Cover

Guide to Contents

Face Your Destiny

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Face Your Destiny

 

 

Yvonne Mitzel

 

 

Impressum

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Titel: Face Your Destiny

Autorin: Yvonne Mitzel

ISBN: 978-3-98595-896-2

© 2023 Lycrow Verlag

Alle Rechte vorbehalten.

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Verlag verantwortlich. Jede Verwendung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig.

 

Lycrow Verlag GbR

Schillerstraße 8

17266 Teterow

info@lycrowverlag.de

 

Bestellung und Vertrieb:

Nova MD GmbH, Vachendorf

 

 

 

Face

Your

Destiny

 

Yvonne Mitzel

 

Über die Autorin

Über die Autorin

 

Yvonne Mitzel wurde im Rheinland geboren, lebt aber heute mit ihrer Familie im Schwarzwald. Wenn sie nicht gerade neue Geschichten zu Papier bringt, arbeitet sie in ihrem erlernten kaufmännischen Beruf und das mit viel Freude.

In ihrer Freizeit reist, malt und fotografiert sie gerne. Auch betreibt sie mit ihrer Familie eine eigene kleine Brennerei, in der Schwarzwälder Edelbrände hergestellt werden. Hierbei sind die, je nach Jahreszeit unterschiedlichen Arbeiten auf den dazugehörigen Streuobstwiesen, ein toller Ausgleich für das Sitzen am Schreibtisch.

Der Traum vom eigenen Buch begleitet sie schon ihr ganzes Leben und Gedichte und Kurzgeschichten wurden über die Jahre viele verfasst. An einen kompletten Roman wagte sie sich dann erstmals vor drei Jahren. In ihren Fantasy-Büchern finden sich immer auch mythologische Elemente, wobei es ihr die Sagen und Legenden der nordischen Kultur besonders angetan haben.

Die Autorin schreibt aber nicht nur Fantasy-Romane, sondern hat gerade ein weiteres Buch im Genre Romance auf den Weg zur Veröffentlichung gebracht. Dieses wird im nächsten Jahr erscheinen und mehr Informationen hierzu und zur Autorin selbst, sind auf ihrer Instagram Seite: yvonne_mitzel_autorin zu finden.

Widmung

Widmung

 

 

In Liebe

für meinen Mann

und meine Kinder

 

Be brave!

 

 

 

 

 

 

 

Pain ain’t gonna stop me
I can’t taste the fear
My demons come to haunt me
But I’m already there

 

I’m feelin’ dangerous
I’m lookin’ right in the face of it
I’ve been through hell came back alive
You can tell ‘em all that I
Know what danger is
And I’m feelin’ dangerous

 

 

 

Dangerous / Welshly Arms

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Cal – 1. Nein, ich denke nicht

 

 

Cal – 1. Nein, ich denke nicht

 

 

 

 

 

Im Hörsaal der Uni ging es mal wieder zu wie in einem Ameisenhaufen. Lautes Stimmengewirr hallte durch den hohen Raum, Stuhlbeine schabten quietschend über das Parkett und ich war froh, einen Platz ganz vorne gefunden zu haben.

Bevor ich meinen Rucksack unter den Stuhl schob, kramte ich meine Notizen daraus hervor und knallte sie auf die Ablage neben mir. Seufzend wischte ich mir die dunkelblonden Haare aus der Stirn - ich musste unbedingt aufpassen bei dem heutigen Vortrag, vielleicht konnte er mir den Arsch retten. Trotzdem schob ich gerade lustlos den Papierberg vor mir hin und her, als unerwartet der leere Stuhl zu meiner Rechten wackelte. Jemand plumpste auf den freien Sitz. Das konnte nur Matt sein - wie immer zu spät.

Grinsend hob ich den Kopf, fand aber zu meinem Erstaunen nicht meinen Freund neben mir vor. Ein bulliger Typ mit Baseballkappe fläzte sich stattdessen dort herum und ein Mädchen hatte sich drohend vor ihm aufgebaut. Interessant!

„Hey, den freien Platz habe ich zuerst gesehen“, motzte sie jetzt und warf sich dabei den blonden Pferdeschwanz über die Schulter.

„Pech gehabt“, blaffte der Kerl zurück.

„Steh auf.“

„Hättest du wohl gerne.“

„Das ist jetzt nicht cool.“

„Cool ist auch nicht mein Name.“

Gespannt musterte ich die beiden und beugte mich dann zu dem Kerl hinüber. „Du hast ihr jetzt nicht ernsthaft den Platz weggenommen?“

„Steht ihr beschissener Name auf dem Stuhl, oder was?“, raunzte er mich an.

„Hör zu“, probierte ich es im Guten, „du kannst jetzt aufstehen und den Platz freimachen oder du fängst dir eine …“

„Etwa von dir?“ Er zog eine Augenbraue hoch.

„Wieso von mir? Eher von ihr.“ Ich deutete nach vorne. „Sie sieht echt wütend aus und ich wette, gleich tritt sie dir vors Schienbein.“

Das Mädchen gluckste und schaute mich jetzt direkt an. „Danke, aber ich brauche keinen Retter in der Not.“

Als unsere Blicke sich trafen, hätte es mich fast vom Stuhl gekickt. Ich sah in zwei Augen, die so blau waren, dass sie schon beinahe türkis funkelten. Himmel! Automatisch zog ich die Beine an und setzte mich gerade hin.

„Okay …“, stammelte ich. Die Abfuhr saß! Aber so schnell würde ich nicht aufgeben. „Brauchst du dann vielleicht einen Ritter in der Not? Ich meine einen, der den fiesen Drachen zurück in seine Höhle schickt?“ Ich deutete mit dem Daumen auf den Typ neben mir.

Schmunzelnd musterte sie mich daraufhin von oben bis unten. „Und? Wo ist deine Rüstung?“

„Trägt der moderne Ritter heute so.“ Ich deutete an mir herunter. Blaue Jeans, helles T-Shirt und dunkelrote Converse. Das ging klar, fand ich.

„Dein Schwert?“

„Am Mann.“ Ich hielt einen spitzen Bleistift in die Höhe.

„Dein Pferd?“

„Habe ich vor der Uni angebunden.“

Sie lachte auf. „Netter Versuch, aber ich schaffe das auch allein.“

„Na gut, ganz wie Mylady wünschen.“ Ich hob ergeben die Hände und betrachtete sie nun meinerseits. Sofort kam mir in den Sinn, dass sie aussah, als wäre sie einem nordischen Märchen entsprungen - allerdings eher als heilbringende Elfe und nicht als wütende Kriegerin.

„Steh endlich auf“, sagte sie jetzt erneut zu dem Typen. Ihre Stimme zitterte dabei, wenn auch nur ganz leicht, aber mir entging es trotzdem nicht.

Baseballkappe schüttelte energisch den Kopf und grinste sie weiter frech an.

Daraufhin drückte sie sich ihre Bücher fester an die Brust, wobei ihre Knöchel weiß hervortraten. Leise Zweifel begannen sich in mir zu regen. Ob sie das hier wirklich allein hinbekam? Meine Beine zuckten, so sehr wollte ich aufstehen und ihr helfen, aber sie hatte ja abgelehnt. Das sollte ich respektieren – doch das war echt nicht einfach.

Ablenkung musste her!

Ich verschränkte die Hände hinter dem Kopf und blickte nach vorne. Meine Haare waren mir erneut in die Stirn gefallen. Also musterte ich zwischen ein paar Strähnen hindurch Professor Mosley. Sein brauner Anzug hing verknittert an seiner dürren Gestalt und schimpfend hantierte er am Beamer herum. Immer wieder glitten ihm dabei zahlreiche Kabel wie Aale durch die Finger.

Abwartend saß ich eine Weile da und lauschte mit einem Ohr den Streitenden neben mir und mit dem anderen den Flüchen meines Professors.

Plötzlich nahm ich im Augenwinkel wahr, wie das Elfenmädchen einen Schritt nach vorne machte. „Bitte, steh auf“, bat sie Baseballkappe jetzt leise.

Mir klappte der Mund auf. Was? Sie versuchte es mit Freundlichkeit? Nicht ihr Ernst? Nett und höflich zu sein, war zwar eine gute Sache, aber bei so Kerlen wie dem neben mir würde das ganz sicher nicht funktionieren. Kaum hatte ich den Satz zu Ende gedacht, zeigte Baseballkappe ihr tatsächlich den Mittelfinger.

Das war zu viel!

Ich nahm die Hände aus meinem Nacken und ließ meinen rechten Arm auf die Rückenlehne hinter dem Kerl krachen.

„Du hast die Lady gehört“, presste ich hervor, „das ist ihr Stuhl und du sollst `nen Abflug machen. Außerdem hat sie ‚bitte‘ gesagt.“

„Und das interessiert wen genau?“ Der Typ sah mich an, als wolle er mir gleich ins Gesicht spucken.

Das sollte er mal wagen. Ich drehte den Kopf und bemerkte, wie das Mädchen krampfhaft auf die Bücher vor ihrer Brust starrte. Ich glaubte ihr ja wirklich, dass sie das hier gerne allein schaffen wollte, aber irgendetwas in ihr schien gerade zu blockieren.

„Weißt du“, raunte ich daher und bohrte Baseballkappe gleichzeitig meine Finger tief in die Schulter, „wenn eine Lady so höflich bittet, kann man schwer ‚nein‘ sagen, oder?“

Zornig funkelte der Kerl mich daraufhin an. Nach einer gefühlten Ewigkeit schälte er sich endlich aus meinem Griff. Mit einem Ruck stand er auf und stapfte davon. „Ihr könnt mich mal“, bellte er uns an.

