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Uhlen in der Nacht

I.

Uhlen in der Nacht

Kapitel 1

 

Durch den schwarzen, ausgefransten Rand des Lochs in der Zeitungsseite folgte ich mit meinen Blicken den geraden, schlanken Beinen bis zum Saum des kurzen, engen Rocks. Von da aus ging es über eine schmale Taille den Rücken hinauf bis zu den welligen, kastanienbraunen Haaren.

Kein Zweifel: Diese Frau war mein Ziel.

Ich ließ die ausgelesene Zeitung sinken, zog die Krempe meines Hutes ein Stück weiter ins Gesicht und zündete mir eine Selbstgedrehte an. Währenddessen ließ ich den wohlgeformten Rücken nicht aus den Augen und sah zu, wie seine Besitzerin nervös das Gewicht von einem Bein auf das andere verlagerte. Und sie hatte auch allen Grund, nervös zu sein. Nicht nur, weil sie am hellichten Tag mitten in der Woche in einem Hotel in Bad Bevensen eincheckte – sondern sie tat es auch ohne ihren Mann.

Das wusste ich absolut sicher, denn der Typ war mein Auftraggeber. Normalerweise interessierten mich die Beschattungen gelangweilter Gattinnen einen Scheiß. Aber dieser Job hatte seinen Reiz: Erstens führte er nach Bad Bevensen, wo einfach kein Schwein merkte, wenn es beobachtet wurde. Und zweitens war mein Boss ein hiesiger Sanitätshausbesitzer – was ungefähr einem texanischen Ölbaron gleichkommt. Mit anderen Worten: Leicht verdientes Geld.

Laszlo Wümpel war zu sehr damit beschäftigt, seinen Rollatoren-Fuhrpark zu pflegen, so dass er kein Auge mehr für die nachmittäglichen Ausflüge seiner wesentlich jüngeren Frau hatte. Also war ich ihr von der protzigen Jugendstil-Villa in Medingen aus hierher gefolgt. Zuerst hatte sie sich ins Bistro verzogen, nervös eine Zigarette geraucht und irgendein koffeinhaltiges Heißgetränk mit unaussprechlichem Namen geschlürft, während sie immer wieder auf die Uhr gesehen hatte. Ich hockte hier im kleinen Foyer in einem ledernen Ohrensessel und wartete, während mein innerer Taxameter immer weiter tickte. Eine halbe Stunde hatte ich die Zeitung mit dem Zigarettenloch angestarrt, bis die schöne Serafina Wümpel zurückgekommen war und ein paar flüsternde Worte mit dem Sahnetörtchen an der Rezeption gewechselt hatte. Ein Stift ging dabei nicht über den Tresen. Also brauchte sie kein Zimmer.

Mit schnellen, kleinen Schritten verschwand meine Beute nach rechts in den schmalen Korridor.

Ich zwinkerte der Kleinen am Telefon zu und folgte in gebührendem Abstand. Ich hörte schon die klackenden Schritte im Treppenhaus am Ende des Ganges. Leise stieg ich hinterher. Es ging bis unters Dach, wo die Suiten lagen. Wenn sie schon den Geldsack-Gatten betrog, dann mit Stil.

Als ich die Tür zum Zimmerbereich öffnete, war alles still. Teppich dämpfte meine Schritte und ich fürchtete schon, mich mit einem Glas an die Türen stellen zu müssen, um die Spur wieder zu finden.

Gleichzeitig signalisierte mir mein inneres Alarmsystem eine Gefahr. Das Schäferstündchen würde heute wohl ausfallen. Etwas stank im Nobeltrakt, und das kam nicht vom Asbest. Während ich noch unschlüssig war, welche Edel-Kammer ich mir zuerst vornehmen sollte, zerriss ein gellender, markerschütternder Schrei die Stille. Ich griff nach meiner Waffe unter dem Trench und hechtete auf die Tür mit der Nummer 44 zu. Aufs Anklopfen verzichtete ich und warf mich gleich gegen das Holz, die Waffe im Anschlag. Die Tür sprang auf und ich torkelte in einen langen Gang, der in ein geräumiges Wohnzimmer mit zwei Dachschrägen führte. Mein Blick erfasste genau drei Dinge: Eine offene Balkontür, eine zitternde und schluchzende Frau und eine Leiche am Boden.

Sah so aus, als würde ich der Einzige im Landkreis sein, der in Bevensen keine ruhige Kugel schieben durfte.

 

*

 

„Wer sind sie?“

Die Frau starrte mich an und zum ersten Mal sah ich ihr Gesicht. Eine aparte Schönheit mit langem, rotbraunem Haar und dunklen Rehaugen. Sie zitterte und schluchzte. Nicht gerade die Haltung einer eiskalten Mörderin. Aber sie kam aus Bevensen, eine gewisse Regungslosigkeit lag ihr also im Blut.

Ich vergaß die Vorsicht und nahm die Waffe runter.

„Holger Hammer. Privatdetektiv. Ich beschatte sie, Frau Wümpel. Aber im Moment scheint es Wichtigeres zu geben.“

Der Kerl auf dem Boden war ein junger Gigolo-Typ mit Fönwelle und billigen Klamotten. Außerdem hatte er einen faustgroßen Blutfleck rund um die Stichwunde in seiner Brust. Ich machte ein Handy-Foto von der Leiche, mehr konnte ich nicht für ihn tun. Aber vielleicht erwischte ich noch den Killer. „Bleiben sie hier und rühren sie sich nicht vom Fleck.“

Der große Balkon war überdacht. Eine Metalltreppe führte entlang der Fassade nach unten, direkt auf die freie Rückfront des Hotels. Ich rannte so schnell ich konnte und kam außer Atem unten an. Natürlich viel zu spät. Ich sah noch ein paar Abdrücke auf dem feuchten Boden, kam aber nicht mehr dazu, ihnen zu folgen. Kaltes Metall presste sich in meinen Nacken. Automatisch hob ich die Hände.

„Ganz ruhig, wer immer sie auch sind“, forderte ich den Kerl mit der Knarre auf. „Ein Mord pro Tag sollte reichen – sogar in Bevensen.“

Ich fühlte, wie seine Hand von hinten in meine Manteltasche griff und die Brieftasche rauszog. Nach einem Blick auf meinen Ausweis warf er sie zur Seite.

„Haben sie ihn umgelegt – Hammer?“

„Wen denn?“

„Sie wissen schon.“

„Würde ich dann fragen?“

Der Druck im Nacken wurde stärker.

„Den Kerl oben im Appartement. Haben sie ihm das Licht ausgeblasen?“

„Wer ich? Nein. Ich dachte, sie...“

„Aber er ist doch tot, oder?“

„Wenn sie das nicht wissen, warum fragen sie dann, ob ich ihn umgelegt habe?“

„Keine Spitzfindigkeiten: Liegt oben ein Toter und wenn ja, haben sie ihn umgebracht?“

Das Gespräch wurde mir zu kompliziert. Ich duckte mich unter der Waffe weg, machte eine Drehung und schwang dem Kerl hinter mir meine Faust in die Magengrube. Er ging in die Knie, also verpasste ich ihm noch einen Kinnhaken und schickte ihn endgültig zu Boden. Sein Gesicht war narbig und unrasiert, das Haar strähnig und schütter. Und er trug ein schlecht gemachtes Glasauge. Dazu einen billigen Anzug mit ausgebeulten Hosen.

