für beide besiegelte, konnte man in den Augen der dunkelhäutigen, schüchternen Heilerin Tränen wahrnehmen und die Hand des Phoenix’ war fest um die seiner Partnerin geschlossen.
Wie es der Brauch verlangte, wandten sie sich der Sonne zu, die an jenem späten Morgen bereits ihren Weg nach Süden aufgenommen hatte und glanzvoll von einem wolkenlosen Himmel leuchtete. Mit dem Blick auf die Licht und Wärme spendende Himmelsscheibe, die eine helle Zukunft für das Paar verhieß, lauschten wir den rituellen Worten des Bundes, die Darius für seinen Bruder in der alten Sprache und danach ebenso ernst und würdevoll für Sirigan in der Gemeinsprache von Gondarius vortrug.
Diese Wahl beider Sprachen machte es mir noch einmal deutlich, wie wenig Zeit die Magierin erst im freien Land verbracht hatte und wie viel an Wissen und Magie noch vor ihr verborgen waren. Doch die stille Berglöwin ließ sich von der Aufgabe, vor der sie stand, nicht abschrecken. Während des langen und friedlichen Winters, der diesem goldenen Herbst folgte, fand man sie vorwiegend in der Bibliothek, wo sie, oft in Gesellschaft des Phoenix, die magischen Schriften und die dicken Folianten der Heilkunde studierte.
Atreus liebte diese Stunden. Selbst mir gegenüber gab er unumwunden zu, wie sehr er es genoss, seine Gefährtin in die Magie und die Geheimnisse der dakoranischen Heilkunst einzuführen. Er nannte es ein Herzensbedürfnis. Wer die beiden zusammen sah, wie sie konzentriert und ernsthaft über einen alten Folianten gebeugt saßen oder während eines Spaziergangs in der winterlichen Landschaft unbeirrt über dieses oder jenes Thema diskutierten, der mochte verstehen, dass auch diese Art von Miteinander die Gefährtenschaft der Dämonen prägte. Sie waren mehr als nur ein Paar – sie waren ebenso unwandelbare Freunde.
Doch die ruhige, friedliche Stille tat nicht nur den beiden Heilern in jenem Jahr gut. Alle, die sich für die Wintermonate in die Burg zurückgezogen hatten, genossen das ungestörte Leben. Oft saßen wir alle gemeinsam im Saal zusammen und sangen und musizierten, oft luden mich Darius oder Shayan zu einem Plauderstündchen auf eine Nargillah in den kleinen Raum neben der Bibliothek ein, wo sich im vergangenen Frühjahr für mich so viel entschieden hatte.
Selbst Nashoba, der Minági, der über eine eigene Magie der schnellen Reise verfügte, ließ sich gelegentlich sehen, um mit Darius die alten Grimoires zu studieren. Es war das erste Mal, dass ich davon hörte, dass auch die Wölfe über derartige Zauberbücher verfügten. Als Nashoba in seiner freundlichen und leutseligen Art davon erzählte, wie und warum ihm jener Foliant von Archon überbracht worden war, konnte ich nur staunen. Es war beeindruckend, nach so vielen Jahrzehnten ohne Liebe zu erkennen, wie sehr sich die Wesen von Art-Arien von diesem Gefühl leiten ließen und wie gut es ihnen tat. Sah man beispielsweise den Minági an der Seite seiner dakoranischen Gefährtin, so musste man die beiden nicht kennen, um zu wissen, dass sie Gefährten waren. Schon allein ihr Auftreten und die Art, wie sie miteinander harmonierten, ließen ihre Zusammengehörigkeit erahnen.
Doch am meisten beeindruckte mich vermutlich Darius. Wann immer man ihn von Solinacea von Dakoros sprechen hörte, tat er es mit einer Verehrung und Hingabe, dass es auch dem letzten klarwerden musste, wie viel er für die blonde Magica empfand. Wäre er auch nur annähernd seinen dämonischen Instinkten gefolgt, hätte er sie ohne zu zögern für sich beansprucht und den Minági zu einem magischen Zweikampf herausgefordert. Mochte der Wolf auch stark sein, gegen den Drachen wäre er vermutlich chancenlos gewesen. Aber unser Fürst tat nichts dergleichen.
Mit eiserner Beherrschung hielt er dem Minági die Freundschaft und ich habe nie auch nur ein Wort des Anspruchs aus seinem Mund kommen hören. Im Gegenteil hatte er den Inokté auf seiner Quest nach Dakoros begleitet und unterstützt und war schließlich als Zeuge der Gefährtenschaft zu dem Bund der beiden gebeten worden. Diese Ehre hatte er angenommen. Die Lebensgrundsätze, nach denen der Drache seinen Weg ging und auch, ohne große Aufmerksamkeit dabei zu fordern, sein Volk anführte, waren aller Ehren wert. Im Stillen tat er mir leid. Gerade ein Mann wie er hätte einer Gefährtin viel geben können und ebenso viel an einem Bund gewonnen. Ich bedauerte auch, dass er aufgrund dieser unerfüllbaren Liebe zu der Dakoranerin der Letzte der Drachenkrieger bleiben würde.
So viele Gedanken, die mir die Geschöpfe von Art-Arien abnötigten und so wenig Vorstellungen von dem, was uns alle im darauffolgenden Frühjahr erwartete. Ich weiß nicht, wann ich begriff, dass diese friedliche Zeit nicht von Dauer sein konnte. Vielleicht es war Atreus, der mir eine erste Ahnung eingab, dass der Konflikt zu Chromnos nur ruhte und unser Leben erneut einholen würde.
Ich erinnere mich genau an jenen Abend, als er mich zu einem Gespräch einlud, zu dem auch Nashoba hinzukam. Wunderte ich mich zuerst, dass sie Darius nicht ebenfalls eingeladen hatten, so verstand ich, bald nachdem sie das gewünschte Thema zur Sprache gebracht hatten, dass sie ihn schonen und nicht unnötig mit seiner Vergangenheit konfrontieren wollten.