Das Elfenmädchen blickte ihm erleichtert hinterher und glitt auf den freien Stuhl. „Danke, edler Ritter.“

Ich musste lachen und setzte gerade zu einer Antwort an, als Professor Mosley neben mir auftauchte. „Mr. Buchanan, wären Sie wohl so freundlich?“ Verzweiflung spiegelte sich in seinen wässrigen grauen Augen und ein ganzes Bündel verhedderter Kabel baumelte an seinem Arm herunter.

Musste der gerade jetzt auftauchen? Ich seufzte und stand auf. Bevor ich ihm jedoch nach vorne folgte, wandte ich mich nochmal an das Mädchen. „Sagst du mir deinen Namen?“, fragte ich. „Bitte.“

Nachdenklich musterte sie mich. „Nein, ich denke nicht.“

„Was?“ Hatte sie jetzt echt ‚nein‘ gesagt?

„Mr. Buchanan?“, mahnte mein Dozent.

„Können wir das nochmal besprechen, wenn ich wiederkomme?“, fragte ich.

„Vielleicht?“, erwiderte sie und ihre blauen Augen funkelten mich belustigt an.

„Ähm … okay, damit kann ich erst mal leben.“

Zusammen mit meinem Professor begab ich mich zum Rednerpult und stöpselte die Kabel in die richtigen Eingänge am Beamer. Das Gerät weigerte sich jedoch, auch nur eine einzige Info auszuspucken.

„Mr. Buchanan, ich schätze, diese Kabel wollen nur funktionieren, wenn man sie nach oben hält.“ Mosley sah mich auffordernd an.

Auch das noch. Ergeben zog ich mir einen Stuhl neben den Beamer und spielte den Kabelhalter. Von dem, was mein Professor während seines Referats von sich gab, bekam ich so gut wie gar nichts mit. Die Worte erreichten zwar meine Ohren, aber irgendwie nicht mein Gehirn. Mosley hätte auch die Bedienungsanleitung für den Beamer vorlesen können - was ihm sicher nicht geschadet hätte - ich hätte es nicht einmal gemerkt.

Wie von einem Magneten angezogen, glitt mein Blick immer wieder zu dem Elfenmädchen. Sie trug enge blaue Jeans, weiße Sneaker und ein langärmliges helles Männerhemd mit Burberrymuster. Wem sie das wohl stibitzt hatte? Während des Vortrags schrieb sie fleißig mit und ihre Hand glitt in eleganten Bewegungen über das Papier. Alles an ihr war irgendwie weich, sanft und hell.

Nach dem Ende der Vorlesung bedankte Mosley sich so lange und überschwänglich bei mir, dass der Platz neben meinem Stuhl leer war, als ich endlich dorthin zurückkehrte. Wo war meine Sitznachbarin hin? Ich ließ meinen Blick über die Köpfe der Menge im Saal gleiten, als ich plötzlich einen blonden Zopf in der Nähe des Ausgangs erspähte. Zu meiner Überraschung drehte sich das Elfenmädchen in dem Moment um und winkte mir kurz zu.

Ohne nachzudenken, stopfte ich meine Papiere in den Rucksack, schmiss ihn mir über die Schulter und stürmte los.

Weit kam ich jedoch nicht.

Plötzlich sackte mir das Herz bis in die Kniekehlen und meine Schritte verlangsamten sich. Ein dunkelhaariger Typ war zu dem Mädchen getreten und redete mit ihr. Der Kerl war groß und wirkte durchtrainiert. Sein Gesicht wurde von finster dreinblickenden Augen dominiert, die zwei schwarzen Löchern glichen und aussahen, als würden sie alles um sich herum absorbieren. Auch wirkte der Typ verärgert und das Elfenmädchen legte ihm beschwichtigend eine Hand auf den Arm.

„Mist.“

Ich biss mir auf die Unterlippe. So, wie sie ihn berührte, kannte sie ihn gut. Überrascht stellte ich fest, dass es mich ärgerte, dass sie den Typen anfasste.

Also lief ich erneut los, wobei ich die beiden nicht aus den Augen ließ. Ich war gerade mal drei Schritte weit gekommen, als der dunkelhaarige Typ mich bemerkte und sein Blick sich hart wie ein Dolch in meinen bohrte. Abrupt bremste ich ab, sodass ich über den glatten Parkettboden schlitterte und fast vorne überfiel.

Alles an dem Kerl erinnerte mich an einen schwarzen, hungrigen Panther.

Dumm nur, dass er mich ansah, als wäre ich seine Beute, die dringend erlegt werden musste.

Langsam schüttelte er den Kopf und sein Blick wurde kalt wie Eis. Direkt war klar, was er mir damit sagen wollte.

Halt dich fern!

Na toll! Sofort wallte Trotz in mir auf. Typen wie ihn und Baseballkappe hatte ich sowas von satt. Ich kannte sie zur Genüge, aber sie machten mir schon lange keine Angst mehr. Wenn der Kerl also wirklich dachte, sein Killerblick würde mich aufhalten, hatte er sich gewaltig geirrt.

Angriffslustig funkelte ich zurück, drückte den Rücken durch und setzte entschlossen einen Fuß nach vorne.

Weit kam ich aber auch dieses Mal nicht. Völlig unerwartet legte sich eine Hand auf meine Schulter.

„Hey, da bist du ja.“ Das war jetzt tatsächlich Matt.

„Oh Mann.“ Ich wirbelte herum. „Was ist heute der Grund fürs Zuspätkommen? Hast du deine Bücher wieder nicht finden können?“

„Wo denkst du hin? Ich finde alles. Immer. Irgendwann jedenfalls.“ Um Matts schmale Augen bildeten sich Lachfalten, die seine japanischen Gesichtszüge weich erscheinen ließen. „Ich habe den absoluten Durchblick in meinem Chaos. Und du? Hast du bei Mosleys Vortrag deine Ohren aufgemacht? Ich hoffe, du hast zugehört. Von wegen Lernmethoden im Studium und so …“

„Ja, ja“, gab ich genervt zurück. Hatte ich natürlich nicht, weil das Elfenmädchen mich abgelenkt hatte.

„Das heißt dann wohl, nein“, seufzte Matt. „Cal, ich glaube, du siehst das sowieso alles viel zu eng.“

Ich schnaubte. „Glaub, was du willst. Ich weiß genau, dass …“

„… du in allen Vorlesungen nicht mitkommst …“, sagte Matt.

„Es ist nur eine.“

„… du alle Klausuren verhauen hast …“, stichelte er weiter.

„Ich habe alle bestanden.“

„… du unsere Professoren mit Fragen löcherst …“

„Das mache ich nur bei Mosley.“

„… du so granatenmäßig schlecht bist, dass du dein Studium an den Nagel hängen musst …“

„Muss ich doch gar nicht“, rief ich empört.

„Merkst du was, Cal? Alles halb so wild. Mach dich mal locker! Außerdem, wenn es dir zu viel wird, kannst du immer noch hinschmeißen.“

„Das ist jetzt nicht dein Ernst?“ Ich riss die Augen auf.

„Hey, du kannst so viele giftgrüne Pfeile in meine Richtung schießen, wie du willst.“ Matt hob die Hände.

„Aber …“

„Mann, Matt“, unterbrach ich ihn, „du weißt doch genau, was ich getan habe, um in London studieren zu können. Das war echt hart und ich werde jetzt nicht aufgeben.“

„Siehst du. Ich wusste, dass du das sagen würdest“, bemerkte Matt und lachte.

Ich seufzte. Er hatte wahrscheinlich recht, aber ich hatte jetzt echt keine Lust, mich mit dem Thema zu befassen. Mich interessierte jemand ganz anderes und erneut drehte ich mich zum Ausgang. Der dunkelhaarige Typ war verschwunden und Elfenmädchen unterhielt sich stattdessen mit einer Freundin, deren dunkle Locken sich bis auf ihre Schultern kringelten. Während sie redete, gestikulierte sie ausschweifend mit ihren Armen, hatte die Enden ihrer Hemdärmel umklammert und nur ihre Fingerspitzen schauten daraus hervor.

Das fand ich irgendwie niedlich und musste grinsen, woraufhin Matt mir seinen Ellenbogen in die Rippen rammte. „Jetzt kapiere ich das. Du warst wohl abgelenkt. Blond oder schwarz?“

„Du weißt doch, Kaffee ohne Milch ist nicht mein Ding.“

„Klaro. Wie heißt sie?“

„Hat sie mir noch nicht verraten.“

„Wie? Noch nicht?“

„Ich habe sie gefragt, ob sie mir ihren Namen verrät, aber sie hat nein gesagt.“

„Was dich natürlich nicht davon abgehalten hat, sie weiter danach zu fragen.“ Matt lachte.

„Genau. Immerhin hat sie vielleicht gesagt.“

„Hammerfortschritt. Und nun?“

„Na, was wohl? Drück mir die Daumen.“ Ich wollte gerade erneut loslaufen, als ich bemerkte, wie die beiden Mädchen den Hörsaal verließen.

„Gar nicht gut“, murmelte ich und mit Matt im Schlepptau quetschte ich mich durch die Menschenmenge aus dem Saal. Im Flur angekommen, konnte ich das Elfenmädchen jedoch nirgends mehr entdecken. Frustriert versenkte ich meine Hände in den Hosentaschen und lief mit Matt hinaus auf den Campus.

Cal – 2. Was zur Hölle?

Cal – 2. Was zur Hölle?

 

 

 

 

 

Als wir aus dem Gebäude des University College traten, musste ich eine Hand über die Augen legen. Für Mitte April war es ungewöhnlich warm in London. Die Sonne stand hoch am Himmel und keine Wolke würde ihr an diesem Tag in die Quere kommen.

