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Busen

 


(Kurzgeschichte über eine untergegangene Insel im nördlichen Watt)

- die (un)wahre Entstehungsgeschichte Büsums -

 

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Busen

Busen

... das ist nicht nur der örtlich begrenzte Körperteil eines wohlgeformten weiblichen Körpers. Busen, das ist eine Insel im nördlichen Watt. Anno Domini, im Jahre des Herrn.

Wir schreiben das Jahr 1362, das Jahr in dem die Insel Busen in der grooten Manndränke fast verloren ging. Der blanke Hans hatte heute hier sein zerstörerisches Tagwerk vollbracht. Es ist die graue bittere Jahreszeit, in der Stürme ihre Unwesen treiben und Krankheiten und Hunger das Volk darben lässt.

Wir beschreiten heute einen Tag im Januar, früh am Morgen des sechzehnten. Nebel liegt über dem Watt. So dicht, dass man kaum die Blitze sieht, die ein Gewitter in der Ferne so gespenstisch und grollend übers Land zu schicken wagt, dass selbst dem gütigen Herrn im Himmel dabei unbehaglich werden muss.

Der Gutsherr, mein Regent, schickte mich, Boie Harmsen, einen jungen und kräftigen Stallknecht, von Senhusen aus zu Fuß nach Busen, um dort dem ansässigen Probst eine Nachricht zu übermitteln.

Mein Gutsherr hatte schlecht geschlafen, dabei Übles geträumt und meinte, eine Vorhersage machen zu können, und diese auch verbreiten zu müssen, welche aus dem schon unwirtlichen Morgen einen noch katastrophaleren Abend werden lässt. Seine Busener Freunde sollten gewarnt werden, damit sie sich aufs Schlimmste gefasst machen können und auf ein großes Unheil vorbereitet sind. Jedoch verhindern können sie es nicht.

So musste ich mich schon recht bald auf den Weg machen, der heute eine Tagesreise zu werden versprach. Dennoch sollte ich sogleich zurückkehren. Schade, denn gerne wäre ich auch ins Gasthaus "Zur Warft" in Middelsdorp auf Busen zum Übernächtigen geblieben, wo die Gastwirtin Anje-Marie fleißig Wein ausschenkt und die ein so recht schneidiges Weib ist, dass sie mir sehr wohl gefällt. Auch mochte ich ihr sicherlich gefallen, denn sie war mir gegenüber bei meinem letzten abendlichen Besuch nicht verlegen gewesen, mich angenehme Dinge wissen und spüren zu lassen. Ja, und sie war so wohlgeformt gebaut, dass ich mich an besagtem Abend fortwährend fragte, ob man nicht die Insel nach ihr benannte. Auch das flüssige Brot, das Cerveza, sowie der holländische Genever, schmeckte mir dort in ihrer Gesellschaft besonders gut. Doch in dieser Frühe, eigentlich noch Nächtigens, konnte man an solche Annehmlichkeiten kaum denken, denn das Wetter war schon so ungeheuerlich, dass man keinen Schritt vor die Türe zu gehen wagte. Trotzdem - ich musste los, der Gutsherr befahl es mir. Er gab mir eine Urkunde - mit dem Siegel des heiligen Clemens drauf - mit, welche ich dem Probst in Busen eiligst überbringen sollte.

Bereits noch im Ort, wo so manches Bootssegeltuch im stobenden Wind und im Einklang mit deren Masten knatterte und das Schmettern einiger hölzerner Fensterluken die sonst übliche morgendliche Stille zerschlug, wurde mir eigentümlich und seltsam zumute. In mir kam langsam, ganz langsam, aber unaufhörlich, ein richtig ungemütlicher Schauer hoch, ein rieselnder leiser Schauer von Angst, wie ich es zuvor noch nie in meinem Leben gespürt hatte.

Eine Angst, wie in einem Gedicht beschrieben. ....

 


Angst

So lautlos wie meine Gedanken,
so verhallen auch meine Schritte
- unbemerkt -
in der Stille dieser Nacht.

Nur das Rascheln der Blätter lässt ahnen,
welch` barsches Schicksal
hier manch einem ist widerfahren.

Bei jedem Atemzug lässt die Kälte
Raureif in die Lüfte schlagen;
die Einsamkeit bringt mir
dämonisches Unbehagen.

Des Herzens schlagende Kraft
vermischt sich mit dem Donnern
des Gewitters,
in dieser vernebelten Nacht.

Auf den Dächern prasselt nun der Regen,
so unaufhörlich,
wie die Bäume sich bewegen.

Grelle Blitze zucken auf und nieder,
groteske Schatten
schlagen mir in die Glieder.

Und so wie die Zeit spürbar hier verrinnt,
jeder Gedanke ein Netz sich spinnt,
welches aus erlebten und erträumten
beginnt zu leben,
anfängt sich zu senken
und sich zu heben.

Mein Leben sich langsam
im Nebel verliert
und das Zeitlose
mich gänzlich ganz berührt.

Es versucht mich zu greifen
und mich zu packen
und ein kalter Schauer läuft hinunter
meinem Nacken.

Da bleibt nur noch ein gewaltiger Schluss:

Nur der Ängstliche -
vor Angst einmal sterben muss!


Doch sterben wollte ich nicht. Und schon mal gar nicht vor Angst. So ging ich Schritt für Schritt vorwärts, aber keinen einzigen zurück. Ich wagte noch nicht einmal mich umzudrehen, um auf das Dorf und den Gutshof meines Herrn zurückzublicken.

Alte Kleider hatte ich angezogen, in vielen Schichten übereinander, damit Wind und Regen mir nicht so sehr die Haut frösteln ließen. Es war bitterkalt. Gerne hätte ich jetzt ein wärmendes Pfeifchen gepafft. Doch leider hatte ich nur etwas bitter schmeckenden Kautabak mit, der schon leicht anfror, und ein paar trockene Brote als Wegzehrung.

Der Wind brauste von See übers Land und mir ins Haar. Er zerrte an meinen Gesichtszügen, entstellte sie dabei zu einer schauerlichen Maske und der Frost fror sie sogleich ein. Tief nach vorne geneigt ging ich weiter, immer dem eisigen Wind entgegen, entrinnen konnte ich ihm nicht.

Der Weg führte mich an Watt und Meer vorbei und das Wasser war heute ganz grauschwarz-grünlich und die Wellen hoch, höher als sonst, und bald mußte die Ebbe einsetzen und die Wogen zum Ablaufen zwingen. Doch die See stampfte und brüllte, sie wollte nicht zurück. Sie wollte sich lieber mit aller Gewalt dem Weltenlauf entgegenstellen, als wie üblich ruhig und friedlich zu sein. Es war geradezu so, als wollte sie heute dem Watt das Tageslicht verwehren und lieber über die Küste treten und damit ihr begrenzendes Bett über die Ufer hinaus verlassen, als sich dem Spiel der Gezeiten wie sonst zu ergeben. Das Heulen und Pfeifen des Windes ergab zusammen mit dem Toben des Meeres einen Choral des Untergangs.

So ging ich langsam, bedächtigen Schrittes, weiter. Gerne hätte ich jetzt das Siegel aufgebrochen, um in der Urkunde zu lesen, was mein Gutsherr dem Probst so Wichtiges mitzuteilen hatte, dass er mich bei diesem Unwetter hinaus schickte, um zu Fuß nach Busen zu gelangen. Zu Fuß! Sonst konnte ich immer mit Pferd und Wagen losziehen. Aber heute? Nein, ausgerechnet heute musste ich zu Fuß losziehen.

Dabei war bei dem starken Wind gar kein richtiges Fortkommen möglich. Der Wind drückte einen zurück. Man ging drei Schritte weiter, kam aber reell nur einen vor. Wann sollte ich denn so in Busen ankommen?

Zeitverloren und in Träumerei an Anje-Marie arbeitete ich mich weiter vor. Stück für Stück des Weges. Manchmal quälte mich der Gedanke, dass man nur einen Hund in solchen Zeiten aus dem Haus trieb. War ich denn ein Hund? Nein, der war ich nicht! Aber ein Stallknecht! Und der hatte seinem Regenten zu gehorchen. Immerhin hatte ich in seinem Stall eine wärmende Koje, dabei ausreichend zu essen und regelmäßig etwas Geld, welches ich sparsam beiseite legte. Aber heute kam mir so manches Mal in den Sinn, von dem Gutshof fortzugehen und woanders mein Glück zu suchen.