Es ging ihnen um Dunkelmagie. Wenn ich zunächst annahm, dass der vorsichtige Minági ein weiteres Mal meine Loyalität Art-Arien gegenüber prüfen wolle, so wurde mir bald klar, dass sie viel mehr wollten. Das, was Nashoba und Atreus von mir wünschten, war Wissen über die magischen Fähigkeiten ihrer Feinde. Ihnen war klar, was sie da von mir verlangten. Doch Atreus blieb auch bei diesem Gespräch, wie er es immer gewesen war: vollkommen ehrlich und offen. Er beschrieb, wie Sirigan von Shokran beherrscht worden war und wie selbst Archon gegen den Perenniservusfluch keinen Gegenzauber aufrufen konnte.
Wochenlang hatte der Phoenix nach jenen Tagen die Bibliotheken von Schuma und Arien durchforstet. Selbst vor den heiligen Gewölben von Dakoros hatte er nicht haltgemacht. Doch das Wissen über Dunkelmagie war in Art-Arien verpönt und so blieb vieles, was hätte weitergegeben werden sollen, im Nebel der Vergangenheit verschwunden. Hier sollte ich einen Anfang machen und für die magische Allianz zusammentragen, was ich über Dunkelmagie wusste und wo ich möglicherweise Ansätze sah, den magischen Handlungen der Chromnianer entgegenzuwirken.
Es war eine logische Schlussfolgerung, die der Phoenix gezogen hatte, nachdem seine Nachforschungen weitestgehend erfolglos geblieben waren. Man musste dort beginnen, wo man Wissen vermutete. Und er hatte recht, wenn er annahm, dass ich über Kenntnisse der Dunkelmagie verfügte. Einen Moment lang zögerte ich – das muss ich gestehen. Stand doch auf der anderen Seite auch meine Schwester Bahar, die sich dem Großmeister Mokor angeschlossen hatte. Doch dann sah ich Danái vor mir und meine Gedanken schweiften ab zu all jenen Menschen und magischen Wesen, die unter der Macht der Dunklen ein elendes Dasein fristeten. Ich dachte auch einen Moment an die Magierin Sirigan, die seit der Vertreibung von dem Reptil Ragnar versklavt gewesen war und dann stand mein Entschluss fest. Ich würde den Art-Arianern geben, was sie benötigten. Es war eine Ehrenpflicht, der ich mich nicht entziehen durfte.
Eines jedoch erbat ich mir von den beiden Magiern: Ich wollte Archon um sein Einverständnis zu unserem Vorhaben bitten und ich musste Darius davon zumindest in Kenntnis setzen, war er doch der Mann, dem ich meine Loyalität geschworen hatte. Und natürlich sollte auch Danái bei einer Entscheidung zu Wort kommen. Bei meiner Bitte lächelte Atreus und nickte.
Nashobas Blick aber wurde sorgenvoll, als er mir antwortete: »Ich verstehe deine Vorbehalte und es ist nur recht und billig, wenn du Darius und Danái um Zustimmung bittest, bevor wir etwas unternehmen. Doch es wird schwer möglich sein, Archons Einverständnis einzuholen.«
Er rieb sich die Stirn und sah dann mit ernster Miene zu Atreus. »Ich mache mir wirklich Sorgen um Solinas Vater«, gestand er. »Kurz nach Anbruch des Winters kam er nach Tsiigehtchic, besprach sich lange mit seiner Tochter und verschwand dann, wie er gekommen war. Solina aber hat mir erzählt, dass er in den Zeitentempel berufen wurde. Er muss inzwischen auf dem Weg dorthin sein.«
Atreus hielt bei dieser Bekanntgabe den Atem an. »Hat er gesagt, warum er dorthin muss?«, fragte der Phoenix leise.
Ich sah ihm an, mit wie viel Spannung er diese Antwort erwartete und auch ich war ungeduldig zu hören, ob die Priesterin der Zeiten Archon einberufen hatte, um ihn um seine Mitarbeit zu bitten oder um ihn wegen eines Vergehens gegen die Kodizes der Elementemagier zu rügen oder gar zu bestrafen. Es war bereits vorgekommen, dass einberufene Magier aus dem Tempel der Zeiten nicht zurückkehrten. Archon hatte mir zwar während meiner Zeit in Arien davon erzählt, dass er hin und wieder mit der höchsten Magierin seines Ordens verkehrte, um den Sonnenumlauf jährlich neu zu bestimmen und um an einem Kalendersystem zu arbeiten, doch er hatte nicht erwähnt, dass er so bald in den hohen Norden reisen würde.
Wir blickten erwartungsvoll auf Nashoba und senkten dann beide ernüchtert die Köpfe, als dieser mit dem Kopf schüttelte. »Wir wissen es nicht sicher«, erklärte der Inokté dann leise. »Aber es könnte sein, dass die Herrin der Zeiten der Ansicht ist, Archon habe mit seiner Hilfe für uns seine Grenzen überschritten. Immerhin hat er mehr als einmal nicht nur Andeutungen gemacht, wenn es um unsere Zukunft ging.« Er schwieg eine Weile und dachte nach. »Solina glaubt allerdings, dass er sich absichtlich zurückzieht. Er hat angedeutet, dass wir alle in der nächsten Zeit schwerwiegende Entscheidungen zu treffen haben, die er nicht beeinflussen darf. Sie denkt, dass er sich auf diese Art selbst daran hindern will, uns helfend beizustehen.«
Der Minági schüttelte unzufrieden den Kopf. »Es ist alles sehr verwirrend. Manchmal fällt es mir schwer, mit Archon zurechtzukommen. Ein Seher in der Familie kann Chaos schaffen.«
Hier lachte Atreus hell auf. »Ein Seher unter den Freunden bewirkt dasselbe, Nashoba. Uns alle verwirrt Archon hin und wieder. Dennoch wünschte ich, er hätte sich dieses Mal klarer geäußert. Dass er möglicherweise einer Bestrafung für seine Hilfe entgegengeht, will mir gar nicht gefallen.«
»Nein, mir auch nicht. Und wir werden ohne ihn auskommen müssen. Die Elementemagie wird uns fehlen.«
Sie schwiegen und wir alle gingen unseren Gedanken nach. Dabei ließ ich mir noch einmal durch den Kopf gehen, was Archon mich gelehrt hatte, als ich bei ihm in Arien gewesen war. Da gab es einen Satz … Ich musste mich sehr konzentrieren, um das Wortgebilde von damals genau wiederzugeben.