Matt schob die Finger unter den Gurt seiner Tasche und zusammen liefen wir über den grünen Rasen des Unicampus. „Okay, ohne Namen wird das jetzt schwierig, sie wiederzufinden.“

„Ich weiß,“ seufzte ich, „aber ich sag dir was. Ihr Akzent war echt zum Niederknien.“

„Dann ist sie wohl keine Britin. Du könntest Mosley nach ihr fragen.“

„Ich glaube nicht, dass er sie kennt. Schließlich war das ein Vortrag, der für alle Studenten offen war.“

„Tja, dann schmink sie dir mal ab.“ Matt schlug sich vor den Kopf. „Ne, warte, das ist ja eher nicht dein Ding.“

„Korrekt“ gab ich zurück. „Aufgeben ist keine Option.“

Wir durchquerten gerade das Tor zum Gehweg, als mein Blick auf die gegenüberliegende Straßenseite fiel. Dort standen zwei Männer und beobachteten uns.

„Oh Mann! Ist denen etwa kalt?“

Die beiden trugen lange dunkle Mäntel mit Kapuzen, die ihnen tief ins Gesicht hingen. Die untere Gesichtshälfte wurde durch einen schwarzen Schal verdeckt und mit beiden Händen schienen sie etwas an ihrer linken Hüfte festzuhalten.

Matt folgte meinem Blick und schlagartig spannte er sich an. Seine Augen weiteten sich, als wäre der Teufel höchstpersönlich vor ihm aufgetaucht.

„Shit“, rief er. „Lauf!“

Blitzschnell packte er mich am Arm und stieß mich heftig den Gehweg entlang. Ich stolperte und riss mich aus seinem Griff. „Spinnst du? Was zur Hölle …“

„Später, renn!“ Matt stürmte weiter und zog mich wie ein ungezogenes Kind neben sich her.

Die beiden vermummten Männer hatten sich jetzt ebenfalls in Bewegung gesetzt. Ihre Schritte donnerten wie Hammerschläge auf das Pflaster und verwundert hörte ich ein weiteres Geräusch. Es klang, als würde Metall gegen Metall schlagen.

„In die U-Bahn“, schrie Matt mir plötzlich ins Ohr.

Ich fragte nicht weiter nach, denn so ernst hatte ich ihn noch nie gesehen. In Rekordzeit sprinteten wir die Treppe des Bahnabganges hinunter und schoben jeden aus dem Weg, der uns in die Quere kam. Im U-Bahn-Tunnel sah ich mich mehrmals gehetzt um und prallte deswegen hart gegen Matt, der abrupt stehen geblieben war. Die Absperrung der Ticketkontrolle bremste uns aus. Verdammt! Unsere Verfolger hatten uns jetzt fast eingeholt. Wir mussten hier weg.

Ich warf Matt einen auffordernden Blick zu und spurtete los. Zusammen rannten wir an der wartenden Menge vorbei und machten aus vollem Lauf einen Satz über die Kontrollmaschinen. Kaum hatten wir wieder festen Boden unter den Füßen, als ein Wachmann mit Schnurrbart auf uns zuschoss. Während er uns anbrüllte, kramte er fahrig nach dem Funkgerät an seinem Gürtel. Plötzlich jedoch versagte ihm die Stimme und er starrte über meine Schulter. Als ich mich umdrehte, schwangen sich unsere beiden Verfolger gerade ebenfalls mühelos über die Absperrung.

Wir ließen den verdutzten Wachmann stehen und rannten weiter. Keuchend erreichten wir endlich den Bahnsteig und sofort stieg mir der Geruch nach erhitztem Metall in die Nase.

Eine Bahn stand abfahrbereit am Gleis und ein hoher Piepton kündigte das Schließen der Türen an.

Mist!

Matt sah es auch und setzte im letzten Moment seinen Fuß in die Tür. Diese glitt erneut auf und hastig quetschten wir uns in den vollen Zug.

„Glaubst du, wir haben sie abgehängt?“ Matts Blick huschte suchend umher.

„Hoffe ich doch. Was ist hier eigentlich los?“ Ich packte die gelbe Haltestange neben mir und erleichtert fühlte ich den kalten Stahl unter meinen Fingern. Die Zunge klebte mir am Gaumen und für einen Schluck Wasser hätte ich mich bereit erklärt, das Tafelsilber im Buckingham Palace zu stehlen.

Auch Matt atmete keuchend ein und aus, wobei er immer noch gehetzt in alle Richtungen schaute.

„Hey, ich rede mit dir!“ Ärger wallte in mir auf.

Matt sah mich nicht einmal an. Das war doch unglaublich!

„Warte kurz.“ Nervös zog er mit einer Hand sein Handy aus der hinteren Hosentasche und als die Verbindung stand, redete er japanisch auf jemanden ein.

Toll! Ich verstand kein Wort und was hier los war, wusste ich immer noch nicht.

Mein Blick fiel auf das Tattoo an Matts rechtem Arm. Ein kunstvoll gestochener japanischer Drache wand sich aus dem Ärmel seines T-Shirts, kroch über die Muskeln seines Oberarms, um dann mit seinem Kopf auf seinem Unterarm zum Ruhen zu kommen. Orangefarbene Flammen schossen aus dem offenen Maul des Drachen und als Matt seinen Arm anspannte, schien es, als bewegten sie sich lodernd.

Das Schwanken des anfahrenden Zuges riss mich aus meinen Betrachtungen und ruckelnd bahnte sich die U-Bahn ihren Weg durch Londons Untergrund.

Hell einfallendes Licht kündigte die nächste Station an und mit quietschenden Bremsen kam der Zug zum Stehen. Wir traten gerade auf die Plattform, als die beiden maskierten Männer zwei Türen weiter ebenfalls hinaussprangen.

„Scheiße! Pass auf!“ Jetzt zerrte ich den verdutzten Matt neben mir her.

Schlitternd bahnten wir uns unseren Weg durch die Menschenmenge und quetschten uns an mehreren Passanten eine nicht enden wollende Rolltreppe hinauf. Erneut sprangen wir über die Ticketmaschinen, um dann endlich auf die Straße hinauszustürmen.

Sofort schoss Matt nach links davon und als ich ihm folgte, wusste ich sogleich: Wir waren in Chinatown! Rote Papierlampions flatterten über mir im Wind, fremde Worte drangen an meine Ohren und schemenhaft nahm ich wahr, dass die Häuser hier mit asiatischen Schriftzeichen übersät waren.

An einem Souvenirshop riss Matt versehentlich ein Gestell mit grellbunt verzierten Papierfächern um und ich schaffte es nur knapp, dem kippenden Regal auszuweichen.

Mit einem lauten Knall krachte es hinter mir auf den Boden. Während ich weiterlief, blickte ich mich kurz um und sah, wie unsere Verfolger umständlich über das Hindernis stiegen.

„Hier rein.“ Matt blieb abrupt stehen, öffnete den Eingang eines Asia-Imbiss und riss dabei fast die Tür aus den Angeln. Als wir hineinstürmten, gaben kleine goldene Glöckchen ein schepperndes Geräusch von sich. Warme Luft und der Geruch nach Frittiertem schlugen uns entgegen.

Matt rannte an dem Verkaufstresen vorbei und ich wetzte hinter ihm her. Plötzlich fand ich mich in einer riesigen Küche wieder. Vier asiatische Köche redeten lautstark gegen das Geräusch von zischendem Öl an und es interessierte sie nicht im Geringsten, dass wir an ihnen vorbeistürmten.

Heller Dampf waberte durch die Luft und es war entsetzlich heiß. Von der Decke hingen riesige Schöpflöffel und ich zog den Kopf ein.

Am Ende der Küchenzeile stieß Matt eine blaue Eisentür auf und ein frischer Windhauch traf uns, als wir endlich ins Freie stolperten.

Total außer Atem blieb ich stehen und pumpte Luft in meine Lungen. Ich stützte die Hände auf die Knie und Schweiß rann mir in die Augen. Mein Rucksack klebte regelrecht auf meinem T-Shirt. Als ich den Kopf hob, verschwand Matt gerade um die nächste Hausecke.

„Nicht sein Ernst!“ Genervt rannte ich erneut los und als ich Matt einholte, war der vor einem imposanten Gebäude stehen geblieben.

Das Haus war aus rotem Backstein und drei Stockwerke hoch. Weiße Fensterrahmen, die wie riesige Augen wirkten, ragten vor uns auf. Das gewaltige Eingangsportal aus weißem Marmor reckte sich bis in den dritten Stock hinauf und auf dem dreieckigen Giebel thronte ein gewaltiger Drache aus grauem Stein. Die drei Zehen an jedem Fuß sahen aus wie spitze Schwerter, die auf den Eintretenden hinabzuschießen drohten. Flügel konnte ich keine erkennen, aber ein geschuppter Schwanz schlängelte sich in Kreisen die Hausfassade entlang.

„Ganz schön furchteinflößend“, japste ich.

„Ach was, Drachen bringen Glück.“ Matt winkte ab.

„So? Und weil du einen auf deinem Arm hast, haben wir unsere Verfolger glücklicherweise abgehängt?“

„Ich glaube, es war tatsächlich hilfreicher, die Abkürzung durch den Imbiss zu nehmen.“ Matts olivfarbenes T-Shirt klebte an seiner Brust. „Ich brauche den Drachen für etwas anderes. Er hilft mir, verstehst du?“

„Ne, keinen Plan. Dient er als Einlasskontrolle, damit wir in das Gebäude kommen?“, fragte ich.

„Vielleicht. Vielleicht auch nicht.“

„Sehr witzig. Du Komiker machst mir echt Mut. Schließlich habe ich kein Tattoo. Trifft mich jetzt der Blitz, wenn ich eintrete?“

„Scherzkeks.“ Matt lachte und stieg die Treppenstufen zur Eingangstür hinauf. Er betätigte einen riesigen Türklopfer aus Messing, der ebenfalls einen Drachen darstellte, der sich in den eigenen Schwanz biss.