„Okay, jetzt stelle ich mal die Fragen: Wer ist der Tote im Penthouse und was haben SIE mit der Sache zu schaffen?“

„Verschwinden sie lieber, Schnüffler, bevor hier die Luft brennt.“

Ich wollte gerade was erwidern, als wir beide das Heulen der Polizeisirenen hörten. Der Schrei der schönen Serafina schien noch andere im Haus aufgeschreckt zu haben. Ich war ein bisschen länger abgelenkt, als das Glasauge. Er riss sein Knie hoch und schickte mir damit Sterne vor die Pupillen. Keuchend ging ich in die Hocke und merkte noch, wie der Lauf seiner Knarre meinen Schädel traf. Dann gingen die Lichter aus.

 

*

 

„Na, das ist ja mal wieder eine richtig beschissene Scheiße, in der sie da hocken, Hammer.“

Stimme und Worte waren wie ein unangenehmer Handy-Klingelton. Und das Gerät, zu dem beides gehörte, hieß Polizeikommissar Walter Wolter. Dass er mich anmaulte half nicht gerade dabei, meinen Schädel auf Normalgröße schrumpfen zu lassen. Ich lag ausgestreckt auf dem Ledersofa von Zimmer 44 unseres Mord-Hotels. Wolters Jungs in Blau rückten gerade mit dem Leichensack ab, als ich mich in die Höhe stemmte.

„Haben Sie mich selber hier hochgeschleppt, Wolter?“

Er grinste über sein ganzes rundes Gesicht.

„Das könnte ihnen so passen! Meine Jungs haben sie hinterm Haus auf dem Komposthaufen gefunden. Ich selber hätte sie wahrscheinlich liegen lassen, denn das war der passendste Ort, an dem ich sie je getroffen habe. Aber irgendjemand meinte, ich sollte mir mal ihre billige Ausrede anhören. Also, Hammer: War der Scheiß-Mord hier so langweilig, dass sie gleich im Hof eingepennt sind?“

„Verdammt, Wolter! Ihre Versuche, witzig zu sein, sind ja noch kläglicher als ihre Ermittlungen.“

Er kaute auf seinem Zigarrenstummel.

„Ach ja? Nun, der Fall ist schon gelöst: Ich habe eine Leiche mit Namen, eine Täterin und ein Motiv. Als hätte unsere Killerin gleich den scheiß Weihnachtsmann persönlich mitgebracht. Das Einzige was ich mal wieder nicht weiß, ist, was sie verdammt noch mal hier zu suchen haben. Aber ehrlich gesagt interessiert mich das auch einen Dreck. Also verschwinden sie, hier ist alles erledigt.“

Für einen richtigen Bullen wäre das eine verdammt vorschnelle Aussage gewesen. Nicht aber für Wolter. Der kam aus Uelzen und liebte es symmetrisch, quadratisch und nett verpackt.

Ich versuchte, das Dröhnen in meinem Schädel zu ignorieren, bis ich mir ein besseres Bild vom Tatort gemacht hatte. Wenn Wolter mich schon mal einlud, dann wäre es unhöflich gewesen, diesen Besuch nicht zu würdigen. Auch wenn seine Jungs wahrscheinlich schon sämtliche Spuren verwischt hatten. Fehlte nur noch, dass die Putzfrau auftauchte.

„Verdammt, was suchen sie denn schon wieder, Hammer?“, maulte Wolter, während ich durch das Zimmer ging. Er konnte es gar nicht leiden, wenn ich ihm das Gefühl gab, etwas zu übersehen. Andererseits war es auch verdammt schwer, es ihm NICHT zu geben.

„Antworten.“

„Wir haben schon alle Antworten. Zeit, zusammenzupacken.“

„Ich dachte, sie wollten noch meine Ausrede hören...“

Er verschränkte die Arme vor seiner Brust. „Wenn es sein muss...“

„Ich war an Frau Wümpel dran, sollte sie beschatten. Sie war nur kurz in diesem Zimmer – ZU kurz, um den Kerl umzunieten. Und sie hat sich auch nicht wie eine Mörderin verhalten.“

„Sind sie jetzt auch noch ein scheiß Profiler, oder was? Machen sie die Sachen nicht komplizierter, als sie sind.“

„Sie glauben also, Serafina Wümpel ist die Killerin?“

„Wer sonst? Die stand noch hier rum, als wir ankamen und hat geheult. Der Kerl war nicht nur ein schmieriger Klein-Dealer und Betrüger, die beiden hatten auch ein Verhältnis. Da können nicht mal sie was hineinverschwören, Hammer.“

„Und die Mordwaffe? Haben sie die auch?“

Wolter zuckte die eingefallenen Schultern. „Die wird sie entsorgt haben.“

„Wo denn? Im Klo?“

Wolter grunzte. Eigentlich war er ganz umgänglich, wir hatten schon manche Nuss zusammen geknackt. Aber er konnte es nun mal nicht leiden, wenn ihm einer seine Inkompetenz auch noch unter die Nase rieb.

„Jetzt reicht es aber, Hammer. Ich habe Lady Macbeth kassiert und werde schon noch aus ihr rauskriegen, wo die Mordwaffe steckt. Und jetzt machen sie 'nen Abflug, Hammer.“

Ich konnte nicht verhindern, dass Wolter mich aus der Tür schob und hinter uns den Schlüssel umdrehte. Aber ich war entschlossen noch mal zurückzukommen. In diesem Zimmer waren noch eine Menge Antworten versteckt, die nur auf mich warteten...

 

*

 

Ich hatte die Hoffnung, nach Wolters Abzug noch einen Blick ins Mordzimmer werfen zu können. Also verzog ich mich bis dahin ins Bistro und ließ mir erstmal einen doppelten Scotch einschenken. Ich war nicht lange allein. Kurze Zeit später kam ein nervöser Typ mit Seitenscheitel und literweise Schweiß im Gesicht rein. Ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen, rutschte er auf einen Hocker neben mir und schaufelte die Erdnüsse aus der Glasschale gedankenverloren in sich rein. So leidend wie der aussah, konnte er eigentlich nur der Geschäftsführer sein.

„Sind sie der Boss hier?“

Er zuckte zusammen und sah mich aus gequälten Augen an, bevor er langsam nickte, als würde er sich schuldig fühlen. „Thorsten Brandes. Tut mir leid, aber ich bin noch völlig aufgelöst von den Ereignissen. Und das, wo wir doch gerade unser Marketing-Konzept ganz neu aufstellen wollten. Neuer Name, neues Interieur, ganz neues Image. Und jetzt das.“

„Na ja, auf jeden Fall werden sie jetzt bekannt. So wie Bates Motel.“

„Tut mir leid, aber ich kann gerade nicht lachen, Herr.... Herr...“

„Hammer. Holger Hammer. Privatdetektiv.“

„Ach ja? Ich habe noch gar nichts von ihnen gehört.“

„Ist die beste Visitenkarte für einen Schnüffler, oder? Aber vielleicht liegt's auch daran, dass ich aus Uelzen komme. Ich war wegen Frau Wümpel hier. Kennen sie sie?“

Kopfschütteln. „Nicht persönlich. Ihren Mann natürlich. Aber den kennt hier jeder.“

„Und der Tote? Kannten sie den?“

„Keinen Schimmer. Er hat sich unter Harald Potter eingetragen. Konnten wir doch nicht ahnen, dass das ein falscher Name ist...“

„Natürlich nicht. Draußen auf ihrem Hof bin ich so einer zwielichtigen Gestalt begegnet. Schütteres Haar, Narbenfresse, Glasauge.“

Brandes überlegte. „Diesen Typen habe ich hier schon öfter gesehen. Lungert hin und wieder im Hotel-Viertel oder unten bei den Kliniken herum. Keine Ahnung, wer das ist.“

„Hatte er Zugang zum Haus?“

Brandes rollte mit den Augen. „Das ist ein Hotel – im Prinzip hat hier jeder Zugang.“

„Schon gut. Danke für ihre Zeit.“

Ich kippte meinen Drink runter und wollte schon aufstehen, um den armen Kerl allein zu lassen. Aber Brandes hielt mich fest. „Wollen sie hier ermitteln, Hammer?“

„Wenn es was zu ermitteln gibt.“

„Ich hoffe nicht. Die Polizei hat schließlich Frau Wümpel verhaftet. Damit sollte die Angelegenheit doch wohl erledigt sein.“

„Und warum haben sie es so eilig, die Akte zu schließen, Herr Brandes?“

Er räusperte sich nervös. „Mir geht es nur um den guten Ruf unseres Hotels. Wir haben uns mit allem so viel Mühe gegeben: Neue Teppiche, neue Farbe an den Wänden. Und sie sollten mal unseren Sauna-Bereich sehen. Und ein Anbau ist auch geplant. Ehrlich, da kann ich weder schlechte Presse noch irgendwelche andere, negative Aufmerksamkeit gebrauchen.“

„Das hätten sie sich überlegen sollen, bevor sie ihr Hotel Venushügel genannt haben...“

Wenigstens wurde er kurz rot. „Ja, das war so ein Marketing-Prozess. Wir wollten einen Teil der alten Identität behalten und gleichzeitig wieder einen Himmelskörper im Namen haben.“

„Okay, Pluto-Berg klingt wohl nicht so gut...“

„Wir haben die Angelegenheit von den hiesigen Tourismus-Experten untersuchen lassen – die machen das Marketing für ganz Bevensen.“

„Ja, ein echtes Aushängeschild...“

„Außerdem wollten wir ein weibliches Klientel ansprechen, denn nach Aussagen der Marktforscher sind meistens die Frauen für die Urlaubsplanung verantwortlich.“

„Wie auch immer. Ich bin sicher, ihr... Venushügel wird seine Wirkung nicht verfehlen. Bei wem auch immer...“

„Was ich eigentlich sagen wollte, ist, dass ich alles tun würde, um für Ruhe zu sorgen und die Sache aus der Welt zu schaffen. Wenn ich ihnen also irgendwie helfen kann...“

Ich überlegte kurz – das konnte meine Chance sein.

„Ich würde gerne noch mal in das Zimmer – und zwar, bevor die Putzkolonne einmarschiert. Ist das möglich?“

Brandes überlegte kurz. „Von meiner Seite aus spricht nichts dagegen. Aber ich glaube, der Raum ist noch immer als Tatort beschlagnahmt. Die Polizei hat ihn versiegelt.“

Ich seufzte. „Ja, das macht der liebe Walter Wolter ganz gerne. Aber nur weil er es cool findet, irgendwo Sticker draufzukleben. Und weil er noch so viele davon hat. Im Grunde sind seine Ermittlungen abgeschlossen.“

„Wenn sie mir ihre Karte geben, rufe ich an, sobald sie rein können.“

Ich kam dem Wunsch von Brandes nach und verabschiedete mich. Im Moment konnte mir der Typ überhaupt nicht weiterhelfen. Selbst wenn er was wusste, war er zu durcheinander um sich zu erinnern. Also blieb mir nur zu hoffen, dass ich möglichst schnell das Zimmer in Augenschein nehmen konnte. Wenn ich bis heute Abend nichts hören würde, müsste ich wohl selber nachhelfen.

Ich war auf dem Weg zurück zu meinem Wagen, als das Telefon schrillte.

„Hammer, was zur Hölle ist da passiert?“

Die hysterisch-laute Stimme, die sich wie ein Dampfhammer in mein Ohr bohrte, gehörte meinem Auftraggeber – Laszlo Wümpel. Verständlich, dass er aufgebracht war.

„Ist eine lange Geschichte“, antwortete ich. „Und ich kenne weder den Anfang, noch den Schluss – bestenfalls einen kleinen Teil aus der Mitte. Ist wie bei diesen Serien, wo sie zwar immer einsteigen können, aber dann noch eine ganze Weile brauchen, bis sie richtig drin sind, so wie...“

„Das interessiert mich nicht“, unterbrach mich Wümpel. „Ich bin auf dem Weg zur Polizei, weil meine Frau gerade wegen Mordes verhaftet wurde. Ich will da nicht wie ein Idiot auftauchen, also treffen sie sich gefälligst mit mir.“

„Ich wollte gerade in mein Büro, und da...“

„In 15 Minuten!“, bellte Wümpel, dann war die Leitung tot.

Ich sah auf meine Uhr. Nicht leicht, aber machbar. Also trat ich aufs Gas.

Eigentlich hätte der Tag ja ganz anders laufen sollen.

Für einen simplen Routine-Job zwischendurch kam ich jetzt ganz schön ins Schwitzen. Und dabei hockte ich nicht mal in der verdammten Therme.

 

*

 

Natürlich tigerte Laszlo Wümpel schon vor meiner Bürotür auf und ab, als ich die durchgetretenen Holzstufen zu meinem Büro in der Bahnhofstraße hoch hechtete.

Als er mich sah, funkelte er mich aus wütenden Augen an.

„Da sind sie ja endlich! Wo zum Henker haben sie gesteckt, Hammer?“

Der Nachteil von Auftraggebern mit viel Kohle ist, dass sie selten über Umgangsformen verfügen. Da ich aber auch Unhöflichkeiten auf die Spesenrechnung setzte, konnte ich damit leben.

Ich grinste Wümpel also nur an, während ich aufschloss. „Sie kennen doch die B4.“

Er schnaufte und stampfte hinter mir her in mein zugiges, kleines Büro. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie er die Nase rümpfte und über den Boden stakste, als stünde er knietief in Affenscheiße. Dafür verzichtete ich auch darauf, ihm einen Drink anzubieten. Ich schenkte mir selber einen ein und ließ mich auf meinen Bürostuhl sinken.

„Also, warum wollten sie mich so dringend sprechen?“, grinste ich ihn frech an.

Wümpel lachte hysterisch.

„Das fragen sie mich doch nicht im Ernst, Hammer! Ich beauftrage sie, meine Frau zu beschatten, und das nächste, was ich höre, ist, dass sie wegen Mordes festgenommen wurde. Was ist da passiert, verflucht noch mal?“

Ich zündete mir eine Selbstgedrehte an.

Zornesröte stand Laszlo Wümpel nicht. Er war eh schon nicht sonderlich attraktiv, aber dank seines Kontostands war das auch verzichtbar. Ein Mittfünfziger mit Platte und dunklem Haarkranz. Dazu buschige Augenbrauen und ein buschiger Schnauzbart. Er trug einen geschmacklosen Zweireiher, der ein bisschen zu sehr über dem Bauchansatz spannte. In sein gewinnendes Äußeres hatte sich seine bedeutend jüngere Frau sicher nicht verliebt...

Ich hob die Schultern und musterte interessiert die Glut meiner Kippe, während ich ihm erzählte, was ich von den Vorgängen im Hotel Venushügel wusste.

Wümpel wirkte fassungslos und stützte sich auf die Schreibtischplatte. Er schwitzte und um seine Mundwinkel herum zuckte es.

„Wissen sie, wer der Tote war?“

„Keine Ahnung. Die Bullen haben mir die Leiche nicht vorgestellt. Es hieß nur, dass er ein Kleinkrimineller und ein Dealer war.“

Wümpel fing schon wieder an rumzutigern.

„Und das war der Liebhaber meiner Frau? Sind sie sich da sicher?“

„Nein, bin ich nicht. Wie auch? Ich hatte keine Gelegenheit mit ihr zu sprechen. Ich habe die Leiche gesehen, versucht den Killer zu schnappen und mich dann vom Glasauge zu Bett bringen lassen.“

Wümpel strich sich nervös über den Walross-Schnauzer.

„Dann war das vielleicht gar nicht der Kerl, mit dem sie eine Affäre hatte...“

Ich zeigte ihm das Handy-Bild, das ich von dem Toten gemacht hatte. Wümpels Schweißdrüsen schoben daraufhin noch mal eine Extra-Schicht.

„Mein Gott! Und das soll Serafina getan haben? Unmöglich. Sie war das nicht, Hammer!“

„Dazu gibt es in diesem Raum sicher keine zwei Meinungen. Ich will mich in dem Hotel noch mal umsehen, muss aber warten, bis die Bullen das Siegel entfernen. Doch wenn sie das tun, bedeutet es auch, dass sie ihre Frau endgültig kassiert haben.“

Wümpel presste die Kiefer zusammen. „Das werde ich nicht zulassen, Hammer. Ich werde jetzt zur Polizei fahren und mir anhören, was die zu sagen haben. Wir sprechen uns morgen und werden dann sehen, was weiter zu tun ist.“

Ich nickte und Wümpel machte auf dem Absatz kehrt, um zu verschwinden.

Mehr gab es im Moment sowieso nicht zu sagen.

 

*

 

Der Anruf kam um kurz nach acht am Abend.

Für mich war die Freigabe des Tatorts eine gute Neuigkeit – aber für Laszlo Wümpel musste es ein herber Rückschlag gewesen sein. Ich versuchte ihn anzurufen, aber sein Handy war ausgeschaltet. Sicher hatte er jetzt auch andere Sorgen. Ich lenkte den alten Ford zurück nach Bad Bevensen und parkte vor dem Venushügel.

Thorsten Brandes empfing mich persönlich. Er schien sehr darauf bedacht, zu helfen. Wahrscheinlich wollte er diese leidige Angelegenheit so schnell wie möglich abhaken.

„Herr Hammer, ich habe sie gleich angerufen, nachdem die Polizei wieder weg war. Ich bin ja so froh, dass der Fall so schnell geklärt wurde.“

„Abwarten“, murmelte ich, denn ich wollte dem Mann nicht gleich wieder die gute Laune verhageln. „Waren ihre Leute schon in dem Zimmer?“

Er schüttelte hastig den Kopf. „Natürlich nicht. Sie haben doch gesagt, ich soll sie zuerst anrufen und nichts verändern. Aber glauben sie denn wirklich, dass sie noch etwas finden werden? Ich meine, nachdem die Polizei doch schon das Zimmer durchsucht hat?“

„Es ist natürlich immer zu befürchten, dass die Jungs in ihrem Eifer sämtliche Spuren vernichten. Aber irgendetwas übersehen sie gewöhnlich immer – eine Mordwaffe, ein zweites Opfer...“

Brandes starrte mich mit offenem Mund an und mir wurde klar, dass wir nicht denselben Humor hatten.

„Soll ich dann mal raufgehen?“

Wir hatten die Rezeption erreicht und er drückte den Klingelknopf. „Meine Mitarbeiterin Charlene Bornemann wird sie begleiten.“

Wie auf ein Stichwort erschien eine dralle Wasserstoff-Blondine im knappen Zimmermädchen-Outfit hinter dem Tresen. Mit ihrem Augenaufschlag hätte sie jeden Matchball gewonnen. Die roten geschwungenen Lippen lächelten mich vielsagend an. Ich hätte fast zurückgelächelt, aber dann blieb mein Blick auf ihrem Namensschild hängen - „Sharlien“...

„Sharlien, das ist Herr Hammer. Bringen sie ihn bitte in Nummer 44. Und wenn er irgendetwas braucht...“

„... werde ich es ihm besorgen“, hauchte das Mädchen und ging mit wiegenden Hüften voran. Ich zwinkerte Brandes zu und folgte der Verführung mit Häubchen unter das Dach.

Stickige Luft schlug mir entgegen, als ich das Zimmer betrat und auch Sharlien verzog das Gesicht. „Puh, mächtig heiß, oder? Was dagegen, wenn ich die Balkontür öffne?“

„Nur zu“, gab ich zurück und versuchte, mich auf meine Umgebung und das Zimmer zu konzentrieren – gar nicht so leicht unter den gegebenen Umständen.

„Sind sie echt ein richtiger Schnüffler?“

Ich sah zu Sharlien. Sie hatte sich weit in einem Sessel zurückgelehnt und die langen Beine übereinander geschlagen.

„Was wäre denn ein unechter Schnüffler?“

„Na... sowas wie Kommissar Rex vielleicht...“

„Dann bin ich ein echter.“

Sie räkelte sich und ich versuchte nochmal, mich zu konzentrieren.

„Dann ist doch ihr Job sicher saugefährlich, oder?“

„Gefahr ist mein Geschäft.“

„Und Familie haben sie dann bestimmt auch nicht.“

„Nur ein einsamer Wolf ist auch ein hungriger Wolf.“

Sie gurrte mich leise an. „Uhh... ein Wolf also? Dann muss ich ja vorsichtig sein, wenn ich allein im Wald unterwegs bin...“

„Mein Revier ist eher... der Dschungel.“

„In echt? So amazonasmäßig?“

„Uelzenmäßig - Kleinstadt... Dschungel...“

Damit hatte ich Sharlien wohl endgültig aus meinem Fanclub vertrieben. Blieb mehr Zeit für die Suche nach Hinweisen. Ich ging in die Knie, um einen Blick unter das Bett zu werfen und schon war das hübsche Zimmermädchen wieder neben mir und leuchtete mit einer kleinen Taschenlampe ins Dunkel.

„Sie sind wohl auf alles vorbereitet, wie?“

Sie drehte mir jetzt auch ihr Gesicht zu. „Ist mein Job... Hammer. Lassen sie mich nur machen.“

Ich erhob mich und versuchte Sharlien nicht dabei zu beobachten, wie sie sich auf den Knien nach vorne beugte, um unters Bett zu gucken.

„Hier ist ein Zettel...“ rief sie und rutschte zurück, um wieder auf die Füße zu kommen. Mit einem lasziven Lächeln wedelte sie vor mir das Stück Papier hin und her. „Und? Bin ich eine gute Assistentin?“

„Nicht, wenn das nur ein altes Parkticket ist.“

Aber das war es nicht. Jemand hatte auf den abgerissenen Zettel eine Telefonnummer geschrieben. Das Papier war liniert und sah aus, als käme es aus einem Notizbuch. Zufrieden steckte ich es ein. Sharlien wippte auf ihren Absätzen hin und her.

„Ist mein Fund eine Belohnung wert? Ich habe um zehn Feierabend.“

„Da muss ich leider schon im Bett liegen.“

„Ich könnte nachkommen.“

„Das nenne ich Zimmerservice. Wenn ich das nächste Mal in Bevensen bin, essen wir ein Eis.“

Ich tätschelte ihr die Wange und sah zu, dass ich so schnell wie möglich hier rauskam, bevor ich noch was Dummes tun konnte.

Eins musste man dem Chef des Venushügels lassen – er hatte ein Händchen in Personalfragen. Und einen schrägen Sinn für Corporate Identity...

 

Kapitel 2

 

Ich hatte ein paar Stunden erfolglos versucht, mehr über die Telefonnummer aus dem Mord-Zimmer rauszukriegen. Das Telefon selber schien abgeschaltet zu sein und eine Mailbox gab es auch nicht. Also hatte ich mich schließlich aufs Ohr gehauen, um ein paar Stunden Schlaf zu kriegen. Etwas sagte mir, dass die Chancen gut standen, in nächster Zeit nicht allzu viel Zeit auf meiner alten Schlafcouch zu verbringen.

Meine Knochen schmerzten, als ich mich am Morgen hochwuchtete. Und die Sprachnachricht auf meinem Handy sorgte auch nicht gerade dafür, dass ich mich besser fühlte.

Laszlo Wümpel wollte mich so bald wie möglich sehen.

Also ließ ich mir Zeit.

Während der Fahrt zur Villa in Medingen überlegte ich mir meine nächsten Schritte. Viele Optionen hatte ich nicht. Und im Grunde hing alles davon ab, was ich als nächstes erfahren würde.

Ich parkte an der Straße und ging durch den gepflegten Vorgarten zur Jugendstil-Villa. Ich war einigermaßen überrascht, als mir Serafina Wümpel die Tür öffnete.

Sie war blass und hatte Ringe unter den Augen. Aber sie lächelte.

„Mich hätten sie wohl nicht erwartet, wie?“

Bevor ich etwas erwidern konnte, erschien Laszlo Wümpel in einer albernen Strickjacke hinter ihr und lächelte mich triumphierend an.

„Beziehungen sind eben alles, Hammer. Na los, kommen sie rein. Wir haben einiges zu besprechen.“

Er führte mich in den Raum, den er Bibliothek nannte, aber in dem es erstaunlich wenig Bücher gab. Dafür einen überdimensionierten Fernseher und eine Sitzgruppe aus weißem Leder. Auf dem gefliesten Tisch stand bereits Kaffee. Das Ehepaar Wümpel kuschelte sich in Versandhauskatalog-Optik auf der Couch nebeneinander und ich ließ mich in einen abgrundtiefen Sessel fallen, in dem jeder gestaucht und verloren wirken musste. Wahrscheinlich war genau das der Plan.

Wümpel hatte einen Arm auf die Lehne und damit um seine Frau gelegt und er sah verdammt zufrieden aus.

„Diese unfähigen Bullen haben nichts in der Hand“, bellte er mir lachend entgegen. „Und trotzdem wollen sie Anklage erheben. Das ist lächerlich. Sie werden dafür sorgen, dass der richtige Killer erwischt wird, Hammer. Haben wir uns verstanden?“

Ich räusperte mich. „Es ist nicht so, als würden sie mich zum Milchholen schicken, Herr Wümpel. Hier geht es um einen Mord.“

Er beugte sich vor und seine Augen funkelten angriffslustig. Wahrscheinlich hatte ihm das Gespräch mit den Bullen Auftrieb gegeben. Aber erstens war ich nicht sein Feind und zweitens hatte ich ein bisschen mehr Durchblick.

„Ich weiß selber, dass es um Mord geht. Und zwar um einen, den NICHT meine Frau begangen hat.“

Er sprang vom Sofa hoch und zündete sich eine Zigarette an. Während er die freie Hand in die Tasche seiner Strickjacke schob, sah er durch die Terrassentür in den Garten.

„Wir spielen hier mit offenen Karten, Hammer. Ich habe meiner Frau alles von unserer Vereinbarung erzählt. Und sie mir von ihrer Affäre. Wir haben reinen Tisch gemacht, Hammer.“

„Gut, dann machen sie das mit mir am besten auch. Wer ist die Leiche?“

Serafina Wümpel räusperte sich. „Sein Name ist Ralf-Jeremy Hagemann. Er ist... war... mein Liebhaber.“

„Also waren sie tatsächlich mit ihm in dem Hotel verabredet?“

Sie sah hilflos zu Wümpel, der nur knapp nickte.

„Ja, war ich. Das war einer unserer Treffpunkte.“

„Und wieso haben sie sich mit einem Dealer eingelassen?“

Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Als wir uns kennenlernten, wusste ich nichts davon. Er war nett, er war aufmerksam. Und... er hatte einfach... Zeit für mich...“

Wümpel legte ihr eine Hand auf die Schulter.

„Ich weiß, dass ich dich vernachlässigt habe, mein Schatz. Und es tut mir leid.“ Wümpel sah auf und schenkte mir einen Märtyrer-Blick. „Ich habe mindestens so viel Anteil an dieser Affäre, wie meine Frau. Vielleicht verstehen sie ja, Herr Hammer, dass ein Imperium, wie ich es mir erschaffen habe, Opfer fordert. Ich war zu sehr damit beschäftigt, meinen Besitz zu vermehren und habe darüber das aus den Augen verloren, was wirklich wichtig ist...“

„Bevor ich ihnen noch das Parkett vollheule, würde ich lieber mehr über diesen Ralf-Jeremy erfahren.“

Serafina trocknete sich die Augen.

„Da gibt es nicht viel mehr zu sagen. Wir haben uns getroffen und von da an ging alles ziemlich schnell. Wir waren uns einig, über das, was es sein sollte – eine Affäre. Ohne Verpflichtungen und vor allem ohne Fragen. Ich wusste nichts über ihn, das müssen sie mir glauben, Herr Hammer. Was hätte es auch für einen Unterschied gemacht? Für das, was wir taten, war es egal. Es ging nicht um Gefühle dabei. Es ging um... Aufmerksamkeit. Und sie dürfen mir auch glauben, dass ich mich mehr als einmal schuldig und schäbig gefühlt habe, nachdem... nach unseren Treffen.“

Die beiden waren so sehr damit beschäftigt, gut auszusehen, dass sie mir keine große Hilfe waren.

Doch ein paar Fragen hatte ich noch.

„Was genau ist gestern passiert?“

Serafina sah mich an und schien tatsächlich zu überlegen. Kein Wunder - wenn sie unter Schock stand, konnte es gut sein, dass die Bilder nicht mehr klar waren.

„Alles ist verschwommen. Ich weiß noch, dass ich hoch kam. Ich ging ins Zimmer. Ralf-Jeremy war schon da. Ich sah ihn auf dem Boden liegen. Ich konnte mich nicht bewegen. Ich dachte, ich würde träumen. Ich glaube, ich hörte Schritte auf der Feuerleiter. Aber das können auch ihre gewesen sein, als sie rausgelaufen sind. Ich weiß es einfach nicht, ich bringe die Zeit durcheinander.“

Ich bemühte mich um ein verständnisvolles Lächeln, als ich sah, wie sie zitterte.

„Ist schon gut. Das war sicher alles... schwer für sie.“

Serafina Wümpel blickte zwischen ihrem Mann und mir hin und her.

„Ich will nicht, dass sie mich für herzlos halten, Herr Hammer, aber ich habe Ralf-Jeremy nicht geliebt. Im Gegenteil – ich glaube, die meiste Zeit habe ich ihn sogar verachtet.“

„Und doch haben sie mit ihm geschlafen...“

Sie hob die Schultern und sah zu Boden. „Das hat es mir leichter gemacht, mich selber auch zu verachten – für das, was ich getan habe.“

„Ich verstehe.“

Wümpel räusperte sich. Wahrscheinlich war er es nicht gewohnt, so lange die Klappe zu halten, wenn mehr als zwei Personen im Raum waren.

„Was gedenken sie jetzt zu tun, Herr Hammer?“

Ich hob die Schultern, denn ich hatte tatsächlich keine Ahnung.

„Ich schätze, ich versuche mal, mehr über unseren toten Dealer rauszufinden. Dürfte nicht schwer sein, noch jemanden zu finden, der ein Motiv hatte. Spannender wird es schon, herauszufinden, wer alles von der Affäre ihrer Frau wusste.“

Wümpel wurde ein bisschen blasser. „Sie meinen, das hat was damit zu tun?“

„Wer immer dem Typen das Licht ausgeblasen hat, hätte es auch an einem weniger auffälligen Ort machen können. Der Kerl war lichtscheu. Es wäre kein Problem gewesen, ihn im Kurpark zu killen und unter irgendeinem Rhododendron zu verscharren. Aber der Killer wählte genau den Ort, an dem sich ihre Frau mit ihm zum Schäferstündchen traf. Zufall? Sieht nicht danach aus, würde ich sagen...“

Wümpel schluckte trocken. „Tun sie, was immer sie tun müssen, Hammer. Sie haben völlig freie Hand. Auch finanziell. Und sollte ihnen bei ihren Ermittlungen irgendwer Steine in den Weg legen, geben sie mir Bescheid – ich werde jede Hürde aus dem Weg räumen.“

Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. „Na, dann dürfte ja nichts mehr schiefgehen.“

Mühsam zog ich mich aus dem Sessel hoch und griff nach meinem Hut. „Sie hören von mir, wenn ich was habe.“

„Ich muss wohl nicht betonen, dass die Sache eilt, Hammer. Meine Frau ist zwar auf freiem Fuß, aber das auch nur gegen eine horrende Kaution. Und die Anklage wird kommen – ich schätze, schon sehr bald. Ich will Serafina die Schmach eines Prozesses ersparen.“

„Ich tue, was ich kann“, knirschte ich und wollte schon zur Tür gehen, als mir noch was einfiel. Ich zog den Zettel mit der Handy-Nummer aus der Tasche.

„Wissen sie, was das ist, Frau Wümpel?“

Sie sah auf die Zahlen und hob die Schultern. „Keine Ahnung. Eine Telefonnummer?“

„Sie lag unter dem Bett in ihrer Hotel-Suite.“

Wümpel warf ebenfalls einen Blick darauf. „Ist überhaupt sicher, dass sie von meiner Frau oder diesem Dealer dort verloren wurde?“

Ich seufzte. „Leider nein. Aber im Moment habe ich nicht viel mehr in der Hand.“

„Haben sie denn schon mal angerufen?“

Ich nickte. „Natürlich. Das Telefon ist ausgeschaltet.“

„Es ist auf jeden Fall nicht die Nummer von Ralf-Jeremy“, rief Serafina Wümpel noch schnell. Vermutlich weil ich ihr leid tat.

Ich machte mich also zurück auf den Weg nach Uelzen.

Eine Reise ins Ungewisse, denn ich hatte keine Ahnung, was mein Ziel war.

 

*

 

„Ist heute etwa schon Scheiß-Weihnachten oder was verschafft mir dieses zweifelhafte Vergnügen ihres ungebetenen Besuchs?“

Ich grinste Walter Wolter an. Natürlich hatte er nicht damit gerechnet, dass ich auf dem Revier aufkreuzen würde – ich übrigens auch nicht. Aber weil die Auswahl von Typen, denen ich in dieser Sache auf die Nerven gehen konnte, recht klein war, hatte ich mich zu einem spontanen Abstecher bei den Bullen hinreißen lassen. Vielleicht hatte Wolter was gefunden, mit dem er nichts anfangen konnte – oder wollte – aber das mir ein paar Antworten lieferte.

„Wümpel“, sagte ich nur.

Wolter lachte bellend, was wieder mal in einem Hustenanfall endete. Schnell zündete er sich eine seiner billigen Zigarren an und lehnte sich auf seinem Schreibtischstuhl zurück. Er musterte mich aus zusammengekniffenen Schweinsaugen. Das war sein sogenannter „Bullen-Blick“, mit dem er seinem Gegenüber klar machen wollte, dass er ihn durchschaute.

Aber ich wusste es besser.

„Wümpel – da haben sie ja einen dicken Fisch an Land gezogen, Hammer. Aber wenn sie nach Erfolg bezahlt werden, sehe ich schwarz für sie. Den Hals der hübschen Lady kriegen sie nicht mehr aus der Schlinge, das verspreche ich ihnen. Die ist so schuldig wie ein Bürgermeister.“

„Ach ja? So wie ich das sehe, haben sie nicht mal eine Mordwaffe.“

Schulterzucken. „Und wenn schon. Sie war bei dem Toten und sie hatte ein Motiv. Besser geht’s doch gar nicht.“

„Aber sie war sicher nicht die Einzige, die ein Motiv hatte. Was wissen sie über diesen Ralf-Jeremy Hagemann?“

Wolter wiegte den Kopf. Es schien ihm nichts auszumachen, mit mir über die Geschichte zu reden. Er war sich seiner Sache sicher.

„Kleines Licht in der Bevenser Unterwelt. Hat sich hauptsächlich an Senioren rangemacht. So eine Art Geronten-Gigolo. War ein guter Bekannter von uns, hat es aber nie geschafft, in der Oberliga zu spielen.“

„Wusste gar nicht, dass Bevensen so eine umtriebige Gangster-Szene hat.“

„Sie würden sich wundern, Hammer. Allein das Geld, das in der angeblichen Gastro-Szene gewaschen wird, würde ausreichen, um die Kurgesellschaft mindestens zwei Jahre ohne Zuschüsse auskommen zu lassen.“

Ich hob anerkennend die Augenbrauen. Ich kannte die Summe, die dort verbrannt wurde – das war in der Tat eine Hausnummer.

„Vielleicht sollte ich eine Zweigstelle aufmachen.“

„Unterstehen sie sich, Hammer! Reicht schon, dass sie mir in einer Stadt das Leben zur Hölle machen. Außerdem legen sie sich zu oft mit zu wichtigen Leuten an. Das kann ich in Bevensen gar nicht gebrauchen.“

„Sie meinen die sauberen Ärzte und Touristiker? Wäre doch mal interessant, einen Blick hinter deren Kulissen zu werfen.“

„Kein Wort mehr, oder sie fliegen, Hammer. Machen wir's lieber kurz: Wollen sie sonst noch was?“

„Hatte Ralf-Jeremy einen Dunstkreis? Jemanden, den ich anzapfen könnte?“

Wolter seufzte. „Die sind doch alle irgendwie vernetzt. Und keine Krähe hackt der anderen ein Auge aus, so lange es nicht um ihren eigenen Kopf geht. Sobald sie den aus der Schlinge ziehen müssen, trällern sie die schrägsten Lieder. Da ist keiner eine verlässliche Quelle.“

Ich seufzte. „Dann werde ich mich wohl mal auf ihren ornithologischen Sachverstand verlassen müssen.“

„Hey, keine Beleidigungen, verstanden?“

„Vergessen sie's. Und am besten auch die Wümpels. Meine Schnüfflernase sagt mir, dass sie den falschen Baum anbellen, Wolter. Ersparen sie sich lieber die Blamage und warten sie noch ein bisschen – in der Zeit erledige ich ihre Arbeit und komme mit einem Kranz aus Lorbeeren vorbei, den sie sich aufsetzen können. Die übliche Arbeitsteilung.“

Wolter rieb sich das Kinn.

Ich wusste, dass ihm die Chance gefiel, mich auf die Schnauze fallen zu sehen. Andererseits hatte er auch schon oft von unseren kleinen Arrangements profitiert.

„Ich gebe ihnen drei Tage Zeit – bis Montag also.“

„Pah, einen Scheiß tun sie! Sie würden eh nichts übers Wochenende machen.“

Wolter hob die Schultern. „Gut für sie, oder? Entlasten sie Serafina Wümpel bis dahin, oder wir erheben Anklage und sie verschwindet für immer in Breidenbeck.“

„Sie sind echt ein Herzchen, Wolter. Wir sehen uns.“

Ich verschwand wieder aus dem Kommissariat und fuhr zurück ins Büro, um mich auf einen abendlichen Ausflug vorzubereiten. Hier in Uelzen würde ich nichts mehr erreichen. Ich musste zurück zum Tatort.

Ob es mir gefiel oder nicht – diesmal würde ich die Antworten wohl nur in Bevensen finden.

 

 

*

 

Als ich erneut vor dem Venushügel parkte, war es schon nach acht Uhr abends. Also brauchte ich nicht zu befürchten, dass mir irgendein unbescholtener Bürger über den Weg lief. Wer in dieser Stadt jetzt noch unterwegs war, der scheute das Licht des Tages. Und genau auf diese Galgenvögel hatte ich es abgesehen. Ich wollte mich auf dem leeren Baugrundstück hinter dem Gebäude noch mal umsehen, wo mich der Unbekannte überrascht hatte. Vielleicht fand ich doch eine Spur von ihm.

Ich ging hinter das Haus und suchte mit der Taschenlampe den Boden ab. Mehr als 24 Stunden waren vergangen, aber andererseits wurde dieses brachliegende Gelände auch nicht oft betreten. Ich sah noch ein paar Fußabdrücke im feuchten Boden. Sie verschwanden an einem Zaun an der Grundstücksgrenze zum Nachbar-Hotel. Wer immer der Kerl war, er konnte überall untergetaucht sein.

Brandes hatte gesagt, der Glasäugige wäre öfter in der Gegend unterwegs. Vielleicht half es ja, einfach durch Bad Bevensen zu fahren und die Augen offen zu halten.

Ich ärgerte mich über meine Fremdheit in dieser Stadt. Ich hatte keine Ahnung, wo ich den Hebel ansetzen konnte. Ich kannte mich nicht aus, hatte keine Kontakte und wusste nicht mal, wo die einschlägigen Gestalten der Schattenwelt herumlungerten. Ich stocherte im Nebel. Also kehrte ich zu meinem alten Ford zurück und war schon dabei, den Zündschlüssel herumzudrehen, als ich auf der Straße hinter mir eine Bewegung wahrnahm. Im Rückspiegel erkannte ich nur einen hochgestellten Mantelkragen und einen Hut, der tief ins Gesicht gezogen war. Doch als die Gestalt im milchigen Kegel einer Laterne stehen blieb, um sich eine Zigarette anzuzünden, sah ich mehr: Ein zerfurchtes Gesicht und... ein funkelndes Glasauge!

Das war ein Geschenk des Himmels. Und das konnte ich unmöglich ausschlagen.

Ich duckte mich tief in meinen Sitz und wartete, bis der Typ weiterging. Er schien es nicht eilig zu haben, während er die Amtsheide weiter hochschlenderte.

Ich wartete noch, bis er auf Am Klaubusch abgebogen war, dann stieg ich aus und folgte ihm. Er lief an dem Hungerhaken-Heim vorbei und blieb schließlich vor dem Gitterzaun stehen, der das Gelände der alten Diabetes-Klink umgab. Der Typ war zu sehr in seine Zigarette und das nachtschwarze Dunkel vor sich vertieft, als dass er mich bemerkt hätte.

Ich schlich mich so lautlos wie möglich an ihn heran. Und diesmal war ich derjenige, der ihm den Waffenlauf in den Nacken drückte. Er zuckte zusammen, schrie aber nicht.

„Beschissenes Gefühl, oder? Ich wollte unser Gespräch von gestern Nachmittag fortsetzen. Aber diesmal stelle ICH die Fragen.“

Er lachte heiser.

„Nur zu, Schnüffler. Ich helfe gerne.“

„Vor allem bei Schlafstörungen, habe ich recht?“

Ich ließ es zu, dass er sich langsam umdrehte. Ein schiefes Grinsen lag auf seinen Lippen.

„Sorry für den Schlag. Aber ich wusste nicht, wer sie sind und für wen sie arbeiten.“

„Und warum sollte das eine Rolle spielen?“

„Ich dachte, sie wären wegen Ralf-Jeremy im Hotel. Aber es ging ihnen nur um die Frau.“

„Wie den meisten Kerlen. Aber bevor wir es uns gemütlich machen, will ich wissen, mit wem ich es zu tun habe.“

Sein Grinsen wurde noch breiter. „Keine Namen – Hammer...“

„Scheiße – hätte ich mir ja denken können. Na schön: Woher kommst du?“

„Aus... Luttmissen.“

„Könnte schlimmer sein – wenn auch nicht viel... Also, Luttmissener: Was weißt du über den Toten und über Serafina Wümpel?“

Der Typ spuckte zur Seite aus und schnippte die Kippe weg. „Ralf-Jeremy war ein kleiner Ganove. Hat ein bisschen gedealt und war Chef von einem zwielichtigen Senioren-Begleit-Service. Er war eine Art männliche Rollator-Hostess und hat den Omis dabei die Scheinchen aus der Tasche gezogen. Nebenbei hat er seinen Stoff vertickt. Nichts Großes, ein bisschen Gras und Schmerzmittel. Für die richtigen Sachen hatte er nicht die Eier.“

„Und was hattet ihr beide miteinander zu schaffen?“

Der Luttmissener hob die Schultern.

„Nicht viel. Ich kenne Leute, die Leute kennen, die wissen, wer was wann braucht – wenn du verstehst.“

„Und wenn nicht?“

„Auch egal. Ralf-Jeremy war wie gesagt ein kleines Licht. Hin und wieder habe ich ihm mal ein paar Kunden verschafft und dafür eine kleine Provision kassiert. Ich habe nicht gerne mit ihm zusammengearbeitet. Er hat immer versucht zu bescheißen. Keine Ehre im Leib, der Scheißer. Aber ich konnte ihn durchschauen. Darum wusste ich, woran ich war. Er fing an, große Töne zu spucken, dass er einen neuen, sauguten Stoff am Start hätte. Ein limitiertes, regionales Produkt mit hohem Effekt und ohne Nebenwirkungen. Dafür suchte er einen Vertrieb. Er wollte mir eine Probe geben, damit ich gucken kann, ob ich Abnehmer finde. Deswegen wollten wir uns treffen. Er meinte, er hätte eh im Hotel zu tun. Ich habe zur Straße hin gewartet. Dann hörte ich laute Stimmen hinter dem Haus. Als ich hinkam, war schon alles gelaufen. Ich sah dich, wie du die Treppe runter gestürmt kamst und dachte, du hättest mir bei dem Deal dazwischengefunkt. Also habe ich dich ausgeschaltet. Dass Ralf-Jeremy über die Ilmenau gegangen ist, habe ich erst von dir erfahren. Aber ich hatte so einen Verdacht. Typen wie er tanzen immer ohne Netz auf dem Drahtseil.“

Was der Luttmissener sagte, klang zumindest plausibel. Ich nahm die Waffe runter und beschloss, ihm den Schlag nicht länger nachzutragen. „Die Bullen verdächtigen die Frau, die bei ihm war. Kennst du sie?“

Kopfschütteln. „Ralf-Jeremy meinte nur, er würde eine reiche Schnecke pimpern. Jetzt weiß ich, dass es die Alte von dem Stützstrumpf-Häuptling war. Glaube nicht, dass die ihm das Licht ausgeblasen hat.“

„Hast du eine Theorie?“

„Zur Erderwärmung?“

„Zum Mord.“

„Keine und viele. Aber wieso interessiert dich der Scheiß überhaupt?“

„Ich werde bezahlt, um den richtigen Mörder zu finden. Wenn du mir hilfst, springt was dabei raus.“

„Hab noch nie mit einem Schnüffler zusammengearbeitet.“

„Ich brauche Augen und Ohren in der lokalen Unterwelt.“

Er überlegte kurz. „Es gibt in der Nähe vom Fliegenberg eine ziemlich zwielichtige Absteige. Der Lodernde Lotus - ein Stundenhotel mit Animiermädchen und Barbetrieb. Da hängt alles rum, was einen zweifelhaften Ruf hat. Soweit ich weiß, hatte Ralf-Jeremy da ein Zimmer. Kein Ort, den ich freiwillig aufsuchen würde – es sei denn, ich wäre Amtsarzt.“

„Dann packe ich besser mal die Gummihandschuhe ein.“

„Nimm lieber alles mit, was aus Gummi ist.“

„Was hast du eigentlich hier zu suchen gehabt?“

Er zuckte die Schultern. „Ralf-Jeremy war in letzter Zeit oft hier. Ich dachte, wenn ich mich umsehe, finde ich vielleicht eine Spur von seinem Killer – oder von dem Superstoff, von dem er gesprochen hat.“

„Wer die Gefahr sucht, kommt darin um...“

Der Luttmissener lachte. „Gefahr ist nicht die häufigste Todesursache in Bad Bevensen.“

„Denkst du, er wurde wegen des Stoffes ermordet?“

Der Luttmissener wiegte den Kopf. „Wenn das Zeug tatsächlich so gut und so neu ist, wie Ralf-Jeremy behauptet hat, dann hätte er damit einer Menge Leute in die Suppe gespuckt. Und er war nicht gerade gut darin, das Maul zu halten, wenn du verstehst.“

Ich sah mich um. „Aber was kann Ralf-Jeremy hier gewollt haben? Hinter dem Zaun liegt nur eine Ruine.“ Ich deutete mit dem Kopf in die andere Richtung. Oder meinst du, er hatte Kontakte zur Klinik?“

„Das hier ist Bevensen. Hier ist alles möglich. Ralf-Jeremy trieb sich hier herum. Und dann verschwand er meistens einfach...“

„So wie die Kaufinteressenten für dieses verfluchte Grundstück.“

„Du sagst es. Ich dachte, ich würde was finden, aber hier herrscht finstere Nacht.“

Eine Weile standen wir beide schweigend vor dem Zaun und rauchten. Dann reichte ich dem Luttmissener den Zettel mit der Handynummer. „Hier, damit du dich nicht langweilst. Vielleicht kannst du rauskriegen, wem die Nummer gehört. Unser seliger Dealer scheint sie verloren zu haben.“

„Alles klar. Ich sehe zu, was ich machen kann.“

„Wie kann ich dich erreichen?“

„Ich werden DICH erreichen, Hammer. Und wenn wir uns treffen, dann an einem geheimen Ort.“

„Was schlägst du vor?“

Er sah sich kurz um, als wolle er sicher gehen, dass uns niemand belauscht.

„Die Sonnenfalle im Kurpark.“

„Alles klar. Sehr geheim. Wir sehen uns.“

Ich ließ den Luttmissener stehen und schlenderte zurück zu meinem Wagen. Die Kälte und die Feuchtigkeit krochen durch den alten Trench und legten sich wie ein dünner Film auf meine Haut. Es war Zeit, dass ich ins Trockene kam.

 

Kapitel 3

 

Solange die Leiche von Ralf-Jeremy noch nicht kalt war, bestand vielleicht auch die Chance einer heißen Spur. Und mit dem Luttmissener hatte ich endlich einen Fuß in der Tür zur Halbwelt. Ich verlor also keine Zeit und lenkte den alten Ford zum verwaisten Gewerbegebiet Fliegenberg.

Der Lodernde Lotus war nicht schwer zu finden, da es das einzige, beleuchtete Gebäude war.

Ein hässlicher, dreistöckiger, schmaler Betonklotz mit flackernder Neonbeleuchtung und kleinen Fenstern. Der Parkplatz war fast leer, abgesehen von ein paar Benzinschleudern aus den 80ern, die damals schon als Ludenkarre verschrien waren. Ich zündete mir eine Selbstgedrehte an und betrat den Kneipenraum durch die verbeulte Stahltür mit dem Bullauge in der Mitte.

Ich ließ meinen Blick durch den quadratischen Raum gleiten. Gegenüber war ein Holztresen mit Stützbalken, daneben führte eine schmale Treppe in einer Öffnung in der Wand nach oben. Es gab einen abgewetzten Billardtisch, einen Kicker und eine Dartsscheibe. Dazu die üblichen Glücksspiel-Karten-Automaten an den Wänden.

Es roch nach abgestandener Luft, Schweiß, kaltem Rauch und etwas undefinierbar Süßlichem. Die drei Gäste, die in den Nischen hockten, sahen nur kurz auf, als ich reinkam und widmeten sich dann wieder der Leere vor ihren Augen.

Hinter dem Tresen stand ein kaugummikauendes Möchtegern-Luder mit rosa gefärbten Haaren und Nasenring in einem engen schwarzen Tanktop. Sie polierte Gläser und musterte mich, als ich auf einen Barhocker rutschte.

„Na, Cowboy? Suchst du ein Pferdchen zum Reiten?“

„Wollte eigentlich nur mal das Lasso schwingen und gucken, was ich so einfange...“

Sie starrte mich mit leerem Blick an. „Verstehe ich nicht...“

„Macht nichts. Wie kann sich so ein Laden in einer Stadt wie Bevensen überhaupt halten?“

Sie grinste mich breit

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 22.07.2023
ISBN: 978-3-7554-4745-0

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