Bei diesem Gedanken blieb ich meist stehen, denn dieser fuhr mir geradezu wie ein Blitz in Mark und Bein. Doch sobald ich diesen Gedanken verworfen hatte, war die Anspannung vorbei und ich konnte langsam weitergehen.

So kam ich nach langer anstrengender Wanderung, durch eiskalten Regen und stürmischen Wind, nun zu der Furt, wo ich vom Land übers Watt zur Insel musste - so lange noch Ebbe war, doch das Hochwasser kam heute früher und mächtiger zurück als üblich. Der Mond trat bereits am Himmel empor, da der Tag kurz und es bereits spät geworden war. Nachdem ich schon so weit übers Watt lief, dass ich hinter mir das Ufer nicht mehr erblicken konnte, umschloss das Wasser meine geschwächten Beine, zerrte an meiner Kleidung und zog mich langsam aber sicher in einen Priel hinein und dann - durch die starke Strömung - hinaus aufs Meer. Jetzt war ich dem Unwetter ausgeliefert, erbarmungslos, und ich kämpfte nun mit aller menschlichen Macht im Sturm gegen die tobende Brandung an.

Meterhohe Wellen sausten auf mich hernieder, wie ich diese noch nie gesehen und erlebt hatte. Mein Herz verkrampfte sich durch die Kälte, meine Muskeln wurden stahlhart und fast unbeweglich, und ich war mir nicht sicher, ob ich die Kraft haben würde, zurück an Land zu kommen. Es war so gut wie hoffnungslos. Die Wogen klatschten mir ins Gesicht. Salzig, bittersalzig drang das Wasser mir in den Mund. In der Nase versperrte mir das Wasser dann auch noch den letzten Atem. Ich wusste, dass ich nun mit dem Leben abschließen musste, denn nur ein Wunder konnte mich aus dieser verzweifelten Lage noch retten. Doch Wunder waren in dieser Welt selten. Mein Leben sauste in Gedanken an mir vorbei und ich fragte mich, welch` arge Sünden ich wohl in meinem Leben getan hätte, mich nun in einer solch misslichen Lage wiederfinden zu müssen, um bald nass, zerschunden, zerschlissen und erschöpft vor dem allmächtigen Herrn im Himmel zu treten, um ihn ein getreuer Diener zu werden.

Oder waren die Busener, die so manche Seepiraterie betrieben, dabei erbarmungslos das Leben seefahrender Männer in ihrer Habgier mordeten, etwa schuld an dem Unwetter? So tobte der blanke Hannes doch nur, wenn die Menschen sich arg versündigt hatten. Ja, hier in Busen mochte der Sündenpfuhl wohl seine Sakristei haben! Hier in Busen, da hat der Teufel doch wohl sein schönstes Domizil gefunden. An diesem Unwetter sind doch wohl nur die Busener, diese verdammten Ketzer, schuld. Soll der Teufel sie doch alle holen!

Meine Kraft erlahmte und ich konnte mich gerade noch an einem Mast, welcher an mir vorbeigeschwommen kam, festhalten, der wohl von einer zuvor untergegangen Bark stammte, bevor ich, mal untergehend - mal auftauchend, langsam zu ertrinken begann. Vereinzelt schwammen nun auch Tierkadaver von Hühnern, Schweinen und Kühen an mir vorbei, vereinzelt auch schon die Leichen von bereits ertrunkenen Seeleuten und Inselbewohnern, die vom Meer fortgetrieben wurden.

Die Gicht schlug hoch, das Meer tobte und der Wind sauste und heulte und erfüllte dabei die Luft mit Donnerhall, und in tosender Fahrt brach eine Welle nach der anderen über mich ein.

Doch im Nebel tauchte plötzlich eine Büse, ein sogenannter Heringsfänger, vor mir auf, mit sechs Mann an Bord, welche ich schemenhaft durch ihr mitgeführtes Laternenlicht erkennen konnte. Es kam mir so vor, als wollten diese Fischersleut` in unmittelbarer Nähe an mir vorbeirudern und ich sah, dass die Männer darauf arg mit den Wellen zu kämpfen hatten. Ihr großes Boot schlug von den Wellen getrieben hoch, um alsbald wieder im Wellental tief und krachend in die See einzutauchen. Die Gischt schlug ihnen dabei hart ins Gesicht. Auch vermochten sie die Ruder kaum zu halten, so sehr sie diese auch mit ihren Händen umklammerten, und es war nicht auszumachen, wo sie in diesem Unwetter eigentlich hinwollten oder wem sie helfen konnten.