Ich ging ihm hinterher und betrat die steinerne Treppe.

In diesem Moment durchzuckte mich ein so stechend heißer Schmerz, dass ich erschrocken keuchte.

Meine Hand fuhr hoch und es fühlte sich an, als wäre ein Feuer in der Nähe meines Herzens entzündet worden.

„Fuck“, stieß ich hervor. War ich zu schnell gerannt? Oder setzte mein Scherz über den Blitzeinschlag sich jetzt in die Realität um? Genau so musste es sich nämlich anfühlen. Ich zwang mich, langsam zu atmen, und hielt mich krampfhaft an dem eisernen Treppengeländer fest. Plötzlich wandelte sich die Hitze zwischen meinen Rippen in Wärme und breitete sich pulsierend in meinen Schultern aus.

Matt hatte sich umgedreht und starrte mich an, als wäre ich gerade einem Ufo entstiegen und hätte Antennen auf dem Kopf. Die ganze Situation war total irritierend. Sie wurde jedoch noch schlimmer, als die Tür hinter Matt schwungvoll aufgerissen wurde. Überrascht stolperte ich zurück und fast wäre ich die Treppe hinuntergedonnert.

Im Türrahmen stand der Typ mit dem Killerblick, mit dem das Elfenmädchen sich vorhin so ernst unterhalten hatte. Verdammt! Sofort fühlte mein Magen sich an wie ein Knoten, der mit einem einzigen Ruck zusammengezogen wurde. Nicht der schon wieder! Kannte Matt den etwa?

„Hey, Ed“, begrüßte der ihn jetzt tatsächlich.

Ed nickte kurz und dann fiel sein Blick auf mich. „Was macht der denn hier?“ Er schoss auf mich zu. Weit kam er jedoch nicht. „Was zum Henker …“ Er brach ab und blickte über meine Schulter.

Als ich mich umdrehte, schossen unsere beiden Verfolger gerade aus einer Seitengasse hervor und blieben auf dem gegenüberliegenden Gehweg stehen. Jetzt konnte ich erkennen, dass ihre Mäntel Gehröcken ähnelten, wie man sie im vorletzten Jahrhundert getragen hatte. Sie waren aus schimmerndem schwarzem Stoff und reichten den Männern bis kurz über die Knie. In der Mitte blitzte eine lange Reihe silberner Knöpfe, die sich auch an den engen Ärmeln bis zu den Ellenbogen hochzogen.

Plötzlich wusste ich auch, warum ich bei der Verfolgung ein metallisches Klirren gehört hatte. Mein Blick fiel auf silberfarbene Schwerter, die unter den Mänteln der Männer aufblitzten und deren Waffenknäufe klirrend gegen ihre Gürtel schlugen.

„Verflucht, lass uns endlich rein!“ Matt drückte Ed zurück in das Gebäude. Dann packte er mich grob am Arm und zog mich hinter sich her. Mit einem Donnern fiel das riesige Eingangsportal ins Schloss.

In dem Moment fragte ich mich, ob ich ein Übel gegen ein anderes eingetauscht hatte. Ed oder diese Typen? Am Ende machte es wohl keinen Unterschied. Es war wie die Wahl zwischen Zahnschmerzen und einer vierstündigen Matheklausur.

Cal – 3. Ist das ein Befehl?

Cal – 3. Ist das ein Befehl?

 

 

 

 

 

Erstaunt hob ich den Blick.

Wir standen in einer pompösen Eingangshalle, die sich über zwei Stockwerke erstreckte. Ein silberner Kronleuchter hing von der hohen Decke und warf ein Funkeln wie von tausend Diamanten über die Wände aus hellem Marmor. Die Luft war kühl und strich mir angenehm über meine erhitzten Wangen. Die Wärme, die ich eben noch, wie ein Feuer in meiner Brust gespürt hatte, ebbte ab und verflog schließlich ganz. Erleichtert atmete ich aus. Wahrscheinlich war ich wirklich zu schnell gerannt.

Die Erleichterung verpuffte jedoch schlagartig, als Ed sich an Matt vorbeischob, um sich dann drohend vor mir aufzubauen.

„Was willst du hier?“, fuhr er mich an.

„Ist das nicht offensichtlich, oder bist du schwer von Begriff?“

„Hast du meine Botschaft eben nicht verstanden?“

„Gib mir eine Minute, vielleicht fällt sie mir wieder ein.“

„Ich wiederhole sie dir gerne noch einmal.“

„Nicht nötig. Ich weiß was Besseres. Lass uns Halt die Klappe spielen. Du fängst an.“

Eds Lippen wurden schmal und ich wusste genau, worum es hier ging - um das Elfenmädchen. Direkt nach Matts Vorschlag eben hatte ich beschlossen, Professor Mosley doch nach ihr zu fragen. Es gab nur einen einzigen Grund, weswegen ich einen Rückzieher machen würde.

„Bist du mit ihr zusammen?“, fragte ich daher.

Ed sagte nichts und killte mich stattdessen mit seinem Blick.

„Keine Antwort ist auch eine“, bemerkte ich.

„Ach, halt den Rand.“

„Willst du also doch spielen?“

Ed fiel die Kinnlade runter, aber er sagte tatsächlich kein Wort.

Matt hatte derweil die ganze Zeit verwirrt zwischen uns hin und hergesehen. „Kennt ihr euch etwa?“

„Wir hatten heute Morgen eine Begegnung der eher unfreundlichen Art“, erklärte ich.

„Die echt ätzend war.“ Ed schnaubte. „Warum schleppst du ihn hier an, Matt?“

Dessen Blick wurde jetzt zornig. „Du hast die Typen da draußen gesehen, oder? Ich glaube, wir haben gerade andere Probleme.“

Daraufhin ließ Ed von mir ab und stapfte quer durch die Halle in Richtung zweier Treppen. In der Mitte der beiden Aufgänge befand sich ein Durchgang, der in den hinteren Teil des Gebäudes führte. Matt setzte sich ebenfalls in Bewegung.

Ich kniff die Augen zusammen und sah den beiden hinterher. Ed zweimal an einem Tag brauchte ich nun wirklich nicht. Das hätte das Universum sich auch sparen können. Nach dieser Rennerei von eben hatte ich echt keinen Nerv für noch mehr Ärger - und Ed versprach genau das.

Gerade wollte ich den beiden folgen, als ich im Augenwinkel etwas bemerkte, was mich innehalten ließ. Ein riesiges Mosaik befand sich zu meinen Füßen und ich stand am Rande eines Kreises. Dieser nahm fast den kompletten Boden der Eingangshalle ein. In ihm angeordnet waren die Darstellungen von zwölf Schwertern in unterschiedlichen Formen und Größen. Ihre Spitzen liefen in der Mitte des Kreises zusammen.

Verwundert sah ich mir das abgebildete Schwert unter meinen Schuhen genauer an.

Es war das größte in der ganzen Runde und seine lange Klinge war mit Zeichen überzogen, die der keltischen Schrift ähnelten. Auf dem dunkelblauen Griff prangten drei goldene Kronen und ein roter Drache war unterhalb der nach unten gebogenen Parierstange zu erkennen.

Langsam sank ich in die Hocke und berührte ehrfurchtsvoll die in bunten Farben schimmernden Mosaikplättchen. Sie fühlten sich glatt und kühl unter meinen Fingerspitzen an.

Schlagartig wurde ich aber aus meinen Betrachtungen gerissen, als eine tiefe Stimme vom oberen Stockwerk herabdonnerte und sofort die ganze Halle ausfüllte.

„Yamato, Eduard, kommt sofort hier rauf.“

Matt zuckte zusammen. „Shit“, stieß er hervor. „Komm mit!“

„Was ist los und wo sind wir hier?“ Ich stand auf.

„Das ist das Haus meines Onkels.“

„Wie bitte?“ Ich riss die Augen auf. „Was für eine Luxushütte! Dir ist wohl der Komfort hier zu viel geworden und du wolltest mal Wohnen für Arme ausprobieren?“, scherzte ich und dachte an die Studenten-WG, die wir uns teilten.

„Das hat andere Gründe.“ Matt lachte nicht.

„Und die wären?“

„Nicht so wichtig.“

„Was soll das, Matt? Kannst du mir jetzt endlich mal erklären, was hier los ist?“

„Ja.“

„Geht es vielleicht noch einsilbiger?“

„Ich muss jetzt mit meinem Onkel reden.“ Matt drehte sich um, stapfte die Treppe hoch und ließ mich einfach stehen.

Fassungslos starrte ich ihm hinterher. So kannte ich ihn gar nicht. Was hatte er nur?

Matt hatte mir zwar erzählt, dass er mit vierzehn nach London gekommen war und bei seinem Onkel gelebt hatte. Dass der aber in so einem Palast wohnte, hatte er nicht erwähnt. Überhaupt schwieg Matt sich bei Fragen zu seinem Leben vor dem Studium meist beharrlich aus.

Verwirrt stapfte ich hinter ihm her und als wir im oberen Stockwerk angekommen waren, empfing uns ein älterer Japaner. Die Arme hielt er vor der Brust verschränkt, wobei seine Hände in den Ärmeln eines blauen Kimonos verschwanden. Seine Haut war glatt und stand damit im krassen Gegensatz zu den grauen Strähnen, die seinen langen Zopf und seinen Bart durchzogen.

Mit Erstaunen sah ich, wie Matt die Arme an die Seiten legte und eine tiefe und respektvolle Verbeugung machte.

„Meister Kenshin“, sagte Ed und machte ebenfalls einen Diener.

Wow! Sollte ich das jetzt auch tun? Verunsichert legte ich den Kopf schief und lächelte.

