Cover

Aurox 4

 

 

 

 

 

 

Aurox

 

Kaleb und Taavin

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Aurox 4

 

 

Kaleb und Taavin

 

Von Isabell Bayer und Liesa Marin

 

 

 

Impressum

 

Impressum

 

 

 

 

 

 

 

 

Titel: Aurox – 4 – Kaleb und Taavin

Autorinnen: Isabell Bayer und Liesa Marin

ISBN: 978-3-98942-207-0

© 2023 Lycrow Verlag

Alle Rechte vorbehalten.

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Verlag verantwortlich. Jede Verwendung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig.

 

Lycrow Verlag GbR

Schillerstraße 8

17266 Teterow

info@lycrowverlag.de

 

Bestellung und Vertrieb:

Nova MD GmbH, Vachendorf

Buchbeschreibung:

Buchbeschreibung:

 

 

Der Kampf gegen Ammey hat der Gruppe deutlich gezeigt, dass sie der Frau nicht gewachsen sind. Und Kaleb weiß, das alles ist allein sein Fehler. Hätte er damals nicht versagt, wäre nichts hiervon je passiert.

Dieses Geheimnis will Kaleb mit ins Grab nehmen, doch gerade Taavin kommt der Wahrheit immer näher. Der gutaussehende Hybrid bringt Kalebs eiserne Fassade ins Wanken und Gefühle entstehen, die seine Kontrolle bröckeln lassen.

 

Taavin ist ein Einzelgänger und nur an der Mission beteiligt, um seinem Bruder, Ace, nahezusein. Doch etwas an Kaleb zieht ihn an, und obwohl Taavin sich geschworen hat, keine Emotionen zuzulassen, merkt er, wie der Mann sich in sein Herz schleicht.

Als er Kalebs Geheimnis auf die Schliche kommt, muss er sich entscheiden. Hilft er dem gutaussehenden Aurox und nimmt die Empfindungen an, die er in ihm auslöst, oder wendet Taavin sich von ihm ab?

 

 

 

Triggerwarnung

Triggerwarnung

Liebe Leserinnen und Leser,

 

bevor ihr euch in die Welt der Aurox begebt, möchten wir euch warnen.

Jiltorya steckt nicht nur voller übernatürlicher Wesen und Magie, es ist auch geprägt von Gewalt, Sklaverei, Unterdrückung und Missbrauch.

Wer sich dessen bewusst ist und keine Sorge hat, von schlimmen Szenen dieser Art getriggert zu werden, darf gerne weiterlesen.

 

Ihr seid euch nicht sicher?

Dann blättert zum Ende des Buches, denn dort findet ihr eine ausführliche Auflistung der potenziellen Triggerthemen.

 

Doch auch dort gilt zu beachten:

 

Die Liste ist womöglich nicht vollständig!

 

Eure Autorinnen Isabell und Liesa

Kapitel 1

Kapitel 1

Kaleb

 

 

Kühler Wind wehte ihm einige Haarsträhnen in die Stirn und Kaleb wischte sie achtlos beiseite. Dabei stach seine linke Schulter, was ihn kaum merklich das Gesicht verziehen ließ.

Sieben Tage ... Genau sieben Tage waren vergangen, seit sie gegen Ammey und ihre Schergen gekämpft und verloren hatten.

Seither war nichts mehr so wie zuvor.

Er blieb an einer kleinen Anhöhe stehen und ließ den Blick über das vor sich liegende Land schweifen. Es dämmerte, der Tag neigte sich langsam dem Ende und sie waren schon eine geraume Weile unterwegs.

Keiner von ihnen hatte in der letzten Zeit Ruhe gefunden, von Schlaf wollte er gar nicht sprechen.

In der Ferne konnte Kaleb Rauch aufsteigen sehen, ihr Ziel kam in greifbare Nähe.

Endlich.

Eigentlich hätten sie schon vor zwei oder drei Tagen in Jarons Heimatdorf ankommen sollen, doch die Schlacht hatte ihre Spuren hinterlassen. Bei ihnen allen.

Er lugte über die Schulter.

Die Gruppe schloss langsam zu ihm auf. Wie jeden Tag hatte er die Vorhut übernommen, um vor Gefahren zu warnen. Doch den Göttern sei Dank waren sie verschont geblieben.

Kurz blieb sein Blick an Fraya hängen. Silvans Mutter, die sie unverhofft beim Kampf gegen Ammey unterstützt hatte.

Nein, unterstützt war das falsche Wort.

Wäre Fraya nicht gewesen, hätten sie nicht nur die Schlacht, sondern auch ihre Leben verloren.

Diese Frau war aus dem Nichts aufgetaucht und hatte den kompletten Boden unter Ammeys Truppen aufbrechen lassen. Kaleb hatte etwas Derartiges noch nie gesehen.

In seinem Leben war er bereits mit Druiden in Kontakt gekommen und war deshalb mit ihren Kräften halbwegs vertraut.

Fraya war anders ... gefährlicher ... stärker.

Sie hatte ihrem Sohn die traurige Nachricht überbracht, dass das Heimatdorf der beiden nicht mehr existierte. Die Bewohner waren tot, auch Silvans Vater.

Fraya hatte überlebt, aber nur, weil sie zur Zeit des Angriffs verbotenerweise außerhalb der Druidenzone gewesen war.

Ihr Glück, sonst wäre sie wahrscheinlich ebenfalls unter Ammeys Erweckten gewesen.

Allerdings konnte Kaleb sich auch vorstellen, dass die mächtige Frau den direkten Kampf im Dorf hätte überleben können.

Denn Fraya war tatsächlich anders. Das war auch der Grund, weshalb Taavin, Ace‘ Bruder und seines Zeichens Hybrid, der Frau immer wieder verstohlene Blicke zuwarf.

Fraya war selbst ebenfalls eine Hybridin. Ein Mischlingswesen aus Druide und Fluchelf.

Das hatte nicht einmal Silvan gewusst. Dem jungen Mann hatten all die Informationen den Boden unter den Füßen weggezogen, doch Liam stand seinem Partner natürlich zur Seite. Er hatte Silvan aufgefangen und so langsam verarbeitete er alles.

Der Tod seines Vaters und all der Mitglieder seiner Zone machten Silvan schrecklich zu schaffen. Der sonst so lebensfrohe, positive und quirlige Druide war vollkommen in sich gekehrt. Nur Liam kam noch richtig an ihn heran.

Fraya versuchte es auch immer wieder, aber es wollte ihr nicht gelingen.

Gerade sah Kaleb die Frau kopfschüttelnd seufzen, als sie sich von Silvan abwandte. Was gesprochen wurde, konnte er auf die Entfernung nicht verstehen, aber das spielte auch keine Rolle.

Er fühlte einen Blick auf sich und begegnete sogleich den hellen blauen Augen von Taavin.

Der Hybrid lief am Ende der Gruppe und achtete zumeist auf Ace, seinen jüngeren Bruder.

Das konnte Kaleb ihm auch nicht verübeln. Ace sprach kaum, aß so gut wie nichts, und ließ, ähnlich wie Silvan, niemanden an sich heran. Selbst sein Mann Jaron und seine Tochter Sakina hatten ihre Schwierigkeiten.

Denn Ace hatte im Kampfgeschehen eine folgenschwere Entscheidung treffen müssen: Um Sakina zu retten, tötete er ihre Zwillingsschwester Jolina.

Kaleb ballte die Fäuste.

Zu was Ammeys Treiben sie alle gezwungen hatte, war grauenhaft. Einfach schrecklich.

Und seine Schuld.

Er nickte Taavin zu, die Luft war rein und er wandte sich wieder ab.

Hart verdrängte er alle Gedanken an die Vergangenheit und nahm seinen Marsch erneut auf.

„Kaleb!“

Sofort hielt er inne und wandte sich um. Hauptmann Quinten kam mit schnellen Schritten auf ihn zu.

Raven, Quinns Mann, war natürlich an seiner Seite. Der Aurox ließ seinen Blutelf nicht einen Moment aus den Augen.

„Willst du rasten?“, fragte Kaleb und Quinn nickte, er wirkte angespannt, was Kaleb ihm nicht verübeln konnte. Die ganze Lage war grauenhaft und niemand wusste so recht, wie man damit umgehen sollte.

„Es genügt für heute“, erklärte der Hauptmann. „Morgen zur Mittagszeit werden wir Jarons Dorf erreichen, da können wir die Nacht nutzen, um uns vorzubereiten.“

Kaleb neigte zustimmend den Kopf. Niemand wusste, wie das Dorf, das von Jarons Familie geleitet wurde, auf ihre Gruppe reagieren würde.

Dass sie sich über Jaron freuen würden, war ziemlich sicher, doch die anderen? Wer beherbergte schon gern Aurox des Goldkönigs?

Kaleb wüsste niemanden.

