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Ich sitze kurzatmig in der Straßenbahn.

Der Regen hat Kühlung gebracht, aber nicht in den Räumen, sie sind noch aufgeheizt - Sommer in der Stadt eben.

Die Bewegungen der Verkäuferin wie in Zeitlupe als sie mein Körnerherz einpackt.

Ich greife die Tüte, reiche das Geld - stimmt so - und renne meiner Bahn hinterher.

Danke kleiner Junge, er blockiert die Tür mit seinem Rad.

Geschafft! Die letzte Bank in der Bahn, sonst sitze ich immer vorne auf "meinem Platz".

Langsam beruhigt sich der Atem, ist mein Arbeitsbrötchen und das Portmonee wieder verstaut. Der Schweiß rinnt mir unangenehm den Rücken hinunter.

Ich sehe raus. Der Himmel ist wieder wolkenlos. Es verspricht, so heiß zu werden wie die letzten Tage.

Ich krame meine Brille und Zeitschrift raus, voller Vorfreude, mich von der Hitze abzulenken. Wieder so spannende Themen.

Als mein Blick durch die Bahn schweift. Eine ganz neue Perspektive von hier hinten.

Da fällt mir ein junger Mann auf, ein Haarschnitt wie Opa auf seinem Hochzeitsbild. Die Haare klitschnass nach hinten gekämmt, anstatt mit Wachs - mein Gott, das muss 70 Jahre her sein. Steht ihm. Mit dem Nacken, der Jacke und den Botten erinnert er mich gleichzeitig an Rammsteins Frontmann.

Ich muss lächeln.

Ihm gegenüber sitzt eine ältere, etwas füllige Frau. Wow, der Nagellack auf den Zehen passt perfekt zu den roten Haaren und der Schopper zur lässig beigen Leinenhose. Der kreisrunde Schweißrand unter den Achseln ist sogar symetrisch.

Die Tür geht auf und ein junges Mädel kommt rein in moderner Röhrenjeans und Ballerinas, die Haare keck hochgebunden. Kleine Perlen glitzern ihr auf der Oberlippe.

Mein Blick schweift interessiert zu einer Frau von hinten mit blonder Mähne. Da eine Brünette. Ein Jugendlicher, barfuß mit zerrissener Hose, Rasterlocken und großen neongelben Kopfhörern. Auch er atmet schwer, die Stirn genervt gefurcht, wippt zu einem stillen Takt.

Eine Dame steht auf in knöchellangem schwarzen Stufenrock mit Blumenmuster. Schon etwas älter mit zartroser Bluse und bestimmt ihrem Enkel an der Hand, der unwillig rumzappelt.

Wieder geht die Tür auf. Ah, ein kühler Luftzug.

Ein Mann im Anzug, ganz wichtig mit Aktentasche und Handy am Ohr. Ob ihm wohl auch so warm ist?

Und dort eine junge Frau, ganz schlicht in Top und Shorts, schiebt sie ihren Kinderwagen. Wie liebevoll sie mit dem Kleinen spricht. Eine Strähne hängt ihr ins feuchtglänzende Gesicht.

Die nächste Haltestelle bringt eine Monroe im 50er Look. Toller kräftig roter, knielanger Rock mit schwarzen Ornamenten am unteren Rand zum schwarzen Strick. Fehlt nur noch der Petticoat. Sogar die Haare passen. Das Wetter scheint ihr nichts auszumachen.

Ich packe meine Zeitschrift lächelnd wieder ein.

Die Bahn fährt in ihre letzte Haltestelle. In den Ferien ist sie meist ein bisschen schneller.

Immer noch lächelnd sitze ich auf meiner Bank ganz hinten in der Straßenbahn - was für eine herrlich bunte Welt, voll unterschiedlicher Gesichter, ein jeder mit seiner Geschichte - vereint im Schweiße des Sommers.

Und ich mitten drin...

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Tag der Veröffentlichung: 07.07.2019

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