Meister Kenshin ignorierte mich aber einfach und wandte sich stattdessen an Matt. „Du klangst aufgebracht am Telefon. Warum bist du hergekommen?“

„Entschuldige, Onkel. Ich wusste nicht, wo ich sonst hinsollte.“ Er hielt den Kopf gesenkt und ballte die rechte Hand zu einer Faust.

Sein Unterarm war angespannt und der Drache darauf spuckte erneut Feuer.

Langsam dämmerte mir, warum Matt ihn sich hatte tätowieren lassen. Bei dem strengen Tonfall, den sein Onkel an den Tag legte, war alles, was Kraft gab, wohl bitternötig.

„Folgt mir!“, herrschte der uns jetzt an, wobei er mich besonders streng taxierte. Schon wieder ein böser Blick. Langsam kam es mir vor, als wären die heute nur für mich reserviert.

Wir liefen ein kurzes Stück einen hellen Flur entlang, bevor Matts Onkel die erste Tür zur Linken öffnete. Auf dieser prangte der gleiche Drache wie auf dem Eingangsportal.

„Du …“ Meister Kenshin zeigte mit dem Finger auf Matt und drehte sich danach zu Ed. „Und du auch. Rein da!“ Mit ausgestrecktem Arm deutete er in den Raum.

Ich wollte gerade hinter den beiden herlaufen, als Matts Onkel mir eine Hand gegen die Brust donnerte. Hart schob er mich zurück. „Du wartest gefälligst hier.“

Verdutzt blieb ich stehen und zuckte zusammen, als die Tür mit einem lauten Knall zugeschlagen wurde. Völlig überrumpelt starrte ich auf das grüne Holz, das nur Zentimeter von meiner Nasenspitze entfernt war.

Wie freundlich! Toller Tag!

Missmutig pfefferte ich meinen Rucksack von mir, ließ mich auf den kühlen Marmorboden sinken und lehnte mich an die Wand. Abgekämpft legte ich den Kopf auf meine Knie und überlegte, was hier los war. Warum waren wir verfolgt worden und weshalb waren unsere Verfolger maskiert gewesen?

Was mich aber am meisten beschäftigte, war die Frage, wieso diese Typen Schwerter bei sich getragen hatten.

Vielleicht ging es um Rivalitäten verschiedener japanischer Gangs untereinander?

Ich wartete und wie immer, wenn ich zu viel Zeit zum Nachdenken hatte, drängten sich düstere Gedanken nach vorne. Unbewusst fuhr ich mir mit einer Hand über mein T-Shirt und es fühlte sich an, als wäre in meinem Inneren alles wund. Wenn ich daran dachte, was ich getan hatte, um hier studieren zu können, wurde mir kotzübel.

Sofort begannen meine Beine unkontrolliert zu zucken. Mal wieder. Genervt krallte ich die Finger in meine Oberschenkel, um sie ruhig zu halten. Seit ich vor eineinhalb Jahren nach London gekommen war, wurde ich diese verflixte innere Anspannung einfach nicht mehr los. Und ich wusste genau, woher sie kam! Darüber wollte ich aber jetzt nicht nachdenken.

Um mich abzulenken, hob ich den Blick zur stuckverzierten Decke und zählte die verschnörkelten Rosetten. Als ich bei dreiundsechzig angekommen war, wurde es mir zu blöd. Erneut sah ich zur Tür, hinter der sich aber immer noch nichts regte.

Also stand ich auf, schmiss mir meinen Rucksack über die Schulter und lief zurück zur Treppe. Ich beschloss, mich hier etwas umzusehen. Wenn sie mich so unfreundlich behandelten, hatte ich keine Lust, einfach freundlich zu warten.

Matts Onkel konnte mich mal.

Langsam stieg ich die ausladenden Stufen hinunter. In der Eingangshalle angekommen, schlich ich durch die Öffnung zwischen den beiden Treppen und fand mich in einem breiten Korridor wieder. Rechts und links befanden sich je drei große Bögen, von denen die zwei vorderen komplett aus Glas waren, sodass Licht in den Flur fiel.

Verwundert hörte ich aus dem ersten Raum links neben mir ein Geräusch, das ich heute schon einmal vernommen hatte.

Klirrendes Metall. Also spähte ich durch den Glasbogen und vor Überraschung blieb mir fast die Luft weg.

In diesem Raum hingen rechter Hand zahlreiche Schwerter in einem Gestell. Vier Männer standen sich paarweise gegenüber und kämpften mit diesen Waffen. Die fünfte Person gab ihnen Anweisungen und es schien eine Frau in meinem Alter zu sein.

Ich erkannte einen umherwirbelnden dunklen Zopf, welcher aus einem schwarzen Helm hervorlugte, der aussah wie ein Fechthelm und vorne mit einem feinen Stahlgitter versehen war. Alle trugen schwarze Schutzhosen mit dazu passender Jacke und Handschuhe.

Bedächtig ließ ich meinen Rucksack auf den Boden gleiten und beobachtete die Kämpfenden wie hypnotisiert. Dabei versank ich völlig in dem spielerischen Hin und Her der Waffen.

Die Melodie, die der aufeinandertreffende Stahl mir dabei ins Ohr flüsterte, berührte etwas tief in meinem Inneren. Ich verfolgte die Bahnen, die die Schwerter durch die Luft zogen, und mein Gehirn saugte dabei alles auf, was ich sah. Das würde ich gerne einmal ausprobieren.

Jäh wurde ich aus meinen Beobachtungen gerissen, als ein Luftzug auf meinen Nacken traf. Erschrocken wirbelte ich herum und sah direkt in die dunklen Augen von Meister Kenshin.

Hinter diesem stand Matt und blickte mich bestürzt an. Nur Ed schien sich hier zu amüsieren. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und lächelte - tatsächlich.

In seinem Blick lag auch nicht mehr der Wunsch, mich zu zerlegen wie seine Beute. Er musterte mich jetzt wie einen seltenen Käfer, den er gerne unter dem Mikroskop betrachten würde. Bei seinem Blick lief ein Frösteln meine Wirbelsäule hinauf.

„Was machst du hier?“, fuhr Matts Onkel mich zornig an.

„Sagt ihr es mir doch“, zischte ich zurück.

„Es ist so … “, begann Matt und trat einen Schritt vor. Er blieb aber abrupt stehen, als sein Onkel die Hand hob und sofort schaute er zu Boden.

Aufgebracht blickte ich zwischen Matt und seinem Onkel hin und her. „Erklärt mir jetzt endlich mal einer, warum wir verfolgt wurden? Bin ich hier in so eine Art Feindschaft unter rivalisierenden japanischen Gangs geraten?“

Meister Kenshin zog überrascht eine Augenbraue hoch. „Ja“, murmelte er und strich sich mit einer Hand über den Bart, „so könnte man es formulieren.“

„Warum hast du mir das nicht gleich gesagt?“ Ich sah verärgert zu Matt.

„Ähm, das ist etwas verzwickt.“

„Lass stecken“, unterbrach ich ihn. „Das sind solche Auseinandersetzungen unter Gangs ja meistens. Können wir jetzt bitte gehen?“

Ich wollte mich gerade an Matts Onkel vorbeischieben, als dieser mir in den Weg trat. „Du scheinst Gefallen an unserem Schwertkampfunterricht zu haben“, stellte er fest. „Yamato wird es dir zeigen. Morgen kommst du mit ihm erneut hierher.“

„Ist das ein Befehl?“, fragte ich, weil es für mich genauso klang.

„Es ist jedenfalls keine Bitte“, entgegnete Matts Onkel.

Ich blinzelte. Erteilte der Typ mir jetzt echt Befehle?

Meister Kenshin drehte sich entschlossen zu Matt. „Du weißt, was zu tun ist.“ Mit diesen Worten vergrub er die Hände in seinem Kimono und ging mit Ed zurück in die große Halle. Sofort verfiel Matt in eine tiefe Verbeugung.

Ich fuhr mir über die Augen. „Wow, was für ein Arsch.“ Direkt ging mir auf, was ich da gerade gesagt hatte.

Erst denken - dann reden, schalt ich mich. „Entschuldige“, murmelte ich daher zerknirscht und deutete hastig in den langen Korridor. „Was ist das hier?“

„Das ist die Kampfsportschule meines Onkels“, erklärte Matt. „Ich weiß, draußen ist gar kein Schild angebracht. Das hier ist eher so ein Privatding.“

„Und ich darf mir das Schwerttraining anschauen?“

„Sieht so aus.“

„Klar“, ich zeigte Matt einen Vogel. „Ich hatte auch gleich den Eindruck, dass dein Onkel mich mag.“

„Aber sicher doch.“

„Wie bitte? Du meinst, dass er mir die Tür vor der Nase zuknallt und mir Befehle erteilt, ist ein Liebesbeweis?“

Daraufhin fing Matt schallend an zu lachen. „So ist er. Gewöhn dich besser dran.“

Als ich Matt so lachen sah, konnte ich ihm nicht länger böse sein und entschied, die Erklärung seines Onkels bezüglich unserer Verfolger fürs Erste zu akzeptieren. Aber Matt musste mir auf alle Fälle die Zusammenhänge genauer erklären. Die beiden Typen in ihren dunklen Mänteln hatten ganz schön gefährlich gewirkt.

„Sei´s drum“, sagte ich daher, „ich habe einen Riesenhunger. Wie sieht´s aus? Können wir in dem Imbiss von eben auch was essen oder benutzt du ihn nur als Abkürzung?“

Wir durchquerten gerade die große Eingangshalle, als von hinten eine Stimme erklang.

„Hey, Jungs.“ Eine junge Frau kam quer durch den Raum gelaufen und ihre geschnürten Stiefel hallten auf dem Boden. Sie trug schwarze Cargohosen mit so vielen Taschen, dass ich sie nicht hätte an zwei Händen abzählen können, und dazu ein hellblaues Tanktop. Ihre dunklen Haare waren an den Seiten und im Nacken kurz rasiert und den Rest hatte sie zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden. Das war doch das Mädchen aus dem Übungsraum!