„In Ordnung“, stimmte er dem Vorschlag des jüngeren Mannes zu und so warteten sie, bis der Rest zu ihnen aufgeschlossen hatte. „Suchen wir einen geschützten Platz für die Nacht“, befahl Quinn und ohne Murren wurde Folge geleistet.

Schnell war ein geeigneter Ort gefunden, er lag tief zwischen den Bäumen und brachte so viel Schutz, wie es inmitten der Wildnis möglich war.

Mittlerweile waren sie geübt darin, ein kleines Lager zu errichten und ein Feuer zu schüren. Dabei wurde kaum ein Wort gewechselt, wie die letzten Tage schon.

Kaleb unterdrückte ein Seufzen.

Er konnte nur hoffen, dass der Besuch bei Jarons Heimatdorf positiv verlaufen würde. Noch mehr Rückschläge konnten sie nicht gebrauchen.

Als jeder einen halbwegs gemütlichen Platz gefunden hatte, wandte Kaleb sich erneut an Quinten.

„Wie möchtest du vorgehen, wenn wir beim Dorf ankommen?“, wollte er wissen.

Der Blutelf zog die Brauen zusammen, sein Blick ging für einen Moment in die Flammen, ehe er antwortete: „Wir beide werden allein zum Tor gehen, die anderen sollen in einigem Abstand warten. Unsere Gruppe ist vielleicht nicht groß, aber wir wollen etwaige Missverständnisse vermeiden.“

Kaleb neigte zustimmend den Kopf.

Ammeys Brut hatte sich bereits über die Landesgrenzen Toryas hinaus verbreitet und sie mussten annehmen, dass das Dorf Fremden gegenüber sehr skeptisch und vorsichtig sein würde.

Falsches Vorgehen könnte als potenzieller Angriff gedeutet werden, selbst wenn das Wappen Toryas auf Quintens Uniform prangte.

Vorsicht war in diesem Punkt besser als Nachsicht.

„Nicht einmal Jaron willst du mitnehmen?“, hakte er dennoch nach und beobachtete, wie Quinn offensichtlich mit sich rang.

„Er ist furchtbar aufgewühlt, zudem will er Ace bestimmt nicht allein lassen, nicht einmal für kurze Zeit. Jaron macht sich Sorgen um ihn“, antwortete der Hauptmann.

Kaleb brummte dumpf.

„Das kann ich verstehen, Ace ist nicht mehr er selbst. Auch wenn ich nicht glaube, dass er sich etwas antun würde, sollten wir ein Auge auf ihn haben. Taavin weicht zudem gewiss nicht von Ace´ Seite, er wird seinen Bruder im Blick behalten.“

„Richtig. Ich spreche mit Jaron, vielleicht begleitet er uns doch“, meinte Quinn. „Rede du mit Taavin, dass er bei der Gruppe, bei Ace, bleibt, und nicht wieder seiner eigenen Wege geht. Dann lässt Jaron womöglich mit sich reden.“

Sogleich ging Kalebs Blick zu Taavin. Der Hybrid stand etwas abseits, wie immer. Er suchte nie den Kontakt, außer vielleicht zu Sakina und Ace. Hin und wieder sah man ihn auch mit Silvan sprechen, doch da ging es zumeist um die Druidenfähigkeiten, die Silvan derzeit noch immer trainierte.

Taavin hatte sich des jungen Druiden in gewisser Weise angenommen, verfügten sie doch beide über das fünfte Element. Blitz und Donner.

„Er bleibt sicher bei ihnen“, entgegnete Kaleb und hielt dann auf Taavin zu.

Dessen hellblaue Augen fixierten ihn und er konnte eine Mischung aus Verwirrung und Unwohlsein in ihnen erkennen.

Aus irgendeinem Grund mochte Taavin ihn nicht, das war Kaleb mittlerweile klar, aber er hatte noch nicht herausfinden können, was der Hybrid gegen ihn hatte.

„Kann ich kurz mit dir sprechen?“, fragte er, als er vor Taavin stand.

Dieser ließ ein Brummen hören. „Sicher.“

Der Hybrid folgte ihm wenige Schritte in den dichten Wald, wobei Kaleb der Duft des Mannes in die Nase stieg.

Unwillkürlich schluckte er.

Taavin löste etwas in ihm aus, das er nicht greifen konnte.

Das gefiel ihm nicht ...

Womöglich ging es dem Hybrid genauso und er verhielt sich deshalb so ablehnend ihm gegenüber?

Wie dem auch sei, es spielte keine Rolle, sie hatten wichtigere Dinge, um die sie sich kümmern mussten.

„Morgen zur Mittagszeit werden wir Jarons Dorf erreichen“, informierte er Taavin. „Quinn, Raven, Jaron und ich werden vorgehen. Kannst du in der Zeit ein Auge auf die anderen haben? Allen voran deinen Bruder? Wir sind in großer Sorge um ihn.“

Jegliche Skepsis verschwand aus Taavins Blick, er wurde schlagartig ernst und nickte.

„Natürlich. Klärt ihr die Dinge mit dem Dorfvorsteher und überlasst alles hier draußen mir. Wenn sie euch wohlgesonnen sind und ihr euch ein paar Tage dort ausruhen könnt, wird das auch Ace guttun, da bin ich mir sicher.“

Kaleb runzelte die Stirn. „Ihr? Moment. Willst du nicht mit hinein?“

Fast schon hektisch schüttelte Taavin den Kopf.

„Ganz gewiss nicht! Ich habe mich all die Jahre von Orten und vor allem zu vielen Leuten ferngehalten, da fange ich jetzt nicht damit an, das zu ändern.“

Zwar konnte Kaleb Taavins Abneigung nachvollziehen, doch dass der Hybrid die Zeit draußen im Wald verbringen wollte, gefiel ihm nicht.

„Ace wird darüber nicht glücklich sein“, meinte er in dem Versuch, Taavin zu überzeugen. „Er hätte dich gewiss gern bei sich. Ich kann mir gut vorstellen, dass er dich braucht. Saki auch.“

Tatsächlich konnte er sehen, dass Taavin mit sich rang, dennoch verneinte er erneut.

„Ich will nicht in ein Dorf. Wenn sie herausfinden, was ich bin ... Nein, ich habe keinen Bedarf danach, erneut gejagt zu werden.“

Kaleb sah über die Schulter zurück zum Lager.

„Was ist mit Fraya, wird sie mit dir zurückbleiben?“

„Das weiß ich nicht, wir haben nicht darüber gesprochen. Aber sie kann tun, was sie will, ich werde keinen Fuß in den Ort setzen“, antwortete Taavin und Kaleb verzog das Gesicht. Es hatte wenig Sinn, weiter auf ihn einzusprechen.

„Gut, wie du willst. Solange du hier die Stellung hältst und ein Auge auf die anderen hast, werden wir die Dinge mit Jarons Familie klären.“

„Mache ich.“

Mehr sagte der Hybrid nicht, stattdessen ging er an ihm vorbei zurück zum Lager.

Erneut bekam Kaleb dabei Taavins Geruch in die Nase und biss die Zähne zusammen.

Wieso hatte der Kerl eine solche Wirkung auf ihn?

Kopfschüttelnd rief Kaleb sich zur Ordnung und trat ebenfalls den Rückweg an.

Im Lager suchte er Quinns Blick und nickte dem Hauptmann zu.

Ein kleines Lächeln legte sich auf Quinns Lippen und er griff Jaron am Arm, der gerade gar nicht glücklich aussah.

Kaleb wusste, Jaron und Quinn waren sehr gute Freunde, Brüder im Geiste. Wenn jemand Jaron überreden konnte, mit ins Dorf zu kommen, dann der Blutelf.

Er setzte sich und griff seinen Beutel, in dem er zwei Wasserschläuche mit sich führte. Einen davon nahm er, entkorkte ihn und trank.

„Die Stimmung wird nicht gerade besser.“

Kaleb verschloss den Schlauch und blickte zu Fraya, die sich neben ihm niedergelassen hatte.

„Nein, aber das ist nicht verwunderlich“, entgegnete er und erntete ein freudloses Lächeln.

„Das mag sein, doch es muss sich ändern. Wenn wir erneut in einen Kampf verwickelt werden und die Motivation der kompletten Gruppe so am Boden ist, werden wir gewiss nicht siegreich hervorgehen.“

Daran hatte Kaleb auch schon gedacht. Man durfte einen gebrochenen Kampfeswillen nicht unterschätzen, da sprach Fraya leider wahre Worte.

„Morgen erreichen wir Jarons Dorf. Mit etwas Glück stehen uns ein paar ruhige Tage bevor, an denen wir wieder zu uns selbst finden können“, erklärte er, auch wenn er nicht wirklich glaubte, dass der Aufenthalt dort etwas ändern würde.

„Vielleicht“, hörte er Fraya sagen, ehe sie seufzte.

„Was wirst du tun? Bleibst du im Wald bei Taavin oder gehst du mit ins Dorf?“, wollte Kaleb wissen.

