Cover

Leseprobe

 

 

 

 

 

 

 

Demon´s Desire

 

Er ist deine Rettung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Über die Autorin:

 

Liz Rosen wurde 1999 in Wien geboren und veröffentlicht erotische Liebesromane mit Thriller-Elementen und einer großen Portion Liebe, die in regelmäßigen Abständen erscheinen. Ihre Storys bestehen aus Herzschmerzmomenten, einer Prise Humor und vielen ernsten Problemstellungen, die spätestens beim garantierten Happy End von den Protagonisten gemeistert werden.

 

 

 

Buchbeschreibung:

 

Du wolltest mich retten, querida.

Und nun werde ich dein Tod sein.

 

Als sich spitze Zähne in meinen Hals bohren und Blut an meiner Haut entlangläuft, weiß ich, dass ich einen Fehler begangen habe. Einen, den ich nicht mehr rückgängig machen kann.

Denn der verletzte Mann ist nicht zufällig auf meiner Türschwelle gelandet. Nein, er hat mich monatelang beobachtet. Hat mich beschützt vor Wesen, von denen ich nicht einmal ahnte, dass es sie gibt.

Aber ich habe mich geirrt. Sie leben und sind auf der Jagd nach mir.

Und auch der Mann vor mir ist kein Mensch, sondern ein Dämon und in diesem Moment trinkt er nicht mein Blut, sondern stiehlt meine Seele, die ab jetzt ihm gehört. Genau wie der Rest von mir.

 

 

Impressum

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

© 2023 Lycrow Verlag

ISBN Softcover: 978-3-910791-12-1

Druck und Distribution im Auftrag des Verlags:

Lycrow Verlag, Schillerstraße 8, 17166 Teterow

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Verlag verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne die Zustimmung des Verlags unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Verlags, zu erreichen unter: tredition GmbH,

Abteilung „Impressumservice“,

An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg,

Deutschland.

 

 

 

 

 

Demon´s Desire

 

Er ist deine Rettung

 

 

Von Liz Rosen

 

Widmung:

 

 

Wir alle haben innere Dämonen, gegen die wir täglich kämpfen müssen. Finde jemanden, der mit dir in die Schlacht zieht, statt dir Steine in den Weg zu legen. Denn der Kampf gegen dich selbst ist schwer genug - auch ohne ein zusätzliches Hindernis.

 

Playlist:

 

 

Soulmate – Natasha Bedingfield

Judgement Day – Five Finger Death Punch

You’re so Vain – Marylin Manson

Water under the Bridge – Adele

If you Want Blood – AC/DC

Dark Paradise – Lana Del Rey

Me, Myself & I – Bebe Rexha

Me and the Devil – Soap & Skin

The Devil – Rok Nardin

Survive – Chelsea Wolfe

Breathe me – Sia

Head above Water – Avril Lavigne

Space Song – Beach House

Inner Demons – Julia Brennan

Monster – STARSET

Nightmare – Halsey

Demons – Caitlin Hart

Psycho in my Head – Skillet

My Demons – STARSET

 

Triggerwarnung:

 

 

Diese Geschichte ist anders, querida.

Du glaubst mir nicht?

Lass mich dich gern vom Gegenteil überzeugen.

Aber Vorsicht, wenn du dich weiter vorwagst, wenn du mir begegnest, dann erwartet dich eben keine von deinen geliebten Liebesgeschichten. Nicht wirklich, auch wenn irgendwer am Ende bestimmt von Liebe sprechen wird. Denn nicht nur davon wird die Rede sein, sondern auch von unendlich viel Leid.

Du wirst Schmerzen haben, querida.

Unerträgliche Schmerzen, die dich den Verstand verlieren lassen. Dafür bin ich hier. Ich bin das, was du verdienst. Die Rache. Dein Tod.

Nur dafür wurde ich erschaffen und ich nehme meine Aufgabe sehr ernst. Ich werde auf deinen Gefühlen herumtrampeln, dich verletzen und dein Herz zum Bluten bringen. Deine Haut wird aufreißen.

Du wirst schreien. Aber ich werde dir nicht helfen. Ich habe kein Mitleid mit dir, denn, während meine Krallen sich in deine Haut bohren, ich dich auf den Boden drücke und mich in dir versenke, werde ich nur daran denken, dass du es so gewollt hast. Es war deine Entscheidung, mich in dein Leben zu holen und nun werde ich es nur mit dir zusammen verlassen.

Bist du bereit, querida?

Denn ich bin es. Ich will dich. Deinen Körper, dein Verlangen und dein Blut. Aber vor allem deine Seele. Und schon bald wird sie mir gehören.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das reicht dir als Warnung nicht?

Du brauchst mehr?

Dann findest du eine genaue Liste

aller triggernden Themen am

Ende des Buches.

 

 

Prolog: Belial

 

 

 

 

 

 

 

„Es sind nur Menschen. Dreckige, nichtsnutzige Menschen, Behemoth.“ Ich unterdrückte ein Knurren und bohrte zeitgleich meine Krallen in meine Handflächen, während ich auf das schwache Geschöpf vor mir starrte.

Es war zu weit weg, um mich im Schutz des Schattens erkennen zu können, sodass es nicht einmal wusste, in welcher Gefahr es schwebte.

Aber das konnte mir egal sein. Sie hatte es nicht anders verdient.

Ich wollte nur meine Hand in ihrem seidigen Haar vergraben, ihren Kopf gewaltsam zur Seite ziehen und ihr die Kehle herausreißen, bevor ich ihrem zuckenden Körper beim Sterben zusah.

Der Duft des Blutes würde sich in der ganzen Gegend verteilen, begleitet vom roten Lebenssaft, der über ihre schneeweiße Haut fließen würde.

Die Vorstellung ließ mich erschaudern.