»Wir alle tragen die Kräfte unserer Eltern wie eine Körperzeichnung mit uns herum, doch die meisten von uns wissen es nicht. Sie sehen nur das Offensichtliche und die in ihnen dominierende Magie. So hat der Phoenix noch nie versucht, Drachenmagie anzuwenden und so mag auch eine Heilerin sich nie mit der Elementemagie beschäftigt haben. Doch wenn sie es täten, wären sie von dem Ergebnis überrascht. Und hätten sie zum Beispiel auch nur einmal Onatah genauer beobachtet, so wäre es direkt vor ihren Augen gewesen."
Hatte ich eben laut gesprochen? So musste es wohl gewesen sein, denn die beiden Männer, die mir gegenübersaßen, starrten mich vollkommen erstaunt und ungläubig an. Atreus war der erste, der sich sammelte und mir ein trockenes »Wie bitte?« entgegenwarf.
Ich schüttelte den Kopf. »Das waren nicht meine eigenen Worte. Diese Sätze stammen von Archon und sie fielen mir eben wieder ein, als Nashoba bedauerte, dass uns die Elementemagie fehlen würde. Als der Alte damals mit mir über magische Fähigkeiten sprach, schienen sie nur so in den Raum gesagt. Doch heute erscheint es mir klar, was er erklären wollte. Deine Frau verfügt möglicherweise auch über Elementemagie, Nashoba.«
Die dunklen, forschenden Augen des Inokté musterten mich eine Weile ernst, bis sich sein Gesicht schließlich mit einem Lächeln verschönte. »Das kann durchaus sein, auch wenn sie es noch nie versucht hat. Nicht umsonst ist sie die Prima Magica der Dakoraner. Ich werde mit ihr darüber sprechen. Bis dahin aber sollten wir Stillschweigen über derartige Vermutungen wahren. Ich habe Solina schon einmal fast verloren, weil ihre magischen Fähigkeiten zwischen uns standen. Das werde ich kein zweites Mal riskieren.«
Atreus nickte. »Und ich werde Darius das Gehörte erzählen. Vielleicht können wir gemeinsam die Fähigkeiten des jeweils anderen erproben. Ich werde auch mit ihm über unsere Pläne zur Erforschung der Dunkelmagie sprechen, Arken. Es wird besser sein, wenn er es von mir hört, da es meine Idee war.«
Während ich nickte und wir uns erhoben, trat der Phoenix zu mir und schloss mich in die Arme. Überrascht wollte ich einen Schritt zurückweichen, doch die Kraft des Mannes hielt mich fest.
»Ich danke dir, Arken, dass du uns hilfst. Wenn Art-Arien eines Tages Frieden findet, wird auch dein Tun das Seine dazu beigetragen haben.«
Seine Rede trieb mir die Röte auf die Wangen und ich wollte mich abwenden, um dem Gefühl der Scham bei diesem unangemessenen Lob zu begegnen, als Nashoba ihm ebenfalls zustimmte. »Darin gebe ich dir recht, Atreus. Es ist sehr ehrenwert, wie sich Arken von dem dunklen Land abgewandt hat und nun seine Kraft für unsere Allianz gibt. Ich wünschte, wir hätten mehr Magier deiner Art, Arken.«
Bei dem Gedanken an eine Horde Dunkelmagier in den Verliesen der Drachenburg musste ich unwillkürlich auflachen. »Das könnt ihr Darius unmöglich zumuten«, scherzte ich, immer noch lachend. »Ein Keller voller Dunkelmagier würde ihn vermutlich aus seinem Heim vertreiben …«
Nun lachten wir alle, das bereits vertraute Gemeinschaftsgefühl stellte sich wieder ein und wir verließen in dem zufriedenen Gefühl, ein Ziel zu haben, den Raum.
Darius erzählt:
Arken und Atreus nutzten den langen Winter, um neues Wissen über die gegnerische Dunkelmagie zusammenzutragen und ich überwand mich nach einiger Zeit ebenfalls und schloss mich ihren abendlichen Diskussionen an. Arken war ein überaus intelligenter Mann und nachdem er sich mit uns verbündet hatte, ließ er alle Zweifel hinter sich und gab uns Einblick in sein umfangreiches magisches Wissen. Je mehr er von dem offenbarte, was er an magischen Kenntnissen besaß – seien sie nun von unserer Art oder dunkelmagisch – umso mehr wurde mir bewusst, wie waghalsig es doch von uns gewesen war, diesen ausgesprochen starken Magier einfach in einem unserer Verliese festzusetzen.
Irgendwann bei einer gemütlichen Nargillah sprach ich ihn darauf an. Der Adler lachte bei meiner vorwitzigen Frage. Er war kein nachtragender Mann.
»Als die Wolfsmagier mich damals stellten«, erinnerte er sich, »waren sie von einer derart erdrückenden Übermacht, dass ich mich nur ergeben konnte, zumal ich nicht wusste, ob ich durch das Gamos noch geschützt war.«
Er sah mich an und es war der vorwurfsfreie Blick eines Freundes, der mich aus seinen Raubvogelaugen traf. Dabei lachte er erneut leise.
»Hätte ich dich schon damals so gut gekannt, wie ich es heute tue, wer weiß, ob ich nicht einen Versuch unternommen hätte, die Burg zu verlassen?«
Versonnen nickte der Magier und ich war auf seine Begründung gespannt. Hatte er mich stärker eingeschätzt, als ich es war?
»Damals war ich mir sicher, dass du Danái im Notfall töten würdest, um an mein Leben zu kommen. Heute kenne ich dich besser und bin mir sicher, dass du zuerst an sie gedacht hättest. Du hättest mich eher gehen lassen, als sie zu verletzen, nicht wahr?«
Damit hatte er zweifellos recht. Ein wehrloses Wesen hätte keiner von uns getötet, auch nicht, um einen Feind zu schwächen.
»Siehst du das als eine Schwäche an?«, fragte ich ihn.