Als ihr Blick auf mich fiel, blieb sie schlagartig stehen. Sie musterte mich von oben bis unten und gab einen anerkennenden Pfiff von sich. „Wow! Warum hast du mir deinen Freund bis jetzt vorenthalten?“ Sie richtete die Frage an Matt, aber ihr Blick wanderte weiter über meinen Körper.

„Cal, das ist Jules. Sie trainiert die Schwertkämpfer. Jules, das ist …“

„… dein Astrophysik-Buddy, mit dem du Tür an Tür wohnst?“, fragte sie und sah mir tief in die Augen. „Irre! Was für eine Farbe! Wie nennt man das? Moosgrün?“

„Hey“, stammelte ich nur verdattert.

Jules streckte ihre Hand aus und legte sie sanft auf meinen Oberarm. „Bei den Muckis könntest du ein Schwert auch mit Leichtigkeit halten.“

Du meine Güte, dachte ich. Jules war attraktiv, geradeaus und stand viel zu dicht vor mir. Mir wurde klar: Jules wusste, was sie wollte. Ich mochte sie sofort.

Matt grinste Jules jetzt amüsiert an. „Hast du ein Glück, dass er morgen zum Training kommt.“

Daraufhin lächelte Jules, hielt sich an mir fest und streckte sich zu mir hoch. Eine Reihe silberner Ringe zog sich ihre Ohrmuschel hinauf und ein glitzernder Stein zierte ihren Nasenflügel. Als sie sich zu mir beugte, streifte ihre Wange die meine und der Duft nach Lavendelseife stieg mir in die Nase. Ich war gerade nicht fähig, mich zu bewegen, und wusste ehrlich gesagt auch nicht, was ich tun sollte.

„Ich freue mich. Ich hoffe, du auch?“, flüsterte sie. Ohne jedoch meine Antwort abzuwarten, drehte sie sich schwungvoll zum Ausgang. „Sorry, ich muss nochmal los. Wir sehen uns, Jungs.“ Sie zwinkerte mir zu, hob die Hand und war weg.

Ich sah ihr hinterher und war maximal verwirrt.

„Komm, gehen wir was essen!“ Ich kam erst wieder zu mir, als Matt mir zum zweiten Mal an diesem Tag seinen Ellenbogen in die Rippen stieß.

„Mann, Matt“, motzte ich und rieb mir die Seite.

„Was denn, Loverboy, hältst du das nicht aus? Besser du tust es. Mit Jules Stress zu bekommen ist nicht lustig. Ich bin gespannt, ob du heil aus der Nummer rauskommst.“

„Aber ich habe gar nichts gemacht“, stöhnte ich.

„Weiß ich doch. Kaffee mit Milch und so.“

Ich verdrehte die Augen, woraufhin Matt lachte.

Wir verließen das Gebäude und der Gehweg gegenüber war leer - nicht jedoch der Platz rechts und links neben der Tür.

Eine Frau und zwei Männer standen dort und schienen die Kampfsportschule jetzt zu bewachen. Wie unsere Verfolger trugen sie schwarze Mäntel, die sich eng an ihre Oberkörper schmiegten. Vorne waren sie mit drei silbernen Schnallen verziert und schimmerten grünlich in der Abendsonne. Erstaunt bemerkte ich, dass unter ihren Jacken ebenfalls silbrige Schwerter hervorblitzten.

Jetzt war mir auch klar, warum die Mäntel bis an die Knie reichten. Die umgeschnallten Waffen waren so kaum auszumachen. Ein hellhaariger Mann, mit einer langen Narbe auf der Wange, kam jetzt zu uns.

„Gerald.“ Matt nickte ihm grüßend zu und lief dann los in Richtung Imbiss.

Ich stiefelte neben ihm her und Gerald folgte uns in gebührendem Abstand.

„Was wird das denn? Haben wir jetzt Geleitschutz?“, wisperte ich.

„Reine Vorsichtsmaßnahme“, flüsterte Matt zurück.

Cal – 4. Magisch. Episch. Gigantisch.

Cal – 4. Magisch. Episch. Gigantisch.

 

 

 

 

 

Wir durchquerten den Asia-Imbiss erneut durch die Küche und suchten uns einen Tisch, weit weg vom Verkaufstresen. Matt erklärte mir, dass auch der Laden hier seinem Onkel gehörte.

Dutzende roter Papierlampions tauchten den Raum in ein sanftes Licht und ich nahm aus den Augenwinkeln wahr, dass Gerald sich neben der Tür positionierte. Kurz darauf erschien einer der Köche mit einem riesigen Tablett und dampfende Schüsseln mit Nudeln und Reis wurden vor uns abgestellt. Sofort breitete sich der Duft nach Erdnusssauce und Chili aus.

„Also“, begann ich und lud mir gebratene Nudeln auf meinen Teller, „du schuldest mir tausend Erklärungen. Was ist das zwischen dir und deinem Onkel? Entschuldige nochmal, dass ich ihn einen Arsch genannt habe, aber er scheint mir ganz schön streng zu sein. Verstehst du dich gut mit ihm?“

„Warum wohl wohne ich da nicht mehr?“ Matt schnaubte und begann, die Erbsen aus seinem Reis zu pulen.

„So schlimm?“

„Schlimm ist vielleicht das falsche Wort. Es sind mehr die hohen Ansprüche, die er dauernd hat.“

„Was meinst du damit? Ich meine, er ist nicht dein Vater, was für Erwartungen kann er da anmelden?“

„Du weißt, dass ich bei ihm aufgewachsen bin. Er ist für mich wie ein Vaterersatz, verstehst du?“

Ich nickte. „Aber wenn es so schwer mit ihm war, warum bist du nicht ins Internat gezogen. In deiner Privatschule wäre das doch möglich gewesen, oder?“

„Ja, schon, aber das ging nicht, weil … ach, das ist alles echt verzwickt.“

„Schon wieder? Jetzt komm schon! Lass mich nicht dumm sterben!“

„Cal, ich hatte keine Wahl.“ Matt drehte das Glas Ginger Ale in seinen Händen. „Ich musste dortbleiben. Es geht um so eine Art Familientradition. Du hast doch das Mosaik in der Halle gesehen …“

„Moment! Soll heißen, diese Tradition hat was mit Schwertern zu tun?“

„Ja.“

„Das heißt, du kannst mit einem Schwert umgehen?“

„Ja.“

„Merkst du, dass du schon wieder einsilbig wirst? Du hast mir erzählt, du machst Stockkampf. Von Schwertkampf war nie die Rede.“

„Der Stockkampf und das Training mit dem Schwert ergänzen sich einfach gut. Und überhaupt, ist der Schwertkampf nicht etwas altmodisch in der heutigen Zeit?“ Matt sah mich skeptisch an.

„Das ist jetzt nicht dein Ernst?“, rief ich entgeistert. „Das, was ich eben gesehen habe, das war für mich … ich meine, es war magisch … episch, irgendwie gigantisch.“

„Du spinnst ja komplett.“ Matt lachte und wedelte mit den Händen vor seinem Gesicht. Dann wurde er jedoch wieder ernst. „Für meinen Onkel ist es nicht glamourös, wenn ich trainiere. Es ist selbstverständlich. Nichts Besonderes eben. Für meine Eltern auch nicht. Das war es nie und das wird es auch nie sein.“

„Das tut mir leid, Mann. Ich weiß ja, dass man sich bei euch zur Begrüßung voreinander verbeugt, und ich respektiere das. Aber heute habe ich nur gesehen, dass du dich vor deinem Onkel verneigst, er sich aber nicht vor dir. Das sagt mir alles. Habt ihr Stress?“

Matt schüttelte den Kopf.

„Ich glaube, du fühlst dich nicht sehr wohl in seiner Gesellschaft. Schmeiß ihm doch mal ein Nein an den Kopf.“

„Wie bitte? Ich glaub, mich zwickt mein Drache.“ Matt knallte sein Glas auf den Tisch. „Das muss ich mir ausgerechnet von demjenigen anhören, der noch nicht einmal weiß, wie man das Wort nein überhaupt schreibt und dass es vier Buchstaben hat. Hör doch auf, Cal.“

Ich zuckte zusammen.

Mit einer so heftigen Reaktion hatte ich nicht gerechnet. Matt schien das Problem mit seinem Onkel mehr zu belasten, als er zugeben wollte.

„Und wo wir schon beim Thema sind“, redete er jetzt weiter, „solltest du nicht erst mal versuchen, deine eigenen Probleme zu lösen, bevor du mir Ratschläge erteilst? Schaff doch endlich diesen Scheißstreit mit deinen Eltern aus der Welt. Ich habe dir schon tausendmal gesagt, ich kann dir helfen.“

„Kannst du nicht“, unterbrach ich ihn genervt. Bei dem Thema sah ich rot. „Lass es einfach, okay? Niemand kann mir helfen und ich will nicht darüber reden. Mit keinem! Punkt und Ende!“

Kaum hatte ich das ausgesprochen, wusste ich auch schon, dass es eine fette Lüge war. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als meine verfahrene Situation zu ändern, aber ich kam aus der Nummer einfach nicht mehr raus.

„Erzähl mir was über Ed“, forderte ich Matt daher auf und erklärte damit das Thema Onkel und Eltern für erledigt. Hier würden wir beide sowieso nicht weiterkommen und uns nur gegenseitig an die Gurgel gehen.

Matt schien es zu kapieren. „Du willst echt was über Ed wissen, nicht über Jules?“

Ich schüttelte den Kopf. Jules war taff und geradeaus. Sie hatte sich bestimmt nur einen Spaß erlaubt, als sie mich eben angeflirtet hatte. Schließlich kannte sie mich gar nicht.