Noch fester ballte ich die Hände zu Fäusten, bis ein schmerzhaftes Stechen durch meine Handflächen jagte. Ich wollte zu ihr hinübergehen und sie umbringen, um es ein für alle Mal zu beenden. Aber ich konnte mich zurückhalten.

Zumindest noch.

„Du solltest nicht so über sie reden. In einem anderen Leben hätten wir genauso schwach werden können wie sie.“ Behemoth seufzte tief und ein kleines Lächeln erschien auf seinen Lippen. Es ließ seine harten Züge gleich viel sanfter wirken, als ich es von ihm gewohnt war.

Aber wie hatte Biela früher immer gesagt?

Behemoth liebte das Fehlen von Perfektion und Lastern und in nichts waren Menschen besser, als darin, sich von Lastern abhängig zu machen.

Also ergab es wohl irgendwie Sinn, dass ausgerechnet er Gefallen daran fand, auf einem verdammten Schulhof zu stehen und dabei zuzusehen, wie irgendwelche Halbwüchsigen sich versteckt hinter Büschen Zigarettenstängel in den Mund schoben oder schnell einen Schluck von ihrem Alkohol nahmen, um durch den Tag zu kommen.

Er selbst hatte eine Flasche in der Hand, die er in regelmäßigen Abständen an seine Lippen führte. Dem beißenden Geruch nach zu urteilen, war es eine Flüssigkeit, die den Menschen schon nach einem Schluck die Speiseröhre und die Magenwand verätzt hätte. Aber ich sagte nichts dazu. Wenn er dieses Zeug trinken wollte, sollte er es tun. Dennoch wünschte ich, er würde damit aufhören, immerhin benebelte das Zeug sein Gehirn und er war schon ohne das Gift in seinen Adern waghalsig genug.

„Ich wäre nie so geworden. Die haben Angst vor ihrem eigenen Schatten. Vor allem sie.“ Mit dem Kopf deutete ich auf die junge Frau, die auf einer kleinen Bank unter einem Baum saß und in ein Buch vertieft war, dessen Einband aussah, als würde er gleich auseinanderfallen.

Kein Wunder, immerhin las sie die Geschichte bereits zum fünften Mal und das nur in diesem Monat. Inzwischen musste sie die Handlung und Dialoge auswendig können, aber das schien sie nicht zu stören. Sie las und las, ohne ihre Mitschüler zu beachten. Dafür wurde sie im Gegenzug auch von allen ignoriert. Aber wahrscheinlich war es genau das, was sie mit dem Buch bezwecken wollte.

„Ich hätte an ihrer Stelle genauso viel Panik“, murmelte Behemoth leise und ein mitleidiger Zug legte sich auf seine Miene, als er die Frau betrachtete. Wieder musste ich ein Knurren unterdrücken.

War das sein Ernst? Wie konnte er Mitgefühl für dieses Ding aufbringen?

Wenn es nach mir ginge, wäre sie bereits tot. Genau wie der Rest ihrer Familie.

Doch sie hatte Pech gehabt.

Sie hatte den Großbrand in ihrem Elternhaus überlebt, genau wie den darauffolgenden Autounfall.

Ich wusste nicht, woran es lag, aber Heredia Ramsey schien einfach nicht sterben zu wollen.

Egal, welches Unglück ihr zustieß, irgendwie schaffte ihr Herz es, weiter zu schlagen.

Bumm-bumm. Bumm-bumm. Bumm-bumm.

So wie jetzt auch.

Der Muskel pumpte köstliches Blut durch ihre Adern und verströmte dabei einen Duft, der auf dem ganzen Hof zu vernehmen war und mich all meine Selbstbeherrschung kostete.

„Sie hat keine Ahnung, was ihr blüht.“

Ich schnaubte.

Wie sollte sie auch?

Sie wusste nicht einmal, dass Behemoth und ich sie seit über vier Wochen beobachteten. Knapp einen Monat begleiteten wir sie schon und warteten. Auf was, wussten wir selbst nicht. Aber genau wie Behemoth konnte ich spüren, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Irgendetwas würde demnächst passieren und dann mussten wir bereit sein.

„Es war nicht ihre Schuld, auch wenn Vater das gern behauptet.“ Behemoths Stimme klang wie ein Donnergrollen. Hart, unnachgiebig und stark. Erschreckend überzeugt und hasserfüllt.

Doch während meine Wut sich gegen die engelsgleiche Frau richtete, die dazu übergegangen war, ihre Brille mit dem Finger auf ihrer Nase weiter nach oben zu schieben und ihren Kopf noch weiter über das Buch zu beugen, machte er jemand anderen für unseren Verlust verantwortlich.

Wer von uns richtiger lag, wusste ich nicht. Vielleicht hatten wir beide auf irgendeine Weise recht.
„Sie sind alle schuldig.“

Ich biss die Zähne zusammen, als Heredia mit dem Hintern auf der Bank herumrutschte und ihre Haare dabei über ihren Rücken fielen, sodass die Haut an ihrem Hals frei lag.

Sofort intensivierte sich der Geruch nach süßem Blut und mein Blick richtete sich auf die Hauptschlagader, an der ich ihren Herzschlag erahnen konnte. Wie gern würde ich zusehen wollen, wie das Pochen langsam weniger wurde, bis es schlussendlich ganz verstummte.

Aber das kam nicht infrage.

Wenn ich rübergehen, ihre goldigen Locken packen und sie von der Bank zerren würde, um ihr das Herz aus der Brust zu reißen, müsste ich alle Menschen auf diesem Hof umbringen, um die Zeugen zu beseitigen, und das erschien mir dann doch zu drastisch. Ein Massenmord dieser Größenordnung würde auch in der Hölle nicht lange unbemerkt bleiben und auf diese Art von Stress hatte ich keine Lust.

Wir hatten schon so genug Probleme, auch wenn uns die Fürsten der Hölle nicht auf den Fersen waren.