Arken ließ sich mit der Antwort Zeit. Ruhig nahm er einen Zug aus der Wasserpfeife und betrachtete mich dabei grüblerisch. »Zu jener Zeit wäre ein solcher Großmut in meinen Augen eine unglaubliche Nachlässigkeit gewesen, eine Schwäche, die ich umgehend genutzt hätte.« Er versank für einen Moment in seinen Überlegungen und fuhr dann fort: »Heute sehe ich darin das Wesen dieses ganzen Landes. Dieses Miteinander, der Gemeinschaftssinn, Großmut, Mitgefühl, Liebe, das ist es, was Art-Arien von Chromnos grundlegend unterscheidet. Es ist keine Schwäche, Darius. Es ist unser großer Vorteil und er wird Chromnos eines Tages in die Knie zwingen, weil dieses Land nur wenigen nützt und zugutekommt. Art-Arien aber lebt durch alle seine Völker.«
Er schwieg und ich bewunderte ihn für diese Einschätzung, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob uns Großmut und Mitleid bei unserem Kampf gegen das dunkle Land weiterhelfen konnten. Nach und nach hatte ich den Adlerdämonen wirklich zu schätzen gelernt und manchmal hatte ich sogar das Gefühl, neben einem Freund zu sitzen.
Doch der Winter ging vorbei und als der Frühling kam, endete die friedliche Zeit abrupt. Es begann zunächst unauffällig am Tag der Frühjahrsaussaat. Das Ausbringen des ersten Korns wurde in Schuma mit einem Fest begangen und ich erinnere mich, dass mich an jenem Tag einer der örtlichen menschlichen Heiler ansprach und darum bat, mit Atreus in Kontakt treten zu dürfen. Er wollte ihm einen merkwürdigen Fall einer ansteckenden Krankheit zu zeigen und ihn um Hilfe zu bitten.
Mein Bruder war an jenem Tag mit irgendeiner anderen Angelegenheit beschäftigt, sodass ich Danái bat, in die Stadt zu gehen und sich den Kranken anzusehen. Ich dachte den restlichen Tag nicht mehr darüber nach. Die Heilerin hatte mein volles Vertrauen und eine Bitte wie diese hatte es schon häufiger gegeben. Nie hatten die Dakoraner mit den menschlichen Krankheiten große Probleme gehabt. So, glaubte ich, würde es auch dieses Mal sein. Deshalb war ich erstaunt, als Danái am Abend Atreus bat, mit ihr am kommenden Morgen noch einmal in den Ort zu gehen und sich den Kranken anzusehen. Sie sei sich nicht sicher, ob ihre Vermutung stimme und wolle niemanden erschrecken, deutete sie nur an. Doch die Erkrankung des Kindes sei ihr noch nie begegnet.
Sie gingen in den frühen Morgenstunden gemeinsam ins Tal hinunter und ich sah ihnen nach und bemerkte, dass sich ihnen auch Sirigan angeschlossen hatte. Atreus’ Gefährtin bei den Heilern zu sehen, war nichts Unerwartetes. Doch es nötigte mir ein Lächeln ab, als ich die drei Magier beobachtete, die sich der Krankheit eines einzelnen Menschen widmen wollten. ›Was für ein Aufgebot für einen einzigen Fall‹, dachte ich belustigt.
Das Lachen verging mir sehr schnell, als Atreus um die Mittagszeit zu mir in die Bibliothek trat. Mein Bruder war voller Ernst, als er mir schilderte, was sie in der Stadt vorgefunden hatten. Inzwischen handelte es sich nicht mehr um einen Einzelfall, sondern mehrere Dutzend Menschen waren schwer erkrankt. Hitze- und Kältegefühle würden sich bei ihnen ablösen, ihre Körper seien von Blutergüssen bedeckt und bei jenem Kind, das als Erstes erkrankt war, träte Blut aus Nase und Ohren aus, schilderte Atreus den Verlauf. Er befürchtete, dass der Junge noch in der kommenden Nacht sterben würde.
Das Schlimme aber war, dass keiner der drei Heiler jemals etwas Derartiges gesehen oder auch nur davon gelesen hatte. Alle, mit einer Ausnahme. Sirigan nämlich behauptete steif und fest, dass dies ein dunkelmagischer Fluch sei. Atreus war sich dessen nicht sicher, doch er wollte nichts unversucht lassen und bat mich, Arken dazu befragen zu dürfen. Wir riefen den Dämonenkrieger zu uns und Atreus schilderte detailliert, was er in Schuma vorgefunden hatte. Lange schwieg Arken und bedachte sich. Dann bat er Atreus, sich die Kranken ansehen zu dürfen und beide verließen ein weiteres Mal die Burg.
Sie blieben so lange weg, dass ich begann, mir Gedanken zu machen. Schon wollte ich Shayan bitten, nach den beiden Männern zu sehen, als Arken die Bibliothek betrat. Ich hatte den Adler schon in mancher schweren Situation erlebt, doch die tiefe Niedergeschlagenheit, die er ausstrahlte, war ernüchternd. Wortlos nahm er in einem der Erker Platz und sah lange hinunter ins Tal und auf die Türme und Häuser der Stadt. Dann endlich begann er zu sprechen.
»Ich habe keine Vorstellung, wer der Dunklen stark genug sein könnte, um einen solchen Fluch derart weit über die magische Grenze zu tragen. Ich kann auch nicht mit Sicherheit sagen, ob das, was in der Stadt geschieht, tatsächlich durch Dunkelmagie hervorgerufen wird.«
Er blickte auf und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »So etwas habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Es ist einfach furchtbar. Es ist eine Seuche, Darius, gar keine Frage. Inzwischen sind mindestens drei Dutzend Menschen erkrankt. Der kleine Junge ist gestorben. Er ist einfach verblutet. Keiner der Heiler konnte irgendetwas ausrichten.«
Unruhig erhob sich Arken und begann durch den Raum zu wandern. »Wenn wir nichts finden, was gegen diese Krankheit hilft, wird die ganze Stadt sterben. Und ich weiß nicht, was wir tun könnten ...«
Atreus war mit den beiden Frauen im Ort geblieben. Ich machte mich auf den Weg zu ihnen, um mir selbst ein Bild des Geschehens zu machen. Schon an den Stadttoren fiel mir auf, dass sich Schuma verändert hatte. Dort, wo immer ein reges Treiben die Straßen belebt hatte, Bauern und Händler die Tore bevölkerten, Kinder auf den Zinnen saßen und in den Gräben mit ihren Weidenruten angelten, herrschte eine gespenstische Ruhe. Die Straßen waren leer, die Läden und Gasthäuser geschlossen, manch ein Fensterladen wurde hektisch zugenagelt. Die Menschen hatten Angst! Ich suchte den Stadtältesten Harand auf und fand ihn in seinem Haus vor, wo er in einem kleinen Kamin Heilkräuter verbrannte. Als der Mann mich sah, fiel er auf die Knie.