„Wieso draußen?“, fragte Fraya verständnislos. „Wenn ich die Möglichkeit habe, in einem Bett zu schlafen, ziehe ich gewiss nicht den kalten Boden vor. Sag bloß, Taavin ziert sich, mitzukommen?“

Der hörbare Unglaube ließ Kaleb schmunzeln.

„Er wird uns nicht begleiten. Taavin zieht, im Gegensatz zu dir, eine Baumkrone vor. Davon wird er sich auch nicht abbringen lassen.“

Fraya schnaubte. „Dieser Mann ist ein Narr.“

Sie sagte dies, als wäre es in Stein gemeißelt, und Kaleb musste gegen seinen Willen lachen.

Frayas direkte und trockene Art gefiel ihm sehr.

„Er hat all die Jahre allein draußen gelebt“, versuchte Kaleb Taavins Einstellung zu rechtfertigen. „Er braucht einfach Zeit, um sich an Veränderungen zu gewöhnen.“

Fraya hob eine Augenbraue.

„Wieso verteidigst du ihn? Bist du seiner Meinung? Sollen Hybride sich besser versteckt halten?“

Sofort schüttelte Kaleb den Kopf.

„Nein, keinesfalls. Du verstehst mich falsch. Ich kann nur nachempfinden, dass es schwer ist, sich anzupassen. Und sei es, an die kleinste Veränderung.“

Nach einem langen Moment, in dem sie ihn musterte, nickte sie schließlich.

„Ja, da ist etwas dran, das gebe ich zu. Aber auch im Alter sollte man sich nicht verschließen. Ihr seid noch jung, also bleibt offen.“

Kaleb blinzelte.

„Ich wüsste nicht, wann mich das letzte Mal jemand jung genannt hat. Ich habe die 400 auch schon hinter mir gelassen.“

Fraya schmunzelte.

„Und ich die 600, mein Freund, deshalb sind wir noch lange nicht alt.“

Das stimmte, immerhin konnten Schattenwandler und Druiden bis zu 1000 Jahre alt werden. Elfen sogar bis zu 2000, was eine enorme Lebensspanne war.

„Ich werde die Nachtwache übernehmen“, informierte Kaleb Fraya, ehe er sich erhob. „Ruh dich gut aus, junge Frau, damit wir morgen zeitig vorankommen.“

Er zwinkerte ihr zu, was ihm ein Lachen einbrachte, ehe er zu Quinn trat und auch ihm Bescheid gab.

Da spürte Kaleb einen Blick im Nacken, bei dem sich die feinen Härchen dort aufrichteten. Er musste sich nicht umwenden, um zu wissen, wer ihn fixierte.

Taavin.

„Ab morgen brauchen wir hoffentlich keinen Nachtwächter mehr“, meinte Quinn gerade und Kaleb nickte. „Das hoffe ich auch.“

Erst dann drehte er sich um und sah offen zu Taavin. Wie so oft versteifte dieser sich und wandte schleunigst den Blick ab.

Was sollte das immer?

Wieso starrte er ihn erst an und tat dann so, als wäre nichts gewesen?

Kaleb hatte wirklich Schwierigkeiten, den Kerl richtig einzuschätzen.

„Du musst etwas essen, bitte!“

Jarons drängende Stimme drang an seine Ohren und Kaleb lugte zu ihm.

Der Fluchelf redete auf Ace ein, der mal wieder nichts zu sich nehmen wollte.

„Ich habe keinen Hunger, Jaron. Bitte, lass es“, antwortete Ace und klang bereits genervt.

Kaleb trat zu den beiden und nahm Jaron die Schale ab, in der sich Brot, etwas getrocknetes Fleisch und ein paar Beeren befanden.

„Es geht nicht um Hunger“, stellte Kaleb ruhig, aber bestimmt klar. „Sondern darum, dass du dich bei der Reise, bei der Mission, vernünftig ernährst und bei Kräften bleibst. Das weißt du.“

Damit drückte er dem jüngeren Aurox die Schale in die Hand.

Ace knurrte dumpf und starrte auf das Essen.

„Aber …“

„Kein ‚Aber‘!“, grollte Kaleb und Ace zuckte zusammen.

Ja, im Lager war Ace derjenige, der von allen hoch angesehen war und der für viele der Jüngeren sogar eine Vaterfigur bildete. Aber Kaleb kannte Ace anders, völlig anders. Er hatte ihn als verängstigten Jungen von gerade einmal 20 Jahren erlebt, dessen Welt innerhalb weniger Tage völlig zerbrochen war.

Kaleb hatte ihn aufgefangen, ihn großgezogen, denn er war alles gewesen, was Ace geblieben war.

Heute standen die Dinge anders, doch Ace hörte noch immer in vielen Punkten auf ihn. Auch jetzt ließ er ergeben die Schultern hängen.

„Ja, du hast recht“, murmelte er, setzte sich und begann gehorsam zu essen.

„Danke“, flüsterte Jaron leise und lächelte ihm zu.

Kaleb neigte nur kaum merklich den Kopf und ging dann weiter zu Taavin.

„Bleibst du wach?“, wollte er wissen, denn der Hybrid hatte die Angewohnheit, ähnlich wie er selbst, kaum zu schlafen und sich sogar mitten in der Nacht von der Gruppe zu entfernen.

Aus diesem Grund waren sie auch schon häufiger aneinandergeraten.

Taavin brummte.

„Ja, schlafen kann ich sowieso nicht. Ich bleibe hier, du musst dir keine Sorgen darüber machen, ob ich euch allein lasse.“

Kaleb hielt dem Blick aus hellblauen Augen stand.

„Es geht nicht darum, dass du uns allein lässt, sondern dass du Teil der Gruppe bist. Wir bleiben auf der Mission zusammen“, erklärte er und das nicht zum ersten Mal.

Taavin winkte ab.

„Wie auch immer, ich halte ebenfalls Wache.“

Doch statt mit zum kleinen Lagerfeuer zu kommen, drehte Taavin sich um und sprang auf den nächstgelegenen Baum, wo er auf einem dicken Ast Position bezog.

Kaleb sah ihm stumm nach und machte dann kehrt.

Taavin hielt sich gern fern, vor allem von ihm.

Also setzte Kaleb sich allein ans Feuer, wo er seinen Beutel nahm und das restliche Essen, das er noch bei sich trug, vertilgte.

Die Nacht senkte sich über das Land und nach und nach legten sich alle schlafen.

Kaleb beobachtete dies und lächelte.

Es war schön zu sehen, dass die Paare beieinander waren und sich auch im Schlaf nicht allein ließen. Trotz der Geschehnisse der letzten Zeit standen sie zusammen.

Jaron hatte Ace fest bei sich, der sich wiederum an ihn schmiegte und zeitgleich Sakina im Arm hielt.

Die junge Frau war ebenfalls sehr schweigsam geworden, das Licht, das vor dem Tod ihrer Zwillingsschwester in ihren Augen geleuchtet hatte, war jetzt dumpf und glanzlos.

Sie gab sich die Schuld an Jolinas Ableben, das hatte sie schon mehr als einmal gesagt.

„Wenn ich nicht so schwach gewesen wäre! Wenn ich mich hätte wehren können!“

Unter Tränen hatte sie die Worte ihrem Vater entgegengeschleudert.

„Dann hättest du das nicht tun müssen! Es ist meine Schuld! Meine!“

Sakina war zusammengebrochen. Das war am zweiten Abend nach dem Kampf gewesen.

Es hatte Kaleb im Herzen wehgetan, die Frau so leiden zu sehen, aber helfen hatte er ihr nicht können.

Ace, Jaron und auch Taavin hatten sich ihrer angenommen und ließen sie seitdem nicht mehr aus den Augen.

Kaleb blickte in die Flammen des Lagerfeuers.

Keiner von ihnen war richtig zur Ruhe gekommen, der Kampf gegen Ammey steckte ihnen in den Knochen.

Er hoffte inständig, dass sie morgen bei Jarons Dorf einen Platz finden würden, an dem sie wieder zu sich selbst finden könnten.

 

Taavin

 

Die Nacht war kühl und Taavin sehnte sich nach der Wärme des Lagerfeuers.

Doch das würde bedeuten, bei ihm zu sein, und das konnte und wollte er nicht.

Kaleb verwirrte ihn, in seiner Nähe fiel es Taavin schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Warum, wusste er nicht, und es war ihm auch egal.

Wichtig war, dass er sich von dem großen Aurox fernhielt. So gut es bei dieser Mission eben möglich war.

Taavin musste ein Schnauben unterdrücken.

Er sollte sich nicht so viele Gedanken um den Kerl machen, denn nach der Mission wäre er sowieso wieder allein unterwegs. Nun ja, eventuell mit Sakina, je nachdem, ob seine Nichte bei ihm bleiben wollte.

Vielleicht würde sie sich auch Liam und Silvan anschließen, sie wären wohl die bessere Gesellschaft, aber das würde sich zeigen, sobald sich ihre Wege wieder trennten.