„Tu, was du glaubst, tun zu müssen, aber ich werde keine unschuldige Frau umbringen.“ Wieder setzte Behemoth die silberne Flasche an seine Lippen und nahm einen tiefen Schluck. Zeitgleich verengten sich die Pupillen, die sich zuvor geweitet hatten, wieder und zeigten, dass auch für ihn der Duft an Folter grenzte.

Ich liebte Blut. Alle Dämonen taten das.

Es war wie flüssiges Gold, das unsere Körper wärmte, uns den Sternen näherbrachte und uns berauschte. Es ließ uns vergessen, dass wir keine Seele hatten, und täuschte uns Gefühle vor.

Pures Glück und unbändiges Verlangen, während wir unserem Opfer nicht nur das Leben, sondern auch einen Teil der Seele aussaugten.

Kein Wunder also, dass jährlich Milliarden Menschen am Biss eines Dämons starben.

Aber noch nie hatte eine Seele für mich so verführerisch gerochen wie die von Heredia.

Ich wollte sie. Unbedingt. Auch wenn das bedeuten würde, den Duft ein allerletztes Mal zu genießen.

„Und ich schon? Willst du damit sagen, dass ich falsch liege? Ich bin nicht das Monster in dieser Geschichte.“ Ich fletschte die Zähne und knurrte meinen Bruder an, was meine Aussage nicht gerade untermauerte.

Doch das war mir egal.

Ja, vielleicht stellte ich mir gerade vor, meine Zähne in Heredias Hals zu bohren und jeden Tropfen ihres Blutes zu trinken, bis ich ihre Seele verschlingen könnte, doch das lag in meiner Natur.

Ich stiftete Ärger, verführte die Menschen dazu, Schlechtes zu tun, und tötete sie, wenn sie nicht mehr gebraucht wurden. So funktionierte unsere Welt.

Aber die Wahrheit war, dass die Menschen genauso grausam sein konnten wie wir. Heredia und ihre Familie hatten das bewiesen. Und deshalb mussten sie sterben. Sie alle. Denn es kann immer nur eine Dunkelheit geben und diese Seite war bereits von uns Dämonen reserviert. Sie hätten das Licht sein sollen und hatten sich dennoch für die Schatten entschieden.

„Ich will damit sagen, dass du allen Grund hast, sauer zu sein. Jeder von uns wäre das. Aber du unterschätzt sie. Wir sind den Menschen nicht so unähnlich wie wir gerne wären. Sie trauern und sind rachsüchtig, genau wie …“ Behemoth biss sich auf die Zunge. So fest, dass ich glaubte, er würde sie sich abbeißen und dann an seinem eigenen Fleisch ersticken. Fuck, in diesem Moment wünschte ich, er würde es sogar.

Wie konnte er es wagen, mich mit dieser Kreatur zu vergleichen? Hatte er sie sich einmal genauer angesehen? Die seidigen Locken, die wie ein Wasserfall um ihre Schultern fielen und so leicht aus ihrer Kopfhaut gerissen werden konnten?

Die zierliche Gestalt mit den weichen Kurven und den langen Beinen, die unter meinem Gewicht zerbrechen würde? Und die strahlend blauen Augen, die mich an den Himmel denken ließen, obwohl sie eine Seele beherbergten, die von Leid und Schmerz zerfressen war?

Nein, ich hatte mit ihr überhaupt nichts gemeinsam.

„Was? Sprich es aus!“, befahl ich und spannte instinktiv jede Faser meines Körpers an, als würde ich mich auf einen Kampf vorbereiten.

Dabei war das lächerlich. Behemoth und ich waren gleich stark und ein Kampf, den niemand für sich entscheiden konnte, würde uns nur unnötig Kraft kosten. Doch ich schaffte es nicht, mein Temperament zu zügeln. Ich wollte ihn verletzen, weil seine Worte genau das taten: mich verletzen. Sie trafen mich tief im Inneren und erinnerten mich daran, wieso ich die junge Frau und ihre geschundene Seele eigentlich nicht begehren durfte.

„Auch ich habe sie verloren, Belial. Und ich vermisse sie jeden Tag ein wenig mehr. Doch das Mädchen weiß nicht einmal, was ihre Familie getan hat. Vielleicht solltest du ihre Bewachung eine Zeitlang übernehmen, dann würdest du sehen, dass sie gänzlich anders ist, als du glaubst.“ Behemoths Stimme wurde wieder leiser und das selbstsichere Grollen verschwand daraus, wofür ich ihn gleich noch mehr hasste.

Er sprach mit mir wie mit einem Kind, obwohl ich schon lange nicht mehr auf seine Hilfe angewiesen war. Inzwischen hatte ich es nicht mehr nötig, mich hinter ihm zu verstecken, damit er mich zurückhielt, wenn ich die Kontrolle verlor. Ich hatte mich im Griff. Zumindest redete ich mir das ein.
„Es spielt keine Rolle, was ich denke. Vater wird sich um das Problem kümmern.“ Das hatte er ja bereits. Der Brand war kein Zufall gewesen, genau wie die restlichen Anschläge auf Heredias Leben. Er wollte sie tot sehen und setzte alles daran, diese Familie dem Erdboden gleich zu machen. Dabei war sein Vorgehen immer grausamer geworden.

Heredias Eltern hatten den Flammen nicht entfliehen können und ihre Leiber waren dem Feuer zum Opfer gefallen. Damit waren sie noch glimpflich davongekommen.

Ihre Tante hatte es nach dem Autounfall, bei dem der Wagen von der Brücke geschlittert und im Wasser gelandet war, nicht mehr aus dem Auto geschafft. Ihre Leiche war aufgequollen und bläulich gewesen, als das Wrack endlich geborgen werden konnte.