»Mein Fürst«, begrüßte er mich und schon diese Anrede machte die Ungewöhnlichkeit der Situation deutlich. Solche Förmlichkeiten waren uns sonst fremd gewesen. »Wenn Ihr gekommen seid, um uns zu helfen, sei die Gnade der Göttin mit Euch.«
Gnade konnten die Stadtbewohner wirklich brauchen, das wurde mir bald bewusst. Harand brachte mich zu meinem Bruder und den beiden Heilerinnen, die vergeblich versuchten, irgendeinen Ansatz zu finden, wie sie der geheimnisvollen Seuche beikommen könnten. Seit dem Morgen waren außer dem Jungen noch zwei weitere, ältere Menschen verstorben und es würden weitere Opfer hinzukommen. Dessen waren sich die drei gewiss.
Atreus nahm mich beiseite und führte mich in einen Winkel, wo wir keine Zuhörer hatten. »Ich weiß, dass du das ungern tun wirst«, begann er. »Doch mir fällt nur noch eine Person ein, die eine Lösung haben könnte. Du musst Solinacea hierherholen. Wenn überhaupt jemand hierfür eine Heilmethode kennt, dann ist sie es.«
Ich musste ihm zu zögerlich erschienen sein, denn Atreus packte mich am Ärmel und sprach eindringlich weiter. »Wenn wir dem hier keinen Einhalt gebieten, wird die ganze Stadt sterben. Und wenn auch nur einer von ihnen den Krankheitsherd weitergetragen hat ...«
Er schwieg, doch ich wusste genau, was er meinte. Auf eine unerwartete, unvorhersehbare Weise hatte der Tod in Schuma Einzug gehalten und es war unsere einzige und letzte Möglichkeit, Solinea um Hilfe zu bitten. Dachte ich einen Moment lang daran, Atreus an meiner Stelle nach Tsiigehtchic zu schicken, so verwarf ich mit einem Blick auf die Anzahl seiner Patienten diese Möglichkeit sofort wieder. Was galten schon meine persönlichen Befindlichkeiten im Vergleich zu all dem Leid, das unerwartet unsere Stadt heimgesucht hatte?
Also ließ ich mich nicht noch ein weiteres Mal bitten und machte mich ohne Verzug auf nach Ipioca. Über den Weg der Teleästhesie rief ich vor meinem Flug Nashoba an und schilderte ihm kurz den Grund meines Kommens. Wie immer hatte der Minági für unsere Probleme ein offenes Ohr und er versprach mir, Solinacea zu verständigen, auf dass wir ohne Zeitverzug nach Schuma zurückreisen könnten, sobald ich das Küstendorf erreicht haben würde.
In den letzten Mondumläufen war meine Freundschaft mit dem Minági sehr eng und zuverlässig gewesen und wir betrachteten uns als Wahlbrüder. Auch in der dakoranischen Heilerin sah ich ein Geschöpf, das mir wichtig war, doch machte es gerade diese intensive Zuneigung für mich schwer, ihr nahe zu sein.
Als wolle sie der dramatischen Situation spotten, schien die Sonne warm und golden auf das frühlingshafte Land. Die Schneeberge der beiden Gebirge schimmerten in einem frischen, reinen Weiß und das Meer, dem ich mich bald in meinem rasend schnellen Flug näherte, leuchtete blau und türkis. Dagegen hob sich das Bild von Schuma, das ich vor den Freunden zeichnen musste, in seinem Grau und Schwarz drohend ab.
Solinacea hatte ihr Kräuterbündel bereits bei sich und so konnten wir uns unverzüglich auf den Rückweg machen. Trotz aller Eile und all der Sorgen war ich dennoch gespannt, wie es sich für sie anfühlen würde, mit mir zu fliegen. Sie hatte mir einmal gesagt, dass sie von dem Drachen beeindruckt gewesen wäre. Nun bekam sie Gelegenheit, mein Tierattribut aus nächster Nähe kennenzulernen. Würde sie dabeibleiben und den Drachen mögen oder würde sie sich ängstigen, wie die meisten, die mit dem Fabelwesen in Kontakt kamen?
Die Heilerin machte es mir einfach. Sie drängte ungestüm zum Aufbruch und so blieb mir gar nichts anderes übrig, als die Verwandlung zu vollziehen und vor den Langhäusern der Inokté meinen schwarzen Drachen erscheinen zu lassen. Die beiden Freunde schienen davon nicht sonderlich beeindruckt zu sein. Nashoba half seiner Gefährtin auf meinen Rücken und schneller als gedacht waren wir bereit für den Flug.
Hatte ich mich gefragt, wie es Solinea mit dem Drachen ergehen würde, so wäre es eine viel näherliegende Frage gewesen, wie ich mich in ihrer Nähe fühlen würde. Schon als ich ihr zum ersten Mal begegnete, war ich von ihr beeindruckt gewesen. Solinacea von Dakoros vereinte all jene Dinge in sich, die mich an einer Frau faszinierten.
Sie war bewundernswert schön, ohne diese Schönheit durch künstliche Tricks in den Vordergrund zu rücken. Sie hatte eine freundliche Güte, die jede übertraf, die ich vor ihr kennengelernt hatte und sie schaffte es, mir gegenüber ihre Selbstsicherheit zu bewahren. Trotz ihrer Bildung blieb sie zurückhaltend. Sie ließ andere Ansichten gelten, wenn sie ehrlich waren. Sie war gutmütig, freundlich. Sie war einfach unbeschreiblich liebenswert und ich liebte sie. Nashoba war das irgendwann aufgefallen und ich rechnete es dem Freund hoch an, dass er mir daraus nie einen Vorwurf gemacht hatte.
Jetzt trug ich die Heilerin auf meinem Rücken nach Schuma und es war ein einzigartiger Genuss, ihre Nähe zu spüren. Die Kälte des Windes brachte sie dazu, sich eng an meine Drachenhaut zu schmiegen und ich ließ mich für die Dauer des Fluges ganz auf dieses überwältigende Gefühl ein. Doch so groß die Entfernung zwischen Tsiigehtchic und Schuma auch war, so schnell verging die Zeit, während ich meinen Empfindungen nachspürte. Wir erreichten die Stadt. Die gespenstische Stille, wo sonst Heiterkeit und Leben waren, die ernsten Gesichter der Freunde, das leise Weinen der erkrankten Kinder, die gemurmelten Gebete der Alten holten mich schlagartig zurück in die Gegenwart.
Keiner musste Solinea um ihre Mithilfe bitten. Sie sprang von meinem Rücken und trat dann sofort zu Atreus, der sie mit sich nahm, während er ihr einen Überblick über die Lage gab. Für den Moment war ich vergessen. Doch das störte mich nicht. Im Gegenteil gaben mir ihre Hilfsbereitschaft und die Selbstverständlichkeit, mit der sie sich unseren Kranken widmete, neue Hoffnung für die Menschen unserer Stadt.
Schon bald sah man die überwältigende Erfahrung, die die Heilerin von Dakoros mitgebracht hatte. Systematisch erprobte sie alle Heilmittel, die auch nur einen geringen Erfolg versprachen. Sie hielt Sirigan mit immer wieder neuen Vorschlägen für Kräutermischungen auf Trab. Sie ließ Atreus den einen oder anderen Aderlass vornehmen und Packungen auflegen und probierte mit Danái immer wieder neue magische Formeln aus. Das Wissenspotential, aus dem sie schöpfte, musste riesig sein. Auch ich versuchte, mich nützlich zu machen und organisierte mit den Stadtvätern die weitere Versorgung der Kranken und ihre Isolation von den Gesunden. Wir sorgten für weiche Lager, die gerechte Verteilung der Schmerztränke, Essen und frisches Wasser. Wir kümmerten uns um Kinder, deren Eltern erkrankt waren und trösteten Mütter, deren Kinder Solinacea behandelte.
Es kamen und gingen ein Tag und eine Nacht. Am nächsten Morgen trat Solinacea zu mir und ich sah, wie erschöpft die Heilerin bereits war. Sie hatte viel mehr getan, als unseren Heilern möglich gewesen wäre, aber noch konnte auch sie keinen Erfolg vorweisen. Der Schlafmangel und die Ergebnislosigkeit ihrer unzähligen Behandlungsversuche hatten dunkle Ringe unter ihre Augen gezeichnet und die Lederbekleidung klebte verschwitzt und von Blut beschmutzt an ihrem Körper. Wieder wurde ich in eine stille Ecke zu einem Gespräch unter vier Augen gebeten.
»Wir kommen so nicht weiter, Darius«, begann sie. »Du siehst, dass wir bisher gar nichts erreicht haben. Auch wenn die Menschen an mich glauben, kann ich ihnen dennoch nicht helfen. Wir haben vier weitere Tote zu beklagen und die Zahl der Erkrankten steigt.« Sie sah um Jahre gealtert aus, müde, erschöpft und voller Trauer. »Inzwischen glaube ich, dass Sirigan recht hat«, fuhr sie fort. »Es könnte durchaus Dunkelmagie im Spiel sein.«
Ich wusste nicht, was ich ihr erwidern sollte und was ich tun könnte. Wenn die Chromnianer uns auf eine solche Weise angriffen, gab es kein Entkommen. Wir wussten nicht einmal, wer der Fluchträger war. Vielleicht hätte ich Nashobas Gefährtin nicht in unsere Probleme hineinziehen sollen? Wenn hier Dunkelmagie im Spiel war, galt dieser Angriff nicht ihr. Und wer weiß, ob ich sie vor dieser unbekannten Macht überhaupt schützen konnte?
Solinacea aber hatte mich nicht ohne Plan um ein Gespräch gebeten. Sie verfolgte ein Ziel, das sie mir aber zu jener Zeit nicht völlig offenlegte. Sie äußerte nur ihre Wünsche und ich kam diesen nach, weil ich selbst keine andere Lösung vorzuschlagen hatte.
»Ich möchte mit Arken und Danái sprechen«, bat sie mich. »und ich möchte dir erklären, was ich versuchen will, denn es könnte sehr gefährlich für uns alle werden. Du bist ihr Fürst, du musst es erlauben oder meine Idee verwerfen …«
Ihre sonst so strahlenden Augen waren ausdruckslos und wie erloschen, als sie mich ansah. Sie wusste so viel mehr, als sie mir sagte! »Wenn dieses Fieber durch Dunkelmagie verursacht wird, werden unsere Heilkräfte gar nichts ausrichten«, erklärte sie mir. »Dann ist hier ein starker Magier am Werk und es könnte sogar sein, dass er mitten unter uns ist.«
Ihre Hand wies über die Stadt. »Keiner kann alle Häuser, Keller und Scheuern kontrollieren und nach einem versteckten, vielleicht schattenhaften Wesen suchen. Dazu bleibt uns keine Zeit. Die Menschen hier sterben.«
Trotz des Elends um uns herum, kam ich nicht umhin, sie für ihre Festigkeit zu bewundern. Sie schien tatsächlich eine Möglichkeit zu sehen, noch etwas an dem Schicksal Schumas zu ändern.
»Ich möchte, dass du genau weißt, was ich versuchen will«, wiederholte sie. »Ein starkes, sicheres Mittel gegen Dunkelmagie ist unsere dakoranische Blutmagie.«
Ich hätte sie sofort unterbrechen müssen. Wenige Stunden später wurde mir das klar. Doch in diesem Moment sah ich noch nicht die Folgen dieses Plans vor mir, auch wenn sie sie kannte.
»Du weißt, dass diese Magie uns schwächt«, erklärte sie. »Deshalb möchte ich Danái um ihre Unterstützung bitten. Sie ist eine starke Priesterin und wird außerdem durch das Gamosritual geschützt.«
Später erinnerte ich mich an diesen Satz, ja, er hämmerte permanent durch mein Gehirn als eine vergebene Gelegenheit, das aufzuhalten, was kam. Doch ich erkannte damals nicht, was sie eigentlich klar und deutlich vor mir ausbreitete.
»Wenn wir mit unserer Blutmagie gegen die Seuche vorgehen, kann das den Dunkelmagier aus seiner Defensive locken. Dann solltest du alle Kräfte hier bereithaben, die du gegen einen chromnischen Meister ins Feld führen kannst.« Sie zögerte. »Und du solltest Atreus und Sirigan möglichst aus der Kampfzone heraushalten. Auch wenn unsere Magie Erfolg zeigt, werden sie danach noch alle Hände voll zu tun haben, da sie auf Danái und mich verzichten müssen …«
Sie war so überlegt, so ruhig, so überzeugend, dass ich einfach nicht sah, wohin ihre Magie sie führen würde. Das Einzige, was ich zu meiner Entschuldigung angeben kann, ist, dass auch ich von dem Leid, das über Schuma hereingebrochen war, vollkommen gedanklich in Anspruch genommen wurde. Ich hatte schon einmal erlebt, wie sie sich von den Folgen ihrer Magie erholte und so dachte ich nur an den Heilschlaf, den sie benötigen würde, nicht an die Lebenszeit, die sie verschenkte. Dabei hatte mir Shayan ausführlich von ihrem Gespräch auf dem Feld am Eisenfluss erzählt …
Jahre später gestand ich mir ein, dass unser Schicksal zu einem guten Ende gefunden hatte, doch in den Tagen, die bald darauf folgten, hätte ich alles darum gegeben, diese Magie ungeschehen machen zu können. An jenem Morgen aber gab ich Solinea mein Einverständnis zu dem, was sie zu tun gedachte und sie zeigte mir mit ihrer Entschlossenheit, dass sie zu allem bereit war. Wenn ich doch nur ein wenig in die Zukunft hätte sehen können …
Solinacea beriet sich mit Danái und Arken und sie kamen überein, den Versuch zu wagen, die dakoranische Blutmagie einzusetzen. Unauffällig zog ich alle Dämonenkrieger zusammen, die auf der Drachenburg zur Verfügung standen und reichte auch Arken erstmals eines der Glaiven. Der Adler nahm die magische Waffe ohne großes Aufhebens an sich. Gemeinsam traten wir vor die Mauern von Schuma, um uns jedem Angriff zu stellen, der die Stadt möglicherweise traf.
Ich hatte Solinacea nicht gefragt, auf welche Weise sie von ihrer Magie Gebrauch machen wollte, kannte ich doch das Ritual aus den Erzählungen Shayans. Aber natürlich konnte sie nicht jedem aus meinem Volk ihr Blut an die Lippen halten und bald sah ich, dass die beiden Magierinnen eine ganz andere Methode hatten, die Stadt in ihr Ritual einzuschließen. Beide waren auf die Stadtmauer getreten und hatten sich dort gegenseitig eine Vene am Arm geöffnet. Mit ihrem Blut zogen sie nun still einen Kreis, den sie direkt vor uns nach einiger Zeit schlossen. Bereits hier sah ich Danái straucheln und Arken flog auf, um seine Gefährtin zu stützen.
Solinacea aber rief nun machtvolle magische Worte aus und tatsächlich erhob sich die wundervolle silbern und golden schimmernde Aura der Dakoranerinnen über die gesamte Stadt. Wann ich wusste, dass die Blutmagie wirkte, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Das, was der dakoranischen Magie folgte, ging so rasend schnell, dass selbst Arken, der dem Geschehen am nächsten war, nur bruchstückhaft begriff, was geschah.
Der Angriff kam nicht von außerhalb Schumas, wie wir es erwartet hatten. Und es war auch kein fremder Magier, der sich uns stellte. Mit einem irren Lachen trat eine schwarzhaarige, großgewachsene Schönheit vor die Dakoranerinnen und noch ehe einer von uns reagieren konnte, begann die junge Dunkelmagierin die beiden dakoranischen Frauen mit Flüchen zu belegen.
Dabei rief sie Mokor an, den sie ihren Herrn und Meister nannte und schwor Rache für den Bruder ihres Gefährten, für Ragnar. Sie versprach, Shokran zu rächen, dessen Tod inzwischen bei den Chromnianern Gewissheit war. Sie schien auch Sirigan erkannt zu haben, denn ihr galten die wüsten Verwünschungen, die von den Lippen der Zauberin nur so troffen, während sie ihre Magie gegen die Dakoranerinnen einsetzte.
Es war Arken, der vor die beiden Heilerinnen trat und die Dunkelmagie mit seinen verborgenen Kräften abwehrte. Dabei sprach der die Magierin an und mit einem Mal verstand ich, wen wir vor uns hatten. Diese Frau war Bahar, Arkens Schwester.
Sie griff nun unseren Freund direkt an, indem sie die Kraft ihrer Magie auf ihn lenkte. Dabei ließ sie ihn wissen, wie sehr sie seinen Übertritt nach Art-Arien verachtete, wie gering sie Danái schätzte, die sie seine kleine Sklavin nannte und wie gern sie ihn leiden sehen wollte, so sehr, dass sie nicht den Weg nach Schuma gescheut hatte, um ihn und alle, die mit ihm waren, zu strafen und zu richten. Nun war es Danái, die ihren Gefährten verteidigte und ihre Kriegsmagie gegen die Chromnianerin ins Feld führte.
Ich stieg auf, um beide zu unterstützen, doch das Geschehen nahm schnell eine dramatische Wendung. Solinacea, die das Tun der dunklen Meisterin beobachtet hatte, mochte sich ihre eigenen Gedanken über die Kräfte ihrer Gegnerin gemacht haben, denn auch sie griff zur Kriegsmagie und verband ihre Macht mit der Danáis.
