Sag` dem Klabautermann "Guten Tag!"
Seemannsgarn, Schiffersgedichte, Chantylieder und teuflische Geschichten
Text und Zeichnungen von Pierre Sens
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Liebe Mädchen und Jungen,
habt Ihr schon einmal vom Klabautermann etwas gehört oder gelesen? Oder habt ihr ihn gar schon gesehen? Der kleine Fritz aus dem Ruhrgebiet, der kann euch da von einem tollen Erlebnis aus seinem Urlaub berichten. Doch hören wir dazu erst einmal Fritzchen selbst, was er über seine erste große Reise uns zu berichten hat.
Fritzchens Vorwort zu seiner ersten großen Reise:
"Hallo, ich bin Fritz und will Euch von meinem wahnsinnig tollen Urlaub in Travemünde berichten. Diesen Urlaub an der See werde ich nie - aber wirklich nie - vergessen und Ihr selbst habt jetzt die Möglichkeit, ihn noch einmal mit mir mitzuerleben.
Zuerst wollte ich gar nicht, wie meine Mutter (Marie-Louise) und mein Vater (Peter) es vorhatten, zur See fahren und dort Urlaub machen, lieber wollte ich in die Berge. Wasser gab es da auch genug. Aber nein, für meine Eltern sollte es ja Flachland sein. Und wo ist das Land schon flacher als im Norden? Camping machen wollte mein Vater, so `ne Art Abenteuerurlaub - für mich! Aber ich wurde erst gar nicht gefragt. Der einzige der Abenteuerurlaub wollte, war in Wirklichkeit nur mein Vater. Da habe ich dann doch lieber zu meiner Mutter gehalten. Die wollte in eine Pension oder in ein Hotel.
Eines Abends kamen mal im letzten Frühjahr die Nachbarn zu Besuch und erzählten Geschichten aus ihrem Urlaub. Für mich war es langweilig zuzuhören, diese öden Erwachsenengeschichten, so ging ich gar freiwillig früh ins Bett. Von dort hörte ich sie den ganzen Abend lang lachen. Aber was es da wohl so viel zu lachen gab?
Am anderen Morgen jedenfalls stand fest, daß wir diesen Sommer nach Travemünde fahren und im supergroßen Hotel Maritim unsere Unterkunft finden werden. Und warum das Ganze? Weil die Nachbarn meinen Eltern vorgeschwärmt haben, wie toll es dort ist und was das Maritim doch für ein erstklassiges Strandhotel ist. Ach, meine Eltern sind ja so was von leicht zu beeinflussen - echt unglaublich, echt
naiv - .
Bei den Vorbereitungen für die Reise gab es dann weniger für uns alle zu lachen. Ständig hatten die sich in der "Wolle", was denn mitgenommen werden soll und was nicht.
Meinem Vater war Muttis Bikini zu freizügig und meiner Mutter war Papas Urlaubsbar zu üppig ausgestattet. Den Whiskey mußte er dann doch Zuhause lassen.
Mutti wollte festliche Sachen und Schmuck mitnehmen, für etwaige Theater und Casinoabende und Papi nur seinen alten Jogginganzug, weil er mehr an Sport als an Kultur dachte. So ging das eine ganze Woche lang. Es wurde eingepackt und dann wurde wieder eine Menge ausgepackt und wieder eingepackt und wieder ausgepackt. Nur was ich mithaben wollte, da hat keiner nachgefragt. So sind eben die Erwachsenen, denken nur an sich. Aber ich habe mir schon meinen Geheim-Koffer zurechtgelegt und alles das rein getan, was ich mithaben wollte: ein Fernglas, um die Schiffe, die in weiter Entfernung vorbeifahren, näher betrachten zu können, eine topmoderne lange Badehose (echt schickes Ding, echt geil), meinen Detektiv-Koffer, falls es Diebe im Hotel gibt denen ich aufspüren muß, dazu ein Schweizer Taschenmesser mit vielen Funktionen, um sich aus so einem Hotelzimmer befreien zu können - falls man von einem Dieb darin eingesperrt wird, Micky Mouse-Hefte zum lesen und eine Luftmatratze, damit wollte ich ins Wasser gehen und den Schiffen nachrudern, was ich aber dann doch nicht durfte.
Eines Sonntags war es dann soweit. Meine Eltern waren schon ganz früh am morgen sehr hektisch, packten alle Sachen ins Auto, frühstückten dann schnell mit mir und bald darauf ging es dann auch schon los - und zwar ging eine echt tierisch lange Autofahrt los, und das bei einer Sommerhitze, die in der Mittagszeit eine Temperatur von mindestens 300 C im Schatten aufzuweisen hatte. Im Auto war es zeitweise wohl sogar noch mehr. Alle anderen Urlauber hatten dann auch die Idee sehr früh loszufahren, so daß bereits schon um 10 Uhr morgens der erste Stau zu verzeichnen war. Es schien, als wollten alle zur See fahren und niemand in die Berge, denn in dieser Richtung waren meistens die Straßen frei.
Irgendwann nachmittags kamen wir dann in Travemünde an und meine Eltern waren total genervt und geschafft: vom Stau, von der langen Fahrt, von ihren Streitereien und vor allem von meinem ständigen Geknatsche und Gejammere. Jetzt waren sie wirklich urlaubsreif, jetzt konnte es nur noch aufwärts gehen - also die besten Voraussetzungen für einen guten Urlaub.
Und gut sollte er auch werden, vor allen Dingen am letzten Tag. An dem Tag, als wir das ehemalige Segelschulschiff - die Viermastbark - Passat besichtigten. Zuvor war es zwar auch ganz nett, sind wir doch viel am Strand und im Wasser gewesen, haben wir sogar zweimal die Freizeitanlage HANSA-PARK bei Sierksdorf besucht und viel Eis gegessen, auch durfte ich abends länger als sonst wach bleiben, aber im Vergleich zu dem, was dann auf der Passat passierte, war das alles nichts - absolut nichts! Doch dazu später, holen wir jetzt erst einmal tief... tief Luft! "
Eine ganze Weile hielt Fritzchen nun die Luft an und es dauerte einige Zeit bis er sich an sein Abenteuer wieder erinnerte, wie er und seine Eltern (Marie-Louise und Peter) Urlaub in Travemünde im Hotel Maritim machten.
Wie sie zusammen am Strand Fangen oder Federball spielten und im Wasser wettauchten, wobei er dabei ständig schummelte, indem er einen Schnorchel benutzte; wie sie auf dem Vergnügungsgelände "HANSA-PARK" Looping auf der Achterbahn fuhren und anschließend eine Wildwasserfahrt über reißende Stromschnellen mitmachten, selbst hier die Zeit noch fanden die phantastische Variete-Show "Magic Las Vegas" anzusehen, um dann hinterher in Fleißarbeit Erdbeeren zu pflücken - beim Bauern auf dem Erdbeerfeld. Außerdem wurden die Städte Lübeck, Kiel und Neustadt ausgiebig besucht, dazu Museen sowie ein U-Boot und sonstwelche Sehenswürdigkeiten. Dann gab es auch zweimal am Tag Eis mit Sahne, vormittags und nachmittags und an jedem Tag wurde viel gelacht, weil Papa Peter immer zu lustigen Späßen aufgelegt war und Mama Marie-Louise so herrlich darüber lachen konnte. So vergingen vergnügt die Urlaubstage dahin.
Im Radio wurde immer wieder der neue norddeutsche Schlager: "Im Norden liegt mein Heimatland" gespielt und alle sangen sie, wenn sie es im Radio hörten, aus voller Kehle und etwas übermütig, ja man kann dazu auch sagen, voller Urlaubslebensfreude, mit:
Im Norden liegt mein Heimatland
Heimatland, Heimatland,
hier spülen uns die Wellen Fische an das Land.
Sagt den Menschen, wo am Strand große bunte Fahnen wehen,
damit sie schon von weitem unser schönes Heimatland sehen.
Heimatland, Heimatland,
selbst Fremden bist du allzu gut bekannt.
dein Name hat über alle Grenzen Sang und Klang,
in den Herzen der Menschen gehst du mit deinem Charme auf Liebesfang.
Heimatland, Heimatland,
Bürger hebt empor zum Zeichen der Freude eure Hand.
Winkt zum Gruße den Reisenden übern Deich,
denn Brüder und Schwestern - hier sind wir alle gleich.
Heimatland, Heimatland,
nette Menschen leben hinter der Waterkant.
Glaubt mir, denen fällt es nicht schwer,
die haben viele Kinder und die lieben sie alle sehr.
Heimatland, Heimatland,
Erholung finden die Reisenden bei uns am Strand.
Oder beim Wandern im Watt am Meer,
denn bei uns läuft die Erholung den Gästen hinterher.
Heimatland, Heimatland,
Bürger gebt euch zur Verbundenheit eure Hand.
Gemeinsam seid ihr stark und noch viel mehr,
denn ihr habt das Watt, die Sonne und das Meer.
Zuletzt, bei einer Segelschau in Travemünde, wo viele große Segler und Fregatten aus aller Herren Länder lagen, besuchten sie auch eine der letzten deutschen Windjammern, die Passat, die 1911 für die Reederei Ferdinand Laeisz in Dienst gestellt wurde und 39 mal das gefürchtete, von starken Winden umtoste, Kap Horn umrundete. Bevor sie ihren Dienst einstellen mußte, umsegelte sie zweimal, im Jahre 1932 und 1948, die Welt. Ihren vorerst letzten Hafen fand die Passat in Lübeck-Travemünde, wo sie nun seit Januar 1960 angedockt ist. Marinekameradschaften, die "Pamir-Passat-Vereinigung", der Verein "Rettet die Passat" und andere Personen und Gesellschaften kümmern sich seither mit hohem Einsatz um die Instandhaltung des Segelschiffes. Nicht zuletzt, damit vielen Menschen die Besichtigung des fahrbaren "Wunder des Meeres" möglich ist.
Viele Leute waren an Bord und bevor Fritz und seine Eltern alles gesehen hatten, war die reguläre Besuchszeit auch schon zu Ende. Alle machten sich auf den Weg von Bord zu gehen. Auch Fritzes Eltern. Nur Fritz selbst nicht.
Unbemerkt konnte er noch tiefer in das Schiff vordringen. Über ihm wurde es schon ruhiger. Er ging noch tiefer und noch tiefer, bis er nichts mehr von den vielen Menschen, die sich oben auf dem Deck bewegten, hörte. Seine Eltern hatten noch gar nicht bemerkt, daß ihr kleiner Fritz fehlte, so sehr waren sie beim "von-Bord-gehen" mit Unterhaltungen und dem Betrachten des Schiffes beschäftigt, .....
...... doch was geschah dann?
Einen Augenblick dachte Fritz noch angestrengt nach, seine Augen und sein Mund schlossen sich, er war sehr konzentriert, keine einzige Bewegung regte sich dabei in seinem Gesicht, dann erinnerte er sich ganz genau was dort unten in einer nur durch einen dunklen Gang zu erreichenden Kajüte geschah, so genau, daß er das Gefühl hatte, das gleiche noch einmal zu erleben! Doch hören wir von ihm selbst:
"Nach dem dunklen Gang in einer großen Kajüte angelangt, knipste ich das Licht an einem an der Wand befestigten Schalter an und schloß die Kajütentüre leise hinter mir zu. Während ich staunend die schönen alten Schiffssouveniers und das viele Gerümpel, was hier so umherlag, betrachtete, spürte ich plötzlich einen kalten Wind in meinem Nacken. Erschrocken drehte ich mich um und sah - Ihr glaubt es kaum - einen echten Schiffsgeist, nicht sehr groß, aber mit einem längeren Bart, der schon sehr ergraut aussah. Auch hatte dieser Schiffsgeist eine Schiffsmütze mit Totenkopf-Emblem auf dem Kopf und trug dazu eine schwarze Augenbinde (wie es früher sicher so manche Piraten um den Kopf hatten, welche auf See im Kampf mit anderen Seeleuten ihr Augenlicht verloren hatten), zudem hatte er ein Holzbein, ja im ganzen sah er auch weniger wie ein Schiffsgeist, als wie ein richtiger echter alter Piratenkapitän aus."
*
"Sag` dem Klabautermann "Guten Tag"!" forderte donnernd der Schiffsgeist mich auf, wobei er mich musternd von der Seite anschaute.
"Gu..uten Tag, Kla..a..bau..autermann...." stammelte ich ängstlich und ein wenig erstaunt. Und nach einer Weile gegenseitigen Betrachtens stieß der alte Klabautermann neugierig hervor: "Wer bist du und wie heißt du?" wobei er seinen Kopf weit zu mir vorbeugte.
"Ich bin Fri..itzchen!" gab ich ganz ängstlich und ganz leise zur Antwort und fuhr dabei erschrocken zurück.
"Fritzchen? Ho ho - Fritzchen, was ist das für ein Name?" fragte amüsiert der Klabautermann und stampfte mit seinem hölzernen Bein auf den ebenso hölzernen Boden der Passat herum.
"Ei..ei..eigentlich heiße ich ja Fritz, aber meine Eltern nennen mich oft Fri..i..itzchen, weil ich so klein bin. Wir machen hier in Travemünde Ur..Ur..Urlaub und besichtigen heute die Pa..a..ssat. U..u..nd we..er bi..ist du..u?" stammelte ich weiter.
"Ich bin der Klabautermann auf diesem Schiff. Verstehst du? Der Klabautermann!" so antwortete er mir recht barsch und dazu noch:
"Weißt du, jedes gute Schiff hat einen Klabautermann. Jedes gute Schiff!" und bei diesen Worten erhob er triumphierend seine rechte Faust in die Höhe, als wollte er dafür gefeiert werden.
Während ich versuchte unauffällig rückwärts zur Tür zu gelangen, fragte ich den Klabautermann verlegen: "Ist Klabautermann denn dein richtiger Name?".
"Nein! Nnnn... nein, Klabautermann nennt man eigentlich nur die gutmütigen Schiffsgeister, die durch lautes Klopfen auf ein Leck im Schiff aufmerksam machen, wo Wasser eindringen könnte oder durch ihr plötzliches Auftauchen und Verschwinden vor der Schiffsmannschaft den baldigen Untergang des Schiffes anzeigen. Ansonsten sind Klabautermänner lustige und immer zu Späßen aufgelegte Gesellen. Kobolde eben!" gab mir der Klabautermann zur Antwort und er grinste dabei so frech, daß ich seine teils schwarzen/teils vergoldeten Zähne sah, wobei aus einem unteren Seitenzahn im Licht ein kleiner Diamant schimmerte.
"Bedeutet denn dein Erscheinen nun, daß die Passat bald untergehen wird?" fragte ich ihn daraufhin noch immer ängstlich, aber diesmal ohne dabei nur im geringsten zu stottern.
"Aber nein, aber nein," beruhigte der Klabautermann mich sofort, "die Passat liegt zur Zeit in Travemünde sicher am Kai, allerdings wäre eine Fahrt im Sturmgebraus nicht ungefährlich. Aber das ist jetzt nicht so wichtig, da sie hier vor Anker bleibt. Viel wichtiger ist, daß du mich in meiner Feierabendruhe gestört hast. Das ist ein Frevel! Weißt du das nicht? Deshalb gehe jetzt wieder von Bord, damit ich meine Ruhe habe!" forderte er mich nun energisch auf und dazu noch: "...denn wenn die Touristen von Bord gehen, habe ich Feierabend, das solltest du wissen. Nur solange ihr Touristen überall neugierig eure Nase reinsteckt, so lange muß ich mich hier unten verstecken." und er fing unruhig mit seinem Holzbein zu staken an. "Weißt du, das ist nicht einfach, selbst in die hintersten Winkel des Schiffes schaut ihr Touristen mit euren großen Augen hinein. Vielleicht hofft ihr ja, ganz unsinnigerweise, noch einen kleinen Schatz zu finden oder irgendwelche wertvolle Andenken. So kommt es, daß ich mir immer wieder ein neues Versteck suchen muß, sogar zwischen Kisten und alten Säcken muß ich klettern, um mich zu verstecken und das ist alles sehr anstrengend. Oft muß ich diese umstellen, damit sie nicht umfallen, wie ich es oft früher auf See machen mußte, damit das Schiff keine Schräglage bekam und es nicht kenterte. Das war immer eine ganz schöne Plackerei und ist es für mich alten Knochen heute noch, ja heute um so mehr."
Und während er weiter erzählte, humpelte er wild und stöhnend in der Kajüte umher, wohl um Mitleid zu erwecken und um auf seine körperlichen Leiden aufmerksam zu machen. "Aber wenn die Touristen von Bord gehen," so erzählte er weiter "dann habe ich endlich meine Ruhe und kann wieder überall ungestört hingehen. Bis auf heute, bis auf eben, da hast du mich überrascht. Eigentlich dürftest du gar nicht hier sein!" beendete er nun ganz vorwurfsvoll seinen Satz.
Kleinlaut gab ich zu bedenken: "Aber ich wußte ja gar nicht, daß es hier einen Klabautermann an Bord gibt." und weiter fragte ich: "Wie heißt du denn nun wirklich? Oder hast du gar keinen Namen, mit dem man dich rufen kann?"
"Oh doch.... oh doch, ich habe einen Namen. Doch redet man beim Schiffskobold immer nur vom Klabautermann und so ruft man ihn auch. Mein richtiger Name aber ist Captain William Kidd. Merke dir diesen Namen! Captain William Kidd! Ich war einmal ein berühmt-berüchtigter Pirat, der die sieben Weltmeere unsicher machte. Mein Ruf erfüllte die ganze Welt mit Angst und Schrecken!"
Dies flößte mir nun wiederum mächtig Angst ein. Erschrocken fuhr ich zurück, schon in Begriff zu fliehen, doch das nette Lächeln und seine freundlichen Worte: "Hab` keine Angst kleiner Mann, ich tue dir ja nichts!" beruhigten mich schnell wieder.
"Erzähle mir noch mehr von dir!" verlangte ich daraufhin ganz leise und der Klabautermann tat es. Er erzählte mir, warum er ein Klabautermann wurde.
"Wie ich ein Klabautermann wurde, willst du also wissen, so so! Das ist aber eine üble Geschichte, die du dir da anhören willst. So übel, wie mein Ende als ehrenwerter Kapitän, Piratenjäger, Pirat und Bevollmächtigter des Königs von England, William III., für den ich bereits 1689 als Kaperkapitän gegen die Franzosen sehr erfolgreich gekämpft hatte und soviel Gold und Edelsteine nach England brachte, das ich von meinem kleinen Anteil selbst noch ein reicher Geschäftsmann wurde. Später als ich schon etwas älter war und erfolgreich als Geschäftsmann, mittlerweile lebte ich mit meiner Familie in New York, erinnerte sich seine Majestät wieder an mich und holte mich nach England zurück, damit ich fürs englische Vaterland Piratenschiffe aufbringen konnte, deren Beute ich nach England zurückzuholen hatte. Doch die Reise verlief anders als geplant. Vom Piratenjäger wurde ich unfreiwillig zum Piratenkapitän, ohne es selbst vorerst zu merken. Mein Ruf ging um die Welt, und ich war überall gefürchtet. Doch als ich es selbst bemerkte, war es schon zu spät. Nun wollte ich, ich war so dumm, zurück nach Hause, nach New York, zu meiner Frau und meinen Kindern und von dort nach England um die Sachlage klarzustellen, doch in England brauchte man mich als Opfer, zur Abschreckung für weitere Piraten. Man nahm mich also fest, warf mich in ein greuliches Gefängnis und dann kam das Ende mit dem Strick. Und es war der Beginn meines Lebens als Klabautermann. Und weißt du warum? Ich will es dir sagen: weil man mich dreimal gehängt hatte, verstehst du, dreimal!" und er stampfte bei diesen Worten so wütend mit seinem Holzbein auf dem Boden der Passat herum, daß die Schiffswände nur so bebten und die umherstehenden Kisten nur so wackelten.
Während ich mich von seinem Wutanfall beängstigt nun endgültig zurückziehen wollte, gab er mir dann doch zu verstehen, daß er sich wieder beruhigen wollte, indem er mir mit seinen Händen ein Zeichen gab, mich hinzusetzen.