Heredias Cousinen wiederum hatten im Chemiesaal einen Unfall mit ätzender Säure gehabt. Die Polizei ging davon aus, dass sie sich gegenseitig damit übergossen hatten, auch wenn keiner genau wusste, weshalb sie das hätten tun sollen. Der Fall wurde zu den Akten gelegt und die Überreste der entstellten Leichen eingeäschert. Von der früheren Schönheit der beiden war nichts mehr übriggewesen.

Aber am schlimmsten hatte es Heredias Bruder getroffen. Seit seinem Ableben waren schon zwei Wochen vergangen, doch noch immer lief es mir kalt den Rücken hinunter, als ich an die aufgerissenen, leeren Augen dachte, die auf dem Boden gelegen hatten, während der Rest der Leiche im ganzen Raum verteilt gewesen war.

Eine Explosion war die offizielle Todesursache. Ich wusste es jedoch besser. Die Augen, die Zunge und seine Hoden waren entfernt worden, lange bevor das halbe Zimmer in die Luft geflogen war.

Jemand hatte ihn gefoltert und mir würde niemand anderes als Vater einfallen, dem langsam die Geduld ausgegangen war. Er hatte alle gleichzeitig beseitigen wollen und ärgerte sich maßlos, dass er es nicht geschafft hatte, sodass er seinen Frust nun an seinen Opfern ausließ.
„Vater hat sich auch davor um ein Problem gekümmert und es tut mir leid das sagen zu müssen, aber das ist nicht besonders gut ausgegangen.“ Behemoth schnalzte mit der Zunge und sah mich bedeutungsschwer an, als bräuchte ich eine deutlichere Erinnerung daran, was er damit andeuten wollte.

Aber ich wusste sofort, wovon er sprach. Und es gefiel mir nicht, dass er recht hatte. Vater würde die Hölle niederbrennen, wenn es seinen Zielen dienlich wäre. Das hatte er beinahe schon einmal getan. Er hätte die oberste aller Regeln gebrochen, nur um seine Rache zu bekommen. Dabei hatten wir nicht viele Vorgaben, an die wir uns halten mussten. Eigentlich waren es nur drei.

Erstens: Halte die Existenz der Hölle und aller Dämonen geheim, um eine Massenpanik und einen Krieg mit den Menschen zu vermeiden.

Zweitens: Ehre den Teufel und seine Nachkommen.

Und drittens: Verliebe dich nicht in einen Menschen. Niemals.

Die Regeln waren mir als Kind eingetrichtert worden und ich hielt mich daran. Jeden verdammten Tag. Ich hatte einmal den Fehler gemacht, es nicht zu tun und das hätte mein Leben zerstören können. Allein Behemoth war es zu verdanken, dass die Höllenfürsten mich nicht einfach ins Fegefeuer verfrachtet hatten. Ich war es ihm schuldig, ihn zumindest anzuhören. Er hatte mehr für mich getan als Vater, der damals nur den Grund für meinen Fehler ausgelöscht hatte.

„Was willst du von mir?“, fragte ich und verschränkte die Hände vor der Brust. Obwohl meine Worte an ihn gerichtet waren, sah ich weiterhin auf die junge Frau.

Heredia zog die Knie an und stellte ihre Füße auf der Kante der Bank ab, sodass das Buch auf ihren Oberschenkel lag und sie ihren Rücken nicht mehr wölben musste. Ein sanftes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, während sie umblätterte.

Behemoth trank einen letzten Schluck aus der Flasche und gab ein genüssliches Geräusch von sich, als der Alkohol durch seinen Körper pulsierte. „Ich kann nicht länger aus der Hölle fort. Die Zwillinge würden mich umbringen, wenn ich plötzlich meinen Job hinschmeiße und Jungfrauen in Nöten beschütze.“
„Und?“

Was interessierte mich das? Ich war von Anfang an dagegen gewesen, dass er für die Zwillinge arbeitete. Die beiden waren … Arschlöcher.

Kranke Psychopathen. Die schlimmsten Dämonen, die die Hölle zu bieten hatte.

Ich liebte es, wenn meine Partnerin vor Schmerzen schrie, sich unter mir wand und ihre Tränen wie Diamanten auf ihren Wangen glitzerten, während ich sie fickte, aber das war nichts gegen die Gerüchte über die Vorlieben der Zwillinge.

Wenn man daran glaubte. Und das tat ich.

Gerade ich wusste, dass hinter jedem Gerücht ein Fünkchen Wahrheit steckte, und jeder, der den Zwillingen schon einmal begegnet war, wusste, wie grausam sie sein konnten.

Zu allen. Ihren Mitarbeitern, ihren Frauen und dem Rest der Welt.

„Du kannst hierbleiben und ein Auge auf sie haben“, meinte Behemoth und ließ es wie einen Vorschlag klingen. Wie ein Angebot, das er für mich hatte. Dabei war das eine desaströse Idee.

Mit ihm gemeinsam in der Menschenwelt zu sein und Heredia im Auge zu behalten, war eine Sache, aber es allein zu tun? Die ganze Zeit im Dunstkreis ihres Geruchs zu sein? Wie lange würde es dauern, bis ich mich nicht mehr unter Kontrolle hatte?

Das konnte nicht sein Ernst sein! Das war, als würde er einem Alkoholiker einen Schnaps vor die Nase setzen und darauf warten, was geschah.

„Ich soll auf sie aufpassen?“, fragte ich, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass Behemoth wirklich mich für diese Aufgabe vorschlug.

Hatte er vergessen, weshalb ich mich von Menschen fernhielt? Oder wollte er mich testen?

Die wahrscheinlichste Antwort war, dass er einfach den Verstand verloren hatte. Auf keinen Fall wollte ich meine Fehler von damals wiederholen. Ein zweites Mal würde er mich nicht aus der Scheiße ziehen können. Schon gar nicht jetzt, wo Vater seinem persönlichen Rachefeldzug nachging.