Wer für Taavin noch wichtiger war, war Ace.

Sein Bruder litt schrecklich und Taavin konnte rein gar nichts dagegen unternehmen.

Das, was Ace hatte tun müssen, wünschte er niemandem, und da war es nicht verwunderlich, dass sein jüngerer Bruder sich von allem und jedem abschotten wollte. Doch das würde er nicht zulassen, dafür war Ace ihm zu wichtig.

Genau das war der Grund, wieso Taavin mit seiner Entscheidung, das Dorf von Jarons Familie nicht zu betreten, haderte, denn dann wäre er für einige Tage komplett von Ace getrennt.

Und das hatte Kaleb ihm natürlich unter die Nase reiben müssen, der Mistkerl hatte ihn überreden wollen, aber Taavin graute es allein bei der Vorstellung, von so vielen Leuten umgeben zu sein.

Ihm war die Gruppe selbst an schlechten Tagen schon zu viel. Ein ganzes Dorf war ...

Taavin schauderte.

Nein, er war im Wald besser aufgehoben, dort war es sicherer für ihn, immerhin könnten die Elfen leicht herausfinden, dass er keiner von ihnen war ...

Taavin unterdrückte ein Seufzen.

Natürlich, ebenso wenig wie Fraya und Silvan, aber die beiden hatten augenscheinlich kein Problem damit, sich unter den Elfen zu bewegen. Sie fürchteten sich nicht, im Gegensatz zu ihm.

Taavin knirschte mit den Zähnen.

Ja, er war ein Feigling, zog die Flucht dem Kampf vor, wenn es möglich war.

Und?

Machte ihn das zu einem schlechten Mann?

Er schüttelte den Kopf, wieso hing er diesen Gedanken überhaupt nach?

Es sollte ihm egal sein ...

Dass es das nicht war, ärgerte ihn umso mehr.

„Willst du nicht runterkommen?“

Taavin zuckte zusammen und wäre um ein Haar vom Ast gefallen. Er konnte sich gerade noch fangen und lugte zu Kaleb.

„Nein, ich habe hier oben alles gut im Blick.“

Der Aurox schnaubte.

„Sicher, vor allem Äste und Blätter.“

Dieser verdammte ...

„Du solltest lieber runterkommen und was essen“, hängte Kaleb an, ehe Taavin etwas entgegnen konnte.

„Ich habe keinen …“

Laut knurrte sein Magen und strafte ihn damit Lügen, noch ehe er zu Ende gesprochen hatte.

Er schloss die Augen, Verräter.

Jetzt wie ein bockiges Kind hier oben sitzen zu bleiben, würde auch nicht sonderlich gut aussehen.

Also riss Taavin sich zusammen und sprang.

„Ist denn überhaupt noch etwas zu essen da?“

Heute hatte keiner von ihnen gekocht, sie hatten lediglich die Reste der vergangenen Tage, die Taavin eher verteilt hatte, statt etwas für sich selbst zurückzuhalten.

„Hier.“ Kaleb hielt ihm einige Streifen Trockenfleisch hin. „Obst ist auch noch da, wenn du möchtest.“

Taavin zögerte kurz, ehe er zugriff.

„Danke.“

Schweigend aß er und merkte erst dann, wie hungrig er eigentlich war. Das Fleisch war schnell vertilgt und als Kaleb ihm einen Apfel hinhielt, verspeiste er diesen ebenfalls restlos.

„Du musst besser auf dich achten“, beschied ihn der Aurox. „Ich habe beobachtet, wie du deinen Proviant immer an die anderen verteilst. Das ist zwar nett, aber wenn du dann selbst vor Hunger umkommst, nicht gerade klug.“

Taavin schnaubte geringschätzig.

„Sorge dich nicht um mich, ich habe über 400 Jahre lang allein überlebt, da brauche ich jetzt auch kein Kindermädchen.“

Er fühlte Kalebs Blick auf sich, zwang sich jedoch, in die Flammen des Lagerfeuers zu starren.

„Warum hast du so eine Abneigung gegenüber den Elfen?“, fragte der Aurox nach einem Moment des Schweigens.

Taavin blinzelte und nun blickte er ihn doch noch an. „Das ist keine ernstgemeinte Frage, oder?“, wollte er fassungslos wissen. „Ich bin ein Hybrid. Der König will Hybride tot sehen. Wir sind abnormal und gehören hingerichtet. Waren das nicht genau seine Worte vor vielen Jahren?“

Kaleb neigte zustimmend den Kopf.

„Ja, richtig, das hat er verlauten lassen. Aber das beantwortet meine Frage nicht, denn du hasst nicht nur den König, sondern ein komplettes Volk.“

Das ließ Taavin innehalten.

War das so? Verurteilte er viele, wegen der Taten weniger? Womöglich.

„Ich habe in meinem Leben keinen Elfen getroffen, bei dem sich meine Meinung in diesem Punkt geändert hätte“, entgegnete er schließlich. „Sie sehen sich über allen Völkern, fühlen sich überlegen und unterjochen die, die etwas anderes behaupten.“

„Über die Jahrhunderte hat sich das Bild so festgesetzt, nicht wahr?“, fragte Kaleb und ein leises Lächeln legte sich dabei auf seine Lippen.

Unwillkürlich hielt Taavin den Atem an.

Verflucht, der Mann war ... schön.

Was?

Nein! Absolut nein!

„Wie meinst du das?“, wollte er wissen, um sich selbst am Denken zu hindern.

„Es ist heute kaum noch vorstellbar, aber es gab eine Zeit, in der alle Völker vereint gelebt haben“, erklärte Kaleb. „Das war vor unserer Geburt, vor vielen Jahrhunderten. Es erinnert sich wohl niemand mehr daran, höchstens noch die ganz alten Elfen, aber deren Meinung zählt für den König nichts. Durch ihn sind wir in dieser Lage, er allein ist dafür verantwortlich.“

Kaleb hob den Blick und sah ihm in die Augen.

„Wäre der Goldkönig nie an die Macht gekommen, hätten die Dinge ganz anders verlaufen können. Er trägt die Schuld, nicht das Volk der Elfen.“

Taavin hörte zu und ja, er wusste, worauf Kaleb hinauswollte. Die Elfen konnten nichts für die Entscheidungen ihres Königs, aber sie taten auch nichts gegen ihn.

Er war im Zwiespalt.

„Wie dem auch sei“, murmelte er. „Ich kann sie dennoch nicht leiden und es müsste schon sehr viel geschehen, um daran etwas zu ändern.“

Kaleb stieß ein Seufzen aus und legte Feuerholz nach.

„Vielleicht passiert das früher, als du glaubst.“

Taavin runzelte die Stirn, der Kerl klang zuversichtlich. Aber wieso?

Er schüttelte den Kopf. „Wie du meinst. Ich setze mich wieder auf den Baum.“

Schon wollte er aufstehen, aber Kaleb hielt ihn am Arm fest.

„Es ist kühl, bleib hier. Wenn du dir eine Krankheit zuziehst, fällst du zum Schluss noch für die Mission aus.“

Erneut wollte Taavin aus reiner Gewohnheit widersprechen, aber es war wirklich kalt.

„Na gut“, lenkte er widerwillig ein und verschränkte die Arme vor der Brust.

Er fühlte sich absolut nicht wohl, aber die Wärme des Feuers tat ihm gut.

Um sich von Kaleb abzulenken, sah Taavin zu seinem Bruder. Sogleich war die Sorge um Ace wieder da.

200 Jahre lang hatten sie sich nicht gesehen und nun wurde die Freude über ihr Zusammentreffen von diesen fürchterlichen Schicksalsschlägen getrübt.

Das war nicht fair und Taavin würde alles tun, um Ace die Last abzunehmen. Doch auch das war nicht möglich.

Wenn es um Ace ging, hatte Taavin schon immer versagt, immerhin hatte er ihn im Stich gelassen, als Ace gerade einmal 20 Jahre jung gewesen war.

Und warum?

Aus Feigheit.

Weil Taavin wieder hatte fliehen müssen, um sein eigenes Leben zu retten.

Er unterdrückte ein Seufzen.

Verdammt, die Vergangenheit konnte er nicht rückgängig machen, aber jetzt war er hier und würde tun, was ihm möglich war, um für Ace da zu sein. Dieses Mal würde er nicht nutzlos sein!

Die Nacht schritt voran und Taavin merkte, wie ihn die Müdigkeit mehr und mehr ergriff.

Dabei hatte er die letzten Jahrhunderte kaum auf dem Boden geschlafen.

Erst recht nicht mitten im Wald, wo er jederzeit entdeckt werden könnte.

„Leg dich doch hin“, hörte er Kaleb sagen und versteifte sich sofort.

„Nein, ich bin nicht müde“, entgegnete er und setzte sich, wie zum Beweis, aufrecht hin.

Dabei fühlte er Kalebs Blick auf sich, vermied es aber, ihm zu begegnen.