"Verstehst du das, was ich dir gerade erzählt habe? Jeder Kapitän der dreimal gehenkt wird, wird als Klabautermann wieder zurück zu den Menschen kommen, aber diesmal als schützender Geist. Er beschützt die Seeleute sowie das Schiff und sein Gut bei Gefahr und bewahrt es solange vor Leid, wie die Mehrheit der Mannschaft an das Gute im Menschen und an die Liebe glaubt. Überwiegt einmal das Schlechte bei der Crew, sind also mehr als die Hälfte der Matrosen üble Schurken, so wird es bald so sein, daß der Klabautermann das Schiff verläßt, welches somit den Naturgewalten ungeschützt ausgeliefert ist, worauf es meistens schon bald kentert und in die Tiefen des ewigen Ozeans untergeht und für alle Zeiten mit Mann und Maus auf dem Meeresboden versinkt." gab er, selbst ein wenig beeindruckt von seinen eigenen Worten, mir zu verstehen. "Doch fangen wir mal ganz von vorne an! Ich erzähle dir ein paar wahre Begebenheiten, die ich auf meiner langen Reise erlebt habe." schlug er mir nun vor und er machte mich damit ganz neugierig.
"Ja, erzähle nur!" forderte ich ihn auf, mit einer guten Portion Ungeduld und ich vergaß vollkommen meine Eltern, die mein Verschwinden oben auf dem Deck inzwischen sicher bemerkt haben müssen und mich wohl bereits ängstlich auf dem ganzen Schiff suchen. Doch bevor ich überhaupt hierzu einen klaren Gedanken hätte fassen können, erzählte der Klabautermann bereits weiter.
"Da war ich nun schon ein erfolgreicher Geschäftsmann und hatte mich in New York niedergelassen. Meine schöne Frau Sarah Oort schenkte mir zwei Kinder, ich liebte alle sehr. Inzwischen ging ich auf die 50 zu, war also schon nicht mehr der Jüngste, aber noch sehr tatkräftig. Wie es sich für einen tüchtigen und angesehenen Geschäftsmann gehörte, hielt man sich zeitweise auch in den gehobenen und adligen Kreisen des englischen Establishment auf, deren Gunsten man sich zu sichern versuchte, denn diese Gentlemans hatten oft viel Macht und konnten einen im harten Konkurrenzkampf vor üblen Mitkonkurrenten schützen. Wer aber in deren Ungnade fiel, hatte bald nichts mehr zu lachen und in nicht weniger seltenen Fällen, bald auch kein Geschäft mehr. So war ich auch hin und wieder Gast in dieser ehrenwerten Gesellschaft, dann und wann auch bei Mister Benjamin Fletcher, dem damaligen Gouverneur von New York und später beim neuen Gouverneur von New York (der zugleich auch Gouverneur von New England war), dem edlen Herrn Earl of Bellamont, welcher schließlich mein übles Schicksal besiegelte.
Zweifellos war er ein kluger Mann, ansonsten wäre er nicht in die Position eines Gouverneurs gekommen und hätte nicht den bisherigen Gouverneur und Piratenfreund Benjamin Fletscher abgelöst, aber genauso zweifellos gehörte zu seinem Beruf auch eine schlitzohrige Ausgekochtheit und ein eiskalter Umgang mit seinen Mitstreitern und Gegnern, denen er zweifelsfrei haushoch überlegen war, konnte er doch Macht und Geld wohlwollend für sich vereinigen und anderen gegenüber ausspielen.
Die Gier nach Macht und Reichtum war bei ihm und anderen seines Standes stets so groß, daß man sie ständig neu sättigen mußte. Da sich Geld meist schneller ausgeben ließ, als man es einnehmen konnte, mußten sie sich recht bald neue Wege einfallen lassen, um an solches heranzukommen. Den Weg dazu sollte ich ihnen bereiten und sie hatten sich schon einen Plan ausgedacht. Das üble Piratentum kam ihnen dabei zu Hilfe.
Die Seeräuberei auf den Weltmeeren hatte nämlich in den letzten Jahren zugenommen und nahmen ein Maß an, das den überseeischen Handel bald völlig zum erliegen brachte. Zu viele Handelsschiffe wurden überfallen und ausgeraubt, so daß einige Handelsgesellschaften sogar in den Konkurs gehen mußten. Nichts edleres sollte es daher für einen ehrenwerten Bürger geben, seinem Vaterland und dem König treu dienen und den Piraten ihr erbeutetes Gut wieder abnehmen zu dürfen, ja diese Seeräuber selbst zu jagen und sie aus ihrem Element, dem Wasser, zu vertreiben.
Wer konnte zu dieser Zeit auch besser dafür ausgezeichnet und geeignet sein als ich, Captain William Kidd, dessen früherer Ruhm seiner erfolgreicher Taten als Kaperkapitän im Dienste der vaterländischen Flotte noch nicht verklungen war.
Die Freunde des Königs, insbesondere Earl of Bellamont, sprachen also bei mir vor und wollten mich für dieses Projekt gewinnen. Ich aber dachte erst gar nicht daran, wieder als Kaperkapitän zur See zu gehen und sagte ihnen ins Gesicht, sie sollten sich lieber einen anderen Piratenjäger für dieses Vorhaben suchen. Doch sie hatten sich an mir festgebissen und ließen nicht mehr los. Der Druck auf mich wurde verstärkt. Wenn ich mich nicht beugen würde, würde ich als Vaterlandsverräter gebrandmarkt werden und man mich aller meiner Rechte in dieser Gesellschaft entheben. Man würde mich zudem enteignen und aus New York vertreiben.
So blieb mir also nichts anderes übrig als das zu tun, was die hohen Herren von mir verlangten. Den König überredeten sie, mir einen Kaperbrief auszustellen und mir ein starkes Schiff zu geben, wobei sich königliche Hoheit natürlich selbst dann auch erhoffte, einen guten Teil der erbeuteten Reichtümer (aus dem zusammengestohlenen Vermögen der Piraten) für die eigene Schatzschatulle zu erhalten.
Die Herren Sir John Somers, der amtliche Bewahrer des Großsiegels und spätere Lordkanzler, der Herzog von Shrewsbury, ein Minister unter König Williams III. Gnaden, Graf Romney, der bevorzugte Generalfeldzeugmeister des Königs, dazu Sir Edward Russel, der Erste Lord der Admiralität und damit englischer Großfeldmarschall über alle sieben Weltmeere, finanzierten einen großen Teil dieses Unternehmens mit und wollten dafür mit 60 Prozent Anteil an der Beute beteiligt sein.
Für alle sollte es also ein großes Geschäft werden und alle sahen schon vor ihren Augen die Reichtümer, die ich ihnen von meiner Kaperfahrt mitbrachte:
Edelsteine und Halbedelsteine, Diamante und Rubine, Gold und Silber, edle Gewürze sowie allerfeinste Stoffe.
Ja, und diese Schätze brachte ich dann auch diesen hohen Herren von meiner gefahrvollen Kaperreise mit, doch man dankte es mir nicht mit Gold - sondern mit dem Strick! Mit dem Strick - verstehst du! Eine feige hinterlistige Bande, waren meine Auftraggeber. Mit dem Strick eines Galgens ließen sie mich Beiseite schaffen, diese hundsgemeinen Kerle!
Doch zuvor, noch vor meiner geplanten Rückkehr in den Hafen von New York, wo ich allerdings niemals mehr hinkommen sollte, hatte ich auf der kleinen Insel Gardiner`s Island alle wertvollen Schätze vergraben.
Im Juli 1699 machte ich dann einen verhängnisvollen Fehler, ich versuchte, noch bevor ich nach New York zurückging, in Boston bei den zuständigen Herren meine Reputation zurück zu erlangen, damit ich als freier Mensch zusammen mit meiner Familie in New York wieder als angesehener Geschäftsmann leben konnte. Beim Besuch im Hause des Gouverneurs von New York und New England, bei seiner Exzellenz, dem edlen Herrn Earl of Bellamont, wurde ich jedoch hinterlistigerweise verhaftet. Nach der Verhaftung brachte man mich, an Händen und Füßen gekettet, in das berüchtigte Stone-Gefängnis, wo ich viele Monate lang bleiben mußte, bevor man mich nach London überführte und ich dort in den Kerker von Newgate geworfen wurde, dem schon zu dieser Zeit 500 Jahre alten Gefängnis dieser Stadt (inzwischen hatte man auch alle meine Schätze auf Gardiner`s Island gefunden und sie der Regierung und dem König überstellt).
Nachdem ich dort über ein Jahr verbrachte, in diesem verdammten verfallenen heruntergekommenen feuchten muffigen Loch, deren zahlreichen Gäste in Gestalt von Ratten, Wanzen und Käfer sich hier lausig wohlfühlten, im Gegensatz zu mir, fristete ich dort mein Leben so gut ich konnte, bis eines nachmittags im Mai die Zellentüre aufging und ich in einer offenen Kutsche zur Hinrichtungsstätte durch die Straßen Londons gefahren wurde, wo ein Galgen auf mich wartete.
Der Straßenrand war mit Pöbel gesäumt; mit Säufern, Dirnen, Hafenarbeitern und Verbrechern aller Sorten. Eine üble stinkende Menschenmenge die sich da an mein schweres Los erfreuen wollte zog los, um mich baumeln zu sehen. Sie begleiteten mich den ganzen langen Weg bis zum Schafott mit Schimpfwörtern. Aber außer Schimpfwörter mußte ich auch noch eine Menge Lieder ertragen. An eines erinnere ich mich besonders ungern. Es war das letzte was ich hörte, bevor ich zum zweitenmal hängen mußte und das erste, nach meinem dritten Hänger, als ich nun zu einem Klabautermann wurde. Ich werde es Dir mal vorsingen!" da drehte der Klabautermann sich dreimal um seine eigene Achse ganz schnell um
- wusch-wusch-wusch -
und hielt, als er wieder vor mir stand, eine Gitarre in der Hand und sein voll Hohn klingendes Totenlied begann.
Im Hintergrund hörte ich dabei eine pöbelnde Menschenmenge, als ob ich selbst in den Straßen von London zugegen wäre. Und auf der hinteren Bordwand in der Kajüte, zeichnete sich die Silhouette eines Galgens ab (wie er das nun machte, war mir vollkommen unklar, aber so ein Schiffsgeist kann wohl auch ein bißchen zaubern).
Captain William Kidd
Vorsänger:
"Oh - Captain William Kidd,
was für ein Driß,
das Seil hatte Spliß
und riß."
Chor des pöbelnden Volkes:
"Vorbei.... vorbei, ist es jetzt mit der Seeräuberei!"
Vorsänger:
"Oh - Captain William Kidd,
so schlugst du nun auf
und kamst doch wieder rauf,
so nahm das Schicksal seinen Lauf."
Chor des pöbelnden Volkes:
"Vorbei.... vorbei, ist es jetzt mit der Seeräuberei!"
Vorsänger:
"Oh - Captain William Kidd,
nun baumelst du
so ab und zu,
mal von Lee und mal von Luv."
Chor des pöbelnden Volkes:
"Vorbei.... vorbei, ist es jetzt mit der Seeräuberei!"
Vorsänger:
"Oh - Captain William Kidd,
man von dir jetzt in 100 Jahren noch spricht,
wenn einem mal der Hafer sticht
und vom dümmsten Piratenkapitän er spricht."
Chor des pöbelnden Volkes:
"Vorbei.... vorbei, ist es jetzt mit der Seeräuberei!"
Vorsänger:
"Oh - Captain William Kidd,
so`n Schiet, so`n Schiet,
das passiert,
wenn man nicht rechtzeitig flieht."
Chor des pöbelnden Volkes:
" Vorbei.... vorbei, ist es jetzt mit der Seeräuberei!"
Nachdem der Klabautermann dieses makabre Lied mir vorgesungen hatte, war es eine Weile totenstill in der Kajüte. Der Galgen im Hintergrund verschwand so schnell wie er gekommen war und auch die Geräuschkulisse des Londoner Straßenpöbels war nicht mehr zu hören. In diesem Moment hörte man überhaupt nichts. Dann aber faßte Captain William Kidd sich ein Herz und er begann wieder zu erzählen.
"Nun, das war damals so. Am Hinrichtungsplatz angekommen schubste und zerrte man mich auf ein Schafott, wo ich nun gar nicht hinwollte, und band mir einen kräftigen Strick um den Hals. Dann, ich stand oben auf einer Leiter, wurde diese mir unter meinen Füßen weggezogen, so daß der Strick sich um meinen Hals zusammenzog, also mich würgte, und mir damit die Luft raubte. Doch der Strick war nicht kräftig genug, mein schweres Gewicht zu halten und so zerriß er und ich sauste nach unten hinab auf den Boden. Nachdem sich die Überraschung beim Henker und bei den Zuschauern, die jetzt wieder ein Liedchen anstimmten, gelegt hatte, wurde ich abermals auf die Leiter gezerrt und wieder mußte ich baumeln. Doch diesmal hielt das Seil. Ich hing dort oben solange, bis jedes Leben aus mir wich. Anschließend holte man mich dort herunter, vollkommen leblos, und nachdem man mich mit Teer bestrichen hatte - diese Prozedur dauerte ein paar Tage und war sehr unangenehm, wenn man auch solche Empfindungen von einem Leichnam nicht erwartete, doch war ich ja kein gewöhnlicher Toter -, wurde ich in ein enges eisernes Gerüst gepackt, ja eingequetscht, und man hängte mich darin an der Themse an einem Galgen zum drittenmal auf, wo ich jahrelang hängen blieb und jeder der die Themse rauf oder runter fuhr, konnte mich dort oben sehen. So war das damals. Doch ohne das es jemand bemerkt hatte, entwich aus der baumelnden Gestalt ein Kobold, dessen Aufgabe es nun war Gutes auf den Schiffen zu tun. Und das war ich - der Klabautermann!
Ja der Klabautermann bin ich kleiner Fritz und nun kennst du meine ganze Lebensgeschichte." beendete er seine zusammenfassende Erzählung über sein aufregendes Leben und sein abruptes grausiges Ende.
"Das war ja ein schlimmes Ende deines Lebens; das war aber nicht gerecht, was dir da zum Schluß widerfahren ist." bedauerte ich den Klabautermann und ich erhob mich von meinem Sitz.
"Ja, recht hast du, ein schlimmes Ende!" gab er krächzend zurück und stieß mit voller Wucht sein Holzbein gegen eine Seemannskiste, so daß diese mit lautem Krachen umfiel. "Aber was geschehen ist, ist geschehen, das kann man nicht mehr rückgängig machen. Bevor es aber zu diesem widerlichen Verbrechen an mir kam, welches mein Leben beendete, mußte ich erst einmal ein paar Abenteuer auf den Ozeanen dieser Welt überstehen. Aber nun setze dich mal wieder ganz ruhig hin, ich erzähle dir, wenn du möchtest und still bist, von meinem ersten Abenteuer auf See, der Kampf mit einem Meeresungeheuer, welches unser Schiff in die Tiefe des Ozeans hinabziehen wollte. Und nur der Mut eines Matrosen verhinderte es, das es dazu kam."
"O ja, das möchte ich hören. Ich bleibe auch ganz ruhig sitzen, wenn du mir diese Geschichte erzählst." und Captain William Kidd fing sofort zu erzählen an.
"Am 1. März 1696 zogen wir mit meinem neuen Schiff, der Adventure Galley, aus London los nach New York. Nach einigen Ärgereien mit der verfluchten Royal Navy, die wir nicht grüßen wollten (obwohl es zu damaliger Zeit so üblich war), welche daraufhin einen großen Teil meiner ausgesuchten Crew preßten, das heißt: entführten, mußte ich mit schlecht ausgebildeten, rohen und heruntergekommenen Seeleuten, welche mir im Austausch mit meiner Crew gnädigerweise von der Navy überlassen wurden, meine Jagd auf die Piraten beginnen.
Das große moderne Schiff, welches mit 34 Geschützen bestückt war und ich jetzt zur Piratenjagd führte, mußte seine erste Feuertaufe im Atlantischen Ozean, bei einem Sturm, bestehen. Wir kamen in diesem Sturm jedoch vom Kurs ab. Als es windstiller wurde, segelten wir an einer kleinen Insel mit einem hohen Berg vorbei, welcher direkt bis zum Wasser reichte und keinen Platz für einen Strand bot. Diese Felseninsel war in keine Seekarte eingezeichnet, so das wir auch nicht wußten, wo wir uns auf dem Atlantischen Ozean befanden. Als wir diesem Berg, der hauptsächlich aus schroffem Stein bestand und wenig Gelegenheit für Vegetation bot, direkt gegenüber waren, kam aus der Wand des Berges ein Gesicht heraus, dann waren es zwei Gesichter, dann drei, vier und zum Schluß waren es gar sieben Gesichter, die, nicht Fleisch, nicht Blut, so eigenartig flackernd - wie geisterhafte Wesen - aus dem Berg zu uns herüberschauten. Sie tauchten in die Felswand ein und kamen wieder hervor und alle mahnten sie:
"Fahrt zurück! Nehmt nicht diesen Weg, der zum Meeresungeheuer geht! Rafft die Segel und macht kehrt, ist euer Leben euch noch was wert! Seid nicht dumm und drehet sofort auf der Stelle um!".
Und als alle sieben Berggesichter diese Warnung ausgesprochen hatten, verschwanden sie wieder in den Berg hinein und dieser seltsame Spuk war damit vorbei. Doch eher überrascht über das vorhergehende als gemahnt, fuhren wir weiter und zwar vorwärts statt zurück und das so schnell es ging, wollten wir doch von diesem ungeheuerlichen Ort nur schnell fort. So fuhren wir geradewegs auf das Meeresungeheuer zu."
"Das ist aber spannend, was du da erzählst." gab ich ihm dazwischen Bescheid.
"Ja schon, aber bleibe ruhig, es geht ja gleich weiter." mahnte er mich zur Ruhe, denn er mußte sich sehr konzentrieren, um seine abenteuerliche Geschichte weiter erzählen zu können.
"Die See wurde unruhig und der Himmel verdunkelte sich, als wenn es Nacht werden würde. Grelle Blitze zuckten aus den mächtigen Wolkentürmen zum Meer hinab und ließen stark grollende und knallende Donner folgen. Heftiger Regen setzte ein, mit Regentropfen die so groß wie Pflaumen waren. Langsam fing die See zu schäumen an, die Winde wurden stärker und stärker, bis der Orkan gänzlich aus voller Kraft tobte und unser Schiff auf dem Wasser hin und her warf. Die Wogen zichten über das Deck hinweg und brachen sich an den Masten. Der Gangspill drehte sich - von der Kraft des Wassers angetrieben - eine ganze Runde um sich selbst, als ein Kaventsmann darauf krachte und es mit seinem Naß umhüllte. Schäumend zog sich, als das Schiff sich auf einem Wellenberg in der Höhe befand, das Wasser zurück vom Deck ins Meer hinab, um anschließend im folgenden Wellental wieder mit voller Wucht aufs Deck und seiner daraufstehenden Mannschaft zu prallen. Das Schiff war nun vollkommen in Gischt gehüllt und der Wind, der in den Masten und in seiner Takelage ein heftiges Rasseln, Heulen und Pfeifen hervorrief, zerfetzte nacheinander alle Segel und es schien, als sei unser Schiff bald dem Untergang geweiht. Da erhob sich plötzlich - zu unserem allgemeinen Schrecken und Schaudern - mit einem Gurgeln und einem Zischen, sowie mit einem unbeschreiblichen, ja unsagbar nervenzerreibenden Stöhnen, aus dem Meer auch noch ein riesiges Ungeheuer mit großen Augen und vielen langen mächtigen Armen, an denen sich unzählige Saugknöpfe befanden, so ähnlich wie bei einer Krake, doch war dieses Geschöpf noch wesentlich größer als ein solches Tier, ja so groß, daß es fast unser gesamtes Schiff umfassen und in die Tiefe des Ozeans ziehen konnte.
Sogleich legte das Ungeheuer auch seine riesigen Arme an das Schiff an, saugte es mit seinen Saugknöpfen fest und begann es so heftig zu rütteln und zu schütteln, daß wir schwerlich Mühe hatten, auf unseren Beinen zu bleiben. Wir schossen mit Pistolen und Kanonen auf dieses Vieh und es ließ daraufhin sogar einen Augenblick los, doch dann schien es uns, als hätten wir es mit unserer Attacke nur noch wütender gemacht, denn nun legte es noch mehr ihrer Arme an unser Schiff an und versuchte uns langsam in die Tiefe des Meeres zu ziehen. Jedermann von uns nahm sich daraufhin einen Enterhaken oder ein Schwert oder statt dessen, falls er es fand, auch eine Axt oder ein Beil und schlug damit auf die vielen Arme dieses Ungeheuers ein, damit es das Schiff losließe. Doch viel konnten wir nicht ausrichten, da kletterte ein Matrose den Besanmast hinauf und sprang von dort oben hinab in die Tiefe, genau auf den Kopf des Ungeheuers, um sogleich mit seinem Schwert in die Augen dieses Ungetüms einzustechen.