„Du sollst Vater finden, bevor er sie tötet und uns findet“, entgegnete Behemoth gelassen und ließ seine leere Flasche einfach fallen. Sie zerschellte mit einem Klirren auf dem Boden. Das Geräusch zog die Aufmerksamkeit einiger Menschen auf uns. Sie sahen in unsere Richtung, wandten sich jedoch schnell wieder ab, nachdem sie niemanden erkennen konnten.

Fast hätte ich laut gelacht, weil diese Idioten mehr ihren Augen statt ihren Instinkten vertrauten, doch die Situation war alles andere als amüsant.

Behemoths Gabe, sich und andere zu verschleiern, hatte uns im letzten Monat gute Dienste bei der Beschattung von Heredia geleistet.

Eine Gabe, die ich nicht besaß. Nicht, dass mich das stören würde. Mit meinen Eigenschaften konnte ich sowieso viel mehr anfangen. Doch wie sollte ich Heredia ab jetzt unbemerkt folgen, wenn Behemoth sich in die Hölle zurückzog, um wer weiß was für die Zwillinge zu erledigen.

„Er wird uns nicht …“, wollte ich protestieren, aber die restlichen Töne blieben mir im Hals stecken, weil ich mir selbst nicht sicher war, ob meine Aussage stimmte. Was würde Vater tun?

Bisher hätte ich ihm auch nicht zugetraut, etwas so Dämliches zu tun, wie eine ganze Menschenfamilie in mehreren Etappen umzubringen. Das war einfach viel zu auffällig. Keine Familie wurde derart vom Pech verfolgt und langsam fragte sich auch die Polizei, was hier vor sich ging. Es war nie gut, wenn Menschen anfingen, Fragen zu stellen.

„Vertrau mir, Belial, er wird. Für ihn zählt nur seine Rache und dabei ist ihm egal, wer wir sind.“ Behemoths Stimme ließ keinen Widerspruch zu. Sie klang dominant und stark. Jeden anderen hätte sie in die Knie gezwungen und dazu gebracht, die Diskussion zu beenden.

Aber mich nicht.

Mich stachelte sein Verhalten nur weiter an und die Wut in meinem Bauch breitete sich zielstrebig in alle Ecken meines Organismus aus.
„Er würde nicht seine einzigen Nachkommen …“, protestierte ich, aber wieder schaffte ich es nicht, den Satz zu beenden.

Würde er es wirklich nicht?

Er hätte mich damals im Stich gelassen. Das wusste ich. Er hatte mich verachtet für das, was ich getan hatte. Ich hatte einer menschlichen Frau einen Teil ihrer Seele gestohlen und es dann jedoch nicht übers Herz gebracht, sie zu töten.

Etwas, das Vater dann übernommen hatte, um nicht mit der Schande leben zu müssen, dass sein Sohn an eine menschliche Frau gebunden war. Ich hatte gedacht, er würde mir helfen und irgendwie hatte er das auch. Ich war die Frau danach losgewesen, jedoch nicht die vierzehn anderen Menschen, die gesehen hatten, wie ich ihr Blut getrunken hatte.

Doch das hatte Vater nicht mehr interessiert.

Es ging ihm nicht darum, mir zu helfen, sondern darum, dass das Ansehen unserer Familie nicht beschmutzt wurde.

Behemoth hatte die Zeugen beseitigt und danach hatten wir nie wieder darüber geredet. Auch nicht, als die ersten Gerüchte in der Hölle die Runde gemacht hatten und alle anderen Dämonen angefangen hatte, über uns zu tuscheln. Über mich.
„Wissen wir, dass wir die Einzigen sind? Ich würde an deiner Stelle dieses Risiko nicht eingehen. Er hasst uns. Vergiss das nicht.“ Behemoth zog eine Zigarettenschachtel aus seiner hinteren Gesäßtasche und öffnete sie, bevor er sie mir entgegenhielt.

Dankbar nahm ich eine der Zigaretten aus der Verpackung und klemmte sie zwischen zwei meiner Finger, während ich beobachtete, wie Behemoth ebenfalls einen Stängel aus der Schachtel zog und sie dann wieder an ihrem ursprünglichen Platz verstaute. Gleichzeitig ließ ich mir seine Worte durch den Kopf gehen. Was war, wenn er recht hatte?

Sicher, es gab eine vorgefertigte Hierarchie in der Hölle. Familie bedeutete dem Teufel alles, auch wenn die Menschen ihn immer als gefühlskaltes Monster darstellten. Ganz oben kam der Teufel und seine Kinder, von denen es zurzeit nur zwei gab.

Die Zwillinge, deren Namen mit A begannen.

Und gleich danach hielt Vater das Zepter in der Hand und dann wir, weshalb unsere Namen alle mit B begannen. Wer genau sich das System ausgedacht hatte, wusste ich nicht, aber es funktionierte, solange es immer genug Nachkommen einer Familie gab. Und auch wenn Vater sonst alles egal war, würde er nicht die Wut des Teufels auf sich ziehen, indem er diese Hierarchie störte, nur um seine missratenen Söhne loszuwerden. Zumindest hoffte ich das.

„Also spiele ich jetzt Anstandsdame für eine dumme Göre, weil Vater irgendwann wieder aus der Versenkung auftauchen wird und wir ihn dann zur Rede stellen könnten? Selbst wenn, würde er sich von uns nicht sagen lassen, dass er aufhören muss, Menschen abzuschlachten. Wie du schon gesagt hast, denkt er, wir würden ebenfalls eine Mitschuld tragen.“

Ein Umstand, der dafür sorgte, dass sich zu der Wut in meinem Bauch so etwas wie Verzweiflung mischte. Wie konnte er annehmen, dass wir etwas mit dieser Sache zu tun hatten?