„Du hast die Möglichkeit zu schlafen, ich halte Wache, du bist sicher“, drängte der Aurox und Taavin knurrte.

„Lass mich in Ruhe, ich weiß schon selbst, wann ich mich ausruhen muss und wann nicht!“

Das kam giftiger hervor, als er es beabsichtigt hatte, doch bei Kaleb hatte er sich einfach nicht im Griff!

Dafür schwieg der Aurox mit den dunklen braunen Augen, die weiterhin auf ihn gerichtet zu sein schienen.

Taavin lag eine Entschuldigung auf der Zunge, doch bevor er sprechen konnte, tat es Kaleb.

„Was hast du gegen mich?“

Die Frage verschlug Taavin die Sprache.

„Was?“, fragte er geistreich nach und schüttelte den Kopf. „Ich habe nichts gegen dich. Wie kommst du denn darauf?“

Nun lugte er doch zu dem Aurox, der schnaubte.

„Du bist ja zu niemandem hier recht freundlich, mal von Ace und Sakina abgesehen. Doch es scheint, als hättest du etwas gegen mich persönlich. Ich bin mir nicht sicher, was ich dir getan habe, aber wann immer wir in Kontakt kommen, fliehst du entweder, oder du fauchst mich im Gespräch an.“

Taavin hätte gern widersprochen, aber leider sprach Kaleb die Wahrheit. Eine Antwort konnte er dem Mann jedoch nicht liefern.

Er wusste es selbst nicht.

„Das bildest du dir ein“, murmelte Taavin ausweichend und senkte den Blick. „Ich habe nichts gegen dich, ich kenne dich nicht einmal.“

„Aber du hast mir das Leben gerettet“, erinnerte Kaleb ihn. „Ohne deine Hilfe wäre ich noch immer in Ammeys Zauber gefangen, oder bereits gestorben. Die Elfen des Königs hätten mich nicht mehr lange in diesem Zustand toleriert, sondern getötet.“

Er beobachtete, wie Kaleb erneut einen Ast in die Flammen schob, ehe er weitersprach.

„Ich habe mich nie richtig bei dir bedankt. Das möchte ich gern nachholen. Danke, ohne dich wäre mein Leben verwirkt gewesen.“

Und genau damit konnte Taavin nicht umgehen!

Er hatte den Großteil seiner Existenz allein verbracht und bedankt hatte sich nie jemand bei ihm.

Wieso auch?

Jetzt nestelte er am Saum seines Oberteils und pulte etwas Harz ab, welches sich vom Baum darin verfangen hatte.

„Schon gut“, murmelte er und fühlte, wie seine Wangen heiß wurden.

Ah verflucht!

Abrupt sprang er auf.

„Ich beziehe wieder meine Position am Baum.“

Diesmal ließ er Kaleb nicht zu Wort kommen und sprang schnell ins Geäst des Baumes, wo er sich erneut auf seinem zuvor schon auserwählten Ast fläzte.

Kalebs fragenden Blick ignorierte er dabei und schloss sogar die Augen.

Das musste aufhören, alles davon!

„Taavin, wach auf!“

Erschrocken fuhr Taavin zusammen und riss die Augen auf.

„Was?“, murmelte er und blinzelte, als helles Sonnenlicht zwischen die Äste des Baumes fiel.

„Wir wollen demnächst los“, informierte Liam ihn. „So langsam solltest du dich also dazu bequemen, aufzustehen.“

Bei den Göttern, er war allen Ernstes eingeschlafen!

Taavin knurrte dumpf und unterdrückte einen Fluch.

Wann war ihm das bitte das letzte Mal passiert?

Er sprang vom Baum und nickte Liam zu.

„Danke, dass du mich geweckt hast“, brummte er und strich sich ein paar verirrte Haarsträhnen aus dem Gesicht.

„Du siehst ziemlich fertig aus“, ließ Liam ihn wissen, die hellen Silberaugen taxierten ihn aufmerksam. „Schlechte Nacht gehabt?“

Stirnrunzelnd verneinte Taavin, doch noch ehe er etwas erwidern konnte, lachte Liam und wandte sich von ihm ab.

Er blickte dem ehemaligen Aurox irritiert nach, machte sich aber dann zügig daran, seine wenigen Sachen zusammenzupacken.

Tatsächlich waren die anderen bereits so gut wie fertig und Taavin wollte keinesfalls der Grund für eine Verzögerung ihrer Weiterreise sein.

Während er aus dem Augenwinkel sah, wie Quinten und Jaron sich unterhielten, trat er, mit seinem Beutel in der Hand, zu Ace.

„Sag mir, dass du wenigstens in dieser Nacht geschlafen hast“, bat er seinen Bruder, der ihn freudlos anlächelte.

„Wie denn, wenn du mit deinem Schnarchen alle wachhältst?“

Es war ein schlechter Versuch, die Situation ins Lächerliche zu ziehen, und Taavin ließ ein Knurren hören.

„Du musst dir auch Ruhe gönnen, Ace. Es bringt dir nichts, wenn du irgendwann vor Müdigkeit und Erschöpfung umfällst“, rügte er ihn, doch Ace winkte nur ab.

„Mach dir um mich keine Sorgen, ich komme zurecht und weiß, was ich mir zumuten kann.“

Taavin griff ihn am Arm, als er an ihm vorbei wollte.

„Nein, nicht mehr“, beschied er Ace. „Und du musst dir endlich helfen lassen, bevor ...“

„Bevor was?“, wollte Ace barsch wissen und riss sich von ihm los. „Was soll denn schon passieren? Schlimmer kann es nicht werden!“

Taavin zuckte zusammen und verzog das Gesicht.

„Das habe ich damit auch nicht sagen wollen“, versuchte er, seinen Bruder zu beruhigen, aber Ace wollte davon offensichtlich nichts hören.

„Komm, wir müssen los“, war alles, was er ihn knurren hörte, ehe Ace zu Jaron lief.

Taavin stieß ein Seufzen aus. Konnte er eigentlich irgendwas richtig machen?

Er unterdrückte einen Fluch und suchte stattdessen Sakina, die gerade bei Silvan, Liam und Fraya stand.

Jemand hatte ihr ein Stück Brot gegeben, an dem sie soeben lustlos knabberte.

Saki ließ es wenigstens noch zu, dass sich um sie gekümmert wurde. Ace ... wollte das nicht.

Als sich die Gruppe schließlich in Bewegung setzte, bildete Taavin wieder die Nachhut. So hatte er seine Ruhe und konnte alles im Blick behalten.

Die Reise verlief ruhig und wie erwartet kam Jarons Dorf in Sicht, als die Sonne ihren höchsten Stand erreichte.

Sogleich wurde es Taavin mulmig zu Mute.

Dörfer, Elfen ... Das hatte er all die Jahre gemieden!

Es war falsch, er sollte nicht hier sein und lieber zusehen, so viel Abstand wie möglich zwischen sich und diese Leute zu bringen.

„Taavin.“

Dass Ace ihn ansprach, ließ ihn stutzen.

„Was ist? Kann ich etwas tun?“, wollte er wissen, doch Ace schüttelte den Kopf.

„Ich muss mich bei dir entschuldigen. Vorhin habe ich mich wie ein Mistkerl benommen. Und dabei weiß ich, dass du recht hattest und mir nur helfen wolltest.“

Das überraschte Taavin noch mehr. Die anfängliche Anspannung fiel von ihm ab und er zog seinen Bruder in eine Umarmung.

„Ich verstehe, wieso du so reagiert hast, und wir beide wissen doch, dass ich furchtbar schlecht darin bin, die richtigen Worte zu finden. Also vergiss die Entschuldigung einfach, ja?“, bat er und war erleichtert, als Ace tatsächlich lächelte. Nur ein wenig, doch diesmal war es nicht gestellt.

„Danke.“

Ace erwiderte die Umarmung und nach einem Moment lösten sie sich voneinander.

„Jaron geht gleich mit Kaleb, Quinn und Raven zum Dorf“, erklärte Ace und Taavins Blick glitt sofort zu der kleinen Gruppe, die sich soeben in Bewegung setzte. „Ich hoffe, sie haben Erfolg.“

Ace nickte.

„Ja, dann hätten wir alle ein paar ruhigere Tage vor uns. Das können wir brauchen.“

Taavin biss die Zähne zusammen. Wenn er Ace jetzt erzählte, dass er nicht vorhatte, das Dorf zu betreten, würde dieser wohl kaum gut darauf reagieren.

„Das stimmt“, antwortete er deshalb vage.

„Für Jaron bedeutet es unglaublich viel, heute hier zu sein“, sprach Ace weiter und schien sein Zögern nicht bemerkt zu haben. „Ich freue mich, dass er die Zeit mit seiner Familie verbringen kann, und möchte ihm das nicht verderben.“

Taavin wandte sich Ace zu.

„He, du verdirbst ihm nichts, Bruder. Wie schon gesagt, wir alle können verstehen, dass es dir ... nein, nicht gut gehen ist der falsche Ausdruck. Ah verdammt, schon wieder fehlen mir die Worte.“

Fluchend schüttelte Taavin den Kopf, doch da hörte er Ace leise lachen.