Was für einen Mut hatte dieser Matrose, wollte er sich doch alleine opfern, um die Mannschaft und ihr Schiff zu retten. Und er hatte Erfolg. Das riesige Meeresungeheuer ließ bald daraufhin das Schiff los und verschwand in die Fluten hinab, mit dem Matrosen auf dem Kopf, welcher nun wohl ertrinken mußte. Eine Weile warteten wir noch, was nun geschehen würde, wobei die Wellen weiterhin hoch über die Reling schossen und das Schiff im Wellengang sich mal zu Luv und mal zu Lee neigte. Ein weiterer Kaventsmann fegte über das Deck hinweg und zog einige Taue und ein großes Segel mit sich in die Tiefe.
Dann plötzlich, nach nur kurzer Zeit, tauchte der Matrose aus dem Ozean wieder auf. Ein starker Mann aus unserer Crew, zudem ein guter Schwimmer, band sich ein Seil um seinen Bauch und sprang ins Wasser hinein, um den mutigen Matrosen aus dem tobenden Meer zu holen. Er schwamm zu ihm hin, erfaßte ihn und wir zogen alle fest an dem Seil, um beide aus dem Ozean hinauf aufs rettende Deck unseres Schiffes zu ziehen. Zu unserem Erstaunen lebte der Matrose noch und nachdem er keuchend ein wenig verschlucktes Wasser wieder ausgespuckt hatte, erzählte er uns, was dort unten geschah. Doch wir hatten nicht viel Zeit ihm zuzuhören, mußten wir doch sehen, daß wir von diesem unheilvollen Ort wegkamen (wir sahen auch nicht das goldene Haar, welches er seltsamerweise in seiner Hand hielt), und so wendeten wir das Schiff und fuhren so schnell uns der orkanartige Wind in die restlichen Segel blies, weit von diesem Ort fort, wo es windstiller war - ja man kann sagen, daß dort fast kein Hauch von Lüftchen wehte - und es war der Ort, wo wir uns von diesem gefährlichen Abenteuer erst einmal erholen konnten." beendete nun der Klabautermann seine packende Erzählung über sein erstes gefährliches Abenteuer auf See.
"Wow, das war aber wirklich ein gefahrvolles Abenteuer, was ihr da bestehen mußtet," gab ich, noch ganz von der Spannung berührt, dem Klabautermann zu verstehen "doch was geschah eigentlich dort unten im Wasser mit dem Matrosen, in den Klauen des Meeresungeheuers?".
"Hm, so genau wußte das nachher keiner mehr, was der Matrose uns erzählt hatte, alle waren wir viel zu aufgeregt von den Geschehnissen und zu laut war das Getöse des Windes und des Wassers, um dem Seemann genau zuhören zu können. Später hat er nie wieder etwas von seinem Erlebnis erzählt. Aber es gibt noch immer eine Sage in Gedichtform, die will ich dir nicht vorenthalten." da drehte der Klabautermann sich dreimal ganz schnell um seine eigene Achse um
- wusch-wusch-wusch -
und der Innenraum der Kajüte verdunkelte sich und im Hintergrund hörte ich orkanartige Winde und das tobende Wasser wie bei einem Sturm, auch hatte ich das Gefühl, daß das Schiff zu schaukeln begann, dann sagte Captain William Kidd mit unheilvoll geschwängerter Stimme sein ungeheuerliches Gedicht auf:
Das Meeresungeheuer
Das Meeresungeheuer zog einen Matrosen tief
hinab auf des Ozeans Grund,
genau dorthin wo die Königin Meerjungfrau schlief,
zuvor saugte er ihn aber noch kurz ein in seinen Schlund.
Mit seine Armen umfaßte er hernach ihn
und gab ihn lange Zeit nicht wieder los,
dabei grinste dieses Ungeheuer fürchterlich
und legte ihn anschließend tot auf der Meerjungfrau Schoß.
Da wurde die Meerjungfrau wach
und erschrak über das was sie da sah
doch sie dachte nur kurz eine Weile nach
und erweckte ihn gleich wieder - mit ihrem goldenen Haar.
Das Meeresungeheuer zog sich zurück,
denn die Meerjungfrau war die Königin im Revier,
das Ungeheuer suchte woanders nun neues Unglück,
es war weit und breit das größte und böseste Tier.
So kam der Matrose von der Tiefe wieder rauf,
in der Hand hielt er ein goldenes Haar,
sein Schiff nahm ihn wieder auf
und er erzählte allen, was da unten geschah.
"Im Meer, im Meer, da lebt ein böses Tier,
doch ist dort auch ein Meerjungfräulein,
ihr Haar ist so Golden wie dieses hier
und ihr Herz wie Kristall so rein."
Nach dem Vortrag des Gedichts verschwand das Meeresgetöse und das Sturmgebrause im Hintergrund wieder, zugleich erhellte sich auch das Licht in der Kajüte wieder.
"Ganz hübsches Gedicht, was du da vorgetragen hast," lobte ich ihn "doch wie ging dann deine Reise weiter?"
"Oh ganz einfach, wir flickten unsere Segel und reparierten die beschädigte Takelage und fuhren weiter nach New York, ohne jedoch wieder an die Insel mit dem Berg und seinen seltsamen sieben Berggesichtern vorbeizukommen. In New York blieben wir bis im darauffolgenden September, ließen in dieser Zeit unser Schiff mit Proviant und Munition neu beladen und machten uns dann erwartungsvoll auf den Weg zur Pirateninsel Madagaskar.
Wir kamen auf dieser Strecke am Kap der Guten Hoffnung vorbei, welches an der Spitze von Südafrika liegt, segelten anschließend in die Bucht von St. Augustine und weiter bis zum Komoren-Archipel, wo wir auf der Insel Mehila unser Schiff kielholten.
Weißt du, was kielholen heißt?" fragte er mich überraschend und ich war so verblüfft über diese Frage, daß ich mit einem, wie aus der Pistole geschossenen "Nein!" antwortete.
"Na dann will ich es dir kurz erklären. Das Schiff wird in seichtes Wasser an einem Strand gezogen und dann auf die Seite gelegt, einmal auf die Backbordseite und dann auf die Steuerbordseite. Der Rumpf des Schiffes wird auf beiden Seiten von Muscheln und Seetang befreit, dann wird Pech und Hanf aufgetragen, um das Schiffsrumpf zu versiegeln. Man nennt diesen Vorgang auch Kalfatern. Vor allem sollte das Kalfatern den Holzbohrwurm fernhalten, der sich leicht vom Wasser her in den Rumpf des Schiffes fraß und es derart durchlöchern konnte, daß die Gefahr des Sinkens für das Schiff bestand. "
"Das war sicher eine schwierige Arbeit?"
"Ja sicher, das war es. Vor allem dann, wenn die Mannschaft geschwächt von Hunger und Krankheit war, wie es bei meiner Mannschaft der Fall gewesen ist. In der einen Woche, wo wir auf der Insel Mehila waren, verstarben alleine 50 meiner Leute an irgendwelchen Krankheiten."
"So viele Menschen, das ist ja grauenvoll! Hattet ihr denn keinen Arzt an Bord?"
"Doch! Unser Arzt war der Zimmermann, der konnte besonders gut mit der Säge umgehen. Zum amputieren von Beinen und Armen war er ausgezeichnet geeignet. Zu mehr aber auch nicht. Ärzte, wie es sie heute gibt, gab es damals noch nicht."
"Das muß ja eine grausame Zeit gewesen sein?"
"Na ja, na ja, manchmal schon," da legte er eine kurze Gedankenpause ein, bevor er weiter zu erzählen begann, und in seinem Gesichtsausdruck machten sich kritische Gedankenfalten breit, "... jedenfalls fuhren wir dann weiter bis zum Roten Meer, bis kurz vor die Stadt Mokka. Dort wollten wir, es war immerhin schon mehr als ein Jahr seit unserer Abreise aus New York vergangen, unser erstes Schiff kapern, was aber gehörig mißlang, da ein Schiff, welches den Namen Sceptre trug, mit ihren 36 Geschützen uns gehörig unter Feuer nahm und wir segelten daraufhin davon und zwar so schnell und so weit es ging. Bis an die Küste von Indien flohen wir, soweit waren wir inzwischen gekommen, wo wir dann, nachdem wir uns von unserem ersten Schrecken erholt hatten, sogleich unseren zweiten Versuch starteten ein Schiff zu kapern und es sollte uns diesmal gelingen. Wir enterten in den indischen Gewässern vor der Malabar-Küste eine maurische Bark, welche Ballen mit Pfeffer und Säcke mit Kaffee geladen hatte und nahmen zwei höhere Besatzungsmitglieder dieses Schiffes gefangen, für die wir gute Verwendung an Bord hatten. Die maurische Bark nahmen wir erst einmal als Prise mit. Da uns unsere erste Kaperung, wenn auch verspätet, doch diesmal erfolgreich gelang, versuchten wir es bei einem anderen Schiff gleich ein weiteres Mal. Wir plünderten also das nächste Handelsschiff, das unseren Weg kreuzte, aus, um an weitere Schätze zu gelangen sowie uns wieder mit Proviant zu versorgen. Doch war das ganze ja Piraterie und genau das Gegenteil von dem, was wir eigentlich hier im Indischen Ozean vorhatten. Wir wollten ja eigentlich diejenigen, die Piraterie betrieben, jagen und ihnen ihre Beute abnehmen, so waren wir aber jetzt selber Piraten geworden und überfielen wehrlose Handelsschiffe statt sie zu schützen.
Allerdings, zu unserer Entschuldigung, waren wir auch in einer Zwangslage, da unsere Vorräte an Bord ausgegangen waren und wir nicht verhungern wollten. So kaperten wir in dieser Zeit noch mehrere Schiffe und hatten dabei nicht wenige Gefahren zu bestehen. Von einer will ich dir, kleiner Fritz, gleich erzählen."
"Oh ja, tue das. Ich höre dir weiterhin ganz still zu." gab ich Captain William Kidd begeistert zur Antwort und rührte mich nicht weiter, um ihn ungestört erzählen zu lassen, saß ich doch bereits schon eine Weile ganz ruhig auf einer alten Holzkiste und hörte dem Piratenkapitän aufmerksam zu, so auch, als er mir nun sein nächstes gefährliches Abenteuer ausführlich erzählte.
"Wir hatten uns wieder ein Handelsschiff ausgesucht, welches wir überfallen und ausplündern wollten, das auf unserem Augenschein hin, das heißt auf eine Entfernung von circa drei Seemeilen, uns als eine einfache Beute erschien, da wurden wir, als wir uns mit Piratengeschrei dem Schiff bis auf 200 Meter näherten, von mehrfachen Donner überrascht. Es folgte ein Zischen und ein Rumsen auf unserem Deck.
Diesmal waren wir an ein schwer bewaffnetes Handelsschiff gekommen, welche ihre Geschütze gut getarnt vor Angreifern verborgen hatte und welches selbst eine kampferprobte Crew an Bord beherbergte. Zu unserem Leidwesen.
Wir schossen daraufhin, als wir nahe genug herangekommen waren, erst einmal eine Breitseite zurück. Helle Blitze und Rauch umgaben unsere mächtigen Schiffskanonen. Unter lautem "Hurra!"-Rufen meiner Piratenmannschaft, vernahmen wir genüßlich den Einschlag unserer schweren Kanonenkugeln auf dem gegenüberliegenden Schiff. Diese erste Salve richtete dort bereits großen Schaden an. Eine Kugel zerbarst deren Fockmast, so daß dieser mit lautem Krachen und Getöse ins Meer fiel. Daraufhin entbrannte auf beiden Seiten eine wilde Schießerei, die kein Schiff unversehrt ließ und auch so manchen Seemann dahinraffte. Doch wir waren gewillt das gegnerische Schiff zu nehmen, es mitsamt deren Mannschaft in unsere Gewalt zu bringen und in Gewahrsam zu halten und so rief ich: "Alle Mann an die Waffen! Entert das Schiff! Hinüber aufs feindliche Deck!" Ein lautes "Hurra!" ertönte wieder von der Mannschaft sowie unverständliches und wildes Jubelgeschrei. Ein halbblinder Seemann aus unserer Mannschaft trommelte dazu heftig auf einer großen Pauke, um unseren Angriff akustisch zu unterstützen und um den gegenüberliegenden Feind damit Furcht einzuflößen.
Während sich meine Crew auf der Backbordseite klar zum entern machte, rief ich: "Werft das Enterseil und zieht das Schiff ran!" Und so geschah es auch. Kaum war das gegnerische Schiff herangezogen, stürmten auch schon die ersten meiner Piraten auf das gegenüberliegende Schiff los, kletterten aufs Poop- und aufs Achterdeck hinauf, selbst noch auf die Rahen, soweit sie nicht abgehalten wurden, und stachen auf jeden ein, der sich ihnen näherte. Ein heftiger Kampf entbrannte, bei dem niemand verschont blieb. Es wurde mit dem Enterbeil geschlagen, aus Pistolen und Musketen geschossen, als auch mit Säbeln oder mit dem Degen gekämpft.
Zwei Leute gaben sich direkt vor meinen Augen ein schweres Fechtduell, wobei jedoch der Seeräuber, einer meiner Besten, unterlag. Er war bislang der erfahrenste und mutigste Kämpfer unserer eingeschworenen Gemeinschaft gewesen. Ein Degenschlag hatte ihm die Hand vom Arm abgetrennt, in der er sein Entermesser hielt und so war es seinem Gegner ein leichtes, ihm den Todesstoß zu geben." und bevor der Klabautermann weiter erzählen konnte, sagte ich ihm dazwischen ganz erschüttert:
"O Gott, wart ihr aber alle grausige Leute. Zu dieser Zeit möchte ich dir und deiner Mannschaft aber nicht begegnet sein!".
"Ja, ja, früher war das Leben eben härter und halt auch grausiger. Aber als Klabautermann habe ich dafür zum Ausgleich auch wiederum viele Schiffe mit ihren Mannschaften gerettet und somit viel Gutes getan, auch wenn damit all das Schlechte, was ich in meinem vorherigen Leben gemacht habe, dadurch im Nachhinein nicht besser geworden ist. Doch warte ab, die Geschichte geht ja noch weiter!" und bevor er weiter zu erzählen begann, nahm er sich erst einmal einen kräftigen Schluck Rum aus einer Buddel, die hinter ihm stand, wohl um sich für den Rest der Geschichte etwas Mut anzutrinken.
"Die abgeschlagene Hand des Piraten fiel die geöffnete Ladeluke des Handelsschiffes hinunter. Dort blieb sie aber nicht liegen, sondern bewegte sich ganz schnell hinter eine Kiste, wohl um sich zu verstecken. Es schien, als wäre das Leben und der Geist des Piraten in dieser Hand geblieben. Vom Laderaum aus krabbelte die Hand ungesehen durch die untersten Gänge, bis in die Kapitänskajüte. Dort saß in einem Stuhl der Kapitän des Handelsschiffes und blickte zum Fenster aufs Meer hinaus, als würde ihm der ganze Kampf an Deck nichts angehen. Dies war schon mehr als unüblich. Hatte er denn soviel Vertrauen in seine Mannschaft, das er es nicht für nötig hielt, auf seinem Posten zu sein?
Dann hörte die Hand (sofern sie überhaupt hören konnte) die Stimme des Kapitäns sagen: "James, sind sie wieder da? Dann massieren sie mir den Nacken weiter! .... Wie steht es mit dem Gefecht da draußen? ..... James, warum antworten sie nicht?"
Doch bevor er sich umdrehen konnte, um nach James zu sehen, krabbelte die Hand ganz schnell die Rückseite des Stuhles hoch und begann den Nacken des Kapitäns zu massieren. "Aaaah.... James, sie sind ja doch da, warum sagen sie denn nichts? Hat ihnen die Schlacht da oben auf dem Deck etwa die Sprache verschlagen?"
Und während die Hand den Nacken des Kapitäns nun immer heftiger und heftiger massierte, gab der Kapitän den Befehl: "Nicht so feste James! Wollen sie mich denn umbringen?"
Doch die Hand ließ nicht vom Kapitän ab, der nun erbost aufsprang und sich zu James wenden wollte. Doch es war kein James da. Er, der Kapitän, stand ganz mutterseelen alleine im Raum. Immer noch bearbeitete die Hand den Nacken des Kapitäns. Der griff nun reflexartig hinter seinen Kopf und bekam die Hand zu fassen. Während er seinen Arm wieder nach vorne holte, sah er nun, was er da festhielt: eine Hand, deren Finger sich massierend bewegten. Er ließ die Hand sofort fallen. Wahnsinnig vor Schreck und in panischer Angst sprang er aus dem offenen Fenster hinaus ins Wasser, wo er auch sogleich ertrank. Er konnte nämlich, wie viele andere Seeleute auch, nicht schwimmen. So war das Schiff nun ohne ihren Kapitän.
Flugs machte die Hand sich aus der Kapitänskajüte auf und davon, auf allen fünf Fingern krabbelnd, um oben auf dem Deck im Schlachtengetümmel wieder kräftig mitzumischen. Eilig schlich sie dort auf der Reling entlang. Als zwei Matrosen, die fechtend darauf standen um ihr Leben zu behüten, die eilig herannahende Hand sahen, sprangen auch sie verstört und in panischer Angst ins Wasser.
Dem nächsten Seemann gab die Hand einen Schubs von hinten in den Rücken, so daß er kopfüber in die Ladeluke fiel. Einen anderen Matrosen jagte sie so schnell den Bugspriet und weiter über den Klüverbaum entlang, das dieser auch nur Rettung durch einen Sprung ins Wasser sah. Einen alten Offizier kitzelte sie anschließend so fürchterlich durch, daß er vor lachen, kichern und stöhnen nicht mehr daran dachte sich zu verteidigen oder selbst jemanden anzugreifen. Er wälzte sich auf dem Deck umher, immer folgend von der Hand, bis der Arme einfach vor Aufregung und Anstrengung an einem Herzschlag starb. Letztlich verjagte die Hand die gesamte gegnerische Mannschaft, die nacheinander ins Wasser sprang um sich schwimmend vor ihr zu retten. Doch zum Schluß sprang die Hand auch ins Meer, um dort die übriggebliebenen Matrosen und Offiziere, welche wohl gut schwimmen konnten und daher noch nicht ertrunken waren, weiter in allen Himmelsrichtungen zu jagen." beendete der Klabautermann seine seltsame Erzählung über die Hand des getöteten Seeräubers.
"Mann oh Mann, das war aber eine gruselige Geschichte, die du mir da gerade vorgetragen hast. Da bekommt man es ja richtig mit der Angst zu tun." gab ich ihm zu verstehen und ich schüttelte mich, angewidert von dem Gedanken, eine solche Hand hier an Deck begegnen zu können. "Ach, erzähle mir nicht so gruselige Geschichten, da wird ja einem ganz anders" beklagte ich mich und wollte aufstehen und gehen.
"Bleib` sitzen, bleib` sitzen!" erwiderte der Klabautermann und er fragte mich: "Du wirst doch nicht etwa wirklich Angst haben?" wobei er vor Freude über meine Empfindsamkeit, mit schadenfrohen Gekichere, abwechselnd mal auf dem linken, dann auf dem rechten Bein hüpfte, wobei dies sicher ein Kunststück gewesen ist, da das rechte Bein ja ein Holzbein war.
Nun, Angst wollte ich mir nicht eingestehen und so sagte ich ihm ganz prahlerisch:
"Ich und Angst? Pah! Ich kenne keine Angst!"
"Na dann ist ja gut, dann kann ich dir ja das nächste Abenteuer meiner Reise erzählen, wenn du möchtest. Möchtest du nicht?"
"Doch, doch! Lege schon los, ich bin bereits ganz gespannt auf deine nächste Geschichte!" was aber nicht so ganz stimmte, ein wenig geschwindelt war es schon.
Unbeeindruckt von meinem leicht abwehrenden Gesichtsausdruck, der ihm hätte ohne weiteres auffallen müssen, erzählte der Klabautermann mir nun seine nächste Geschichte über die Insel mit dem Goldschatz.
"Wir fuhren, besser gesagt: wir segelten, von der Malabar-Küste hinüber zum Piratenstützpunkt Ste. Marie auf Madagaskar.
Anfangs hatten wir vor, uns der Schätze der hier verweilenden Piraten zu bemächtigen, wie es ja eigentlich unser Auftrag war, doch schon bald mußten wir einsehen, daß wir viel zu wenige Seeleute waren und uns zu viele Piratenschiffe gegenüber standen. Und einige verfluchte Banditen meiner Mannschaft meuterten hier auch noch und wechselten sogar zu den Piraten über!
Und soll ich Dir - kleiner Fritz - sagen was dann passierte? Wir wurden ausgeplündert! Ausgeraubt und ausgeplündert! Wir! Die Piratenjäger!" bei diesen Worten haute er vor Wut so doll auf eine alte Holzkiste drauf, daß diese sogleich in mehrere Teile zersprang. Verächtlich stieß er mit seinem Holzbein die umherliegenden Teile weg und erzählte emotionsgeladen weiter.