Ich hatte Biela geliebt. Sie war meine Schwester gewesen, verdammt! Und nun war sie tot.

Behemoth und ich hatten nicht aktiv mitgeholfen, sie zu töten, aber für Vater reichte es, dass wir auch nichts dagegen getan hatten.

Dabei hatte ich nicht einmal gewusst, dass sie und dieser Mensch …

Nein, ich verscheuchte den Gedanken. Ich durfte mich nicht in der Vergangenheit verlieren, sonst würde ich zu Heredia hinübermarschieren und ihr vor aller Augen den Kopf abreißen, um danach ihren Hals als Glas zu benutzen und ihr jeden Tropfen Blut auszusaugen.
„Sie ist angehende Ärztin. Ich gehe davon aus, dass sie ein Gehirn besitzt.“

Behemoth zuckte mit den Schultern und schnippte einmal mit den Fingern, sodass durch die Reibung eine kleine Flamme auf seinem Zeige- und Mittelfinger entstand, mit der er seine Zigarette anzündete. Erst dann hielt er die Finger auch vor mein Gesicht, bis ich tief einatmete und damit auch meinen Tabak zum Glühen brachte. Sofort breitete sich der Geschmack nach Feuer und Asche in meinem Mund aus, als der Rauch sich einen Weg in meine Lunge bahnte.
„Wenn ich ihren Kopf aufbrechen würde, könnten wir nachsehen“, schlug ich vor und hatte die Worte ausgesprochen, bevor ich genauer darüber nachgedacht hatte. Großartig!

Das fing ja gut an, wenn ich mir bereits ausmalte, wie ich meine Klauen in ihre Kopfhaut bohrte und ihren Schädel auseinanderriss. Dabei war Behemoth noch hier. Sah er nicht ein, dass er nicht weggehen durfte?

Niemand sonst würde mich zurückhalten, sodass ich sie umbringen würde, sobald die Sonne unterging. Wenn ich überhaupt so lange warten konnte.

„Eine spannende Vorstellung.“ Behemoth zog an seiner Zigarette und der Rauch verließ in kleinen Kreisen seinen Mund, während er mir einen Blick zuwarf, den ich nicht deuten konnte.

War er besorgt?

Wenn ja, was sollte dann das Zucken seiner Mundwinkel? Irgendetwas schien ihn zu amüsieren, aber was? Das Zittern meiner Hände, das bei dem Gedanken an das warme Blut von Heredia einsetzte?

„Würdest du das tun, bevor oder nach dem du deinen Schwanz zwischen ihre Lippen schiebst?“, fragte Behemoth plötzlich und das Zucken hörte auf. Stattdessen hoben sich seine Mundwinkel zu einem anrüchigen Grinsen.

Scharf sog ich die Luft ein und hätte mich dabei fast am Zigarettenrauch verschluckt. Schnell blies ich ihn aus meinen Lungen und verzog die Augen zu Schlitzen. „Ich weiß nicht, wovon du redest.“

Mein Ton blieb gleich. Weder änderte ich die Stimmlage noch das Tempo, mit dem ich sprach, dennoch blitzte ein wissendes Glitzern in Behemoths Blick auf und mein Magen verkrampfte sich.

Fuck! Wieso tat er mir das an?

„Natürlich nicht und die Art, wie du sie mit den Augen verschlingst, bilde ich mir nur ein.“ Behemoth lachte schallend und zog erneut an seiner Zigarette. Die Spitze begann heller zu glühen, bis er vom Stängel abließ und den Rauch in seinem Mund genüsslich tiefer in seine Luftröhre sog.

Mein erster Impuls war es, seine Vorwürfe wieder abzustreiten, aber irgendetwas sagte mir, dass ich damit nicht weit kommen würde.

Behemoth hatte schließlich auch Augen im Kopf und konnte sehen, was ich schon vor Wochen bemerkt hatte. „Sie ist schön“, murmelte ich nachdenklich und betrachtete Heredia genauer. Etwas, das ich mir im letzten Monat immer streng verboten hatte, um nicht auf dumme Gedanken zu kommen.

Vielleicht durften Dämonen sich nicht in Menschen verlieben, aber es war uns erlaubt, unsere Lust an ihnen zu befriedigen, und verdammt, Behemoth hatte recht. So gern ich Heredia töten wollte, so sehr wollte ich auch meinen Schwanz tief in ihr vergraben.

„Für einen Menschen“, setzte ich gleich hinterher und hoffte, damit meine Aussage abzuschwächen.

Dabei stimmte es leider. Heredia war wunderschön. Vielleicht nicht für menschliche Maßstäbe.

Sie war zu groß und zu dünn. Ihre Haut war eine Spur zu hell und ihre Haare konnten sich nicht entscheiden, ob sie braun oder blond sein wollten, sodass sie einen Farbton angenommen hatten, der mich an schimmerndes Gold erinnerte.

„Fuck, ja, das ist sie“, stimmte Behemoth zu, würdigte Heredia jedoch keines Blickes. Nein, stattdessen lag seine Aufmerksamkeit auf mir und ich hätte wahnsinnig gern gewusst, was er gerade dachte. Doch er beließ es bei seinen Worten und sah mich einfach weiterhin an.

Gerade rechtzeitig, um zu bemerken, wie ich reagierte, als der Wind sich drehte und Heredias Geruch erneut in unsere Richtung blies.
Ich hielt den Atem an und versuchte, den süßlichen Duft auszublenden, doch es gelang mir nicht. Mein Körper spannte sich weiter an und ich spürte, wie ein Ziehen durch meinen Kiefer ging. Meine Zähne, die tief in meinem Gebiss saßen, begannen zu wachsen, bis sie spitz und scharf waren wie Messerklingen.

„Ist sie wirklich eine Jungfrau?“, fragte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen und ließ meine Zigarette achtlos auf den Boden fallen.