„Nein, du sagst genau das Richtige, Taavin. Mach dir keine Gedanken, ich verstehe dich, so wie du mich.“

Taavin blickte seinen Bruder einen Moment an. Der Junge, den er damals zurückgelassen hatte, war längst nicht mehr da.

Ace hatte seine Schlachten geführt, gewonnen und verloren. Auch jetzt litt er schrecklich, aber für denjenigen, den er liebte, wollte er sich zusammenreißen.

„Ja, das ist wohl so“, stimmte er ihm schließlich zu. „Jaron hat Glück, dass er dich hat.“

„Nein, wenn jemand Glück hat, dann ich“, widersprach sein Bruder. „Denn ohne Jaron hätte ich niemals zu mir selbst zurückgefunden. Nach Aryas Tod ... Auch jetzt ist er für mich da. Und das, obwohl ich mein Möglichstes tue, ihn zu vergraulen.“

Es war für Taavin nicht vorstellbar, so über einen Elf zu sprechen.

Erst recht nicht über einen Fluchelf. Lange hatte er geglaubt, dass Jaron irgendeinen Fluch bei seinem Bruder angewandt hatte.

Doch je mehr Zeit er mit den beiden verbracht hatte, desto klarer war geworden, dass sie sich liebten.

„Na, wenn das so ist, sollte ich ihm wohl auch ‚danke‘ sagen“, murmelte Taavin und verschränkte die Arme vor der Brust.

Jarons kleine Gruppe war mittlerweile außer Sicht, sie waren wohl schon beim Dorf angekommen.

„Du willst also nicht mit hineingehen?“, fragte Fraya, die zu ihnen trat. „Ist dir der Wald wirklich lieber als ein gemütliches Bett in einem sicheren Haus?“

Taavin knurrte, wieso musste diese Frau sich hier einmischen? Er hatte es Ace nicht sagen wollen, zumindest nicht so!

„Wie bitte?“, fragte sein Bruder irritiert und sah zu ihm auf. „Du willst im Wald bleiben? Warum?“

Taavin knirschte mit den Zähnen und funkelte Fraya an. Herzlichen Dank auch ...

Kapitel 2

Kapitel 2

Kaleb

 

 

Jarons Dorf kam immer näher und Kaleb konnte beobachten, wie die Anspannung in dem jungen Fluchelf größer wurde.

Der Ort war von einer hölzernen Palisade umgeben, die breit genug gebaut worden war, dass vereinzelt Männer und Frauen darauf stehen konnten. So wurde ihre Anwesenheit schnell bemerkt und selbst aus dieser Entfernung konnte Kaleb den Argwohn und die Skepsis in so manchen Gesichtern sehen.

„Hoffentlich erkennen sie dich“, hörte er Raven murmeln, der Quinns linke Seite flankierte und zu Jaron lugte.

„Das hoffe ich auch“, murmelte Jaron und holte tief Luft. Quinten lief neben seinem Bruder im Geiste und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„Das wird schon. Eltern vergessen nicht. Sie werden dich erkennen. Wichtig ist zuerst, dass wir mit ihnen ins Gespräch kommen.“

Da konnte Kaleb dem Hauptmann nur zustimmen. Sollten sie gar nicht die Möglichkeit haben, mit der Vorsteherfamilie zu sprechen, könnte es gut sein, dass die Wachen sie direkt wieder wegschickten.

Sie näherten sich dem hölzernen Tor, welches geschlossen war. Auf der Palisade tat sich etwas, die Leute wurden unruhig, und als ein älter wirkender Mann mit schwarzen langen Haaren darauf erschien, fiel Kaleb die Ähnlichkeit zu Jaron sofort auf.

Das musste sein Vater sein, der Vorsteher.

„Vater“, flüsterte Jaron und schluckte.

„Stehenbleiben!“, rief dieser und ihre Gruppe hielt inne. Jaron machte einen Schritt nach vorne, um die Aufmerksamkeit des Mannes auf sich zu lenken. „Vater, ich bin es, Jaron. Erkennst du mich denn nicht?“, fragte er und zupfte an seinem Oberteil. „Bitte, lass uns rein, wir erklären dir alles.“

Der ältere Mann schwieg einen Moment und musterte den Fluchelf genau.

„Ihr bleibt dort stehen“, befahl der Vorsteher und verschwand von der Palisade.

Kaleb spannte sich an, wenn die Dörfler Jaron nicht erkannten, könnten sie einen Angriff vorbereiten.

Doch da öffnete sich das Tor und der schwarzhaarige Elf kam in Begleitung von zehn Mann nach draußen.

Die Palisade war indes gut bestückt worden und Kaleb war klar, dass die Elfen nur auf eine falsche Bewegung warteten. Dann würden die Pfeile fliegen.

Der Vorsteher hatte Jaron fixiert, man sah die Hoffnung in seinem Blick. Kaleb konnte es vielleicht nicht nachempfinden, aber durchaus verstehen.

Es musste ein grauenhaftes Gefühl sein, wenn das eigene Kind entführt wurde.

„Bist du es wirklich?“, murmelte Jarons Vater. „Beweise es!“

Als der Mann die Hand nach dem Jüngeren ausstreckte, fühlte Kaleb das Aufwallen von Fluchmagie. Nicht viel, aber doch genug, um ihn in Alarmbereitschaft zu versetzen.

Jaron gehörte zur Gruppe und sollte der Kerl versuchen, ihm zu schaden, würde Kaleb das verhindern. Pfeile hin oder her.

Doch Jaron zögerte nicht.

Er legte seine Hand in die seines Vaters und lächelte leicht. Die Augen des Vorstehers leuchteten rot auf und nur einen flüchtigen Moment später weiteten sie sich, ehe er seinen Sohn einfach an sich zog.

Kaleb entspannte sich, wie auch die Männer und Frauen um sie herum.

Der Elf hatte Jaron erkannt, an seiner Magie oder an dem, was Jaron ihm gezeigt hatte.

Kaleb wusste nicht genau, wie Fluchmagie funktionierte, erst recht nicht die von Jaron, die laut Ace noch etwas spezieller zu sein schien.

Doch dem Vorsteher hatte es gereicht und nun lagen sich Vater und Sohn in den Armen.

„Du bist es wirklich, mein Sohn, mein Kind. Wie sehr habe ich dich vermisst“, raunte der ältere Fluchelf. Jaron schlang ebenfalls die Arme um seinen Vater. „Ich bin so froh, wieder hier sein zu können! Du machst dir keine Vorstellung, wie sehr ihr mir gefehlt habt!“

Kaleb trat zu Quinn und senkte den Kopf.

Er sprach leise, damit die Elfen ihn nicht verstehen konnten.

„Das läuft besser als erwartet“, murmelte er. „Wenn sie dich jetzt auch akzeptieren, besteht die Chance, dass sie uns ins Dorf lassen.“

Quinten nickte. „In der Tat. Geben wir ihnen noch kurz, dann werde ich ihn ansprechen.“

„Wie du siehst, reise ich nicht allein“, hörte Kaleb Jaron sagen. „Wir sind nicht grundlos hier, so sehr ich mir das wünschen würde. Der König hat uns auf eine Mission entsendet, die uns in die Nähe eures Dorfes geführt hat.“

Kaleb wandte sich etwas seitlich, damit er Jaron und seinen Vater im Blick haben konnte.

Der Vorsteher runzelte fragend die Stirn.

„Welche Mission? Bringt ihr Unheil über das Dorf?“

Sofort schüttelte Jaron den Kopf.

„Nein, bei den Göttern, ganz gewiss nicht. Bitte, lass uns reden. Womöglich wäre es besser, das nicht hier draußen zu tun? Das Wetter scheint umzuschlagen und wir sind von der langen Reise erschöpft.“

Jarons Vater taxierte die Gruppe.

„Vielleicht stellst du mir erst einmal diese Leute vor.“

Das war Quintens Stichwort. Er trat vor und deutete eine respektvolle kleine Verbeugung an.

„Es ist mir eine Freude, Euch kennenzulernen. Mein Name ist Quinten und ich bin der leitende Hauptmann des Königs“, stellte sich der Blutelf vor.

Die Augenbrauen des Dorfvorstehers schossen in die Höhe und ein ungläubiger Ausdruck erschien auf seinem Gesicht.

„Der leitende Hauptmann? Wie kommt es dazu, dass der engste Vertraute des Königs den weiten Weg bis zu unserem Dorf zurücklegt?“

Quinten lächelte leicht. „Das ist der Mission, von der Jaron sprach, geschuldet.“

Kaleb beobachtete die Szene, Jarons Vater schien das Ganze nicht recht glauben zu wollen, doch sein Blick war an Quinns Uniform hängengeblieben.