"So war das damals! Aber wir konnten uns noch einige Zeit im Hafen aufhalten. Das war uns genehmigt und man ließ uns sogar am Leben. Wenigstens das! So zogen wir in Hafennähe durch manche Spelunke, wo sich die übelsten Seeräuber aller sieben Weltmeere nach einem Überfall zurückzogen und wir hielten unsere Ohren in allen Richtungen hin offen, um die für uns interessantesten Dinge erfahren zu können, die einem Seemann in seinem stürmischen und wechselvollen Leben überhaupt je in seinen Ohren hätte eindringen können, da hörten wir eines Abends in einer total verrauchten und mit dem übelsten Gesindel vollgepfropften Spelunke - mit dem hübschen Namen Jolly´s Südsee-Seeräuber-Bar - von einem Schatz der auf der zu den Seychellen gehörenden Insel La Digue liegen soll. Und das es dazu eine Schatzkarte geben muß. Und wir hörten auch, wer diese Schatzkarte haben sollte.
Drei Tage suchten wir nach ihm - dem alten versoffenen Jan Knopf. Wir trafen ihn im nahe gelegenen Wald (wo er Unterschlupf in einer Palmhütte gefunden hatte) in einem recht desolaten Zustand an, denn man brauchte ihn nur einmal leicht anzustupsen und er fiel um, so betrunken war er. Wie so oft! Denn er trank gerne einen über den Durst. Und anstupsen, das taten wir dann auch. Er fiel auch wirklich sogleich um. Und während er da so liegend neben einer seiner alten Seekisten gleich einschlief, bemächtigten wir uns seiner Schatzkarte, die er in seinem Tabaksbeutel versteckt hielt. So kamen wir an die Schatzkarte ran. Danach ließ ich von meiner restlichen Mannschaft Proviant an Bord bringen und wir segelten in dunkler Nacht so schnell es ging davon und zwar heimlich und leise, damit die anderen Piraten dies nicht sofort bemerkten und uns folgen konnten. Und um diese obendrein noch zu täuschen, nahmen wir ein anderes Schiff mit: die Quedah Merchant; wobei wir bei dieser Gelegenheit gleich dazu noch unser altes Schiff - die Adventure Galley - versenkten.
Wir hatten zwar alle unsere bisherigen Schätze den Piraten überlassen müssen, aber den Schatz den wir uns jetzt holen wollten, war viel gewaltiger und wertvoller. Es sollten Schmuckstücke besetzt mit den kostspieligsten Edelsteinen darunter sein, dazu Golddukaten, Louisdor, Dublonen und Stücke von Achten sowie andere unbekanntere Währungen der verschiedensten Länder, auch befanden sich Tafelbestecke aus Silber darunter, welche wir aber wieder unglücklicherweise verloren, deren neueren Fundort man dafür auf der Insel später als Silberquelle bezeichnete. So machten wir uns auf die Suche nach dem Schatz, auf der Insel La Digue."
Hier unterbrach der Klabautermann seine Erzählung. Er kramte in seiner Tasche herum, zog dann ein total zerknittertes und vergilbtes Papier hervor, welches an den Rändern rundum abgebröckelt war und hielt es mir vors Gesicht.
"Das ist sie! Das ist die Schatzkarte des Jan Knopf! Ich habe sie immer gut aufbewahrt. Schau` her und schaue Dir die eingezeichnete Insel an! Und dort, wo das Kreuz ist, da war er - der Schatz! Und hier...." dabei zeigte er zitternd vor Aufregung mit seinem Zeigefinger auf einen Punkt der Karte, wo die Küste der Insel verlief ".... hier gingen wir an Land. Und hätten wir damals gewußt, welche Gefahren uns hier begegnen würden, wir wären sicher nie auf diese bemerkenswert schöne Insel gelandet um den Schatz zu suchen; das kannst du mir glauben. Viele Seeleute mußten hier ihr Leben lassen. Doch nun will ich dir die Geschichte weitererzählen."
Und bevor ich auch nur ein Wort dazu sagen konnte, erzählte der Klabautermann auch schon munter weiter drauf los.
"Einige Tage waren wir bereits auf See. Die Sonne brannte heiß und der Wind war flau. Dennoch kamen wir vorwärts. Der Steuermann Black Jack hatte seine Sache gut im Griff und lotste das Schiff unaufhaltsam zur Schatzinsel hin. Der Schiffskoch Knurrhahn sorgte sich derweil um das leibliche Wohl der Mannschaft und zwar so gut wie auf keinem anderen Schiff, welches auf dem weiten Indischen Ozean anzutreffen war. Auf dem Mastkorb hatten wir den Schiffsjungen Feuerohr beordert, um nach andere Schiffe und nach Land Ausschau zu halten. Feuerohr hieß er deswegen, weil der Smutje ihn so gerne an den Ohren zog und seine Ohren sogleich rot wurden, ja mittlerweile blieben sie sogar immer rot, so daß er seinem Namen wirklich alle Ehre machte. Aber eigentlich hieß er Hein Smith und kam aus Hamburg. Land sollte er da oben ausfindig machen, was er dann auch tat.
"Land in Sicht! Land! Seht Nord/Nord-West, da ist Land!" rief er und wir alle rannten zur Backbordseite des Schiffes und hielten in Richtung Nord/Nord-West Ausschau. Und wirklich, es war Land in Sicht. Zuerst konnten wir nur die Bergspitzen der Insel sehen. Doch dann kam sie uns immer näher und näher und wir erblickten unsere Schatzinsel bald in voller Größe. Ein atemberaubender Anblick war das für uns. Da lag sie nun vor uns, die Insel mit dem Goldschatz. Und was für eine prächtige Insel das war. Eine Insel mit einem herrlich langen Sandstrand, welcher von bizarren Felsblöcken und unzähligen Palmen gesäumt wurde und das Wasser war smaragdgrün und hellblau. Wie ein Paradies sah diese kleine Insel in diesem Augenblick für uns aus. Wir ankerten weit vor der Bucht, um nicht auf ein Korallenriff aufzulaufen.
Jetzt mußten wir erst einmal eine Expeditionsmannschaft aufstellen, um die naheliegende Umgebung der Insel zu erkunden.
"Wer von euch meldet sich freiwillig, um als erster einen Fuß auf die Insel zu setzen ?" rief ich meinen Seeleuten zu.
"Hier ich! Ich!" erscholl es aus aller Munde. Jeder wollte der erste sein. So mußte ich selbst die Tüchtigsten aussuchen, die zuerst mit mir auf die Insel kommen sollten. Zwölf der stärksten und kräftigsten Männer wählte ich nun, auf ihre Tauglichkeit überprüfend, aus und wir bestiegen (nachdem wir uns mit einer kleinen Essensration und mit ausreichend Rum eingedeckt hatten) daraufhin ein kleines Boot, welches wir zuvor vom Poopdeck ins Wasser ließen. Sechs Mann ruderten kräftig und die anderen sangen dazu eine Seeräuberballade.
Seeräuberballade
Wein und Rum, Wein und Rum,
das hält `nen Seeräuber jung.
Bum bum ....bu u um.... bum bum.
Und im Heimathafen hat ein jeder eine Seeräuberbraut,
die wird dort wie ein Schiff ganz fest vertaut.
Bum bum ....bu u um.... bum bum.
Die bekommt drei Kinder oder auch mehr,
damit sie hat zu tun, denn ruh`n soll sie nicht mehr.
Bum bum ....bu u um.... bum bum.
Und dem Steuermann wird die Trillerpfeife geklaut,
damit er uns nicht mehr unsere Nerven damit raubt.
Bum bum ....bu u um.... bum bum.
Dem Captain zeigen wir dann waagerecht das Lot,
tut er nicht was wir wollen, ist er bald daraufhin auch schon tot.
Bum bum ....bu u um.... bum bum.
Wir sind die übelsten Seeräuber auf dem Meer,
gehorcht man uns nicht, dann schießen wir mit dem Gewehr.
Bum bum ....bu u um.... bum bum.
Alle Schätze dieser Welt gehören nur uns üblen Jungs.
Und gibt man sie uns nicht, dann holen wir sie uns.
Bum bum ....bu u um.... bum bum.
Und wenn wir die schönsten Schätze auf unseren Schiffen haben,
dann sind wir wahrlich die heldenhaftesten Piraten.
Bum bum ....bu u um.... bum bum.
Doch den schönsten Schatz gibt es für jeden nur an Land:
sein Weib in den Armen und daneben buddelt ihr Kleiner im Sand.
Bum bum ....bu u um.... bum bum.
Bum bum! Bum bum!
Die Stimmung war gut an Bord und die Männer mutig. Einer war so übermütig, daß er vor uns alleine als erster auf der Insel sein wollte und deshalb aus dem Boot sprang. Er war wirklich ein guter Schwimmer und sehr schnell. Er war schneller als wir und uns schon bald ein gutes Stück voraus. Doch ein Hai, der an der Küste umherschwamm, war noch viel schneller als er und so unglaublich hungrig. Für ihn war unser Seemann genau der richtige Leckerbissen zur rechten Zeit und so schwamm er zu ihm hin, riß sein großes Monsterfischmaul mit seinen furchterregenden Zähnen auf und biß nun mehrmals kräftig zu. Wir hörten noch den markerschütternden Todesschrei unseres Seemannes und sahen wie er im Meer versank, dann blieb nur noch ein roter Blutfleck auf dem Wasser von ihm übrig. Der Hai zog unseren Kameraden in die Tiefe und fraß ihn dort auf. So verloren wir hier unseren ersten Mann."
"Oh Mann - oh Mann," unterbrach ich den Klabautermann ".... das Haie so gefährlich sind, wußte ich gar nicht. Da gehe ich doch besser nicht mehr in der Ostsee baden."
Da lachte der Klabautermann laut auf und er erklärte mir: "Da brauchst du nun wirklich keine Angst zu haben, Haie sind entweder im Atlantik zu finden oder in tropischen und subtropischen Meeren, einige auch im Mittelmeer, aber in der Ostsee sind wirklich keine Haie. Da kannst du beruhigt baden gehen."
"Na ja, wenn du das sagst, wird das ja wohl stimmen," sagte ich argwöhnisch "... na dann erzähle mal ruhig weiter von Deinen Abenteuern." Und das tat er dann auch.
"Als wir am Strand ankamen, war unsere Stimmung nicht mehr so gut wie zuvor, das Unglück hing uns wie ein Sack Blei in den Gliedern. Es wurde wenig gesprochen, die Stimmung war also sehr gedrückt. Wir gingen ein Stück ins Land hinein, die uns eine außergewöhnliche Vegetation bot. Bäume wie Pilze schossen da hoch in den Himmel, welche heute so seltsame Namen wie Baobab oder auch Affenbrotbaum tragen. Orchideen und andere Blumen blühten hier und blühen auch heute noch in üppiger Vielfalt auf dieser Insel, genauso wie auch hier die Tierwelt vielfältig vertreten ist und war. Besonders die Insektenarten, die sind und waren immer sehr zahlreich. Sie stachen uns damals am ganzen Körper. Einige Männer wurden kurze Zeit später daraufhin gefährlich krank, denn manche Insekten übertrugen Krankheiten, die für uns nur schwer zu heilen waren. Einige Seeleute verstarben einige Tage nach einem Insektenstich sehr qualvoll. Andere überlebten die Mückenstiche und lebten danach munter weiter, wenn sie nicht gerade durch ein anderes Unglück ihr Leben verkürzen mußten.
Nach unserer ersten kleinen Erkundung zogen wir uns erst einmal auf unser Schiff zurück, um zu beraten wie wir es anstellten den Schatz zu finden. Einwohner hatten wir auf der Insel nicht gesehen, sie schien also unbewohnt zu sein. Es vergingen einige Tage, ohne das wir auch nur einen brauchbaren Plan gefunden hatten. Die Mannschaft wurde schon unruhig. Wir waren zwar wohl nahe am Schatz dran, doch noch weit entfernt diesen zu finden.
Bevor die Unruhe unter der Mannschaft jedoch zu groß wurde und es zur offenen Meuterei kam, ließ ich eines morgens die gesamte Mannschaft auf dem Deck versammeln und hielt eine kleine Ansprache:
"Leute, heute nachmittag werden wir - bis auf eine Wache die hier an Bord bleibt - losziehen, um den Schatz zu finden. Wir werden uns an Land in drei Gruppen aufteilen. In der vergangenen Nacht habe ich für jede Gruppe einen Plan ausgearbeitet und den Weg aufgezeichnet, den jede Gruppe zu gehen hat. Verläuft alles planmäßig, werden wir uns alle nach drei Tagen an dem Ort befinden, wo der Schatz liegen soll, dort werden wir uns also wieder treffen. Er soll in einer Höhle des schätzungsweise über dreihundertmeter hohen Berges liegen, der jedoch nur schwer erreichbar ist und wir wissen nicht, welche Gefahren uns dort erwarten. Vielleicht gibt es dort ja auch Menschenfresser, die nur darauf warten, jemanden wie uns in ihre Kochtöpfe zu bekommen, obwohl wir bei unserer ersten Erkundung keine einzige Menschenseele hier angetroffen haben. Vielleicht gibt es aber auch wilde Tiere, die uns zerfleischen wollen, wenn wir nicht vorsichtig genug sind, uns vor ihnen zu schützen. Gebt also gut acht auf euch und packt nun eure Sachen, für den beschwerlichen aber lohnenswerten Weg."
Ein unverständliches Gemurmel und Grummeln war von der Mannschaft zu hören, jedoch kein Jubelgeschrei und keine "Hurra!" -Rufe nach dieser Rede. Allen war die Gefahr nun bewußt, in welcher sie sich nun bald begeben werden. So verteilten sich alle auf Deck und in ihre Kajüten, um die notwendige Ausrüstung zusammenzulegen.
Am Nachmittag war es dann soweit. Nacheinander ruderten alle drei Gruppen an Land. Diesmal wagte es keiner ins Wasser zu springen, um an Land zu schwimmen. Die Mannschaft war also lernfähig und die Haie blieben hungrig. Als alle am Strand versammelt waren, gab ich jeder Gruppe den Befehl zum Abmarsch und wünschte ihnen viel Glück. Ich selbst ging in der Gruppe mit, die sich geradewegs in Richtung des Berges aufmachte. Die anderen beiden Gruppen sollten seitwärts anmarschieren, eine von rechts und die andere von links.
Wir mußten auf unserem Weg durch ein Dickicht von hochrankenden verwilderten Pflanzen, die kreuz und quer wuchsen und eine natürliche Barriere bildeten, einen Weg schlagen.
Knuddel unser stärkster Mann ging mit einem Degen voran und schlug uns eine weite Bresche in das Dickicht hinein. Bunte Paradiesvögel in den verschiedensten Farben flatterten aufgescheucht in den Bäumen und Büschen über uns umher. Fast wären wir beim Betrachten der Vögel über eine Riesenschildkröte gestolpert, welche direkt auf unserem Weg lag - die sich dort sonnte oder sich ausruhte - und diese uns ebenso überrascht aus ihren zwei kleinen Augen anschaute, wie wir sie.
Bunte Blumen blühten hier überall, in rot, in gelb, in weiß, in blau, so bizarr und schön, das es glatt einem den Atem verschlug, wenn man nur darüber nachdachte, in welch üppiger Vielfalt die Natur hier ihre Kostbarkeiten hervorbrachte. Viele Früchte hingen dabei auf Bäumen und Sträuchern, dennoch wagte es von uns keiner, diese fremdartigen Früchte zu pflücken und zu essen, denn wir wußten ja nicht, wie sie uns bekommen würden. So kämpften wir uns weiter - und ungesättigt - in das Dickicht vor und waren dabei von der Schönheit der Natur stets überwältigt. Uns begleitete dabei auch ein Orchester von Tausenden summenden Mücken, von zwitschernden Vögeln, dazu das vereinzelte Gequake von Fröschen, das zischen der Geckos und nicht zuletzt die platschenden Geräusche, die in der Nähe von Wassermulden oder kleinen Seen entstanden, welche von großen Krokodilen verursacht wurden.
Krokodile hatten wir aber hier nicht erwartet. Eher Raubkatzen wie den Jaguar oder den Puma, aber die kommen hier auf dieser Insel eigentlich gar nicht vor, die sind ja auch eher auf dem amerikanischen Festland beheimatet. So schritten wir langsam vorwärts, immer Knuddel hinterher, der schon mächtig schwitzte, war seine Tätigkeit doch die anstrengendste, bis wir an eine Lichtung kamen, wo ein kleiner Wassertümpel war und wir uns hier ausruhen konnten.
Wir schauten auf dem Weg dorthin mal nach rechts, mal nach links und auch mal nach oben, wo die Palmen ihre Blätter so dicht zusammenwachsen ließen, daß zum Boden kaum ein Lichtstrahl fiel, und wir hockten uns, als wir den Wassertümpel erreichten, alle im Gras in der Nähe des Wassers nieder und ließen unsere Blicke weiterhin in alle Richtungen schweifen, denn wir wollten uns gut ausruhen und dabei die Umgebung weiter genauestens beobachten, den Wassertümpel indes betrachteten wir jedoch nicht. Nur Knuddel stand darin, mit seinem Degen in der Hand, weil er damit einen Fisch fangen wollte. Keiner sah aber im Schlamm zwei große Augen, die alles genau beobachteten was hier geschah. Dann mit einem Male, mit einem Ruck, kamen die zwei großen Augen aus dem Schlamm hervorgeschnellt, die die Augen eines Krokodils waren, welches nun aus seiner ruhenden Lage hervorsprang und mit seinem weit aufgerissenen Maul nach Knuddel schnappte, ihn sogleich auch zu fassen bekam und ihn mitsamt Haut und Haaren verschlang, so daß nur noch seine Hand mit dem Degen aus seinem Maul zum Vorschein kam.
Wir hörten nur diesen kurzen erstickten Todesschrei von Knuddel, das Geknacke seiner brechenden Knochen und wie das Riesenkrokodil genüßlich schmatzte. Starr vor Schreck standen wir um den kleinen See und stierten das ungeheuerliche Krokodil an, welches Knuddel vor unseren Augen verschlang.
Vorerst bemerkten wir nicht, daß nun noch mehrere dieser Bestien aus dem gegenüberliegenden Wald sich auf den Weg zu uns rübermachten. Sie vernahmen wohl instinktiv, daß hier eine nahrhafte Nahrung auf sie wartete. Als wir diese Ungeheuer jedoch bemerkten, stoben wir alle in panischer Angst auseinander, auf und davon und mit Geschrei. So ungeordnet wie wir alle nun wegliefen, in allen Himmelsrichtungen, fanden die wenigsten sich später wieder. Einige sahen wir sogar nie wieder. Keiner weiß, was mit ihnen geschehen ist. Meine Befehle die ich allen laut zurief: "Alle zu mir, kommt alle in meine Richtung!" beachtete niemand. Die Angst vor den Krokodilen machte sie taub und blind und einige liefen deshalb den Krokodilen geradezu in den Weg. Diese lagen versteckt zu Hunderten in diesem Teil des Waldes auf der Lauer, irgendeine Nahrung schnappen zu können. Menschen war für sie eine ganz neue kulinarische Erfahrung, denn ansonsten fraßen sie nur den Dodo, einen Vogel der schnell und leicht zu ergreifen war, weil er nicht fliegen konnte. Sie fraßen über die Jahre hinweg so viele Dodos, bis kein einziger mehr von ihnen übrig geblieben ist. Und als keine Dodos mehr auf der Insel waren, verhungerten die Krokodile so nach und nach oder fraßen sich sogar gegenseitig selber auf, bis auch von ihnen kein lebendes Exemplar mehr auf dieser Insel übrig blieb."
"Das ist ja furchtbar, was da Knuddel, den Dodos und auch anderen auf dieser Insel passiert ist. Ja, daß es so große Krokodile gibt, hätte ich auch nicht gedacht." gab ich erstaunt und zugleich entsetzt von mir.
"Oh ja, die Krokodile waren sehr groß. Viele Hundert davon gab es auf der Insel. Sie lagen versteckt in den Wassertümpeln oder mitten im Wald. Man mußte immer aufpassen, wo man entlang ging, um nicht auf sie zu treffen. Am liebsten hielten sie sich aber in schattigen und feuchten Bereichen auf, so daß es besser war, in offenen sonnigen Gebieten zu laufen, dort kamen sie meist nicht hin."
"Und gab es auf der Insel noch andere gefährliche Tiere?"
"Nein," antwortete mir der Klabautermann "das Krokodil war das einzige wirklich gefährliche Tier auf der Insel. Aber davon gab es halt sehr viele. Doch lasse mich jetzt die Geschichte weiter erzählen. Okay?
Also,..... ich rannte aus diesem Waldbereich hinaus, ohne das mir jemand folgte, weder die Krokodile noch meine Männer. Da war ich erst einmal alleine. Auf einen kleinen Felsen in einer weiten Lichtung machte ich dann erst einmal eine kleine Pause. Ruhig war es hier. Nur die Mücken ärgerten mich, ansonsten war es sonnig und friedlich. Die vielen bunten Farben der Blumen die sich im Wind leicht hin und her wogen erfreuten mein Herz. Jeglicher Streß wich mir aus meinen Gliedern, meine Seele baumelte so vor mir daher. Genüßlich hörte ich hier dem Gezwitscher der Vögel zu, welche in ihrem Gesang vom Zirpen vereinzelter Heuschrecken begleitet wurden. Während ich eine Viertelstunde lang nur so vor mir hindöste, hörte ich auf einmal von irgendwoher zwei Stimmen. Ich lauschte aus welcher Richtung sie kamen. Die Stimmen wurden immer lauter, kamen mir also immer näher. Ich stellte mich auf dem Felsen drauf, um weiter sehen zu können. Dann erblickte ich zwei meiner Leute. Es waren Black Jack und mein geliebter Koch Knurrhahn.
"Kommt her, hier bin ich!" rief ich ihnen zu "Hier ist euer Captain!" . "Sieh dort, dort ist unser Captain!" schrie erfreut Knurrhahn Black Jack an. Sie änderten ihre Richtung und kamen auf mich zu. "Hallo Captain, " sagte Black Jack, noch ein wenig außer Puste, "sind wir hier vor diesen Ungeheuern sicher?" "Das glaube ich wohl," antwortete ich. " Kommt, beraten wir erst einmal wie es jetzt nun weitergeht!" Und das taten wir dann auch. Wir berieten, welchen Weg wir einschlagen werden und ob es uns möglich wäre, noch mehr unserer Leute wiederzufinden. Das letztere wollten wir aber dem Zufall überlassen und so gingen wir drei alleine weiter, unserem Ziel - dem Schatz - immer näher, hoch den Berg hinauf.
Wir marschierten über Stock und Stein, stolperten hier und da über so manche alte Riesenschildkröte, zeitweilig fauchten uns in verschiedenen Farben schillernde Leguane an, die wir wohl in ihrer Mittagsruhe störten, Papageien flatterten vor unserer Nase herum, Mücken umsummten und stachen uns und kleine Schlangen zischten an unseren Füßen vorbei, doch so nach und nach kamen wir unserem Ziel immer näher und den Berg immer höher hinauf.
Auf einem Plateau, unmittelbar vor einer schroffen Steilwand, machten wir erst einmal Rast. Von hier aus hatten wir einen guten Überblick über einen großen Teil der Insel. Wir konnten von hier aus auch aufs Meer hinaussehen und wir entdeckten dabei unser Schiff, die Quedah Merchant, die sich vom Meer als ein kleiner Farbtupfer auf dem Wasser abzeichnete. Das war ein stolzer Anblick von hier oben und wir beschlossen, daß wir hier eine Weile bleiben werden, in der Hoffnung es finden sich bald noch mehr unserer Leute hier ein. Unsere Hoffnung wurde auch bald erfüllt, denn es dauerte nicht lange, da hörten wir schon wie sich die ersten Stimmen uns näherten. Da kamen sie an, unsere stolzen und auf allen Meeren gefürchteten Piraten: erschöpft, zerlumpt, die Kleider in Stücke gerissen und in den Augen spiegelten sich noch der verbleibende Rest Panik aus schrecklichen Momenten, die ein jeder von ihnen in den letzten Stunden wohl erlebt haben mußte.
Müde, aber zufrieden uns gefunden zu haben, ließen sie sich bei uns nieder und hatten erst einmal den frommen Wunsch nach einem guten Schluck Rum, den ihnen aber keiner erfüllen konnte. Immer mißmutiger wurden sie deshalb, von Minute zu Minute mißmutiger. Inzwischen kamen auch die übrigen Leute der anderen beiden Gruppen zu uns an. Sie sahen auch nicht besser aus als die übrige Mannschaft, die vor ihnen hier eingetroffen war. Es war unschwer zu erkennen, daß auch sie mit den Krokodilen zu kämpfen hatten; einige bluteten noch und dem ein oder anderen fehlte sogar ein ganzes Körperglied.
Alle wollten von mir wissen, wo denn nun der Schatz liegt und ich konnte ihnen nur antworten, daß er hier ganz in der Nähe sein müßte, doch nirgendwo war auch nur ein Anhaltspunkt dafür zu sehen.
Inzwischen stritten sich meine Seeleute schon recht heftig untereinander; drei davon so sehr, daß sie eine kleine Schlägerei anfingen und alle Aufmerksamkeit damit auf sich zogen. Pitt, ein kleiner untersetzter Mann, bekam von Bull (einem kräftigen "Seebären") einen verdammt starken Schlag auf das Kinn, so daß der nach hinten fiel, und da er am Abhang stand, purzelte er ihn auch noch hinunter und landete dabei auf ein dichtes Gebüsch. Doch auf einmal gab das Gebüsch nach und sackte nach unten in ein tiefes Loch hinab, und Pitt folgte unmittelbar hinterher. Erst hörten wir von Pitt nur ein lautes: "Aaaaaah!", doch dann: "Gold, Gold, hier ist Gold! Ich hab` ihn gefunden, den Schatz, alles Gold, Gold, Gold!" Ungläubig schauten wir uns einen kurzen Augenblick an, bis wir begriffen was da geschehen war. Schon rief jubelnd die gesamte Mannschaft: "Wir haben den Schatz! Hurra - hurra! Wir haben den Schatz!" und einige tanzten vor Freude wild in der Gegend umher, andere rissen sich ihr Hemd vom Leib und warfen es überschwenglich in die Höhe, dabei stürmten die ersten schon ungeduldig den Abhang hinunter, um sich vom Anblick des Goldes fesseln zu lassen. Und es war wirklich ein atemberaubender Anblick.
Becher, Teller, Bestecke und Kerzenleuchter lagen dort, allesamt aus purem Gold. Münzen über Münzen lagen dazwischen. Golddukaten, Louisdor und Stücke von Achten, dazu kleine goldene Schwerter die besetzt mit Rubine, Smaragde und anderen Edelsteinen waren. Ketten mit Perlen und Diamanten lagen über die goldenen Leuchter gehängt und kunstvoll verzierte Eier aus Elfenbein, die in ihrem Innern Edelsteine bargen, lagen auf den Tellern aufgehäuft, als wäre es Obst.
Als wir das recht dunkle Höhlenloch mit einer Fackel ausleuchteten, sahen wir, daß es noch einen weiteren Gang gab, der sich zum Ende der Höhle hin abzweigte und in eine weitere Höhle führte. Wir gingen dorthin und was wir dort sahen erstaunte und begeisterte uns auf neue und nicht minder als bei dem ersten Anblick des Goldschatzes. Was wir dort jetzt sahen waren ebensolche Sachen, nur jene waren diesmal allesamt aus feinstem Silber.
Alles glänzte und funkelte im Licht unserer Fackel, daß es einem dem Atem verschlug. Lange konnte wir uns nicht beruhigen. Der Jubel der Mannschaft fand keine Grenzen. Besoffen vom Anblick des Goldes, des Silbers, der Edelsteine, der Perlen, der Münzen und des Elfenbeins, behängten sie sich mit den wertvollen Ketten und so manch einer von ihnen rief. "Ich bin reich! Ich bin reich, ganz reich - so unglaublich reich!"
Doch irgendwann mußte der Jubel auch sein Ende finden und so befahl ich erst einmal das Silber aufs Schiff zu bringen. Jeder sollte soviel er tragen konnte davon mitnehmen, es am Strand an eine bestimmte Stelle ablegen, wo wir eine Piratenflagge aufstellten, um alles dort zu sammeln, bis alles Silber aus der Höhle unten am Strande lag. Dann sollte es an Bord gebracht werden und anschließend sollte das Gold auf gleichen Wege folgen.
Es war schon ein stattlicher großer Haufen Silber, den wir da zusammentrugen und am Strand ablegten. Drei Tage waren wir damit beschäftigt das Silber aus der Höhle an den Strand zu schaffen. Bald sollte das Gold folgen. Doch zuerst machten wir eine kleine Feier am Strand, entzündeten ein Lagerfeuer und tranken gehörig Rum, dazu sangen wir ein selbstgedichtetes Lied, welches unsere Freude mächtig Ausdruck verleihte." da drehte sich der Klabautermann plötzlich und ganz schnell dreimal um seine eigene Achse um
- wusch-wusch-wusch -
und ich hörte die ganze Seeräuberbande ihr frohlockendes Schatzlied singen:
Gold
Gold, Gold, Gold -
und Silber fürwahr,
Schätze aus dem Orient und Elfenbein aus Afrika.
Gold, Gold, Gold -
dazu Diamanten - rein und klar,
Smaragde aus dem Okzident und Rubine aus Panama.
Gold, Gold, Gold -
Hurra! Hurra!
Den Schatz der Schätze, den verkaufen wir jetzt in Amerika!
Gold, Gold, Gold -
Ha-ha, Ha-ha,
wir sind nun reich und kaufen uns die Pirateninsel
Sumaaa..aa..traaa.
Als das Lied der Seeleute verklungen war, erzählte der Klabautermann seine Geschichte weiter.
"Bis weit in die Nacht wurde gefeiert. Dort wo wir feierten - am Strand im Sand - schliefen wir auch ein, bis zum nächsten Tag. Einige wurden erst gegen Mittag wach. Zum Frühstück aßen wir das leckere Fruchtfleisch der Coco de Mer-Kokosnuß, welches die Form eines weiblichen Beckens hat und damit sehr ungewöhnlich aussieht. Wir konnten die wenigen Coco de Mer-Palmen dieser Insel auch nur hier am Strand vorfinden.
Zwei Leute sollten mit dem Ruderboot den Silberschatz auf die Quedah Merchant bringen, während die restliche Mannschaft das Gold aus der Höhle holen sollte. Am Nachmittag machten wir uns alle auf, den Berg wieder zu erklimmen. Eine seltsame Ruhe lag da an diesem Tag in der Luft. Man hörte die Vögel nicht, keine Mücken umsummten und ärgerten uns, kein Frosch quakte uns die Ohren voll, weder Schlangen zischten an uns vorbei, noch huschten die Geckos an uns vorüber. Es war eine Stille wie Sonntags in einem Dorf nach dem Kirchengeläut. Als wir an der Höhle angekommen waren, verfinsterte sich der Himmel, es zog ein Unwetter auf. Ich trieb meine Leute, während es bereits zu regnen anfing, an, so schnell wie möglich und so viel es nur geht aus der Höhle ans Tageslicht zu holen. Jeder nahm sich das was er tragen konnte und soviel er tragen konnte mit, aber es war dennoch nur ein kleiner Teil des Goldschatzes den wir aus der Höhle bargen, bevor das Unheil begann. Inzwischen wehte schon ein heftiger Wind. Da hörten wir auf einmal ein kräftiges Grummeln unter uns aus dem Berg kommen, welches immer näher zu uns rankam, ja zuletzt hörte es sich wie ein heftiges Flattern - von großen Raubvögeln verursacht - an, welches aus dem Erdinnern immer näher an die Oberfläche stieg und da fing die Erde auch schon zu beben an, so heftig, daß wir uns kaum auf den Beinen halten konnten. Im Boden wurden große Spalten aufgerissen, wo sogleich auch einige meiner Leute reinfielen, die Spalten schlossen sich zum Teil auch wieder und diejenigen wurden zerquetscht, die dort hineingefallen waren und nicht mehr rechtzeitig rauskamen. Auch die Höhle mit dem Gold schloß sich, so daß es uns nicht mehr möglich war, den restlichen Schatz zu bergen. Das heftige Erdbeben dauerte etwa sechzig Sekunden. Kleinere Beben folgten danach. Wir sammelten das bißchen Gold auf, welches wir noch finden konnten, und wollten uns damit auf dem Weg zum Strand machen. Doch bevor wir auch nur die ersten Schritte dazu machen konnten, stockte uns bereits ein weiteres Mal der Atem. Wir sahen die nächste Katastrophe auf uns zukommen. Die Erde hatte nicht nur hier auf der Insel gebebt, sondern auch im Meer unter Wasser. Das Meerbeben löste eine riesige Flutwelle aus, die wir von hier oben auf dem Berg gut beobachten konnten. Wir sahen wie die Flutwelle auf die Insel zuraste. Unser Schiff, die Quedah Merchant, wurde von der Flutwelle erfaßt und mit ihr in die Höhe gehoben, wo sie dann hinter dem Wellenberg ins Wellental absackte und heftig schaukelte, dann erreichte die Flutwelle, die wohl gut und gerne 10 Meter hoch war oder gar noch höher, den Strand, um dort mit lautem Getöse plötzlich in sich zusammenzubrechen. Die wenigen Coco de Mer - Palmen riß die Flutwelle mit sich in die Meerestiefe und auch der zusammengetragene Silberschatz, der dort unten am Strand noch lag, verschwand mit der Flutwelle dahin.
Seit diesem Ereignis gab es keine Coco de Mer-Palmen mehr auf dieser Insel. Doch Silber wurde viele Jahre später immer wieder an diesem Strand gefunden, so daß man ihm schließlich den Namen "Silberquelle" gab.
Doch für uns war der Schatz verloren. Nur wenig Gold und Silber konnten wir mit an Bord nehmen. Zum Glück war aber unser Schiff nicht untergegangen. Jedoch nur ein Drittel der Mannschaft überlebte die Suche nach dem Schatz auf der Insel La Digue. Manche Seeleute die überlebten, waren darüber gar nicht so traurig, brauchten sie doch das wenige Gold und das spärliche Silber nicht mehr mit so vielen Männern zu teilen.
Da aber inzwischen die Vorräte an Bord verbraucht waren, mußten wir uns nun auf die Suche nach weiteren Handelsschiffen machen, welche wir kapern wollten, damit wir unser Schiff wieder mit Lebensmitteln und anderen edlen Gütern auffüllen konnten. Auf der Rückreise nach Madagaskar kaperten wir bereits das nächste Handelsschiff und gewährten denjenigen die sich uns anschließen wollten, ihr Leben zu behalten. Viele taten das auch. So kamen wir wieder auf eine Besatzung von 130 Mann.
Die Waffen und die Munition des Handelsschiffes brachten wir zu uns rüber an Bord, ebenso alle Lebensmittelvorräte die wir auf dem Handelsschiff finden konnten. Auch alles Geld und allen Schmuck sammelten wir ein, oder nahmen ihn direkt den Seeleuten ab. Dann zündeten wir das Handelsschiff an. Wer dort noch an Bord war, rettete sich in kleinere Ruderboote, doch ihre Chancen die nächste Insel zu erreichen, dürfte wohl nicht sehr groß gewesen sein. Wir indes zogen es vor, erst einmal die Segel zu setzen und nach weiteren Handelsschiffen Ausschau zu halten, die wir überfallen und ausplündern konnten. So kam es, bedingt durch glückliche Umstände, daß wir in kurzer Zeit mehrere Handelsschiffe überfielen, die die verschiedensten Waren und Schätze über dem Meer trugen und dummerweise den gleichen Weg nahmen, den auch wir entgegensteuerten. Und allzu oft ertönte danach das fröhliche Piratenlied über dem nun totenstill gewordenen Meer, welches unsere Mannschaft mit größter Freude und voller Übermut aus feuchter Kehle sangen." da drehte der Klabautermann sich dreimal um seine eigene Achse ganz schnell um
- wusch-wusch-wusch -
und ich hörte wie dieses Piratenschiff auf dem stillen Ozean dahinplätscherte und die Seeräuber mit kräftiger Stimme ihr Piratenlied sangen.
Piratenlied
Ein Pirat, ein Pirat,
ist ein Triumphat`,
Ahoi - Ahoi - Ahoi!
So einer ist ein Seeräuber
der ganz besonderen Art,
Ahoi - Ahoi - Ahoi!
Wir setzen die Segel
und fahren nach Westen,
dort kapern wir Schiffe,
doch nur die Besten.
Wir segeln nach Osten
und zu einer Insel in den Süden,
die Schätze vergraben wir dort
unter den Dünen.
Ein Pirat, ein Pirat,
ist ein Triumphat`,
Ahoi - Ahoi - Ahoi!
So einer ist ein Seeräuber
der ganz besonderen Art,
Ahoi - Ahoi - Ahoi!
Wir wetzen die Säbel
und zum Captain machen wir nur den Besten,
ihm gehorchen wir
und pfeift der Wind noch so stark aus Westen.
Ihm folgen wir zu allen Orten
heiliges klingt uns in seinen gesprochenen Worten.
Für ihn kämpfen wir darum aus Leibeskräften,
unsere Piratenzeichen wollen wir an jeden Fockmast heften.
Ein Pirat, ein Pirat,
ist ein Triumphat`,
Ahoi - Ahoi - Ahoi!
So einer ist ein Seeräuber
der ganz besonderen Art,
Ahoi - Ahoi - Ahoi!
Nach einem Sieg feiern wir und rufen:
"Hurra - Hurra - Hurra!",
wir sind die bösen Seeräuber und singen laut:
"Kaperie" und "Kapera".
Dazu tanzen wir den Rumba
und den Cha - Cha - Cha
und erschrecken die Möwen und rufen:
"Die Piraten sind wieder da!".
Ein Pirat, ein Pirat,
ist ein Triumphat`,
Ahoi - Ahoi - Ahoi!
So einer ist ein Seeräuber
der ganz besonderen Art,
Ahoi - Ahoi - Ahoi!
Aa - haa- hoiiiiiii!
Nach dem kraftvoll vorgetragenen Piratenlied wurde es wieder still in der Kajüte und der Klabautermann erzählte mir nun seine nächste unheimliche Geschichte, über seine Begegnung mit dem fliegenden Schiff.
"Nach der erfolgreichen Kaperung eines mit Gewürzen beladenen Handelsschiffes machten wir uns mit unserem kriegsmäßig bestückten Schiff, der Quedah Merchant, und der 130 Mann zählenden Besatzung vom Indischen Ozean aus auf, zu einem im Atlantischen Ozean gelegenen Piratenstützpunkt zu fahren, um unsere Schätze an Land zu bringen. Unsere Schiff war mittlerweile beladen mit Edelsteinen, kostbarer Seide, Gold sowie Pfeffer, Muskatnuß, Orleander, Zucker und Kaffee. Auf dem Weg in den Atlantik mußten wir an der Insel Madagaskar vorbeisegeln.
Vor Madagaskar waren wir mit dem Schiff jedoch in einen Sturm gekommen, nur der Steuermann Black Jack, der Schiffskoch Knurrhahn und ich konnten uns, bevor das Schiff an einem vor der Küste im Meer stehenden Felsen zerbarst, in eine kleine Schaluppe retten, die am Heck der Quedah Merchant festgebunden war, in der wir rechtzeitig und unbemerkt vom Rest der Mannschaft unser Schiff verließen. Das Schiff und seine Schätze waren wohl für immer im Ozean verloren, ....
...seine Mannschaft sahen wir aber später auf der Pirateninsel Dina Arabica, welche ca. 800 km östlich von Madagaskar im Indischen Ozean liegt, im Freibeuterhafen St-Pierre wieder.
Doch nun wurden wir erst einmal vom tosenden Wind tief ins weite Meer hinaus getrieben.
Nach drei Tagen flaute der Sturm dann langsam ab. Wir hatten eine kleine Ration Wasser an Bord und zu essen für wenige Tage. Wir hofften, daß der Wind sich drehen würde und uns zurück an eine Küste blies. Doch es blieb windstill. Das Meer war ruhig, die Sonne schien unbarmherzig heiß und außer dem Geknarre unserer Schaluppe und dem Gestöhne unseres Schiffskochs Knurrhahn, war nicht viel zu hören. Hunger und Durst fingen fortan uns zu quälen an und es wurde von Stunde zu Stunde eine immer stärkere Qual. Wir brauchten dringend wieder etwas frisches zu Essen und zu Trinken.
Dann endlich, nach weiteren zwei Tagen, sahen wir am Horizont die Masten eines großen Seglers. "Rettung sehe ich!" rief ich den Kameraden Black Jack und Knurrhahn zu: "Rettung! Wir sind gerettet! Seht das Schiff am Horizont!". Und die beiden riefen zugleich: "Hurra, wir sind gerettet - ein Schiff! Hurra! Hurra!".