Fuck, der Rauch sollte mich beruhigen, aber heute half er nicht. Nichts lenkte mich von der Quelle meines Verlangens ab, die unschuldig auf dieser beschissenen Bank saß und ihr Buch las.
„Keine Ahnung, aber so wie ihr Blut riecht, stimmt irgendetwas nicht mit ihr. Sie ist so …“ Behemoth suchte nach den richtigen Worten und gern hätte ich ihm dabei geholfen, sie zu finden, aber auch mir fiel nichts passendes ein.

Das süße Aroma in meiner Nase gepaart mit dem Geräusch von Heredias schlagendem Herz in meinem Ohr, machte mich wahnsinnig.

Wie sollte ich so klar denken?

„… rein“, sagte Behemoth schlussendlich und trat mit dem rechten Fuß auf die glühenden Überreste meiner Zigarette, damit wir keinen Brand verursachten.

„Hast du so etwas jemals gerochen?“ Fragend sah ich meinen Bruder an und hoffte, er würde wissen, wieso jede Zelle meines Körpers danach schrie, Heredia gleichzeitig wehzutun und sie vor Lust schreien zu lassen. Uns trennten knapp hundert Jahre Alters-unterschied, doch die zusätzliche Lebenserfahrung half Behemoth in diesem Fall auch nicht weiter.

„Nein. Es erinnert mich aber an irgendetwas. Du?“ Er schüttelte den Kopf, bediente sich ein letztes Mal an seiner Zigarette und warf sie dann ebenfalls auf den Boden, wo er die Glut austrat.

Dabei wanderte seine Aufmerksamkeit zu Heredia, die ihr Buch gerade zuklappte und die Beine von der Bank schwang, um aufzustehen. Sie drückte den dicken Wälzer an ihre Brust und erhob sich zögerlich.

Scheu sah sie sich um - wobei ihr Blick meinem begegnete - bevor sie einen großen Bogen um all ihre Mitschüler machte und im Gebäude verschwand. Sofort war das Atmen leichter für mich, als sie nicht mehr direkt in meiner Nähe war. Dennoch fiel die Anspannung nicht gänzlich von mir ab.

Der Blick, mit dem sie sich umgesehen hatte … Sie hatte dabei so traurig und verloren ausgesehen. Als würde sie nicht in diese Welt passen und leider kannte ich dieses Gefühl so gut, dass ich tatsächlich so etwas wie Mitleid mit ihr hatte.

Vielleicht ließ ich mich deshalb breitschlagen. Oder es war der Tatsache geschuldet, dass es seltsam in meiner Brust stach, Heredia von mir weggehen zu sehen. Aber das Endergebnis blieb dasselbe.
„Nein, aber ich habe ja jetzt genug Zeit, darüber nachzudenken und herauszufinden, was an ihr besonders ist.“ Ich seufzte tief und verlagerte mein Gewicht von einem Bein auf das andere, bevor ich meinen Blick endlich von der Tür nehmen konnte, die sich schon vor mehreren Augenblicken hinter Heredia geschlossen hatte.

Langsam leerte sich der Hof und ihre Mitschüler eilten Heredia nach.

Der nächste Kurs musste bald anfangen, also war sie jetzt auf dem Weg zu irgendeinem Hörsaal, um sich eine weitere Stunde anzuhören, wie die Welt theoretisch funktionieren sollte.

„Du machst es also?“ Behemoths Augenbrauen jagten zeitgleich in die Höhe und berührten dabei fast den Ansatz seiner schneeweißen, langen Haare. Unglaube mischte sich in die Freude in seinem Gesicht. Er verbuchte mein Nachgeben als Gewinn, als wäre all das hier ein Spiel für ihn.

Wahrscheinlich war es das auch. Und er hatte nicht vor, es zu verlieren. Vater war schon immer sein größter Gegner gewesen und ich hatte damit auch kein Problem, es sei denn, sie missbrauchten mich als Schachfigur und genau das tat Behemoth gerade. Er hatte einen Plan. Irgendwas hatte er mit Heredia vor. Es hätte mir egal sein sollen, aber das war es nicht. Sie hatte mein Interesse geweckt und nun wollte ich wissen, was aus ihr wurde.

Wenn jemand sie tötete, dann wollte ich es sein.

„Habe ich eine andere Wahl?“ Ja. Man hatte immer eine Wahl und ich entschied mich gerade für die falsche. Ich ließ mich von Behemoth einlullen, weil er an den Teil in mir appellierte, den ich sonst tief in mir vergraben hatte, um meine Fehler nicht zu wiederholen. Den Part, den ich nicht von Vater, sondern von Mutter hatte. Meine Menschlichkeit. Und sie widerte mich an.

„Danke, Bruder.“ Behemoth schlug mir brüderlich gegen die Schulter. Zweimal und viel fester als notwendig, aber ich kommentierte es nicht. Stattdessen bemühte ich mich, meine Gefühle wieder hinunterzuschlucken und wegzusperren. Ich durfte weder Mitleid noch Sympathie für Heredia empfinden. Sie war schuld, dass Biela tot war! Sie war eine Mörderin. Ganz einfach. Egal, wie unschuldig sie roch.

„Viel Spaß mit den Zwillingen, Bruder.“ Ich schnaubte und schüttelte Behemoths Hand ab, bevor ich mich in Bewegung setzte, um Heredia zu folgen.

Zwar glaubte ich nicht, dass Vater ausgerechnet eine Bildungsstätte als Schauplatz eines Mordes wählen würde, aber sicher konnte ich mir nicht sein.

Und mit einem hatte Behemoth recht: ich wollte mit Vater sprechen. Nicht über Heredia und ihre Familie, sondern über Biela. Denn einiges an der Geschichte ihres Todes kam mir eigenartig vor. Biela war eine Dämonin gewesen. Schön, ihr Dämon war noch nicht erwacht und ausgewachsen gewesen, aber sie hätte sich gegen einen Menschen zur Wehr setzen können. Wie hatte Heredias Bruder es dann geschafft, sie zu töten?