„Na gut.“ Matt seufzte. „Ed kommt ursprünglich aus Deutschland und studiert Mathe, ist aber schon im fünften Semester. Du weißt, das Gebäude der Mathematiker steht auf einem anderen Campus des University College. Darum haben wir ihn auch noch nie in der Uni getroffen. Ehrlich gesagt, habe ich nicht viel mit ihm am Hut. Hatte ich nie, selbst als ich noch bei meinem Onkel gewohnt habe.“

„Soll das heißen, Ed wohnt in der Kampfsportschule?“

„Yep. Vielleicht treffen wir ihn morgen, wenn wir uns den Schwertkampf ansehen.“

Ich stöhnte auf.

Auch das noch.

Auf Ed mit einer scharfen Waffe in der Hand konnte ich echt verzichten.

„Woher kennst du ihn überhaupt?“, fragte Matt.

„Das ist verzwickt.“

„Haha, sehr witzig.“

Ich erzählte ihm von meiner Begegnung mit Ed heute Morgen und dass er das Elfenmädchen kannte. Als ich Eds Killerblick erwähnte, nickte Matt. „Verstehe“, sagte er. „Hört sich eindeutig nach Ed an. Aber hey, vielleicht hast du morgen Glück und wir sehen nur Jules beim Training.“

Matt grinste mich so unverfroren an, dass ich ihm eine Erbse an den Kopf schmiss.

„Nur kein Neid!“ Ich räusperte mich. „Kommen wir lieber mal zur Preisfrage des Tages. Was wollten diese beiden maskierten Typen von uns?“

Schlagartig wurde Matt ernst, schlug die Augen nieder und schwieg. Gerade holte er tief Luft, als der Koch von vorhin sich erneut zu uns gesellte. Matt forderte ihn auf, sich zu setzen, und begann ein Gespräch mit ihm.

Ich wurde den Eindruck nicht los, dass Matt froh war, meine Frage nicht beantworten zu müssen. Na warte. Mit diesem Gespräch waren wir noch nicht fertig.

Als wir später mit der U-Bahn auf dem Rückweg nach Camden Town waren, wurden wir erneut von Gerald begleitet und an eine ernsthafte Unterhaltung mit Matt war nicht mehr zu denken.

Schläfrig hing ich neben ihm in dem ruckelnden Zug und fast fielen mir die Augen zu. Ich dachte an die vielen bösen Blicke, die man mir heute zugeworfen hatte. Aber da war dieser eine Blick aus blauen Augen, der sich andauernd zwischen die anderen schob. Himmel, was für ein Tag!

Cal – 5. Der Ritter in der Not

Cal – 5. Der Ritter in der Not

 

 

 

 

 

Mein Blick blieb am Carina-Nebel hängen.

Das Bild des über tausende Lichtjahre entfernten Nebelkomplexes, welches durch das Hubble-Teleskop geschossen worden war, hing an der Dachschräge über meinem Bett. Ich gähnte, stand aber auf. Ich hatte jetzt keine Zeit, auch noch die anderen Fotos von weit entfernten Galaxien anzuschauen, mit denen ich mein ganzes Zimmer tapeziert hatte.

Ich musste zur Arbeit.

Ich hatte das Geld, das meine Eltern für mein Astrophysikstudium gespart hatten, von New York nach England transferiert. Mit dem, was ich mir durch meinen Job noch hinzuverdiente, kam ich ganz gut über die Runden.

Auf der Suche nach meinen Jeans ließ ich den Blick durch mein Zimmer schweifen. Das Regal neben der Tür brach fast zusammen unter den unzähligen dicken Fachbüchern und auf dem großen Schreibtisch stapelten sich meine Notizen aus den Vorlesungen. Ich fand die gesuchte Hose unter meinem Schreibtischstuhl und schlüpfte hinein, bevor ich mir ein altes blaues T-Shirt aus dem Schrank schnappte.

Motiviert lief ich hinaus auf den langen Flur. Dieser glich einer offenen Galerie und rechts führte eine breite Treppe über zwei Stockwerke zur Haustür hinunter. Ich machte einen Abstecher ins Bad und fand meinen Haustürschlüssel neben der Kaffeemaschine in der Küche. Die zwei Räume teilte ich mir mit Matt, der sein Zimmer auf der gegenüberliegenden Gangseite hatte.

Um ihn nicht zu wecken, lief ich leise die Treppe hinunter, wobei ich jene hölzernen Stufen mied, die immer besonders laut knarzten. Ich steckte vorsichtig den Kopf aus der Haustür. Keine Typen in altmodischen Gehröcken weit und breit und auch Gerald war verschwunden. Sehr gut.

Erleichtert machte ich draußen drei Schritte nach rechts und schon stand ich vor meiner Arbeitsstelle. Gedämpftes Licht fiel durch die gläserne Tür mit einem Bogen darüber. In goldenen Buchstaben konnte der Besucher dort den Namen des Geschäftes und den seines Besitzers lesen:

 

The King‘s Bookshop

Inhaber: Mr. Brian Quinn.

 

Ich öffnete die Tür und wurde von einer hell klingelnden Messingglocke begrüßt. Sofort kroch mir ein wohlvertrauter Geruch in die Nase und kurz schloss ich die Augen. Wie ein liebgewonnenes Parfüm umwehte mich der Duft nach Leder und bedrucktem Papier, garniert mit einer Prise Staub und Tinte.

Jede Menge tintendurchweichtes Papier, denn der schmale Raum, in dem ich stand, war vollgestopft bis unter die Decke.

Ich schaute mich um und konnte nach wie vor nicht fassen, wie man auf einer so kleinen Fläche einen Buchladen unterbringen konnte. In der Mitte teilte ein hohes Regal den länglichen Raum und die Kunden mussten links vorbei nach hinten gehen und rechts vorbei wieder zurück. Sollte man diese Regel vergessen und es kam einem jemand entgegen, wurde es verdammt schwierig, aneinander vorbeizukommen. Die hölzernen Leitern, die überall herumstanden, vereinfachten die Sache auch nicht wirklich.

„Ah, da bist du ja.“ Dumpf drang eine Stimme aus den Tiefen des Raumes an meine Ohren.

Tippelnde Schritte näherten sich und Mr. Quinn kam mit einem Stapel Bücher im Arm aus dem Gang. Schnell nahm ich ihm die schweren Werke ab und ließ sie krachend auf den Verkaufstresen am Eingang fallen.

„Danke, mein Junge.“ Mr. Quinn wischte sich über die Stirn, wobei ihm eine Brille aus seinen weißen, wild abstehenden Haaren fiel. Zielgenau landete sie neben den Büchern auf der Theke. Daraufhin sah er mich aus hellen blauen Augen verwirrt an und griff nach einer weiteren Brille, die an einem Band um seinen Hals baumelte. Als er sie aufsetzen wollte, wurde das zum Problem, denn auf seiner Nase saß eine dritte Brille.

Ich lachte in mich hinein. Typisch, Mr. Quinn.

Nach meinem Umzug von New York hierher hatte ich eine Weile in einem Hostel gewohnt. Eines Tages war Professor Mosley nach der Vorlesung zu mir gekommen und hatte mir einen Zettel in die Hand gedrückt. Ein alter Freund von ihm hätte ein Zimmer zu vermieten.

Deshalb hatte ich mich an einem frühen Samstagmorgen auf den Weg hier hin gemacht und war bei Mr. Quinn im Buchladen gelandet. Neugierig hatte er die Hände in die Seiten seines altmodischen Tweed-Anzuges gestemmt und mich von oben bis unten gemustert. Das Zimmer könne ich haben, hatte er gemeint und mich gefragt, ob ich vielleicht auch einen Job suche. Dabei war sein Blick zwischen mir und den gerade gelieferten Kartons vor dem Laden hin und her gewandert. So hatte ich also den ganzen Morgen kiloschwere Bücher geschleppt, ausgepackt und in Regale gestapelt. Währenddessen hatte Mr. Quinn glücklich über seine beiden runzligen Backen gestrahlt und seitdem half ich ihm jeden Samstagvormittag im Laden.

„Dann hol ich mal unser Frühstück, was?“, sagte er jetzt und riss mich aus meinen Gedanken. Er griff nach einem kleinen Weidenkorb unter der Theke und zog aus seiner Weste eine goldene Taschenuhr. Diese wirkte so alt, als wäre sie schon 1815 mit Napoleon auf Tour gewesen. „Oje, schon so spät.“ Er runzelte die Stirn und setzte sich abwesend seine verlorene Brille wieder auf den Kopf. Dann tippelte er beschwingt aus der Tür.

Ich blickte ihm nach und dabei direkt auf die Kisten, die auch heute draußen standen. Seufzend machte ich mich an die Arbeit.

Eine Stunde später hatte ich alle Kartons hineingeschleppt und ausgeräumt. Die Bücher, von denen ich wusste, wo sie hinkamen, räumte ich in die Regale. Beim Durchqueren des Ladens war ich mehreren Bücherstapeln auf dem Boden ausgewichen und hatte mir zweimal den Kopf an überstehenden Bildbänden gestoßen.

Als Mr. Quinn zurückkam, war es Zeit für eine Pause. Immer wenn ich kam, verließ er den Laden und ging zu Gerry´s Bäckerei zwei Straßenecken entfernt. Nachdem er dort die Morgenzeitung durchgelesen hatte, kehrte er mit Kaffee und Käsesandwiches in seinem Korb zurück und erst nach unserem gemeinsamen Frühstück schloss er den Laden auf.