Bahar schlug zurück und ihre magische Kraft traf die Gefährtin Arkens, die unter der Magie zusammenbrach. Arken aber ergriff voller Zorn sein Glaive und während Bahar zu einem zweiten Schlag gegen Solinacea ausholte, warf er das magische Schwert auf seine eigene Schwester, die getroffen auf die Knie fiel. Noch aber war sie nicht besiegt und es war Solinacea, die den letzten Schlag führen musste. Selbst bereits durch den Energieverlust in die Knie gezwungen, warf sie erneut die dakoranische Magie gegen die Chromnianerin ins Feld.
Sie siegten. Doch der Preis, zu dem sie diesen Kampf gewannen, war hoch. Danái lag leblos am Boden und Arken, der neben ihr kniete, war dabei, mit ihr über das Gamosband seine Lebensenergie zu teilen. Solinacea aber richtete sich mühsam auf. Ich kniete mich sofort neben sie und stützte sie. Ich wollte sie aufheben und zur Drachenburg bringen, war doch alles getan, was sie tun konnte. Ich war außer mir vor Kummer und hätte sie am liebsten in die Arme geschlossen, um sicher zu sein, dass sie lebte und gesund würde. Aber sie sträubte sich mit aller Kraft.
»Das Ritual muss abgeschlossen werden«, flüsterte sie. »Sonst war alles sinnlos.« Sie blickte bittend auf den kleinen Dolch, der ihren Händen während des Kampfes mit Bahar entglitten war. »Gib ihn mir, Darius!« bat sie eindringlich. »Lass es mich beenden.« Sie sah mich mit einem offenen Blick an, der alles verriet, Entschlossenheit, Trauer, Liebe. »Gib ihn mir und dann bring mich nach Hause«, flüsterte sie. »Bitte! Zu Nashoba!«
Und ich tat es. Ihre Stimme war so beschwörend, dass ich gar nicht anders konnte. Ich selbst war es, der ihr die tödliche Waffe reichte. Wie sehr ich mich danach auch dafür verachten mochte, so folgte ich damals ihrem Wunsch.
Sie aber ergriff die Klinge und zog sie sich direkt durch die linke Halsschlagader. Blut spritzte auf und die Magie glühte bei dem Opfer erneut über der ganzen Stadt. Entsetzt versuchte ich, die Wunde mit meinen Händen zu schließen, den Blutfluss zu stoppen, Solinea irgendwie vor dem Unvermeidlichen zu retten. Sie aber schloss die Augen, legte mir ihre Hand auf den Arm, flüsterte den Namen ihres Gefährten und rührte sich schon bald nicht mehr. Der Blutfluss ließ von selbst nur zu bald nach und die Körperwärme der Heilerin wich einer eisigen Kälte. Ich sah auf meine Hände und sie waren rot vom Blut.
Ich fühlte, wie der Tod unaufhaltsam auf die Frau in meinen Armen zugeschritten kam. Hier floss das letzte Fünkchen Lebensenergie aus dem Körper meiner geliebten Solinea und ich hatte ihr die Waffe dazu in die Hand gedrückt. Da gab es nichts, was ich noch für sie tun konnte. Sie würde hier in meinen Armen sterben, allein, ohne ihren Gefährten, ohne Trost, ohne Sinn und ich war schuld daran. Das Wissen, sie geopfert zu haben, überstieg alles, was ich je hatte erdulden müssen und verschlang meinen Verstand und mein Denken und ich zog die Magierin an mich und schrie, bis ich irgendwann schluchzend neben ihr zusammenbrach.
Abschied:
In den Stadtarchiven von Schuma fanden die Bibliothekare von Arien bei der Archivierung der frühen Schriften unter anderem das Stadtjournal des Harand von Schuma, eines Stadtältesten zu Beginn der Großmagie. Dies ist es, was er überliefert:
»Heil unserem Fürsten Darius von Smyrna, der unsere Stadt mit seiner magischen Gefolgschaft vor dem Tod durch die dunkelmagische Seuche bewahrte! Möge die jungfräuliche Göttin immer eine liebende Hand über ihn halten!
Mit der Zeit der ersten Aussaat wurde unser geliebtes Schuma von einer heimtückischen Krankheit erfasst, die unsagbar schnell etwa ein Drittel der Bevölkerung ereilte. Mit Hitze und Blutungen rief die Krankheit acht Menschen in die Anderwelt, bevor die Heilerinnen Danái von Septentrio und Solinacea von Dakoros ihr mit Hilfe einer noch nie dagewesenen Magie Einhalt geboten.
Ihnen gebührt die Ehre und Liebe unserer Stadt für alle Zeiten. Sie allein gaben uns das Leben zurück, welches die Dunkelmagierin Bahar forderte, als Preis für die Abtrünnigkeit ihres Bruders Arken von Hidula, der sich den Magiern von Art-Arien in seiner Weisheit ein Jahr zuvor angeschlossen hatte.
Welch eine Gnade, die uns durch die Magierin Solinacea von Dakoros zuteilwurde, die sich bereitfand, ihr wertvolles magisches Leben für die Menschen unserer Stadt zu geben. Ihre Verehrung wird immer Teil unseres Gedenkens an jenen Tag sein.«
Doch an jenem Morgen im Frühjahr verspürte Darius nichts von einer fürsorglichen göttlichen Hand, die über ihm schwebte. Was der Stadtälteste uns wortreich übermittelt, sagt wenig von dem, was die magischen Freunde tatsächlich erlebten.
Wahr ist, dass all jene, die nicht unmittelbar bei den Ereignissen auf der Stadtmauer dabei waren, durch den qualvollen Aufschrei des Drachen auf das Geschehen aufmerksam wurden. Der wahnsinnige Schmerz, der in dem lautstarken Aufbrüllen des Magiers zum Ausdruck kam, ließ die Menschen furchtsam erzittern
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Die Urheberschaft von Idee und Text liegt bei der Autorin Sophie André.
Bildmaterialien: Cover, Fotografie und Bearbeitung: Sophie André , Karte der Vier Provinzen: eigener Entwurf - Kopie und Verbreitung nicht erwünscht
Cover: Cover: gezeichnet von der Autorin Sophie André - alle Rechte vorbehalten
Tag der Veröffentlichung: 06.11.2014
ISBN: 978-3-7396-1615-5
Alle Rechte vorbehalten