Das Schiff kam trotz Windstille schnell näher, auch hatte es keinen einzigen Segel gesetzt, was eigentlich verwundern sollte. Es schien, als würde es wie von Geisterhand übers Meer getragen.
Noch ahnten wir nicht, was da auf uns zukam, unsere Freude war zu groß, um die seltsamen Vorgänge zu bemerken, die mit diesem Schiff verbunden waren. Noch war das Schiff ja auch weit entfernt. Doch als es näher kam, sahen wir, daß das Schiff nicht im Wasser fuhr, sondern über dem Wasser schwebte. Wir glaubten unseren Augen nicht zu trauen. Ein fliegendes Schiff!
Das fliegende Schiff, man kann sagen: eher gleitete es über dem Wasser, kam immer näher. Man hörte von seinem Deck, als es nah genug heran war, lautstarken Gesang, und Musik von Pauken und Geigen. Um uns war das Meer ruhig, als hätte der Ozean mit dem vergangenen Sturm seinen letzten Seufzer von sich gegeben. Nur das frei über dem Wasser schwebende Schiff war noch zu hören. Und es wurde lauter, je näher es kam. Wirre Stimmen hörte man von Bord zu uns herüberschallen. Damen kreischten, Seeräuber lachten, so laut und so dreckig, wie eben nur Seeräuber lachen können. Aber wir waren ja selber mittlerweile Piraten und haben nach einer erfolgreichen Kaperung eines Schiffes oft ebenso laut und dreckig gelacht, wie wir es jetzt selbst hörten. Und dann, mit einem Male, wurde es plötzlich totenstill. Kein Ton war mehr zu hören, kein Wasserschlag, kein Lachen, keine Musik, auch das Geknarre unserer Schaluppe blieb aus. Und immer näher glitt in dieser plötzlich hereinbrechenden und sehr seltsamen Lautlosigkeit das fliegende Schiff auf uns zu. Immer näher und immer näher, kein Geräusch begleitete dabei das Schiff auf seinem Weg.
Nach einer Weile, die uns wie eine Ewigkeit erschien, war dieses große Schiff direkt vor uns; bis auf einen Hauch kam es an uns heran. Es erhob sich mindestens drei Meter vor uns aus dem Wasser.
Wir hatten schon viel vom "Fliegenden Holländer" gehört, aber es immer als Seemannsgarn abgetan. Auch jetzt konnten wir kaum glauben, was wir sahen.
Über der Reling des fliegenden Schiffes hing das Fallreep, eine Strickleiter. Wir konnten gar nicht anders, wir wurden geradezu magisch von diesem Schiff angezogen und verließen deshalb sofort unsere Schaluppe und kletterten die Strickleiter hinauf. Noch immer war es totenstill. An Deck geklettert sahen wir uns um, niemand war da, seltsam, wo wir doch vorher so viele Leute hörten, aber es roch auf dem Schiffsdeck sehr angenehm - nach frisch gebratenem Fleisch und gedünsteten Gemüse. Langsam sahen wir uns auf dem Deck um und trauten unseren eigenen Augen nicht, als wir die Herkunft dieser Gerüche sahen.
Mitten auf dem Schiffsdeck stand ein großer Tisch. Eine Tafel mit dem besten Fleisch von Wildschweinen, Trauben und Äpfel aus Europa, Orangen und Datteln aus dem Orient, Wein, Rum - ja alles was das Herz jetzt nur begehren könnte.
Genau in der Mitte auf dem Tisch lag eine große Papierrolle, die von einem Messer durchstochen auf der Tischplatte gehalten wurde. In der Luft lag eine unheimliche und unheilvolle Stimmung. Wir kamen, schweigend und zitternd vor Angst, näher an den Tisch heran, um zu lesen was darauf stand. Während wir uns nun alle über den Tisch beugten und unsere Augen sich auf die Pergamentrolle richteten, las ich meiner übriggebliebenen Crew von zwei nun überängstlichen Seeleuten, die jetzt keineswegs den Eindruck machten, als seien sie die gefürchtetsten Piraten des Indischen Ozeans, den Inhalt dieses Schriftstückes nun vor:
"Eßt Kameraden, soviel ihr wollt! Trinkt Kameraden, soviel ihr wollt! Es wird immer genug zu essen und zu trinken da sein, solange ihr auf diesem Schiff seit. Wenn ihr hübsche Mädchen dazu haben wollt, so fangt bald mit dem Essen an und sie werden kommen und euch schöne Stunden bereiten. Trinkt Kameraden, wenn ihr trinkt, wird die Musik euch begleiten und euch fröhlich stimmen. Ihr habt schon aus der Ferne gehört, wie lustig und fidel es hier zugeht. Und es wird für euch nie zu Ende gehen, dies könnt ihr mir glauben. Das Schiff ist nämlich auf einer sehr langen Fahrt, über alle Meere hinweg.
Das ist nun unser Angebot: Eßt und trinkt soviel ihr wollt und amüsiert euch und ihr werdet des Schiffes Reisebegleiter sein, auf einer Reise, wo ihr nie nach Wasser dürsten werdet und euch kein Hunger quält!"
Kapitän Mirror
Ungläubig sahen wir uns nun an. Doch dann verstanden wir, was das zu bedeuten hatte.
Wenn wir davon essen und trinken würden, würden wir nie wieder von Bord kommen und mit dem Schiff weiterreisen müssen. Also sollten wir das alles lieber liegen lassen und von Bord gehen.
Doch das war einfacher gesagt als getan. Schon seit Tagen hatten wir kaum zu essen gehabt und unsere letzte Wasserration war seit mehr als 24 Stunden verbraucht. Wir schmachteten bei diesem Anblick und uns lief das Wasser im Munde zusammen. Die Versuchung war groß, sehr groß.
In unseren Gesichtern standen nun schon alle weiteren Fragen geschrieben: Was würde geschehen, wenn wir ohne zu essen und zu trinken wieder von Bord gehen? Das Meer war spiegelglatt, kein Wind wehte. Würden wir nicht verhungern und verdursten auf unserer Schaluppe? Wäre ein immervoller Teller mit den herrlichsten Speisen, ein immer randvolles Glas mit Wasser, Wein oder Rum dem Hungertod nicht vorzuziehen? Und hübsche Mädchen sollte es ja auch noch geben, dazu Musik und lustigen Gesang. War das nicht eine schöne Aussicht? Ja, das war es, darin waren wir uns alle einig, wenn sie doch nicht für alle Ewigkeit wäre! Man kann ja nicht ständig hungrig sein und Durst haben. Was geschieht, wenn man von allem gesättigt ist? Aber dies auszumalen hatten wir jetzt keine Zeit mehr.
"Kommt!" befahl ich Black Jack und Knurrhahn, "Laßt uns von Bord gehen!". Gekrümmt vor Hunger und mit einem gewissen inneren Widerstand wollten wir uns nun von Bord begeben, ohne auch nur einmal herzhaft in ein saftiges Stück Fleisch hineingebissen zu haben und ohne auch nur mit einem einzigen Tropfen Wein die trockene Kehle benetzt zu haben. So lief auch kein Wasser unsere dürstende Kehle hinab.
Doch als wir von Bord wollten, stand uns plötzlich ein neuer und noch größerer Tisch im Weg, gedeckt mit den leckersten Speisen aus aller Herren Länder. Und wie das Essen duftete! Es zog uns so sehr an, daß es unmöglich war, daran vorbeizugehen, wir steuerten geradewegs, gierig wie hungrige Wölfe, darauf zu.
Fassungslos standen wir nun vor dem Tisch und jeder wartete auf ein Zeichen, sich auf dieses Mahl stürzen zu dürfen. Die gierigen und erwartungsvollen Blicke von Black Jack und Knurrhahn richteten sich sodann alleine auf mich, dem Kapitän. "Nein, faßt nichts an!" wehrte ich ihre Blicke ab. " Wir werden es auch so schaffen durchzukommen, nur: unser Wille muß stärker sein als die Versuchung. Wollt ihr das?" fragte ich meine zweiköpfige Mannschaft und mir entgegnete ein schwaches, fast lautloses und kaum ernstgemeintes, doch gehorchendes:
"Ja, das wollen wir!" .
So gingen wir, vom mehr oder weniger festen Willen getrieben, hier auf diesem Geisterschiff nicht bleiben zu wollen, weiter - und zwar unseren Hinweg zurück, Richtung Fallreep, der Strickleiter.
Auf einmal stand ein weiterer Tisch im Weg, mit den süßesten Süßigkeiten. Mit türkischem Honig und arabischen Kuchen, wie ich es in dieser Pracht vorher nur im Basar von Bagdad einmal gesehen hatte und beim Fest des Großmoguls Schahdschahan im orientalischen Mekka.
Doch zum Glück war uns nicht nach Süßem zumute, zu sehr waren wir schon ausgehungert. Wir wollten von Bord (ohne jetzt weiter von Neugier getrieben zu sein, in das unheimliche Schiff vorzudringen, um nach deren Mannschaft zu suchen), und zwar so schnell es ging und so schwer es uns auch fiel - denn eigentlich wollten wir ja essen und trinken, und nur essen und trinken, dies war ja im Moment unser sehnlichster Wunsch, da waren wir nun hin- und hergerissen, ja man kann auch sagen, in unserer Seele zerrissen. Aber ewig wollten wir auf diesem Geisterschiff schließlich nicht bleiben und so kletterten wir mit viel Wehmut und großem Hunger und Durst wieder die Strickleiter hinunter, hinein in unsere kleine Schaluppe.
Kaum waren wir drei wieder auf unserem Deck, begann die Musik wieder erneut vom fliegenden Schiff her zu klingen an. Wir hörten wie einige Damen sich amüsierten, selbst wie die Seeräuber beim Essen schmatzten, lachten und sich zuprosteten. Und wir fragten uns, vom Hunger gequält, ob wir nicht doch besser auf dem Schiff geblieben wären? Sollten wir nicht umkehren? Doch dann fuhr - besser gleitete - das fliegende Schiff langsam mit dem Rauschen des Windes los, obwohl es um uns vollkommen windstill war und das Meer noch immer spiegelglatt.
Als das Heck des fliegenden Schiffes an uns vorbei war, hörten wir etwas ins Wasser plumpsen. Es war eine leere Flasche. So schien es jedenfalls. Doch war beim näheren Betrachten festzustellen, daß die Flasche doch nicht so ganz leer war, wie es uns zuerst schien und diese etwas beinhaltete - und zwar ein Schreiben vom Kapitän des fliegenden Schiffes: Sir Henry Mirror. Wir holten die Flasche aus dem Wasser, zogen die Papierrolle heraus und ich las dem vor Durst sich quälenden Black Jack und dem immer hungrigen Knurrhahn, den Inhalt des Schriftstückes vor:
"Ich der Kapitän, Sir Henry Mirror, bin Seeräuberkommandant des "Fliegenden Holländers" und verdammt in alle Ewigkeit auf diesem Schiff zu verweilen. Nur eins kann mich und meine Crew von diesem verfluchten Schiff holen - wenn eine andere Crew uns ablöst!
Wenn ihr vom Essen gegessen hättet oder von den Getränken getrunken (es war die Heuer), dann wäre der Vertrag zustande gekommen und ihr hättet uns abgelöst. So aber sind wir weiterhin verdammt Hunderte von Jahren mit dem Schiff über das Meer zu fliegen, um irgendwann einmal auf andere Schiffsbrüchige, in dieser einsamen Wasserwüste, zu treffen, die soviel Hunger und Durst haben, daß sie essen und trinken werden, bis sie gesättigt umfallen und einschlafen. Dann könnten wir von Bord gehen und diese Bastarde müßten für uns weiterfahren.
Ihr aber, ihr ausgemergelten Schiffsbrüchige, habt es nicht getan, ihr Hundesöhne, ihr Ausgeburt des Teufels, ihr habt weder gegessen noch getrunken, Fahrt zur Hölle, ihr elendes Pack!"
Kapitän Mirror
Mit solchen üblen Worten endete der Brief. Nun wußten wir, was geschehen wäre, wären wir der Versuchung erlegen, uns an den erlesenen Speisen und Getränken zu laben, für immer wären wir dann mit dem fliegenden Schiff über die Ozeane gefahren.
So aber war unsere Situation auch nicht besser. Der Hunger quälte uns sehr und der Durst brachte uns fast um den Verstand. Je weiter aber das fliegende Schiff sich von uns entfernte, um so stärker begann das Meer sich zu bewegen. Als das fliegende Schiff gänzlich am Horizont verschwand, brach ein Sturm los. Das Meer tobte und der orkanartige Wind trug unsere kleine Schaluppe rasend schnell weit von diesem Ort fort - auf eine Insel mit dem wunderschönen Namen Mauritius, wo wir von den Inselbewohnern sehr freundlich empfangen wurden. Sie brachten uns Melonen, Bananen, Säfte, frisch gegrillten Fisch und saftiges Fleisch und wir blieben hier bei den freundlichen Leuten solange, bis wir alle mindestens 10 Kilo an Gewicht zugenommen hatten. Dann ging für uns die Reise weiter - ins nächste Abenteuer!" beendete der Klabautermann seine Erzählung über die Begegnung mit dem fliegenden Schiff.
"Das war ja eine interessante Geschichte!" bemerkte ich und fragte den Klabautermann gleich weiter "Hast du denn im Sturm keine Angst gehabt?".
"Doch...., oh doch ja, ein wenig schon, aber in meinem Leben habe ich schon viele Stürme erlebt, auf verschiedenen Schiffen. Von manchem Sturm wissen selbst die Möwen noch ein Lied zu singen." da drehte der Klabautermann sich dreimal um seine eigene Achse ganz schnell um
- wusch-wusch-wusch -
und hielt, als er wieder vor mir stand, ein Akkordeon in der Hand, womit er das Gedicht, welches er nun aufsagte, musikalisch begleitete.
Sturm
Die Vöglein am Kai sangen,
das Hohelied vom "bösen Sturm",
wo mancher Seemann hat gehangen,
hinunter von seinem Aussichtsturm.
Im rauhen Wind hörte man wirre Stimmen,
inmitten des Orkans tobenden Klang,
man hörte es von überall her klingen und singen
und wie einer mit dem Tode rang.
Und als es wieder still wurde,
denn langsam flaute der Orkan wieder ab,
der Kapitän, dieser lausige Kurde,
brachte die ganze Mannschaft nun auf Trab.
Doch spürte der Seemann nun wilde Gelüste,
nach Weib, Gesang und Rum,
wollte feiern in der Wasserwüste,
denn er weiß, das Leben ist oftmals ganz schnell um.
Nach diesem bemerkenswerten Gedicht legte der Klabautermann sein wohlklingendes Schiffersklavier zur Seite und begann sein nächstes Abenteuer zu erzählen, über die Rückkehr zur Piratenbucht.
"Eines Tages machten wir uns dann auf, mit einer kleinen Bark die uns die Insulaner schenkten, unsere Crew zu suchen. Wir segelten zum Piratenstützpunkt nach St-Pierre zur Insel Dina Arabica. Zu unserer Überraschung sahen wir dort die Quedah Merchant, die wir ja zuvor im Sturm, vor der Begegnung mit dem "Fliegenden Holländer", verlassen hatten, um uns zu retten, als sie kurz vor einem Felsen war und an welchen sie im tobenden Meer hätte zerschellen müssen. Doch da lag sie nun vor uns. Kein Splitter an ihr fehlte.
Wie wir später erfuhren, segelte das Schiff nur haarscharf am Felsen vorbei und die Mannschaft hatte alle Hände voll zu tun das Schiff nicht untergehen zu lassen, während wir damals mit unserer kleinen Schaluppe weit ins Meer hinausgetrieben wurden.
Doch jetzt liefen wir in den Hafen ein und uns war gar nicht wohl dabei die restliche Mannschaft nun wiederzusehen, hatten wir sie doch im Moment der Gefahr im Stich gelassen, um unser eigenes Leben zu retten, welches uns jetzt so jämmerlich und gering vorkam, da wir nun nichts mehr hatten außer unserem nackten Leben, wenn nicht... ja, wenn ich nicht eine goldene Idee gehabt hätte.
Es sollte uns die Quedah Merchant zurückbringen, mitsamt einer neuen Mannschaft. "
Hier machte der Klabautermann eine kurze Pause, ging langsam, ja bedächtigen Schrittes, auf und ab, seinen Kopf tief nach unten gebeugt und ich hörte erst mal nichts weiter als ein unverständliches Gemurmel, welches aus seinem buschigen Bart zu kommen schien.
"Was ist denn?" fragte ich, "Weißt du nicht mehr weiter?"
"Doch, doch, weiter weiß ich schon, doch fällt es mir schwer, hier nun die richtigen Worte zu finden. Weißt du, viele Menschen sind Spieler. Es ist wie eine Sucht, eine Krankheit. Kein Spiel können diese Leute auslassen, selbst wenn sie Haus und Hof verspielen und ihre Familien nun deswegen kein Dach mehr über den Kopf haben. Das wußte ich und das wollte ich ausnutzen."
"Das ist aber kein feiner Zug von dir, daß du so etwas auszunutzen weißt." gab ich mein Urteil dazu ab.
"Ach weißt du, in einer Notlage macht man noch viel mehr, was man als guter Mensch sonst nie machen würde." widersprach er erfahrungsvoll meinem Urteil. "Aber die Geschichte geht ja noch weiter. Höre gut zu!" forderte er mich auf.
"So stiegen wir am Hafen aus unserem Boot aus und steuerten die erste Spelunke an. Durst hatten wir schließlich nach einer langen Reise genügend. Als wir eintraten, war die Spelunke schon gut besucht, alle waren recht beschäftigt mit Trinken, Kartenspielen und Unterhaltungen, doch als wir eintraten, hörte alles abrupt auf, keiner bewegte sich mehr. Ungläubig schauten uns ein paar Dutzend Augenpaare an.
"Das gibt`s doch nicht!" rief da auf einmal aus der Menge der versammelten Piraten Einauge, ein erfahrener Seemann aus unserer alten Mannschaft, "Das ist doch Captain Kidd und Smutje Knurrhahn. Und da ist ja auch der Steuermann Black Jack! Aye verdammt und zugenäht, wenn ich euch selbst jetzt nicht sehen würde, ich würde glauben, euch hätte damals beim Sturm der Seeteufel geholt. Ihr wart nämlich auf einmal verschwunden. Wie vom Holzboden verschluckt."
"Wir wurden von einem Kaventsmann von Bord gespült." log ich nun, um mich elegant aus der unangenehmen Affäre zu ziehen.
"So, so, seltsam das auch die Schaluppe damals so plötzlich verschwunden war. Habt ihr die vielleicht zufällig gesehen?"
"Die Schaluppe...? Ach.... die Schaluppe! Ja, die hat uns damals das Leben gerettet. Während wir vom Schiff weit weggetrieben wurden, war plötzlich die Schaluppe da und wir konnten uns dort hineinretten."
"So, so, da habt ihr aber wirklich Glück gehabt. Und was wollt ihr jetzt hier im schönen St-Pierre? Ihr wollt doch nicht etwa die Quedah Merchant wiederhaben?"
"Doch, doch, das wollen wir. Schließlich bin ich der Kapitän dieses Schiffes und ich will wieder die gesamte Mannschaft zusammenhaben und auf Fahrt gehen."
Da brach in der Spelunke ein schallendes und hämisches Gelächter aus, von all den versammelten Piraten.
"Ihr und ein Kapitän!?! Ihr wart mal ein Kapitän! Hier würde euch niemand mehr auf ein Schiff lassen, noch nicht mal als Schiffsjunge!"
"Jawohl, noch nicht mal als Schiffsjunge!" tönte es von den Umherstehenden her, wie ein Chantychor.
Da waren wir nun in einer verzwickten Lage, aus der es sehr schwer war wieder herauszukommen.
"Dürfen wir denn uns zu euch setzen und mit euch einen trinken?"
"Einen trinken wollt ihr mit uns?! Nun gut, das sei euch gewährt. Wir sind ja keine Unmenschen. Also kommt und setzt euch zu uns hin. - Wirt, bring` uns Wein!"
Und als der Wirt den Wein gebracht hatte, fragte ich, ob wir nicht die Rechnung auswürfeln könnten. Wer die niedrigste Punktzahl würfelt, der zahlt.
Und das taten wir dann auch - würfeln.
Die ersten Runden verloren wir, und wir zahlten gebührend, doch dann kam das Glück auf unsere Seite. Und als wir nach ein paar verlorenen und gewonnenen Runden schon alle recht angeheitert waren, schlug ich so nebenbei vor, um die Quedah Merchant zu spielen. Augenblicklich wurde es ruhig im Lokal und man legt uns nahe lieber zu gehen, als solch` verrückte Ideen auszusprechen. Und was wir denn überhaupt schon dagegen setzen könnten?.