Das Wappen Toryas war unverkennbar darauf zu sehen und die formelle Kleidung, die der Blutelf trug, war den Hauptmännern des Goldkönigs vorbehalten.

Quinn hätte sie zur Mission eigentlich nicht mitnehmen müssen, dass er es doch getan hatte, erwies sich gerade als nützlich.

Kaleb hoffte, der Vorsteher würde ihnen zumindest Gehör schenken.

„Eurer Kleidung nach zu urteilen, sprecht Ihr die Wahrheit. Doch vergebt mir, wenn ich skeptisch bleibe.“

Da schüttelte Quinten den Kopf.

„Das kann ich sogar sehr gut verstehen. Ihr wollt euer Dorf schützen und wie ich sehe, habt ihr damit auch Erfolg. Ich möchte meine Leute ebenso beschützen. Daher bitte ich Euch um Hilfe. Ich versichere Euch, dass wir dem Dorf kein Unheil bringen werden. Unsere Gruppe würde sich lediglich etwas ausruhen wollen und Jaron die Zeit mit seiner Familie geben.“

Der ältere Fluchelf überlegte einen Moment lang und knurrte dann. „Ihr seid also zu viert unterwegs?“, wollte er wissen und Quinten schüttelte den Kopf. „Nein, das hier sind Kaleb und Raven. Kaleb leitet die Mission mit mir zusammen und Raven ist mein Leibwächter. Im Wald wartet der Rest unserer Gruppe darauf, dass wir sie nachholen. Insgesamt sind wir zu zehnt.“

Der Vorsteher blinzelte.

„Zu zehnt?“, fragte er und musterte Quinten erneut.

„Unsere Mission ist von größter Wichtigkeit, weshalb eine höhere Anzahl entsendet wurde“, erklärte Kaleb und zog so die Aufmerksamkeit des Fluchelfs auf sich. „Zudem gilt es zu erwähnen, dass wir alle Völker der Reiche vertreten.“

„Alle Völker also? Wie kommt es, dass ein Aurox eine Mission leitet? Nachdem was man hört, seid Ihr doch dafür nicht gedacht“, fragte Jarons Vater.

Kaleb nahm diese Frage nicht persönlich, aber Raven hörte er schnauben.

„Wofür ich gedacht bin, legt der Goldkönig allein fest, Vorsteher“, entgegnete Kaleb, ehe Raven auf die Idee kommen konnte, sich einzumischen.

„Wie ich schon erwähnt habe, werden wir dem Dorf nicht schaden. Alles Weitere möchte ich im Trockenen mit Euch besprechen. Der Regen wird nicht mehr lange auf sich warten lassen“, meinte nun Quinten und sah dem Vorsteher in die Augen.

Dieser hielt den Blick und nach einem Moment lugte er zu Jaron. „Gut, ich werde euch Obdach gewähren. Holt eure Leute.“

Quinten nickte und bedankte sich.

„Würdest du die anderen holen?“, bat der Hauptmann Kaleb.

Er nickte, wandte sich um und ging los.

Da es tatsächlich bereits begonnen hatte, etwas zu regnen, lief Kaleb schneller und kam alsbald beim Rest der Gruppe an.

„Packt zusammen“, befahl er. „Jarons Vater gewährt uns Obdach. Auch, wenn die Fronten ein wenig verhärtet sind, dürfen wir ins Dorf. Seid vorsichtig und höflich. Wir wollen keinen Streit provozieren.“

Bewusst sah er bei diesen Worten zu Taavin.

„Bleibst du jetzt wirklich draußen?“, wollte er wissen, stockte dann jedoch.

Fraya und Ace hatten ebenfalls Taavin fixiert, wobei Fraya unverschämt grinste und Ace eine Augenbraue gehoben hatte.

„Ja, mein Bruder, bleibst du jetzt wirklich draußen?“

Taavin schluckte und kratzte sich sichtlich unwillig den Nacken.

„Ich ... komme mit.“

Damit hatte Kaleb nicht gerechnet, doch es schien, dass Fraya und Ace sich zusammengetan hatten. Taavin konnte sich gegen Fraya problemlos zu Wehr setzen, aber bei Ace ...

Kaleb musste ein Schmunzeln unterdrücken. Er freute sich, dass die Brüder beisammen blieben, auch wenn Taavin so wirkte, als hätte er in etwas Saures gebissen.

„Bevor es losgeht, solltet ihr wissen, dass sich der Vorsteher im Klaren ist, dass in unserer Gruppe Druiden sind. Offiziell seid ihr Teil der Mission, vom König ausgesandt. Wir sind ihm dahingehend keine Rechenschaft schuldig, also behalten wir alle weiteren Informationen einfach für uns“, teilte Kaleb den anderen mit, was einvernehmliches Nicken hervorrief.

Gemeinsam liefen sie dann zum Dorf, dessen Tor weiterhin offenstand.

Schnell konnte Kaleb Quinn erspähen. Zusammen mit Raven und Jaron wartete er auf sie. Vom Vorsteher fehlte jede Spur, dafür waren einige Wachleute vertreten, die sie nicht aus den Augen ließen. Unglaube und Argwohn war in ihren Mienen zu erkennen.

„Gehen wir zum Haus“, meinte Jaron lächelnd, als sie bei ihnen ankamen, und trat zu Ace, dessen Hand er ergriff. „Ich möchte dir meine Familie vorstellen.“

Ace blinzelte und wurde etwas weißlich um die Nase.

Anscheinend wurde dem Mann gerade erst klar, dass er ja Jarons Eltern treffen würde.

Bei all den Dingen, die zuletzt geschehen waren, schien Ace diese Tatsache bisher verdrängt zu haben.

Kaleb schüttelte mit einem leisen Lachen den Kopf und gemeinsam hielten sie auf das größte Haus im Ort zu, welches zugleich das Zentrum bildete.

Wie es in Dörfern üblich war, war dieser Platz der Familie des Vorstehers vorbehalten.

Die Tür dort stand offen und sie ließen Jaron den Vortritt, der nach kurzem Zögern hineinging.

„Vater?“, rief er in den Flur, doch an seiner statt kam eine Frau mit schnellen Schritten zu ihm. Sie hatte ebenfalls große Ähnlichkeit mit Jaron und schlang, ohne zu zögern, die Arme um ihren Sohn.

„Jaron! Mein Sohn, ich kann es kaum glauben, du bist wieder hier!“

Jaron erwiderte die Umarmung und schmiegte sich an seine Mutter. „Ja, ich bin zu Hause“, murmelte er und strich seiner Mutter eine Freudenträne von der Wange.

„Ich habe jemanden mitgebracht“, erklärte er und drehte sich etwas zur Seite, damit sie alle sehen konnte.

Kaleb beobachtete die Szene und lugte dann über die Schulter. Der Einzige, der noch nicht im Haus war, war Taavin.

Während der Rest sich bei Jarons Mutter vorstellte, trat Kaleb nach draußen.

„Willst du nicht reinkommen?“, fragte er den Hybrid.

„Ungern“, gab dieser zu und wirkte nervös. „Ich mag die Natur lieber.“

Kaleb nickte.

„Das kann ich verstehen, aber wir sind hier sicher. Es kann niemandem etwas passieren und die Leute wissen immerhin, dass wir Druiden bei uns haben. Du brauchst dich also nicht zu sorgen.“

Taavin hatte, ebenso wie Kaleb, keine spitzen Ohren und fiel deshalb unter den Elfen auf. Doch solange er seine Fähigkeiten als Schattenwandler, die ihn als Hybrid identifizieren würden, nicht offenlegte, war er vollkommen sicher.

„Das mag alles sein, dennoch fühle ich mich unwohl. Aber ich werde mich schon zusammenreißen, keine Sorge“, versprach Taavin, der nach einem Brummen das Haus betrat.

Kaleb unterdrückte ein Seufzen.

Dieser Kerl konnte wirklich anstrengend sein ...

Er enthielt sich jedes weiteren Kommentars und folgte dem Hybrid.

Drinnen hatten sich alle in der geräumigen Stube an einem großen Tisch versammelt.

Auch Jarons Vater war wieder anwesend und hatte zwei weitere Frauen dabei, die Jarons Schwestern sein mussten.

Kaleb hob überrascht die Brauen, als er Jaron mit einem Mädchen im Arm erblickte.

Die Kleine konnte noch keine fünf Jahre alt sein, ihre schwarzen Locken wirbelten herum, als sie schnell zwischen Jaron und einer der Frauen, wohl ihre Mutter, hin und hersah.

„Nun, da wir alle beisammen sind, möchte ich euch meine beiden Töchter vorstellen. Elody und Dalia. Und die kleine Maus, die ihr in Jarons Armen seht, ist Jarin, Elodys Tochter. Meine Frau, Talya, habt ihr ja schon kennengelernt“, stellte der Vorsteher seine Familie vor. „Mein Name ist im Übrigen Jared.“

Quinten nickte leicht und drehte sich im Stuhl zu dem älteren Fluchelf.