Noch weniger war auszumachen, ob sie mich in dieser Dunkelheit und in diesem tobenden Sturmgebraus bemerkten.

Boie Harmsen - der Stallknecht aus Senhusen, der so einsam und verlassen im Kampf mit der See ihre rettende Hand nun ersuchte und vor allem ersehnte, war jetzt nichts weiter als ein kleiner schwarzer Punkt im schwarzen Meer, umgeben von dunkler nebliger Nacht.

Konnten sie mich im Wasser doch nicht sehen, so mussten sie mich aber wenigstens hören können. So laut ich konnte und aus lauter Verzweiflung schrie ich um Hilfe und immer wieder um Hilfe und es schien so, als käme die Büse nun an mir heran und ich sah schemenhaft die Umrisse von den kräftig rudernden Fischern. Doch kurz vor mir machten sie, welch` tragische Bitternis, einfach kehrt. Die Fischer im Boot halfen mir nicht.

Ich schrie aus Leibeskräften und wie von Sinnen: "Büse kehr` um!" und nochmals so laut ich konnte: "Büse kehr` um!", doch das Fischerboot kehrte nicht um, es tauchte ein in die dunkle Nacht und verschwand. Nochmals rief ich hinterher, ohne den geringsten Funken jeglicher Hoffnung: "Büse kehr` um!", aber der Wind zerfetzte im Sturm nicht nur meine Kleidung, sondern auch meine Worte und es blieb im Winde nur noch zu hören "Büs...." und ".... um".

So einsam und verlassen im Todeskampf mit den Wellen schwor ich den heiligen Eid, wenn ich dieses Unwetter überleben sollte, so solle hier, wo ich jetzt bin, in Zukunft Land angeschwemmt werden und die Insel soll mit dem Festland auf ewig verbunden sein, damit niemand mehr übers Watt zu den Busenern laufen müsse und sich damit in Gefahr begebe. Das Ganze solle zudem umgeben sein mit einem Wall, der eines Tages so hoch werden soll, dass nie wieder ein solches Unwetter Mensch und Vieh in Not zu bringen vermag.

Ja, und die Wortfetzen meines verzweifelten Rufens, die wohl jetzt noch übers Watt hallen, sollen zur Erinnerung an diesen grausigen Tag auch in Zukunft noch an diesem Ort zu hören sein, wie gerade der tobende Wind meine Worte zerrissen und dabei das "Büs" und das "um" so geschickt und lieblich zusammengefügt hat:

"Büsum"!

So steht es geschrieben, so wird es sein. Anno Domini, 1362, im Jahre des Herrn.

Unterzeichnet
Boie Harmsen

Info

Info:

 

Am 16. Januar 1362 ereilte die gesamte Nordseeküste eine große und katastrophale Sturmflut, die schätzungsweise 200.000 Menschen das Leben gekostet hat. Die Insel Rungholt ging dabei unter und mit ihr verschwanden auch einige Warften von der Landkarte. Teile der Insel Busen wurden vernichtet. Weitere Sturmfluten trugen die Insel Busen im Laufe der Jahrhunderte immer weiter ab. Der einsetzende Deichbau mit Beginn des 14. Jahrhunderts, verband die Reste der Insel mit dem Festland. Aus dem Namen Busen wurde später Büsum. Der Deichwall, welcher letztendlich bis zu acht Meter hoch wurde, hält den blanken Hans nun zurück.

Worterklärungen

Worterklärungen:

Büse - ein Fischerboot zum Heringsfang
Bark - Segelschiff
der blanke Hans (Hannes) - Nordsee bei Sturm
grooten Manndränke - Sturmflut
Furt - seichte Stelle im Wasser, die den Übergang ermöglicht
Priel - schmaler Wasserlauf im Watt
Anno Domini - nach Christi Geburt
Choral - Kirchengesang
Probst - Vorsitzender einer Kirchengemeinde
Sakristei - Nebenraum in der Kirche für den Geistlichen
Sündenpfuhl - Stätte liederlichen Lebens
Domizil - Zuhause
Cerveza – Bier

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Tag der Veröffentlichung: 11.05.2014

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