"Dagegensetzen werde ich, so wahr ich Captain William Kidd heiße, eine doppelte Lokalrunde. Jeder kann trinken was er will, sollte ich verlieren. Und sollte ich gewinnen, bekommt jeder der wieder bei mir anheuert, den doppelten als den üblichen Anteil an der Beute, auf unserer ersten und zweiten Fahrt. Ihr hört, den doppelten Anteil!"
Eine Weile war es nun sehr unruhig im Lokal, denn die Piraten berieten sich, und dann wurde es auf einmal wieder still, dann war es soweit, wir sollten spielen dürfen - und das taten wir dann auch.
Spannung lag im Raum, als unser Gegner seine drei Würfel über den alten Holztisch tanzen ließ. Sieben! Die drei Würfel zeigten nur sieben Punkte an. Da war es nun wirklich schwer darunter zu bleiben. Konnten wir die Punktzahl unterbieten? Lange schüttelte ich den Knobelbecher, dabei schaute ich Knurrhahn und Black Jack tief in die Augen, welche mich wiederum erwartungsvoll anblickten, mucksmäuschenstill war es um uns herum, da polterten auch schon, ohne jede Vorwarnung, meine drei Würfel über den Tisch. Fünf! Alle Punkte zusammen - ihr glaubt es kaum - fünf! Die Quedah Merchant war wieder meine und ich war wieder Kapitän. Verdammt und verteufelt noch mal, war das eine Freude!
Und den doppelten Anteil an der Beute auf den beiden ersten Fahrten wollte sich auch niemand entgehen lassen, so hatte ich schon bald wieder eine vollkommen komplette Mannschaft an Bord und wir konnten alsbald darauf in See stechen.
Wir nahmen Kurs auf Madagaskar!
Doch weit sollten wir vorerst einmal nicht kommen, denn es wurde auf dem Meere, wo wir uns befanden, windstill. Unter sengender Hitze lagen wir nun mit der Quedah Merchant im Indischen Ozean, wo sich kein Lüftchen bewegte. Die Mannschaft lungerte mißmutig auf dem Deck herum. Jede Bewegung war eine Anstrengung, und jede Anstrengung war eine zuviel in dieser Hitze. Jeder träumte mittlerweile davon, wieder an Land sein zu können, in einer Taverne Wein zu trinken, zu spielen oder eine hübsche Frau lieben zu können. Ja jeder, selbst der Kapitän, träumte vom Landgang." da drehte sich plötzlich der Klabautermann dreimal um seine Achse ganz schnell um
- wusch-wusch-wusch -
und ich hörte das Geknarre eines in der sengenden Hitze liegenden Schiffes, mit den stöhnenden und sich quälenden Stimmen der Seeleute und wie einer von ihnen den anderen ein Gedicht von einem Landgang vortrug.
Landgang
In einer kleinen Hafenbar,
in einer verrauchten Spelunke am Kai,
dort wo schon jeder altgediente Matrose war,
hing immer über dem Eingang ein ausgestopfter Hai.
Keine Seemänner sich hier zierten,
wenn die Damen des Gewerbes sich nicht genierten,
dann gab`s Liebe pur und Rum,
das hält schließlich selbst `nen alten Seebären noch jung.
Auf den Tischen lagen oft Karten und Geld,
weil so mancher Matrose viel vom Glücksspiel hält,
verspielte er aber hier seine ganze Heuer,
dann brannte daraufhin in seiner Seele ein loderndes Feuer.
Und vor der Hafenkneipe-Laterne,
stand schon mal ein Matrose und sein Lieb,
über ihnen am Himmel die Sterne,
erscholl ihnen aus dem Meere ein Liebeslied.
Im Nebel hörte man dann und wann eines Schiffes leisen Klang,
das Leuchtfeuer seine Strahlen aufs Meer führte,
im Rauschen des Wassers vernahm man dabei den Meerjungferngesang,
dort wo Odysseus so lange Zeit umherirrte.
So gehet hin ihr Matrosen und feiert,
der Landgang soll euer Leben sein,
auf dem Land gibt`s noch immer des nachts Weib und Wein,
doch auf dem Meer dagegen weiterhin nur Mondesschein.
Nach diesem Vortrag verschwand die Geräuschkulisse wieder und Captain William Kidd erzählte weiter:
"Es vergingen noch ein paar Tage so, da zog ein Wind von Süden her auf. Selbst die ansonsten faulsten Seeleute kamen nun in Bewegung. Der Steuermann Black Jack rief: "Alles auf, setzt die Segel! Los, los, nicht so müde! Hinauf mit euch auf die Rahen und Segel los!" und während die Matrosen an den Tauen zogen und im Gleichklang: "Ho up - ho up - ho up! " riefen, kommandierte der Steuermann auch schon weiter: "Laßt die Rahsegel fallen. Und ihr da unten, holt die Schoten. Los Geien und Gordings, aber schnell! - Heißt das Segel!"
"Nachdem die Geitaue und Gordinge gelockert waren und die schwere Rah samt ihren Segel nach oben gezogen wurde, blies der Wind schon kräftig in den Stoff hinein, so daß die oben auf der Rah stehenden Matrosen alle Mühe hatten, nicht auf Deck herunter zu fallen. Nachdem so nach und nach alle Segel gesetzt waren, nahm das Schiff nun auch schon reichlich Fahrt an.
Nach zwei Tagen erreichten wir die Küste von Madagaskar. Der Zufall wollte es, daß an uns ein reich beladenes Handelsschiff vorbeisegelte, welches wir noch am selbigen Tag um ihre wertvolle Fracht erleichtern konnten. Da war die Stimmung wieder gut an Bord und wir segelten weiter bis zum Piratenstützpunkt Ste. Marie, wo es endlich den ersehnten Landgang gab.
Von hier aus sollte es einige Tage später zurück in die Heimat gehen. Dazu mußten wir uns eine neue Mannschaft aussuchen. Nicht jeder war gewillt, den Indischen Ozean zu verlassen. Und auch nicht allzuviele wollten New York sehen. So kam nur eine kleinere Mannschaft mit, als wir im November 1698 die Bucht von Ste. Marie mit der Quedah Merchant wieder verließen.
Wir segelten um das Kap der Guten Hoffnung, hinein in den Atlantik. Dabei blieben wir die nächste Zeit immer in Sichtweite des westafrikanischen Festlandes und segelten nach Norden weiter bis zum Kapverdischen Meer.
Auf unserer Heimreise machten wir eine Pause auf den Kapverdischen Inseln, um unser Schiff gründlich zu überholen. Während die Crew nun zimmerte und hämmerte, was sich bis in den späten Abend hinzog, zog ich mich vor Sonnenuntergang von der Crew zurück und machte einen ausgedehnten Spaziergang am Strand, um über Gott und die Welt, sowie über mich, nachzudenken. Der Wind blies von West, also von Land her aufs Meer, und ich stapfte meine Fußabdrücke tief in den Sand. Nachdenklich, traurig und ein wenig sentimental, wie ich es zuvor selten war, setzte ich mich auf einen großen Stein und schrieb ein Gedicht nieder - denn Papier, Tinte und Feder hatte ich in selbiger Absicht schon mitgenommen -, indem ich über die vielen verpaßten Gelegenheiten in meinem Leben nachdachte, ja man kann auch sagen: philosophierte." da drehte der Klabautermann sich dreimal um seine eigene Achse ganz schnell um
- wusch-wusch-wusch -
und ich hörte leise das plätschern des Wassers an einem Sandstrand, sogar wie die Vögel zwitscherten und flatterten, selbst wie Heuschrecken zirpten, auch spürte ich wie der Wind wehte und mir dabei sanft durchs Haar strich, wobei in diesem Ambiente der Klabautermann eine traurige Mine aufsetzte und ein schönes sowie sinniges Gedicht von sich hören ließ.
Verpaßte Chance
Deine Lebenszeit die verrinnt,
so wie Sand versprüht im Wind.
Von der Luft getragen
geht sie hinaus und verstreut sich -
weit übers Meer;
gewogen von den Wellen
schaukelt sie nun daher.
Hab` also gut acht,
was mit deiner Lebenszeit du machst,
sie ist wie ein Schiff am Kai;
wie eine Liebe wartet sie dort auf dich,
doch irgendwann ist es vorbei -
mit der langen Warterei.
Dann geht sie wieder auf große Fahrt,
hinaus aufs ferne Meer,
du siehst zuletzt nur ihr hinterher -
und dabei dem Sonnenuntergang vor der Nacht,
indem Mond und Sterne dich bald bewacht,
dann, ja dann, blutet deine Seele sehr,
denn zu oft im Leben
rennt man seiner verpaßten Chance hinterher.
Dann bleiben dir an ihr nur noch die Gedanken und Träume,
welche zart sind wie Meeresschäume,
und verstohlen blickst du auf die Abdrücke deiner,
welche stecken jetzt noch tief im Sand,
und irgendein Kind
versprüht bald diesen Sand im Wind -
dann siehst du, wie schnell deine Lebenszeit verrinnt
und dein Lebenslicht nun ungesehen im Abendlicht verglimmt!
Beeindruckt von dem tiefsinnigen und romantischen Gedicht, das sehr gefühlvoll vorgetragen wurde (welches ich nicht von einem Klabautermann erwartet hatte), fiel es mir schwer, auch nur ein einziges Wort hervorzubringen. Also räusperte ich mich erst einmal verlegen und formte dann meinen Mund zu einem tiefen "g", um das Wort "gut" mit einem anschwellenden Unterton hervorzubringen, während ungeduldig der Klabauterfreak auf seinen Applaus wartete. Er kam dann auch von mir, mit einiger Verzögerung, aber das Wort "gut " kam dann doch nicht über meine Lippen, war es dem Vorgetragenen doch nicht angemessen, denn es war mehr als "gut"; aber "sehr gut" konnte ich nun auch nicht sagen, das wiederum war eine Klassifikation, die auch nicht zutraf - hier mußte wohl ein neues Wort, ein neuer Wert, geschaffen werden, um meine Empfindungen ausdrücken zu können. Da mir aber nichts passendes einfiel, blieb ich also stumm und klatschte nur einfach so vor mir daher. Es schien, als wäre mein neuer Freund mit dieser Geste auch einverstanden und zufrieden. Inzwischen verschwand das Meeresrauschen, die Stimmen der Tiere sowie der sanfte Wind wieder und Captain William Kidd erzählte mir mit trauriger Stimme weiter, wie die lange Reise nun zu Ende ging.
"Wir waren nach nur zwei Tagen mit dem überholen des Schiffes fertig gewesen. Eine seltsame Stimmung hatte die Mannschaft inzwischen erfaßt. Zumindest glaubte ich dies, eigentlich war ich doch nur derjenige gewesen, der so sehr in Besitz dieser eigentümlichen Gemütsverfassung gewesen war, welche so unheimlich nach Heimweh schmeckte und eine Endzeitstimmung mit sich führte. Immer öfters fiel mir auf, daß ich an meine Frau und an meine Kinder dachte, an mein Geschäft in New York, an meine Freunde dort und auch - aber sehr unglücklich - an die Herren Sir John Somers, an den Herzog von Shrewsbury, an den Graf Romney und natürlich auch an den Gouverneur von New York, seine Exzellenz Earl of Bellamont.
Eigentlich froh darüber bald die Reise zu Ende gebracht zu haben, bedrückte mich nun ein ungutes Gefühl, das ich nicht genauer erklären konnte, aber je näher der Tag kam, wo ich meine Frau, meine Kinder und all die anderen Leute wieder sehen konnte, um so stärker wurde dieses Gefühl und es war ein wenig mit Angst vermischt. Angst durfte ich aber als Kapitän eines Schiffes niemanden eingestehen, eigentlich mir selbst ja auch nicht und so versuchte ich diese Angst zu verdrängen und suchte Trost in meiner Kajüte mit einem bißchen Rum. Und sobald der Rum ein wenig zu wirken begann, wurde ich - nicht wie ich es wollte - fröhlicher, sondern noch depressiver, und wenn ich mich dann zum schlafen in meine Koje niedergelegt hatte, erinnerte ich mich immer wieder an ein altes Seemannslied, welches wundervoll die Sehnsucht der Daheimgebliebenen an die Seeleute widerspiegelte." da drehte der Klabautermann sich ohne jede Vorwarnung dreimal um seine eigene Achse um
- wusch-wusch-wusch -
und ich hörte in der Kajüte plötzlich klagende Laute von all den Menschen die so einen Seemann vermissen könnten. Einer von ihnen spielte auf einem Schiffersklavier eine wehmütige Melodie und ein älterer Mann sang den Haupttext dieses Liedes vor, während alle anderen im Chor den Refrain sangen.
Zurück in die Heimat, Seemann
Lange warst du fort
von der Heimat,
warst in einem fernen Land.
Chor: Geh` zurück in die Heimat,
segele nach Haus` !
Auf - zurück in die Heimat!
Seemann - los, geh` nach Haus` !
Auf fremden Meeren bist du gefahren
und das schon seit vielen Jahren,
Junge, wann kommst du endlich nach Haus` ?
Chor: Geh` zurück in die Heimat,
segele nach Haus` !
Auf - zurück in die Heimat!
Seemann - los, geh` nach Haus` !
Hier wartet Mudder und Vader auf dich
und deine Marie dazu,
komm` nach Haus`, ja komm` fahre zu!
Chor: Geh` zurück in die Heimat,
segele nach Haus` !
Auf - zurück in die Heimat!
Seemann - los, geh` nach Haus` !
Wir stehen schon an der Küste,
suchend schauen wir auf`s Meer hinaus,
um dich zu erblicken, kommst du heut` nach Haus` .
Chor: Geh` zurück in die Heimat,
segele nach Haus` !
Auf - zurück in die Heimat!
Seemann - los, geh` nach Haus` !
In die Arme wollen wir dich nehmen,
deine Mudder und dein Vader, mein Kind,
komm` und schließe uns in die Arme, damit wir wieder glücklich sind.
Chor: Geh` zurück in die Heimat,
segele nach Haus` !
Auf - zurück in die Heimat!
Seemann - los, geh` nach Haus` !
Komme zurück in die Heimat, mein Sohn,
kehr` heim - zu Vader und Mudder ins Haus,
solange wir noch leben, später sonst ist es damit aus.
Chor: Geh` zurück in die Heimat,
segele nach Haus` !
Auf - zurück in die Heimat!
Seemann - los, geh` nach Haus` !
Nach dem Seemannslied wurde es zwar wieder einen kurzen Augenblick still in der Kajüte, bis der Klabautermann wieder weiter erzählte, aber diese eigentümliche Stimmung, die dieses Lied hervorbrachte und die damals auch dem Captain William Kidd befallen haben mußte, blieb zurück und erfaßte nun auch mich.
"Wir segelten in den nächsten Wochen so manchen Stützpunkt an, wie auch Anfang April 1699 die Leeward-Inseln, aber überall mußten wir feststellen, daß ein Steckbrief auf meinen Kopf ausgestellt war, welcher Befehl gab, mich und meine Crew sofort zu verhaften, wenn man unserer nur habhaft werden konnte. Nirgends konnten wir also lange bleiben, so segelten wir auch immer wieder gleich weiter. Als wir in die Mona-Passage vor der Südostküste von Hispaniola (heute Haiti) hineinsegelten, wollte es wohl der Zufall so, daß eine kleine Handelsschaluppe unseren Weg kreuzte. Wir hielten die Schaluppe an, indem wir ihr einen Kanonenschuß vor den Bug setzten und überzeugten dann anschließend den Kapitän des Schiffes, uns das Schiff zu einem fairen Preis zu verkaufen oder anderenfalls es bald als versenkt zu wissen. Gerne nahm der Kapitän jetzt natürlich das Geld an, betrachtete er es nun geradezu als ein Geschenk, wurde er ja auch mit 3.000 Stück von Achten wahrhaft fürstlich entlohnt, doch meine eigentliche Rechnung ging nicht so ganz auf, wollte ich doch nicht nur alle Schätze auf dieses kleine Schiff, mit dem hübschen Namen Antonio, umladen, sondern auch meine ganze Crew mitnehmen. Doch diese weigerte sich. Nur wenige - ganze zwölf Mann - wollten mit mir weiter segeln, bis nach New York. Die restliche Mannschaft blieb zusammen mit der Mannschaft der Antonio, samt ihres Kapitäns, auf der Quedah Merchant zurück. Sie alle wollten vom Piratentum nichts mehr wissen, hatten die meisten von ihnen hier auch nur noch den Galgen zu erwarten. Ich aber, mit meiner Zwölf-Mann-Besatzung, segelte unerschrocken mit ihnen weiter Richtung New York, wo wir im Juni des Jahres 1699 die Oster Bay erreichten. Wenige Tage später vergruben wie die Schätze auf Gardiner`s Island.
Was dann passierte, kleiner Fritz, habe ich dir ja bereits schon erzählt." beendete der Klabautermann seine Schilderung über das Ende seiner langen und gefahrvollen Reise.
"Ja wirklich, daß hast du mir schon erzählt." bestätigte ich es ihm, "Aber nach so vielen Abenteuern und einem so schrecklichen Ende, wie du es erleben mußtest, war es sicherlich nicht leicht, als Klabautermann weiterleben zu müssen, oder?"
"Nein, das war es wirklich nicht. Oft habe ich mir gewünscht, ein ganz normaler Sterblicher zu sein, denn das Leben als Klabautermann ist ein hartes Los und man ist oft sehr einsam."
"Hast du denn überhaupt keine Freunde, die dich mal besuchen kommen? " fragte ich ihn daraufhin.
"Nein, Freunde habe ich hier nicht, obwohl es ja noch mehr Klabautermänner auf dieser Welt gibt. Und je mehr Schiffe auf den Weltmeeren fahren, um so größer wird auch die Anzahl der benötigten Klabautermänner, um diese schwimmenden Inseln und ihre dort darauf arbeitenden Menschen schützen zu können. Doch man sieht sich nur selten. Jeder ist mit sich selbst genug beschäftigt. Nur hin und wieder, wenn die Vereinigung der Klabautermänner zur Jahresversammlung lädt, dann treffen sich alle, wo jeder viel zu erzählen hat und es wird immer ein ganz großes Fest daraus gemacht."
"Mann, davon mußt du mir aber auch etwas erzählen!" forderte ich Captain William Kidd auf und der Klabautermann erzählt mir sogar gerne und voller Stolz die Geschichte über das letzte Klabautermanntreffen auf der Cutty Sark.
"Da war ich schon eine Weile Klabautermann auf der Passat, da hatten alle Klabautermänner, die die sieben Weltmeere befuhren, zu einer "Jahresversammlung" auf die Cutty Sark, welche in dieser Zeit im Londoner Hafen lag, geladen. Die "Jahresversammlung der Klabautermänner" findet nach Menschenzeitrechnung jedoch nur alle 100 Jahre statt."
"Nur alle hundert Jahre? Mann, da mußtet ihr aber immer lange warten, bis ihr euch wiedergetroffen habt. " bedauerte ich den Captain William Kidd und die anderen Klabautermänner.
"Ja, ja, da vergeht viel Zeit zwischen den einzelnen Festen und die letzte liegt schon mehr als fünfzig Jahre zurück. Zu jener Zeit waren sehr viele Klabautermänner aus England und Schottland (wie ich) zugegen, daneben Spanier, Franzosen, auch waren Schweden dabei. Ja, war das ein Getöse auf unserem Hauptschiff, der Cutty Sark, ein Stimmengewirr, ein Gebrabbel und Gesabbel, weil alle sich so viel zu erzählen hatten und der Rum tat hier sein übriges. Es wurde gepoltert und auf Holz geklopft, gelacht und getanzt, gegessen und getrunken und als alle schon ordentlich beschwipst waren, sangen sie schließlich noch zusammen das Klabautermannlied. Die Engländer machten dabei den Chor und sangen als Refrain immer: "Hey Ho and Ho Ho Hey". Ich sang an dem Abend den Haupttext vor. Es sollte mir als übelster Piratenkapitän (der ich ja eigentlich doch nie gewesen bin) eine Ehre sein, den heutigen Vorsänger hier abzugeben."
Da drehte sich der Klabautermann dreimal ganz schnell um seine eigene Achse um
- wusch-wusch-wusch -
und hinter ihm sah ich ganz schemenhaft - wie in einem Nebel gelegen - den Piratenchor der Klabautermänner auf der Cutty Sark. Captain William Kidd legte sofort, und nicht ganz ohne Stolz, mit seinem Gesang los.
Das Klabautermannlied
Captain Kidd:
"Hey Ho - ich bin der Klabautermann
und stecke mir
gerne mal eine Zigarre an."
Chor der englischen Klabautermänner:
"Hey Ho and Ho Ho Hey".