„Auch sie sind anders als du denkst“, beharrte Behemoth und ging mir ein paar Schritte hinterher, obwohl ich ihn mit meinem Gehör auch verstanden hätte, wenn er am anderen Ende des Hofes stehen geblieben wäre.

Aber Behemoth hatte mehr Zeit in der Welt der Menschen als in der Hölle verbracht, sodass er manchmal vergaß, dass wir uns sehr wohl von den verletzlichen Geschöpfen Gottes abhoben.

„Ihr Ruf eilt ihnen voraus.“ Ich verdrehte die Augen. Gerade er musste wissen, was die Zwillinge trieben, immerhin verbrachte er mehr Zeit mit ihnen als irgendjemand sonst. Ich dachte, er würde sie irgendwann hassen lernen und mit ihrem arroganten Temperament nicht klarkommen, doch stattdessen wurden sie so etwas wie Freunde.

„Deiner dir auch“, erinnerte Behemoth mich und kurz stockte mir der Atem. Wir redeten nicht darüber. Niemals. Es war ein unausgesprochenes Gesetz zwischen uns und dass er es jetzt doch an die Oberfläche holte und erwähnte, zeigte, wie ernst er es meinte. Vielleicht sollte ich das Gespräch zu den beiden doch noch einmal suchen. Irgendwann.

Ich nickte langsam und beschleunigte meine Schritte. Behemoth kam mir nicht hinterher. Dennoch wusste ich, dass er mich hören konnte, als ich ihm murmelnd zustimmte. „Ja, das ist richtig.“

 

 

Kapitel 1: Heredia

 

 

 

 

 

 

 

1 Jahr später

 

 

„Es ist eine Party, Dia! Versuch wenigstens, zu feiern“, rief Zahraa nun schon zum wer weiß wievielten Mal und schwang ihren Hintern zur lauten Musik.

Die Töne stachen in meinem Trommelfell und mein Körper vibrierte, wann immer der Bass ertönte. Dennoch waren es wenigstens anständige Lieder, die in mir nicht das Gefühl auslösten, mich übergeben zu müssen. Denn dafür sorgte schon der Geruch zur Genüge.

In dem geräumigen Partykeller des Universitätscampus stank es widerwärtig nach einer Mischung aus Alkohol, Erbrochenem und Schweiß. Außerdem war der Raum viel zu voll für meinen Geschmack. Überall waren Menschen und rieben ihre feuchten Körper aneinander.

Sie lachten, tanzten und verschütteten ihre Getränke, bis das Laminat bei jedem meiner Schritte an meiner Schuhsohle kleben blieb.

Es hatte nicht lange gedauert, bis ich deshalb entschieden hatte, mich in einer Ecke zu verschanzen und darauf zu warten, bis Zahraa endlich mit mir nach Hause gehen würde. Verflucht, ich hätte gar nicht erst mitkommen sollen. Schon gar nicht heute, aber ich hatte nicht schon wieder absagen können.

Wie viele Neins hielt eine Freundschaft aus, bevor sie zerbrach? Ich wusste es nicht, aber wahrscheinlich hatte ich den Bogen schon lange überspannt.

„Was soll ich feiern, Zahraa? Das Semester ist noch nicht vorbei. Ein paar Prüfungen stehen uns noch bevor und ich habe nicht vor durchzufallen, nur um ein paar Drinks vernichten zu können.“

Ich versuchte mich an einem Lächeln, aber meine Muskeln schmerzten ungewohnt, als ich die Mundwinkel heben wollte, sodass ich es gleich wieder ließ. Mir war nicht danach zu lächeln und schon gar nicht nach feiern.

Zwölf Monate war es jetzt her, seit Lucien tot aufgefunden worden war. Es war nur ein Jahr, aber mir kam es vor wie eine Ewigkeit.

Jeder Tag, jede Woche und jeder Monat, die vergingen, waren ein Kampf für mich.

Ich bemühte mich, weiterzumachen. Jeden Morgen zwang ich mich, aufzustehen und mein Bett zu verlassen, in der Hoffnung, die Albträume würden verschwinden und ich würde es schaffen, mein Frühstück hinunterzuwürgen. Und meistens gelang es mir.

Ich war stark. Das sagte ich mir immer wieder, aber das reichte nicht. Die ersten Monate waren noch alle verständnisvoll gewesen, aber inzwischen war genug Zeit vergangen und jeder verlangte von mir, dass ich mit dem Tod meiner Familie abschloss.

Ich durfte laut ihnen nicht mehr traurig sein. Aber das war ich.

Sah Zahraa das nicht?

Ich wollte mich nicht so fühlen, wie ich es tat. Wirklich nicht. Keiner wollte das. Aber ich wusste nicht, was ich dagegen tun sollte. Dass ich seitdem an Verfolgungswahn litt und ständig das Gefühl hatte, beobachtet zu werden, war auch nicht gerade hilfreich. Alles in allem war ich müde, erschöpft und das Kämpfen leid.

Ich hatte alles verloren.

Jeden einzelnen Blutsverwandten, den ich gehabt hatte, und dennoch erwartete Zahraa von mir … ja, was? Dass ich mir Alkohol in den Körper schüttete und danach auf der nächstbesten Toilette einem Fremden einen blies, nur um zu beweisen, wie rebellisch und risikofreudig ich war?

Nein, das würde ich nicht. Ich hatte es mir nicht erlaubt, mich heute in meinem Bett zu verkriechen, einen Eimer Ben und Jerrys-Eiscreme zu essen und zu heulen, bis ich einschlief. Aber ich würde mich auch nicht an einer Stange reiben und so tun, als

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 15.01.2024
ISBN: 978-3-7554-6786-1

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