„Wir danken euch, dass ihr uns aufnehmt. Wie wir schon besprochen haben, werden wir einige Tage bei euch bleiben. Unsere Mission wird durch den Aufenthalt hier nicht gefährdet, weshalb wir uns freuen, Jaron Zeit mit euch verschaffen zu können.“

Jared neigte den Kopf.

„Wir sind Euch wirklich dankbar dafür und da ihr einen langen Weg hinter euch habt, würde ich vorschlagen, dass meine Tochter euch Zimmer im oberen Stockwerk gibt und ihr euch erst einmal ausruhen könnt.“

Kaleb hörte schweigend zu und als Quinn zu ihm blickte, nickte er. Ruhe war gut und ein geschützter Raum, in dem er ein wenig Schlaf finden konnte, klang allzu verführerisch.

Schon nahm Elody die Ersten mit nach oben.

Kaleb wartete geduldig, ehe sie ihn zusammen mit Taavin, Ace und Jaron holte.

Das Haus war wirklich sehr geräumig, aber als sie oben ankamen, war Kaleb sofort klar, dass niemals alle ein eigenes Zimmer bekommen konnten.

Dafür waren schlicht nicht genug Räume vorhanden.

Er lugte zu Taavin. Hatte das etwa zu bedeuten, dass er sich einen mit dem Hybrid teilen sollte?

Das konnte interessant werden.

„Also, wie ihr euch aufteilt, bleibt euch überlassen, jedoch müssen immer zwei in einem Raum schlafen. Die beiden Zimmer hier links und rechts wären dann für euch“, erklärte Elody und blieb ganz hinten im Gang stehen.

Kaleb musste ein Seufzen unterdrücken.

Da Ace und Jaron natürlich einen Raum für sich beanspruchen würden, blieb ihm nur der andere, zusammen mit Taavin.

Jaron lächelte und trat zu seiner Schwester.

„Du weißt gar nicht, wie sehr ich mich freue, euch alle wiederzusehen.“ Während er sprach, reichte er der Frau ihr Kind und wuschelte diesem nochmal durch die Haare. „Wir spielen später zusammen“, versprach er und drückte seine Schwester, bevor er wieder zu Ace trat.

„Ruht euch aus, ich werde euch nachher zum Essen holen. Mutter freut sich schon sehr darauf, wieder für dich dein Lieblingsessen kochen zu können“, versicherte Elody, ehe sie den Flur entlang verschwand.

„Kommt ihr beide klar?“, fragte Ace, wobei er Taavin ansah.

Kaleb folgte dem Blick und hob eine Braue.

Taavin war anzusehen, dass er immer noch nicht glücklich über diese Situation war, doch er nickte. „Gewiss, werden wir.“

Dessen war Kaleb sich zwar absolut nicht so sicher wie Taavin, aber er sagte nichts dazu.

Stattdessen griff er die Klinke und drückte die Tür nach innen auf.

Er betrat das Zimmer und sah sich um.

Es war nicht gerade groß.

Ein einfaches Bett, das nicht unbedingt für zwei Männer geeignet war, und ein kleiner Tisch mit einem Stuhl. Mehr Möbel gab es nicht.

So wenig, und doch viel mehr, als Kaleb vom Leben im Schloss kannte. Also trat er sich die Stiefel ab, öffnete das Fenster und setzte sich auf den Stuhl.

Mittlerweile regnete es in Strömen und man konnte Donnergrollen vernehmen. Der Wind hatte aufgefrischt und wehte durch die Straßen des Ortes.

Auch Taavin war eingetreten und hatte die Tür hinter sich geschlossen. „Nur ein Bett?“, murmelte der Hybrid. „Das ist kein Problem, ich werde es eh nicht nutzen, da kannst du dich ausruhen.“

„Ach, willst du auf dem Boden schlafen?“, wollte Kaleb wissen. „Das Bett reicht für uns beide.“

Taavin schüttelte den Kopf.

„Mach dir darum keine Gedanken. Ich möchte nicht mit jemandem ein Bett teilen.“

Das ließ Kaleb schnauben.

„Ach, ist das unter der Würde der Prinzessin?“

Taavin blinzelte. „Bitte was?“

Kaleb hielt den völlig verwirrten Blick.

„Ich wollte wissen, ob ein Bett zu teilen unter deiner Würde ist, Prinzessin?“

Diese Bezeichnung war ihm eher ungewollt über die Lippen gekommen, doch er fand, sie passte ausgezeichnet zu Taavin.

Mit seinen ständigen Eigenheiten und der simplen Tatsache, dass er sich an nichts und niemanden anpassen oder gar nach jemandem richten wollte ...

Ja, eindeutig. Er war eine Prinzessin.

Der Hybrid knurrte.

„Wage es nicht, mich noch einmal so zu nennen! Und das hat rein gar nichts damit zu tun, verstanden?“

„Das tue ich, weil du dich wie eine Prinzessin benimmst“, stellte Kaleb klar. „Und dann erkläre mir doch, wieso du dich scheust, mit jemandem ein Bett zu teilen? Oder liegt es etwa an mir?“

„Ganz sicher nicht!“, beschied Taavin ihn barsch. „Ich will mich einfach nur nicht daran gewöhnen, das ist alles!“

Das ließ Kaleb eine Augenbraue heben.

„Wieso? Gegen ein paar Nächte in einem Bett ist doch gewiss nichts einzuwenden. Vor was hast du Angst, Prinzessin?“

Bewusst sprach er ihn erneut so an, denn er merkte, dass er Taavin so aus der Reserve locken konnte. Vielleicht würde er dann endlich schlau aus dem Hybrid werden.

„Du sollst aufhören, mich so zu nennen“, befahl Taavin und trat zum Tisch. „Ich bin keine Prinzessin und ich werde das Bett nicht mit dir teilen!“

„Dafür benimmst du dich aber ausgezeichnet prinzessinnenhaft“, teilte Kaleb dem offensichtlich wütenden Kerl mit. „Außerdem hast du meine Frage nicht beantwortet.“

Taavin verschränkte die Arme vor der Brust, Trotz schimmerte in seinen hellblauen Augen. „Ich habe keine Angst, vor nichts! Und ich benehme mich auch nicht wie eine Prinzessin, du provozierst mich einfach.“

Kaleb hob eine Augenbraue.

„Alles schön und gut, aber weiterhin hast du meine Frage nicht beantwortet.“

Taavin knurrte erneut und sah ihm in die Augen. „Ich will nicht in einem Bett schlafen, weil ich in wenigen Tagen eh wieder auf Bäumen sitzen werde. Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, aber ich für meinen Teil werde mich an nichts gewöhnen, was ich sowieso wieder verliere.“

Das war sein Problem?

Wirklich?

Kaleb lachte und schüttelte den Kopf.

„Du bist ja wohl die größte und pingeligste Prinzessin, die mir je untergekommen ist“, teilte er dem Hybrid mit. „Leg dich auf den Boden, aber sei vorsichtig. Nicht, dass es besonderes Holz ist und du dich daran gewöhnst.“

Ungläubig schnaubte Kaleb, stand auf und ging an Taavin vorbei.

„Wie man sich so lächerlich benehmen kann, ist mir schleierhaft.“

Damit setzte er sich aufs Bett und streckte sich kurzerhand darauf aus.

Eine Wohltat!

In seinen über 400 Jahren hatte Kaleb nie die Möglichkeit gehabt, sich in ein Bett zu legen. Gerade deshalb würde er diese Chance gewiss nicht verstreichen lassen!

Taavin beobachtete ihn dabei.

„Was hast du eigentlich für ein Problem mit mir?“, verlangte der Hybrid zu wissen.

Kaleb hob die Lider.

„Klaust du mir jetzt sogar schon die Fragen?“, wollte er wissen. „Ich habe kein Problem mit dir. Mir ist gerade einfach aufgefallen, was für grundverschiedene Einstellungen wir haben. Während du neue Dinge scheust und dir Erfahrungen verweigerst, will ich so viele wie möglich davon machen. Ich kann nicht verstehen, wieso du so handelst und denkst, aber das ist auch schon alles. Es hat also nichts damit zu tun, dass ich ein Problem mit dir hätte.“

 

 

Taavin

 

Taavin knurrte. „Ich habe meine Gründe. Lebe du einmal Jahrhunderte allein im Wald. Abgeschieden von jeglicher Zivilisation. Da ist man eben ... etwas eigen.“

Das ließ den Aurox erneut eine Augenbraue heben.

„Ach, hättest du ein Leben, eingepfercht in einen Raum mit über zweihundert Männern, bevorzugt? In Sklaverei und täglichen Misshandlungen ausgesetzt? Bei allen Göttern, die mir heilig sind, Prinzessin, hör auf, dich selbst zu bemitleiden.“

Jetzt reichte es!

Taavin trat zu Kaleb ans Bett und musste sich zurückhalten, dem Kerl nicht an die Kehle zu gehen.

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 16.01.2024
ISBN: 978-3-7554-6817-2

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