Captain Kidd:
"Hey Ho - du armer Wicht,
von deinem Kapitän
kriegst du die Heuer nicht"
Chor der englischen Klabautermänner:
"Hey Ho and Ho Ho Hey".
Captain Kidd:
"Hey Ho - ich bin der Klabautermann,
der Rum der hat`s mir immer schon
sehr angetan."
Chor der englischen Klabautermänner:
"Hey Ho and Ho Ho Hey".
Captain Kidd:
"Hey Ho - hat das Schiff ein Leck,
so klopfe ich,
bis der Zimmermann es deckt."
Chor der englischen Klabautermänner:
"Hey Ho and Ho Ho Hey".
Captain Kidd:
"Hey Ho - Mast und Schotbruch dort,
dem Matrosen läuft
seine Liebe fort. "
Chor der englischen Klabautermänner:
"Hey Ho and Ho Ho Hey".
Captain Kidd:
"Hey Ho - `ne Truhe voll Geld,
hab` ich oben
auf dem Mastkorb gestellt."
Chor der englischen Klabautermänner:
"Hey Ho and Ho Ho Hey"
Captain Kidd:
"Hey Ho - gib nur acht das du mich nicht siehst,
denn dann bald kein Wasser mehr
unter deines Schiffes Kiel mehr fließt."
Chor der englischen Klabautermänner:
"Hey Ho and Ho Ho Hey".
Captain Kidd:
"Hey Ho - ich bin der Klabautermann
und zeige dir rechtzeitig
den Schiffsuntergang an."
Chor der englischen Klabautermänner:
"Hey Ho and Ho Ho Hey".
Captain Kidd:
"Hey ho - hey ho- Hey ho."
Chor der englischen Klabautermänner:
"Hey Ho - Hey Ho - Hey Hooooo.......".
Nach dem Chanty verschwand im Hintergrund der Piratenchor der Klabautermänner wieder und es wurde einen Augenblick still in der Kajüte.
"Dann gab es einen Wettbewerb," erzählte Captain William Kidd nach kurzer Pause weiter "indem die Klabautermänner ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen mußten. Jeder Freiwillige, der an dem Wettbewerb teilnehmen wollte, hatte ein Loch abzudichten. Mit einer Axt schlug der Klabautermannvorsitzende ein Loch in die Wand der Cutty Sark, woraufhin auch gleich Wasser eindrang. Und dann ging es auch schon los, das Gehämmere und Gezimmere. Unter Gejohle, Gelächter und Hurra-Rufen schaffte es der erste Klabautermann in Windeseile, das Loch zu schließen. Während die nächsten an der Reihe waren - jedesmal wurde dazu mit der Axt ein Loch in die Außenwand geschlagen -, fing auch schon bereits der nächste Wettkampf an, ohne das bereits der erste Wettkampf beendet gewesen wäre. Hier waren die Stärksten und Wendigsten der Klabautermänner gefragt, denn es galt schwere Kisten die aufeinandergestapelt waren, von der einen Seite auf die andere Seite des Schiffes umzuladen. Der schnellste sollte der Gewinner sein. War das ein Durcheinander! Während die zuschauenden Klabautermänner ein Höllenlärm mit Pfiffen, Gesang und Zwischenrufen machten, polterten die ersten Kisten schon durch den Raum, vorbei an den zimmernden Klabautermännern, die alle Hände voll zu tun hatten, ihre Löcher abzudichten. Inzwischen war der ganze Fußboden schon voll Wasser, so daß jeder Schritt den einer hier machte, ein lautes Geplatsche hervorrief. Und bei jeder Gelegenheit prosteten sich die Klabautermänner zu, die daraufhin einen großen Schluck Guiness-Bier aus ihren Gläsern nahmen. Da begann dann mittendrin der dritte Wettbewerb. Wer am besten nach irischer Volksmusik tanzen kann, so jedenfalls war das Wettbewerbsmotto. Und da ging dann nun endgültig die Post ab. Da ergriff dann der eine Klabautermann seinen nächsten Nachbarn, zerrte ihn auf die Tanzfläche und fegte mit ihm so übers Parkett, daß es eine Freude war ihnen zuzusehen. Einige Klabautermänner mit irischen Dudelsäcken, heizten ihre Leute ganz schön dabei ein. Da flogen die Beine nur so hoch im Saal und überall war Gelächter und Geschrei. Es wurde mittlerweile an Bord jetzt nur noch getanzt, gelacht, gehämmert gepoltert und gesungen, bis auch der letzte Klabautermann es nicht mehr auf seinem Hocker aushielt und kräftig mitmischte. So ging das bis weit nach Mitternacht.
Ach ja, bevor ich es vergesse, die Gewinner der Wettkämpfe bekamen alle ein kleines Fäßchen mit bestem shottischen Highland-Wiskey. Da waren sie sehr zufrieden mit. Klabautermänner sind eben auch sehr bescheiden. "
So sich zum Schluß mit der Bescheidenheit eines Klabautermannes rühmend, beendete Captain William Kidd seine Erzählung über das Klabautermanntreffen auf der Cutty Sark.
"Auf so einem Klabautermanntreffen möchte ich auch mal dabei sein." gab ich dem Klabautermann zu verstehen.
"Dann müßtest du aber selber schon ein Klabautermann werden. Bleibe aber besser wie du bist, denn ein Honigschlecken ist das nicht...."
Weiter kam der Klabautermann nicht. Im Gang hörten wir meine Mutter meinen Namen rufen: "Fritz, bist du hier? Fritz! So melde dich doch. Fri..itz!!!"
"Oh, ich muß jetzt gehen." und ohne noch weiter an den Klabautermann zu denken, sprang ich von meinem Platz hoch und rannte zur Tür.
"Halt! Stop!" rief er mir zu "Sag` dem Klabautermann: "Auf Wiedersehen"!"
"Auf Wiedersehen, Klabautermann! Danke für die netten Geschichten. Ich werde bestimmt einmal wiederkommen und dann kannst du mir noch mehr Geschichten aus deinem Leben erzählen. Tschüß!"
Schnell machte ich die Kajütentüre auf und rief in den Gang hinein: "Hier Mutti, hier bin ich! Hier!"
"Ja Fritz, wo treibst du dich denn `rum, wir suchen dich schon auf dem ganzen Schiff. Du machst uns aber Sorgen." sagte sie mir vorwurfsvoll, aber mit großer Erleichterung mich endlich gefunden zu haben.
"Aber Mama, um mich brauchst du dir doch keine Sorgen zu machen. Ich hatte mich hier unten nur ein wenig ausgeruht, weil das alles für mich so langweilig war, da bin ich dann ein wenig eingenickt und habe halt ein paar Minuten geschlafen." schwindelte ich meiner Mutter nun vor.
"Dann mal los, wir sind schon die letzten Gäste hier auf dem Schiff. Papa wartet schon ganz ungeduldig auf dem Deck." da nahm sie mich an die Hand, damit ich nicht wieder verloren ging, und wir stiegen schnell die Treppen nach oben aufs Deck hinauf. Papa hat auch nicht geschimpft, er sagte nur erleichtert: "Da bist du ja endlich!" und wir gingen von Bord und zum Auto. Wehmütig drehte ich mich zur Passat um, wohlwissend, das an Bord der Klabautermann jetzt wieder alleine ist. Ich glaube, er mochte mich. Bestimmt hätte er niemand anderen die Geschichten erzählt. Als wir endlich im Auto waren und zurück zum Hotel fuhren, sagte ich meinen Eltern: "Mama, Papa, ich habe auf dem Schiff den Klabautermann gesehen."
"Ja mein Junge; im Schlaf kann man so manch seltsame Dinge träumen. "
"Aber Mama, ich habe ihn wirklich gesehen."
"Ach Fritz mein Junge, wo hast du nun schon wieder so ein Hirngespinst her? Träume und Wirklichkeit muß man immer auseinanderhalten können. Und du hast nur geträumt. Es gibt keinen Klabautermann, das ist doch nur ein Märchen - einfach Seemannsgarn. Sei aber jetzt ruhig, Papa ist schon müde und muß sich beim fahren sehr konzentrieren, er kennt die Strecke ja nicht so genau."
Ich wagte nicht zu protestieren und dachte über den seltsamen Klabautermann nach. Doch bald schlief ich ein und träumte weiter von Seeungeheuern, Klabautermännern und anderen Schiffsgespenstern. Und während ich träumend durch Lübecks Straßen fuhr, sang für sich alleine der Klabautermann, irgendwo unten in einer Kajüte auf der Viermastbark Passat, ein sehnsuchtsvolles und voller Fernweh leidendes Seemannslied, wie es eigentlich nur ein junger Matrose hätte singen können, der schon zu lange an Land war und endlich wieder aufs Meer hinaus wollte, um in der Ferne sein Glück zu suchen.
Passat
Ich hab` in Lübeck ein altes Schiff gesehen,
mit vier Masten,
das war so schön,
das war wunderschön.
Die Segel waren weiß wie Schnee,
so schön,
so wunderschön.
Oh alte Passat,
wann stichst du wieder in See,
ich steh` mit`m Seesack am Kai
und habe Fernweh.
Da habe ich im Traum den Captain gesehen,
mit blauem Jackett,
das war so schön,
das war wunderschön.
Mit funkelnden Knöpfen aus Gold,
so schön,
so wunderschön.
Oh alte Passat,
wann stichst du wieder in See,
ich steh` mit`m Seesack am Kai
und habe Fernweh.
Und die Matrosen kamen im Ausgehgewand,
jeder mit seinem Deern an der Hand,
oh die waren so schön,
oh die waren wunderschön.
Zum Abschied küßten sie ihre Matrosen sehr,
so schön,
so wunderschön.
Oh alte Passat,
wann stichst du wieder in See,
ich steh` mit`m Seesack am Kai
und habe Fernweh.
Der Wind blies das Schiff auf`s ferne Meer,
und alle Segel waren gesetzt,
das war anzusehen so schön,
das war wunderschön.
Jedermann gab sein Bestes dafür her,
so ist das schön,
ja wunderschön.
Oh alte Passat,
wann stichst du wieder in See,
ich steh` mit`m Seesack am Kai
und habe Fernweh.
Da erscholl aus aller Munde ein Seemannslied,
von Liebe und Fernweh,
das war sehr schön,
das war wunderschön.
Funkelnd liegt die Passat nun auf dem weiten Meer,
so traumhaft schön,
so wunderschön.
Oh alte Passat,
immer wieder steche ich im Traum mit dir in See,
ich will nicht länger steh`n mit`m Seesack am Kai
denn ich habe Fernweh,
so fürchterlich Fernweh,
so wunderschön.
Und noch einige Lieder, die der Klabautermann so ganz für sich sang, denn so viel alleine war es ihm oft schwermütig.
Des Seemanns Lebenselexier
Ho up - ho up - ho up,
hievt hoch den Rum
und hievt das Faß,
hievt hoch den Wein
ein roter soll darunter sein,
hievt ihn schnell,
denn nach rot kommt hell,
bald schütten wir uns einen ein.
Ho up - ho up - ho up,
es bricht das Faß,
es fließt vorbei
über dem Rum der rote Wein,
so soll`s nicht sein;
oh fangt ihn auf
und bringt ihn zu uns wieder rauf,
davon schütten wir uns dann einen ein.
Ho up - ho up - ho up,
es fließt vom Rhein
manchmal Rum in die Nordsee rein,
doch diesen Schluck lassen wir an uns vorbei,
wir segeln nämlich in die Mongolei,
dort gibt es Reiswein und Strohrum
und da wir sind ja nicht dumm
schütten wir uns davon einen ein.
Ho up - ho up - ho up,
das segeln macht uns Spaß
doch ohne Rum uns das Meer nicht mag,
darum schenken wir uns manchmal einen ein,
neben Rum auch schon mal Wein,
denn dies ist des Seemanns Lebenselexier,
sonst bleibt er im Hafen steh`n am Pier,
das dies nicht geschieht, darauf schütten wir uns jetzt einen ein.
Ho up - ho up - hooo oooh uuuuuuuppp.
*
Bonny
Oh ho Bonny,
auf dem Meer reitest du auf den Wellen
und Zuhause auf einem blondgeschopften Ponny;
oh ho Bonny.
Als Seemann warst du wunderbar,
kennst Asien und ganz Afrika,
kennst Rio und Hawai,
selbst in Istanbul schautest du mal vorbei,
oh ho Bonny.
Oh ho Bonny,
auf dem Meer reitest du auf den Wellen
und Zuhause auf einem blondgeschopften Ponny;
oh ho Bonny.
Gesegelt bist du von Ost nach West,
kennst Bombay und Shanghai
und sonst auch von der Welt den Rest,
warst überall mit dabei;
oh ho Bonny.
Oh ho Bonny,
auf dem Meer reitest du auf den Wellen
und Zuhause auf einem blondgeschopften Ponny;
oh ho Bonny.
In Marokko suchtest du den Sultan,
in Tunis auf dem Basar zum würzen Safran,
in Rußland kochtest du einerlei,
doch ich war niemals mit dabei,
oh ho Bonny.
Oh ho Bonny,
auf dem Meer reitest du auf den Wellen
und Zuhause auf einem blondgeschopften Ponny;
oh ho Bonny.
Der Wind trieb dich eines Tages von uns fort,
keiner weiß seitdem wo du bist, an welchem Ort,
niemals siehst du mehr bei uns vorbei,
wir fragen uns wo du bist,
ach übrigens, dich sucht hier jetzt auch die Polizei,
oh ho Bonnyyyyyyy.
Und bis zum nächsten Tag, wo die neuen Touristen das Schiff überfluteten, hat er noch so manches Seemannslied für sich so daher gesungen. Fröhliche wie traurige Lieder, welche dabei von Liebe und Fernweh, und auch welche von Heimatglück waren zu hören. Wer in dieser Nacht in der Nähe Schiffes kam, glaubte daher sicher seinen Ohren nicht zu trauen. Er hörte Shantygesänge und viele Seemannsstimmen - als ob das ganze Schiff voller singender Seeleute wäre. So unglaublich romantisch und zart, so war die schwüle Sommernachtsluft erfüllt mit schönen Liedern.
Logbuch des Captain William Kidd
Das Logbuch wurde von der Mannschaft bei einer Meuterei im Hafen der Piratenfreibeuterstätte Ste. Marie verbrannt.
Später nach seinem Tod wurde der Weg seiner Reise von einem verräterischen Pirat seiner ehemaligen Mannschaft zu Papier gebracht und veröffentlicht, der sich damit vor dem gleichen Schicksal, und zwar aufgeknüpft an einem Galgen zu werden, bewahren wollte.
Die Reisedaten sind sicher unvollständig und so manches Abenteuer wurde hier nicht genannt, doch geben diese Daten im allgemeinen ein gutes Bild der verhängnisvollen Reise des Captain William Kidd wieder; welche heute zum großen Teil historisch belegt sind.
Reisedaten:
- Stapellauf der 287 Tonnen schweren Adventure Galley im Dezember 1695 in Deptford an der Themse mit 34 Geschützen
- Abfahrt der Adventure Galley am 1. März 1696 von London nach New York mit 150 Mann Besatzung
- Ankunft in New York im Juli 1696
- Abfahrt der mit viel Munition beladenen Adventure Galley zur Piratenjagd im September 1696
- im Dezember 1696 Vorbeifahrt an Kapstadt und Umrundung des Kap der guten Hoffnung
- auf der Insel Mehila wird die Adventue Galley kielgeholt, 50 Mann sterben an Krankheiten, insbesondere an Skorbut
- Abfahrt am 27. April 1697 zum Roten Meer
- Anker gelegt vor der Insel Perim im Juli 1697, wartend auf das erste zu plündernde Handelsschiff
- am 14. August 1697 mißlungener Überfall in Nähe der arabischen Stadt Mokka auf Handelsschiffe, darunter die schwerbewaffnete Sceptre, welche die Adventure Galley in die Flucht schlägt
- Flucht zur Malabar-Küste nach Indien
- Überfall einer kleinen wehrlosen maurischen Bark Ende August 1697
- Ende November in der Nähe von Calicut Kaperung der Maiden, ein maurisches Handelsschiff, Umbenennung der Maiden in November und Mitnahme als Prise
- Ende Dezember Überfall auf eine kleine maurische Ketsch und Kaperung eines kleinen Handelsschiffes vor der Malabar-Küste, Eigner: die East India Company
- am 30. Januar 1698 Kaperung des 500-Tonnen- Handelsschiffes Quedah Merchant, Mitnahme als Prise
- Ankunft in der Piratenfreibeuterstätte Ste. Marie auf Madagaskar am 1. April 1698, Meuterei der Mannschaft, viele Seeleute schließen sich den dortigen Piraten an
- die Adventure Galley wird versenkt, neues Hauptschiff von Captain William Kidd wird die Quedah Merchant
- Abfahrt der Quedah Merchant vom Piratenstützpunkt Ste. Marie am 15. November 1698 zur endgültigen Heimreise, nur wenige Seeräuber kommen mit Captain William Kidd mit
- Anfang April 1699 ankert die Quedah Merchant vor Anguilla (zu den Leeward-Inseln gehörend)
- in der Mona-Passage von Hispaniola (heute Haiti) Kauf der kleinen Handelsschaluppe Antonio, Aufgabe der Quedah Merchant
- Weiterfahrt mit nur noch 12 Mann Besatzung, aber allen Schätzen auf der Antonio nach Gardiner`s Island, restliche Besatzung geht eigene Wege
- im Juni 1699 Vergrabung der Schätze auf Gardiner`s Island
- im Juli 1699 Ankunft in Boston, Verhaftung, Überführung ins Stone-Gefängnis
- am 6. Februar 1700 Überführung nach London ins Newgate-Gefängnis
- Anhörung des Captain William Kidd vor dem Unterhaus im März 1701 zu seinen Verbrechen
- nach zwei Jahren Gefängnis Prozeß am 8. und 9. Mai 1701 und Verurteilung zum Tod durch den Strang, anschließend Hinrichtung in Tilbury Point (London) durch den Galgen. Später wird Captain William Kidd in einem Stahlgerüst an der Themse aufgehangen, wo er viele Jahre baumeln mußte, bis er vollkommen verwest und er aus der Erinnerung seiner Zeitgenossen ausgelöscht war.
achtern - hinterer Teil des Schiffes
Anker - schweres Eisengerät, das an einer Kette auf den Meeresgrund geworfen wird, um das Schiff auf der Stelle festzuhalten
Backbord - linke Seite des Schiffes
Bark - Segelschiff mit drei Masten
Besanmast - hinterster Mast
Bug - vorderster Teil des Schiffes
Bugspriet - starkes Rundholz am Bug
Crew - Schiffsmannschaft
Dina Arabica - Insel im Indischen Ozean, heute La Reunion genannt
entern - übersteigen auf ein feindliches Schiff, emporklettern
Fallreep - Strickleiter
Fockmast - bei einem Dreimaster der vordere Mast
Gangspill - an Deck stehende Winde zum Hieven schwerer Lasten
Heck - Hinterteil des Schiffes
heißen (heißt) - das Segel emporziehen
Heuer - Lohn
hieven - eine Last emporziehen
Kalfatern - Abdichten von Rissen zwischen den Planken
Kajüte - Schlafstätte für Seeleute
kapern - ein Handelsschiff überfallen
Kiel - Grundbalken, der über die gesamte Länge der Schiffsunterseite läuft
Koje - fest eingebautes Bett
Kombüse - Schiffsküche
Klüverbaum - Verlängerung des Bugspriets
Leck - Loch in dem Wasser eindringen kann
Lee - dem Wind abgekehrte Seite
Logbuch - Schiffstagebuch
Luke - rechteckige Öffnung die zum Laderaum führt
Luv - dem Wind zugekehrte Seite
Mast - senkrechtes Rundholz zum Anbringen der Rahen, an welcher die Segel befestigt sind
Matrose - ausgebildeter Seemann
Plateau - Hochebene
Prise - gekapertes feindliches Schiff
Poopdeck - hinteres oberes Schiffsdeck
Rah - Querstange zur Befestigung der Segel am Mast
Reling - Geländer um das Schiffsdeck
Reputation - Ansehen, Ruf, Ehre
Schaluppe - Boot mit einem Mast
Schot - Tau eines Rahsegels
Shanty - rhythmisches Arbeitslied, das die Matrosen abwechselnd singen, um im Gleichtakt und mit Schwung zu arbeiten
Skorbut - Seemannskrankheit durch Mangelerscheinungen
Smutje - Koch
Steuerbord - rechte Seite des Schiffes
Steuermann - Schiffsoffizier, der für die Navigation zuständig ist
Takelage - Taue und Segel an den Masten
Tag der Veröffentlichung: 15.05.2014
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