Wie jeden Samstag war es auch heute voll. Ich schnappte mir die letzten Bücher aus der Kiste und machte mich auf den Weg ins Ladeninnere. Als ich am Ende des Ganges ankam und um das Regal in der Mitte biegen wollte, stieß ich fast mit jemandem zusammen. Mit einiger Mühe konnte ich das gerade noch verhindern, wobei der Stapel Bücher auf meinem Arm besorgniserregend schlingerte.

„Sorry“, begann ich, aber alle weiteren Worte blieben mir im Hals stecken.

Vor mir stand das Elfenmädchen! Himmel nochmal!

„Da sieh einer an. Der Ritter in der Not. Wieder auf dem Sprung? Obwohl … ich sehe hier gar keinen Beamer.“ Heute trug sie eine helle, grobgestrickte Jacke und hatte ihre Haare zu einem dicken Zopf geflochten, der ihr seitlich über die Schulter fiel.

Ich brachte kein Wort heraus und schüttelte nur den Kopf. Irgendwie war ich nicht darauf gefasst, sie hier zu sehen. Außerdem stand sie viel zu dicht vor mir und verwundert stellte ich fest, wie groß sie war.

„Soll wohl heißen, dieses Mal bleibst du?“ Sie lächelte und musterte mich abwartend. „Vielleicht fällt dir das Sprechen leichter, wenn ich dir doch meinen Namen verrate.“ Sie hielt mir die Hand hin. „Ich bin Linnea, aber nenn mich einfach Nia.“

Ich ergriff ihre Finger und als wir uns berührten, überlief mich ein Schauer. Ich musste echt dringend mal was sagen, was sollte sie sonst von mir denken?

„Cal.“ Ich räusperte mich. „Suchst du ein Buch?“ Himmel, wie bescheuert. Sonst wäre sie ja wohl kaum hier. „Ich meine, ich arbeite hier“, schob ich deshalb schnell hinterher.

„Wie praktisch. Ich brauche ein paar Bücher für meine Vorlesungen.“ Bei diesen Worten wanderte ihr Blick skeptisch über das Chaos im Laden. „Ich suche Sinn und Sinnlichkeit.“

„Sinn und Sinnlichkeit. Damit kann ich dienen.“

Daraufhin blitzen Nias Augen amüsiert auf. „Verstehe. Also kennst du das Buch und somit auch meine Lieblingsautorin?“

„Natürlich. Wer kennt es nicht. Deine Lieblingsautorin und ich sind so miteinander.“ Ich kreuzte Zeige- und Mittelfinger, während ich fieberhaft überlegte, wer dieses verflixte Buch geschrieben hatte. Leider wollte es mir partout nicht einfallen.

Nia lächelte belustigt, sagte aber nichts. Stattdessen begann sie, in ihrer großen blauen Schultertasche zu wühlen. Dabei rutschte ihr linker Jackenärmel ein Stück nach oben. Als sie dies merkte, drehte sie mir kurz den Rücken zu und suchte weiter. Ich runzelte die Stirn, entspannte mich aber gleich wieder, als sie sich umdrehte und mir triumphierend einen Zettel vor die Nase hielt. Ich griff danach und verfrachtete die Bücher von meinem Arm achtlos ins Regal.

„Die Wälzer willst du alle lesen?“ Ich starrte auf das Papier in meinen Fingern. „Himmel nochmal. William Shakespeare, Geoffrey Chaucer, Christopher Marlowe? Das sind ganz schön harte Brocken. Daran beißt man sich doch die Zähne aus.“

„Das behaupten immer alle“, schnaubte sie. „Aber ich sag dir mal was. Wenn ich nachfrage, was an den Büchern so schwer verdaulich war, stellt sich meist heraus, dass die Menschen, die das sagen, die Bücher gar nicht gelesen haben.“ Nia funkelte mich herausfordernd an.

„Autsch!“ Ich fasste mir an die Backe. „Ich weiß jetzt nicht, was mehr weh tut. Dein Kommentar oder der Zahn, den mich das Lesen von Romeo und Julia fast gekostet hat.“

Daraufhin brach Nia in ein helles Lachen aus und mein Herz machte einen Hüpfer.

Schlagartig wurde mir klar, dass ich wollte, dass sie mich mochte. „Soll ich die Bücher für dich raussuchen“, fragte ich.

„Wie ritterlich.“ Nia gluckste immer noch. „Ich glaube, ich würde hier kein einziges Buch finden.“

Ich deutete auf Mr. Quinn, der plaudernd vorne im Laden stand. „Das ist alles pure Taktik von ihm. So müssen die Kunden ihn fragen und er kann ein Schwätzchen halten.“

„Ganz schön clever“, entgegnete Nia. „Was denkst du? Wann kann ich die Bücher abholen?“

Ich runzelte die Stirn. „Heute Abend?“ Meine Gedanken fingen direkt an zu kreisen. Und wenn sie die Bücher abgeholt hatte, was dann? Würde ich sie wiedersehen? Plötzlich ging mir auf, dass ich genau das unbedingt wollte. „Ich werde dir die Bücher vorbeibringen“, sagte ich daher entschlossen.

Kaum hatte ich das ausgesprochen, zog Nia ihre Jacke enger um sich und drückte ihre Tasche an die Brust. Es war eine absolute Abwehrhaltung, als würde sie ein Schutzschild vor sich aufbauen. Ich erinnerte mich, dass sie das gestern bereits mit ihren Büchern getan hatte.

„Hey“, sagte ich leise und blickte erneut auf den Zettel in meiner Hand, „allein die Bücher von Charles Dickens hier haben das Gewicht eines mittleren Pottwals.“

Nia lachte erneut und ihre Schultern entspannten sich etwas. Von dieser Geste ermutigt machte ich vorsichtig einen Schritt auf sie zu. „Ich würde dir wirklich gerne helfen.“

„Schon wieder?“, fragte sie.

„Wenn du es zulassen kannst.“

Daraufhin schaute Nia mir so tief in die Augen, dass meine Beine sich schlagartig in Wackelpudding verwandelten. Plötzlich - als hätte sie eine Entscheidung getroffen - kramte sie aus den Tiefen ihrer Tasche einen Stift hervor, nahm mir den Bücherzettel aus der Hand und schrieb ihre Adresse und ihre Telefonnummer darauf. Als sie mir das Blatt wieder in die Hand drückte, berührten sich unsere Finger erneut. Ein warmer Schauer schoss daraufhin meinen Arm hinauf und es war, als würde Nia mir unter die Haut kriechen. Ich konnte nichts dagegen tun – und ehrlich gesagt, wollte ich das auch gar nicht.

„Besser du schleppst den Pottwal als ich. Normalerweise mache ich das nicht“, sagte sie, „Jungs, die ich nicht kenne, meine Adresse geben. Aber ich muss zugeben, sollte ich die Bücher auf wundersame Weise doch alle selbst finden, müsste ich sie trotzdem nach Hause schleppen. Darum …“

„Hoffentlich ist das jetzt nicht der einzige Grund, warum du dich für mich entscheidest“, unterbrach ich sie.

„Wir werden sehen. Bis heute Abend.“ Nia lächelte und lief zum Ausgang.

Ich atmete aus, steckte beide Hände samt Zettel in die Hosentasche und ließ meinen Hinterkopf an das Bücherregal sinken. Oh Mann! Da hatte ich wohl gerade noch mal die Kurve bekommen. Nia hatte es geschafft, mich aus dem Takt zu bringen, und das war etwas, was selten vorkam. Dafür hatte ich mir ein zu dickes Fell zugelegt.

Aber Nias Abwehrhaltung machte mir Sorgen und ich war echt verunsichert. Was hatte sie nur? Immerhin hatte ich die Chance, sie wiederzusehen. Würde ich mir am Ende an ihr die Zähne ausbeißen?

Mit Mr. Quinns Hilfe suchte ich alle Bücher für sie zusammen und er erkannte sofort, dass Nia englische Literatur studierte. Ich packte alles in einen großen Karton und deponierte ihn unter der Verkaufstheke. Da ich einen Ladenschlüssel hatte, würde ich die Kiste einfach heute Abend holen und Nia vorbeibringen.

Nia

Nia

 

 

Den ganzen Weg vom Buchladen bis zu meiner Wohnung, dachte ich darüber nach, ob es schlau gewesen war, Cal meine Adresse zu geben. War ich denn von allen guten Geistern verlassen? Ich hatte eine wichtige Regel in meinem Leben: Nie wieder würde ich einen Jungen zu nah an mich heranlassen. Das hatte ich dummerweise einmal versucht …

Sofort musste ich an Ed denken. Er war der Einzige, den ich in meiner Nähe duldete, aber nur als Freund. Und er hatte auch nie etwas in eine andere Richtung versucht. An meinem ersten Tag an der Uni hatte ich Ed nach dem Weg zu meinem Campus gefragt. Statt es mir zu erklären, hatte er mich hingebracht. Zusammen hatten wir uns in der Mensa Mac and Cheese geteilt und geredet. Seitdem war er irgendwie ein Teil von meinem Leben hier in London.

Gestern war dann Cal aufgetaucht. Ich hatte genau gesehen, wie er diesem Kerl mit der Baseballkappe seine Finger in die Schulter gebohrt hatte. Eigentlich hatte ich es allein schaffen wollen, aber ich hatte mich so lange vor der Welt versteckt, dass ich immer noch damit kämpfte, mich ihr erneut zu stellen. Ich hatte Cal in dem Glauben gelassen, es nicht gesehen zu haben, und meinen Namen hatte ich ihm absichtlich nicht gesagt. In dem Moment war es mir viel zu gefährlich erschienen. Aber eben hatte ich es einfach nicht übers Herz gebracht, ihn erneut abzuweisen. Irgendwie war er mir heute ein wenig durcheinander vorgekommen. Ob das Chaos in Mr. Quinns Laden abfärbte? Egal! Cal würde mir diese Bücher bringen

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 16.01.2024
ISBN: 978-3-7554-6819-6

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /