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Prolog

Lauf! Lauf einfach weiter! Du musst weiterlaufen! Du darfst nicht stehenbleiben. Wenn du stoppst, stirbst du. Sie werden dich töten. Lauf einfach weiter Eve .

Stundenlang lief ich nun schon. Mein Hals fühlte sich an wie Schleifpapier, da ich Durst hatte und durch die Wüste zu laufen, war vermutlich nicht die klügste Idee. Doch wenn sie mich erwischen, würden sie mich töten. Ich konnte nicht mehr zurück.

Aber alles auf Anfang:

Mein Name ist Evie und ich bin 25 Jahre alt. Vor rund 150 Jahren kam es zum 4.Weltkrieg. Niemand hatte es kommen sehen. Es war ein riesiges Chaos. Großstädte wurden zerstört, Meere wurden zugemüllt und Menschen wurden auf offener Straße geschlachtet. Niemand konnte diese Zerstörung noch mit ansehen. Daher hatten ein paar schlaue Menschen die Idee, etwas zu verändern. Zuerst dachte jeder diese Veränderung sei etwas Positives, doch sie irrten sich gewaltig.

Diese "Veränderung" beinhaltete die Vernichtung der gesamten Menschheit. Nun können wir es uns nicht leisten, im Bunker oder in speziellen Einrichtungen zu leben.
Mein Vater ist Wissenschaftler. Er ist der klügste Mann den ich kenne. Er ist die Hälfte der Menschheit, die neu zu entwickeln und eine Waffe zu entwickeln, um die Bevölkerung zu minimieren. Es war keine Atombombe oder irgendeine andere nukleare Art der Vernichtung. Es war eine Armee. Geschaffen aus menschlicher DNA und biochemischen Substanzen. Ich habe nie verstanden was genau sie sind. Sie haben die Gestalt eines Menschen, aber sie sind nur Schatten ihrer Selbst. Man kann sie nicht halten, da sie sich in Nebel verwandeln konnten. Daher kam auch ihr Name: die Nebler. Sie waren stark und hatten telekinetische Fähigkeiten, da ihr Gehirn viel schneller arbeitet, als das eines Menschen.
Mein Vater liebt es zu experimentieren. Also nahm er eine Eizelle eines weiblichen Neblers und befruchtete sie mit einer Samenspende. Aus diesem Experiment entstand ich. Ich bin ein Hybrid. Eine Mischung aus Mensch und Nebler.

Als ich geboren wurde, waren 80% der Weltbevölkerung bereits vernichtet. Nur einzelne Menschen haben die Kriege außerhalb der Schutzmauer überlebt. Ich wohnte hinter dieser Schutzmauer. Ein Institut, das für jeden ein Zuhause Nord. Das dachte ich zumindest.

1. Kapitel

Endlich erreichte ich das große Gebäude mitten in der Stadt. Vermutlich war es früher ein Einkaufszentrum. Ich stolperte fast durch die Tür und genoss die kühle Luft, die durch die Gänge wehte. Ich suchte alles ab und fand schließlich die Tür, mit der Aufschrift Toilette. Langsam öffnete ich die Tür einen Spalt und spähte hinein. Ich sprintete zum Waschbecken und betete, dass sie das Wasser noch nicht abgedreht hatten. Der Hahn ließ sich nur schwer bewegen und dann ertönte das enttäuschte Gurgeln einer leeren Wasserleitung. Ich brach neben dem Becken zusammen und versuchte zu schreien, doch aus meiner Kehle kam nur ein jämmerliches Krächzen. Ich rollte mich zusammen und wartete darauf, dass alles vorbei war. Laute Stimmen ließen mich aufhorchen. „Mann, musst du so schnell gehen? Du hast viel längere Beine als ich.“ Es war ein Echo zu hören, also waren sie in der großen Halle in der Mitte. Auch wenn ich wusste, dass es noch ein paar Menschen in der trockenen Welt gab, hatte ich sie nicht so nahe am Institut vermutet. Sollte ich mich bemerkbar machen, oder einfach stillsitzen und warten bis sie vorbei waren? Allerdings hatten sie vielleicht etwas Wasser. Langsam rappelte ich mich auf und öffnete die Tür. Die Lichter ihrer Taschenlampen schwankten an der Mauer. Sie kamen in meine Richtung, doch aus ihrem Blickwinkel konnten sie mich nicht sehen. Sie hielten an und ließen ihre Rucksäcke mit einem lauten Rums auf den Boden fallen. Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf als einer der Männer das Licht darauf richtete. 5 Flaschen mit klarer Flüssigkeit fielen aus der Tasche.

Sie gingen an mir vorbei, ohne mich zu bemerken, also schlich ich mich langsam zu dem Rucksack und hoffte sie waren zu beschäftigt, die restlichen Geschäfte abzusuchen. Wie hypnotisiert steuerte ich zu dem kühlen Nass, dass ich gar nicht bemerkte, dass es hinter mir plötzlich ganz still wurde. Ich stürzte mich auf das Gepäck und drehte mich mit der Flasche im selben Moment um, als ich das Klicken einer Waffe hörte. „Trink“ Die Stimme kam von dem Älteren. Er hatte blonde kurze Haare und strahlend blaue Augen. Er war es auch, der die Waffe auf mich richtete. Hinter ihm stand ein ebenfalls großer Mann. Auch er hatte blaue Augen, doch mit schwarzem Locken auf dem Kopf. „Trink“ Der Waffenträger wirkte keineswegs bedrohlich, sondern eher neugierig. Ich blickte von ihm auf die Flasche und wieder zurück. Er nickte zu der Flasche. „Los. Du bist bestimmt durstig oder?“ Ganz langsam nickte ich. Er lächelte mich an, was angesichts der Waffe ziemlich merkwürdig aussah. „Dann, trink“ Ich riss meine Augen auf. Ist es etwa vergiftet? „Es ist ganz normales, sauberes Wasser“ Ich hob das Wasser zu meinem Mund und als ich die Flüssigkeit an den Lippen spürte, konnte ich mich nicht mehr stoppen. Mit einem Satz leerte ich die ganze Flasche. Ich stoppte nicht einmal um Luft zu holen, weshalb ich mich fast verschluckte. Die zwei Männer warteten. Ich ließ die Hand sinken und machte mich bereit loszulaufen. „Bleib bitte stehen.“ Der Ältere wirkte ehrlich und besorgt. „Es wäre wirklich schade, eine Kugel an dich zu verschwenden.“ Ich lachte in mich hinein und stürzte auf sie zu. Ein Schuss ging los und traf mich mitten in der Brust.

Als ich aufblickte, sah ich, dass nicht der Mann vor mir geschossen hatte, sondern der Jüngere hinter ihm. Ihre verdutzten Blicke, dass mir die Kugel nichts getan hatte, kamen mir recht gelegen. Ich stürzte mich auf den großen Mann vor mir und schlug ihm mitten ins Gesicht. „Noah!“ Er versuchte mich wegzuzerren, doch ich ließ nicht locker. „Lass ihn los, du Monster“ Das brachte das Fass zum überlaufen. Schließlich sprang ich dem Jüngeren an die Kehle und stieß ihn zu Boden. Der andere riss sich mittlerweile zusammen und zog etwas aus seinem Gürtel. Ich sah es nur mit dem Augenwinkel, da ich mich nur auf die Kehle meines Gegners konzentrierte. Ich hörte einen Luftzug und spürte etwas Hartes auf meinem Hinterkopf. Dann wurde alles schwarz.

 

„Wie bescheuert bist du eigentlich?“
„Ich weiß nicht, was du meinst. Sie ist doch nur ein unschuldiges Mädchen“
„Ein unschuldiges Mädchen, dass dir ein blaues Auge verpasst hat und Ethan fast erwürgt hätte?“
 „Sie hat sich nur gewehrt. Was hättest du gemacht, wenn jemand mit einer Waffe auf dich zielt.“
„Nun ja. Ich wäre zum Beispiel nicht direkt darauf zugerannt. Wie zum Teufel, konnte sie das eigentlich überleben?“
„Was denkst du, warum ich sie mitgenommen habe? Ich will Antworten und die bekommt man nur wenn fragt. Da sie leider bewusstlos ist, musste ich sie mitnehmen. Ganz einfach. Und jetzt hör auf so mit mir zu reden, hast du verstanden? Geh zu David und mach dich nützlich.“
„Du Großkotz hast mir nichts zu befehlen.“

Ich hörte Schritte, die immer leiser wurden. Wo war ich? Wieso konnte ich meine Arme und Beine nicht bewegen? Wieso ist es so dunkel hier und irgendetwas klebt auf meinem Mund.
„Na sie mal einer an, wer da wach ist.“ Ich kenne diese Stimme. Sie gehörte zu dem Älteren Typen, der mich mit einer Waffe bedroht hatte. Ich wollte mich befreien, doch die Ketten waren einfach zu stark. „Ja, das tut mir leid, doch ich dachte normale Seile würden bei dir nicht reichen.“ Ich hörte ihn näherkommen und instinktiv wich ich etwas weiter zurück, nur um zu merken, dass ich direkt an eine Mauer lehne. „Ich werde dir jetzt das Klebeband vom Mund ziehen. Es würde nichts bringen, wenn du schreist. Wir sind soweit unter der Erde, dich würde niemand hören. Nicke, wenn du mich verstanden hast.“ Ich wusste es würde nichts bringen, mich zu wehren, also bewegte ich den Kopf langsam auf und ab. „Oh gut.“ Dann riss er an dem Klebeband und es war als würde er mir meine Lippen gleich mit abtrennen. „AU!“ Meine Stimme klang etwas besser, da ich vorhin Wasser von ihnen bekam. „Tut mir leid. Ich wusste nicht, dass dieses Ding so gut kleben würde.“ Er klang wirklich so, als ob es ihm leidtun würde. Nur da ich sein Gesicht nicht sehen konnte, konnte ich mir nicht sicher sein. Ich war immer schon gut im Leute durchschauen, doch dafür musste ich sie sehen können. „Also, wie ist dein Name?“ Ich wollte nicht antworten, doch vielleicht würde ich dann hier wieder rauskommen. „Evie. Evie Golding“ Er lachte kurz. „Gut, also Evie. Mein Name ist Noah. Woher kommst du?“ Nie und nimmer würde ich das verraten. „Du kannst mich mal. Wieso sollte ich dir irgendetwas sagen? Ich bin hier gefesselt und kann nichts sehen. Und dein Freund hat verdammt nochmal auf mich geschossen.“ Wieder dieses Lachen. Langsam wurde ich wütend. „Ja genau, was das angeht. Wie hast du das geschafft? Ethan hat direkt auf dich geschossen. Ich habe es genau gesehen und doch hast du nur kurz gezuckt und bist weitergelaufen.“ Nun war es an mir zu lächeln. Ich würde nicht weiterreden, bis ich nicht auch ein paar Antworten bekam. „Nun gut. Du heißt Evie. Immerhin schon einmal ein Anfang. Hast du Hunger?“ Er bietet mir etwas zu Essen an? Was ist das für ein Typ? Allerdings hatte ich wirklich großen Hunger also nickte ich wieder und hörte wie er sich erhob.

 

Ein paar Minuten später hörte ich wieder ein paar Schritte die sich mir näherten. Sie waren nicht so laut wie Noah, also war es jemand anderes. „Wer ist da?“ Ich versuchte etwas zu hören, doch alles was ich vernahm, waren ein Paar Stiefel die am Boden rutschten. Ich rückte noch näher an die Wand, vielleicht war es dieser andere Typ, mit dem Noah geredet hatte. Er hielt offenbar nicht viel davon, dass ich hier war. Vielleicht wollte er mir wehtun. Ich machte mich bereit, mich zu wehren, sollte er mich angreifen. „Ganz ruhig.“ Ok, die Stimme kannte ich noch nicht. Doch das hieß nicht, dass mir der Besitzer dieser Stimme, nicht etwas antun will. „Ich bin David. Noah meinte, du hättest Hunger. Ich werde dir jetzt die Augenbinde abnehmen, damit du wenigstens siehst was du isst, Ok?“ Er wartete offenbar meine Antwort ab, also nickte ich wieder und spürte plötzlich große Hände an meinem Hinterkopf. Sofort sah ich mich in dem Raum um entdeckte ein paar Rohre und neben mir war ein großer Heizkessel. Wo zum Teufel war ich? Auf meiner anderen Seite lag eine dünne Matratze mit einer Decke. Haben sie mir ein Nachtlager eingerichtet? Als ich meinen Blick wieder nach vorne richtete, sah ich direkt in braune Augen. Sie waren groß und blickten mich an, mit einer Mischung aus Misstrauen und Nervosität. „Hi.“ Das war das einzige, dass aus seinem Mund zu kommen schien. Ich sah auf seine Hände und entdeckte eine dampfende Flüssigkeit. Vielleicht war es Suppe. „Es ist eine einfache Gemüsesuppe. Was Anderes konnte ich in der kurzen Zeit nicht zubereiten.“ Ich versuchte zu lächeln, da es sehr nett von ihm war, extra etwas für mich zu kochen. Doch es kam nicht über meine Lippen, also sagte ich stattdessen. „Danke“ Ich sah wie seine Lippen zuckten, doch es kam ebenfalls kein Lächeln zustande. Er fütterte mich mit einem halb verbogenen Löffel, doch die Suppe schmeckte sehr gut, also genoss ich einfach die heiße Flüssigkeit, die meine Kehle hinunter rann. „Das letzte Mal, als ich gefüttert wurde, war ich zwei Jahre alt.“ Wieder zuckten seine Lippen. „Leider darf ich dir die Fesseln nicht abnehmen, denn wir haben ja gesehen, was du sonst machst.“ Mein Blick fiel hinter ihn, wo ich dachte Noah irgendwo sitzen zusehen, und sein blaues Auge zu verarzten, doch ich sah nichts als Dunkelheit. Wie groß war dieses Versteck? „Ich hatte Angst. Er hat mit einer Waffe auf mich gezielt.“ Der Löffel stoppte mitten in der Luft. „Und du konntest nichts Anderes tun, als direkt darauf zu zulaufen?“ Seine Augen blickten mich direkt an. Er war offenbar interessiert an meiner Antwort. „Ich bin mein Leben lang darauf trainiert worden, niemals von einem Kampf davon zu rennen. Ich wusste die Kugel würde mir nichts anhaben, also bin ich losgerannt ohne nachzudenken.“ Der Blick den er mir zuwarf, verriet mir, dass ich mich gerade selbst verraten hatte. „Du wusstest, dass die Kugel dich nicht töten würde? Woher? Wie konntest du nach diesem Schuss einfach weiterlaufen?“ Ich hatte schon zu viel verraten, jetzt konnte ich auch den Rest erzählen. Vielleicht würden sie mir ja nicht glauben, oder schlimmer noch: Sie glauben mir und würden mich töten, für dass was ich bin. „Die Kugel tat mir nichts, weil ich kein Mensch bin. Mein Vater war ein Mensch und meine Mutter ein Nebler.“ Der Löffel fiel ihm aus der Hand. Mein Schicksal war besiegelt. Von diesem Augenblick an, wird nichts mehr sein, wie es war. Diese Männer waren die ersten Menschen, die ich außerhalb des Instituts jemals gesehen habe und sie werden über meine Zukunft entscheiden. „Ich bin ein Hybrid.“

 

„Sie ist ein Was?“ Wieder konnte ich die Stimmen nur hören. Ich hatte David alles erzählt. Jedenfalls genug, dass sie mir vertrauen würden.
„Sie ist ein Hybrid. Eine Kreuzung zwischen Mensch und Nebler.“ Kreuzung? Bin ich etwa eine Zuchtstute? David versuchte sie zu beruhigen, doch als plötzlich alle wild herumschrien, wurde mir klar, dass er das nicht hinbekommen würde. „Haltet alle die Klappe.“ Ich hörte Noahs laute Stimme. Offenbar hatte er das Sagen, denn plötzlich war alles wieder still. „Was genau hat sie zu dir gesagt, David?“ Ich hörte ihn jetzt besser, wahrscheinlich blickte er in meine Richtung. „Sie sagte, ihr Vater sei der Doktor und ihre Mutter ein Nebler. Sie haben verschiedene Tests mit ihr durchgeführt, deshalb wusste sie auch, dass die Kugel sie nicht töten würden. Sie ist geflohen, weil sie es nicht mehr ausgehalten hatte.“ Er machte eine kurze Pause. „Tja, das war’s.“

„Das ist alles?“ Wieder diese unhöfliche Stimme. „Mehr hat sie nicht gesagt? Zum Beispiel wie sie aus der sichersten Anlage der Welt ausgebrochen ist, oder wie es möglich ist, dass sie aus Fleisch und Blut besteht, sie dennoch eine Kraft wie ein verdammter Bulldozer hat?“ David antwortete ganz gelassen. „Nein, das war alles. Immerhin etwas, wenn man bedenkt, dass wir sie entführt und eingesperrt haben.“ „Sie hat Noah angegriffen. Natürlich sperren wir sie ein.“ Der Schlagabtausch verstummte abrupt, als ich an die Metallstange hinter mir stieß und der Lärm vermutlich meilenweit zu hören war. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und da das Licht nur von draußen kam, sah ich nichts als eine schwarze Gestalt, die im Rahmen stand. „Adam, lass sie in Ruhe!“ Noahs kräftige Stimme hallte hinter der dunklen Gestalt wieder. „Warum? Sie weiß viel mehr als sie uns sagt.“ Der Typ der in der Tür stand, Adam, kam auf mich zu. Ich wusste nicht warum, jedoch hatte ich keine Angst vor ihm. Sein Gesichtsausdruck war zwar verzerrt und grimmig, doch er strahlte nichts Bösartiges aus. Eher als wüsste er nicht recht, wie er mit der Situation umgehen sollte. Als ich versuchte mich etwas aufrechter hinzusetzen, wich er zurück. Als ob ich ihm in meinem Zustand etwas antun könnte. Noah drängte sich an ihm vorbei und kniete sich zu mir. Trotz seines Lächelns wirkte er gefährlich auf mich. Nicht als ob er mich gleich angreifen würde, sondern wenn ich mich wehrte, würde er keine Sekunde zögern. „Ich weiß du traust uns nicht, nur leider können wir dir ebenso wenig vertrauen, wenn du uns nicht alles erzählst.“ Ich starrte ihn fassungslos an. Da ich etwas gegessen hatte und geschlafen habe, kam allmählich meine Stärke wieder und meine Wut schwappte über. „Euch nicht alles erzählen? Nachdem ich mich durch verdammt enge Lüftungsrohre gezwängt habe und ungefähr 8 Stunden durch die Wüste ohne Wasser gelaufen bin, treffe ich auf zwei große Männer, die nichts Besseres zu tun haben, als mir eine Waffe vor die Nase zu halten und wäre das nicht schlimm genug, bin ich wieder mal gefangen genommen und muss mich von Idioten begaffen lassen, die mir blöde Frage stellen.“ Ich redete mich so in Rage, dass ich gar nicht merkte, wie ich aufgestanden bin und Adam seine Hand an seiner Pistole hatte. Noah hingegen sah mich mit schiefem Kopf an und fing dann lauthals an zu lachen. „Falls du irgendwie den Eindruck hattest, wir würden dich begaffen, dann werde ich das natürlich sofort unterbinden.“ Ich wurde knallrot. Wieso konnte ich nicht einmal die Klappe halten? „Doch wie du siehst, haben wir wieder etwas mehr erfahren. Du bist also durch die Lüftungsrohre geflohen?“

 

Ich erzählte ihnen im Groben wie ich in meiner Zelle beim Mittagessen das Messer versteckt hatte, um damit die Lüftung über meinem Bett zu öffnen. Der Schacht führte durchs ganze Gebäude, bis über die Mauer hinaus, die das Institut umgibt. Als ich draußen war, fing ich einfach an zu laufen, weil ich wusste, ich würde so viele Kilometer wie möglich zwischen mich und New Eden Institut bringen. Die Details ließ ich aus, weil ich nicht wusste, wie sie reagieren würden, wenn ich ihnen sage, dass ich die Wachen vor den Mauern getötet habe. Ich habe es genauso genossen, wie sie, als sie mir verschiedene Stromstöße verpassten. Noah war offenbar zufrieden, denn als ich fertig war, kam er langsam auf mich zu und löste die Fesseln um meine Handgelenke. Ich war frei. Ich rieb mir die Hände um die Druckstellen etwas zu massieren. Noah half mir auf und führte mich aus dem Zimmer. Als ich durch die Tür trat, fiel mir sofort auf, dass ich nicht mehr in dem Einkaufszentrum war. Wir befanden uns in einem Keller. Von wegen wir wären soweit unter der Erde, dass mich niemand hören würde. Vermutlich waren wir in einem Wohnhaus, denn überall lag Plunder und in der Ecke führte eine Treppe nach oben.
Ich blickte jedem einzeln in die Augen in der Hoffnung jemand würde mir erklären, wo wir sind und warum sie mich mitgenommen haben. Doch in ihren Gesichtern erblickte ich nur eins: Misstrauen. Ob es wegen der Situation oder wegen mir war, konnte ich nicht sagen, doch ich wusste, dass dieses Misstrauen von mir ebenfalls ausging. Ich suchte die Augen des Mannes, der mir am nächsten stand. David konnte seine Nervosität nicht verstecken. Er versuchte es zu überspielen, indem er lächelte, doch seine Augen, die direkt in meine blickten, verrieten ihn. „Wo sind wir?“ Meine Stimme war nur ein Flüstern, dass die Stille durchbrach wie eine Explosion. „Das geht dich nichts an“ Aus Adam sprach der pure Hass, doch Noah stellte sich einfach vor ihn, als ob er nicht da wäre. „Wir sind außerhalb der Stadt. In einem Vorort in der Nähe von Los Angeles.“ Also waren wir nicht weit vom Institut entfernt. Hinter Adam standen noch 2 andere Männer. Ethan kannte ich schon, doch den anderen, der ihm zum Verwechseln ähnlich sah, hatte ich noch nicht kennen gelernt. Ethan kam gleich auf mich zu: „Es tut mir schrecklich leid, dass ich dich angeschossen habe. Ich bekam Panik, weil du auf Noah losgegangen bist.“ Ich spürte, dass er es ehrlich meinte und versuchte zu lächeln. „Schon ok. Ich lebe schließlich noch“ Er kam etwas näher „Ich werde ihr alles zeigen.“ Er wollte mich schon an die Hand nehmen, als Adam sich wieder einmischte. „Sie geht nirgendwohin. Wir zeigen ihr das Bad und dann kommt sie wieder in ihr Loch“ Es verletzte mich etwas, aber ich ließ es mir nicht anmerken, „Ich muss nicht ins Bad, danke“ Ich zeigte Adam meinen gleichgültigsten Blick, drehte mich um und ging wieder in mein ‚Loch‘. Bevor ich allerdings nur einen Schritt in meine Kammer setzen konnte, packte mich Adam am Arm und zog mich mit. „Ich habe keine Lust, dir mitten in der Nacht zu zeigen, wo du pinkeln kannst.“ Er schleifte mich zur Treppe, da ich aber fünfmal so stark war wie er, riss ich mich los und schubste ihn zu Boden, wodurch er direkt auf seinen Hintern landete. Noch nie hatte jemand mehr Hass in den Augen als Adam in diesem Moment. „Ganz ruhig, Großer“ David half ihm auf und ich konnte ein tiefes Knurren aus Adams Kehle hören. David flüsterte ihm etwas zu, woraufhin dieser sich umdrehte und wortlos, jedoch nicht geräuschlos die Treppe hoch marschierte. Dieses Argument hatte ich wohl gewonnen. Plötzlich schrie der andere ‚Ethan‘ auf: „Oh mein Gott. Das war der Hammer. Noch nie hat jemand Adam zu Boden gerungen.“ Er kam auf mich zu und streckte mir die Hand entgegen. „Ich bin übrigens Evan und egal was oder wer du bist, ich mag dich jetzt schon.“

Evan klopfte Ethan auf die Schulter. „Komm wir zeigen unserer neuen Königin ihr Zimmer.“ Ethan ging die Treppe hinauf und ich folgte ihm, unsicher was mich dort oben erwarten würde. Die Kellertür befand sich in einem breiten Gang, von dem sehr viele Türen abgingen. Am Ende des Ganges konnte ich eine Haustür erkennen, auf die wir zusteuerten. Doch wir gingen nicht nach draußen, sondern schlugen nach rechts ein, wo eine Treppe nach oben führte, die sich dann nach in 2 Treppen aufteilte. Auf beiden Seiten waren wieder Gänge mit eindeutig zu vielen Türen. Während ich mich mit offenem Mund umsah, erzählte Ethan von der Geschichte wie sie dieses Haus fanden und sich hier versteckten. 2 Jahre verkrochen sie sich in Höhlen und verlassenen Minen. Doch dann fand Adam dieses Anwesen und da jeder glaubte, dass hier niemand mehr leben würde, konnten sie hier unbemerkt ihr Lager aufschlagen. Sie fühlten sich wie im 7.Himmel. Endlich wieder in einem richtigen Bett zu schlafen und sogar der Wasserboiler funktionierte, sodass sie heißes, klares Wasser hatten. „Auf dieser Seite schlafen Noah und Adam“ Er zeigte auf den Gang links. „Und hier schlafe ich.“ Die 2. Tür rechts hatte einen grünen Anstrich. Ich fuhr leicht mit den Fingern über die Farbe und erkannte, dass es vermutlich neu gestrichen wurde. „Meine Lieblingsfarbe. Habe ich selbst hergestellt. Aus Moos und Wasser.“ Man merkte wie stolz er auf seine Arbeit war. „Es sieht wirklich toll aus, Ethan.“ Ich versuchte sie etwas abzulenken, daher stellte ich ihnen die erstbeste Frage die mir einfiel. „Wie alt seid ihr eigentlich?“ Schon als die Worte aus meinem Mund kamen, wollte ich sie schon zurücknehmen. Was interessiert mich wie alt sie sind? Sie haben mir sozusagen das Leben gerettet auch wenn ich ihnen immer noch nicht vertrauen konnte. Evan war mein Unbehagen wohl nicht aufgefallen, denn er plauderte drauf los, als ob wir gemütlich am Tisch sitzen würden. „Also ich und Ethan sind beide 17.“ 17? Sie sahen jedoch aus wie 25. Die Männer haben wohl gute Gene, da sie alle mindestens einen Meter neunzig groß sind und Muskeln haben, als würden sie jeden Tag 100 Kilo stemmen. „David ist 25, aber vom Wesen her ist er eher schon 60“ Sie lachten beide über diesen blöden Witz und um nicht unhöflich zu sein, lächelte ich auch etwas. „Adam ist unser Sturkopf und er ist 27“ Sturkopf? Wohl eher Holzkopf. Dieser Trottel soll mich noch mal so anfassen und es wird schlimmer enden, als mit ein paar blauen Flecken am Hintern. „Noah ist der älteste von uns. Er ist 30 und er ist sozusagen unser Anführer.“ Ich fragte gar nicht weiter, doch Evan war nicht zu stoppen. „Wir haben alle denselben Vater, doch unterschiedliche Mütter. Noah und Adams Mum war Dads erste Frau. Sie ist bei Adams Geburt gestorben. Davids Mutter war nur eine kurzweilige Affäre. Als David alt genug war, hatte er unseren Vater aufgesucht und ist seitdem bei ihm geblieben. Da hatte er schon unsere Mutter kennengelernt und ist bis zum Schluss bei ihr geblieben.“ Evans Augen wurden glasig und er ging an Ethans Tür vorbei. Er schluckte schwer und sprach dann fröhlich weiter, als wäre nichts gewesen. „Und das ist dein Zimmer. Genau zwischen Ethans und meinem“. Also bin ich gefangen zwischen den zwei sogenannten 17-jährigen. Nun ja, immerhin besser als würde ich in dem Raum neben Adam liegen. Bei meinem Glück würde er mich im Schlaf erstechen und niemand würde aufwachen. „Und wo ist Davids Zimmer?“ Mir fiel auf, dass ich eine gewisse Neugier spürte als Evan seinen Namen bei der Zimmeraufteilung nicht erwähnte. „Oh Davids Zimmer ist unten. Er wollte unbedingt eines das zum Garten hinausgeht um im Sonnenaufgang zu trainieren. Keine Ahnung warum“ Ethan zuckte mit den Schultern, doch ich konnte nur versuchen meine Enttäuschung zu verstecken. „Also, wir lassen dich jetzt mal allein, damit du duschen und dich umziehen kannst. Wir haben dir ein paar Klamotten rausgesucht, welche die Vorbesitzer hiergelassen hatten. Ich hoffe, dass sie dir einigermaßen passen.“ Er wurde leicht rot. Warum war ihm das peinlich? „Wenn wir das nächste Mal auf Streifzug gehen, können wir dir ja andere Sachen mitnehmen. Du musst es uns nur wissen lassen.“ Ich dankte Ihnen und zog mich in mein Zimmer zurück. Es war schlicht eingerichtet. Ein Bett, das sehr gemütlich aussah, ein Nachtkästchen an jeder Seite, auf denen beiden eine Nachttischlampe stand. In einer Ecke stand ein gepolsterter Sessel in den ich mich am liebsten hinein gekuschelt hätte, doch zuerst wollte ich duschen gehen. Die Farbe des Zimmers war weiß und erinnerte mich an das Institut, aber wenn Evan seine Zimmertür gestrichen hatte, konnte ich es hier vielleicht auch irgendwie bunter werden lassen. Ich ging hinüber ins Badezimmer und wäre fast in Ohnmacht gefallen. Da drin war eine große Badewanne aus weißem Marmor und gleich daneben ein Waschbecken, an dem locker 3 Personen gleichzeitig stehen konnten. Doch das Highlight war der Spiegel. Er erstreckte sich über eine ganze Wandseite über dem Waschbecken. Ich fürchtete mich davor, vor den Spiegel zu treten, da meine silbernen langen Haare total abgestumpft waren. Meine grauen Augen waren verblasst und meine Kurven waren fast nicht mehr zu sehen. Ich schnappte mir das Handtuch das vor der Dusche am Boden zusammengelegt war und zog meine schmutzigen, durchgeschwitzten Sachen aus. Die Dusche, die genau gegenüber der Wanne installiert wurde, war durchsichtig, wodurch ich den Regenwaldduschkopf und die Massagedüsen auf der Seite sehen konnte. Durch drehen des Schalters, kam heißes Wasser von oben auf mich herunter. Ich fühlte mich wie Neugeboren. Ich seifte mir gerade die Haare ein, als mein Blick nach oben wanderte. Plötzlich löste sich in meiner Kehle ein Schrei. Eine Riesengroße Spinne krabbelte über meinem Kopf und ließ sich ganz langsam nach unten seilen. Ich sprang aus der Dusche und wurde kurz darauf, von donnerten Schritten erschreckt. „Was ist passiert?“ Evan war der erste der ins Zimmer kam. Ich stand splitterfasernackt vor ihm. Ich hatte kaum Gelegenheit mir mein Handtuch zu schnappen, da kam auch schon Ethan mit David hereingeplatzt. Als sie mich sahen, wurden ihre Köpfe feuerrot. Ich ließ noch einen spitzen Schrei los, doch ich stand zu sehr unter Schock um mich zu bewegen. „Was ist das für ein Lärm?“ Nun stürmte auch Adam ins Zimmer. Dicht gefolgt von Noah. Adams Blick war steinhart, doch er befand es nicht für nötig, seinen Blick von mir abzuwenden. „Was zum Geier macht ihr alle in Evies Badezimmer? Raus mit euch sofort. Und Evie zieh dir etwas an.“ Noah war ganz Herr der Lage. Und als seine Stimme lauter wurde, erwachten wir alle aus unserer Starre und befolgten Noahs Befehle. Jeder ging langsam aus dem Zimmer zurück. Ethan brauchte am längsten, denn er hielt sich die Augen zu und jedes Mal wenn er aus der Tür gehen wollte, krachte er gegen den Türstock. „Tut mir leid, Au. Es tut mir so schrecklich leid, Evie.“

Kurz nachdem alle hinausgegangen waren, klopfte es noch einmal an der Tür. David stand wie versteinert da. „Wieso hast du eigentlich so geschrien?“ Nun war es an mir rot zu werden. „Da, ähm…, da ist eine Spinne in meiner Dusche.“ Mir war es extrem peinlich. Ich hatte keine Angst vor Spinnen, sie waren mir nur einfach zuwider. Ich konnte Davids Lächeln nur leicht erahnen, doch er ging zur Toilette, nahm sich ein Stück Papier und drehte sich zur Dusche um. Er streckte sich nach oben, um die Spinne zu schnappen und ich konnte seinen Bauchansatz sehen, wo man sich die Muskeln die unter dem Shirt versteckt waren, nur zu gut vorstellen konnte. Ich fühlte mich kurz schlecht, für meine Gedanken, andererseits hatte er gerade noch viel mehr von mir gesehen, also war es nur fair, dass ich ein wenig träumte. „Ich dachte echt nicht, dass du dich vor Spinnen fürchtest, meine Königin“ Er machte sich offenbar über den Spitznamen lustig, den Evan und Ethan vorhin für mich gebrauchten. Doch er gefiel mir sowieso nicht, also war es mir egal. „Ich fürchte mich nicht vor Ihnen. Ich finde sie einfach nur ekelhaft.“ In seinem Mundwinkel konnte ich ein kleines Lächeln erahnen, doch so schnell wie es gekommen ist, war es auch schon wieder weg. Er zeigte mir das zusammen gequetschte Papier und ich empfand Mitleid mit der Spinne. Nur weil sie in meiner Dusche gelandet ist, musste sie sterben. Ich bedankte mich bei David und stellte mich wieder unter die Dusche. Allerdings nicht ohne den Blick alle 10 Sekunden nach oben wandern zu lassen.

 

Nach der nicht ganz so entspannenden Dusche zog ich mir die Kleider an, die mir alle eine Nummer zu groß waren. Aber sie waren bequem, sauber und bedeckten alle meine Stellen, die vor ein paar Minuten noch für alle offen sichtbar waren. Ich sah mich im Zimmer um und entdeckte Bücher auf dem Nachtschrank. Direkt daneben lag eine handgeschriebene Nachricht: Du wirst ein paar Tage im Zimmer verbringen müssen. Falls dir langweilig wird, hast du ein paar Klassiker zu lesen. David. Ich muss ein paar Tage hier im Zimmer bleiben? Wie auf Kommando ging ich zur Tür und rüttelte daran. Verschlossen! Schon wieder eingesperrt. Na toll!

 

Die nächsten 3 Tage verbrachte ich mit Lesen, aus dem Fenster starren und Suppe essen, die sie mir 2-mal täglich vorbeibrachten. Am vierten Tag lag ich gerade im Bett und hatte Stolz und Vorurteil fast zu Ende gelesen, als ich es wieder klicken hörte. Das Schloss war offen und ich würde eine neue Ration Suppe bekommen. Doch die Tür öffnete sich nicht. Vorsichtig drückte ich die Klinke hinunter und spähte in den Flur. Plötzlich roch ich es. Essen. Köstliches, nicht künstliches Essen. Der Duft zog mich fast nach unten und auf dem Weg hoffte ich Adam nicht über den Weg zu laufen. Ich wusste nicht ob er mir erlauben würde, aus dem Zimmer zu gehen. Aber es war mir egal. Ich wollte dieses Essen, dass so verdammt nach Spagetti roch unbedingt mit eigenen Augen sehen. Und vielleicht, wenn ich höflich darum bitte, bekomme ich sogar was ab. Auch wenn ich nicht wusste, wo die Küche war, der Geruch führte mich direkt an die Quelle. „Ich wusste doch, dass ich was gehört hatte.“ Noah lehnte am Fenster und grinste mich breit an. „Ich wollte dich gerade holen gehen. Hast du Hunger?“ Er wollte mich holen gehen? War es mir ernsthaft erlaubt, hier am Tisch mit ihnen zu essen? Ich verstand diese Gruppe Männer nicht im Geringsten. Ich setzte mein höflichstes Lächeln auf und hoffte er würde mein Misstrauen nicht erkennen. „Hier setz dich. Du bist bestimmt am Verhungern. Auch wenn uns Davids Suppe in den meisten Fällen vor dem Überleben gerettet hat, satt machen tut sie auf jeden Fall nicht.“ Er lachte über seinen Witz und David, der in der Küche stand und den Kochlöffel schwang, bewegte ebenfalls die Lippen zu einem Lächeln. Wieso lachte er nicht? So wie Noah oder Ethan? Zu viele Gedanken konnte ich mir nicht machen, denn Noah schrie den anderen und die polterten die Treppe hinunter und Ethan und Evan nahmen zu beiden Seiten von mir Platz. Adam setzte sich mir gegenüber und ließ mich nicht aus den Augen. „Genieß das Essen. Denn bei dem was ich heute mit dir vorhabe, brauchst du deine gesamte Kraft.“ Sein Grinsen hatte nichts Freundliches an sich. Doch er konnte mir nichts Schlimmeres antun, als dass was ich im Institut erleiden musste, also grinste ich zurück und schaufelte eine große Portion Nudeln in meinem Mund. „Na, da hat aber jemand Hunger.“ Noah setzte sich neben Ethan ebenfalls an den Tisch und verteilte Gläser. In jeden ließ er eine leicht gelbliche Flüssigkeit hineinlaufen. Ich roch ganz vorsichtig daran. Es roch nach Limonade. Ich trank das ganze Glas in einem Zug leer und Noah schenkte mir sofort wieder nach. „Wenn das so weitergeht, haben wir in einer Woche keine Vorräte mehr.“ Adam redete in seinen Teller hinein, doch jeder konnte ihn gut verstehen, das zweite Glas Limonade trank ich gemächlicher, doch wie lange hatte ich davon geträumt, wieder so etwas Köstliches an meinen Lippen zu spüren.
Wir aßen alles auf. Als jeder seinen Teller in die Küche gebracht hatte, damit Ethan, der heute mit dem Abwasch an der Reihe war, anfange konnte, sah Adam mir wieder tief in die Augen. „Also, Evie.“ Er spie meinen Namen, wie ein Schimpfwort aus. „Wollen wir loslegen?"

2. Kapitel

Wir gingen nach oben in den 2. Stock. Dort war ein großer Raum mit ein paar Stühlen. Adam führte mich auf einen Stuhl und setzte sich mir gegenüber. „So..Wie genau bist du ausgebrochen?“ David trat hinter mich: „Das hat sie doch schon gesagt. Sie kroch aus dem Lüftungsschacht.“ Adam hatte ein fieses Grinsen im Gesicht „Da ist aber noch mehr, nicht wahr Evie?“  Sein Lächeln galt mir, doch ich wollte es ihm am liebsten von den Lippen schlagen. „Wieso sollte da mehr sein?“ David wollte schon auf ihn losgehen, doch ich bremste ihn. „Ich habe ein Messer gestohlen, beim Mittag essen.“ Mein Herz raste, weil ich wusste Adam würde nicht lockerlassen, bis ich ihm die ganze Geschichte erzählen würde. „Ich steckte es ein und sagte, sie hätten mir kein Messer gegeben“ Adam wirkte skeptisch: „Und das haben die dir geglaubt?“ Jetzt war ich diejenige die grinste. „Sie haben mir geglaubt, weil ich seit meinem achten Lebensjahr nicht mehr gelogen habe!“ Nun mischte sich auch Noah ein, der mir wesentlich lieber war als Adam. „Und warum hast du nicht mehr gelogen?“ Meine Geduld war am Ende. „Mit Elektroschocks. Ich war 3 Jahre alt, als ich perfekt sprechen konnte. Ab diesem Zeitpunkt haben sie mir ein Implantat eingesetzt, dass jedes Mal einen Stromschlag versetzte, wenn ich log. Auch wenn es nur darum ging ob ich mein Gemüse aufgegessen habe, schossen sie mir 500.000 Volt durch den Körper!“ Ich konnte ein Aufkeuchen hinter mir hören, aber ich erzählte weiter. „Fünf Jahre hatte ich dieses Ding in meinem Körper. Dann habe ich es mir, während ich bei einer Untersuchung kurz allein gelassen wurde, herausgeschnitten. Meine Lügen waren ab diesem Zeitpunkt so klein, dass es niemanden auffiel.“ Adam bekam nicht genug! „Und warum hast du das Messer genommen?“ Meine Hände fingen an zu zittern. „Weil ich die Schmerzen nicht mehr aushielt. Denkst du die Elektroschocks waren die einzigen Dinge, die sie mit mir gemacht haben?“ Ich konnte sehen, wie Adam ganz leicht zusammenzuckte, da ich anfing zu schreien. Doch er hatte was er wollte, also schrie ich einfach weiter. „Sie haben mir hunderte Male in den Kopf geschossen, nur um herauszufinden, wie lange es dauerte, bis die Wunde verheilte. Sie haben mich verbrannt, mir die Finger abgeschnitten und aus Türmen geschubst, um zu sehen, was ich alles überleben konnte.“ Tränen traten in meine Augen, doch ich unterdrückte sie. Ich würde nicht vor diesem Arschloch weinen. Ich atmete tief durch und erzählte ruhig weiter. „Ich nahm mir das Messer um den Lüftungsschacht in meinem Zimmer zu öffnen. Wie schon gesagt, kletterte ich dort nach draußen. Als ich Licht sah, sprang ich durch den Schacht nach draußen. Adam lehnte sich leicht nach vorne. „Und dich hat niemand gesehen?“ Meine Augen zuckten. „Doch. Ein Wachmann. Nur er kann nicht mehr viel erzählen, weil ich ihn getötet habe.“ Adams Gesicht leuchtete auf. Doch es war mir egal. „Ohne mit der Wimper zu zucken.“ Noah kam wieder hinter Adam hervor. „Warum?“ Ich konnte Ihnen nicht mehr in die Augen sehen. „Weil das, was er mir angetan hat, mich ewig verfolgen wird.“ Der Idiot mir gegenüber stoppte nicht. „Und was genau, hat er dir angetan?“ Mein Blick schnellte zu ihm, doch bevor ich etwas sagen konnte, kam David dazwischen. „Das reicht. Sie hat uns alles erzählt.“ Adam erhob sich langsam. „Ja genau. Sie hat uns erzählt jemanden getötet zu haben.“

 

Ich konnte nicht mehr atmen. Ich war so wütend. Wie konnte Adam nur denken, ich wäre eine kaltblütige Mörderin? Ja, gut. Ich hatte gesagt ich hätte Marc getötet, ohne mit der Wimper zu zucken. Doch ich hatte auch einen Grund dafür. Doch der interessierte ihn nicht. Warum auch? Ich war die Bedrohung, die er eliminieren möchte, da interessiert es ihn natürlich nicht, wie es um meine Gefühle steht. Ich stampfte nach unten, vorbei an den Zimmern und an der Küche, direkt nach draußen. Der Garten war genauso wie das Haus. Übertrieben groß und unfassbar schön. Im hinteren Eck stand eine Hollywoodschaukel die perfekt war, um sich einfach auszuheulen. Dort konnte mich niemand hören und bestimmt würde mich niemand stören. Nach einer halben Stunde unnötiger Heulerei, drang plötzlich Licht zu mir. Mein Blick glitt zum Haus. Das Licht kam aus einer großen Glastür, die direkt in den Garten führte. Dahinter erkannte ich David, der gerade ins Zimmer kam. Er kam der Glastür immer näher und öffnete schließlich. „EVIE!“ Na toll. Er suchte mich. Ich will aber nicht gefunden werden. „Evie! Wo bist du? Lass es mich erklären.“ Was will er erklären? Dass Adam ein verdammter Vollidiot war, oder dass ich einfach die Klappe hätte halten sollen? Denkt er etwa, ich wüsste das nicht? Ich konnte sehen wie er immer näherkam, obwohl ich tief im Schatten versteckt war. „Evie? Bist du da hinten?“ Ich wollte nicht antworten, doch wenn ich gar nichts sagen würde, käme ich mir dumm vor, also kam ein leises „Ja“ über meine Lippen. Sein Gesicht lag im Schatten, als er sich zu mir setzte. „Es tut mir so schrecklich leid.“ Meine Augen brannten noch von den Tränen, doch hier im Dunkeln konnte man es nicht sehen, also ignorierte ich es. „Was genau tut dir leid?“ Er versuchte meinen Blick aufzufangen, doch ich sah weg. Vielleicht konnte er die Rötungen doch sehen? „Adam ist ein Arsch.“ Was du nicht sagst. „Er hätte dich nicht so bedrängen sollen. Er fühlt sich auch schlecht deswegen.“ Ja. Das tut er bestimmt. „OK. Das war gelogen, aber ich fühle mich schlecht.“ Wieder konnte ich nur ein Lächeln erahnen. „Der Mann, den ich getötet habe. Sein Name war Marc.“ David drehte sich zu mir um. „Du musst es mir nicht erzählen, wenn du nicht willst. Adam hatte vergessen zu erwähnen, dass wir ebenfalls getötet haben. Viele Menschen. Aber nur um uns zu schützen. Andernfalls hätten sie uns getötet. Es war Notwehr. Und genau das gleiche gilt doch für dich auch. Dieser Soldat, dieser Marc, hätte dich auch verraten, wenn du ihn nicht getötet hättest, nicht wahr?“ Ich konnte spüren, dass er eine Entschuldigung für mich suchte, doch ich konnte ihn nur enttäuschen. „Nein, David. So war das nicht. Ich wollte ihn töten. Ich wusste, dass er zu dieser Zeit Wachdienst hatte. Ich habe geplant ihn zu töten.“ Er erstarrte neben mir. „Ich war fünfzehn als ich Marc zum ersten Mal begegnet bin. Er hatte gerade im Institut angefangen. Jedes Mal wenn ich ihn sah, lächelte er mich an. Er war der einzige der nett zu mir war. Alle anderen haben mich immer gemieden, weil ich anders war. Eines Abends hat er sich in mein Zimmer geschlichen und sich zu mir gelegt. Er hielt mich einfach nur im Arm. Ich habe mich noch nie so geborgen gefühlt.“ Davids Atem war das einzige andere Geräusch außer meiner Stimme um uns herum. „Irgendwann wurden aus dem im Arm halten mehr und ich verliebte mich ihn in.“ Ich lächelte bei der Erinnerung an mein erstes Mal. Marc war so zärtlich und einfühlsam. Weswegen mich die Zeit danach, noch schwerer traf. „Nachdem er sich an einem Abend von mir verabschiedete, sah ich ihn 2 Monate lang nicht. Erst als man mich nach einer Untersuchung in einen Schalldichten Raum führte, erfuhr ich warum er solange weg war.“ David hielt den Atem an. „Es war alles gelogen. Seine Gefühle für mich. Alles was wir zusammen erlebt hatten.“ Ich spürte wieder die Tränen kommen. „Sie schlossen die Tür hinter mir und das erste was ich kommen sah, war eine Kugel, die sich in meinen Kopf bohrte. Es war der erste Schuss von vielen.“ Ich schluckte, weil ich das nicht alles noch einmal erleben wollte, doch David musste es erfahren. Er musste wissen, wieso ich Marc getötet habe. „Ich war schwanger zu der Zeit. Niemand wusste es. Die Ärzte hatten Bluttest gemacht, doch jemand hatte sie verloren. Also wusste ich als einzige davon. Ich war so froh, als ich Marc sah und wollte es ihm sofort erzählen. Doch als ich diese Kugel in meinem Kopf spürte, war das einzige Gefühl in mir, dass ich dieses Ding aus mir heraushaben wollte.“ Ich konnte spüren, dass David etwas sagen wollte, aber nicht genau wusste wie er anfangen sollte, also redete ich einfach weiter. „Mein Vater hatte dies geplant. Er hatte Marc befohlen, mich zu verführen um ein Kind zu bekommen. Er wollte wissen, ob ich zeugungsfähig war, damit er die perfekte Waffe erschaffen konnte. Nun… Sein Wunsch ist in Erfüllung gegangen und dann mit lauten Krachen zerplatzt.“ Endlich machte David den Mund auf. „Es tut mir so schrecklich leid, Evie. Das du das alles durchmachen musstest.“ In meiner Kehle brannte ein Schrei, den ich unterdrückte. „Marc erzählte mir dies alles, als ich am Boden lag und die Kugel sich ihren Weg aus meinem Kopf bahnte. Er sagte mir, dass er mich niemals lieben könnte und jedes Mal wenn er mich berührte, nichts als Ekel empfand.“ Nun flossen die Tränen unaufhörlich. Meine Stimme war nur noch ein Wimmern. „Ich hatte mich noch nie so wertlos gefühlt. Ab diesem Zeitpunkt war mir alles egal. Jeder Stromstoß, jeder Schuss, jeder Fall aus dem zehnten Stockwerk. Nichts tat so weh, wie dieser Moment.“ Er nahm mein Gesicht in die Hände und wischte die Tränen weg. „Wieso bist du jetzt geflohen und nicht schon früher?“ Ich wusste das diese Frage kam. „Sie wollten es wieder versuchen. Nachdem mein Vater erfuhr, dass ich schwanger war, wollte er wieder jemanden finden, mit dem ich mich vereinigen könnte. Doch dies wusste ich zu verhindern. Ich bin frei und ich habe nicht vor, jemals wieder dorthin zurück zu gehen.“ David nahm mich in dem Arm. „Du bist in Sicherheit. Du gehst nirgendwohin. Und ich verspreche dir, ich werden jeden jagen und töten, der versucht dir wehzutun.“ Etwas in mir glühte auf. Nach so langer Zeit, hatte ich wieder Hoffnung. Vielleicht konnte ich hierbleiben. Vielleicht konnte ich endlich ein richtiges Leben haben. Ich drehte mich etwas um Davids Gesicht zu sehen und lächelte ihn an. „Danke.“

 

"Hier hast du ein paar Beeren. Aber nicht essen. Die sind giftig" Evan drückte mir einen Eimer voller beeren in die Hand und lächelte mir ermutigend zu. Noah meinte, solange mich niemand wütend machte, würde ich wohl keine Gefahr darstellen, also ließen sie mich hier wohnen, solange sie es mit mir aushielten. Adam winkte gleich ein, dass ich gehen sollte, doch alle anderen waren strikt dagegen, weswegen ich es mir nun gemütlich machen durfte. Also habe ich Evan gefragt, ob er eine Idee hatte, wie ich meine Wände rot streichen konnte. Ich wusste nicht warum, aber diese Farbe gefiel mir immer schon sehr. Sein Gesicht hellte sich sofort auf und er verschwand für ein paar Stunden. Als er zurückkam, war er voll mit Dreck und Blättern und hatte einen Eimer voller Beeren in der Hand. "Ich würde vorschlagen, die zuerst zu kochen. Oft. Um den Geruch loszuwerden und die Farbe zu intensivieren." Ich sah ihn Verständnis los an. "Ich soll bitte was? Ich hätte die Beeren einfach zerquetscht und auf die Wand geschmissen" Evan wirkte empört. "Du kannst doch nicht, wildes Obst einfach auf die Wand schmieren. Das würde das Holz verfaulen lassen und der Geruch wäre nach ein paar Wochen unerträglich." Er ging in die Küche und ich folgte ihm interessiert. "Also... wir brauchen Bleichmittel, heißes Wasser und einen großen Topf." Wir hatten Bleichmittel, aber keine rote Farbe? Das sprach wirklich für die Bedürfnisse der Jungs. "Woher weißt du das alles? Sollten Männer nicht eigentlich die Finger von solchen Dingen lassen?" Ich lachte ein wenig, doch als ich Evans Gesicht sah, verstummte ich und versuchte mir zu erklären, warum seine Wangen plötzlich so rot wurden. Er schüttelte den Kopf und schnappte sich das Bleichmittel unter der spüle. "ich interessiere mich einfach dafür. Wenn dir das nicht passt, kannst du das alles auch alleine machen." Er wartete offenbar auf eine Antwort also sagte ich schnell: " nein, bitte ich könnte das niemals ohne dich. Ich habe mich nur gewundert. Ich hatte nicht viel Kontakt mit Männern, die keine Soldaten waren." Er versuchte zu lächeln. "wir sind nicht alle rücksichtslose Schläger und Sturköpfe"

 

Wir kochten die Beeren mehrere male mit bleiche und heißem Wasser
Ich dachte immer das Bleichmittel würde die Farbe verschwinden lassen, doch Evan wusste genau wie viel er zugeben musste, um die Farbe perfekt aussehen zu lassen. Nach ein paar Stunden standen wir mit Pinsel bewaffnet und alten Klamotten, die für mich allerdings neu waren, weil ich noch keine anderen Sachen hatte, in meinem Zimmer und fingen an die Möbel zur Seite zu rücken. "Ich schlage vor, wir bemalen nur die eine Wand und deine Tür. Zu viel von so einer intensiven Farbe würde zu erdrückend sein. Und du sollst dich doch wohl fühlen." Ich würde mich überall wohlfühlen, sobald ich nicht mehr nur weiße Wände um mich herumhatte. "Ok. Jetzt raus mit der Sprache. Warum bist du vorhin so erstarrt, als ich das mit den Männern sagte?" Vielleicht wollte er nicht darüber reden, aber ich war neugierig und wenn ich eine Befragung durchmachen musste, war es nur fair, wenn ich von ihnen auch etwas erfahren würde. Evan war offenbar der erste, den ich versuchte zu durchschauen. "Ich weiß nicht was du meinst." Er wirkte sehr geknickt, wie er da mit dem Pinsel auf dem Sessel stand und versuchte die kanten perfekt zu treffen um keine Fehler zu machen. "Das weißt du sehr wohl. Also was ist dein Geheimnis?" Er kam wieder auf den Boden und setze sich. "Wenn ich es dir erzähle, musst du versprechen, den anderen gegenüber nie ein Wort darüber zu verlieren." Ich nickte ganz langsam. Ich hatte Angst davor, was jetzt kommen würde und wappnete mich für das schlimmste. Was war es, das er nicht einmal seinen Brüdern sagen konnte und doch mir erzählte? "Versprichst du es?" Ich nickte noch einmal "ja, ja ich verspreche es, Evan" er schloss kurz dir Augen und lehnte sich in seinem Stuhl vor. "Ich denke, ich bin schwul." Ich hatte keine Ahnung was das bedeutet und schaute ihn verständnislos an. "Das bedeutet ich mag Männer" Was war daran schlimm? "Wieso solltest du keine Männer mögen? Sie sind nicht so schlimm, wie ich vorhin gesagt habe. Ich habe Männer auch gern.“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, Evie. Du verstehst mich nicht. Ich fühle mich zu Männern hingezogen. Ich empfinde für Männer, was andere Männer für Frauen empfinden.“ Langsam ging mir ein Licht auf. Ich habe davon gehört. Wenn Männer andere Männer liebten. Oder Frauen andere Frauen. Doch ich konnte es mir nie vorstellen. „Aber wie geht denn das?“ Offenbar war das keine gute Frage, denn Evan wirkte wieder sehr bedrückt und ich versuchte es erneut. „OK. Tut mir leid. Aber ich versteh es nicht ganz. Kannst du es mir erklären?“ Ich versuchte ihn zu ermuntern und ich glaubte das es funktionierte, denn er richtete sich wieder etwas auf und sprach weiter. „Nun ja. Eigentlich ist es etwas ganz Normales. Andere Männer fühlen sich zu Frauen hingezogen. Doch ich habe diese Gefühle.“ Er sah offenbar, dass ich ihm nicht ganz folgen konnte, denn er probierte eine andere Methode. „Du magst doch Eiscreme, oder?“ Gestern nachdem ich die Befragung bestanden und ich mich wieder etwas beruhigt hatte, bekam ich selbstgemachtes Eis von Noah. Es schmeckte wie Himmel auf Erden. „Nun ja. Normalerweise isst man Eiscreme mit Schokoladensauce und Streusel. Du jedoch wolltest unbedingt Chillipulver und Erdnüsse dazu.“ Er verzog das Gesicht, doch als ich das Eis gestern probiert hatte, fehlte mir etwas. Also habe ich ausprobiert und das hineingeworfen, was mir schmeckte. Die anderen sahen mich an, als hätte ich den Verstand verloren. „Also in meiner Metapher sind wir Männer das Eis. Die meisten mögen Schokoladensauce, also andere Frauen. Doch ich mag lieber Chillipulver, also andere Männer.“ Ich fand diese Metapher ziemlich komisch, doch Evan meinte es vollkommen ernst, also verkniff ich mir ein Grinsen. „Für die meisten ist es nicht normal, was ich empfinde.“ Ich ging auf ihn zu und kniete mich vor ihm hin. „Aber du hast dir das doch nicht ausgesucht, oder? Ich meine ich suchte mir nicht aus, dass mir Chili mehr zusagt, als Schokolade!“ Er blickte mich an. „Nein. Ich habe es mir nicht ausgesucht. So bin ich geboren. Allerdings fand ich es erst heraus, als wir dich alle in der Dusche erwischten.“ Ich wurde sofort knallrot. An diesen Moment würde ich mich ewig erinnern. „Ich konnte es in ihren Gesichtern sehen. Doch ich fühlte gar nichts.“ Er redete sofort weiter, da ich etwas geknickt war. „Nicht weil du nicht gut aussiehst. Für den Fall, dass du es nicht gemerkt hast. Du siehst hammermäßig aus. Deine Figur ist perfekt und deine grauen Haare sind einfach der Oberhammer.“ Ich hatte noch nie ein Kompliment erhalten, nicht einmal von Marc. Er sagte immer nur, wie sehr er mich begehrte, doch das war natürlich alles nur eine dicke, fette Lüge. Mir gefiel das Gefühl und ich hoffte irgendwann mal wieder eines zu bekommen. „Danke. Das ist wirklich nett.“ Er stand auf und umarmte mich. „Ich danke dir, Evie. Aber vergiss dein Versprechen nicht, ja? Die anderen dürfen das niemals erfahren.“ Ich beendete unsere Umarmung und sah ihm in die Augen. „Evan. Du musst es zumindest Ethan sagen. Er ist dein Bruder. Ich sehe nicht, was daran so schlimm sein muss.“ Er lächelte wieder. „Ja du hast Recht. Ich denke ich werde es ihm sagen. Aber zuerst hübschen wir dein Zimmer etwas auf.“ Er schwang den Pinsel und kletterte wieder auf den Sessel. Ich denke Evan und ich würden gut miteinander klarkommen.

 

Nachdem die Wand komplett mit roter Farbe bedeckt war, kam Noah ins Zimmer und bewunderte unser Meisterwerk. „Es erstaunt mich echt immer wieder, was du alles zaubern kannst, Evan.“ Er klopfte ihm fest auf die Schulter und ich konnte sehen, wie Evan zuckte, doch keinen Mucks von sich gab. „Evie? Würdest du mitkommen. Ich möchte dir etwas zeigen.“ Sofort gingen bei mir die Alarmglocken an. Was würde jetzt kommen? Ich nickte langsam und folgte Noah die Treppe nach unten. Evan kam ebenfalls hinterher, nachdem ich ihm gestikulierte mich ja nicht allein zu lassen. Wir gingen in den Garten. Mittlerweile war es finster geworden und ich spürte die kühle Brise der Nacht auf meiner Haut. Noah drehte sich zu mir und sah hinter mich. „Evan, geh einen Schritt zur Seite.“ Als Evan sich nicht bewegte, sondern noch näher an mich trat, sprach Noah weiter. „Ich verspreche, dass Evie nichts passiert. Ich möchte nur etwas testen. Sie wird nicht verletzt.“ Meine Nervosität sank etwas, doch ich hatte immer noch ein schlechtes Gefühl. Wo waren David, Adam und Ethan? „Evie. Kannst du im Wald hinter mir etwas erkennen?“ Ich richtete den Blick hinter Noah und konzentrierte mich auf den dunkeln Fleck den der Wald bildete. Ich konnte rein gar nichts sehen. „Nein. Tut mir leid. Ich sehe nur schwarze Flecken.“ Noah nickte. „David geh 2 Schritte nach vorn.“ Im Wald veränderten sich die schwarzen Flecken und ganz langsam konnte ich eine Schemenhafte Gestalt erkennen. Vermutlich war es David. Instinktiv musste ich lächeln. „Was siehst du jetzt?“ Ich konzentrierte mich weiter und konnte langsam die Konturen von Davids Gesicht erkennen. Ganz langsam schärfte sich mein Blick und etwas blitze auf. Auf Davids Hals war etwas Glänzendes, doch ich konnte nicht erkennen was es war. „Ich sehe Davids Gesicht und noch etwas, aber ich weiß nicht genau was es ist.“ Evan trat wieder hinter mich. „Also ich sehe gar nichts.“ Noahs Blick hellte sich etwas auf. „Sieh genauer hin, Evie. Ich weiß du kannst das. Konzentriere dich.“ Er klang schon fast wie mein Vater und das jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken. Allerdings wusste ich Noah würde mich nicht verletzen. Er hätte schon längst etwas unternehmen können und doch habe ich ein eigenes Zimmer mit einem Badezimmer und bekomme so viel zu Essen wie ich nur konnte. Außerdem standen wir hier im Garten des Hauses in dem wir alle zusammen wohnten und ich war seit langer Zeit wieder einmal glücklich. Ich fokussierte also meine Augen auf Davids Gesicht und strengte mich an. Plötzlich erkannte ich was das Glänzende Ding an Davids Hals war und als hätte jemand das Licht angeschaltet, konnte ich alles sehen. Die dunklen Flecken im Wald verwandelten sich in Bäume und Sträucher. Ich konnte die Hollywoodschaukel in der hinteren Ecke sehen, als wäre es taghell. Doch mein Blick wich nicht von Davids Hals. Hinter ihm stand Adam und drückte ein Messer an Davids Kehle. So schnell das keiner es bemerkte, stürmte ich auf die Beiden zu und rammte meine Faust in Adams Magen. „Was zum Teufel soll das?“ Hinter mir konnte ich auf einmal ein schallendes Lachen hören. Ich drehte mich um und sah Noah, der gerade in die Hände klatschte und sich danach den Bauch hielt. „Das ist einfach großartig. Unglaublich“ Langsam kam er wieder zur Ruhe und ich sah ihn nur entgeistert an. Was ist in ihn gefahren? Er kam auf mich zu und drückte meine beiden Schultern. „Du bist ehrlich bewundernswert, Evie.“ Mein Gesicht vermittelten ihm offenbar meine Gefühle der Verwirrung. „Oh, ja. Ich erkläre es dir. Ich habe ein bisschen nachgeforscht. Die Nebler haben etwas, das sich Nachsicht nennt. Sonst würden sie uns nie so mühelos aufspüren können. Und ich dachte, du könntest das vielleicht auch haben. Aber da ich nicht wusste wie wir das ganze auslösen, habe ich es mit Adrenalin versucht. Als ich sah, das du David allmählich vertraust, hoffte ich er würde genug Motivation sein, um deine Nachtsicht auszulösen. Und ich habe doch Recht, oder? Du siehst alles viel deutlicher oder?“ Ich starrte ihn immer noch an. War er denn verrückt. Mich so zu erschrecken. Ich ging zu ihm und bevor ich mich stoppen konnte, schlug ich ihm mit der offenen Hand ins Gesicht. Ich benutzte nicht meine volle Kraft, da er sonst nach hinten fallen würde. Ich wollte ihm nicht wirklich wehtun, sondern ihm nur zeigen, dass man mit mir nicht so spielen durfte. Er rieb sich die Wange. „Ja, ok. Das habe ich verdient. Tut mir leid. Aber ich wusste nicht wie ich es sonst hinbekommen hätte!“ Mein Atem ging stoßweise, doch langsam beruhigte ich mich wieder. „Du hättest mich fragen können.“ Meine Augen funkelten ihn an. Er beugte sich über mich. „Wusstest du denn davon?“ Das traf mich unvorbereitet. Ich wusste nichts über meine Fähigkeiten. Nur dass ich welche hatte, wie mein Vater immer so schön sagte. „Ha! Und wenn ich dir gesagt hätte, was wir tun würden, wärst du nicht so ausgeflippt und dein Adrenalinspiegel hätte sich nicht so erhöht. Also konnte ich gar nicht anders. Es tut mir wirklich leid, dass ich das tat, aber ich musste es wissen.“ Sein Blick war entschuldigend. Etwas das ich in meinen Vater nie sah, deshalb verzieh ich ihm. „Und wieso musstest du es wissen?“ Er sah Adam an und dieser holte einen Pfeil und einen Bogen hinter seinem Rücken hervor. Noah sah wieder mich an. „In einem Lager ungefähr 30 Kilometer von hier entfernt, sind Vorräte.“ Er zuckte mit den Schultern. „Nun gut. Nicht wirklich Vorräte. Es sind Tiere. Viele davon. Sie habe sich dort verschanzt. Und…. Nun ja die Tiere im Wald werden immer weniger. Wir brauchen Essen und es wird langsam knapp. In diesem Lager ist es dunkel. Die Elektrizität ist komplett ausgefallen und es kommen nur vereinzelte Lichtstrahlen durch die Fenster. Wir versuchten es schon mit Taschenlampen, doch die Tiere flüchteten immer und uns blieb keine Chance eines der Tiere zu erlegen.“ Langsam verstand ich worauf er hinauswollte. „Ihr wollt, dass ich dort hineingehe und mit meiner Nachtsicht ein Tier töte?“ Mein Magen drehte sich ein paar Mal im Kreis. „Aber ich kann keine Tiere töten. Ich bin zwar stark und schnell, aber nicht so schnell wie ein Reh oder ein Hase, wenn es flüchtet.“ Noah lächelte wieder. „Deswegen wird Adam dir das Bogenschießen beibringen. Also bist du damit einverstanden?“

 

"Nein, du musst ruhiger atmen. Bevor du den Pfeil loslässt, atme aus, so zitterst du weniger." Adam erklärte mir diese Lektion nun schon zum 4. Mal und der Pfeil verfehlte doch sein Ziel wieder. "Das kann doch nicht so schwer sein? Du spannst den Bogen, visierst das Ziel an, atmest aus und schießt. Gib her ich zeig’s dir nochmal." Er nahm mir den Bogen weg, spannte einen Pfeil ein und ließ los, direkt in die Mitte der aufgemalten Zielscheibe. Er grinste stolz, doch ich konnte nur die Augen verdrehen. Adam war ein hervorragender Schütze, doch im Unterrichten hatte er dringend Aufholbedarf. Als Adam sich zu mir umdrehte um mir ins Gesicht zu grinsen, kam David gerade nach draußen.
"Adam! Noah braucht dich oben." Adam blickte auf, schnaufte kurz und reichte mir den Bogen erneut. "Trainier weiter, sonst bist du zu nichts zu gebrauchen" er ging an David vorbei und striff ihn leicht an der Schulter. David kam zu mir und lächelte schwach. "Geschwister kann man sich eben nicht aussuchen. Was soll man machen?" Er zuckte mit den Schultern und richtete seinen Blick auf das Ziel. "Na dann lass mal sehen, was der große Lehrer dir so beigebracht hat." Ich wollte schon erwidern, dass er ein grauenvoller Lehrer ist, andererseits wollte ich mich nicht beschweren, da er sich bereit erklärt hat, mir zu helfen, um mit ihm auf die Jagd gehen zu können. Und außerdem wollte ich David beweisen, dass ich es draufhatte. Also konzentrierte ich mich auf den Baum, an dem die Zielscheibe hing, spannte den Pfeil in den Bogen und atmete langsam aus. Ich ließ den Pfeil los und er schoss geradewegs in die Mitte. Ich ließ einen Freudeschrei los und sprang David in die Arme. Als ich mich umdrehte, konnte ich gerade noch sehen, wie Adam aus dem oberen Fenster hinabblickte, das Gesicht verzog und sich wieder seinen Angelegenheiten widmete.

 

Seit einer Woche schon trainierte ich mit Adam. Mittlerweile verfehlte ich das Ziel niemals, doch um ein Tier zu erlegen, dass sich schnell bewegte, fehlte mir noch die Übung. Adam hatte die Idee, Evan mit dem Ziel herumlaufen zu lassen und wir würden auf ihn schießen. Für diese Bemerkung bekam er von mir und von Noah eine Kopfnuss. Also installierte Ethan eine Vorrichtung die, wenn man daran zieht, sich hin und her bewegte. Dieses Ziel zu treffen, war um vieles schwerer, als das stillstehende. „Ein Reh bewegt sich unberechenbar. Wenn du dieses Ziel nicht triffst, dann wird das mit dem Wild in der Halle ein totaler Reinfall.“ Adams ermutigende Worte halfen mir nicht gerade bei meiner Aufgabe. Doch nach ein paar weiteren Versuchen traf ich zumindest das Ziel, auch wenn nicht genau in der Mitte. Danach traf ich das Ziel ohne Probleme, deshalb beschloss Noah mit mir meine Nachsicht zu trainieren. Zu Beginn musste ich lernen, den Auslöser zu finden. Noah stellte sich in den Wald, in dem er nach ein paar Meter komplett verschwand. „Siehst du mich noch?“ Ich konzentrierte mich auf ihn, doch auch durch viel Anstrengung, sah ich nur dunkle Schatten. „Nein. Ich sehe gar nichts.“ Plötzlich konnte ich ein fliegendes Etwas sehen, das schnell auf mich zukam. Meine Nachtsicht schaltete sich ein und ich sah den Ball der direkt auf mich zukam. Ich duckte mich weg und der Ball flog direkt in Adams Bauch, der hinter mir stand und uns beobachtete. Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen, was ich sofort bereute, als mich Adam mit einem Mörderblick ansah. Noah kam aus dem Wald gelaufen und entschuldigte sich mit einem Lächeln auf den Lippenbei Adam. Dieser wischte seine Hand weg und stampfte mit leisem Gemurmel ins Haus.

 

Seit zwei Stunden, war ich nun zwischen Evan und Ethan auf der Rückbank eingeklemmt. Ich wusste nicht, wie lange wir fuhren, denn nach einiger Zeit schlief ich ein und betete meinen Kopf an Ethans Schulter. Sehr zu missfallen von Adam, denn das erste was ich sah, als ich aufwachte, war sein starrer Blick im Rückspiegel. Es war mittlerweile dunkel draußen und zehn Minuten später hielten wir vor einem großen Eisentor. David stieg aus und entfernte die schwere Eisenkette. Noah lenkte den Pickup durch und parkte direkt vor der Tür eines gewaltigen Lagerhauses. Ethan half mir auszusteigen und wir gingen um das Gebäude herum, um den Hinterausgang zu suchen. Ich spürte die Blicke aller auf mir und als Adam sich seine Ausrüstung schnappte, drehte sich David zu mir um, um mich vorzubereiten. „OK. In dem Haus sind viele wilde Tiere. Von kleinen Kaninchen und Hühner, sowie große Hirsche und Kühe. Ethan behauptet stark, dass er mal einen Löwen brüllen hörte, doch ich bin mir ziemlich sicher, dass es nur ein Bär war.“ Bei dem Wort `Bär´ zog sich in mir alles zusammen. Ich hatte Videos von diesen Monstern gesehen und sie waren mindestens genauso schlimm wie ein Löwe. „Keine Sorge.“ Adam trat neben mich und legte seine Hand etwas zu fest auf meine Schulter. „Ich pass auf das kleine Biest schon auf“ Noah schlug ihm auf den Hinterkopf, allerdings fand ich die Beleidigung, im Gegensatz zu den anderen Wörtern die er mir bis jetzt an den Kopf geworfen hat, gar nicht mal so schlimm. „Bleib einfach in seiner Nähe. Er wird dir genau erklären was du zu tun hast ok?“ Ich starrte Noah an. „Wie? Ihr kommt nicht mit?“ Sein Lächeln verriet alles. „Nein, Kleines. Wir haben leider nur ein Nachtsichtgerät, sonst wären wir schon längst mit Adam da hineinspaziert.“ Na toll. Ich soll mit diesem Vollidioten also ganz allein, in ein dunkles Lagerhaus, mit wilden Tieren und zwei Waffen. Dass kann ja nur gut enden.

3. Kapitel

„Pass auf, wo du hintrittst, ja?“ Evan und Ethan halfen mir durch das kleine Fenster in 2 m Höhe, durch das wir durchkriechen konnten. Am Boden angekommen, musste mich Adam auffangen, sonst wäre ich direkt auf die Schnauze gefallen. Danach ging er einfach weiter, als ob ich nicht gerade seinen Geruch nach Pinienzapfen und Honig einatmete und rot anlief. Ich konnte nichts sehen, obwohl ich viel trainiert hatte um meine Nachsicht je nach Belieben aus und einzuschalten. Adam hatte sein Nachtsichtgerät bereits eingeschaltet, deshalb ging er voraus. Ich versuchte mich zu entspannen, doch in dieser Situation war das nicht besonders einfach. „Adam? Könntest du einen Moment warten?“ Ich konnte seine Schritte nicht mehr hören. Ich versuchte ein paar Schritte in die Richtung wo er verschwunden ist, doch umso weiter ich ging umso dunkler wurde es. „Adam?“ Plötzlich hörte ich ein lautes Brüllen und meine Sicht erweitere sich. Ich konnte alles sehen. Jedes Tier das sich in dem unteren Teil der Halle befand. Als ich weiterblickte, entdeckte ich tatsächlich zwei Bären, die hinter einem Gitter eingesperrt waren. Durch den Schreck zuckte ich zurück und landete direkt in Adams Brust. Ich war so erleichtert, ihn zu sehen und stürzte mich gleich in seine Arme. „Oh Gott. Lass mich bitte nie wieder allein.“ Für einen kurzen Augenblick glaubte ich, dass er mich an sich drückte und meinen Duft einzog. Ich glaubte auch ihn flüstern zu hören. „Niemals“ Doch dieser Moment währte nicht lange, denn als uns bewusst wurde, was wir taten, sprangen wir beide auseinander. Er drehte sich um und schaute lehnte sich etwas über das Geländer, um sich einen Überblick zu verschaffen. „Wir sollten die 2 Hirsche dort hinten erledigen. Ich denke an denen ist am meisten Fleisch dran.“ Ich fand, dass an keinem von diesen Tieren sehr viel Fleisch war. Was natürlich nicht verwunderlich war, da hier in dieser Halle nur Pflanzenfresser waren und es weit und breit keine Pflanze gab, mit denen sie sich ernähren konnten. „Wie können die sich ernähren? Ich meine es gibt so viele Tiere hier drin und keine einzige Pflanze.“ Adam begutachtete seinen Bogen um zu prüfen, ob er auch richtig gespannt war. „Wir haben sie gefüttert. Einmal in der Woche komme ich hierher und bringe ihnen Pflanzen und Insekten. Dort hinten, ist ein kleiner Teich entstanden, aus dem sie immer frisches Wasser bekommen.“ Auf einmal sah ich Adam in einem ganz anderen Licht. Zuvor war er noch das Arschloch, dass jeden von sich wegstößt, um ja keine Gefühle zu zeigen, aber jetzt erfuhr ich, dass er diese Tiere beschützt und am Leben erhält. „Naja, so bleiben sie am Leben, bis wir wieder etwas zu Essen benötigen. Ich wusste ja nicht, dass wir einmal Mini-Hulk bei uns haben werden, der mir beim Tragen helfen kann.“ Und schon war das gute Gefühl dahin.

 

Ich zielte auf den Größeren der Hirsche und traf genau zwischen seine Augen. Für einen kurzen Moment fühlte ich mich schlecht deswegen, doch ich wusste auch, dass wir etwas zu essen brauchten. Adam erledigte das andere Tier und gemeinsam bahnten wir uns einen Weg durch die Menge um unsere Beute aufzusammeln. Als wir wieder bei dem Fenster waren, durch das wir eingestiegen sind, sprang Adam mit einem galanten Sprung hinaus und sagte den anderen Bescheid, dass ich die Tiere gleich hindurch reichen würde. Gott sei Dank war neben dem Fenster eine große Kiste auf die ich mich stellen konnte. Als ich den ersten Hirsch hochbugsierte, hörte ich plötzlich einen lauten Tumult bei den Tieren. Ich ließ das Tier fallen und lief zurück und was ich dort sah, verschlug mir fast den Atem. Einer der Bären hatte sich freigekämpft und wütete nun mitten unter den kleineren Tieren. Er zertrampelte ein paar Mäuse und zerriss einen Fuchs mit seinem riesigen Maul. Ich sprang von der Brüstung und stellte mich direkt vor den Bären. Ich hob die Arme um ihn zu beruhigen, doch wie ich vermutet hatte, drehte der Bär gerade vollkommen durch. Ich hatte meinen Bogen bei dem Fenster vergessen und hatte nur einen Pfeil in meinem Köcher. Ich wollte den Bären nicht töten, doch als er auf mich losging, zog ich den Pfeil heraus und bohrte ihn direkt in den Kopf des wütenden Tieres. Der Bär bäumte sich für einen kurzen Moment auf und fiel dann kopfüber auf mich. „Evie! Wo zur Hölle bist du?“ Ich konnte Davids Stimme hören, als er die Treppe hinunterlief. „Ich bin hier“ Meine Stimme klang etwas gedämpft, da ich das gesamte Gewicht der Kreatur auf mir spürte. „Verdammt, Evie. Was ist passiert?“ David half mir, den schweren Körper von mir herunter zu schieben. „Der Bär drehte durch. Er hat ein paar Tiere getötet. Es ist schon schlimm genug, dass sie hier eingesperrt sind, aber sie müssen sich nicht gegenseitig töten.“ Ich redete völlig außer Atem, aber das milderte nicht meinen Wutausbruch. „Wie könnt ihr sie hier einfach einsperren, nur um jedes Monat einen von Ihnen zu töten?“ Ich schubste David weg, als er mir seinen Arm um die Schultern legen wollte. „Ihr habt ja keine Ahnung wie es ist, wenn man eingesperrt ist, nur um darauf zu warten, getötet zu werden. Denkt ihr, die fühlen das nicht? Dann seid ihr noch bescheuerter als ich dachte.“ Ich konnte Davids Blick unter der Maske nicht wirklich erkennen, doch ich bin mir sicher, dass er traurig aussah. Doch das war mir egal. „Diese Tiere verdienen es frei zu sein, genauso wie jeder andere. Wir könnt ihr bestimmen, was mit ihnen passiert?“ David kam wieder etwas näher. „Können wir das draußen besprechen, oder willst du diesen Bären vielleicht auch noch mitnehmen?“ Ich überlegte kurz, doch dann fiel mir auf, dass die anderen Tiere so vielleicht etwas mehr zu fressen bekamen. Auch wenn die meisten nur Pflanzen fressen, in der Not würden sie alles nehmen und ich würde ihnen alles geben, wenn sie sich dadurch besser fühlten.
Ich ließ mich von David zum Fenster führen und übergab ihnen die Hirsche. Als ich kurz darauf, ebenfalls aus dem Fenster kletterte, sprang ich direkt neben David, der mir seine Arme entgegenstreckte.

„Evie. Du musst das so sehen. Sollten wir die Tiere freilassen, würde die Regierung sofort alle töten lassen und wir hätten keine Nahrungsquelle mehr. Ich weiß, dass das schlimm für dich sein muss, aber wir brauchen etwas zu essen, sonst würden wir sterben. Und im Freien würden die Tiere ebenso sterben. So haben sie wenigstens noch ein paar Jahre bevor sie für einen guten Zweck sterben.“ Ich verstand worauf sie hinauswollten, doch ich wollte nicht so schnell nachgeben, also schnaubte ich nur und überließ es den Jungs die Hirsche auf die Ladefläche zu binden und stieg auf dem Rücksitz ein.

 

Noah fuhr wieder nach Hause. Adam und David nahmen vorne neben ihm Platz und Evan und Ethan machten es sich wieder neben mir bequem. Die ganze Fahrt über, sagte niemand ein Wort. Dieses Mal konnte ich auch nicht schlafen, weswegen ich auch sah, wo wir entlangfuhren. Ich erkannte die Straße wo ich entlanglief, als ich aus dem Institut floh. Was bedeutete, wir waren nicht weit davon entfernt. Ich habe keine Ahnung, ob die Jungs wussten, dass der Feind nur ein paar Kilometer entfernt sein Lager hat, aber ich war nicht scharf darauf, ihnen diese Neuigkeit zu erzählen.

 

„Hast du kurz Zeit?“ David lehnte an meiner Zimmertür und wirkte dabei so niedergeschmettert, als hätte ich ihm eine Ohrfeige gegeben. Ich war immer noch sauer, doch dieser Blick brachte meine Mauer zum Einsturz. „Was gibt’s?“ Er hielt mir die Hand hin. „Nicht hier. Gehen wir ein Stück.“ Widerwillig nahm ich die Hand entgegen und ließ mich von ihm nach draußen führen. Wir gingen in den Wald der hinter dem Haus war und direkt an den Garten grenzte. Niemand sagte ein Wort. Als wir ungefähr zehn Minuten Richtung Norden unterwegs waren, hielt David an. Er drehte sich zu mir um und auf seinem Gesicht erschien ein strahlendes Lächeln. „Bist du bereit?“ Ich wollte an ihm vorbei, doch er versperrte mir die Sicht. „Für was? Was machen wie hier David?“ Ich wurde nervös, doch David würde mir nie etwas tun, dafür hatte er ein zu gutes Herz. Auch wenn ich die Jungs noch nicht so gut kannte, David war der fürsorglichste und netteste von ihnen. Er drehte sich leicht zur Seite und endlich konnte ich sehen, was sich hinter ihm verbarg.

Hinter einer kleinen Baumreihe, lag ein kleiner See. Rundherum waren die Bäume dicht und versperrten die Sicht, doch von oben drang die Sonne stark durch, wodurch der See leicht glitzerte. Ich konnte sehen, dass Dampf aus dem See stieg und hatte keine Ahnung warum. „Es ist eine heiße Quelle. Perfekt für ein Bad.“ Als hätte er meine Gedanken gelesen. Das erste war mir in den Kopf schoss war, warum sollte man in einem Wald ein Bad nehmen, wenn in unserem Haus wunderschöne Badewannen mit Meeresblick waren. Doch dann zog David hinter einem Stein einen Picknickkorb hervor. „Ich dachte, vielleicht hast du Hunger?“ Als wir gestern Abend von unserem Ausflug zurückkamen, ging ich ohne etwas zu Essen auf mein Zimmer und verließ es auch die ganze Nacht nicht. Also war ich am Verhungern, aber dass wollte ich nicht zugeben. „Ich könnte schon was essen. Danke“ Mein Lächeln kam zaghaft, doch es war aufrichtig. Er wusste immer genau, was mir fehlte und das war das unglaublichste Gefühl, dass ich je gehabt hatte. Es raubte mir den Atem.

Er breitete eine Decke direkt neben dem See aus und ich konnte die Wärme spüren, die von ihm ausging. Er hatte viel eingepackt, doch ich aß alles auf. Mein Hunger war doch größer, als ich dachte. Nachdem wir alles wieder eingepackt hatten, ging David wieder zu dem Felsen und nahm zwei große Handtücher hervor. „Hast du Lust?“ Ich sehnte mich schon danach, als wir auf die Lichtung kamen, also stimmte ich zu.


Es war genauso wie ich es mir vorgestellt habe. Das warme Wasser schlang sich zuerst um meine Knöchel und als ich tiefer ging, fing mein ganzer Körper an zu kribbeln. Das war soviel besser, als ein heißes Bad zu nehmen. Ich ging mit meiner Unterwäsche ins Wasser, die nach kurzer Zeit unsichtbar wurde. Doch David hatte bereits alles von mir gesehen, also machte es mir nicht viel aus. Wir schwammen in die Mitte des Sees. Er war nicht besonders groß und nicht besonders tief, aber einfach unglaublich entspannend. „Ich dachte mir, dass dir das hier gefällt.“ David lächelte. Ich konnte tatsächlich ein echtes Lächeln auf seinem Mund entdecken.  Es brachte mich ebenfalls zum Lachen und ich schwamm auf ihn zu. „Was dachtest du würde mir gefallen? Ein Essen vor einem See, oder halbnackt mit dir in dieser Quelle zu schwimmen?“ Ich spritze ihn voll und schon wieder konnte ich dieses melodische Lachen hören. Ich setzte zum erneuten Angriff an, doch David war schneller und hielt meine Arme fest. „Eigentlich dachte ich, dir würde es gefallen, einmal aus dem Haus zu kommen und etwas so Schönes zu sehen, wie dich selbst.“ Er drehte mich herum, damit ich mit meinem Rücken an seiner Brust lehnte und zeigte mit dem Finger nach oben. Der Mond war mittlerweile aufgegangen und dieser glitzerte wie ein Spiegel auf dem Wasser. Ich konnte Davids Arme auf meinen Schultern ganz deutlich spüren. Seine Lippen waren ganz nahe bei meinem Ohr währender flüsterte.  „Er glänzt genauso wie deine Augen.“ Plötzlich brach bei mir alles zusammen. Ich drehte mich um und drückte meine Lippen auf seine. Er wirkte leicht überrascht, aber nach nur einer Sekunde nahm er mein Gesicht in seine Hände und erwiderte meinen Kuss. Es fühlte sich so gut an, endlich jemanden zu haben, dem ich wirklich vertrauen konnte. Jemanden zu haben, der wusste, was ich war und nicht zurückschreckte. Erst als er von mir abließ und über meine Wange strich, merkte ich das ich weinte. Er küsste meinen Tränen weg und schenkte mir noch einmal dieses unglaubliche Lächeln, bevor wir das Wasser verließen und zurück zum Haus gingen. Ich spürte die Tränen immer noch, doch mein Grinsen im Gesicht würde so schnell nicht verschwinden.

 

Ein paar Tage waren seid unserem Kuss vergangen, doch ich konnte immer noch Davids Lippen auf meinen spüren. Jedes Mal wenn er mich ansah, fingen meine Wangen an zu glühen und ich musste lächeln. Eines Abends fing mich Evan im Garten ab und durchlöcherte mich mit Fragen. „Und wie wars? Ich weiß er ist mein Bruder und sowas sollte mich nicht interessieren. Aber wir leben schließlich in einer Apokalypse und sonst gibt es nicht viel Action.“ Ich drückte ihm meine Hand auf den Mund, bevor er zu laut wurde und es alle im Haus mitbekamen. „Es war toll. Ehrlich gesagt, ziemlich unglaublich. Am liebsten wäre ich weitergegangen, aber David hat aufgehört, als er merkte, dass ich weinte und…“ Diesmal war Evan es, der mich stoppte. „Moment mal. Du hast geweint? Warum?“ Ich zog ihn zu der Hollywood-Schaukel im Garten und setzte mich. „So wie jetzt, habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Ich habe schon einmal geglaubt, dass ich geliebt werde. Mehr als einmal sogar. Zuerst von meinem Vater und dann von Marc. Doch beides entpuppte sich als großer Irrtum.“ Ich schluckte einen schweren Kloß hinunter und versuchte weiter zu reden. Evan blickte mich mit großen Augen an und ich wusste, Ihm konnte ich alles erzählen. „Ich habe euch alle so ins Herz geschlossen, selbst Adam, dass ich furchtbar Angst hab, irgendwann aufzuwachen und zu merken, dass alles nur ein Traum war. Was wenn sie mich finden und ich wieder zurückmuss.“ Evan schnappte meine Hand und drückte sie ganz fest. „So etwas Schreckliches, darfst du nicht einmal denken, hörst du?“ Langsam führte er meine Hand an seine Brust. „Du wirst uns nicht verlassen. Das…Das kannst du nicht.“ Ich konnte sehen, wie seine Augen glasig wurden und instinktiv lehnte ich mich nach vorn und umarmte ihn. Er schlang die Arme um mich und drückte mich ganz fest an sich.

 

Am selben Abend kam David in mein Zimmer, während ich am Fenster saß und eins seiner Bücher verschlang. „Hi“ Er lehnte sich neben der Tür an der Wand und ich konnte schwören, dass ich ein leichtes Zucken in seinem Mundwinkel sah, als er entdeckte welches Buch ich las. Kein Wunder.  Der Titel war Der Nebel von einem Typen namens Stephen King. „Wie findest du es?“ Ich klappte den Wälzer zu und legte ihn auf das Fensterbrett. „Ehrlich gesagt. Ziemlich schockierend“ Ich stand auf und versuchte einen verführerischen Blick aufzusetzen. Offenbar war es ein ziemlicher Reinfall. „Naja, wenn man bedenkt, dass wir uns gerade in einer Apokalypse befinden, in denen sich Menschen in Nebel verwandeln, ist dieses Buch doch ziemlich harmlos.“ Das traf ins Schwarze. Mein Blick schweifte zum Fenster, doch alles was ich sah, war schwarz. Dort draußen war niemand mehr. Es war alles zerstört und mein Vater hatte Mitschuld an diesem Chaos. David bemerkte offenbar, dass er damit einen wunden Punkt traf, denn er trat hinter mich und schlang seine starken Arme um meinen zarten Körper. Mein Kopf ruhte auf seiner Brust und ich genoss die Wärme die er ausstrahlte. „Es tut mir so leid. Ich wollte dich nicht kränken. Es hilft mir einfach, Witze darüber zu reißen, doch ich habe nicht bedacht, dass du eigentlich mittendrin in diesem Scheiß bist.“ Ich drehte mich um und nahm sein Gesicht in meine Hände. Seine Augen waren geschlossen, als ob er physischen Schmerz empfang, weil er mich gekränkt hatte. Meine Lippen drückten ganz sanft auf seine. David öffnete leicht die Augen und legte die Arme um meine Taille und presste mich an ihn, als ob er mich nie wieder loslassen wollte. Der nächste Kuss war inniger. Unsere Lippen trafen hart aufeinander und wir verschlangen uns gegenseitig. Seine Hände waren plötzlich überall und als er an meinem Hintern angelangt war, hob er mich mit Leichtigkeit hoch und drückte meinen Rücken gegen das Fenster. Ich konnte seine Lippen auf meinen Hals spüren und seine Zunge glitt langsam über die Ader, die an meinem Hals pulsierte. Mein ganzer Körper zitterte unter seinen Berührungen. „Evie!“ Ich wusste Noah stand vor meiner Tür, doch seine Stimme klang, als ob sie aus weiter Ferne zu mir drang. „Evie. Kann ich mit dir reden?“ Ich rutschte am Fenster hinunter, als David mich langsam losließ. Unser Atem ging stoßweise und ich versuchte meinen Herzschlag wieder zu beruhigen. „Ich... ähh. Ich komme“ Ich räusperte mich und konnte wieder ein Grinsen auf Davids Gesicht erkennen. Er mag ein ruhiger Mann sein, doch seine Gedanken waren versaut.
Ich riss die Tür etwas zu stürmisch auf, denn Noah sprang einen kleinen Schritt zurück. „Hi. Wir haben gerade… ähhm“ Ich stotterte „Gelesen“ David rettet mich aus meiner ziemlich misslichen Lage und ich lächelte ihn dankbar an. Noah blickte hinter mich und entdeckte das Buch auf dem Fensterbrett. Ich dachte eigentlich es wäre hinuntergefallen, als David mich gegen die Scheibe presste. „Alles klar.“ Er sah mir wieder in die Augen und ich konnte sehen, dass er uns nicht wirklich glaubte, aber ich rechnete es ihm hoch an, dass er es nicht erwähnte. „Könntet ihr mit mir nach unten kommen? Ich möchte etwas mit euch allen besprechen!“

 

Ethan und Evan machten es sich bereits auf der Couch bequem. Adam kam gerade aus dem Garten und wirkte wie ein Minenarbeiter, mit dem ganzen Schmutz auf seinem Gesicht und auf seiner Kleidung. David bemerkte meinen Blick und klärte mich auf. „Adam ist der Gärtner in der Familie. Er kümmert sich um das Gemüse und das Obst, dass draußen im Garten wächst“ Ich konnte mir ein leises Kichern nicht verkneifen. Adam kam mir nicht vor wie ein Typ, der gerne im Garten schaufelt und mit den Pflanzen redet. „Na gut. Da alle da sind, möchte ich euch gerne einen Vorschlag bereiten.“ Die zwei jüngeren setzen sich neugierig auf und auch wir anderen spitzten unsere Ohren. „Da wir jetzt eine Person mehr in unserem Team haben, können wir uns darauf konzentrieren, die Starhügel zu plündern.“ Die lauten Protestrufe erschreckten mich. Keine Ahnung was die Starhügel waren und warum alles so dagegen waren, dass wir dort hinfuhren. „Sag mal, hast du sie noch alle, Noah?“ Adam stellte sich dicht vor ihm und auch wenn Adam groß war, überragte Noah ihm noch um einen halben Kopf. „Wie kannst du glauben, dass wir mit ihr mehr Chance haben. Tausende Kameras und so viele von diesen Scheißdingern, dass wir sie nicht mal richtig sehen konnten.“ Während er sich in Rage redete, drehte er sich unbewusst ganz langsam zu mir und verlor sich in seiner Tirade. „Da waren keine einzelnen Nebler mehr, es war einfach eine komplette Wand. Wir würden niemals lebend von dort entkommen.“ Jetzt stand er dicht vor mir und mein Blick bohrte sich in seinen. „Wahrscheinlich würde sie ihnen auch noch dabei helfen.“ Das brachte das Fass zum Überlaufen. Ich holte aus und schlug ihm mit meiner vollen Kraft die Faust ins Gesicht. Er flog ungefähr zwei Meter nach hinten und schlug mit dem Kopf auf den Boden auf. 4 Augenpaare waren plötzlich auf mich gerichtet. Der erste der sich bewegte war Noah. Ein kehliges lautes Lachen drang aus seiner Kehle. „Verdammt! Das wird er bestimmt lange spüren.“ Er richtete seinen Blick auf Adam und schmunzelte „Hey, Mann. Lebst du noch?“ Ein leises Stöhnen beantwortete seine Frage. „Na dann. Was sagst du Evie? Bist du dabei? Es ist bestimmt nicht mehr so schlimm, wie Adam es beschrieben hat.“ Noah ging zu dem großen Esstisch, der im Nebenzimmer stand und blickte auf die Karte, die darauf ausgebreitet war. „Ich beobachte die Hügel jetzt eine Weile und ich habe schon lange keine Nebler mehr dort gesehen.“ Ich war wild entschlossen, ihnen zu helfen also sagte ich zu. Mein Blick glitt zu der Karte und endlich begriff ich, was sie mit Starhügel meinten. Sie meinten den Berg wo die ganzen Stars früher wohnten. Der Berg auf dem das Hollywood-Zeichen stand. Wir würden zu den Hollywood Hills fahren.

 

„Ist das euer Ernst? Ihr wollt nicht zum Hollywood-Zeichen?“ Ethan schmollte auf der Rückbank neben mir und die anderen schüttelten nur den Kopf. „Wir müssen Vorräte besorgen, Kleiner. Das ist keine Sight-Seeing-Tour“ Ethan verschränkte die Arme. Er tat mir leid, doch ich wollte so schnell wie möglich wieder nach Hause, deshalb half ich ihm dieses Mal nicht. „Nachdem wir uns davon überzeugt haben, dass es sicher ist, werden wir irgendwann wieder einmal zurückkommen und dann sehen wir uns das Hollywood-Zeichen an, Ok?“ Noah blickte durch den Rückspiegel und Ethans Gesicht leuchtete auf. Zumindest war einer von uns glücklich. Ich konnte meine zitternden Hände nicht mehr lange verstecken und hoffte niemand würde es bemerken. Doch als David, der auf meiner anderen Seite saß, seine Hand auf mein Knie legte und leicht zudrückte, erkannte ich, dass er meine Angst spürte. Ich versuchte aufmunternd zu lächeln und legte meine Hand auf seine.

 

„Wusstest du das David morgen Geburtstag hat?“ Evan flüsterte mir leise zu, als wir den Berg hochkletterten. Noah wollte mit dem Wagen nicht zu nahe ranfahren, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Ich hielt es für keine gute Idee, da wir ohne das Auto viel weniger transportieren konnten. Doch als ich Einwände erheben wollte, warf mir Adam einen strengen Blick zu, worauf ich gleich wieder verstummte. „Oh mein Gott. Nein. Das wusste ich nicht. Wie alt wird er denn?“ Evan überlegte kurz und zuckte dann mit den Schultern. Ich musste lachen. Ein herrliches Gefühl, das mir die Anspannung etwas nahm. „Hast du denn ein Geschenk für ihn?“ Evan schüttelte den Kopf „Wir haben uns noch nie etwas geschenkt. Nicht mal vor dem ganzen Schlamassel“ Keine Geschenke? Sogar ich bekam jedes Jahr etwas zu meinem Geburtstag und ich war mein ganzes Leben lang eingesperrt.
Wir waren fast am Gipfel, als plötzlich Noah uns ein Zeichen gab, still zu sein. Ich versuchte etwas zu sehen, doch David streckte seine Arme nach hinten aus und versteckte mich hinter seinem Rücken. Seine Finger strichen von meiner Schulter zu meiner Hand und drückte sie fest. Ich hatte keine Angst, doch diese Geste wärmte mein Herz und ich schmiegte mich leicht an ihn. „Ok. Alles klar. Die Luft ist rein. „ Endlich konnte ich nach vorne blicken, auch wenn mich David immer noch an der Hand festhielt. Es war ziemlich dunkel, doch Noah hatte die Nachtsichtbrille auf, wodurch er viel besser sehen konnte, als die anderen. Augenblicklich schaltete sich auch meine Nachtsicht ein und das Bild das mir darbot, war erschreckend. Überall lagen große Steine am Boden, vermutlich von den ganzen Gebäuden, die hier erbaut wurden. „Das kann doch nicht wahr sein.“ Ethan drängte sich bei mir vorbei und versuchte etwas zu sehen, doch seine Augen bildeten Schlitze und nach ein paar Sekunden gab er auf. „Ich sehe rein gar nicht. Das ist so unfair.“ Jeder hatte ein kleines Lächeln auf den Lippen. Jeder kannte sein aufbrausendes Temperament, also war das nichts Neues für uns.

 

Wir sahen nur noch Ruinen. Überall lag Schutt und Müll. Als wären die Häuser implodiert. Jeder wusste, dass das die Nebler waren, doch niemand sagte ein Wort. Die ersten Überreste, die noch halbwegs intakt waren, überprüften wir gründlich. Dosen, in denen sich Essbares befand, war die oberste Priorität, doch ich persönlich hatte noch eine andere Mission. Ein Geschenk für Davids Geburtstag. Es gab viel zu sehen, doch alles was nicht zerstört oder beschmutzt war, war nicht gut genug für ihn. Wir gingen von Bauwerk zu Bauwerk und fanden immer nur vereinzelt ein paar brauchbare Sachen. Als Evan und Ethan anfingen zu quengeln, ließen wir sie an einem Abhang zurück, wo sie die gesamte Stadt im Blick hatte, ohne von unten gesehen zu werden. David und ich nahmen und die nächsten zwei Häuser vor, Adam und Noah gingen weiter. Die „Goldgrube“ fanden wir schließlich im zweiten Haus. Das komplette obere Stockwerk, war abgerissen, doch David fand einen Bunker im Keller. Konservendosen, Dünger, Samen zum Gemüse anbauen und sogar Kleidung für mich. Alles lag gestapelt in einem Raum, der vermutlich für die Reichen und Schönen Schutz bieten hätte sollen. Entweder sie waren noch rechtzeitig in die öffentlichen Schutzräume gelangt, oder sie waren… Ich wollte nicht darüber nachdenken.

Die Hosen und Shirts passten mir, und es waren sogar für Ethan und Evan ein paar Stücke dabei. Endlich konnte ich die übergroßen Gewänder loswerden, die ich von den Jungs bekam. Ich war ihnen zwar dankbar, doch bequeme Kleidung die mir noch dazu fast wie angegossen passte, war mir sehr viel lieber. Gerade als ich ein weißes Shirt anzog und eine schwarze Jean dazu, kam David zu mir und er war puterrot im ganzen Gesicht. Ich dachte schon, er hätte mich schon wieder nackt gesehen, doch mein Blick fiel auf seine Hände und ganz plötzlich schoss mir auch die Röte auf die Wangen. Als er bemerkte, wie ich die Kondome in seiner Hand sah, versuchte er sie sofort zu verstecken. „Ähh… Ich … ähhm… „Er stockte und sah mich dann von oben bis unten an. „Wow. Das steht dir echt gut.“ Ich wusste, dass er nur das Thema zu wechselte, denn mein Outfit war nicht besonders aufregend, doch ich grinste nur über beide Ohren und bedankte mich.

 

„Evie!!“ Evan lief gerade auf uns zu, als David und ich das Haus verließen, unsere Rucksäcke und die Taschen voll mit Essen und Kleidung. „Evie. Ich muss dir was zeigen. Das wird dich umhauen.“ Sein Lächeln war trügerisch, doch ich folgte ihm und David gesellte sich zu Ethan, der gerade mit Adam und Noah ihre Ausbeute begutachtete. Nur außer ein paar Schuhe und Jacken hatten sie nicht viel gefunden. „Wo gehen wir denn hin?“ ein paar Meter neben dem Abhang ging eine Treppe nach unten. Ich folgte Evan, obwohl ich keine Ahnung hatte, wohin er mich führen würde. „Ethan und ich haben es von oben gesehen. Es sieht echt unglaublich aus.“ Als wir um die nächste Ecke bogen, erkannte ich was Evan meinte. Das Haus war komplett aus Glas. Von der Haustür, bis hin zum nicht mehr vorhandenen Garten, war alles verglast. Ich wunderte mich wie dieses Haus noch stehen konnte, bis mir auffiel, dass es ziemlich neu aussah. „Denkst du, dass das jemand nach dem Angriff gebaut hat?“ Als Angriff bezeichneten wir die Attacke der Nebler auf die Menschen. Sie ließen die Nebler auf der ganzen Welt los und nach ungefähr 1 Monat war alles vorbei. Die Menschheit, wie sie Noah, Adam und David kannten, gab es nicht mehr. Evan und Ethan waren erst danach geboren, also waren sie an nichts anderes gewöhnt. „Wenn es wirklich danach erbaut wurde, sollten wir schnell von hier verschwinden.“ Evan war schon drauf und dran zur Haustür zu gehen, doch mein Zögern ließ ihn innehalten. „Ach komm. Du siehst doch, dass niemand da drin ist. Wir könnten zumindest einen Blick wagen.“ Ich breitete die Arme aus und zeigte ihm somit, dass wir doch schon alles sahen, was es zu sehen gab. „Dieses Haus besteht aus Glas. Das was es da drin zu sehen gibt, sehen wir bereits.“ Evan stellte sich hinter mich. Auch wenn er viel jünger war als ich, überragte er mich trotzdem um einen ganzen Kopf. Er zeigte bei meinem Kopf vorbei. „Siehst du den Raum dort? Ich möchte wissen, was dort drin ist.“ Auch wenn mein Bauchgefühl mir sagte, dass es keine gute Idee war, siegte meine Neugier. „OK. Aber nur ganz kurz. Und wenn wir es gesehen haben, fahren wir sofort nach Hause.“ Er legte seine Hand auf sein Herz und hob die andere Hand zum Himmel mit zwei Finger. „Pfadfinderehrenwort.“ Ich schnappte seine Hand und zog ihn mit. „Du warst nie bei dem Pfadfinder. Also zählt das nicht.“ Evan lachte laut auf und folgte mir zu der Tür. Ich drückte die Klinke nach unten und war sehr überrascht, als die Tür sofort nach innen aufschwang. Es war surreal in ein Haus zu gehen, wo man nach draußen sehen konnte, als wäre man gar nicht eingetreten. Wir gingen geradewegs zu dem einzigen Raum in dem Haus, wo man nicht hineinsehen konnte. Die Tür war komischerweise abgeschlossen, doch ich rief meine Kraft und konnte den Riegel ohne Mühe aufbrechen. Dahinter befand sich eine Bibliothek. Sie war ungefähr doppelt so groß wie mein Zimmer. Jedes Regal war zum Bersten gefüllt mit den verschiedensten Büchern. Von Romanen bis historische Wälzer war alles dabei. Sogar ein paar Kinderbücher waren unter Ihnen. Ich wollte Evan schon sagen, er solle David holen, als ich die Idee hatte. Ich könnte ihm doch ein Buch mitnehmen und es ihm als Geschenk überreichen. Nur welches Buch hatte er noch nicht. Oder anders gesagte, welches Buch würde ihm gefallen. Ich ging auf das erste Regal zu und überflog die ganzen Titel. Ich kannte keinen einzigen Autor. „Evie. Ich glaube wir sollten langsam wieder gehen.“ Evan wirkte etwas nervös, doch ich wollte unbedingt noch das richtige Buch finden. Plötzlich stach mir ein Name ins Auge. Stephen King. Ich wusste eins der Bücher, die David mir lieh, war von diesem Autor. Ich konnte den Titel nicht richtig entziffern und versuchte es herauszuziehen. Ich musste mich ziemlich strecken um es zu ergreifen. „Evie. Ernsthaft. Irgendwas stimmt nicht.“ Ich wusste nicht, warum er so drängte. Ich hatte es doch schon fast. „Ja. Einen Augenblick noch.“ Als ich die Finger endlich um den Buchrücken legte, hörte ich plötzlich lautes Geschrei. Ich erkannte Noahs tiefe Stimme die schrie. „Evie. Wir müssen los. Jetzt“ Evan zog an meiner Hand, doch es war zu spät. Plötzlich wurde es düster. Eine riesige Nebelwand tat sich vor uns auf und ich blickte in die Augen eines Neblers. „Verdammt. Evan geh hinter mich.“ Ich zog den Jungen hinter mich und hoffte, ich könnte ihn irgendwie beschützen. In meiner Panik bemerkte ich den anderen Schatten nicht, der hinter uns immer größer wurde. Ein Aufschrei von Evan lenkte meine Aufmerksamkeit auf ihn. Tief in mir spürte ich etwas Kaltes. Ich wusste nicht was es war, doch wie von selbst, schoss es aus mir heraus. Aus meinen Finger kam ein Lichtstrahl, der sich um Evan und mich ausbreitete. Die Nebler wichen langsam zurück und mein Schrei klang mir in den Ohren. Umso größer das Licht wurde, umso mehr zogen sich die Nebler zurück. In Ihren Augen konnte ich etwas sehen, dass ich nicht für möglich hielt. Sie hatten Angst vor mir. Als diese Kraft von mir langsam erlosch, konnte ich die Nebler nirgends mehr entdecken. Als nächstes sah ich David und Noah auf uns zu laufen. „Was zum Teufel ist passiert? Was war das für ein Licht?“ Ich konnte nur mit dem Kopf schütteln, denn ich hatte nicht den geringsten Schimmer wie ich darauf antworten sollte.

 

Ich hielt Evan immer noch umklammert hinter mich, bis mir auffiel, dass er nur noch stand, weil ich ihn in den Armen hatte. Ich drehte mich langsam um, bedacht darauf ihn nicht loszulassen. „Evan?“ Ethan stürzte auf die Knie um Evan aufzufangen, denn meine Hände ließen plötzlich nach. Evan hatte die Augen geschlossen und sein Gesicht war schmerzverzerrt. „Was ist passiert? Evie! Was war hier los?“ Noah versuchte mir in die Augen zu sehen, doch mein Blick galt nur Evan. Ethan bettete Evans Kopf in seinem Schoß und strich im langsam über die Wange. „Ich… ähm… ich weiß es nicht.“ Adam drängte sich nach vorn und schüttelte meine Schultern. „Was hast du gemacht?“ Tränen strömten über mein Gesicht, als Noah ihn von mir wegriss. „Das bringt uns auch nicht weiter. Evie! Ganz ruhig. Was ist passiert?“ Er beugte sich ganz nah zu mir, dass ich ihm in die Augen sehen musste. „Nebler. Sie sind ganz plötzlich aufgetaucht. Ich hab Evan hinter mich geschoben, doch ich hab nicht bemerkt, dass hinter uns auch einer war.“ Meine Tränen liefen ununterbrochen meine Wangen hinunter. „Es tut mir so leid. Ich hätte sie spüren müsse. Ich war unkonzentriert. Es tut mir so leid.“ Ich sah sie alle einzeln an und mein Blick blieb an Ethan hängen. Er hatte nur Augen für seinen Bruder, der ganz langsam, aber schwer atmete. „Wir müssen ihn nach Hause bringen. Sofort.“ David beugte sich zu den Zwillingen und wollte ihn schon hochheben, als Adam dazwischen ging. „Und was dann? Wir wissen nicht einmal was ihn angegriffen hat. Es könnte auch dieses Monster hier sein.“ Sein Finger zeigte auf mich und ich fühlte einen Stich. Glaubten sie etwa ich hätte Evan verletzt? Mein Magen krampte sich zusammen und ich hätte mich fast übergeben, bevor Ethan mir zur Hilfe kam. „So ein verdammter Blödsinn. Evie würde Evan niemals etwas zu leide tun. Ich glaube ihr, dass sie ihn beschützen wollte, deshalb wird sie auch eine Möglichkeit finde, ihn zu retten. Nicht wahr, Evie?“ Sein Blick war so flehentlich, dass es mir das Herz zerriss. Ich hatte keine Ahnung wie ich ihn retten sollte, aber ich werde verdammt nochmal alles tun, was ich kann. „Ich kann es versuchen, aber ich habe nie zugesehen, wie sie eine Nebler-Vergiftung heilten.“ Alle starrten mich an. „Eine Vergiftung?“ Noah konzentrierte sich auf die Fakten. Ich vermutete, dass er sich so emotional distanziert. „Ja. Wenn dich ein Nebler berührt, ohne dich zu töten, wirst du vergiftet. Ich habe solche Wunden im Institut schon oft gesehen und sie wurden immer geheilt. Nur ich habe es noch nie mit eigenen Augen gesehen.“

 

 

4. Kapitel

Die ganze Fahrt über sagte niemand ein Wort. Ethan saß mit Adam und Evan auf der Rückbank. Evans Kopf lag wieder in Ethans Schoß und seine Beine lagen quer über Adams. Ich durfte zum ersten Mal vorne neben David und Noah sitzen, doch meine Freude hielt sich in Grenzen. Meine Gedanken schweiften immer wieder zu Evan und wie ich ihn retten konnte. Außerdem hatte mich David seid dem Vorfall kein einziges Mal angesehen. Vielleicht hatte er erst jetzt erkannt, was für ein Wesen ich war. Ich brachte Gefahr, wo auch immer ich auftauchte. Ich sah aus dem Fenster und versuchte mich zu erinnern, ob jemand einmal erwähnt hatte, wie das Heilmittel aussah oder wie man es herstellte. Ich schloss die Augen und dachte an meinen Vater. Immer wenn ich einen „Therapie-Tag“ hinter mir hatte, was so viel bedeutete, dass sie mich den ganzen Tag unter Strom setzten und ich danach nur noch im Bett lag und an die Decke starrte, wurde er sentimental und plauderte über seinen Tag. Plötzlich tauchte eine Erinnerung auf.

Ich konnte den Strom immer noch spüren. Es war als ob er über meine Haut floss und immer wieder in mich eindrang. Ich starrte zur Decke als ich die Tür hörte. Jemand kam herein. „Evie? Bist du wach?“ Als ob ich antworten könnte. Mein Vater zog sich einen Stuhl zu meinem Bett heran und setzte sich darauf. „Ach Süße. Wie siehst du nur aus?“ Er strich mein Haar aus meinem Gesicht. Wenn ich mich bewegen könnte, würde ich ihm am liebsten die Hand abbeißen. Wie konnte ich nur jemals glauben, dass dieser Mann mich liebt? Ich meinen Augen sammelten sich Tränen, doch ich war stark genug, sie zurückzuhalten. Er lehnte sich wieder in seinen Stuhl zurück und lächelte mich an. „Du bist so wunderhübsch. Kein Wunder, dass die Männer alle Schlangen stehen um sich mit dir zu vereinigen.“ Hätte ich heute schon etwas gegessen, würde es mir geradewegseine s hochkommen. Er räusperte sich und seine Stimme nahm einen viel beschwingteren Ton an. „Du wirst nie glauben, was heute passiert ist.“ Er legte ein Bein über das andere und verschränkte seine Finger darauf. Es war mir ziemlich scheißegal was heute passiert ist, aber ich konnte mich nicht wehren, also musste ich mir die Geschichte wohl anhören. Vielleicht hatte ich Glück und ich er schläferte mich so ein. Früher hatte er mir immer vorgelesen und seine Stimme war einmal ein Segen für mich. Jetzt wiederum versetzte sie mir durchgehen Schmerzen. „Ich habe dir schon einmal davon erzählt, dass wir immer wieder Probleme mit dem Heilmittel für die Nebler-Vergiftung hätten. Nun wir sind zu einer hervorragenden Lösung gekommen. Wir brauchen eigentlich nur eine einzige Zutat und auf die haben wir dank dir uneingeschränkten Zugang.“

 

„Halt an“ Ich erwachte aus meinem Tagtraum. Ich starrte Noah an „Halt den Wagen an. Sofort“ Adam sprang fast aus seinem Sitz. Vermutlich hatte er geschlafen „Was zum…?“ Noah fuhr immer noch weiter. „Verdammt, Noah. Bitte halt an!“ Er war zwar immer noch nicht ganz überzeugt, aber er lenkte den Trunk an den Straßenrand. Ich sprang aus der Tür, noch ehe das Auto richtig angehalten hatte. Meine Beine sprinteten zur Laderampe und zogen aus Davids Rucksack das Klappmesser heraus, dass er immer eingesteckt hatte. „Legt Evan auf den Boden.“ Fünf Augenpaare waren auf mich gerichtet. „Bist du wahnsinnig geworden?“ Diese Worte aus Davids Mund zu hören, schmerzten mich, doch ich ließ mich nicht aufhalten. „Ich weiß wie wir Evan retten können. Ich habe mich wieder erinnert. Legt ihn bitte hin. Er darf sich nicht zu viel bewegen.“ Ethan war der erste, der aus seiner Erstarrung aufwachte und versuchte den bewusstlosen Evan aus dem Auto zu hieven. Als er beim dritten Versuch noch nicht weit kam, half Adam mit und sie legten ihn behutsam auf den Weg neben der Straße. David zog sich sein Hemd aus und legte es Evan unter den Kopf. Mein Atem stockte einen Moment, als ich die Muskeln unter seinem enganliegenden Shirt beobachtete. Ich räusperte mich und konzentrierte mich wieder auf Evan. Ich klappte das Messer auf und holte tief Luft. Das würde verdammt wehtun. „Was genau machst du da?“ Ich hielt die Klinge mit einer Hand umklammert und zog sie dann blitzschnell nach unten. Ich unterdrückte einen Schrei. Egal wie oft ich mir ein Messer in den Bauch rammte, ein Schnitt tat immer noch am meisten weh. Danach beugte ich mich über Evan und setzte das Messer genau an der Stelle an, wo die Vergiftung sich ausbreitete. Ada, wollte mich aufhalten, doch David hielt ihn zurück. „Sie weiß was sie tut. Vertrau mir“ Das machte mir Mut weiterzumachen. Ich schnitt Evans Schulter auf und konnte das Blut sehen, dass daraus quellte. Es war nicht mehr rot, sondern silbern. Das Blut eines Neblers. Das Messer fiel zu Boden und ich legte meine Hand auf Evan Wunde. Wie von selbst vermischte sich das Blut und das Neblerblut löste sich auf. Für einen kurzen Augenblick strahlte ein Licht aus Evans Schulter, doch danach war alles wieder dunkel. Nur die Scheinwerfer des Wagens und die Beleuchtung im Inneren erhellten den Weg. Wir alle warteten auf irgendein Zeichen, dass es funktioniert hatte. Ich lehnte mich zurück und schickte ein Stoßgebet in dem Himmel. Ich wusste nicht ob Gott Geschöpfen wie mir auch zuhörte, doch wenn er es tat, sollte er jetzt ganz genau zuhören. Ein Aufkeuchen von Ethan brachte mich wieder auf den Boden. Mein Blick fiel auf Evan. Seine Augen fingen an zu flackern und nach einigen Sekunden riss er sie auf. Sein Oberkörper bäumte sich auf und er schrie wie am Spieß. Ich befürchtete, dass er Schmerzen hatte, doch als er aufhörte erkannte ich, dass er den Schmerz des Neblerangriffs noch nicht richtig verarbeitet hatte. Ethan stürzte sich in seine Arme und drückte ihn so fest, dass ich befürchtete er würde zerbrechen. Doch nach einem kurzen Aufschrei von Evan zog sich Ethan wieder zurück. Jeder starrte auf Evans offene Schulter „Ich hole Nähzeug. Willkommen zurück kleiner Bruder.“ Noah klopfte ihm leicht auf die Schulter. Evan schüttelte den Kopf und sah mir tief in die Augen. „Du hast mir das Leben gerettet“ Adam trat in sein Blickfeld und musterte mich ebenfalls. „Wenn man bedenkt, dass sie dich vorher in Gefahr gebracht hatte, war das doch das mindeste.“ Ein kräftiger Stoß von David brachte Adam ins Schwanken. „Es reicht jetzt. Ok. Gib doch einfach mal zu, dass sie gute Arbeit geleistet hat.“ Ich konnte es nicht ertragen, wenn sie sich streiten, deshalb schritt ich ein. „Nein, David. Er hat Recht.“ Ich wandte mich an Evan. „Es tut mir so leid. Wenn ich dieses blöde Buch nicht holen wollte, wäre das nicht passiert. Es ist meine Schuld.“ Als ich Davids Blick sah, wurde ich leicht rot. Würde er ahnen, dass ich das Buch für ihn mitnehmen wollte? Währenddessen nähte Noah Evans Schulter, der bei jedem Stich leicht zusammenzuckte. „Schon ok. Du hast es ja wieder gut gemacht und so habe ich eine Weile eine Ausrede um mich vom Küchendienst zu drücken. Als Ethan wieder protestierte, wie unfair das ist, fingen wir alle zu lachen an. Es war ein gutes Gefühl, etwas vollbracht zu haben. Jetzt haben wir endlich eine Chance, ohne immer Angst zu haben, die Nebler könnten uns töten. Wir haben eine Chance zu Überleben.

 

Am nächsten Morgen klopfte es an meiner Tür. Ich war noch in meine Bettlaken eingewickelt und hatte ehrlich gesagt keine Lust aufzustehen, doch als ich Evans Stimme hörte, wurde ich sofort wach. „Evie. Bist du schon auf?“ Ich drehte mich zur Tür und konnte ihn strahlen sehen. Mein Herz machte einen kleinen Satz. Ich war so froh, dass es ihm wieder bessergeht. „Hilfst du mir Frühstück zu machen?“ Ich war verwirrt. Normalerweise machte David immer das Frühstück, kurz nachdem er seinen frühmorgendlichen Lauf hinter sich hatte. Doch dann fiel mir wieder das heute sein Geburtstag war. Da ich kein Geschenk mehr für ihn hatte, konnte ich ihm zumindest damit eine kleine Freude machen. Ich sprang aus dem Bett und zog meine Hausschuhe an. Eine halbe Stunde später war der Tisch bunt gedeckt. Evan hatte aus Papier ein „Happy Birthday“-Schild gebastelt und es über den Tisch aufgehängt. Für die dürftige Dekoration die wir hatten, sah es jedoch ziemlich gut aus. „Willst du ihn holen gehen?“ Natürlich wollte ich sofort losstürmen und ihn aus seinem Zimmer locken, doch ich wusste, nach seinem Lauf würde er duschen gehen und ich hatte Angst ich könnte ihn stören. „Sollen wir nicht besser warten, bis er nach draußen kommt?“ Evan schüttelte den Kopf „Nein. An seinem Geburtstag ist er immer sehr emotional und da lässt er sich gerne Zeit. Er würde wahrscheinlich viel zu lange brauchen.“ Er hatte Recht. Wir konnten nicht so lange warten, sonst würden die Eier, die Adam extra die Woche von der Lagerhalle holte, kalt werden und er wäre darüber nicht sehr erfreut. Also machte ich mich auf den Weg. Sein Zimmer lag nur zwei Türen von der Küche entfernt. Ich klopfte einmal. Keine Antwort. Ich klopfte noch einmal. Als ich immer noch nichts hörte, drückte ich die Türklinke langsam nach unten. Ich spähte vorsichtig ins Zimmer und konnte David nirgends entdecken. „David?“ Die Badezimmertür wurde geöffnet und herauskam ein sehr nasser, nur mit einem Handtuch bekleideter David. Ich wollte mich sofort wegdrehen, doch ich konnte meinen Blick nicht von seinem Oberkörper abwenden. Nicht, weil er durchtrainiert und einfach wunderschön war, denn glaubt mir, dass war er. Nein. Mein Blick blieb an den Narben hängen, die sich von seiner Brust bis zu der Linie, wo das Handtuch saß, befanden. Seine Hand fuhr hoch und er fuhr sich damit über den Kopf. „Oh. Evie. Ich habe dich gar nicht gesehen.“ Ich räusperte mich und ließ meinen Blick nach oben wandern, in sein Gesicht. „Ähh… Wir haben Frühstück gemacht. Evan und ich. Wir dachten, du würdest dich freuen, da du ja heute Geburtstag hast und so…“ Er ließ seine Hand über seinen Bauch wandern und wirkte leicht verlegen. „Du weißt davon?“ Mein Lächeln war leicht aufgesetzt, denn ich war immer noch schockiert von den Narben. „Evan hat es mir gestern gesagt. Also hast du Hunger?“ David drehte sich um und nahm das Shirt, dass neben seinem Bett lag und zog es sich über den Kopf. Als er sich die Hose schnappte, wurde meine Scham zu groß und ich drehte mich um. Ich konnte spüren, dass er hinter mir lächelte. Gott, wie gern hätte ich das gesehen. Als er näherkam, breitete sich Gänsehaut auf meinen Armen aus. Er stand so dicht hinter mir, dass ich seinen Atem in meinem Nacken fühlte. „Du kannst dich wieder umdrehen“ Seine Stimme war nur ein Flüstern, doch da seine Lippen direkt an meinem Ohr war, konnte ich es laut und deutlich hören. Mein Körper drehte sich von ganz allein und ich stand nun dicht an seine Brust gedrängte. Die noch vor einer Minute nackt war und mit Narben übersäht ist. „Woher hast du die?“ Er zuckte nur mit den Schultern. „Schlechte Kindheit. Warum denkst du, bin ich bei meinem Dad geblieben, als ich ihn das erste Mal sah.“ Ich fühlte mich unwohl, denn er spielte das eindeutig ziemlich hinunter. Doch ich wollte ihn nicht bedrängen. Er würde mir davon erzählen, wenn er soweit ist. Seine Finger fingen eine Strähne meiner Haare ein und wickelten sich um seine Hand. Unsere Lippen fanden sich fast wie von selbst. Der Kuss war intensiv, aber sanft zur gleichen Zeit. Als er von mir abließ, war in seinen Augen sehen, dass ich nur als Neugier interpretieren konnte. „Du wolltest das Buch für mich holen oder?“ In meine Wangen schoss die Röte. „Was?“ Er lächelte wieder. Ein wunderbares Gefühl, dass ich das auslösen konnte. „Das Buch, dass du holen wolltest, als Evan angegriffen wurde. Du wolltest es für mich holen. Als Geschenk, oder?“ Ich gab auf. „Ja. Evan sagte mir, ihr würdet euch nie was zum Geburtstag schenken und das fand ich einfach schrecklich. Es tut mir leid, dass ich es nicht bekommen habe.“ Seine großen starken Arme schmiegten sich um mich. „Es braucht dir nicht leid zu tun. Ich bin so froh, dass du hier bei uns bist. Ohne dich war es ziemlich langweilig.“ Er gab mir noch einen kurzen Kuss auf die Nasenspitze und zog mich mit. „Na los. Ich habe einen Riesenhunger.“

 

Das Frühstück war ein toller Erfolg. Wir alle aßen und lachten. Die Jungs erzählten mir sogar Geschichten über die Zeit vor den Angriffen. Für Evan und Ethan war das ganze genauso neu wie für mich. Dann sprachen sie über ihrem Vater und in meinem Magen drehte sich alles. Auch wenn ihr Vater ein Soldat war und sie immer sehr streng behandelte, hat er sich dennoch geliebt. Man konnte außerdem sehen, dass sie ihn alle sehr vermissten. Die Zwillinge trauerten ihrer Mutter ebenso nach, denn sie starb kurz bevor ihr Vater getötet wurde, an einer Grippe und ohne Medikamente konnten sie sie nicht retten. Ihr Vater, Archer, wurde durch eine Granate getötet, die verfeindete Truppen abfeuerten. Er wollte Ethan beschützen, der zu nah an der Grenze stand. Irgendwann verstummten die Gespräche und wir wollten uns für den Tag bereitmachen, doch Evan stand auf und holte eine Kerze vom Sideboard neben dem Tisch. Er zündete sie an und fing an ein Liedchen zu Trällern. „Happy Birthday to you. Happy Birthday to you.“ Alle anderen stimmten ein, doch ich kannte das Lied nicht, also saß ich nur stumm da und amüsierte mich über das peinlich berührte Gesicht von David.

 

„Evie. Kann ich dich noch einen Moment sprechen?“ David kam mir nach, als ich die Treppe nach oben gehen wollte. „Natürlich. Was gibt’s?“ Er fuhr sich mit der Hand über den Hinterkopf und fing an leicht zu stottern. „Was hast du denn heute so vor?“ Da unser Tagesablauf eigentlich immer gleich ablief, war die Frage ziemlich komisch. Jeden Tag frühstückten wir, dann ging es ans Anziehen, dann nach draußen um mit Noah Kampftraining zu üben, dann ging ich meistens zum Pavillon und las ein bisschen. Wenn es dunkel wurde, trainierte ich meine Nachtsicht und am Abend essen. „Nichts besonders. Training und so. Du weißt ja.“ Er kam auf mich zu und legte seine Hände auf meine Hüften. Ich sah ihm die Augen und musste meinen Kopf dazu anheben. „Ich hatte gehofft, du könntest heute mal blaumachen. Meinen Geburtstag zuliebe.“ Er beugte sich hinunter, doch bevor unsere Lippen sich berühren konnten, platze Noah dazwischen. „Klar. Kann sie heute aussetzen. Ich habe sowieso keine Zeit und sie müsste mit Adam trainieren und ich weiß nicht, ob sie schon so weit ist“ Ich war etwas enttäuscht, dass er dachte, ich wäre noch nicht bereit für Adam, doch einerseits war ich auch wieder froh, dass ich mal einen Tag frei hatte. Davids Hand lag immer noch auf meiner Hüfte und ich grinste zu ihm hoch. „Sieht so aus, als hätte ich Zeit.“ Im Augenwinkel konnte ich Noah grinsen sehen, als er wegging. „Gut“ David widmete sich wieder mir. „Dann geh nach oben und hol deine Badesachen“ ER zwinkerte mir zu, als meine Augen anfingen zu leuchten. Ich sprintete nach oben und packte alles zusammen, was ich benötigte. Endlich würden wir wieder zur Lichtung gehen. Unserer Lichtung. Gerade als ich halb aus der Tür stolperte, trat mir Adam in den Weg. „Wohin des Weges?“ Ich musste mein Gleichgewicht wiederfinden, sonst wäre ich direkt in ihn hineingekracht. „David und ich wollten spazieren gehen.“ Er blickte auf meine Tasche mit den Sachen. „Und dazu brauchst du eine ganze Reisetasche?“ Er übertrieb, denn ich hatte bloß eine größere Tasche genommen, um das Handtuch einzupacken. Ich versuchte mich an ihm vorbei zu drängen, doch er blockte mich ab. „Nur damit du es weißt. David ist ein sehr gutmütiger Mensch. Du kannst ihn vielleicht um den Finger wickeln, aber bei uns anderen funktioniert das nicht so leicht.“ Er kam mir sehr nahe, sodass ich seinen Atem auf meiner Wange spürte. Ich blieb standhaft und starrte in seine Augen. „Ich will niemanden um den Finger wickeln. Ich will nur mein Leben leben. Die anderen haben kein Problem mit mir und was du denkst ist mir relativ egal, also lass geh mir aus dem Weg, oder ich schrei das ganze Haus zusammen und vertrau mir, sie werden eher mir helfen als dir.“ Auch wenn mein Verhalten total kindisch war, steckte ich ihm die Zunge raus und schubste ihn leicht aus dem Weg, damit ich nach unten kam und endlich zum Badesee konnte. Mit David.

 

Es war immer noch genauso schön wie letztes Mal. Die Sonne schien leicht durch die Baumwipfel und der See glänzte vom Sonnenschein. David breitete die Decke aus und stellte den Korb mit den leckeren Essen darauf ab. „Eigentlich hätte ich den Korb machen müssen.“ Ich nahm das Brot und den Schinken heraus und belegte es sorgfältig. Davids Lächeln wärmte mein Herz. „Schon ok. Ich mach das gern.“ Er gab mir einen leichten Kuss auf die Wange. „Wieso tust du das?“ Er rückte etwas ab und sah mich an. „Wieso bist du so nett zu mir?“ Er kam wieder näher und legte seine Hand auf meine Wange. Ich konnte ihn nicht ansehen, weil ich Angst hatte, ich würde in Tränen ausbrechen, doch er drehte mein Gesicht so, dass unsere Augen sich trafen. „Du bist etwas ganz besonders, Evie. Und jeder der was anderes sagt, hat den Verstand verloren.“ Ich wollte ihm schon sagen, dass Adam nicht mal vor 20 Minuten, genau so etwas sagte. Mein ganzes Leben lang, wurde mir gesagt, ich sei etwas Besonderes, doch bisher wurde das nur ausgenutzt. David mochte mich wie ich bin. Er würde mich nicht ausnutzen. Er hat mir diesen Ort gezeigt, um mir etwas Gutes zu tun. Er tat es nur für mich und das war so Besonderes, dass ich es nicht in Wort fassen konnte. Ohne darüber nachzudenken, beugte ich mich vor und traf auf seine Lippen. Unser Kuss wurde immer intensiver und langsam ließ sich David nach hinten gleiten. Als ich auf ihm lag, spürte ich seine Muskeln unter mir bewegen und sein Herz schlug etwas schneller. Ich richtete mich auf und zog mein Tanktop aus. Sein Blick glitt von meinem Gesicht langsam nach unten. Er nahm seine Hand und strich mir langsam über die Oberschenkel. Da ich eine kurze Hose trug, spürte ich die Wärme, die von ihm ausging. „Du bist so schön“ Mir schoss die Röte ins Gesicht. Er sagte das nicht um mir ein Kompliment zu machen, denn in seinem Gesicht konnte ich komplette Aufrichtigkeit sehen. Er zog mich zu sich hinunter und küsste mich erneut. Wir drehten uns, sodass ich auf dem Rücken lag und er sich sein Shirt über den Kopf ziehen konnte. Wieder konnte ich die Narben sehen und dieses Mal berührte ich jede einzelne und ersetzte meine Hände durch meine Lippen, als ich sie sanft küsste. Er schloss seine Augen und sein leises Stöhnen turnte mich an. Er drückte mich nach unten und bewegte seine Finger abwärts. Er öffnete meine Shorts und zog sie über meine Beine. Langsam küsste er sich von meiner Halsbeuge, über meinen Bauch bis nach unten. Als er bei meiner Mitte ankam, konnte ich nur mit Mühe einen leichten Aufschrei verhindern. Seine Zunge glitt in mich und seine Hand wanderte zu meinen Brüsten. Ich krallte eine Hand in die Decke und die andere legte ich auf seinen Kopf. Mein Rücken krümmte sich, als ich kurz davor war, meine Lust hinauszubrüllen. Was konnte der Mann eigentlich nicht? David ließ von mir ab und ich zog ihn zu mir, sodass ich ihn küssen konnte. Mit einem geschickten Schwung drehte ich ihn auf den Rücken und sah ihm tief in die Augen. Mit einem geflüsterten „Alles Gute zum Geburtstag“ beugte ich mich unten und leckte über seine empfindliche Stelle. Ich hatte sowas noch nie gemacht, doch offensichtlich gefiel es ihm, da sein Stöhnen immer lauter wurde. Als ich immer schneller wurde stoppte er mich und nahm meinen Kopf in seine Hände. „Halt. Stopp“ Ich befürchtete ich hatte etwas falsch gemacht, doch er lächelte mich an. „Alles ok?“ Er drehte sich kurz um und holte aus dem Korb eine kleine Schachtel. „Ich will nicht, dass es so schnell vorbei ist.“ Er hob mich an den Hüften hoch und setzte mich neben sich ab. Ich erkannte die Schachtel Kondome, die er in dem Haus gefunden hat und wurde sofort wieder rot. Als er fertig war, nahm er mich sanft in den Arm und wirkte nervös. „Ist das in Ordnung?“ Ich küsste ihn als Beweis, dass es sowas von in Ordnung war. Ich nahm ihn in mich auf und spürte seine volle Größe in mir. Wir schlossen beide die Augen um den Augenblick zu genießen. Langsam fing ich an mich zu bewegen. Zuerst war es ganz zart und schüchtern, doch schon nach ein paar Minuten, wurden die Stöße immer wilder und härter. Wir gerieten beide ins Schwitzen doch das brachte uns nur mehr in Fahrt. Ich war froh, dass niemand in der Nähe war, denn unser Stöhnen, würde jedem die Schamesröte ins Gesicht treiben. Ich konnte ihn in mir zucken spüren und das trieb mich zu meinem endgültigen Höhepunkt. Erschöpft blieb ich auf ihm liegen und wir hatten beide ein breites Grinsen im Gesicht.

 

Wir waren viel zu erschöpft um Schwimmen zu gehen, daher verbrachten wir den Tag nur am Ufer und sonnten uns. David hatte sein Lieblingsbuch mitgenommen und las mir daraus vor. Ich lag auf seinem Bauch und hatte die Augen geschlossen. Ich genoss die Ruhe und lauschte dem leisen Rauschen des Wassers. Immer wieder küssten wir uns und konnten die Finger nicht voneinander lassen. Als es dunkel wurde, räumten wir die Sachen zusammen und machten uns auf den Heimweg. Wir schlenderten Hand in Hand durch den Wald. Ich ließ mich von ihm führen, da ich nicht wusste, wo wir langmussten. Plötzlich hörte ich ein Geräusch. Ich versuchte genauer hinzuhören, doch es war nicht mehr da. „Was ist los?“ David drehte sich zu mir um und wir blieben stehen. „Keine Ahnung. Ich dachte ich hätte was gehört.“ Er spitzte die Ohren und schüttelte danach den Kopf. Dann spürte ich einen Stich im Nacken. „Au“ David drehte mich um und wollte sehen, was mich gestochen hat. „Oh Verdammt!“ Auf einmal wurde ich ganz schläfrig und ich konnte nur noch sehen, wie David von einem kleinen Pfeil getroffen wurde, bevor alles dunkel wurde.

 

Mein Kopf fühlte sich an, als ob ein Gewitter darin wüten würde. Immer wieder kam ich zu mir, doch ich konnte nicht sehen wo ich war, denn alles um mich herum war schwarz. Ich konnte spüren, dass ich in einem Auto war, denn das Motorengeräusch summte in meinen Ohren. Was ist passiert? Was ist mit David. Ich konnte nur hoffen, dass es ihm gut geht. Ein kurzer Ruck signalisierte mir, dass wir anhielten. Ich konnte immer noch nichts sehen, aber ich nahm leise Stimmen wahr. "Er wird ausflippen, wenn er hört, dass wir sie im Kofferraum transportiert haben" Eine junge Stimme, die sehr verzweifelt klang. "Hättest du gewollt, dass sie mitten in der Fahrt aufwacht und uns den Kopf abreißt?" Als hätte ich jemanden den Kopf abreißen können. Ich konnte mich ja nicht mal richtig bewegen. "OK. Hol sie raus. Aber sei verdammt nochmal vorsichtig. Wenn sie schon aufgewacht ist, wird sie wahrscheinlich stinksauer sein." Ich wappnete mich für den Mann, der das Heck des Autos öffnete. Das Licht blendete und ich konnte das Gesicht vorerst nicht sehen, doch als er näher kam, blieb mir fast das Herz stehen. Er blickte mir direkt in die Augen und wusste, dass ich ihn erkannt hatte. "Na du. Hast du mich vermisst?" Marcs Zähne blitzen mir entgegen und meine Kraft kam mit einem Aufschrei zurück. Ich sprang aus dem Wagen und entledigte mich meiner Fesseln, die mir am Rücken angebracht worden waren. Marc war verängstigt, das konnte ich an seinem Blick erkennen. Gut so. Ich wollte seine Augen auskratzen und mit dem nächstbesten Gegenstand auf seinem Kopf einhämmern. Doch kurz bevor ich ihn erreichen konnte, ertönte ein Schuss hinter mir. Marc stand sofort stramm und auch der andere Mann, dem ich bis jetzt keine Beachtung schenkte, legte die Arme steif an seinen Körper. Meine Muskeln weigerten sich, hinter mich zu blicken, denn ich wusste genau, für wen dieses Verhalten galt. "Mein Liebling. Ich bin so froh, dich wieder zusehen. Du hast mir so gefehlt." Ich zwang mich eine selbstbewusste Haltung einzunehmen und drehte mich in die Richtung, aus der die Stimme kam, die ich mittlerweile so sehr hasste. Mein Vater stand mit verschränkten Armen, in einer Hand immer noch die Waffe haltend und konnte sein Grinsen kaum verbergen.

 

Kaum war ich richtig angekommen, sperrten sie mich in eine Zelle. Früher hatte ich ein eigenes Zimmer mit einem Bett, einem eigenen Bad und sogar eine Toilette. Jetzt hatte ich eine Toilette mit Ausblick. Was so viel bedeutete: Jeder der an meiner Zelle vorbeikam, konnte mich beim Pinkeln beobachten. Das sogenannte Bett bestand aus einer Matratze und einem Laken. Wie gemütlich! Sie ließen mich für ein paar Stunden allein, um mich wieder einzugewöhnen, meinten sie, aber ich wusste, sie wollten mich einfach nur schmoren lassen. Ich ging auf und ab und überlegte fieberhaft wie ich dieses Situation geraten konnte. Heute Morgen noch hatte ich mit meiner Familie am Frühstückstisch gesessen und gemeinsam gelacht. Dann hatte ich den allerschönsten Tag mit David verbracht und jetzt war ich hier. Wieder einmal eingesperrt in dieser Hölle. "Und wie geht es meinem Lieblingsmonster?" Marc hatte sich angeschlichen und stand nun direkt vor dem Gitter. "Es ging mir hervorragend, bis einer von euch Arschlöchern, mir einen Pfeil in den Nacken jagen musste." Meine Hände ballten sich zu Fäusten und aus meinem tiefsten Innern konnte ich ein Knurren spüren, das hinauswollte. "Dieses Arschloch war ich." Seine Zähne blitzten wie an dem Tag, an dem ich ihn kennenlernte. Ich wollte sie ihm alle ausschlagen. Meine Gedanken schweiften zu David. Konnte ich ihn danach fragen, oder wäre das zu gewagt? "Was genau ist passiert, Marc?" Meine Stimme klang ruhig, obwohl ich innerlich kochte. "Du denkst ehrlich, ich würde dir da erzählen?" eine kurze Pause entstand, als zwei Soldaten vorbeigingen und mir einen merkwürdigen Blick zuwarfen. "Ich hab dich gefangen genommen. Das ist das einzige was du wissen musst. Du hast versucht mich zu töten, du Schlampe! Nur leider hast du es vermasselt. So wie alles in deinem Leben" Ich sprang zum Gitter und stellte mit Genugtuung fest, dann er zurückzuckte. Feigling! "Sergeant Tanner!" Der Befehlston meines Vater ignorierte niemand. "Colonel" Marcs Hand schnellte zu seiner Stirn und salutierte. Meine Wut schritt ins unermessliche und ich konnte förmlich spüren wie meine Kraft anwuchs. Wir spürten alle, wie die Erde plötzlich leicht zu beben anfing. Ein Zeichen, dass die Nebler, die man im Institut gefangen hielt, in Aufruhr waren. "Gehen sie nach unten und sehen sie nach, was da los ist" Marcs Augen weiteten sich. "Nach unten, Sir? Zu diesen Dingern?" Mein Vater drehte seinen Körper ganz langsam zu ihm um. "Ja. Haben sie ein Problem damit, Sergeant? Oder wollen sie meine Tochter weiterhin beleidigen?" Marc salutierte erneut, drehte am Absatz um und verließ den Gang, in dem ich vorübergehend wohnte, allerdings nicht ohne einen hasserfüllten Blick auf mich zu werfen.

"Also. Evie. Wie geht es dir, mein Schatz?" Ich musste würgen und gleichzeitig empfang ich ganz tief in mir drin ein warmes Gefühl, da er wissen wollte, wie es mir geht. "Ich habe gehört, du hast in einem Haus gelebt? Mit fünf Männern?" Wie zum Teufel konnte er das wissen? Hatten sie mich beobachtet? "Ich habe dich schon seit langem im Auge meine Kleine. Schon seit Monaten haben dich ein paar meiner Jungs entdeckt. Doch wir wollten auf den richtigen Moment warten, bis wir dich holen kommen. Und dieser Moment war, als du vollkommen unvorsichtig warst, nachdem du mit diesem Riesen geschlafen hast." Oh mein Gott. Mein Kopf wurde puterrot. Doch nicht nur vor Scham, sondern hauptsächlich vor Wut. Wie konnte er es wagen, diesen Moment so in den Schmutz zu ziehen? Mein gesamter Körper bebte. Was war nur los mit diesen Leuten? Schon wieder konnte ich ein Zittern unter meinen Füßen spüren. "Deine kleinen Haustiere scheint irgendwas aufzuregen. Möchtest du nicht lieber nachsehen, bevor dein Samenspender noch draufgeht?" Der Blick meines Vaters war leicht amüsiert. "Dieser Vollidiot hatte seine Chance bei dir. So ein Nichtsnutz wird nicht der Vater meiner Enkel werden, darauf kannst du dich verlassen." Am liebsten hätte ich ihm ins Gesicht gespuckt, doch so wie ich ihn kenne, wäre es ihm vollkommen egal gewesen. "Ich habe jemanden viel Besseren für dich. Er ist groß, sieht gut aus und seine Gene sind einzigartig. Er ist der perfekte Spender. Du wirst ihn heute Abend beim Essen kennenlernen." Essen? Als könnte ich irgendetwas runterbringen, nachdem ich den Mann treffe, der mich bespringen soll, wie eine Zuchtstute. Ich wollte etwas sagen, doch mein Mund war so trocken, dass ich hustete, als ich den Mund öffnete. Mein Vater blickte mir tief in die Augen, drehte sich dann um und ging ohne ein weiteres Wort weg.

5. Kapitel

Fünf Minuten starrte ich auf die Stelle wo er stand und hoffte auf eine Erklärung dieses komischen Abgangs, als die Tür erneut aufging und ein Soldat erschien, denn ich noch nie zuvor gesehen hatte. Er hielt eine Flasche Wasser in der Hand und schmiss sie vor mir auf den Boden. "Der Colonel wollte, dass ich dir das bringe." Er machte sofort kehrt und murmelte noch. "Als ob er das nicht selbst erledigen konnte." Meine Neugier war geweckt. "Du magst ihn nicht besonders oder?" Der Soldat fror an Ort und Stelle ein. "Was?" Ich ging näher an das Gitter heran. "Den Colonel. Meinen Vater. Du kannst ihn offenbar nicht besonders leiden, nicht wahr?" Sein Gesicht nahm die Farbe einer Tomate an und er trat ganz dicht an meine Zelle heran. "Halt den Mund. Das ist nicht wahr." seine Zähne waren gebleckt und ich konnte die ekelhafte Mischung von Kaffee und Zigaretten in seinem Atem riechen. "Dann solltest du besser aufpassen, in wessen Gegenwart du flüsterst." Ich tippte auf mein Ohr und flüsterte. "Supergehör" und zwinkerte ihm zu. Er riss seine Augen auf. "Wenn du irgendjemanden davon erzählst, würdest du dir wünschen, dass ich dich in diesem Moment getötet habe." Unsere Blicke trafen sich, doch ich wusste, dass er mir nichts antun konnte, ohne selbst getötet zu werden. Mein Vater braucht mich noch. Er könnte mich foltern, mich wiederholt erschießen und erstechen, doch er würde mich nicht töten können, deshalb lächelte ich ihm ins Gesicht, "Danke für das Wasser!" Die Flasche ließ sich leicht aufdrehen und ich trank einen großen Schluck, dann drehte ich mich um und setzte mich auf meine Matratze. Mit einem wütenden Augenblitzen, verließ auch dieser Soldat meinen Gang. Ich war heute gut im Leute vergraulen. Vielleicht würde ich jetzt ein bisschen Ruhe haben.

 

Ich machte es mir gerade auf meinem Bett bequem, als die Tür, die zu meiner Zelle führte, erneut geöffnet wurde. Herein kamen zwei Frauen, die ungefähr in meinem Alter waren. Sie waren in Militäruniformen gekleidet und hatten beide einen strengen Pferdeschwanz. Sie würdigten mich keines Blickes, doch eine von ihnen holte einen Schlüssel aus ihrer Tasche und schloss die Zelle auf. Das war meine Chance. Ich wollte nach vorne sprinten und die, die mir am nächsten stand mit einem Kick aus dem Weg schlagen, als mir plötzlich ein schrecklicher Schmerz in den Nacken fuhr. Ich war Elektroschocks gewohnt, aber nicht, wenn sie so plötzlich kamen, an einer Stelle, die extrem empfindlich war. „Netter Versuch, du Mistgeburt.“ Die Blonde, die den Schlüssel trug, lehnte sich zu mir nach unten. Wann war ich auf den Boden gelandet? „Du ziehst das an und dann folgst du uns ganz brav und ohne Zicken, alles klar?“ Ich versuchte mich aufzurichten, doch der Schlag hatte meine Arme unfähig gemacht sich zu bewegen. Also nickte ich. Was hatte ich für eine andere Wahl?

Wenn ich nicht in so einer verzwickten Situation wäre, hätte mir das Kleid gefallen, dass sie mir brachten. Es war aus Seide. Eisblau, bodenlang und hatte einen offenen Rücken. Schuhe bekam ich keine, doch ich war sowieso gerne barfuß unterwegs. Viel einfacher zu rennen, wenn man nichts auf den Füßen trug.  Sie führten mich durch ein paar Gänge, die ich noch von früher kannte. Ich hatte Angst zu fragen, wohin wir unterwegs waren, doch ich konnte es mir ungefähr vorstellen. Mein Vater sagte, wir würden heute zusammen essen, also waren wir vermutlich auf den Weg in seine Kabine.

Die Räumlichkeiten waren nicht groß, aber bis ich 10 Jahre alt war, lebten wir hier gemeinsam. Damals als ich noch dachte, mein Vater würde sich wirklich etwas aus mir machen. Die äußere Tür führte direkt in Wohnzimmer, in dem eine große Couch, direkt vor dem Flachbildfernseher an der Wand stand. Der Esstisch war gleich dahinter und die Tür in die Küche befand sich links davon. Wenn man eintrat, waren links die Schlafzimmer und das gemeinsame Bad. Rechts war mein Kinderzimmer, dass vermutlich jetzt nur noch eine Abstellkammer war. Mein Vater stand in der Küche und rührte etwas in einem Kochtopf. Er war ein leidenschaftlicher Koch. Eine seiner sehr wenigen guten Eigenschaften. Als er mich sah, schweifte sein Blick über meinen Körper. Ich fühlte mich sichtlich unwohl. „Du siehst bezaubernd aus. Das Kleid steht die hervorragend. Das habt ihr sehr gut gemacht, meine Damen. Vielen Dank.“ Er sah hinter mich und erst da wurde mir bewusst, dass die zwei Schlangen noch hinter mir standen. Ich konnte nicht fassen, dass sie sich soeben verbeugt hatten und meinen Vater einen Blick zuwarfen, denn ich schon fast als Bewunderung empfand. Oder war es etwas Anderes? Jedenfalls verschwanden sie kurz darauf und ich war mit meinem Vater allein. Er leckte den Kochlöffel ab und streute noch etwas Salz in die Sauce, der er daraufhin wieder umrührte. „Du kannst dich ruhig setzen. Unsere Gäste werden jeden Moment kommen.“ Ich wollte nachfragen, wer noch aller auftauchen würde, doch meine Lippen wollten mir nicht gehorchen. „Ist das nicht schön?“ Er drehte sich zu mir und sah sich in dem gemütlichen Zimmer um. „Wir zwei wieder zusammen hier. Das weckt schöne Erinnerungen.“ Wohl eher schöne Lügen.

 

Ich konnte mich noch genau an den letzten Tag hier erinnern. Es war mein Geburtstag. Wir hatten gefeiert. Da ich Einzelunterricht erhielt, kannte ich kein Kind in meinem Alter, dass hier im Institut lebte. Also kam nur mein Vater, ein sehr guter Freund von ihm und Thomas. Thomas war mein Lehrer und bis zu diesem Tag auch mein bester Freund und Mentor gewesen. Wir aßen Kuchen und ich bekam ein neues Kleid geschenkt. Gleich am darauffolgendem Tag wachte ich in meiner Kammer auf. Das Zimmer, in dem ich bis zu meiner Flucht lebte. Ich weinte mich jeden Tag in den Schlaf, doch niemand kam um mich zu trösten. Nach ungefähr einer Woche kompletter Isolation, bis auf den Teller Essen, den ich zweimal täglich bekam., holten sie mich zu meinen ersten Tests. Intelligenz und Geschwindigkeit wurden wöchentlich durchgemacht. Da ich die Elektroschocks schon seit meiner frühen Kindheit ertragen musste, waren diese die weniger schmerzhaften Dinge, die sie mit mir machten. Ein Monat nach meinem Geburtstag, bekam ich die erste Kugel in den Kopf. Der Moment in dem die Kugel eintraf, spürte ich nichts. In jedem Film, wenn jemand in den Kopf geschossen wurde, starb er sofort und er hatte keine Schmerzen. Doch ich starb nicht. Ich hatte keine Ahnung, woher sie das wissen konnten, oder ob sie es einfach ausprobierten, doch nach ein paar Sekunden, bohrte sich die Kugel ihren Weg wieder nach draußen. Da begann der Schmerz. Ich konnte mich noch genau daran erinnern. Hattet ihr schon einmal das Gefühl, euer Kopf würde in der Mitte gespalten? Tja, ich schon. Ich wünschte mir, ohnmächtig zu werden um den Leiden zu entgehen, doch so viel Glück hatte ich nicht. Ich spürte alles. Ganze fünf Minuten dauerte es, bis die Kugel sich durch die Öffnung schob und meine Haut wieder verheilt war. Danach war nur noch ein roter Fleck zusehen. Drei Männer stürmten ins Zimmer inklusive meines Vaters und bewunderten das Wunderwerk, mit dem sie es zu tun hatten. MIR! Mein Vater gab ein Zeichen und die nächste Kugel fand ihren Weg in mein Hirn.

 

Es klopfte an der Tür und mein Vater wollte sich schon in Bewegung setzen um zu öffnen, da sprang ich auf und langte nach der Türklinke. Ob aus Neugier oder reiner Gewohnheit wusste ich nicht. Eine große Frau mittleren Alters stand mit erhobener Hand auf dem Flur und schenkte mir ein Lächeln als sie mich sah. Doch es konnte ihre Augen nicht erreichen, die mich durchbohrten wie Messerstiche. „Sie müssen Evie sein.“ Ich verstand nicht, warum ich sie noch nie gesehen hatte. Niemand kam neu ins Institut. Vor 25 Jahren riegelten sie das Gebäude ab und jeder Neuankömmling wurde sofort exekutiert. Doch da stand sie nun. Die blonde Frau, mit dem falschen Lächeln, die sich als Christine vorstellte. Ich hasste sie jetzt schon. Hinter ihr standen zwei Männer. Wie für zwei Soldaten üblich, mit strammen Schultern und die Beine zusammen. Einer war schon etwas älter, denn man konnte den leichten Grauschatten auf seinen sonst braunen Haaren erkennen. Er hatte grüne Augen und sah noch ziemlich gut aus, für sein Alter. „Hallo, Evie. Mein Name ist Jacob.“ Er reichte mir die Hand und sein Lächeln war definitiv echt. Neben seinen grünen bildeten sich kleine Fältchen. Unglaublich, dass hier mal jemand nett sein konnte. „Das ist Lucas. Mein Sohn.“ Der Jüngere trat einen Schritt näher und wirkte sehr nervös und angespannt. „Hallo“ Ich wollte meine Hand ausstrecken, als Christine uns unterbrach. „Wie lange wollt ihr denn noch dort draußen stehenbleiben? Kommt endlich rein. Wir haben alle Hunger.“ Ohne ein weiteres Wort, trat ich zur Seite und ließ sie hinein. Christine hatte sich bereits einen Platz genommen.  Den Stuhl direkt gegenüber meinem Vater. Ich setze mich neben ihn und wartete auf nächste Anweisungen.

 

Das Essen verlief ziemlich still. Jacob und Lucas sahen immer wieder zu mir. Ich dachte eigentlich irgendjemand würde mir Lucas richtig vorstellen, denn offensichtlich war er derjenige, den mein Vater ausgesucht hatte, um seine Nachkommen zu zeugen. Allein bei dem Gedanken wurde mir schon schlecht. Lucas sah nicht schlecht aus. Er war groß und sehr gut gebaut. Vermutlich war etwas jünger als ich. Er hatte blonde Haare und grüne Augen. Eine sehr außergewöhnliche Kombination, aber durchaus attraktiv. Mich störte nur die Tatsache, dass mein Vater über meinen Uterus bestimmen wollte. „Und Evie. Wie gefällt es dir in deinem neuen Zimmer?“ Christina lächelte mich von der Seite an und ich würde am liebsten alles vom Tisch fegen und ihr auf sehr nicht damenhafte Weise die Nase brechen. Doch ich lächelte zurück und erwiderte: „Danke Cheryl. Mir gefällt es ausgezeichnet. Es ist so schön offen und die Farbe Grau soll ja sehr modern sein.“ Ich konnte sehen wie Lucas und Jacob jeweils einen Mundwinkel nach oben zogen. Ich mochte die beiden seltsamerweise immer mehr. Christines Gesicht verrutschte einen kurzen Augenblick und dann kam das falsche Lächeln zurück. „Mein Name ist Christine. Und ich bin sehr froh, dass es dir gefällt. Ich habe selbst dafür gesorgt, dass du sicher ankommst und du dort gut untergebracht wirst.“ Also war sie die Schlampe, die mich abholen ließ. War ja klar. „Oh tut mir leid, Christina. Ich bin sehr schlecht in Namen merken, besonders von Zicken, die nicht wissen, wann sie den Mund halten sollen.“ Ich stopfte mir mein Essen in den Mund und brachte mein breitestes Grinsen zu Stande, als mein Vater die Gabel auf den Tisch knallte. „Evie. Es reicht. Du wirst dich gefälligst benehmen, sonst.…“ Ich sprang auf, wodurch mein Teller zu Boden fiel. Es war mir egal. Das Essen war sowieso ungenießbar. „Sonst was? Du sperrst mich in meine Zelle zurück und gibst mir Elektroschocks. Mein lieber Vater. Das hatten wir schon. Es ist mir verdammt nochmal scheiß egal, was du alles mit mir anstellen willst. Du kannst mich nicht töten und offenbar willst du das auch nicht, denn nein Musterknabe hier, soll mich ja schließlich schwängern.“ Meine Stimme wurde immer lauter. Lucas wurde kreidebleich, doch mein Vater hingegen, ließ meinen Wutausbruch offenbar an ihm abprallen. Doch ich war noch lange nicht fertig. „Wir können es gleich vor deinen Augen, hier auf den Tisch treiben. Oder willst du es in mein altes Zimmer verlegen, damit die Kameras alles mitbekommen und du es dir immer und immer wieder ansehen kannst, wie du deine eigene Tochter dazu zwingst, mit einem wildfremden zu schlafen, nur um deine Machtposition noch mehr auszubauen.“ Plötzlich bekam ich wieder einen Stromstoß in den Nacken. Doch ich war darauf vorbereitet. Ich sah Christine, die eine Fernbedienung in den Händen hielt. Meine Grenze war überschritten. Ich ignorierte den Schmerz und lief los, direkt auf das Gesicht, von dem Miststück zu. Meine Faust traf sie mitten ins Gesicht, wodurch sie nach hinten geschleudert wurde. Ein erneuter Stromschlag, doch Christine hatte die Fernbedienung nicht mehr. Ich war es gewöhnt, Schmerzen zu haben, also schlug ich weiter auf sie ein, ohne auf das mittlerweile sehr starke Ziehen zu achten. Ich ließ alles an ihr aus. Meine gesamte Wut und Verzweiflung steckte in jedem Schlag. Blut bedeckte meine Knöchel und Christines Gesicht war vollkommen zerbeult. Die drei Männer versuchten mich alle von ihr runter zu holen, doch ich wehrte mich nicht. Sie hatten nur eben nicht genug Kraft, um mich zufassen zu bekommen. Ein schriller Pfeifton holte mich aus meiner Trance und ich sah zum ersten Mal auf Christines Gesicht. Ihre Nase war auf jeden Fall gebrochen, doch auch die Augen sahen aus, als ob sie gleich rausfielen. Ihr Kiefer hing schief und ich konnte sehen, dass ich ihr mindesten zwei Zähne ausgeschlagen habe. Ich kämpfte mich von ihr runter und schnappte mir die Fernbedienung meines Elektroschockers. Verzweifelt kauerte ich mich in der nächsten Ecke zusammen und blickte auf drei sehr verstörend aussehende Männer. Mein Vater war der erste, der wieder zu sich kam. Er trat näher zu Christine und untersuchte ihr Gesicht. „Lucas. Geh und hol den Arzt. Los, beeil dich.“ Lucas löste sich aus seiner Starre und rannte los. Jacobs Blick galt mir. Es kam mir vor, als würde er Mitleid empfinden. Aber ich war doch nicht diejenige, die vollkommen gebrochen auf dem Boden lag. Seine Hand zuckte, so als wollte er sie nach mir ausstrecken, doch vielleicht bildete ich mir das Ganze nur ein. Als mein Vater aufstand und mich ansah, erwartete er vermutlich eine Entschuldigung, oder etwas Ähnliches. Doch es tat mir nicht leid. Sie war diejenige, die mich von David und meiner Familie weggeholt hatte. Sie war schuld daran, dass ich wieder in dieser Hölle festsaß. Vermutlich war es der Befehl meines Vaters, aber sie hatte ihn ausgeführt. Er kam auf mich zu und kniete sich vor mir nieder, um mir in die Augen zu sehen. „Ich bin sehr enttäuscht von dir, Evie. Ich dachte du hättest dich mehr unter Kontrolle.“ Sein Blick schweifte ab, doch kurz bevor er aufstand, spuckte ich ihm ins Gesicht. Dieses Schwein hat kein Recht, so etwas zu sagen. „Ich habe mich verdammt gut unter Kontrolle, vertrau mir. Wenn du wüsstest, was ich in der Zwischenzeit gelernt habe, würdest du mir nicht einfach so den Rücken zukehren.“ Mit einem schiefen Grinsen wandte mein Vater sich wieder zu mir. „So, so. Du hast also etwas Neues gelernt. Das ist aber sehr interessant. Würdest du mich dann vielleicht einweihen?“ Was war nur los mit mir? Wieso musste ich so angeben? Ich kannte meinen Vater. Er würde sich nicht einschüchtern lassen, doch mein Mund hielt einfach nicht die Klappe. „Mach das Licht aus und ich zeige dir ein paar neue Tricks.“ Er wirkte leicht verwirrt, doch er wäre nicht so dumm, dass auszuprobieren. Die Tür wurde aufgerissen und Lucas kam mit einer kleinen Frau herein, die einen Kittel trug. Vermutlich die Ärztin. Sie sah sich im Raum um und wollte schon auf mich zugehen, als sie Christine am Boden liegen sah und auf sie zustürmte. „Was ist passiert?“ Niemand antwortete ihr, also übernahm ich das Reden. „Ich habe sie verprügelt, weil sie mich mit einem Stromschlag außer Gefecht setzen wollte.“ Die Ärztin sah mich bestürzt an. Was war nur mit den Leuten los, dass sie plötzlich alle Mitgefühl zeigten. Sie untersuchte Christines Gesicht und kam zu dem Schluss, dass sie in den Krankenflügel gebracht werden musste.

 

Als wieder etwas Ruhe einkehrte, brachten mich mein Vater, Jacob und Lucas in meine Zelle zurück. Jedenfalls dachte ich das, doch als wir an dem Flur vorbeigingen, in dem meine Behausung war, gingen wir einfach weiter. Dann erkannte ich den Weg. Wir gingen zu meinem ehemaligen Zimmer. Ich hatte es noch genau in Erinnerung. Weiße Wände, ein großes Bett, daneben ein Nachtkästchen. In der Ecke ein kleiner Tisch, mit zwei Stühlen. Die Tür gegenüber führte in das kleine Badezimmer. Der einzige Ort, in dem keine Kameras waren. Jacob und mein Vater gingen voraus und betraten als erster den sterilen Raum. Lucas blieb hinter mir und ging auf Abstand. Hatte er Angst, ich würde ihn angreifen? Unter allen Anwesenden, wäre er der letzte, der in Gefahr schwebt.

Mein Vater stand vor meinem Bett als ob er in Erinnerung schwelgen würde. Für mich waren dies jedoch keine schönen Erinnerungen. Viel zu oft, lag ich nur da und spürte meinen Körper kam, da er zuvor zerschossen, zerstochen oder elektrisiert wurde. „So! Wir lassen euch Zwei einmal kurz allein, damit ihr euch etwas kennen lernen könnt!“ Mein Vater drehte sich um und deutete mit einer ausladenden Geste auf mich und Lucas. Ohne das einer von uns noch etwas sagen konnte, gingen die zwei Älteren hinaus und wir waren allein. Meine Hände begannen zu  zitterten, während Lucas sich umsah, wodurch er noch mehr Abstand zwischen uns brachte. „Wie alt bist du, Lucas?“ Er erschrak für einen kurzen Augenblick und führte dann sofort seine Begutachtung weiter. „Ich bin gerade 20 geworden!“ Da hatte ich meiner Vermutung nicht so danebengelegen. Lucas setzte sich auf einen Stuhl und fing an seine Hände zu kneten. Er war nervös. Aber warum? Er wich geschickt meinen Blicken aus, doch so leicht ließ ich mich nicht abschütteln, also setzte ich mich direkt vor ihm auf den Boden, sodass er gezwungen war, mich anzusehen. „Hast du eine Ahnung was die vorhaben?“ Seine Fingerknöchel traten mittlerweile schon weiß hervor, weil er seine Hände so fest umklammert. Sein Gesicht wurde rot und er fing an stoßartig zu atmen. Ich hatte Angst, er würde eine Panikattacke bekommen, also stand ich auf und ließ mich auf den Stuhl ihm gegenüber nieder. „Lucas?“ Ich wartete bis er sich beruhigt hatte und mich ansah. „Du sollst wissen, dass du nichts tun musst, was du nicht willst.“ Ich wollte es schließlich auch nicht tun, aber mich würden sie dazu zwingen. Dieser arme Kerl mir gegenüber hatte damit nichts zu tun. „Das ist es nicht!“ Ich war verblüfft, dass seine Stimme immer noch so tief und selbstbewusst klang. „Erzähl mir was von dir!“ Sein Kopf schoss nach oben und seine Augen fanden meine. „Was meinst du?“ Ich lehnte mich zurück und machte es mir bequem. „Sie sagten, wir sollen uns kennen lernen. Also, Lucas. Was für Hobbys hast du?“ Hier im Institut gab es nicht viele Möglichkeiten einem Hobby nachzugehen, doch ein paar Dinge gab es schon, worauf man sich freuen konnte, wenn der Arbeitstag vorbei war. „Ich lese gern.“ Ok. Ich muss zugeben, dass mich das überraschte. Er sah überhaupt nicht so aus, als würde er sein Gesicht in seiner Freizeit gern in Bücher stecken. „Und was zum Beispiel?“ Lucas schien etwas lockerer zu werden. „Ich mag Thriller und Krimis.“ Ich hatte das Gefühl, dass da noch mehr war, aber ich wollte ihn nicht bedrängen. „Außerdem spiele ich gern Fußball. In der Halle kommen immer ein paar zusammen und dann spielen wir.“ Ich war schon öfter in dieser Halle. Doch niemals um zu spielen. „Frank meint, dass es wichtig wäre, wenn wir…“ Er brach ab und ich konnte mir genau vorstellen, wie der Satz zu Ende ging. Wenn wir miteinander schlafen würden, um meinem Vater den perfekten Nachkommen zu schenken. Ich hatte noch nie jemanden den Namen meines Vaters aussprechen hören. Für alle anderen war er immer nur der Colonel und nicht Frank. Jacob und er mussten wirklich gute Freunde sein, wenn sogar sein Sohn in mit seinem Vornamen ansprechen durfte. „Wie ich schon sagte, du musst nichts tun, was du nicht willst.“ Lucas schüttelte den Kopf und legte beide Hände auf den Tisch. „Ich muss aber!“ Sein Blick war verzweifelt und hilfesuchend. Ich verstand den Zusammenhang dazu nicht. Dann sackte sein Kopf nach unten und ich konnte ihn leise schluchzen hören. „Das würde alles so viel einfacher machen!“ Mein Instinkt befahl mir einfach sitzen zu bleiben, doch meine Gefühle trieben mich dazu, aufzustehen und Lucas in den Arm zu nehmen. „Es tut mir leid. Ich weiß zwar nicht was du durchmachst, aber ich versichere dir, dass durch diese Sache nichts einfacher wird. Es würde alles nur komplizierter machen und gefährlicher.“ Seine Tränen versiegten und er sah mich an. „Was meinst du damit?“ Ich hatte keine Ahnung ob uns jemand belauschen würde, doch es war mir egal. „Wenn ich ein Kind bekommen würde, egal von wem, würde mein Vater noch mehr Machte bekommen. Vertrau mir. Er würde das Kind zu einer Killermaschine ausbilden. So wie er es schon bei mir versucht hatte. Doch ich bin noch zu menschlich, als dass er mich kontrollieren könnte. Doch das Kind wäre formbar, ab dem Zeitpunkt an dem es geboren wird. Verstehst du das, Lucas? Wenn ich schwanger werde, wird mein Vater unaufhaltsam und niemand kann ihn mehr aufhalten. Ich muss das verhindern.“ Er gab mir mit einem Nicken ein Zeichen, dass er verstand. Ohne zu Zögern, stand er auf und schleifte mich ins Badezimmer. „Hier hören sie uns nicht.“ Ich wusste, der Junge wäre schlau. „Was willst du unternehmen?“ Ich zögerte kurz. Sollte ich ihm wirklich vertrauen? Oder war er nur ein weiterer Lügner wie Marc, oder mein Vater? Er bemerkte meinen Widerwillen und schloss für einen kurzen Moment die Augen. „Ich hasse es hier. Niemand versteht mich. Mein ganzes Leben lang, musste ich mitansehen, wie diese Geschöpfe gequält und misshandelt wurden. Wie du misshandelt wurdest!“ Ich zuckte zurück, als er seine Hand nach meiner Wange ausstreckte. Ich wusste er wollte mich trösten, doch ich traute ihm immer noch nicht ganz. „Ich will das beenden. Doch ich habe keine Ahnung wie.“ Da wären wir schon einmal zwei. „Ich muss hier irgendwie raus, Lucas.“ Er begann auf und ab zu laufen. „Ok. Ich habe vielleicht eine Idee. Nur die ist ziemlich riskant.“ Riskanter als ein Messer zu verstecken, durch die Lüftungsschächte zu kriechen und einen Marathon mit nichts als einen Fetzen am Leib und ohne Wasser zu laufen?

„Ich bin dabei!“

 

Die nächsten paar Tage verbrachte ich in meinem Zimmer. Allein. Bis auf den täglichen Kontakt mit meinem Essenslieferanten, bekam ich niemanden zu Gesicht. Nach ungefähr einer Woche, klopfte ein bekanntes Gesicht an meine Zimmertür. Es war Jacob, in Begleitung einer im weißen Kittel gekleideten Frau. „Hallo, Evie. Mein Name ist Tamara und ich würde gerne ein paar Untersuchungen durchführen, wenn es dir nichts ausmacht.“ Ich war sehr misstrauisch, doch ich wurde bisher noch nie danach gefragt, ob man mich untersuchen durfte. Ich nickte, doch mein Blick blieb wachsam. Jacob stand hinter ihr und beobachtete ihre Handgriffe genau. Tamara nahm mir Blut ab und machte ein paar Reaktionstest. Plötzlich stellte sich Jacob direkt hinter mich und flüsterte mir ins Ohr. „Lucas hat gesagt, du möchtest abhauen?“ Mein Rücken versteifte sich und ich bekam keine Luft mehr. Wieso hatte Lucas mich verraten? Ich dachte ich könnte ihm trauen? „Wir werden dir helfen!“ Gerade als ich mich umdrehen wollte, hielt Tamara meine Hand fest und schüttelte den Kopf. „Ich steh mit dem Rücken zur Kamera. Niemand wird sehen, was ich dir sage, als verhalte dich ganz ruhig, ok? Nicke, wenn du verstanden hast?“ Ich verstand rein gar nichts, doch ich nickte ganz langsam und vorsichtig, um keine großen Bewegungen zu machen. „Gut. Tamara wird dafür sorgen, dass du jemanden triffst, der sehr wichtig für dich sein wird. Wenn ich es dir jetzt genauer erzählen würde, würdest du nicht mehr ruhig bleiben, deshalb beschränke ich mich auf das Wesentliche. Nachdem du bei dieser Person warst, wird ein Alarm losgehen, da ich die Gefangenen freilassen werde.“ Gefangenen? Er meinte doch nicht die Nebler, oder? „Das wird für genug Ablenkung sorgen, dass Lucas dich rausholen kann und wir alle hier verschwinden können. Tu einfach nichts Blödes in der Zwischenzeit, dann müsste alles glatt laufen ok?“ ich nickte noch einmal ganz vorsichtig. Am liebsten wäre ich ihm um den Hals gefallen, doch ich konnte mich gerade noch beherrschen, als die Tür erneut aufging. Lucas kam herein, gefolgt von meinem Vater. „Und? Alles in Ordnung, Doc?“ Frank beugte sich über meinen Arm, wo das Pflaster, der Blutabnahme klebte. „Natürlich. Sie ist vollkommen gesund und bereit für die Empfängnis.“ Mein Würgereiz meldete sich wieder. „Großartig! Lucas, du kannst deine Sachen einfach in die Ecke stellen.“ Erst jetzt bemerkte ich die Tasche, die Lucas über der Schulter trug. „Warum hier abstellen? Welche Sachen?“ Ich klang leicht verzweifelt, denn ich wollte wissen, was hier vor sich geht. „Lucas wird bis auf weiteres hierbleiben. Damit ihr euch aneinander gewöhnen könnt. Ich hörte, dass es sehr hilfreich sei, wenn du dich wohl fühlst und ich bin mir sicher, Lucas wäre das auch sehr recht. Nicht wahr, mein Junge?“ Lucas nickte und sah dabei aus wie ein verprügelter Welpe. Ich klammerte mich an die Hoffnung, dass wir ausbrechen konnten, bis der Geduldsfaden meines Vaters riss. „Also, wenn es nichts Weiteres gibt?“ Mein Vater machte auf dem Absatz kehrt, doch Tamara kam ihm dazwischen. „Da wäre doch etwas, Frank!“ Schon wieder jemand, der meinen Vater mit seinem Namen ansprach. Sehr merkwürdig! „Ja?“ Tamara ging an mir vorbei und flüsterte Frank etwas ins Ohr. Dieser nickte und bekam ein merkwürdiges Leuchten in den Augen. „Das ist eine hervorragende Idee. Ich werde es gleich einrichten lassen.“ Jacob und Tamara sahen sich an und ich konnte spüren, dass es etwas mit dem Fluchtplan zu tun hatte. Ich ließ mir nichts anmerken und drehte mich zu Lucas um, um ihm beim Auspacken zu helfen. Hinter uns hörten wir die Tür ins Schloss fallen und wir waren wieder einmal allein.

 

„Das ist doch alles bescheuert“ Ich schüttelte die Unterhose ab, die ich gerade aus Lucas Tasche gefischt hatte und lehnte mich an die Wand hinter mir. „Tut mir leid.“ Lucas hob das Stück Stoff vom Boden auf und legte es sorgsam zusammen, um es dann in eine Schublade neben dem Bett zu räumen. „Du kannst doch nichts dafür. Es ist mein Vater. Frank!“ Ich versuchte diesen Namen mit so viel Gift wie möglich auszusprechen, doch ich fühlte mich deshalb nicht besser. „Ich wusste, dass er keine Skrupel hat, mich zu verletzen, doch dass er einen unschuldigen Jungen da mit reinzieht, geht doch echt zu weit.“ Lucas stellte sich breitbeinig vor mich. „Hey. Ich bin kein unschuldiger Junge, alles klar?“ Ich hob die Hände um mich zu schützen, doch ein Grinsen kam mir über die Lippen. „Also dann bist du keine Jungfrau mehr, stehst nicht auf Männer und hast schon einmal jemanden umgebracht?“ Lucas wurde vom Scheitel bis zur Sohle vollkommen blass. „Woher…. Was?“ Ich ging zu seiner Reisetasche und zog ein Magazin heraus, dass sehr eindeutig war. „Am Anfang war es nur ein Verdacht. Doch als ich das unter deiner Unterwäsche sah, wusste ich Bescheid.“ Er entriss mir die Zeitschrift und versteckte sie in der selben Lade, in der auch seine Unterhosen lagen. Er konnte mich nicht ansehen, doch ich ging auf ihn zu und legte ihm meine Hand auf die Schulter, was gar nicht so einfach war, denn er war fast so groß wie David. „Ist schon ok. Ein sehr guter Freund von mir steht auch auf Männer. Hast du das gemeint, als du sagtest, es würde alles einfacher machen?“ Er nickte und drehte sich langsam zu mir um. „Lucas. Wenn du so empfindest, wird es durch Sex mit einer Frau nicht anders werden. Du wirst dich nur selbst hassen. Vertrau mir. Ich spreche aus Erfahrung.“ Er nahm meine Hände in seine und sah mir direkt in die Augen „Heißt das etwa, du stehst auf Frauen?“ Wie bitte? „Was? Nein. Das hatte ich nicht gemeint. Ich hatte Sex mit jemanden, dem ich nicht vertrauen hätte sollen. Was ich allerdings erst danach rausfand.“ Lucas wirkte leicht enttäuscht, doch ich schnappte ihn und führte ihn ins Badezimmer, um ungestört zu reden. „Dein Vater hat mir von eurem Plan erzählt, also wird es nicht mehr lange dauern, bis wir hier raus sind. Hoffentlich.“ Ich hatte immer noch ein ungutes Gefühl, dass irgendwas gehörig schief gehen könnte.

 

Lucas und ich blieben bis spät in die Nacht auf und erzählten uns Geschichten. Er, vom Institutsleben, dass ich nie hatte und ich ihm, von den Erlebnissen draußen. Warum hatte ich ihn nicht früher kennen gelernt, dann wäre das Leben hier im Institut nicht ganz so schrecklich gewesen, naja wenn man die Folterungen mal weglassen würde.
Am Morgen klopfte Lucas gegen die Tür um dem Wachmann Bescheid zu geben, dass er zur Arbeit musste. Er unterrichtete jüngere Soldaten im Schießen und Nahkampf. Ich verstand nicht, warum sie hier immer noch so viele Soldaten brauchten, da es ja niemanden mehr gab, den sie bekämpften mussten. Nun ja. Zumindest nicht mehr allzu viele. Ich verbrachte den Tag damit, die Bücher zu lesen, die Lucas mitgenommen hatte und ein paar Wurfübungen mit dem Ball zu machen. Es war eine willkommene Abwechslung endlich mal etwas in diesem Zimmer zu haben, dass nicht dazu dient mich zu quälen. Das heutige Mittagessen würde sicher wieder aus Suppe und Brot bestehen. Natürlich brachten sie mir nichts mehr, wozu man ein Messer benötigte. Auf die Idee, dass ich auch mit einem Löffel den Lüftungsschacht öffnen konnte, kamen sie nicht. Allerdings brauchte ich kein Hilfsmittel. Wenn alles glatt läuft, käme ich noch heute hier raus und niemand wird verletzt. Hoffentlich. Dieses komische Gefühl überschlich mich schon wieder, dass irgendetwas schief gehen wird. Da ich keine Uhr in meinem Zimmer hatte, wusste ich nicht, wie viele Zeit vergangen war, als meine Tür, wieder einmal, ohne Klopfen, geöffnet wurde. Ich hoffte darauf, dass Lucas mit seiner Arbeit fertig war und wir uns wieder etwas unterhalten konnten, doch ich war etwas voreilig. Herein kam ein älterer Mann, mit grauen Haaren und weiß blitzenden, perfekten Zähnen. Sein falsches Lächeln konnte ich genauso wenig ausstehen, wie das schreckliche Eau de Toilette, dass er trug.  „Guten Morgen, Evie!“ Guten Morgen? War wirklich so wenig Zeit vergangen, als Lucas aus der Tür marschierte? Oder war der alte Knacker erste jetzt aufgestanden. „Wie spät ist es?“ Er kam näher und setzte sich auf den Stuhl der mir am nächsten stand. Ich saß am Boden und schoss Lucas Ball immer wieder gegen die Wand. „Es ist 10 Uhr, meine Liebe!“ Verdammt. Also doch kein Langschläfer. „Wie geht es dir heute?“ Ich bin gelangweilt, am verhungern und am liebsten würde ich jedem einzelnen von euch den Hals umdrehen. Eigentlich wollte ich ihn zur Hölle wünschen, doch um meinen Aufenthalt nicht ungemütlicher zu machen, als er ohnehin schon ist, brachte ich nur ein einfaches „Mir geht’s gut“ über die Lippen.
Er beugte sich vor und ich hatte Angst, dass er gleich vom Sessel fallen würde. Seine Augen wanderten über meinem gesamten Körper und ich bekam ein sehr ungutes Gefühl. „Ich habe jemanden für dich mitgebracht, Evie.“ Das Lächeln, dass er aufgesetzt hatte, zeigte nichts von Wärme oder Freundlichkeit. „Bringt sie rein.“ Der Wachmann, der immer hinter meiner Tür stand, trat ein, mit einer sehr alten Dame. Sie war sehr kleine, hatte weiße Haare, die ihr bis zu den Hüften reichten und strahlende grüne Augen. Als sie mich sah, dachte ich für einen kurzen Moment sie würde mich kennen, doch ich habe diese Frau noch nie in meinem Leben gesehen. „Hier, Grace. Nimm Platz.“ Der fies-grinsende Typ bot ihr seinen Platz an und ging dann mit dem Wachmann nach draußen. „Ihr habt euch sicher viel zu erzählen.“ Ich trat einen Schritt zur Tür und wurde prompt abgeblockt. „Was meinen sie damit? Was soll das? Wer ist das?“ Ich versuchte zu flüstern, doch meine Aufregung ließ mich immer lauter werden. „Oh meine Liebe!“ Die Stimme kam mir seltsam vertraut vor, doch ich hasste es, wenn jemand so mit mir sprach. Die alte Frau stand wieder auf und wirkte plötzlich gar nicht mehr so zerbrechlich. „Ich bin deine Großmutter!“

 

 

6. Kapitel

 Großmutter? Was… zur…Hölle? Ich starrte die alte Frau an und konnte nicht glauben, was gerade aus ihrem Mund kam. Mein Hirn sagte mir, ich solle den Mund aufmachen, doch mein Körper war erstarrt. Wer war diese Frau? War sie wirklich meine Großmutter, oder war das wieder ein Trick meines Vaters, der mich quälen sollte. Doch was würde ihm das bringen? „Geht es dir gut, mein Liebes?“ Schon wieder dieses Wort. „Hören Sie auf das zu sagen!“ Ihr Blick wurde weich und ich bekam Schuldgefühle. „Es tut mir leid. Ich kann es einfach nicht glauben, dass  Sie… du mir gegenüberstehst!“ Ihre Augen strahlten eine solche Wärme aus, dass es mir fast das Herz zerriss. War das echt? „Wer sind sie?“ Sie klopfte auf den Stuhl neben sich und ich folgte ihrem Bitten, allerdings sehr langsam und vorsichtig. „Ich bin deine Großmutter. Mein Name ist Grace und ich bin die Mutter deiner Mutter.“ Ok jetzt wusste ich, dass das alles nur Show war. Mein Mund zuckte zu einem Lächeln, doch es erstarb als ich die nächsten Sätze hörte. „Der Name deiner Mutter war Ella. Du siehst ihr so unglaublich ähnlich. Bis auf die Haare. Ihre Mähne war feuerrot und ihre Augen waren genauso grün wie meine.“ Meine Mutter? Das war nicht möglich. Entweder diese Frau war senil, oder eine wirklich gute Schauspielerin. „Meine Mutter ist ein Nebler. Sonst wäre ich nicht das, was ich bin. Ein Hybrid.“ Sie streckte ihre Hand aus, um nach meiner zu greifen, doch ich zog sie zurück. „Deine Mutter war nicht immer ein Nebler, musst du wissen.“ Was redet diese alte Schachtel da? „Was sollte sie sonst gewesen sein?“ Ich konnte sehen, wie ihre Finger zuckten. Warum wollte sie mich unbedingt berühren? „Sie war ein Mensch. Genau wie ich.“ Ich sprang auf und musste mich gleich am Tisch festhalten um nicht umzukippen. „Wie bitte? Das geht doch gar nicht“ Oder? Dieses Mal ließ ich es zu, dass sie meine Hand nahm. „Du weißt es nicht oder?“ Sie schloss die Augen und schüttelten langsam den Kopf. Dann fuhr sie fort. „Alle Nebler waren einmal Menschen, Evie. Sie wurden dazu gemacht“ Mein Magen breitete sich ein fetter Knoten aus. Geradeso schaffte ich es ins Badezimmer und übergab mich in der Toilette. Was geht hier nur vor sich? War das alles real? Träumte ich immer noch? Ich lehnte meinen Kopf an den kalten Fußboden und atmete langsam ein und aus, um meinen Magen zu beruhigen. „Ich versteh das nicht. Meine Mutter war ein Mensch? Heißt das mein Vater hat sie verwandelt?“ Allein es auszusprechen, klang schon bescheuert. Ich konnte Grace hinter mir hören, als sie sich mir näherte. „Deine Eltern waren verheiratet, Evie. Sie haben sich geliebt. Naja zumindest tat Ella es.“ Ich hob meinen Kopf leicht an und sah sie an. „Ich verstehe das nicht. Wie konnte ich dann so werden, wenn sie doch ein Mensch war?“ Meine Augen brannten wegen der Tränen, die ich zurückhielt. „Als sie sie abholten um ihr das Serum zu spritzen, wusste es niemand. Sie hatte es deinem Vater zu der Zeit noch nicht gesagt.“ Jetzt konnte ich die Tränen nicht mehr stoppen. Sie flossen über meine Wangen und tropften auf dem weißen Marmorboden. „Sie war bereits schwanger. Mit dir.“ Hätte ich noch etwas im Magen, würde ich mich erneut übergeben. Mein ganzer Körper zitterte. Ich war wütend. Ich war verwirrt und am Boden zerstört. Wie konnte er das zulassen? Wie konnte er der Frau, die er angeblich liebte, so etwas antun. Wusste er denn nicht, was aus ihr werden würde? „Er hat es gewusst, Evie!“ Hatte ich das gerade laut ausgesprochen? „Er wusste was passiert und hat es nicht verhindert.“ Das nächste sprach sie eher zu sich selbst. „Ich konnte dieses Schwein noch nie leiden.“  Ich versuchte diese Gedanken aus meinem Kopf zu schütteln, doch als Grace sich zur mir hinunterbeugte, konnte ich sehen, dass sie Tränen in den Augen hatte. „Es tut mir so leid, mein Kind“ Ich stand auf und ging aus dem Badezimmer. Mir wurde es dort drin allmählich zu eng. „Ich habe gehört, was sie mit dir gemacht haben. Du musst schrecklich gelitten haben.“ Ja das habe ich definitiv. Doch nichts schmerzte so sehr, wie zu wissen, dass die eigene Mutter in ein Monster verwandelt wurde. Und meinem Vater war es egal. „Wie alt war sie?“ Grace kam langsam auf mich zu und setzte sich wieder auf den Stuhl. Vermutlich wurde ihr das Ganze zu anstrengend. „Sie war 20 Jahre alt, als sie mit dir schwanger war. Dein Vater war 25.“ Sie waren beide noch so jung. Meine Hände zitterten, doch ich versuchte stark zu bleiben. „Wie war sie so? Meine Mutter.“ Das warme Lächeln, dass in Grace Gesicht entstand, erinnerte mich an mein eigenes, wenn ich es im Spiegel sah. „Dein Gesicht sieht aus wie ihres. Die vollen Lippen und die hohen Wangenknochen hast du definitiv von ihr. Allerdings war ihre Nase ein bisschen größer als deine.“ Sie tippte auf meine Nasenspitze und ich konnte sehen, wie ihre Schultern sich leicht hoben als sie lachte. „Sie war warmherzig und brachte jeden zum Lachen. Schon als Kind erstrahlte jeder Raum, wenn sie ihn betrat.“ Ich konnte sehen, wie sehr sie meine Mutter liebte. „Vermisst du sie?“ Ihre Augen wurden glasig, als sie meine trafen. „Jeden Tag.“ Ohne zu zögern, stand ich auf und umarmte sie. Ich wusste nicht warum, doch ich fühlte mich in ihrem Armen seltsam geborgen. Sie erzählte mir von dem Plan von Jacob und Lucas und wie ich ihn ausführen konnte.  Es war riskant, doch ich würde alles tun, um sie nicht zu enttäuschen.

 

Die Tür schwang auf und zwei Soldaten traten ein. „Die Zeit ist um.“ Ich konnte mich gerade noch aus der Umarmung lösen, als sie Grace schon auf die Füße zerrten und sie mitnahmen. „Vergiss nicht, was ich dir erzählt habe, mein Kind. Du bist ihre einzige Hoffnung.“ Bevor die Tür ins Schloss fiel, trat mein Vater ein und mein erster Impuls war es, ihm meine Faust direkt in sein blödes Gesicht zu schlagen. Er ahnte den Akt voraus und prompt landete ich auf den Rücken, meine Glieder verkrampften sich wegen des Stromschlags. War er stärker geworden? „Du bist so vorhersehbar, Kleines!“ Meine Glieder entspannten sich allmählich, doch mir tat immer noch alles so weh. Meine kurze Zeit in der Freiheit hatte mich ziemlich verweichlicht.

 „Was hat sie dir erzählt?“ Er schüttelte den Kopf. „Sie hatte schon immer eine rege Fantasie. Ich hoffe, du erhoffst dir nichts von dem, was sie gesagt hat?“ War er so zerfressen von seiner Machtgier, dass er mir nicht mal diesen Hoffnungsschimmer ließ. „Sie hat mir von meiner Mutter erzählt!“ Seine Augen nahmen kurz einen weichen Ausdruck an, doch nach nur einer Sekunde verschwand er wieder. „Was genau hat sie dir gesagt?“ Mein Lächeln blieb kalt, doch ich wollte, dass er spürt was er mir antat, deshalb ließ ich meinen Tränen freien Lauf. „Das sie ein Mensch war. Das du sie geliebt hast und sie danach verraten hast. Du hast mich mein gesamtes Leben angelogen, du Bastard!“ Das letzte Wort schrie ich ihm entgegen. Ich konnte ihn nicht verletzen, doch meine Schimpfwortpalette hatte sich durch Adam wesentlich erweitert. „Na Na. Jetzt wollen wir mal nicht ausfällig werden.“ Dieses Mal lachte ich wirklich. Ausfallend? Er hatte mich noch nicht richtig fluchen gehört. Ich hatte mittlerweile Ausdrücke drauf, da würde selbst ihm die Schamesröte ins Gesicht steigen. Ich spuckte ihm ins Gesicht und spürte eine gewisse Genugtuung als er leicht zurückzuckte. „Ok. Es reicht, Evie. Ich kann nicht glauben, wie du dich verhältst. Was haben die das draußen mit dir gemacht, dass du so geworden bist?“ Ich quälte meine schmerzenden Glieder hoch und stellte mich, bereit für den nächsten Stoß, aufrecht hin. „Sie haben mir das gegeben, dass du mein ganzes Leben lang vor mir versteckt hast. Eine Familie.“ Meine Erinnerung schweifte etwas ab. „Ich fühlte mich zum ersten Mal in meinem Leben sicher und geliebt. Ein Zustand, den du niemals erreichen wirst.“ Er trat einen Schritt näher und wollte die Hand nach mir ausstrecken. „Wenn du mich nur einmal anfasst, dann schwöre ich dir, wirst du das bereuen.“ Seine Hand hing wieder neben seiner Seite und er wirkte leicht bedrückt. Doch ich war noch lange nicht fertig. „Ich werde hier rauskommen, dass versichere ich dir und du wirst den Tag bereuen, an dem du meine Mutter zum ersten Mal getroffen hast. Du wirst spüren, was es bedeutet, echte Schmerzen zu empfangen und ich werde jede einzelne Sekunde davon genießen.“ Wie auf Kommando kam Lucas zur Tür herein. Er wirkte beschwingt, doch als er mich und mein Vater entdeckte, blieb er auf der Stelle stehen und blickte zwischen uns hin und her. „Störe ich?“  Wir antworteten beide gleichzeitig mit „Nein“ Mein Vater drehte sich um und verließ, ohne ein weiters Wort meine Zelle.

„Was war denn hier los?“ Lucas kam langsam auf mich zu und ohne mich bremsen zu können, stürzte ich in seine Arme und weinte mich an seiner Brust aus.

 

„Also hast du deine Großmutter kennengelernt?“ Ich nickte. Nachdem Lucas duschen war und wir beide unser Abendessen bekamen, erzählte ich ihm die ganze Geschichte, ab den Zeitpunkte, an dem Grace zu mir kam. „Sie war so nett und überhaupt nicht, wie man sich eine alte Dame vorstellte. Sie war noch ziemlich fit für ihre … Oh mein Gott. Ich weiß gar nicht wie alt sie ist.“ Lucas legte eine Hand auf meine Schulter, weil er befürchtete ich würde wieder in Tränen ausbrechen, doch ich hielt mich zurück. Einmal Heulen am Tag reichte mir vollkommen aus. „Sie ist 65 Jahre alt.“ Ich schaute ihm ins Gesicht und lächelte ihn an. Ich war zwar immer noch gefangen, doch mit Lucas ließ sich die Gefangenschaft durchaus aushalten, vor allem, da ich hoffentlich durch seine Hilfe hier rauskommen würde. „Weißt du irgendwas Neues über den Plan?“ Lucas nickte und stand auf. „Kann ich dir mal etwas zeigen? Es ist mir etwas peinlich, aber ich habe keine Ahnung was das ist!“ Er ging ins Badezimmer und ich folgte ihm. Ein Vorwand um ungestört reden zu können. „Also… Tamara bereitet gerade alles vor. Dein Vater wird gerade von meinem Dad beschäftigt und niemand ist im Sicherheitsturm, da gerade Schichtwechsel ist. Daher kann Tamara die Zellen öffnen, ohne dass es jemand mitbekommt.“ Ich fragte mich, warum dies alles so einfach war, doch dann fiel mir ein, dass niemand je auf die Idee kommen würde, aus diesem Institut zu fliehen, geschweige denn mir zu helfen. An der Tür klopfte es und Lucas und ich gingen ins Zimmer um die Tür zu öffnen. „Das ist sicher Dad.“ Er hielt mir die Hand entgegen, doch dann flog die Tür plötzlich auf und Marc kam herein, gefolgt von ein paar weiteren Soldaten. „Na los, schnappt sie.“ Ein paar zielten mit Gewehren auf mich und die anderen schnallten mir Handschellen um. Sie waren so schnell, dass ich nicht handeln konnte und als Lucas eingreifen wollte, schlug ihm Marc mit seiner Waffe gegen den Kopf und er ging bewusstlos zu Boden. „Nein. LUCAS!“ Mein Schrei ging unter, als mir zwei von ihnen ein Tuch über den Mund legten. Marc ging nach draußen und blickte um die Ecke. „Die Luft ist rein. Bringt sie mit.“ Sie schleiften mich nach draußen. Auch wenn ich mich gut wehren konnte, waren fünf Männer gegen mich, einfach zu viele. Sie führten mich zum Fahrstuhl und Marc drückte auf den Knopf des untersten Stockwerks. Der Gang war vollkommen leer. Wir gingen an Laboren vorbei, die vermutlich schon lange nicht mehr benutzt wurden. Vor einer Metalltür blieb Marc stehen und kramte in seiner Tasche herum. „Willst du das wirklich machen, Marc?“ Er drehte sich um und blickte dem Soldat in seine Augen. „Wer hat dich gefragt, Wyatt?“ Marc öffnete die Tür mit einem merkwürdig aussehenden Schlüssel und sie glitt langsam auf. Dahinter befand sich ein Rohr, dass von unten nach oben durch die Decke ging. Daneben befand sich ein kleines Tischen mit verschiedensten Werkzeugen. „Bindet sie an. Danach könnt ihr…“ Er wurde von einem ohrenbetäubenden Lärm unterbrochen. Der Alarm ging los. Verdammt. Sie würden mich hier unten niemals finden. Ich warf mich hin und her, doch die Ketten waren zu stark. „Geht nachsehen, was da los ist.“ Die Soldaten verließen das Zimmer. Nur Wyatt blieb zurück, doch Marcs Ausdruck, den ich nicht sehen konnte, da er mit dem Rücken zu mir stand, verschreckte ihn offenbar, denn mit einem kurzen Blick zu mir, verließ auch er den Raum. „Jetzt sind nur noch wir zwei hübschen hier.“ Ich hatte keine Ahnung was er mit mir anstellen wollte, doch ich befürchtete das schlimmste. Als der erste Schlag mitten ins Gesicht ging, sah ich plötzlich Sterne. Der nächste Fausthieb, traf meine Brust, sodass mir die Luft wegblieb. Das wäre meine Flucht gewesen und jetzt war ich hier unten gefesselt und wurde von einem Mann verprügelt, der mich auf emotionaler Ebene mehr verletzte hatte, als dass er es mit diesen Schlägen machen könnte.

 

Meine Füße taten weh und in meinem Kopf hämmerte jemand auf einen Amboss. Wenn ich Schwäche zeige, würde ich verlieren. Ich musste durchhalten. »Na, Süße? Hast du immer noch nicht genug?« Ich grinste das Schwein an, dass mir zum wiederholten Mal einen Elektroschock verpasst. »War das schon alles du Arschloch?« Meine Beleidigungen wurden immer primitiver, doch ich hatte das Gefühl, dass mein Gehirn bald nur noch aus Brei bestand, also war es mir egal. Ein weiterer Stromstoß entlockte mir einen Schrei. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. »Marc! Wir brauchen dich sofort!« Der Vollpfosten vor mir, hatte ein süffisantes Grinsen auf den Lippen, dass ich ihm am liebsten aus dem Gesicht geschlagen hätte. »Ich bin gleich wieder da, eure Hoheit!« Er warf mir eine Kusshand zu, wogegen ich ihm ins Gesicht spuckte. Ich traf zwar nicht, aber ich fühlte mich trotzdem besser. Marc verließ den Raum und ich konnte endlich etwas durchatmen.


Ein tieferschüttender Schrei ging mir durch Mark und Bein. Was zur Hölle war dort draußen los. Lautes Gepolter und Geschrei drangen durch die Tür. Meine Fesseln wurden immer enger, je öfter ich daran zog, doch ich wollte hier raus. Ich war zum ersten Mal alleine in einem Raum und die anderen waren vermutlich gerade ziemlich beschäftigt. Jemand rüttelte an der Tür. Ich überlegte kurz ob ich mir die Hand brechen sollte, um sie so aus den Handschellen zu bekommen, doch ich war zu spät. Die Tür ging auf und vor mir stand, mit einem verwirrten Blick und voller Schmutz: Adam. »Was zur Hölle machst du denn hier?« Er entdeckte mich und fing gleich an, meine Hände zu befreien. »Ja, freut mich auch dich zu sehen, Monsterchen!« Ich wollte es nicht zu geben, doch ich war verdammt froh ihn zu sehen. Als meine Hände frei waren, warf ich alles über Bord und umarmte Adam. Er drückte mich fest an sich und ich genoss für einen Moment, das gute Gefühl vorerst in Sicherheit zu sein. Eine Explosion ließ uns stolpern und beinahe wäre ich auf Adam gelandet.

»Bist du fertig?« Zum dritten Mal versuchte ich nun durch die Mauer aus Muskeln und starrem Blick durchzubrechen. »Lass mich durch, Adam«. Wieder hämmerte ich gegen seine Brust, doch er griff nach meinen Händen und blickte auf mich herab. »Du bist wahnsinnig, wenn du denkst, ich lasse dich jetzt daraus gehen.« Sein Blick wurde härter und doch zuckte ich nicht zurück. Ich wusste er würde mir niemals ernsthaft wehtun. »Jemand muss ihnen doch helfen und wenn du zu feige dazu bist, dann werde ich es eben machen. Also lass mich durch.« Plötzlich war sein Gesicht direkt vor mir und ich konnte den kleinen goldenen Punkt in seiner Iris erkennen. »Wenn du denkst, es wäre leicht für mich, hier drin zu stehen und auf deinen nervenden Arsch aufzupassen, anstatt dort draußen diese Leute zu retten, dann bist du noch dümmer als ich dachte.« Autsch. Ich schloss die Augen und gab den Kampf auf. Er hatte Recht. Ich hob die Hände und ließ zu, dass er sich wieder zur Tür umdrehen konnte. Durch den kleinen Spalt, den er öffnete, konnte ich die Schreie der Menschen hören, die dort draußen abgeschlachtet wurden. Ich konnte spüren, wie Adam zitterte. Nur wegen mir saßen wir hier drin fest. Niemand hätte sterben müssen, wenn ich einfach nur das getan hätte, was man von mir verlangte. Die Stimmen wurden immer leiser und nach einer Weile straffte Adam die Schultern und stieß die Tür komplett auf. »Los geht’s«
Wir kamen an vielen Körpern vorbei, die am Boden lagen. Ich wollte und konnte sie mir nicht genauer ansehen, doch etwas zog mich zu ihnen. Männer und Frauen lagen mit verschiedensten Verletzungen am Boden. Die meisten waren verbrannt durch die Nebler, doch einige hatten auch Schuss- und Stichwunden. »Was habe ich nur getan?« Ich sprach eigentlich nur zu mir selbst, doch Adam drehte sich zu mir um und nahm mein Gesicht in seine Hände. »Evie!« Ich blickte mich immer noch um, doch er zwang mich ihn anzusehen. »Evie. Sieh mich an.« Wieder konnte ich diesen Punkt erkennen. So nah waren wir uns noch nie. »Es ist nicht deine Schuld. Wir müssen hier raus. So schnell es geht. Hast du das verstanden?« Ich nickte langsam. Unfähig zu sprechen.

 

Adam führte mich durch Flure, die ich früher tagtäglich entlangging. Ich konnte jeden Raum benennen, den wir passierten. Der Schockraum, das Esszimmer, Der Anti-Schallraum, Die Waffenkammer und daneben die Schießbude, in der sie mir stündlich eine Kugel in den Kopf jagten. Ein paar Meter vor uns wurde plötzlich eine Tür aufgeschleudert. Adam sprintete los und erledigte den Soldaten mit einem simplen Tritt in den Magen. Er fing ihn auf bevor er zu Boden gehen konnte, legte seine Arme um seinen Hals, zog kräftig daran und brach ihm das Genick. Er streckte die Hand nach mir aus und ohne zu zögern, legte ich meine Finger um seine. Wir durchstießen die letzte Tür im Gang. Eine Tür die immer verschlossen war, jedes Mal, wenn ich daran vorbeiging. Pures Chaos sprang uns entgegen. Lautes Geschrei und Explosionen überall. Ich musste mir die Ohren zuhalten, als neben uns eine Granate hochging. Adam zog mich einfach weiter, bis wir zum Ausgang kamen. Er drückte mich gegen die Mauer und schirmte mich mit seinem Körper ab. »Was machen wir hier? Wir müssen weiter.« Ich wollte an ihm vorbeischauen, doch er hielt mich zurück. »Wir müssen hier warten. Die Tür ist noch verriegelt, aber jemand wird sie hoffentlich gleich öffnen.« Ich hörte ein leises Klickgeräusch und dem Lächeln in Adams Gesicht nach, wurde die Tür gerade geknackt. Die Explosionen ließen nicht nach, doch Adam stieß mich durch die kleine Lücke des Tores und wir waren draußen. Wieder einmal konnte ich erfolgreich aus dieser Hölle fliehen, doch dieses Mal mit sehr viel mehr Schaden. Ich sah, wer das Tor geöffnet hatte und konnte meine Freude kaum unterdrücken. Ethan stand breit grinsend vor mir und ich fiel ihm in die Arme. »Verdammt tut das gut, dich zu sehen.« Er legte seine Arme kurz um mich, doch nach einer Sekunde stieß er mich wieder weg. »Was sind das denn für Ausdrücke?“ Er lachte laut auf und wandte sich dann an Adam »Die Anderen warten unten. Wir müssen uns beeilen. Noah wird schon ganz unruhig.« Ich konnte es nicht glauben. Sie waren alle da. In dem Moment konnte ich ihn hören. »EVIE!« Ich drehte mich in die Richtung, aus der der Schrei kam und sprintete los. Er war da. Mein David ist gekommen um mich zu retten. Seine Arme fingen mich genau in dem Moment auf als ich einen Schuss hörte. Ich sah mich um, um herauszufinden wohin der Schuss ging, als David plötzlich seine Arme vor mir abließ und mich nach unten drückte. Ich wollte ihm in die Augen sehen, doch er schloss sie. Wollte er uns in Deckung bringen? Ich ging mit ihm zu Boden und merkte erst jetzt, dass meine Hand nass war. Ich nahm sie vors Gesicht und entdeckte Blut. Sofort blickte ich an mir hinunter. Mittlerweile spürte ich die Kugeln nicht mehr, wenn sie in meinen Körper eindrangen. Erst das Herausziehen tat sehr weh. Doch mein weißes Hemd hatte nur ein paar Flecken, doch kein Loch. Nein! Das ist nicht wahr. Ich war nicht diejenige mit einem Loch in der Brust. David schnappte vor meinen Augen nach Luft und ich konnte das Blut sehen, das aus der Schusswunde lief. Mein Herz setzte einen Schlag aus und die Sekunden zogen sich dahin. Adam schrie mir mit tränenüberströmten Gesicht etwas zu, doch ich konnte ihn nicht verstehen. Ich hörte nur Davids Herzschlag, der immer langsamer wurde. Meine Finger krallten sich in sein Hemd, das inzwischen blutüberströmt war. Sein Herzschlag war verstummt und mein Schrei war so erschütternd, dass ich am ganzen Körper zitterte. Starke Arme hoben mich hoch. Ich konnte mich nicht einmal wehren. Mein Blick blieb an David hängen, doch als mir jemand die Sicht auf ihn versperrte, konnte ich den Schützen ausmachen. Er stand am Aussichtsturm. Immer noch mit gezogener Waffe und starrem Blick im Gesicht. Das letzte, dass ich sah, bevor mich jemand mit Gewalt auf den Rücksitz eines Jeeps zerrte, war das Gesicht meines Vaters, wie er die Waffe wegsteckte und grinste.

7. Kapitel

Mein Kopf war leer. Was war gerade passiert? Adam hielt mich auf seinem Schoß fest und ich drückte mich an seine Brust. Ich spürte nichts. Nicht den Wind, der durch meine Haare fuhr, da das Fenster offen war und auch nicht Adams Hand, die beruhigend auf meinem Rücken auf und ab fuhr. Ich hörte sie reden, doch ich verstand nichts davon. Meine Augen waren geschlossen und am liebsten hätte ich sie nie wieder geöffnet. „Evie!“ Ich erkannte diese Stimmte, doch das war doch nicht möglich. Ich fühlte, dass das Auto nicht mehr fuhr und beschloss langsam meine Augen aufzumachen. Ich blickte in Lucas grüne Augen.“Evie. geht’s dir gut?“ Ich saß immer noch in der Fötus Stellung auf Adam und er hielt mich im Arm. Ob es mir gut geht? Hat er denn überhaupt eine Ahnung was gerade passiert ist? Ich schloss die Augen wieder und drehte mich so, dass mein Gesicht von Adams Brust bedeckt war. Ich hatte keine Ahnung warum er mich so hielt, da er mich doch verabscheute, doch in diesem Moment war es mir egal. Ich wollte einfach nur meine Ruhe.


Adam bewegte sich und wir stiegen gemeinsam aus dem Auto aus. Ich hörte Geschrei und viele Menschen. Doch keine Schmerzensschreie wie im Institut, sondern als wären wir beim Militär. Befehle wurden geschrien und andere antworteten. Meine Neugier siegte und ich wagte einen Blick in die Richtung aus der der Tumult kam. Ich konnte meinen Augen kaum glauben. Wir waren auf einem Militärstützpunkt. Zumindest stellte ich mir vor, dass es dort so aussehen würde. Überall waren Zelte aufgebaut. Große und Kleine. Die verschiedensten Männer gingen an uns vorbei. Von jung bis alt, von groß bis klein, von dick bis dünn. Was zum Teufel war hier los? Ich wollte aus Adams Armen raus, doch ich traute meinen Beinen noch nicht, deshalb bewegte ich meinen Kopf hin und her um mir einen Überblick zu verschaffen. „Ich bring sie erst mal auf die Krankenstation!“ Adams Brust vibrierte leicht unter meinen Händen, als er sprach. Lucas nickte und verschwand hinter einer Gruppe Männer, die gerade an uns vorbeiging. Adam bewegte sich auf das einzige Gebäude zu, was hier stand. Es kam mir vor, wie die Lagerhalle, in der wir das Wild jagten, doch es war noch viel größer. Noah stand davor und hielt uns die Tür auf. „Wie geht’s ihr?“ Ich versuchte mich umzusehen, doch Noah versperrte mir die Sicht. „Sie redet nicht! Wo ist die Krankenstation?“
„Dort hinten. Was meinst du sie redet nicht?“ Hallo? Ich bin hier, warum redet ihr über mich. Adam zuckte die Schultern, wodurch ich etwas aufgerüttelt wurde.
Die Krankenstation war genauso wie ich es mir vorgestellt hatte. Steril, weiß, mit ein paar Betten auf der einen Seite und Schränke mit Medikamenten auf der anderen. Adam legte mich auf das hinterste Bett und setzte sich selbst auf den Stuhl daneben. Ich wollte ihm sagen, er soll mich alleine lassen, doch mein Mund wollte mir nicht gehorchen. Ich drehte mich von Adam weg und schloss wieder die Augen. Offenbar verstand er den Hinweis nicht, denn ich konnte hören, wie er es sich hinter mir bequem machte.
Immer wieder kam jemand vorbei und fragte wie es mir geht. Adam antwortete immer gleich. „Sie hat keine Verletzungen, doch sie redet nicht. Wir müssen ihr Zeit lassen.“ Die ganze Zeit über verließ Adam kein einziges Mal seinen Platz. Vermutlich glaubten sie ich bräuchte einen Leibwächter und wer wäre da besser geeignet, als Adam, der mich von Anfang an als Monster bezeichnete. Das war ich ja schließlich auch. Wegen mir ist David tot. Wäre ich nicht aus dem Institut ausgebrochen und hätte die fünf Brüder kennengelernt, wäre David noch am Leben. Er hätte wie jeden Tag sein Training gemacht, dann Frühstück für alle gekocht und wäre dann zur Lichtung um zu baden. Das konnte er nun nie wieder tun. Nie wieder würde ich seine Stimme hören, das seltene Lachen, das ich so liebte, wenn er es zeigte. Nie wieder würde er mir meine Strähne aus dem Gesicht streichen, seine Hände um meine Wangen legen und seine Lippen auf meine legen. Ich wusste nicht wie lang es her war, seit wir angekommen sind, doch langsam fühlte ich einen leichten Druck auf der Blase. Langsam drehte ich mich um und erkannte, dass Adam eingeschlafen war. Er hatte seinen Kopf auf seine Arme gelegt, die neben mir auf der Matratze ruhten. Wenn er so dalag, sah er fast friedlich aus. Ich richtete mich auf und versuchte, ohne Adam zu wecken, aus dem Bett zu krabbeln. Als ich die Beine auf den Boden stellte, konnte ich ihn hören. „Was machst du da?“ Adams Stimme war leicht belegt, doch seine Augen waren hellwach, als er mich ansah. Ich öffnete meinen Mund, doch noch immer kam nichts heraus. „Toilette?“ Ich konnte ein leichtes Grinsen entdecken und nickte um ihm zu antworten. „Komm mit!“ Adam führte mich hinaus in den Flur und die nächste Tür wieder hinein. Es war nicht so ein Luxusbad wie bei den Brüdern zuhause, doch für die notwendigsten Bedürfnisse reichte es aus. „Ich ähhm… warte draußen.“ Er schloss die Tür hinter mir und ich war allein.
Nachdem ich fertig war, sah ich mich um und entdeckte eine Badewanne in einer Ecke. Ob es Adam stören würde, wenn er noch etwas länger warten müsste? Ich ließ Wasser ein und zog meine schweißdurchtränkten Sachen aus. Als ich mich in die heiße Wanne gleiten ließ, entfuhr mir ein Seufzer, den vermutlich sogar Adam hörte.
Ich wusste nicht wie lange ich auf Tauchstation war, doch irgendwann konnte ich Stimmen durch die Tür hören. „Wie lange ist sie da schon drin?“ Noahs tiefen Sopran erkannte ich überall. „Ich glaube ungefähr 3 Stunden.“ Adam klang traurig. Ich würde auch gerne traurig sein. Doch ich fühlte nichts. Ich lag also schon 3 Stunden in dem vermutlich mittlerweile kalten Wasser und doch konnte ich die Kälte nicht spüren. Ich fühlte nichts. Ich richtete mich langsam auf und wickelte mich in ein Handtuch. Als das Schloss klickte, blickten mich alle an. Nichts als Mitleid sprach aus ihren Augen. Doch das konnten sie sich sparen. Wieso Mitleid? Sie sollten mich hassen. Sie sollten mich anbrüllen. Ich bin schuld daran, dass ihr Bruder tot ist. Und doch sahen sie mich an, als würde es ihnen leidtun, dass ich jemanden verloren habe. Noah sprach zuerst. „Wie geht’s dir?“ Ich wusste nicht wie es mir geht. Mein Kopf war immer noch leer. Ich zuckte die Schultern, unfähig, den Mund aufzumachen. Noch immer dieses Mitleid. Ich hasste sie dafür, dass sie mich nicht hassten. Sie sollten wütend auf mich sein. Evan hielt mir ein paar Kleidungsstücke und die anderen ließen uns allein. Als ich mich anzog, konnte ich seinen Blick auf meinem Rücken spüren. „Evie? Es tut mir so leid!“ ich drehte mich langsam zu ihm um. „Was?“ es war nur ein Flüstern, doch Evan verstand mich sofort! Er kam näher und ich konnte Tränen in seinen Augen sehen. „Es tut mir so leid, was die passiert ist!“ Ich schüttelte den Kopf und konnte einfach nicht glauben, was er da gerade sagte. „Wieso?“ Meine Stimme wurde etwas lauter. „Wieso tut es dir leid? Ich bin diejenige, der es leidtun sollte. Ich bin schuld, dass David tot ist.“ Auf einmal wurde die Tür aufgerissen und Ethan, Adam und Noah stürmten herein. „Was redest du denn da?“ Noah war als erster bei mir und nahm mein Gesicht in seine großen Hände. Er sah mir tief in die Augen. „Ich will so etwas nie wieder hören, hast du mich verstanden, Kleines?“


Noah zog mich hoch und wir gingen gemeinsam aus dem Zimmer. Ein paar Türen weiter, blieben wir stehen und Noah schloss auf. Dahinter befand sich ein Zimmer mit einem Bett und einem Tisch, mit zwei Stühlen. „Das ist vorerst dein Zimmer. Ich weiß es ist nicht so toll, wie das Zuhause, doch fürs erste muss da reichen, ok?“ Ich wusste, wäre David noch bei uns gewesen, hätten wir uns dieses Zimmer geteilt. Doch er war nicht bei uns. Ich schaute mich um und stellte mir vor, wie es gewesen wäre, wenn wir gemeinsam in dieses Zimmer ziehen würden. Wie wir zusammen in diesem Bett geschlafen hätten, dass für eine Person viel zu groß wirkte. Niemand hätte uns gestört, wenn wir uns gegenseitig aus unseren Büchern vorgelesen hätten. Plötzlich kam alles wieder. Jede Berührung, jeder Kuss, jedes Wort von ihm. Alles strömte auf mich herein und ich brach zusammen. Ich konnte spüren wie sich in mir ein tiefes Loch öffnete. Ich umklammerte meinen Körper aus Angst ich würde auseinanderbrechen. Tränen strömten über mein Gesicht und ich spürte mein Herz, dass in tausend Stücke sprang. Noah hob mich hoch und setzte sich gemeinsam mit mir auf die ausgeblichene Matratze. Ich vergrub mein Gesicht in seiner Brust und mein Schluchzen wurde von seinem Hemd gedämpft. Meine Finger gruben sich in sein Hemd und mein Körper bebte. Die Tränen nahmen kein Ende. Wieso weinte ich? Ich war schuld. Ich hatte kein Recht auf Trauer. Noah drückte mich immer fester an sich. Vielleicht würde er mich töten? Vielleicht war er doch böse auf mich, weil ich seinen Bruder ermordete. Vielleicht wäre alles bald vorbei. Doch er nahm mein Gesicht von seiner Brust und sah mir in die Augen. Sein Blick war ebenfalls traurig und einzelne Tränen rannen über seine Wangen. „Ich hatte solche Angst um dich. Ich bin so unfassbar froh, dass es dir gut geht“ Er drückte mich wieder an sich. Er war froh, dass es mir gut geht? War er denn nicht traurig wegen David. „Wieso bist du nicht wütend?" Mein Kopf wurde von Noahs Brust weggezogen. „Natürlich bin ich wütend.“ Wusste ich es doch. Ich wollte schon aufstehen und mir sein Gebrüll anhören als er weitersprach. „Diese verfluchten Bastarde. Sie werden dafür zahlen, was sie David angetan haben.“ Was redete er da? Ich war diejenige, die entführt wurde und weswegen sie erst im Institut waren. Mein Vater wollte eigentlich mich töten und David hatte sich meinetwegen dazwischengeworfen. „Evie. Es tut mir so leid, dass du das mitansehen musstest.“ Er wischte die Tränen von meinem Gesicht, doch es folgten immer mehr. Es tat ihm leid? Ich schüttelte den Kopf und stand auf. „Nein. Es soll dir nicht leidtun. Hör auf das zu sagen. Hört auf mich zu bemitleiden. Wieso bist du nicht auf mich wütend? Wieso schreist du mich nicht an?“ Ich wollte diesen Blick nicht mehr sehen und schloss die Augen. Mein Kopf hörte nicht auf sich zu drehen. „Evie! Warum sollte ich dich anschreien?“ Ich konnte die Wärme spüren, die er ausstrahlte. Doch ich wollte keine Wärme. Ich wollte die Kälte. Ich verdiente die Kälte. „Weil ich schuld bin. Ich bin schuld, dass er tot ist. Es war alles meine Schuld“ Noah streckte die Arme aus und drückte mich wieder an seine Brust. „Nein. Nein war es nicht.“ Er nahm meinen Kopf in seine Hände „Hör mir jetzt ganz genau zu. Es war nicht deine Schuld. Schuld sind diese Schweine, die denken sie könnten mit uns machen, was sie wollen.“ Dann ging er ein paar Schritte zurück. „Doch da haben sie sich mit den Falschen angelegt. Wir haben Leute gewonnen und wir werden zurückschlagen. Bis, dass Alles ein Ende hat.“ Sein Blick wirkte entschlossen. „Sie werden den Tag bereuen, an dem sie dich entführt haben, darauf kannst du dich verlassen.“

Wir konnten nicht mehr in unser Zuhause zurück. Die Soldaten, die immer noch im Institut waren, wussten wo unser Haus war. Diese Militärbasis fand Noah schon ein paare Jahre zuvor. Er sagte, es wäre immer gut einen Notfallplan zu haben. Die Gefangenen waren keine Nebler, wie ich vermutete. Es waren normale Menschen, die von meinem Vater und seiner Armee eingesperrt wurden. Doch auch Nebler wurden von uns befreit, beziehungsweise waren sie in speziellen Zellen verwahrt, die Evan und Ethan gemeinsam mit Lucas und seinem Dad wegtransportiert hatten. Ich wusste nicht, wie sie das ganze angestellt hatten und wie Lucas mit ihnen in Kontakt trat, denn offenbar war die ganze Sache von Anfang an geplant. Die Nebler waren noch eingesperrt, denn niemand konnte sie befehligen und deshalb waren sie zu gefährlich. Die Jungs hatten alle ein eigenes Zelt. Nur ich und Tamara, die ebenfalls mit uns geflohen ist, wohnten in dem Haus. Es gab eine kleine Küche und nur das eine Bad. Die Männer wuschen sich im Bach und hatten selbst ein Zelt mit Essen und Küchengeräten. Die meisten hatten Angst vor mir, weil sie nicht wussten, welche Kräfte ich besaß, doch Lucas besuchte mich regelmäßig mit seinem Vater. Ich war keine gute Unterhaltung, da ich nach wie vor mit niemanden redete.

Ich wusste nicht, ob sein Vater mitkam, weil er mich besuchen wollte, oder aber Tamara. Ich hatte schon im Institut das Gefühl, dass er etwas für sie empfand, allerdings befürchtete ich, dass dies nicht auf Gegenseitigkeit beruhte. An einem speziellen Tag kam er sogar mit Blumen und als Tamara nicht da war, schenkte er sie kurzerhand mir, im Hoffen ich würde es nicht bemerken, dass er die Blumen für meine Mitbewohnerin mitbrachte. Jeder von meiner neuen Familie besuchte mich ein paar Mal in den vergangenen Wochen. Alle bis auf einen. Als Ethan und Evan sich gerade auf meinem Bett breitmachten und mir von den Ereignissen des Tages erzählten, hielt ich es nicht mehr aus und stellte die Frage, die mir seit ein paar Tagen auf der Zunge lag. „Wo ist Adam die ganze Zeit?“ die Zwillinge tauschten einen langen Blick und als sie mich wieder ansahen, konnte ich an ihren Mienen sehen, dass sie es mir nicht erzählen wollten, also bohrte ich nicht weiter nach. 

Ein Monat ist nun seit Davids Tod vergangen und ich konnte mich immer noch nicht dazu überwinden, über ihn zu reden. Alle versuchten es immer wieder, doch kaum wurde sein Name erwähnt, schaltete ich auf taub und ging einfach auf mein Zimmer. Es war vermutlich eine Plage mich um sich zu haben, deshalb verschanzte ich mich ziemlich oft dort. Doch nicht an diesem Tag.


Ich träumte von David. Wir lagen auf unserer Lichtung am Boden und er hielt mich fest im Arm. Ich konnte seinen Duft einatmen und schmiegte mich fest an seine Brust. „Du musst damit aufhören, Evie!“ Ich konnte seine Brust fühlen, wie sie sich immer wieder hob und senkte. Ich liebte dieses Gefühl. „Was meinst du?“ Ich schloss die Augen und genoss einfach den Moment, den wir gerade haben. „Du musst aufhören, dir die Schuld an meinen Tod zu geben.“ Ich erhob mich langsam und sah ihm ins Gesicht. In seinen braunen Augen konnte ich die Sorge erkennen und die Liebe, die er für mich empfand. „Es war nicht deine Schuld, Evie. Die Leute, die dich entführten, haben mich getötet.“ Ich erhob mich leicht und zog ihn etwas mit mir, damit wir uns gegenübersitzen konnten. „Nein. Nicht die haben dich getötet. Es war mein Vater und zwar nur weil du im Schussfeld gestanden hast.“ Ich nahm sein Gesicht in meine Hand und hauchte einen Kuss auf seine Lippen. „Du bist gestorben, weil du mich retten wolltest. Aber das hättest du nicht tun sollen. Du hättest mich sterben lassen sollen, dann wäre vieles einfacher geworden.“ Nun war er es, der mich küsste. „Sag so etwas nie wieder. Hast du das verstanden? So etwas darfst du nicht einmal denken.“ Meine Sicht verschwamm etwas, als mir die Tränen, die Wangen runterliefen. David fing sie mit seinen Lippen auf und strich mit seiner Nase, leicht über meine. „Vielleicht sollte es so sein!“ Ich schüttelte den Kopf und legte meinen Kopf an seine Stirn. „NEIN! Du solltest leben. Du solltest bei mir sein. Ich hätte dich beschützen sollen.“ Ich konnte spüren, wie er lächelte, als er mich wieder ansah. „Du hast mich beschützt, Evie. In jeder Sekunde, in der du bei uns warst, habe ich mich wieder lebendig gefühlt. Du warst der Grund warum ich weiterkämpfen wollte. Du hast mich in jeder erdenklichen Art und Weise gerettet.“ Vor meinen Augen löste sich der Traum langsam auf. Ich wollte ihn noch nicht gehen lassen. Ich klammerte mich an ihn fest und mit seiner letzten Kraft flüsterte er mir zu: „Ich liebe dich. Aber lass nicht zu, dass dich diese Liebe zerstört. Vertrau auf dich und auf deine Kraft. Du wirst sie alle retten, Evie. Lebe dein Leben und halte mein Andenken in Ehren.“ Sein Lächeln wärmte mich, bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich in meinem Bett aufwachte. Danach war wieder alles kalt. Doch ich hatte eine Aufgabe. Ich würde David nicht enttäuschen.
Ich ging nach draußen und war etwas orientierungslos. Als ich an dieser Basis ankam, konnte ich mich nur noch an Zelte und herummarschierende Soldaten erinnern. Doch nun konnte ich ein paar Häuser etwas weiter weg erkennen. Die Zelte waren immer noch da, doch sie waren alle offen und nur ein paar vereinzelte Betten standen darin, als wären sie für jemanden, dem es für kurze Zeit schlecht ging, damit er sich erholen konnte. Ich konnte Stimmen hören und folgte ihnen, bis ich um die Ecke bog und den Ursprung erkannte. Das Essenszelt stand immer noch und es war sehr überfüllt. Vermutlich war gerade Mittagszeit. Als sie mich sahen, blieb jeder stehen und starrte mich an. Ich konnte kein vertrautes Gesicht erkennen und wurde zunehmend nervöser, bis sich Noah aus einer kleinen Gruppe von Männern löste und auf mich zukam. „Ich kann es nicht glauben. Evie Golding beehrt uns mit ihrer Anwesenheit.“ Seine Stimme löste ein warmes Gefühl in meinem Inneren aus und ich konnte seit Wochen wieder ein Lächeln erzwingen. „Hast du Hunger, Kleines?“ Er sprach leise und doch umfing mich der Klang wie eine wohlige Umarmung. Ich nickte knapp und ließ mich von ihm zu den Tischen ziehen, wo er mich gleich mit seinen neuen Freunden bekannt machte. Ich konnte spüren, dass sie immer noch etwas Abstand zu mir hielten, aber offenbar vertrauten sie Noah, denn als er mir einen Platz anbot, redeten sie weiter, so als ob ich dazugehören würde. Tamara stieß zu uns und brachte mir etwas zu essen, wofür ich dankte und ihr den Platz neben mir anbot. „Tamara! Wie siehts mit unserem Verletzten in der Krankenstation aus?“ Noah beugte sich weit über den Tisch um ihr in die Augen zu sehen. Sie erwiderte seinen Blick, als sie sprach. „Er ist extrem nervtötend. Jedes Mal wenn ich ihn untersuchen will, beschimpft er mich.“ Der gesammelte Tisch lachte und ich konnte spüren, dass Tamara dies beabsichtigt hatte. Doch als sie leicht rot wurde, war ihr Blick nur auf Noah gerichtet. „Jaja. So ist unser Adam.“ Adam? Ich verschluckte mich leicht an dem Essen, dass kaum genießbar war, ich allerdings durch meinen großen Hunger einfach runterschlang. „Adam ist auf der Krankenstation? Warum?“ Noahs Blick landete auf mir und er überlegte für einen Moment wie er mir antworten sollte. „Er… hat sich verletzt.“ Natürlich wollte mir niemand sagen, wobei er sich verletzt hatte, oder wie schlimm es war. Allerdings wenn er Tamara beschimpfte, konnte es nicht so schlimm sein. Nach dem Essen, mit der sehr netten Unterhaltung, die allerdings ohne mich stattfand, weil ich keine Ahnung hatte über was sie redeten, entfernte ich mich um, wie ich behauptete zu duschen und mich etwas auszuruhen. Aber in Wirklichkeit machte ich mich auf den Weg zur Krankenstation. Ich wusste nicht warum, aber ich musste wissen, wie es Adam ging. Er hat mich schließlich vom Institut, bis hierhin immer im Arm gehalten.

 

Ich hatte nur noch eine wage Vorstellung davon, wo die Krankenstation war, deshalb musste ich etwas suchen, bis ich das Zimmer mit den weißen Wänden, den weißen Vorhängen und den weißen Bettlaken fand. Alle Betten, bis auf eines waren frei. Dort lag, mit Bandagen um Arme und Beine, Adam. Er hatte die Augen geschlossen und atmete ruhig ein und aus. Ich dachte er würde schlafen, doch als die Tür hinter mir ins Schloss fiel, blickte er auf und sein Blick, der vor einer Sekunde noch traurig war und vielleicht sogar ein bisschen hilflos, wurde kalt und undurchschaubar, als er sah, dass ich diejenige war, die eingetreten ist. „Was willst du hier?“ Seine Stimme krächzte etwas, als hätte er geschrien, oder aber geweint. Allerdings welchen Grund hätte er zu weinen? „Ich wollte nur wissen, wie es dir geht. Ich habe gehört, dass du hier bist.“ Er sah zum Fenster hinaus und ich konnte ein kleines Zucken in seinem Mundwinkel erkennen. „Wie es mir geht? Ich bin eine Klippe hinuntergestürzt, hab zwei gebrochen Ruppen, mein Bein ist verstaucht und ich habe mir die Schulter ausgekugelt. Wie du siehst, geht es mir blendend.“ Am liebsten wollte ich zurückschreien, allerdings bin ich nicht hierhergekommen, weil ich mich mit ihm streiten wollte, sondern wegen etwas anderem, also ignorierte ich seine schroffe Aussage. „Ich wollte mich bei dir bedanken, Adam.“ Er riss seine Augen auf und auf seinen Wangenknochen schlich sich eine leichte Röte hinein. „Für was?“ Ebenso wie die Überraschung gekommen war, verschwand sie auch wieder. „Dafür, dass du mich dort rausgeholt hast. Ich weiß, dass du mich nicht leiden kannst und deshalb rechne ich es dir hoch an, dass du mir geholfen hast.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, drehte ich mich um und ging. Über die Schulter hinweg, flüsterte ich ihm etwas zu, dass er vermutlich nicht mehr hörte, doch ich musste es sagen. „Ich weiß, du hast ihn geliebt und ich habe ihn dir weggenommen. Es tut mir leid wegen David.“
„Warte!“ Langsam drehte ich mich wieder zu ihm und sah, dass er aufstehen wollte. Ich sprintete zu ihm hin und drückte ihn wieder zurück. „Ich denke nicht, dass du schon aufstehen solltest.“ Er schüttelte den Kopf und nahm meine Hände, um sie von sich wegzudrücken. „Lass mich.“ Er setzte sich auf und seine Augen suchten den Boden ab. „Du hast ihn mir nicht weggenommen, Evie!“ Er hatte es also doch gehört. Als ich mich umdrehte, um meine Tränen zu verstecken, umschlang seine Hand meinen Arm. „Es war seine Entscheidung. Alles was er getan hat, hat er aus freien Stücken getan. Er hat sich in dich verliebt. Er ist zu dieser Einrichtung gefahren, um dich zu retten und er hat sich für dich in die Schusslinie geworfen. Nichts davon ist deine Schuld, Evie. Das Einzige für das du dich verantwortlich machen müsstest, ist das du ihm das Gefühl gegeben hast, nicht nutzlos auf dieser Erde zu sein. Du hast ihm einen Grund gegeben, zu leben und du hast ihm einen verdammt wichtigen Grund gegeben, um sich zu opfern.“ Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen. Was er da sagte, war so einfühlsam, so zärtlich und mein Herz verstand nicht, dass es aus Adams Mund kam. Er drückte meine Hand für eine Sekunde und ließ dann los. „Danke, Evie. Danke, dass du ihn gerettet hast.“ Ohne auf ihn zu achten, stürmte ich nach draußen und kaum war ich aus der Tür, ließ ich mich zu Boden fallen und rollte mich zusammen.

 

Erst nach etwa einer Stunde kam Lucas um die Ecke. „Evie?“ er kniete sich zu mir hinunter und strich mir das Haar aus dem Gesicht. Sein vertrautes Lächeln heilte meine inneren Wunden etwas. „Was machst du denn hier? Wir suchen dich schon überall!“ Er half mir auf und klopfte mir den Schmutz von den Kleidern. Lucas hob mein Gesicht an, um mir in die Augen zu sehen. Ich wollte mich wegdrehen, doch er strich mit dem Daumen unter meine Augen, um meine Tränen wegzuwischen. „Es wird alles wieder gut.“ Sein Optimismus ist manchmal echt unerträglich. Gemeinsam gingen wir zurück auf mein Zimmer, in dem bereits Evan und Ethan auf uns warteten. „Hey, Ausreißer.“ Ethan kam gleich auf mich zu und umarmte mich, wohingegen Evan immer noch auf meinem Bett saß und etwas verloren aussah. „Ich ähh… Geh dann mal zu Noah und meinem Dad und sag ihnen, dass wir dich gefunden haben.“ Lucas wirkte ebenfalls etwas abwesend. Er drehte sich um und marschierte ohne ein weiteres Wort hinaus. Sie haben wirklich alle nach mir gesucht? Solange war ich doch gar nicht weg. „Seit wann sucht ihr mich denn?“ Kaum war Lucas aus der Tür, zog Evan mich zu sich heran und legte seinen Kopf in meinen Schoß. „Seit knapp einer halben Stunde.“ Ich kraulte seine Haare etwas und er schloss die Augen. „Noah hat dich weggehen sehen und als dich Tamara in eurem Zimmer nicht fand, haben wir uns Sorgen gemacht.“ Ich wollte ihnen erzählen, dass ich bei Adam war, doch irgendwie kam es nicht über meine Lippen. „Ich habe mir nur die Anlage genauer angesehen.“ Nur Lucas wusste wo er mich gefunden hat und so wie ich ihn kannte, würde er es niemanden erzählen, solange ich es nicht will. „Und was hast du gesehen?“ Oh verdammt. Natürlich könnte ich lügen, doch ich hatte keine Ahnung, was es alles hier gab, also sagte ich schließlich doch die Wahrheit. „Ok. Ich war bei Adam.“ Schon sprang Evan von meinem Schoß auf und sah mir in die Augen. „Du warst was? Hast du Selbstmordgedanken? Seit deiner Befreiung rastet er jedesmal aus, wenn jemand nur deinen Namen erwähnt und du gehst direkt in die Höhle des Löwen? Bist du komplett wahnsinnig?“ Er rastet aus. So klang das aber vorhin nicht. „Ich wollte mich nur entschuldigen.“ Sie nahmen beide meine Hände und knieten sich vor mich hin. „Wie oft sollen wir dir noch sagen, dass du dich für nichts entschuldigen musst. Wir haben dich gerettet, weil du zur Familie gehörst und das hätten wir für jeden von uns getan.“ Ich zwang mich zu einem Lächeln, während mir sanft die Tränen auf die Wangen fielen. „Genau das gleiche hat Adam auch gesagt. Naja so ungefähr jedenfalls.“ Evan und Ethans Kinnladen klappten nach unten. „Er hat was gesagt?“
„Er meinte, dass es nicht meine Schuld ist und David für sich selbst entschieden hat.“ Den Rest behielt ich für mich, da ich es selbst noch nicht über die Lippen brachte. Die Zwillinge sahen sich an standen dann schnell auf. „Wir müssen noch wohin.“ Es war schräg, wenn sie gleichzeitig redeten, so als ob sie ein gemeinsames Hirn in zwei Köpfen hätten. „Wenn du was brauchst, kannst du ja Lucas fragen. Er müsste in der Kommandozentrale sein“ Ethan zog Evan mit nach draußen, dessen Kopf gerade etwas rötlicher geworden ist.

 

Nachdem ich eine Nachricht an Tamara schrieb, dass sie sich keine Sorgen machen musste, erkundete ich wirklich etwas die Anlage. Immerhin wusste ich mittlerweile wie ich aus dem Haus hinausfand, ohne fünf Mal falsch abzubiegen. Zuerst dachte ich, dass das Gelände nicht besonders groß war, doch nach dem ich einen kleinen Hügel erklommen hatte, sah ich wie weit es sich erstreckte. Über 2 km Feld waren bedeckt von Zelten und Lagern. Ich konnte ein paar kleine Sitzgruppen entdecken, die sich um ein Lagerfeuer sammelten. So stelle ich mir Krieg im Mittelalter vor. Nur, dass es hier keine Ritter und Könige gab, sondern Soldaten und Noah als ihren Anführer. Schon von weitem konnte ich seine große Statur erkennen, wie er über einen Tisch gebeugt in einem offenen Zelt stand. Offenbar war das die Kommandozentrale. Mein Weg führte mich direkt dorthin, doch auf der Hälfte meiner Strecke stellte sich eine kleine Männergruppe vor mich. „Was denkst du, was du hier tust?“ Der größere von den vieren beugte sich leicht zu mir hinunter und musterte mich von oben bis unten. „Ich wollte zu Noah.“ Plötzlich ging ein Lachen durch die Runde. „Nein, Nein. Ich meinte, was du hier auf dem Stützpunkt machst, du Verräter.“ Verräter? „Ich habe nicht den blassesten Schimmer was du meinst, aber könntest du mich bitte vorbeilassen?“ Einer der Männer trat einen Schritt zurück. Vermutlich hatte er Angst ich würde angreifen. Doch diese Soldaten gehörten doch zu mir, oder nicht? Wir standen doch auf der selben Seite. „Warum sollte ich jemanden wie dich vorbeilassen? Du bist ein Monster. Du bist keiner von Ihnen, doch zu uns gehörst du auch nicht. Also verschwinde gefälligst. Niemand braucht dich hier.“ Hinter seinem Rücken konnte ich Noah sehen, wie er mich entdeckte und schon auf uns zukam, doch plötzlich schoss neben mir eine Faust vorbei und traf direkt dem Vollidioten ins Gesicht. Ich drehte mich um und sah Adam hinter mir stehen. Was zum Teufel? „Wenn du nochmal so mit ihr redest, bekommst du nicht nur meine Faust zu spüren, alles klar?“ Ohne ein weiters Wort, drehten sich alle um und gingen davon. Das Großmaul ließen alle liegen und als ich mich bei Adam bedanken wollte, ging er an mir vorbei zu Noah und beugte sich ebenfalls über den Tisch. Noah hingegen ließ mich nicht aus den Augen. Er kam auf mich zu und nahm meine Hand. „Alles in Ordnung?“ Ich hatte keine Ahnung. Adam hatte mich gerade verteidigt. Noahs Blick glitt, ebenso wie meiner, zu Adam zurück und wir wussten beide nicht was wir sagen sollten. „Es geht mir gut, danke. Aber ich denke, ich sollte wieder in mein Zimmer zurück gehen.“ Noah nickte und ich konnte seinen Blick und auch den aller anderen auf mir spüren, als ich über den Hügel zurück ins Lagerhaus ging.

 

„Aufwachen!!!!!“ Ich hörte Ethan, bevor ich ihn sah. Seine Augen waren das erste, was ich an diesem Morgen vorm Gesicht hatte. „Du musst aufstehen, Evie!“ Ich schlug die Decke zurück und dankte Gott, dass mein Shirt, mit dem ich immer schlief, über meine Beine hing. „Was ist denn los?“ Evan stand neben meinem Kleiderschrank und musterte seinen Inhalt. „Du hast ja nicht viele Klamotten.“ Ich schlug die Beine über die Bettkante und stemmte mich hoch. „Wie denn auch? Ich wurde entführt und ihr habt nicht viele Sachen von Zuhause für mich mitgenommen.“ Evan schnappte sich meine gesamte Garderobe und stopfte sie in eine Tasche, die neben ihm lag. „Was machst du denn da?“
„Wir ziehen um.“ Er zog den Reisverschluss zu und schlang den Träger über die Schulter. „Wir machen was?“ Ethan ging währenddessen ins Badezimmer und fing an, meine Utensilien zusammenzupacken. „Noah hat gleich hier in der Nähe ein Haus entdeckt. Er meinte, so könnten wir alle wieder zusammen sein. Und dort wärst du auch sicher, von diesen ganzen Arschlöchern.“ Als er meinen Blick sah, erwiderte er. „Seine Worte, nicht meine. Aber im Ernst. Es sind wirklich einige Arschlöcher dabei.“ Er grinste und half Ethan beim Fertig packen. „Kann ich zumindest noch meine Kleidung für heute haben, bevor ihr alles mitnehmt?“ Evan warf die Tasche aufs Bett und ich kramte darin herum, bis ich eine bequeme Hose und ein Tanktop fand. Meine Jacke, eine olivfarbene Lederjacke mit flauschigem Innenfutter, hing wie immer an der Tür. Die Jungs und ich packten meine restlichen Sachen zusammen und gingen auf den Flur hinaus. „Seid ihr endlich soweit?“ Adam stand mit einem Rucksack neben meiner Tür und hielt sie auf. Ich konnte immer noch nicht vergessen, was er in der Krankenstation zu mir sagte. Adam hatte mir vom ersten Moment an gezeigt, dass er mich nicht leiden konnte, doch an diesem Tag hatte er diese Dinge gesagt, damit es mir besser ging. Ich drehte mich zu ihm um und lächelte ihn an und sein Blick ließ mich blass werden. Er war hart, als ob diese Worte von gestern nie über seine Lippen gekommen wären. „Wir müssen los!“ Er redete mit den Zwillingen und nicht mit mir. Die wiederrum nahmen mir wieder meine Tasche ab und brachten sie nach draußen. Meine Hoffnung, aus Adam und mir könnten doch noch Freunde werden, wurde gerade zerschmettert.
Noah und Tamara warteten bereits beim Truck auf uns. „Oh sie wollen sich verabschieden, Tamara?“ Erst jetzt bemerkte ich den Arm von Noah, der ihr leicht um die Taille lag und schon wurde ich rot. „Oh. Alles klar!“ Schnell stieg ich ein, um der weiteren Peinlichkeit zu entgehen. Evan und Ethan sprangen je auf eine Seite von mir und Tamara und Noah nahmen vorne Platz. „Ab nach hinten, Kleiner!“ Adam scheuchte Ethan von meiner rechten Seite auf den Rücksitz und machte sich nun neben mir breit. Unsere Ellbogen berührten sich für den Bruchteil einer Sekunde und schon versteifte sich Adam. Ich schob meinen Hintern ganz nah an Evan und versuchte keinen Zentimeter Haut mehr an Adam rankommen zu lassen.
Die Fahrt war holprig, aber sehr kurz. Ich konnte zwei Häuser entdecken und vor einem standen Lucas und sein Vater und warteten auf uns. Ich kletterte nach Ethan hinaus und lief auf Lucas zu. Er packte mich in eine Umarmung und drückte mich fest an sich. „Was macht ihr denn hier?“ Lucas ließ mich los und zeigte hinter sich. „Es gibt zwei Häuser. Mein Dad und ich haben uns eins gesichert. Das andere ist eures.“ Ich schaute hinter ihm. Das kleinere Haus war gerade groß genug, um die zwei Männer zu beherbergen. Doch das Haus, in dem ich mit dem Jungs wohnte, konnte unserem früheren Zuhause durchaus Konkurrenz machen. Es hatte drei Stockwerke und ganz oben, konnte ich einen Balkon sehen, der um das gesamte Haus ging. Es war hellgelb und die Fensterläden, sowie das Dach waren rot. Gleich neben der Haustüre, rang sich Efeu bis zum obersten Fenster. Die Einfahrt führte zu einer sehr großen Garage, obwohl wir nur ein Auto hatten. „Das ist dein Zimmer, Evie.“ Ethan stand neben mir und zeigte direkt auf das Fenster mit den Efeuranken. Noah ging voran und schloss die Tür auf. Es war so gar nicht, dass was ich erwartete hatte. In unserem alten Haus war alles ziemlich modern. Keine Möbel und alles in Marmor und Glas. Dieses kleine Anwesen war komplett im Landhausstil eingerichtet. Eine Garderobe direkt neben der Tür, dahinter konnte ich den Eingang ins Wohnzimmer erkennen, worauf ich gleich zusteuerte. Es war nicht besonders groß, aber sehr gemütlich. Eine kleine Couch stand gegenüber einem Kamin jeweils auf einer Seite daneben waren zwei große Ohrensessel, in die ich mich am liebsten sofort fallen lassen würde. Genau auf der anderen Seite befand sich die Küche. Eine Große Nische stand in der Mitte und die Kästen und Flächen waren in Weiß gehalten, was ihnen einen warmen Eindruck verlieh. „Tamara und ich haben heute Morgen noch alles geputzt, was echt verdammt schwierig war, wenn du mich fragst.“ Evan wischte sich über die Stirn, als ob er imaginäre Schweißtropfen entfernen wollte. „Als ob du das nicht genießen würdest, du Putz-Freak.“ Adam klopfte seinem kleinen Bruder auf die Schulter und ließ sich mit einem lauten Plumps in den näheren Sessel fallen. Sehnsüchtig starrte ich den anderen Sessel an, doch zuerst wollte ich mein Zimmer sehen und vielleicht meine bedürftige Garderobe auspacken.

 

Evan führte mich nach oben und wir blieben gleich bei der ersten Tür stehen. „Also es sieht so aus. Wir müssen uns leider ein Badezimmer teilen, da das andere noch nicht funktionsfähig ist. Aber wir arbeiten dran. Bis dahin würde ich vorschlagen, du schließt die Tür immer zu.“ Mit einem leichten Grinsen ging er weiter. „Und das ist dein Zimmer. Du hast einen tollen Blick über die Felder und einen Balkon, der mit der oberen Terrasse verbunden ist. Ich hab es übrigens ausgesucht, weil es das schönste Zimmer ist. Ich hoffe es gefällt dir.“ Ich wollte ihm schon antworten, dass es doch vollkommen egal ist, wie das Zimmer aussieht, ich war nur froh, wieder mit den Jungs unter einem Dach zu wohnen. Doch als er die Tür öffnete, fiel mir fast die Kinnlade hinunter. Zuerst fiel mir das Bett auf. Es war hellgrau mit weißen Vorhängen, die an den Bettpfosten befestigt waren, die bis zur Decke reichten. Die Bettdecke und der Polster waren weinrot, ebenso wie der Teppich unter dem Bett, der so flauschig aussah, dass ich am liebsten darauf schlafen würde, anstatt in dem Bett. Rechts von der Tür stand der Schrank. Er war nicht besonders groß, was bei meinen Klamotten nicht so schlimm war, aber ebenfalls hellgrau mit weißen Ornamenten auf den Türen. Gegenüber dem Bett stand ein kleiner hellgrauer Schminktisch, mit einem großen beleuchteten Spiegel. Davor stand ein weißer Stuhl. Ich durchquerte das Zimmer und öffnete die Tür zum Balkon. Die Aussicht war wirklich ein Hammer. Die Felder reichten meilenweit und ich konnte die Sonne sehen, wie sie gerade hinter dem Horizont verschwand. Ein Schaukelstuhl stand in einer Ecke und die Treppe zum oberen Bereich war gleich auf der anderen Seite.
„Es ist umwerfend, Evan.“ Ich umarmte ihn und genoss für einen Moment, wie er seine Arme um mich schlang und fest zudrückte. Ich küsste ihn auf die Wange und rannte los um mich mit einem großen Sprung aufs Bett zu werfen. Ein Kichern entwich mir und ich fragte mich, wann ich dieses Geräusch zuletzt von mir gegeben hatte.
„Ich habe organisiert, dass du zuerst duschen kannst und danach gibt es noch Abendessen falls du Hunger hast. Ich hoffe dir gefällt dein neues Zuhause.“ Ich hatte keine Ahnung, was er sonst noch gesagt hatte, denn in diesem Moment schlief ich ein.
Mitten in der Nacht wachte ich auf und sah mich in meinem neuen Zuhause um. Dank des Mondlichts, dass durch die Balkontüren fielen, konnte ich die Nachttischlampe, die neben meinem Bett stand finden. Neben der Tür auf dem Boden lag ein Tablett mit einem Sandwich und einem Glas Wasser. Ich hob es vom Boden hoch und las die Notiz, die darauf war. „Falls du doch noch Hunger bekommst du Schlafmütze, Noah.“ Ich biss ein großes Stück ab, stellte das Tablett auf den Schminktisch ab und ging auf den Balkon. Ich genoss die kühle Luft und sog die Stille, direkt in mich auf. Hier kam es keine Abgase von den Maschinen und den Autos und keine hundert Soldaten, die herumliefen. Als ich es mir gerade auf dem Schaukelstuhl bequem machen wollte, hörte ich ein Geräusch von der Terrasse über mir. Langsam stieg ich die Treppe nach oben und versuchte etwas in der Dunkelheit auszumachen. Ganz am Ende der Hausseite stand jemand und blickte zum Himmel hinauf. Als sich die Gestalt leicht drehte und das Mondlicht sei Gesicht beleuchtete, konnte ich Adam erkennen. Seine Augen warn glasig und ich konnte hören wie er schniefte. „Es tut mir so leid, David.“ Dann brach er zusammen und er konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Ich war wie erstarrt. Der starke Adam, gebrochen, wegen des Todes seines Bruders. Ich hatte keine Ahnung, wofür er sich entschuldigte, denn er hatte mit seinem Tod nichts zu tun. Ich wollte zu ihm gehen, doch gerade als ich die nächste Stufe hochging, kam ein Geräusch von unten und Adam sah auf. Zum Glück hatte ich kein Licht eingeschaltet, sonst hätte er mich entdeckt. Er wischte sich übers Gesicht, stand auf und verließ die Terrasse.
In dieser Nacht, konnte ich keinen Schlaf mehr finden.

 

Das Frühstück sah köstlich aus. Ich deckte den Tisch, während Ethan und Evan das Brot auflegten und alle anderen Köstlichkeiten dazu. Endlich wieder konnten wir ein normales Essen genießen. „Wo ist Adam?“ Ich schaute mich um, doch konnte ich den Sturkopf nirgends sehen. Nach dem gestrigen Ereignis, machte ich mir etwas Sorgen um ihn. „Er ist draußen, Holz hacken“ Noah zeigte in den Garten. Da es bald wieder kälter wird, brauchten wir viel Feuerholz. Doch da wir alle gemeinsam frühstücken sollten, ging ich nach draußen um ihn zu holen. „Adam!“ Ich sah wie er immer wieder auf die Holzscheite einhackte, als wäre er wütend auf sie. „Adam, wir wollen frühstücken, kommst du?“ Er sah nicht auf, als er mir antwortete. „Ich habe keinen Hunger. Esst ohne mich.“ Ich war ebenfalls ein Sturkopf, deshalb ließ ich nicht locker. „Es geht nicht darum, dass wir essen, sondern dass wir gemeinsam zusammen sind. Also komm rein.“ Die Axt stoppte mitten im Flug. „Zusammen sind? Wir werden nie wieder zusammen sein, Evie. David ist tot, schon vergessen?“ Nein, das werde ich niemals vergessen. Es war jetzt knapp zwei Monate her, seit wir auf diesem Stützpunkt waren und trotzdem ist mein Körper immer noch mit Kälte gefüllt. „Du gibst also doch mir die Schuld?“ Wenigstens einer der mich verstand. Ich sah ihm tief in die Augen. Ich wollte den Hass darin sehen. Doch es war nicht der Hass auf mich, sondern gegen sich selbst, den ich sah. „Hör endlich auf damit?“ Er lehnte die Axt gegen die restlichen Stämme. „Ich war es, der den Plan geschmiedet hat. Ich war derjenige der die Aussichttürme im Blick hätte haben sollen. Es war meine Schuld, dass David an genau der Stelle war, als die Kugel…“ Seine Stimme brach und er schloss seine Augen. Er hatte den Plan gemacht? Ich dachte immer, David war derjenige, der sich alles einfallen ließ. „Wieso hast du das getan? Ich dachte du würdest mich hassen?“ Er lächelte. Was bitte fand er jetzt gerade so amüsant? „Ich hasse dich nicht, Evie.“ Jetzt war ich diejenige, die lächelte. Über diesen bescheuerten Witz. „Kannst du mir dann bitte mal erklären, was dein verdammtes Problem mit mir ist? Denn offensichtlich hast du eines, so wie du mich immer behandelst?“ Er kam näher. Als er einen Meter vor mir plötzlich stehen blieb, eine Hand in der Luft, schüttelte er den Kopf. „Ich kann nicht.“ Er nahm die Axt in die Hand und stapelte das Holz wieder, um zugleich wieder darauf einzuschlagen. Ich wurde wütend. Die Axt in der Luft, ging ich geradewegs auf ihn zu und nahm sie ihm weg. „Evie! Gib sie wieder her.“ Ich stellte mich ein paar Meter weiter weg. „Nein. Erst wenn du zugibst, was ich getan habe, dass dich so wütend macht? Wenn du mir nicht die Schuld an Davids Tod gibst, was ist es dann?“ Er kam näher. „Lass das Spielchen, Evie. Ich will dir nicht wehtun.“ Er versuchte nach der Axt zu greifen, doch ich war schneller. „Du kannst mir nicht wehtun schon vergessen? Jetzt gib es endlich zu. Warum hasst du mich?“ Unsere Stimmen wurden immer lauter. Er presste die Augen zusammen. „Ich kann es dir nicht sagen. Denn wenn ich es zugebe, könnte ich nicht mehr in den Spiegel schauen. Es wäre einfach falsch. Abgrundtief falsch.“ Ich hatte keine Ahnung worauf er hinauswollte. Ich ging langsam auf ihn zu und sprach ganz deutlich um ihm zu zeigen, wie wichtig mir diese Sache war. „Warum hasst du mich?“ Ich versuchte ihm in die Augen zu sehen, doch plötzlich schoss sein Kopf hoch. Er näherte sich mir schnell, nahm meinen Kopf in seine Hände und presste seine Lippen auf meine. Es war kein zärtlicher Kuss. Es war eher so, als wäre er am Verdursten und ich klares Wasser. Er brauchte dieses Wasser, also ließ ich ihn gewähren und versuchte ihm zu helfen. Als er von mir abließ spürte ich eine Träne auf meiner Wange. Doch sie war nicht von mir, sondern von Adam. „Ich liebe dich, Evie. Ich liebe dich schon so lange. Doch ich wusste, dass David die bessere Wahl für dich war, also habe ich den Mund gehalten.“ Er trat zurück und schloss wieder die Augen. „Es tut mir so leid. Ich weiß wie egoistisch das ist und deshalb wollte ich auch nichts sagen. Es tut mir so leid, so schrecklich leid.“ Ich fühlte wieder diese Kälte in mir. Langsam aber bestimmt, drehte ich mich um und lief ins Haus. „Evie!“ Adam schrie mir nach.  „Es tut mir so leid. Ich wollte das alles nicht.“ Mein Kopf hämmerte und meine Ohren rauschten. Mein Zimmer war am Ende des Ganges und dorthin verzog ich mich. Ich schloss zu und stürmte ins Bad. Ich stürmte zu der Toilette und übergab mich. Das war`s wohl mit gemütlichen Frühstück.

 

8. Kapitel

Was ist nur los mit mir? Ich habe gerade erst David verloren. Den Mann, den ich liebte, obwohl ich dachte, nie wieder jemanden lieben zu können, und doch steh ich hier und kann an nichts Anderes mehr denken, als an Adam. Er war also derjenige der den Plan geschmiedet hatte mich rauszuholen. Er hat David versprochen, auf mich aufzupassen, als er starb und er hatte mich geküsst. Doch der Kuss war nicht sanft und liebevoll. Er war unsicher, verzweifelt.

Es war ein unglaublicher Kuss. Ich bekam Panik und stieß ihn sofort von mir weg und doch kann ich nicht aufhören an ihn und diesen Kuss zu denken.

Plötzlich klopfte es an der Tür. "Evie, ist alles in Ordnung? Du bist so plötzlich nach oben gerannt, ist dir schlecht?" Es war Evan. Er machte sich immer Sorgen um mich. Um ehrlich zu sein, wusste ich nicht ob es mir gut geht. Ich öffnete die Tür und Evan stürzte sich auf mich und umarmte mich. „Oh mein Gott, was ist passiert? Was hat dieser Arsch zu dir gesagt?“ Er drückte mich leicht von sich und wischte mir übers Gesicht. Erst als ich seinen nassen Finger sah, erkannte ich das ich weinte. „Er hat nichts gesagt. Er…er…“ Ich konnte es nicht aussprechen. Denn eigentlich sollte ich bestürzt darüber sein, dass Adam mich geküsst hatte, doch ich war es nicht. Ich fühlte mich eher befreit. Ich schüttelte den Kopf. Nein, das durfte ich nicht fühlen. Es war Adam. Derjenige der mich ein Monster nannte und mich von Anfang an nicht hier haben wollte. Allerdings hat er mich auch aus dem Institut gerettet und sich bereit erklärt, mir das Bogenschießen beizubringen. Er sagte er würde mich schon lange lieben. Seit wann hatte er diese Gefühle? Und wieso hat er mich so behandelt, wenn er angeblich in mich verliebt war? Mein Kopf schmerzte und ich musste mich setzen. Evan starrte mich die ganze Zeit mit offenem Mund an, doch er sagte kein Wort. „Adam hat mich geküsst!“ Evan riss zusätzlich die Augen auf. „ER HAT WAS?“ Ich stürzte auf ihn zu und hielt ihm den Mund zu. „Shhhh… Bist du verrückt. Schrei doch nicht so herum.“ Jetzt war es an Evan den Kopf zu schütteln. „Was? Aber wieso? Warum sollte er das tun? Ich dachte er würde dich hassen?“ Ich nahm neben ihm Platz. „Ja, das dachte ich auch. Was mach ich denn jetzt nur?“ Mein Kopf fiel in meine Hände und ich spürte weitere Tränen auf meinen Wangen. Ich hatte in letzter Zeit so viel geweint, dass ich vermutlich gar nicht mehr merkte, wenn meine Augen tränten.

Ich konnte spüren, wie sich Evan wand, als er die nächsten Worte aussprach "Wie war es denn?" Ich blickte zu ihm hoch. "Was meinst du damit?" Er schüttelte den Kopf und schnitt eine Grimasse "Ich meine damit, wie du dich dabei gefühlt hast. Hat es dir denn gefallen?" Das waren zwei komplett unterschiedliche Sachen, doch ich musste zugeben, dass es ein unglaublicher Kuss war. Ich wurde leicht rot und laut Evans Blick, verstand er warum ich zögerte. "Es hat mir gefallen, doch... Was ist mit David?" Evan nahm mich in den Arm, als die Tränen wieder flossen. "Jeder würde es verstehen, wenn du nach Davids Tot weiterlebst. Und damit meine ich nicht, dass du ihn vergessen sollst. Ich weiß, dass du das niemals tun würdest, doch er würde sicher auch wollen, dass du wieder glücklich wirst und vielleicht macht Adam dich glücklich. Denk mal drüber nach. Wie hast du dich wirklich gefühlt. Hast du es genossen?" Bei der Frage verzog er wieder das Gesicht. Verständlich, da wir über seinen Bruder reden. "Zuerst war ich geschockt, allerdings..." Ich konnte es nicht zugeben, denn wenn ich es tat, würde ich das Andenken, an David beschmutzen. "Sag es ruhig, Evie. Vor mir kannst du es zugeben und danach musst du nie wieder darüber sprechen." Er lächelte mich an und ich wusste, er würde es niemanden erzählen. Auch wenn ich die Jungs als meine Familie ansah, Evan war der kleine Bruder, den ich nie hatte und immer haben wollte. "Ich fühlte mich geborgen. Es war zwar nur für einen kurzen Augenblick, doch mein Herz setzte einen Schlag aus und am liebsten hätte ich mich komplett fallen gelassen und hätte dem Kuss nachgegeben." Ich spürte einen kleinen Stich, doch als Evan mich erneut umarmte und mir zuflüsterte, dass alles in Ordnung kommen würde, fühlte ich mich nicht mehr so zerbrochen.

 

Nachdem Evan gegangen ist, nahm ich ein Bad und versuchte, alles zu überdenken. Was würde passieren, wenn ich mich auf Adam einlassen würde? Aber kann man wirklich jemanden lieben, den man am Anfang für ein Monster hielt? Mein Kopf schwirrte und ich beschloss mit Adam sobald wie möglich zu reden. Ich stieg aus der Wanne, trocknete mich ab und zog mir den gemütlichen Jogginganzug an, den ich im Insitut anhatte und den Lukas mir eingepackt hatte.

Noah hatte mein Lieblingsessen zubereitet, Spagetti mit Bolognese Sauce. Vermutlich wollte er mich aufheitern, nachdem ich beim Frühstück verschwunden bin. "Ich dachte mir du hättest Hunger!" Ich gab ihm einen Kuss auf die Wange und setzte mich auf einen Stuhl, vor dem schon ein großer Teller mit Nudeln mit Sauce stand. Gerade als ich das Besteck in die Hand nahm und einen großen Bissen nehmen wollte, kam Adam zur Tür herein. Er bemerkte mich zuerst nicht, da er nur Augen für den Topf hatte, doch als er mich sah, blieb er für eine Sekunde stehen und seine Lippen formten ein kurzes "Tut mir leid" Was sollte das denn nun heißen? Meine Hand hielt in der Luft an und die Nudeln rutschten von der Gabel. Als Noah zurück zum Tisch kam, blickte er zwischen mir und Adam hin und her. "Was ist denn mit euch beiden los?" Adam und ich sahen gleichzeitig auf und versuchten unsere roten Gesichter zu verbergen, doch als Evan und Ethan in die Küche kamen, verwandelte sich das zarte Rosa in Adams Gesicht in ein Tomatenrot.

Evan setzte sich wie selbstverständlich neben mich, doch Ethan zog den Stuhl neben Adam mit so einem starken Ruck zurück, dass er fast umkippte , die Stuhlbeine streiften den Tisch und brachten ihn zum wackeln. Wie auf Kommando ließ Adam wieder den großen Bruder raushängen und schlug Ethan auf den Hinterkopf. "Pass doch auf, du Trampel" Ethans Faust schoss nach vorn, doch noch bevor sie Adams Gesicht traf, landete sie in Noahs Hand. "Was ist denn los mit dir?" Ich beobachtete das Ganze wie aus weiter Ferne. Ethan hat sich schon lange nicht mehr so verhalten. Irgendetwas hat ihn vermutlich aufgeregt, doch so wie ich ihn bereits kenne, wird er außer seinem Bruder niemanden etwas davon erzählen. "Frag doch ihn!" Sein Finger zeigte auf Evan und ohne, dass ihn jemand aufhalten konnte, stürmte er aus dem Zimmer und wir konnten seine Tür bis nach unten zufallen hören.

"Was ist eigentlich sein Problem?" Adam sah ihm immer noch hinterher. Er tat alles um mir nicht in die Augen sehen zu müssen. Ich tat es ihm gleich und mein Kopf fuhr stattdessen zu Evan. ""Was ist passiert?" Mein Blick glich einer Mutter, die gerade ihr Kind tadelte, doch Evan kannte diesen Blick bereits von mir, da ich ihn in der Zeit nachdem ich zu ihnen gezogen bin, öfter auflegen musste, denn die zwei stellten immer etwas an, womit sie diesen Blick verdienten. Evans Blick bedeutete mir, dass er vor seinen Brüdern nicht darüber reden möchte, also ließ ich es bleiben und drehte wieder ein paar Nudeln auf meine Gabel, nur um Adams Augen zu begegnen und wieder komplett rot zu werden.

"Ok, Evie, hol Ethan nach unten. Wir machen jetzt einen Familienrat. Ich halte dieses Geschweige nicht mehr aus." Ich hatte keine Ahnung, wie ich Ethan überreden sollte, nach unten zu kommen, doch ich versuchte es und ging nach oben. Ich hatte noch keinen Bissen von meinen geliebten Spagetti vertilgen können, doch wenn Noah etwas befahl, tat man es am besten sofort.

Ich konnte Musik aus Ethans Zimmer hören und vermutete, dass er irgendwo ein Radio aufgetrieben hatte und alte CDs abspielte, doch als ich anklopfte brach die Musik plötzlich ab. "WAS?" Seine Stimme war so fremd, dass ich kurz zögerte, bevor ich die Tür öffnete. "Hey. Alles in Ordnung?" Er blickte von seiner Gitarre hoch, die er vermutlich irgendwo mitgehen lassen hatte und ich sah, dass seine Augen rot waren. "Sehe ich etwa so aus?" Ich begab mich auf seine Höhe und kniete mich hin. "Was ist passiert?" Er stellte die Gitarre ab und stand auf. "Das geht dich überhaupt nichts an." Ich folgte ihm und versuchte meine Wut etwas zu zügeln, da ich genau wusste, dass er sofort auf stur schalten würde. "Noah möchte, dass wir alle nach unten kommen, um zu reden." Sobald ich Noah erwähnte, blickte er auf und zog den Schwanz ein. Niemand wiedersetzte sich ihm, denn derjenige wusste, was auf einen zukommen würde. Damit meine ich jetzt nicht, dass er uns schlagen würde, sondern dass er seinen Standpunkt mit „speziellen Fähigkeiten“ klarmachte. Einmal hatte Evan sich geweigert, den Müll rauszubringen. Danach war er Kopfüber über dem Sofa festgebunden worden und wurde mit Flüssigkeiten bespritzt, die ich lieber unerwähnt lasse.

Ethan folgte mir nach unten, wo die Familienmitglieder bereits im Wohnzimmer saßen und Noah, als Familienoberhaupt, vor der Couch stand. "Da wir nun alle komplett sind, kann ich ja anfangen." Ich verschanzte mich auf den Boden vor Evan, weit weg von Adam und Ethan nahm den Stuhl, der von Ethan am weitesten weg war. Was zum Teufel ist zwischen ihnen passiert?

"Was ist mit euch beiden los?" Noah wandte sich sofort an Ethan und Evan, wobei er den einen streng, den anderen mitfühlend ansah. Auch Adam und ich nahmen die beiden ins Visier. Sie schwiegen beide, aber Noah lässt so ein Verhalten nicht durchgehen, deshalb sprach er nochmal deutlicher. "Was zum Teufel ist mit euch beiden los? Ethan! Warum bist du vorhin so an die Decke gegangen?" Ethan schmollte, verschränkte die Arme und sah demonstrativ in die andere Richtung. Noah trat auf ihn zu und zwang ihn so, ihn anzusehen. "Hey Kleiner! Du weißt, dass wir hier keine Geheimnisse haben, oder?" Ich sah Tränen in Ethans Augen und empfand sofort Mitleid mit ihm. Noah bemerkte es ebenfalls, denn er kniete sich vor ihn und sah ihm tief in die Augen. In dem Moment als Noah wieder zu sprechen anfangen wollte, schritt Evan ein. "Es ist meine Schuld." Alle Augen hefteten sich auf ihn und wir warteten. "Ich habe ihm etwas erzählt, was er nicht so aufgefasst hat, wie ich es mir vorgestellt hatte." Plötzlich sprang Ethan auf und warf Noah dabei fast um, da er immer noch vor ihm kniete. "Du hast es mir erst erzählt, als es schon passiert war, du Arsch." Nun mischte ich mich ebenfalls ein. "Ethan, pass auf was du sagst." Plötzlich richtete sich seine Wut auf mich. "Warum sollte ich? Das ist doch deine Schuld. Pass lieber auf, was DU sagst, du Monster!" Die plötzliche Bewegung neben mir, verlief wie in Zeitlupe. Adam sprang auf und hechtete auf Ethan zu. Der erste Schlag ging direkt in sein Gesicht. Der zweite und dritte glitt vorbei, da Noah und Evan ihn zurückhielten. "Du erbärmliches Weichei. Du hast keine Ahnung was du redest." Ich war wie erstarrt. Meine Augen fixierten Adam. Seine Wut ließ sich nicht bremsen. Noah und Evan hatten alle Mühe ihn zurückzuhalten. Erst als ich mich direkt vor sein Gesicht stellte und meine Hände auf seine Brust legte, nahm er seine Augen von Ethan. "Adam. Beruhige dich. Er ist nur wütend." Ich umfasste sein Gesicht und sprach langsam mit ihm, bis sein Puls sich wieder normalisiert hatte. Er riss sich von den Jungs los und stürmte hinaus. "Was war das denn gerade?" Ethan wirkte verängstigt und verwirrt zugleich. Ohne Vorwarnung platze Evan unser Geheimnis heraus "Evie und Adam haben sich geküsst!"

"Evan?"

"Es tut mir Leid, Evie, aber..!"

"Evan hat Lucas geküsst!" Auch Ethans Mundwerk ließ sich nicht zügeln. Was zur Hölle ging hier nur vor sich?
Ich wollte mich gerade zu Evan umdrehen und ihn ungläubig ansehen, da schritt Noah ein und warf die beiden aus dem Zimmer. "Evan! Ethan! Raus mit euch. Klärt das unter euch." Noah rieb sich den Nasenrücken, schloss die Augen und scheuchte mit der freien Hand die Zwillinge nach draußen. Nur sehr widerwillig, gingen sie, während Evan mir noch einen entschuldigenden Blick zuwarf, den ich mit einem vernichteten erwiderte.

"Also..." Noah setzte sich nun aufs Sofa und faltete die Hände im Schoß. Sein Grinsen ging von einem Ohr zum anderen. "Adam hat sich endlich getraut, Mmhh?" Mir fiel die Kinnlade nach unten. "Du hast das gewusst?"
"Denkst du ich bin blind? Ich bin sein großer Bruder, klar fällt mir sowas auf. Außerdem hat er sich noch nie so verhalten, seitdem du bei uns bist" Er kniff die Augen zusammen, und dachte nach. "Am Anfang dachte ich, er würde dich wirklich verabscheuen, doch spätestens nachdem wir dich alle nackt unter der Dusche erwischt haben, war mir klar, dass er sich ziemlich zurückhalten musste, weil David uns eingebläut hat, dass wir in deiner Gegenwart aufpassen sollen" David hat sie gewarnt? Mein Lächeln wirkte vermutlich ziemlich verträumt in diesen Moment "Er war schon immer der Bessere von uns allen. Ich kann mich noch genau daran erinnern, als er vor unserer Tür stand. Er war groß, so wie wir alle. Doch er wirkte nicht besonders tough, oder als würde er sich oft prügeln, so wie ich, Adam und die Zwillinge." Er zog ein Bild aus seiner Hosentasche hervor und zeigte es mir. Es war ein Foto von seiner Familie. Darauf waren Noah, Adam, David, die Zwillinge und ein älterer Mann, der zwischen Adam und Noah stand und ihnen die Hände um die Schultern legte. "Das ist unser Vater. Er hat David sofort bei uns aufgenommen, als er uns seine Geschichte erzählt hat. Adam passte auf ihn auf, seit dem Zeitpunkt als er bei uns eingezogen ist." Ich gab ihm das Foto zurück und setzte mich neben ihn. "Was soll ich machen, Noah?" Er lehnte sich zurück und ich spürte seinen Blick auf meinem Rücken. "Fühlst du denn dasselbe wie er?" Mein Kopf war leer. Ob ich das gleiche fühle? Ich habe keine Ahnung. David ist doch erst vor kurzem direkt vor meinen Augen ermordet worden und Noah fragt mich, ob ich seinen Bruder liebe? Wie könnte ich denn? "Ich weiß es nicht."
"Du kannst es zugeben, Evie. David würde wollen, dass du wieder glücklich bist." Ich schüttelte den Kopf. "Das kannst du gar nicht wissen."
"Oh du denkst nicht, dass ich meinen kleinen Bruder so gut kenne, dass er möchte, dass jemand den er geliebt hat, nach seinem Tod wieder glücklich wird?" Noah so über David reden zu hören, wärmte mir das Herz. Ich ließ mich zurückfallen und schmiegte mich etwas an meinen großen Ersatzbruder. Er legte seinen Arm um mich und flüsterte mir zu. "Du solltest mit ihm reden und rausfinden, was du fühlst. Ich weiß er wird es verstehen, wenn du Zeit brauchst." Er küsste meine Stirn und verließ das Wohnzimmer. Ich konnte noch hören, wie er in der Küche anfing aufzuräumen, als Adam schon ins Zimmer kam und sich langsam auf den Platz neben mich setzte. "Hi" war alles, was aus seinem Mund kam. Ich drehte mich zu ihm um und sah ihm die Augen. "Hi..." Ich hatte nicht die geringste Ahnung wie ich anfangen sollte, deshalb wartete ich darauf, dass er etwas sagte.
"Es tut mir leid, dass ich dich geküsst habe. Also, der Kuss selbst, tut mir nicht leid. Nur, dass ich dich so überfallen habe." Ich wollte etwas sagen, doch er hörte nicht auf zu reden. "Ich wünschte ich hätte gewartet, bist du bereit warst. Es tut mir so leid, Evie. Ich hätte das nicht tun sollen." Ich legte meine Hand auf sein Knie und sein Gequassel hörte abrupt auf. "Ich würde dich gerne wieder küssen, doch ich werde nichts tun, bist du weißt, was du willst, das verspreche ich dir." Ich lächelte ihn an und nahm seine Hand in meine. "Danke, Adam. Es war vermutlich nicht leicht, mir das alles zu sagen. Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, was ich darauf antworten soll, aber ich versuche es dir zu erklären." Ich holte tief Luft und fing an. "Ich liebe David." Ich korrigierte mich schnell, allerdings kam es mir nur sehr schwer über die Lippen. "Ich liebe ihn immernoch. So etwas lässt sich nicht einfach abstellen. Das, was du für mich seit seinem Tod gemacht hast, war wirklich unglaublich. Ich weiß, dass du dafür gesorgt hast, dass ich sicher zum Stützpunkt komme und ich weiß auch, dass du den Plan geschmiedet hast, wie ihr mich aus dem Institut befreit." Bei diesem Satz wurde er wieder rot. „Doch du musst verstehen, dass ich bis gestern dachte, du würdest mich hassen. Ich weiß nicht was ich fühle, da das alles ziemlich verwirrend für mich ist." Er entzog sich meiner Hand, doch ich griff sofort wieder danach. "Das bedeutet nicht, dass mir der Kuss nichts bedeutet hat." Ich lächelte ihn wieder an und drückte seine Hand auf mein Herz. "Ich habe mich geborgen gefühlt und habe es genossen." Ich dachte kurz nach, ob ich ihm alles erzählen sollte, doch wenn ich wollte, dass er mich verstand, musste er alles erfahren. "Ich will ehrlich zu dir sein. Eine Sekunde nach dem der Kuss vorbei war, habe ich mich schuldig gefühlt. Ich trauere immer noch um David und dann küsse ich seinen Bruder und fühle mich gut dabei." Meine Augen brach etwas ab, doch Adam nahm mein Gesicht und strich mit dem Daumen über meine Wange. "Ich habe mich in der Sekunde schuldig gefühlt, als du zu mir in den Garten kamst, weil ich wusste, was ich tun würde. Doch ich habe es dennoch getan, da ich so nicht mehr leben wollte. Ja, in dem Moment tat es mir leid, doch wie gesagt, Ich bereue nichts." Er umfasste mein Gesicht mit beiden Händen und sah mir tief in die Augen. "Evie?" Seine Stimme klang rau. "Ja?" Meine Stimme zitterte. "Darf ich dich küssen?" Ich antwortete ihm nicht. Ich überbrückte die Entfernung unserer Lippen und küsste ihn. Dieses Mal war der Kuss zuerst zögernd, doch als ich ihm noch mehr entgegenkam, wurde er fordernder. Ich spürte seine Zunge auf meinen Lippen und ließ ihn gewähren. Meine Hände wanderten auf seine Brust zu und fühlten die harten Muskeln unter dem dünnen Shirt. Ich spürte seine Hände langsam meine Arme hinunter wandern, bis sie kurz auf meinen Hüften liegenblieben. Danach wanderten sie weiter auf meinen Hintern und er hob mich etwas hoch, sodass ich auf seinen Schoss landete. Ich beugte mich weiter über ihn und unsere Lippen trennten sich für keine Sekunde.

Plötzlich konnte ich ein lautes Räuspern hinter uns hören und als ich mich umdrehte, wünschte ich mir sofort im Boden zu versinken. Lukas Dad, Jacob stand in der Tür und hatte eine Marineuniform an. Ich sprang auf und richtete meine Kleidung und meine Haare. Adam stand plötzlich neben mir und richtete sich ebenfalls zurecht. „Was wollen sie hier?“ Ich wollte Adam schon anschnauzen, dass er nicht so unhöflich sein sollte, doch Jacob trat auf ihn zu und selbst wenn er etwas kleiner als Adam war, zuckte der für einen Moment zurück. „Hat den niemand mehr Respekt vor dem Alter?“ Ich lächelte in mich hinein und begrüßte Jacob mit einem Kuss auf die Wange. „Kann ich kurz mit dir reden, Kleines?“ Ich nickte und folgte ihm in den Garten, nachdem wir Adam sprachlos vor dem Sofa zurückließen. „Was gibt’s?“ Ich stand vor der Stelle, an der Adam mich heute früh geküsst hat. Verdammt ist das wirklich erst heute passiert?

„Ich habe vorhin mit Tamara geredet. Sie meint, dass die Nebler, die wir mitgenommen haben, ziemlich unruhig werden. Hast du vielleicht eine Ahnung warum?“ Er übergab mir eine Akte, die mit sehr vielen Verwirrenden Wörtern und Zahlenkombinationen gefüllt war. „Ich bin zwar in diesem Forschungsinstitut aufgewachsen, doch ich verstehe leider gar nichts davon.“ Ich gab ihm die Akte mit einem traurigen Blick zurück. „Ich bin genauso ein Forschungsobjekt wie diese Menschen, denen sie dieses Gen gespritzt haben, um sie zu Nebler zu machen.“ Er blickte zum Himmel auf, der immer dunkler wurde und die Sterne langsam zum Vorschein kamen. „Ich habe es ebenfalls erst vor Kurzem herausgefunden, was sie mit den Menschen gemacht haben. Hätte ich das gewusst, hätte ich schon viel früher etwas unternommen. Es tut mir so leid, Evie.“ Ich spürte wie sehr in das Mitnahm und nahm seine Hand. „Es ist nicht deine Schuld. Mein Vater und sein Team hat all das zu verantworten.“ Jacob sah mir tief in die Augen. „Ich gehörte zum Team deines Vaters, Evie. Ich hätte es wissen müssen.“ Ich wollte ihm widersprechen, doch ich konnte die Stimme meiner Großmutter nicht vergessen. Sie haben sich geliebt. „Kanntest du meine Mutter?“ Jacob nickte und sah mich wieder an. „Hat mein Vater sie geliebt?“ Seine Mundwinkel zuckten. „Jeder hat deine Mutter geliebt, Evie. Aber dein Vater… Er hat sie vergöttert.“ Wie konnte es dann dazu kommen. „Ich versteh das nicht. Wenn er sie doch geliebt hat, wie konnte er ihr dann so etwas antun?“ Jacob sah sich um und setze sich dann auf die Stufen, die zur Veranda führten. „Vermutlich hat dir nie jemand erzählt, wie die Nebler entstanden sind oder?“ Ich schüttelte langsam den Kopf und setzte mich zu ihm. Als er anfangen wollte, hörte ich im Haus plötzlich einen Tumult und lief hinein. „Du kannst mich mal, du Arschloch.“ Ethan polterte die Treppe herunter und hatte seinen Rucksack auf dem Rücken. Evan sprintete hinterher und versuchte ich einzuholen. „Es tut mir leid, Evan. Bitte. Wir müssen über das Reden.“ Ethan machte sich auf den Weg zur Haustür, doch Adam und Noah waren schneller. Wie zwei Schränke versperrten sie Ethan den Weg. „Lasst mich durch.“ Die zwei Brüder schüttelten gleichzeitig den Kopf und als ich mich hinter Ethan stellte, ließ er langsam den Rucksack auf den Boden fallen. „Wow. Danke“ Evan war völlig außer Atem hinter mir aufgetaucht und versuchte an Ethan heranzugehen. „Kein Schritt weiter, du Schwuchtel.“ Ohne nachzudenken, schoss meine Hand nach oben und verpasste Ethan eine saftige Ohrfeige. „Das sagst du nicht nochmal. Hast du mich verstanden?“ Ich konnte sehen, dass es ihm einfach rausgerutscht ist, doch seine Augen zeigten keine Reue. „Was ist denn hier los?“ Jacob stand plötzlich hinter Evan und verfolgte die ganze Szene mit. Ethan fing an lauthals zu lachen und ich hatte ernsthaft die Befürchtung, dass ihm die Sicherung langsam durchbrannte. „Ihr Sohn und mein Bruder hatten Sex.“ Die Stille, die sich plötzlich ausbreitete, war greifbar. Ich starrte Evan an und gab ihm ein Zeichen, dass wir noch ein ernstes Gespräch führen mussten. Hinter ihm fiel Jacob vermutlich gerade aus allen Wolken, doch bis jetzt hielt er sich noch tapfer. Langsam drehte ich den Kopf wieder zu Ethan. „Und kannst du mir vielleicht einmal erklären, warum du das als Veranlassung siehst, abzuhauen und deinen Bruder zu beleidigen?“ Ethan machte einen Schritt auf mich zu und sein Blick war eiskalt. „Wenn du dieses Schwein nicht aus dem Institut mitgenommen hättest, wäre all das nie passiert.“ Ich wollte ihm gleich noch eine Ohrfeige geben, doch Noah war schneller. „Das reicht jetzt, Ethan. Komm wieder runter und geh nach oben. Wir müssen reden.“ Ethan schnellte zu Noah um und schrie ihm förmlich ins Gesicht. „Den Teufel werde ich tun. In dieser Familie geht alles drunter und drüber seit sie hier aufgetaucht ist.“ Sein Arm zeigte auf mich und ich fühlte mich als ob er mich gerade mit einem Messer durchbohrt hätte. „Nimm das zurück, Ethan.“ Evan stand direkt neben mir und nahm meine Hand in seine. Ich schüttelte in ab und trat ein paar Schritte zurück. „Er hat Recht.“ Vor mir sah ich meine Familie Ethan, Evan, Noah und Adam. Sie alle hatten viel verloren, seitdem ich zu ihnen gestoßen bin und nichts davon konnte ich ihnen zurückzahlen. „Evie. Rede keinen Blödsinn.“ Noah näherte sich mir langsam, doch ich hielt ihn zurück. „Wenn es für dich in Ordnung ist, würde ich gerne bei euch bleiben, Jacob.“ Ich drehte mich zu dem älteren Mann um, bevor Adams Blick mich vom Gegenteil überzeugen konnte. „Du bist jederzeit willkommen, Evie. Natürlich.“

„Ich weiß, dass du mich im Moment nicht besonders leiden kannst, Ethan. Aber dein Bruder ist glücklich. Ist das nicht das wichtigste?“ Er starrte mich immer noch an und brachte kein Wort heraus. „Evan? Hilfst du mir beim Packen?“ Ohne auf seine Antwort zu warten, ging ich nach oben und trottete in mein Zimmer. „Du willst doch nicht wirklich gehen, oder?“ Evan schloss die Tür hinter sich, während ich anfing meinen Kasten zu räumen. „Doch. Es ist für alle das Beste!“ Er nahm mir mein Shirt aus der Hand und warf es aufs Bett. „Das Beste für alle wäre, wenn mein Bruder ausziehen würde und nicht Du!“ Ich zog den Reisverschluss meines Rucksacks zu und schnappte mir das Shirt vom Bett. „Nein. Er ist dein Bruder. Ihr seid eine Familie.“ Er stellte sich vor die Tür, als ich sie öffnen wollte. „Aber du bist auch unsere Familie. Er muss das einfach akzeptieren.“ Ich küsste ihn auf die Wange und verließ, ohne einen weiteren Blick, mein Zimmer.
Nachdem ich die Sachen aus dem Badezimmer holte, trat ich die Treppe hinunter und sah, dass Adam und Noah bereits auf mich warteten. „Du wirst auf keinen Fall das Haus verlassen.“ Noah verschränkte die Arme und baute sich vor mir auf. „Noah lass mich durch. Das ist doch lächerlich. Ich wohne doch gleich nebenan.“ Adam stellte sich direkt neben seinen Bruder und ich stand vor einer undurchdringbaren Wand. Gerade als mir Evan meinen Rucksack entreißen wollte, knackte Noahs Funkgerät.
„Noah! Verdammt ihr müsst sofort herkommen!“ Er schnappte sich das Walkie-Talkie und sprach zurück. „Carter? Was ist los?“ Es dauerte eine Weile, bis es wieder ein Knacken gab. Doch auf diese Antwort waren wir nicht vorbereitet. „Sie sind frei. Die Nebler sind freigekommen.“

 

Die Autoreifen quietschen als Adam um die Ecke bog. Der Stützpunkt war hinter dem nächsten Hügel und wir konnten die Schreie bereits hören. Wir kamen schlitternd zum stehen und sprangen alle gleichzeitig aus dem Wagen. Evan fuhr mit Jacob und Lucas mit, die bereits hinter uns ebenfalls aus dem Auto hechteten. „Adam, zeig Evie das Waffenlager. Wenn die Nebler frei sind, dauert es nicht mehr lange, bis die Kavallerie hier auftaucht. Wir brauchen Waffen.“ Adam wollte mich schon mitziehen, doch ich riss mich los. „Noah, ich muss zu ihnen.“ Alle starrten mich an. „BITTE WAS?“ Sie sprachen alle gleichzeitig, doch ich konzentrierte mich nur auf Noah. „Ich muss zu den Nebler. Vielleicht kann ich mit ihnen reden.“ Adams Hand zog so sehr an meinen Arm, dass ich befürchtete er würde ihn mir abreißen. „Bist du jetzt vollkommen wahnsinnig geworden? Weißt du nicht mehr, was das letzte Mal passiert ist, als wir den Neblern begegnet sind?“ Ich rammte meine Füße in den Boden, um meinen Standpunkt klar zu machen. „Ich bin zur Hälfte eine von Ihnen. Ich denke nicht, dass sie mir etwas antun können. Außerdem hat mein Blut Evan doch gerettet. Was wenn ich ihnen auch helfen kann?“ Sie starrten mich an, als ob ich den Verstand verloren hatte und ehrlich gesagt, war ich mir da selbst nicht mehr so sicher. Ich nahm Adams Hände und sah ihm tief in die Augen. „Vertraust du mir?“ Ohne zu überlegen, beugte er sich zu mir und küsste mich. Als er antwortete, waren seine Lippen noch so nahe an meinen, dass ich die Vibrationen seiner Worte spürte. „Ja!“
Ich drehte mich um und rannte in die Richtung wo die Schreie immer lauter wurden. Hinter mir konnte ich noch die Protestschreie von den anderen Jungs hören, doch ich ignorierte sie. Plötzlich brach um mich das komplette Chaos aus. Direkt vor mir sah ich die Schatten, die den meisten Menschen Alpträume bescherten.
Kurz dachte ich, sie würden mich ansehen, doch das war vermutlich nur Einbildung. Ich schrie. Meine Stimme hallte über den Stützpunkt. „HEY! Ihr blöden Nebelschwaden. Seht her!“ Ich schnappte mir das Erstbeste Stück Metall, dass ich fand und schwenkte es über meinem Kopf, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Als niemand mehr um mich herumlief, konnte ich endlich ihre gelb-roten Augen auf mir spüren. „Na endlich!“ Als sie auf mich zukamen, breitete ich die Arme aus und wollte sie daran hindern, auf die Meute hinter mich loszugehen. Ich hatte keine Ahnung was ich tun, oder sagen sollte, doch ich versuchte einfach mit ihnen zu reden. „Könnt ihr mich verstehen?“ Der Nebler, direkt vor mir, drehte leicht den Kopf, als ob er überlegen würde. Hinter ihm kamen die anderen zwei. Damit war ihre gesamte Aufmerksamkeit auf mich gerichtet. Gut so. Ich probierte es noch einmal. „Könnt ihr verstehen, was ich sage?“ Dieses Mal gab es kein Kopfneigen. Ein lauter Schrei kam aus ihren Kehlen und in dem Bruchteil einer Sekunde stürmten sie auf mich zu. Mein erster Instinkt war es mich zu ducken, doch als ich die Stange vor mir sah, kam mir ein anderer Gedanke. Ich schnitt meine Hand mit dem scharfen Seitenteil auf, und hielt die blutige, offenen Handfläche vor mich, genau auf die Nebler zu. Ein starker Windstoß kam hinter mir und erschuf eine Barriere vor mir, auf der die Nebler aufprallten. Es sah aus, als würden sie direkt dagegen fliegen, doch eigentlich flogen sie hindurch und landeten direkt neben mir auf dem harten Steinboden. Was passiert hier gerade? Die Körper der Nebler veränderten sich. Wo vorhin noch dunkle Schemen waren, entstanden langsam feste Körper. Ich konnte die Umrisse der einzelnen Arme und Beine sehen und unter den Rauchschwaden entdeckte ich Haut und die Gesichter formten sich neu. Ich konnte meinen Augen nicht glauben. Sie wurden wieder zu Menschen.

9. Kapitel

 Der Schmerz trat plötzlich ein. Es fühlte sich an wie tausend Nadelstiche die gleichzeitig in meinen Körper stachen. Ich konnte mich nicht bewegen. Jeder einzelne Muskel brannte. Das Feuer breitete sich in meinen Adern aus und erfasste meinen gesamten Körper. Die Arme, die mich hochhoben, spürte ich nur nebenbei. „Bleib bei mir, Kleines!“ Jemand drückte mich an seine Brust. Der Herzschlag war stark und schnell. „Bring sie in den Krankenflügel, Adam!“ Das Schaukeln verursachte ein starkes Schwindelgefühl und ich wollte demjenigen sagen, er soll mich sofort runterlassen, bevor ich mich übergeben musste. Doch die Schmerzen verhinderten, dass irgendetwas aus meinem Mund kam. „Nein. Ich bringe sie nach Hause.“ Ich konnte eine Autotür hören. „Aber sie wohnt nicht mehr bei uns. Hast du das vorhin nicht mitbekommen?“ Das Ruckeln hörte abrupt auf und der Herzschlag beschleunigte sich noch ein bisschen mehr. „Das ist jetzt nicht dein Ernst, Ethan? Sie hat uns gerade allen das Leben gerettet.“ Meine Augenlider waren so schwer, dass es mich ein paar Versuche kostete, bis ich Adams Gesicht vor meinen sah. Um ihn herum, standen Ethan, Evan, Noah, Lucas und Jacob. Sie hatten einen Kreis um uns gebildet und mich so von den anderen abgeschirmt, die versuchten einen Blick auf mich zu erhaschen. Adam war so auf Ethan fixiert, dass er erst merkte, dass ich ihn ansah, als ich seinen Namen flüsterte. In seinen Augen glitzerten Tränen. „Oh mein Gott, Evie. Du bist wach!“ Ethan war vergessen und er drückte mich noch fester an sich, worauf ich einen kleinen Schrei losließ, da er mir die Rippen einquetschte, die nach wie vor, von schmerzenden Nadelstichen überzogen wurden. „Es tut mir so leid. Ich werde dich sofort nach Hause bringen.“ Behutsam legte er mich auf die Rückbank und sprang auf den Fahrerplatz. „Noah. Du kümmerst dich doch um die Wandler, oder?“ Ich vermutete, dass er nickte, denn ich hörte nichts und doch fuhr Adam los. Weg von dem Chaos. Weg von der Verwirrung. Doch die Schmerzen blieben und ich hieß den Schlaf willkommen, der mich übermannte.

 

Ich wachte in meinem Bett auf. Mein Schlafanzug lag neben mir und Adam schlief in dem Sessel, der neben der Balkontür stand. Ich wollte mich aufrichten, doch meine Beine bewegten sich nicht, ebenso wenig wie meine Arme. Als er das rascheln der Bettdecke hörte, wachte Adam auf. „Hey, Kleines.“ Er kam auf mich zu und küsste meine Stirn. In dieser einen Berührung lag soviel Gefühl, dass mein Herz einen kurzen Satz aussetze. „Wie geht’s dir?“ Ich wollte mich aufsetzten, doch mein Körper war wie gelähmt. „Als wäre ich einen Marathon auf einen Berg gelaufen und dann den ganzen Weg nach unten gerollt.“ Sein Lächeln brachte das Fass zum Überlaufen. Dieser Mann raubte mir den letzten Atem. „Willst du duschen?“ Oh Gott ja. Als ob er meine Gedanken verstand, half er mir auf, wobei er mich eigentlich trug, da immer noch mein ganzer Körper schmerzte und er nicht tat, was ich ihm befahl. Ich humpelte mit Adam ins Badezimmer und er legte ein Handtuch auf das Waschbecken und verließ den Raum.


Eine Viertelstunde stand ich da und konnte mich nicht bewegen. Warum will mir mein Körper nicht gehorchen? Vermutlich hatte mich das ganze Chaos doch mehr geschwächt, als ich dachte.
"Evie?" Adam klopfte an die Tür. "Alles in Ordnung? Du bist jetzt schon eine ganze Weile da drin??" Was sollte ich denn sagen? Wenn ich trocken nach draußen käme, wüsste er, dass ich nicht geduscht hatte.
Die Tür öffnete sich einen Spalt und Adams Kopf erschien.
"Hey! Was ist los?" 
Natürlich schoss mir das Blut sofort in den Kopf. Zumindest das funktionierte noch. "Ich kann meine Arme nicht bewegen." Adam stürzte herein und untersuchte mich von oben bis unten. "Es ist nichts gebrochen, oder? Vermutlich bist du nur erschöpft." Ja genau ich war in allem Masse ausgelaugt.
Er schob seine Hände unter mein T-Shirt und zog es nach oben. "Was... ähem machst du da??" Als er auch nach meiner Hose greifen wollte, versuchte ich eine Schritt nach hinten zu gehen, was allerdings kläglich versagte und ich fast zu Boden ging. Er schnappte sich noch meine Hände, bevor ich zu Boden gehen konnte, doch ich hielt ihn trotzdem etwas zurück. "Sekunde mal. Ich... hab jetzt ernsthaft keine Lust auf sowas." Wie konnte er das denn nur glauben? 
Sein spitzbübisches Grinsen machte mich wütend. "Ich will dir nur helfen zu duschen du Dummerchen. Also los komm her." Er will was? Wie in Trance ließ ich ihn wieder näher an mich ran und er fing an, mich langsam zu entkleiden.


Nachdem ich vollkommen entblößt vor ihm stand, ging er ohne mich zu begaffen zur Dusche und drehte das Wasser auf. Langsam schob er mich unter das wohltuende heiße Wasser, als ich ein paar Sekunden später hinter mir eine Bewegung bemerkte. Adam war direkt hinter mir. Nackt. Mein Blick fiel sofort nach unten, was er bemerkte und meinen Kopf nahm, um ihn wieder nach oben zu drücken. Doch ich hatte ihn bereits in voller Größe betrachtet. Verdammt.
Adam drehte mich um und fing an meine Haare mit dem Shampoo von Ethan zu massieren. Es tat so gut, dass ich mich einfach fallen ließ und die Augen schloss um es voll auszukosten. Danach stellte er mich direkt unter den Strahl um den Schaum loszuwerden. "Mach die Augen zu." Er sah nicht, dass ich bereits seit seiner Kopfmassage nichts mehr anderes wahrnahm, als seine Hände auf meinem Körper. 
Er nahm die Seife vom Regalbrett und wollte mich einseifen, doch meine Arme nahmen plötzlich wieder Notiz von mir und ich schnappte mir das rutschige Ding und ging selbst ans Werk „Das kann ich selbst. Vielen Dank" Alleine bei dem Gedanken, wo er damit alles entlangfahren würde, machte mein Herz einen Sprung. Ich konnte seine Blicke auf mir spüren und versuchte deshalb eine Show für abzuziehen, doch als ich über meine Schulter fahren wollte, schoss mir ein heißer Schmerz durch die Wirbelsäule und ich ließ die Seife fallen.
"Alles klar. Den Rücken mach ich, ok? Ich verspreche auch, dass ich mich benehmen werde." Und wem kann ich das versprechen? 
Langsam fuhr er die Linien meiner Schulterblätter nach, bis er an der Oberseite meines Beckens angelangt war. In sanften Kreisen massierte er mit der einen Hand meinen Rücken und führte mit der anderen Hand die Seife.
Ich wusch alles von mir ab und sah zu, wie Adam sich selbst wusch. Mein Blick glitt immer wieder zu seinem Schritt, doch jedes Mal wenn er mich ansah, fand ich den Boden sehr faszinierend und konnte meine Augen nicht mehr davon abwenden. 
Er drehte den Wasserstrahl ab und schnappte sich ein kleines Handtuch, mit dem er sich die Harre abrubbelte. Das Wasser lief an seinem Körper hinunter und wenn ich nicht so schwach gewesen wäre, hätte ich mich vermutlich auf ihn gestürzt. 
Seine großen Brustmuskeln zuckten ein kleines bisschen, als ob sie spürten wie sehr ich ihn sie reinbeißen wollte. Das Wasser sammelte sich über seinem Becken, und lief dann in das Handtuch, das er sich mittlerweile um die Hüften geschlungen hatte. Nun stand er mit einem zweiten Handtuch da und breitete es aus, damit er mich damit einwickeln konnte. Als er das tat, konnte ich seinen Körper kurz auf meinem spüren und ein leichtes Ziehen machte sich in mir breit. 
"Also gut. Dann ab mit dir ins Bett, kleine Lady" mit einem Ruck nahm er mich auf die Arme und trug mich hinaus. Als mein Blick an mir hinunterglitt, erstarrte ich ganz plötzlich. Wie konnte ich das nur vergessen? "Was ist los?" Adams Blick war schon wieder voller Sorge, obwohl es ziemlich süß aussah. 
"Es ist nichts" niemals würde ich das sagen. 
Er öffnete meine Zimmertür und schloss sie hinter sich wieder. "Evie. Was ist los?" Er baute sich vor mir auf und sein Handtuch, dass vorhin noch bombenfest saß, fing an langsam von seinen Hüften zu rutschen. "Es ist dämlich. Komplett." 
Er grinste wieder und ich wünschte ich könnte nach dem Handtuch greifen und noch ein bisschen nachhelfen. "Jetzt sag schon" ich hob meine Beine an und zeigte es ihm. "Was?" Ich drehte mich ein bisschen, damit er es erkennen konnte. " Siehst du das denn nicht? Die sind doch total behaart!" Aus seiner Kehle stieg ein lautes Lachen hoch. " Ist das dein Ernst? Das ist doch vollkommen egal." 
Das ist sowas von nicht egal. "Der Sommer beginnt bald und ich habe eine kurze Hose, die ich auch gerne mal anziehen möchte." Er stand immer noch wie ein Vollidiot vor der Tür, doch plötzlich drehte er sich um und stürmte hinaus.
Nach ein paar Minuten kam er wieder, mit ein paar Utensilien in der Hand. "Was ist das?" Er stellte eine Schüssel mit Wasser, eine andere mit Schaum und ein Rasiermesser auf den Boden ab. "Gib mir deinen Fuß" Den Teufel werde ich tun. Ich schüttelte den Kopf. "Gib mir deinen Fuß."
„Das ist fürs Gesicht und nicht für Füße." Er ließ den Kopf leicht hängen und streckte seine Hand wieder nach meinem Bein aus. "Denkst du deine Beine sind empfindlicher als mein Gesicht. Oder wertvoller?" Ich hob meine Nase etwas hoch. "Ich brauche meine Füße zum Laufen." Er starrte mich an "Und ich brauche mein Gesicht zum Reden." Meine Antwort, dass er sowieso ab und zu die Klappe halten sollte, ließ ich lieber unausgesprochen, doch an seinem Blick wusste ich, dass er mich verstand. "Jaja. Schon gut. Jetzt streck dein Bein aus und stell deinen Fuß hier ab." Er zeigte auf seinen Oberschenkel und da er im Schneidersitz vor mir saß, war mein Blick frei auf seine Vorzüge gerichtet.
Er strich mein Bein mit der Rasiercreme ein und fing langsam an, mit dem Rasiermesser über mein Bein zu fahren. Er machte das mit so einer Präzession, dass ich hypnotisiert wurde.
Ich hatte noch nie einen so intimen Moment mit jemanden erlebt. Es war unglaublich. Als er mit dem zweiten Bein fertig war, nahm er etwas Wasser aus der anderen Schüssel und wusch die restliche Creme ab. "Glatt wie ein Babypopo" er strich langsam über meinen Oberschenkel und hauchte einen zarten Kuss darauf. 
Als er sich aufrichtete, zog er sein Handtuch zurecht und half mir mein Nachthemd anzuziehen.
"Kannst du heute hier schlafen?" Meine Frage klang nach diesem Erlebnis fast schon züchtig, doch ich wusste nicht wie ich sonst hätte fragen können.
"Klar!" Er lächelte mich an und holte seine Pyjamahose aus seinem Schlafzimmer.
Natürlich schlief er oben ohne. Gott sei Dank.
Ich kuschelte mich, so gut es mit nicht funktionierenden Armen ging, an ihn und schlief nach ein paar Atemzügen ein.

 

Mein Traum zog mich in eine andere Welt. Überall war es grau. Der Nebel war so dicht, dass man seine eigene Hand nicht mehr vor Augen sah. „Mein Schatz. Endlich bist du gekommen!“ Ich versuchte etwas zu erkennen, doch ich sah nicht außer Rauch. „Hallo?“ Ich schrie ins Nirgendwo, auf die Hoffnung, jemand könnte mich hören. „Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin hier!“ Ich drehte meinen Kopf nach links, rechts, nach oben, doch ich starrte weiterhin ins Leere. „Wer bist du?“ Plötzlich spürte ich einen Lufthauch im Nacken und ich drehte mich um. „Hallo Evie!“ Vor mir stand eine wunderschöne Frau mit roten Haaren und grünen Augen. Ihr Lächeln war bezaubernd und ihr Gesicht kam mir sehr vertraut vor. „Mum?“ Sie nickte ganz leicht und ich stürzte in ihre Arme. Dieses Gefühl von Geborgenheit überströmte mich. „Oh meine kleine Prinzessin. Du bist so schön!“ Ich drückte sie nur umso fester an mich und wünschte mir, dass das alles nicht nur ein blöder Traum von mir war. Doch in diesem Moment war es mir egal. Meine Mutter stand vor mir, als Mensch und ich konnte sie berühren. Langsam glitt der Rauch einem hellen Licht. „Das ist ein Zeichen, meine Süße!“ Ich drehte mich um meine eigene Achse. Der Nebel war fast verschwunden. Als ich mich meiner Mutter wieder näher wollte, war sie jedoch verschwunden. An der Stelle, wo sie gerade noch vor einer Sekunde stand, war plötzlich ein Nebler. Er blickte auf meine Hand, die einen tiefen Schnitt hatte. Ich hielt sie hoch und der Nebler zuckte zurück. Mein Blut verteilte sich auf dem Boden und hinterließ eine Spur aus Licht und Wärme. Was ist hier los? Ist das das gleiche, was am Stützpunkt passiert ist? Die Schnittwunde war sehr klein, jedoch floss mein Lebenselixier unaufhörlich aus meiner Hand. Der Nebler war mittlerweile nicht mehr allein. Ich wurde umringt von ihnen, doch sie starrten nicht mich an, sondern die Blutspur am Boden.
Ich wurde so plötzlich aus meinem Traum gerissen, dass ich die Gestalt neben mir, zuerst nicht bemerkte. Ich wollte aufspringen, doch meine Füße waren immer noch wie Blei. Als ich plötzlich einen Arm auf meiner Hüfte spürte, wurde es mir zu viel. Ich schaffte es hoch und flog aus dem Bett, direkt auf meine Hintern. „Was machst du denn da?“ Adam lugte von der Bettkante nach unten und hielt sich ein Lachen zurück. „Adam?“ Ich zog mich am Laken etwas hoch. „Warst du das neben mir?“ Er wirkte verwirrt. „Ja. Habe ich etwa geschnarcht? Tut mir wirklich leid. Noah sagte meistens, dass es ihn wundert, dass ich nicht selbst davon aufwache!“ Mein Kopf schwirrte. „Nein… Ich…“ Er hievte sich aus dem Bett und half mir hoch. „Evie, was ist los?“ Wie ich meine Füße auf den Boden stellen konnte, kam meine Erinnerung langsam zurück. „Ich hatte einen Traum. Über meine Mutter. Als ich dich neben mir gesehen habe, wusste ich nicht wer du warst. Mein Herz fing an zu rasen und ich glaube, das hat meine Füße in Bewegung gesetzt. Allerdings nur kurz, deshalb bin ich wohl auf dem Boden gelandet.“ Während meiner Erzählung hörte mir Adam aufmerksam zu. „Du hast von deiner Mutter geträumt?“ Mit glänzenden Augen nickte, doch ich musste mich auf etwas anderes konzentrieren. „Das ist jetzt egal“ Er nahm mich fest in den Arm. „Wir müssen jetzt nicht darüber reden, aber es ist nicht egal. Hast du verstanden?“ Meine Lippen streiften seine für einen Moment und dann zog ich ihn mit nach unten. Ich war kurz erstaunt, dass meine Füße mich trugen, doch mein Blut geriet so in Wallung, dass ich nicht weiter darüber nachdachte.


In meinem Nachthemd und Adam an meiner Hand, der nichts weiter als eine Hose trug, gaben wir vermutlich ein sehr schräges Bild ab. Denn Noah, Ethan und Evan, der mit Lukas auf der Couch saß, glotzten uns an, als wären wir zwei Außerirdische. „Evie. Ist alles ok?“ Evan und Lukas standen sofort neben mir und boten ihre Hilfe an. Gott ich liebte die zwei wirklich. „Was genau ist gestern passiert?“  Natürlich war es Noah, der mir antwortete. „Wir dachten eigentlich, du könntest uns das sagen?“ Ich versuchte alles zusammenzufassen, an dass ich mich erinnerte. „Als ich sie auf mich zufliegen sah, dachte ich daran, wie ich Evan mit meinem Blut geholfen habe, also habe ich mir in die Hand geschnitten. Ehrlich gesagte, hatte ich keine Ahnung, was genau ich machen sollte, aber ich habe den Arm ausgestreckt und dann sind sie zu Menschen geworden.“ Wieder einmal erntete ich Blicke, die mich glauben ließen, ich wäre verrückt geworden. „Du hast wirklich keine Ahnung oder?“ Lucas stand direkt vor mir und prüfte meine Augen, als ob er mich untersuchen würde. „Evie! Du bist fast verblutet. Die Nebler haben ganze 20 Minuten versucht an dich ranzukommen und jedes Mal wenn einer von uns zu dir wollte, haben sie nach uns geschlagen. Dann sind sie plötzlich alle gleichzeitig auf dich los und als sie das Blut berührt hat, hat es angefangen sich auf ihnen zu verteilen. Es war echt eigenartig.“ Die Geschichte klang so unglaubwürdig, dass ich sicher gehen musste, dass er mir wirklich die Wahrheit erzählt, doch als ich in die Gesichter der anderen sah, wusste ich er lügt nicht. „Danach hat sich ihre Haut verändert und sie wurden wieder zu Menschen und du bist umgekippt.“ Mich überkam auch jetzt ein leichtes Schwindelgefühl und hätte Adam nicht seine Arme um mich geschlungen, wäre ich vermutlich auch umgefallen. „Wo sind sie jetzt? Geht es ihnen gut?“ Noah kam wieder näher zu mir. „Ja. Sie sind in der Krankenstation auf dem Stützpunkt. Sie schlafen noch, aber Tamara sagt, dass sie eigentlich in Ordnung sind. Keine Anzeichen von Verletzungen oder anderen Symptomen.“ Erst als ich erleichtert aufatmete, bemerkte ich, dass ich die ganze Zeit die Luft angehalten habe. „Kann ich zu Ihnen?“ Das „Nein“ kam gleichzeitig aus aller Munde, doch ich hörte hinter mir ein leises „Natürlich“ und drehte mich zu Adam um. Seine Augen waren so voller Zuversicht, dass ich ihn am liebsten sofort vor allen geküsst hätte, doch ich konnte mich zurückhalten und lächelte ihn nur an. „Aber kannst du vielleicht noch einen Tag warten, bis du dich wieder komplett erholt hast?“ Ich sah zu meinen Füßen und bemerkte, dass Adam mich immer noch fast trug, damit ich nicht umkippte. „Aber vorhin konnte ich doch gehen?“
„Vermutlich war das der Adrenalinschub. Du hast so viel Blut verloren, das muss erst wieder reproduziert werden und durch deine Aufregung hat sich das ein bisschen beschleunigt.“ Noah war wie immer der Klügere und versuchte es mir bildlich zu beschreiben. „Das heißt ich muss mich aufregen, damit es mir besser geht?“
„Oder dein Blut in anderer Weise zur Wallung bringen.“ Ich bemerkte den hochroten Kopf von Adam erst, als ich zu ihm sah, während meine Wangen ebenfalls zu glühen begannen.
„Alles klar!“ Evan und Ethan zwängten sich zwischen uns vorbei und gingen nach draußen. „Wir sehen uns!“ Lucas drückte mich kurz und huschte ebenfalls hinaus. Noah sah uns beide für ein paar Sekunden an und ließ uns dann, mit einem Schulterzucken, allein im Wohnzimmer.
„Das war ja sehr subtil“ Adam kratzte sich am Hinterkopf und blickte zu Boden. „Die erwarten doch nicht etwa, dass wir jetzt…“ Mein Gesicht ließ sich langsam mit einer Tomate vergleichen., doch als ich sah, wie sich Adams Muskeln anspannten, wurde mir heiß und ich ließ meinen Blick über seinen Körper gleiten. Er kam näher und zog mich an meiner Hüfte näher zu sich. „Wir müssen nicht, wenn du nicht willst.“ Ich konnte sein Herz schlagen hören und roch den holzigen Duft, den er ausströmte. Und wie ich das wollte. Ich zog seinen Kopf langsam zu meinem und als sich unsere Lippen berührten, war es fast so, als würde jemand einen Schalter umkippen. All meine Sorgen und Ängste waren wie weggewischt, als er seine Hände unter meine Oberschenkel schob und mich hochnahm. Ich schlang meine Beine um seinen Körper und zog ihn damit noch näher zu mir heran. Unser Kuss wurde nur durch einen lauten Seufzer von uns beiden unterbrochen. Ohne es zu bemerken, waren wir plötzlich zurück in meinem Schlafzimmer, wo mich Adam ganz langsam auf das Bett niederließ und ich mir mein Nachthemd über den Kopf auszog. Seine Augen hypnotisierten mich, als er mich ansah und sich langsam die Hose abstreifte. Ich wollte mich mit meinen Händen weiter aufs Bett ziehen, da meine Füße immer noch etwas streikten, doch er hielt meine Beine fest und kniete sich vor das Bett. Als Adam seinen Kopf zwischen meine Beine schob, war ich zuerst etwas überrascht, doch ich spürte seine weichen Lippen und seine Zunge bereitete mir unglaubliche Lust. Ich vergrub meine Hände in seinen Locken und drückte ihn noch fester an mich. Mein Stöhnen spornte ihn noch mehr an, doch kurz bevor ich das Gefühl hatte zu explodieren, hörte er auf, grinste mich frech an und beugte sich leicht über mich um mich zu küssen. „Das ist echt fies von dir!“ Sein Mund wanderte an meinem Hals langsam entlang. „Ich weiß.“ Seine Zähne kratzten über mein Schlüsselbein, bis er sich langsam zu der Erhebung meiner Brüste begab. Seine Zunge umspielte meine Brustwarzen und er zog daran. Ich erschauerte am ganzen Körper, währenddessen er seine Hand nach unten wandern ließ. „Du bist so schön“ Seine Stimme kitzelte mich am Bauch und ich fing leise an zu kichern. Abrupt hörte er auf und sah mich an. „Es tut mir leid, das hat gekitzelt“ Sein Blick wurde wieder intensiver und er küsste mich stürmisch. „Gut dann wiederhole ich es noch einmal. Du bist wunderschön, Evie. Es tut mir so leid, dass ich dir das nicht schon von Anfang an sagen konnte.“ Als ich ihn wieder zu mir zog, um den Kuss zu wiederholen, griff ich mit meiner Hand zwischen uns, um ihm ebenfalls etwas Freude zu bereiten. Sein lauter Stöhner, der mich nur noch mehr motivierte, wurde durch meine Lippen gedämpft. Als ich den Griff um seine Männlichkeit immer mehr verstärkte und schneller wurde, griff er dazwischen, um mich zu bremsen. Er rückte mich etwas zurecht und drang dann langsam in mich ein. Ich brauchte einen Moment, um mich an das Gefühl zu gewöhnen, doch als ich meine Hüfte bewegte, sah er das als Zeichen um sich ebenfalls zu bewegen. Da seine Stöße ziemlich langsam und zaghaft waren, drückte ich meine Finger in seinen Hintern und trieb ihn an. „Gefällt dir das?“ Ich drehte meinen Kopf langsam nach rechts, wo sein Arm sich abstützte. Ohne nachzudenken, bohrte ich meine Zähne in seinen Arm, was ihn nur mehr antrieb. Sein Becken stieß so hart gegen mich, dass ich meine Arme über meinen Kopf hielt, um nicht gegen das Bettgestell zu krachen. Doch auch das turnte mich immer mehr an. Seine Augen sprühten so voller Feuer, dass ich nicht wegschauen konnte. Ich konnte spüren, dass er mich wollte, dass er solang darauf gewartet hat und jetzt empfand ich dasselbe. Ich wollte ihn. Voll und ganz. Er zog mich hoch und hielt meine Hüften fest, sodass ich auf ihm ritt. Seine Lippen waren direkt bei meinem Ohr und ich konnte seinem Atem lauschen. Als ich meinen Höhepunkt herausschrie, brach ich in seinen Armen zusammen. Seine Arme lagen auf meinem Rücken und er drückte mich an sich. Mit seinem letzten Stoß stieß er meinen Namen aus und küsste mich leidenschaftlich, als er mich behutsam nach hinten gleiten ließ. „Ich glaube, dass hat geholfen, meine Durchblutung wieder zum Laufen zu bringen.“ Sein Grinsen bedeutete die Welt für mich und mit einem flüchtigen Kuss auf seine Wange, stieg ich aus dem Bett und flitzte unter die Dusche. Allerdings nicht alleine, denn Adam folgte mir ins Badezimmer und schloss hinter uns die Tür.

10. Kapitel

„Ich will zu den anderen Neblern!“ Am nächsten Tag fühlte ich mich wie neu geboren. Adams und mein „Training“ hatte sich ausgezahlt. Wir liebten uns den ganzen restlichen Tag und noch einmal heute morgen. Laut Adam natürlich aus rein medizinischen Gründen. Der Sex mit ihm war so animalisch, dass ich froh war, dass keiner das Haus betreten hatte, als wir uns einander hingaben. „Tamara ist nicht sicher, ob es schon richtig wäre, wenn du zu ihnen gehst.“ Ich sah Noah verständnislos an. „Sie sind wieder zu Menschen geworden. Sie sollten mit jemanden reden, der sie versteht und keine Menschen, die sie vor kurzem noch gefürchtet und bekämpft haben“ Ich wollte nicht so schroff werden, doch es war mir unglaublich wichtig, mit ihnen zu reden. Auch wenn jeder zu mir sagt, dass es ihnen gut geht, muss ich es selbst sehen. Adam stand hinter mir und würde mich bei allem unterstützen, dass ich mit Noah besprach. Das hatte er mir versprochen, bevor wir uns aus dem Bett rollten und den Tag begannen. Er hatte mich im Arm gehalten und mir geschworen, dass egal was Noah sagen würde, Adam mir half, dass ich die ehemaligen Nebler befragen konnte. „Sie wird ja nicht allein mit ihnen sein. Es wäre nur ein kurzes Gespräch, Noah. Bitte.“ Noah sah seinen kleinen Bruder an und versuchte zu erkennen, woher dieser Sinneswandel kam. Doch als er sah, wie Adam seine Hand langsam an meinem Arm rauf und runter gleiten ließ, verstand er, dass das zwischen uns mehr war, als nur sexuelle Anziehung. Langsam nickt er und ich fiel ihm in die Arme. „Danke, Noah.“ Er drückte mich leicht weg und sah mir tief in die Augen. „Lass es mich nicht bereuen.“ Ich schüttelte den Kopf und wollte schon gehen, als er mich noch einmal zurückhielt. „Aber bevor du zu ihnen gehst, will noch jemand mit dir reden, ok?“

 

Jacob saß vor seinem Schreibtisch und schrieb etwas in ein ziemlich vollgestopftes Notizbuch. Als ich eintrat, blickte er auf und deutete mir, auf dem Stuhl ihm gegenüber Platz zu nehmen. „Ich bin sofort bei dir, Liebes. Nur wenn ich das nicht zu Ende schreibe, vergesse ich alles.“ Ich wollte lieber nicht wissen, was er da genau schrieb, deshalb blieb ich einfach stumm, bis er sich auf mich konzentrieren konnte. Er legte den Stift zur Seite, als ich gerade anfing, sein provisorisches Büro etwas genauer zu betrachten. Hinter ihm stand ein Schrank, der vermutlich zur Aufbewahrung irgendwelcher Dokumente diente. Daneben hingen ein paar Bilder, die hauptsächlich Lucas zeigten. Auf einem konnte ich eine Frau entdeckten, die, wie ich vermutete, Lucas Mutter war, die vor dem ganzen Chaos verstorben ist und ihren Sohn und ihren Mann zurückließ. Jacob sah mich mit großen Augen an. „Wie geht es dir heute?“ Ich versuchte meine Scham zurückzudrängen und antwortete, ohne rot zu werden. „Es geht mir viel besser, als gestern morgen. Ich hatte ausreichend Schlaf und mein Blut ist wieder vollständig und fließt mit normaler Geschwindigkeit.“ Jacob sah mich an, als ob er keine Ahnung hat, wovon ich sprach, aber er überspielte diese Tatsache und fuhr fort. „ Du hast uns allen einen Riesenschreck eingejagt, als du vor diesen Wandlern umgekippt bist.“ Was dies nun der offizielle Name, den wir den Neblern gaben, die in Menschen zurückverwandelt wurden? Ich konnte mich noch erinnern, dass Adam sie ebenfalls so genannt hatte. „Ja, äh ich wusste ehrlich gesagt nicht, was ich in diesem Moment tat, aber ….“ Mit den Worten ringend, schaute ich auf meine Hände. „Egal was du getan hast, es hat diese Menschen gerettet.“ Sein stolzer Blick traf mich mitten ins Herz und bevor ich meine Stimme vor Verlegenheit nicht mehr benutzen konnte, räusperte ich mich. „Du wolltest mit mir reden?“ Als ob es ihm erst jetzt wieder einfallen würde, richtete er sich in seinem Stuhl auf und sortierte die Blätter vor ihm neu. „Ja... Ja genau. Wir wurden ja das letzte Mal leider unterbrochen, als ich dich über die Nebler aufklären wollte.“ Mein Herz schlug schneller. Würde ich endlich erfahren, was damals geschah. Ich hatte Angst, er hätte es vergessen und da ich nicht wusste, ob dieses Erlebnis von damals für in dramatisch war, wollte ich nicht nachfragen. „Du musst einem alten Mann etwas auf die Sprünge helfen. Was genau habe ich dir denn erzählt?“ Ich wollte eigentlich sagen, dass man mit 48 noch nicht wirklich alt war, allerdings in der heutigen Zeit war dieses Alter schon beeindruckend. „Du wolltest mir erzählen, wie die Nebler entstanden sind.“ Meine Hände begannen zu schwitzen. Was würde ich mit der Information tun, wenn er sie mir gab. Würde sie mir helfen, meinen Vater besser zu verstehen, oder würde ich ihn noch mehr hassen als vorher. Vielleicht würde ich aus herausfinden, wie meine Kräfte funktionieren und warum ich so viel stärker bin als gewöhnliche Nebler. „Genau richtig. Also...“ Wieder setzte er sich etwas gerader hin, als müsste er sich vorbereiten auf das was er mir jetzt erzählen würde. „Die Auftraggeber deines Vaters verloren die Geduld, als dein Vater keine Ergebnisse erzielen konnte. Er und deine Mutter testeten die Produkte für Wochen an Ratten, doch die Resultate waren nicht gut. Der Grund warum sie ein Serum entwickeln mussten, war der das niemand eine Atombombe riskieren wollte. Die Menschen sollten danach wieder auf der Erde leben können. Und da für deinen Vater die Devise -Nur die Stärksten überleben- schon immer wichtig war, wollte er eine Art Armee erschaffen, die die Schwachen von der Herde trennen sollten. Er wollte Krieger erschaffen. Kontrolliert und stark. Die Versuche an den Ratten haben nur dazugeführt, dass sie sich gegenseitig getötet haben. Also musste dein Vater einen Schritt weiter gehen, doch die Zeit wurde zu knapp, um Testpersonen zu finden. Deshalb stellte sich dein Vater als Testperson zur Verfügung. Am Tag an dem sie den Testlauf ausprobieren wollten, erfuhr deine Mutter, dass sie schwanger war und dein Vater konnte es nicht mehr durchziehen. Er hatte keine Ahnung, was das Serum aus ihm gemacht hätte und er wollte dich und deine Mutter auf keinen Fall verlassen.“ Ich rutschte unruhig auf meinem Stuhl hin und her. Meinen Vater als guten Menschen zu sehen, fiel mir unheimlich schwer. „Also war eine weitere Woche vergangen, ohne das die Auftraggeber etwas erhalten haben. Deine Eltern waren überglücklich, da sie mit dir eine Familie gründen konnten, doch es gab ein paar Probleme, deshalb musste deine Mutter jede Woche eine Hormontherapie durchführen lassen, um dich und sich selbst zu schützen. Ein paar Tage nach dem die Bosse deines Vaters sein Labor verließen, gingen er und Ella zur Untersuchung und sie erhielt erneut eine Hormonspritze. Was dann geschah, hörte ich nur von Erzählungen. Deine Mutter bekam keine Hormone. Irgendjemand hat die Spritzen vertauscht und deiner Mutter wurde das Nebler-Serum gespritzt.“ Ich presste meine Hände so fest zusammen, dass ich sie nicht mehr spüren konnte. Um irgendetwas zu fühlen, bohrte ich meine Fingernägel in die Handfläche. Jacob konnte spüren, dass mich diese Information aufwühlte, denn er stand auf, setzte sich vor mich auf seinen Tisch und legte seine Hand auf meine. „Vielleicht machen wir eine kleine Pause, meinst du nicht?“ Ich schüttelte den Kopf. Ich musste alles hören. Ich musste wissen, was mit meiner Mutter geschah und wie mein Vater so ein Monster wurde. „Erzähl mir alles!“

 

Als ich auf dem Weg zu dem Stützpunkt war, ließ ich mir die Geschichte noch einmal durch den Kopf gehen. Meine Großmutter hatte mir eine komplett andere Geschichte erzählt. Entweder sie hatte mich belogen, damit ich meinen Vater noch mehr hasste oder sie dachte, es wäre die Wahrheit. Jacob erzählte mir, dass der Körper meiner Mutter sich gegen die Verwandlung wehrte, da ich immer noch in ihrem Bauch war. Doch kaum war ich geboren, vollzog sich die Verwandlung komplett und meine Mutter wurde zu einem Nebler. Der Erste ihrer Art.

 

Ich traf Noah am Eingang zur Lagerhalle und er führte mich durch das Labyrinth, in dem ich vor kurzem noch ein Zimmer bewohnt hatte. Ich konnte mich an den Weg erinnern, den er nahm. Wir gingen zu dem Krankenflügel in dem auch Adam bis vor kurzem noch lag. „Können sie überhaupt schon sprechen, oder irgendwie kommunizieren?“ Noah sah mich mit großen Augen an. „Zwei von Ihnen sind noch völlig neben der Spur. Sie zucken vor jedem Geräusch zurück und lassen sich nur sehr widerwillig untersuchen. Mila ist die einzige die redet und sie ist sich vollkommen bewusst, was passiert ist, also vermuten wir die anderen wissen das auch, nur sind sie zu verstört, um auf uns zu reagieren. Nur eine von Ihnen ist immer noch nicht aufgewacht.“ Als er mit seinen Erklärungen fertig war, öffnete er bereits die Tür zu den Krankenbetten. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie hab ich erwartet, das der Raum voller Nebel wäre und die 4 Menschen darin untergingen. Doch der Raum war genauso wie das letzte Mal, nur das nun anstatt Adam, vier Personen in verschiedenen Betten lagen. Ganz vorn rechts, lag eine eher kleinere Frau, braune Haare und ein zierliches, hübsches Gesicht. Sie schlief tief und fest, also vermutete ich, dass dies diejenige war, die noch nicht aufgewacht war. Ein Bett daneben lag ein Mann, der seine Augen so weit aufriss, dass ich Angst hatte, sie würden ihm gleich aus den Höhlen fallen. Er starrte mich an, als würde er mich kennen. Möglicherweise erinnerte er sich, an die Verwandlung und hatte mich wiedererkannt. Ihm gegenüber saß eine große starke Frau, zusammengekauert, an der hinteren Bettkante. Sie starrte mich ebenfalls an. Doch nichts davon faszinierte mich mehr, als die Person, die gerade auf mich zukam. Ihr Blick war so hart, dass ich augenblicklich einen Schritt nach hinten machte und Noah vor mich trat und mich notfalls zu beschützen. Doch als die Frau vor mir stehenblieb, wurde ihr Blick weicher. Plötzlich schossen Tränen aus ihren Augen und sie streckte einen Hand nach mir aus. So schnell konnte ich gar nicht schauen, hatte Noah sein Messer gezückt und hielt es ihr an die Kehle. „Kein Schritt näher, Mila!“ Das war also Mila. Sie ließ die Hand sinken, und schüttelte leicht den Kopf, wodurch ihre Tränen an den Wangen herunterliefe. „Es tut mir leid, nur...“ Ihr Stimme war so zart, dass ich befürchtete, sie würde gleich zusammenbrechen. „Du siehst aus wie sie. Du siehst aus wie deine Mutter!“ Ich erstarrte. Woher zum Teufel kannte sie meine Mutter. Noah drehte sich zu mir um, doch ich konnte meinen Blick nicht von der Frau vor mir abwenden. „Sie... Sie kennen meine Mutter!“ Ihr Lächeln erreichte nicht ganz ihre Augen. „Ja. Ich kannte deine Mutter!“ Ich hörte die Vergangenheitsform als sie von ihr sprach, doch ich ignorierte sie bewusst, weil ich die Hoffnung niemals aufgeben werde, jetzt da ich weiß, dass ich die Nebler zurückverwandeln konnte. Als meine Mutter zum Nebler wurde, bekam mein Vater einen Schock. Er hatte gehofft, seine Krieger kontrollieren zu können, doch das seine eigene Frau zu so einem Monster wird, hat er nicht geahnt. Ich wurde nach der Geburt gewaschen und gewogen und in ein separates Zimmer gebracht, da griff meine Mutter meinen Vater an. Zusätzlich zu dem Serum wurde ein Chip implantiert, der dafür sorgte, dass mein Vater den Nebler Schmerzen zufügen konnte, um sie so dazu zu bringen, dass zu tun, was mein Vater verlangte. Als er dies bei meiner Mutter einsetzten musste, erzählte Jacob, zerstörte ihn das komplett. Seid diesem Zeitpunkt hat er sich verändert. Er tat alles um die Verwandlung rückgängig zu machen. Er erschuf immer mehr Nebler. Ihm war egal wen er dafür opfern musste, solange er nur mehr Versuchskaninchen hatte. Die Misserfolge schickte er dann auf die Missionen um die Menschheit auszurotten. Doch es war ihm nicht genug. Dann begriff er schließlich, dass ich ebenfalls Neblerblut in mir hatte, und begann an mir zu experimentieren.
Mila ging wieder auf mich zu, doch diesmal ließ sie ihre Hände unten. „Ella war meine beste Freundin. Wir sind zusammen aufgewachsen und kamen gemeinsam zum Institut mit unseren Familien.“ Sie drehte sich um und sah aus dem Fenster. „Unserer beider Eltern waren Wissenschaftler und haben sich dafür eingesetzt,die Menschen zu retten. Erst viel später, als Ella und ich schon erwachsen waren und die Forschungen von unseren Eltern fortsetzten, kam dein Vater zu uns und hat Ella vollkommen eingenommen.“ Aus ihrer Stimme konnte ich hören, wie sehr sie meinen Vater hasste. „Danach hatte wir alle Hände voll zu tun. Uns wurden neue Aufgaben zugeteilt. Jeder arbeitete in eine anderen Abteilung. Und wenn wir uns einmal sahen, war Frank bei ihr.“ Nun sah mich wieder an. „Versteh mich nicht falsch. Frank war gut zu ihr und ich konnte sehen, dass die beiden sich geliebt haben. Aber ich fühlte mich in dieser Welt, wo ich nur deine Mutter hatte, einfach verlassen.“ Ich wusste wie sie sich fühlte. Sie setzte sich auf ihr Bett und gähnte aus vollem Halse. „Tut mir leid. Ich bin immer noch etwas erschöpft.“ Ich nickte und machte mich dafür bereit zu gehen. „Du kommst doch wieder oder?“ Der Mann, der mich vorhin nur angestarrt hatte, war nun aufgestanden und stellte sich mir in den Weg. „Natürlich komme ich wieder. Ich versuche das alles, selbst noch zu verstehen. Aber wir werden reden. Alle zusammen.“ Ich sah jeden einzelnen von Ihnen an und blieb danach an dem Bett stehen, wo die junge Frau immer noch tief und fest schlief. Ich wandte mich an die Krankenschwester, die Mila gerade half, ins Bett zu steigen. „Bitte geben sie mir umgehend Bescheid, sobald sie aufwacht.“ Sie nickte und deckte Mila, mit einer mütterlichen Geste, zu.

 

Als ich nach draußen ging, begegnete ich Lucas und er hielt mich auf. „Geht es dir gut?“ Noah ging vorbei und sagte er würde sich etwas zu essen holen und ich sollte nachkommen wenn ich soweit war. Ich lehnte mich gegen eine Wand. Ich war kurz davor zusammen zu brechen. „Nein geht es mir nicht.“ Ich wusste bei ihm konnte ich ehrlich sein. „Das da drin war die beste Freundin meiner Mutter und selbst sie sagte, dass mein Vater kein schlechter Mensch war. Was ist da nur passiert?“ Ich spürte Tränen in meinen Augen, doch ich durfte jetzt nicht schwach werden. Ein bisschen musste ich noch durchhalten. Lucas nahm meine Hand und drückte sie ganz leicht. „Also ich vermute, dass ihn die Tatsache, dass deine Mutter so geworden ist, verrückt werden ließ. Er hat sie anscheinend sehr geliebt und sie so zu verlieren, war sicher nicht einfach.“ Ich gab Lucas einen Kuss auf die Wange. „Wofür war das?“
„Dafür das du micht nicht vor der Wahrheit beschützen willst, sondern einfach sagst, was du denkst! Ich glaube, dass mag Evan so an dir.“ Ich zwinkerte ihm zu und als er rot wurde, ging ich an ihm vorbei und machte mich auf den Weg zu den Essenszelten.

 

Adam wartete bereits auf mich und hielt mir ein Tablett hin, dass gefüllt war mit Reis, Fleisch und Gemüse. Daneben stand ein großes Glas Wasser, dass ich, während wir uns einen Platz suchten, in einem Zug austrank. Wir fanden an einem der hinteren Tische Platz, an dem ein paar Soldaten mir verstohlene Blicke zuwarfen. Allerdings genügte ein Knurren von Adam und jeder sah wieder auf sein Essen und ließ uns in Ruhe. Es war irgendwie toll einen Mann zu haben, den alle fürchteten. Ich ignorierte die Soldaten und machte mich über mein Essen her. Es war nicht das Beste, was ich jemals gegessen hatte, doch nach dieser Nacht und einem etwas bedürftigen Frühstück, da ich so schnell wie möglich aus dem Haus wollte, hätte ich alles gegessen. „Hast du etwas herausgefunden, als du bei den Wandlern warst?“ Sofort hörten alle auf zu essen und hörten angestrengt zu. Die Tische um uns herum, wurden ebenfalls sehr still. „Zuallerst wäre es toll, wenn wir sie nicht Wandler nennen könnten. Sie sind Menschen, genauso wie du und ich“ Hinter mir ertönte ein Schnauben und als Adam aufspringen wollte, hielt ich ihn zurück. Ich wusste, dass mich die meisten hier, niemals akzeptieren werden, doch es war mir egal. „Alles klar. Also keine Wandler. Wie dann?“ Während ich überlegte, kamen Noah und Tamara gerade an unserem Tisch vorbei und alle salutierten, worauf Noah seine Brust etwas hervorstreckte, als ob er etwas beweisen müsste. „Wie wäre es, wenn wir sie bei ihren Namen nennen würden und solange wir diese noch nicht wissen, sind sie die Menschen im Krankenzimmer.“ Adams Lächeln ging etwas unter, als ein Soldat plötzlich aufsprang und seinen Stuhl etwas zu schroff wieder zurück zum Tisch schob. „Hey!“ Adam stand ebenfalls auf, bevor ich ihn stoppen konnte. „Hast du irgendein Problem?“ Man konnte spüren, dass der junge Soldat Angst vor Adam hatte, doch sein Ärger siegte über seine Angst. „Sie ist mein Problem!“ Sein Finger zeigte auf mich, wodurch mir das Stück Fleisch, dass ich gerade im Mund hatte, fast im Hals stecken blieb. „Sie hat diese Dinger zurückverwandelt und jetzt behandeln wir sie, wie Opfer. Sie haben uns angegriffen und ihr beschützt sie. Und du...“ Ich sah, wie Adam mit sich rang, dass er nicht über den Tisch sprang und sich den Jungen vornahm. „Wir wissen immer noch genau, was du eigentlich bist und sie lassen dich hier frei herumlaufen, als ob du so eine Art Heilige wärst, dagegen bist du nichts als Abschaum und wir wären verdammt dämlich, wenn wir die trauen würden.“ Ich wusste nicht wer schneller war. Adam der vor einer Sekunde noch an meiner Seite stand, oder Noah, der gerade noch mit Tamara an einen anderen Tisch saß, aber plötzlich standen beide vor diesem einen kleine Soldaten und hoben ihn hoch. „Noch ein Wort von dir, du kleine Ratte und du schläfst heute Nacht bei den restlichen Neblern, die noch in Gefangenschaft sind.“ Plötzlich brach ein Riesentumult aus. Alle schrien durcheinander. Ein paar waren mit dem Soldaten eine Meinung und hielten Adam und Noah für verrückt, dass sie mir so viel Freiheit ließen. „Jetzt hört mal alle zu.“ Jacob hatte alles von einem sicheren Platz aus gesehen und verschaffte sich Gehör, in dem er sich auf seinen Stuhl stellte und über den gesamten Platz schrie. „Wenn irgendjemand etwas zu sagen hat, kann er es gerne tun, aber wir sind hier eine Gemeinschaft und so etwas funktioniert nur, wenn wir uns gegenseitig unterstützen. Jeder der etwas gegen die Tatsache hat, dass Evie hier unter uns allen lebt, möge bitte die Hand heben.“ Ich war überrascht, dass es nicht so viele waren. „Also gut, Lucy, könntest du mir bitte deine Gründe verraten, warum du es offenbar nicht ertragen kannst, dass Evie, ein Mensch, der uns allen das Leben gerettet hat, neben dir ihr Essen verspeist oder ein Gespräch führt?“ Man konnte sehen, dass Lucy etwas überfordert war, als Jacob sie direkt ansprach. „Ich ähh...“ Ein anderer Soldat meldete sich stattdessen zu Wort. „Weil niemand weiß, zu was sie fähig ist. Woher wissen wir, dass sie nicht genau das Gegenteil machen kann und uns zu Neblern macht.“ Jacob nickte und ließ das ganze wirken. „Und woher wissen wir, dass du nicht einen deiner Kameraden im Schlaf abstichst Thomas? Oder eine unserer weiblichen Soldaten vergewaltigst?“ Thomas schien wie vor den Kopf gestoßen. „So etwas würde ich niemals machen.“ Jacob nickte. „Nun gut. Und ich weiß, das Evie so etwas nicht machen würde. Ich vertraue dir, dass du niemanden in diesem Lager etwas antun wirst, also vertraue mir, wenn ich dir sage, Evie ist ein besserer Mensch, als jeder einzelne von euch.“ Er blickte Thomas direkt in die Augen und ließ nicht locker, bis jeder einzelne seine Hand wieder sinken ließ und alle sich wieder dem Essen zuwandten. Ich schluckte den Kloß hinunter, als ich Jacob ansah und er mir zuzwinkerte. Adam stand wieder neben mir, allerdings konnte ich den Soldaten von vorhin nicht mehr sehen. Als ich nach ihm fragen wollte, gab mir Adam zu verstehen, dass wir nach Hause fuhren. Ich widersprach ihm nicht, da ich ebenfalls so schnell wie möglich hier weg wollte.

 

„Irgendwie lernst du komischerweise lauter Leute kennen, die deine Mutter kannten.“ Evan saß mit Lucas auf dem Sofa und hörten sich gemeinsam mit den anderen meine Geschichte von der Begegnung mit Mila an. „Naja, da mein Vater der Erfinder des Serums war, kannten vermutlich viele Leute meine Mutter. Da wundert es mich nicht, dass die meisten sie als Freundin bezeichneten.“ Allerdings war Mila schon vor dem Institut mit ihr befreundet. Bevor ich mich mit Evan in die Küche stellte, um das Abendessen zu kochen, ging ich noch zu Adam und Noah. „Ich möchte kämpfen lernen!“ Sie sahen sich beide an und fingen plötzlich lauthals zu lachen an. Ich ließ ihnen den Spaß und wartete, bis sie sich wieder beruhigt haben. „Und was genau findet ihr daran jetzt so lustig? Denkt ihr ein Mädchen kann nicht kämpfen?“ Adams Augen richteten sich auf mich. „Du meinst das ernst?“ Ich verdrehte die Augen und nickte. „Natürlich. Ich kann mit dem Bogen umgehen, ich weiß wie man schießt, doch jetzt will ich wissen, wie ich mich ohne Waffen wehren kann. Was ist, wenn so etwas wie heute wieder passiert und es ist keiner von euch da und sie greifen mich an. Soll ich dann wehrlos sein?“ Noah legte seine großen Hände auf meine beiden Oberarme und blickte auf mich hinunter. „Du wirst niemals alleine irgendwohin gehen, dass ist mal klar. Und so etwas wird nicht mehr vorkommen, da wir Robert eingesperrt haben.“ Robert war der Soldat, der mich beim Essen verbal attackiert hatte. „Ihr habt ihn eingesperrt? Warum?“
„Er hat dich angegriffen Evie!“ Ethan stand neben Lucas, offenbar haben sich die beiden wieder vertragen, und starrte mich verständnislos an. „Er hat mich nicht angegriffen. Nur angeschrien. Kein Wunder das mich hier niemand leiden kann, wenn ihr jeden bei einer kleinen Beleidigung mir gegenüber gleich einsperrt.“ Adam kam auf mich zu. „Evi, ich..“
„Nein, lass mich...“ Ich stieß seine Hand weg. „ Ihr habt keine Ahnung wie das ist. Überall ein Außenseiter zu sein. Bevor ich euch kennen gelernt habe, hatte ich nur meinen Vater und seine Kollegen. Ich hatte niemals Freunde. Aber wie soll ich jemanden kennen lernen, wenn ihr jeden von mir fernhalten wollt?“ Sie standen alle nur da. Keiner sagte ein Wort. Kein Wunder. Sie wussten wirklich nicht wie es ist. Ohne auf jemanden zu achten, ging ich einfach nach oben „Ihr könnte ohne mich kochen. Ich habe sowieso keinen Hunger!“

 

Als ich oben in meinem Zimmer die Tür zuschlug, kam ich mir vor wie ein beleidigter Teenager, der seine Eltern gerade ins Gesicht schrie, dass er sie hasse, weil ich nicht zu einer Party konnte. Doch diese Dinge habe ich noch nie gefühlt. Ich habe mich noch nie ungerecht behandelt gefühlt. Wie denn auch? Ich kannte nichts außer die Behandlung meines Vater und ich hatte immer das Gefühl, dass ich es verdient hatte. Ich entschied unter die Dusche zu steigen, um den Kopf frei zu kriegen. Ich schloss die Badezimmertür und hörte plötzlich ein Klopfen an meiner Tür. Schnell wickelte ich mich in meinen kuscheligen Bademantel und öffnete die Tür. Ich hatte erwartet, dass Adam davor stand und sich entschuldigen würde, was allerdings nicht nötig gewesen wäre. Aber stattdessen stand Tamara vor meiner Türschwelle. „Hallo Evie! Kann ich reinkommen, oder bist du gerade beschäftigt!“ Sie sah an mir herunter und ich wurde leicht rot. Doch ich ließ sie herein und schloss die Tür hinter ihr. „Ich wollte eigentlich duschen gehen, aber das kann warten. Brauchst du irgendwas?“ Ich hatte keinen Plan, warum Tamara ausgerechnet bei mir anklopfte und woher sie überhaupt wusste, welches Zimmer meines war. „Das wollte ich eigentlich dich fragen!“ Ich starrte sie nur verständnislos an. „Ich habe das heute mitbekommen, als dich die Soldaten angegriffen haben.“ Ich ging ins Badezimmer zurück und zog mich wieder an, währenddessen setzte sich Tamara auf den Sessel neben meiner offenen Terrassentür. „Warum sagen das eigentlich alle? Ich wurde nicht angegriffen. Sie haben mich nur beleidigt. Niemand hat mich verletzt.“ Ihr Blick wurde unnatürlich weich. Ich hasste es wenn man mich so ansah. Als würden sie mich bemitleiden. „Weißt du. Man kann auch verbal angegriffen werden. Vielleicht hast du keine äußeren Verletzungen, aber was ist mit innen drin!“ Sie zeigte auf ihr Herz, allerdings war ich mir ziemlich sicher, dass ich keine inneren Blutungen hatte. „Ich meine damit, dass deine Gefühle verletzt wurden, Evie!“ Als ich wieder angezogen war, nahm ich ihr gegenüber am Bett Platz. „Tamara. Ich wurde schon sehr oft, richtig verletzt, da ist es mir egal, wenn jemand mal etwas zu schroff zu mir ist. Ich halte das aus, keine Sorge!“ Sie schüttelte den Kopf. „Aber das sollst du nicht. Du bist ein Mitglied unserer Gemeinschaft. Wie jeder andere hier verdienst du Respekt und Vertrauen. Sogar noch viel mehr, nachdem was du gemacht hast. Hast du dich nicht gut gefühlt, als Jacob diese Dinge über dich gesagt hat?“ Ich verstand worauf sie hinauswollte. „Ich verstehe, dass die Leute Angst vor mir haben. Sie wissen nicht was ich tun kann. Ich weiß es ja selbst noch nicht richtig!“
„Vielleicht ist das genau das Problem! Ich habe mit Jacob gesprochen und wir wollen etwas mit dir ausprobieren.“ Ich wurde hellhörig, denn ungefähr das gleiche hatte mein Vater auch gesagt, bevor er anfing an mir zu experimentieren. Vermutlich spürte sie meine Nervosität, denn sie stand auf und kam auf mich zu. „Natürlich nur mit deiner Einverständnis. Wir werden dir nicht wehtun, oder etwas tun, was dir nicht gefällt, das verspreche ich dir“ Ich nickte. „Unter einer Bedingung!“ Nun wurde sie etwas vorsichtiger. „Und was wäre das?“ Ich lächelte vor mich hin und trat nahe an sie heran. „Jemand muss mir das Kämpfen beibringen. Ich möchte wissen, wie ich mich ohne Waffen und allein verteidigen kann.“
„Einverstanden“ Wir schüttelten uns die Hand und ich weiß nicht wer von diesem Deal mehr begeistert war.

 

11. Kapitel

 „Aua!“ Zum neunten Mal heute viel ich schon auf den Hintern. Jedes Mal wenn ich ausholte um Lucas meine Faust ins Gesicht zu schlagen, duckte er sich darunter weg und dadurch, dass ich viel Schwung nehmen musste, drehte ich mich um meine eigene Achse und lande auf dem harten Boden. „Du musst schneller zuschlagen und auch nach unten zielen. Sobald du das eine Ziel verfehlst, musst du mit der anderen nachsetzen.“ Es war schräg, Anweisungen von Jacob zu bekommen, die damit endeten, dass ich seinem Sohn einen Kinnhaken verpasse. Wieder holte ich aus, darauf bedacht, dass meine zweite Hand bereit war, falls der erste Schlag daneben ging. Wie zuvor auch, glitt meine rechte Hand über Lucas Kopf hinweg, doch kaum kam er wieder nach oben, landete meine linke direkt in seinem Gesicht. Ich konnte spüren, wie ich ihm auf die Nase schlug und fühlte seinen Schmerz in meiner Hand. „Verdammt!“ Lucas` Hände schnellten zu seinem Gesicht und durch seine Finger konnte ich das Blut sehen, dass aus seiner Nase spritze. „Oh mein Gott. Du hast ihm die Nase gebrochen!“ Ich lief zu Lucas hin, doch Evan hatte sich schon vor ihn gestellt und nahm vorsichtig seine Hände hinunter, um selbst einen Blick auf das Unglück zu werfen. „Nicht schlecht, Kleine!“ Jacob stand hinter mir, und tätschelte mir, vor Stolz, die Schulter. „Aber seine Nase.“ Ich fühlte mich so schrecklich. „Ach. Er wusste auf was er sich einließ, als er zusagte, dein Trainingspartner zu sein.“ Als Jacob das sagte, drehte ich mich zu Lucas um, der wiederum ein Riesengroßes Grinsen im hatte. „Das war der Hammer, Evie!“ Ich verstand die Welt nicht mehr. „Tut das nicht schrecklich weh?“ Das bluten hatte bereits aufgehört und er kam auf mich zu. „Ich habe schon schlimmeres erlebt.“ Er legte seinen Arm um meine Schultern und drängte mich zurück zu meiner Position. „Das nächste Mal versuch mehr nach unten zu zielen, um sein Kinn zu erwischen. Damit könntest du ihn vielleicht ausknocken.“ Offenbar hatte ich irgendetwas witziges verpasst, denn plötzlich brachen alle in großes Gelächter aus. „Du müsstest dein Gesicht sehen, Evie.“ Adam stand am Rande des Trainigsplatzes und hielt sich den Bauch. „Keine Sorge, Baby. Du wirst ihn schon nicht K.O. Schlagen.“ Seine Zuversicht machte mir Mut und ich nahm noch einmal all meine Kraft zusammen und holte aus. Plötzlich kam Tamara hereingestürmt und schrie wild durcheinander. „Sie ist aufgewacht. Der vierte Wandler ist aufgewacht!“

Mein Herz schlug wie wild. Sie sind alle wach. Es geht allen gut. Was würde das für die Zukunft bedeuten. Ist es wirklich möglich, dass ich die Nebler heilen konnte. Ist es dann auch möglich, meine Mutter zu heilen. Würde ich sie wiedersehen? Meine Gedanken überschlugen sich, als ich gemeinsam mit Noah den Gang zu dem Krankenzimmer entlanglief. Wir erreichten unser Ziel gerade in dem Moment, als Mila dem Mädchen ein Glas Wasser reichte. „Alles gut, Sam. Ganz langsam.“ Als Mila mich entdeckte, wurde ihr Blick ganz weich und sie gab mir ein Zeichen, dass ich näher kommen soll. „Samantha. Das ist Evie. Sie hat uns gerettet.“ Samanthas Augen wanderten von mir zu Noah und wieder zurück zu Mila. Ihre Lippen fingen an zu zittern und ich vermutete, dass sie versuchte zu sprechen, doch dann brach sie in Tränen aus und ließ fast das Getränk in ihrer Hand fallen. Hätte Mila es nicht aufgefangen, wäre es zu Bruch gegangen. Warum war Mila so stark? Wie konnte es sein, dass sie die einzige ist, die redet, aufrecht geht und sogar die anderen versorgt? Sie legte den Arm um Samantha und versuchte sie zu trösten, allerdings waren Sams Schluchzer so stark, dass es sogar Mila durchschüttelte. „Ich glaube wir sollten ihr noch etwas Zeit geben, um das alles zu verarbeiten.“ Noah nahm meinen Arm und zog mich leicht nach draußen. Meine Füße wollten mir fast nicht gehorchen, als ich wieder den Blick der anderen auf mir spürte. So als hätten sie Angst vor mir. Was genau hab ich mit ihnen gemacht, als ich sie zurückverwandelt habe. Langsam wurde es Zeit dieser Sache auf den Grund zu gehen. „Mila! Könnte ich dich später vielleicht sprechen? In Jacobs Büro? Die Krankenschwester wird dir bestimmt zeigen können wo das ist!“ Mila nickte und wandte sich dann wieder Sam zu.

 

„Was willst du denn besprechen?“ Noah ließ mich nicht aus den Augen, als wir wieder nach draußen gingen. „Ich muss wissen, was da genau passiert ist. Ihr behauptet, ihr habt nichts gesehen und das was ich gesehen habe, kann ja auch nicht der Wahrheit entsprechen, wenn ich meiner Meinung nach, nur ein paar Sekunden geblutet habe.“ Er nickte und ging weiter voran. „Möchtest du alleine mit ihr reden, oder kann ich dabei sein?“ Ich wusste, dass Noah neugierig war, er es aber respektieren würde, wenn ich alleine sein möchte. „Es würde mich freuen, wenn du dabei wärst. Vielleicht sind Dinge dabei, die ich ohne dich nicht verstehen würde.“ Sein Lächeln wärmte mein Herz. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „So und jetzt einmal zu einem ganz anderem Thema! Was läuft da eigentlich mit dir und Tamara?“ Nicht einmal, als er mich nackt unter der Dusche fand, lief sein Gesicht so rot an, wie in diesem Moment. Er räusperte sich und rieb sich den Nacken. „Was..äähh was genau meinst du denn?“ Mein Augenrollen konnte man vermutlich meilenweit hören. „Halt mich nicht für dämlich. Ich habe zwar meine Probleme mit den menschlichen Interaktionen, allerdings sehe selbst ich, wenn jemand verliebt ist.“ Noah blickte zu Boden und versuchte sein Gesicht zu verstecken, allerdings war ich um einiges kleiner als er, also konnte ich mühelos unter ihn tauchen und ihm direkt in die Augen sehen. „Du weißt schon, dass das was tolles ist oder? Und nichts wovor du dich verstecken musst?“ Ich legte so viel Güte in mein Lächeln wie es mir möglich war und er hob seinen Kopf wieder und wirkte alles andere als glücklich. „Wie soll ich mich denn verhalten, Evie? Mein Bruder ist gestorben, die komplette Menschheit steht vor dem Verderben. Wir wissen immer noch nicht, was dein Vater mit dir vor hat und  wie wir dich retten können. Wie egoistisch wäre es von mir, einen auf verliebt zu machen und glücklich zu sein?“ Ich nahm seine Hand in meine und zwang ihn mir genau zuzuhören. „Du bist vermutlich der selbstloseste Mensch, den ich in meinem Leben kennen lernen durfte. Nach dem dein Vater gestorben bist, hast du dich um deine Brüder gekümmert. Und ich kann nur vermuten, wie schwer das mit diesen Sturköpfen war. Du hast mich aufgenommen, obwohl du keine Ahnung hast wer, oder was, ich war. Der Tod von David hat uns alle getroffen. Doch er würde sich so sehr wünschen, dass du weiterkämpfst. Du verdienst es glücklich zu sein. Du hast das Recht egoistisch zu sein. Und bitte versteck deine Gefühle nicht. Ich kenne Tamara noch nicht so gut, aber sie hat ein unglaubliches Glück, dass du sie liebst!“ Die Umarmung kam so plötzlich, dass ich nach Luft schnappte. Noah hob mich hoch und drückte mich fest an sich. Ich schlang meine Arme um ihn und selbst als er mich wieder auf den Boden setzte, konnte ich ihn nicht loslassen. Wir brauchten das beide gerade und es tat verdammt gut.

 

Mila betrat das Büro gerade, als ich auf Jacobs Sessel Platz nahm. Er hat mir sein Büro für diese Unterredung nur zur Verfügung gestellt, unter der Bedingung, dass er ebenfalls daran teilnehmen darf. Deshalb stand er nun mit Noah in der hinteren Ecke, des viel zu kleinen Büros. Mila ließ sich davon nicht beirren und setzte sich auf den Stuhl mir gegenüber. „Wie ich sehe, sind deine Wachhunde ebenfalls hier.“ Jacob und Noah sahen sich an und ich konnte ihr Lächeln hören, als sie sich wieder zu Mila umdrehten. „Du brauchst keine Angst vor Ihnen zu haben. Wir sind alle auf der gleichen Seite, Mila. Die zwei wollen nur, genauso wie ich, herausfinden, was genau da passiert ist.“ Sie richtete sich das Polster, das auf dem Sessel lag, zurecht und schlug die Beine übereinander. „Ich will dich ja nicht beunruhigen, aber ungefähr die gleichen Worte hat dein Vater auch gesagt, kurz bevor er mir das Serum spritzte.“ Ich wurde aufmerksam. „Kannst du mir darüber erzählen? Ich würde verstehen, wenn es zu schmerzhaft ist, nur bist du die einzige die, die Verwandlung durchgemacht hat, mit der wir reden können.“ Sie stellte beide Beine wieder auf den Boden und lehnte sich etwas nach vorne. „Als ich hörte, das deine Geburt vorüber war, habe ich mich natürlich nach ihr erkundigt. Dein Vater hat mir nichts gesagt, nur das sie separat wo untergebracht worden ist und sie niemand besuchen kann. Ich wollte wissen, was mit dir war. Sie erzählten mir, du seist bei der Geburt gestorben und deine Mutter hätte das nicht verkraftet und sie mich nicht sehen möchte. Das war natürlich gelogen, allerdings habe ich das erst herausgefunden, als ich dich in diesem Krankenzimmer sah.“ Wie konnte mein Vater so etwas tun. Hat er das alles nur gemacht, um meine Mutter wieder zu bekommen? „Danach hat er mir ein Angebot gemacht. Ich könnte sie sehen, wenn ich mich dazu entschließen würde, an dem Experiment teilzunehmen. Es behauptete erste Erfolge erzielt zu haben, was ebenfalls eine Lüge war. Ich entschied mich dafür und wurde prompt in eine kleine Zelle gesperrt. Er meinte, es wäre alles zu meinem Besten und das ich so schnell wie möglich wieder nach draußen konnte, um deine Mutter zu sehen. Ich vertraute ihm, da er deine Mutter wirklich liebte und ich ihr mein Leben anvertraut hätte“ In ihrem Augen glitzerten Tränen und ich widerstand dem Drang zu ihr zu gehen und tröstend meine Arme um sie zu legen. Jacob kam mir zuvor und reichte ihr ein Taschentuch, dass sie mit einem kleinen Lächeln entgegennahm und sich kurz die Augen abtupfte. Nach ein paar schweren Atemzügen redete sie weiter. „Ich war ganze vier Tage in dieser Zelle eingesperrt. Essen und Wasser habe ich nur sehr wenig bekommen. Sie meinten, dass würde den Prozess verlangsamen. Einen Eimer hatte ich um meine Notdurft zu verrichten und spätestens am zweiten Tag wusste ich, dass dein Vater wahnsinnig geworden ist. Er kam mich zwar nie besuchen, aber die Geschichten, die ich von den Wärtern mitbekam, jagten mir Angst ein.“ Ihr Blick glitt an mir vorbei an die Wand, als würde sie in die Vergangenheit schauen. „Er hat ein paar Männer dazu gezwungen, das Serum zu nehmen und bevor sie ganz verwandelt waren, hat er sie getötet, um zu sehen, ob sie weiterleben würden.“ Ihr Kopf zuckte in meine Richtung. „Haben sie nicht. Solange sie nicht verwandelt sind, haben sie noch keine besonderen Fähigkeiten. In dieser kurzen Zeit sind sie sogar verletzlicher, als normale Menschen. Er hat verschiedenste Methoden ausprobiert, von erstechen, bis verbluten lassen oder einfach strangulieren. Niemand hat überlebt, bis er auf die Idee kam, dass er die Verwandlung weiter fortschreiten lassen musste. Dann kamen die nächsten Versuche. Er ließ sie immer weiter an die Schwelle zum Nebler werden, bis sie einen Punkt erreicht haben, an dem sie nicht mehr so verletzlich waren und keine Messerstiche oder Würgeangriffe mehr aufhielten. Dann begann er mit den Stromschlägen. Die Wärter, die vor meiner Zelle wachten, hatten viele Freunde verloren. Niemand wusste mehr, wie weit dein Vater, Frank gehen würde.“ Mila stand auf und knetete ihre Hände. Mein Hirn hämmerte gegen meinen Schädeldeckel, als wollte es daraus rausbrechen. Ich stand ebenfalls auf, nur um dann sofort wieder in meinen Stuhl zurück zu fallen. Noah fing mich auf, bevor ich komplett auf dem Boden aufschlug. „Evie. Alles in Ordnung mit dir?“ Mir wurde leicht schwarz vor den Augen. Was war nur los mit mir? „Ich denke, wir sollten eine kleine Pause machen.“ Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte endlich verstehen, was meinen Vater zu all dem getrieben hat. Ich musste wissen, warum er mich mein Leben lang so gequält hat. Ich stemmte mich wieder hoch, doch meine Beine gaben erneut nach. Hatte ich wieder einen Schwächeanfall. Ich habe doch kein Blut vergossen. „Evie. Das war vermutlich etwas zu viel Information auf einmal. Bitte lass dir Zeit.“ Jacob war an meiner Seite und seine Augen stachen in meine. „Bitte Kleines. Ich weiß, du willst die Beweggründe deines Vaters wissen. Und vertrau mir, du wirst es noch früh genug erfahren, aber für heute reicht es.“ Mila stand neben mir und nickte zustimmen. Meinetwegen.

 

Als ich gerade aus dem Bauwerk, in dem Jacobs befehlsmäßiges Büro war, herauskam, sah ich bereits Adam auf uns zu laufen. Ich hing halb auf Noah, da meine Beine noch etwas wackelig waren und versuchte ihn anzulächeln, doch sein Gesichtsausdruck verriet mir, dass er es mir nicht ganz abkaufte. „Was ist passiert?“ Bevor ich etwas sagen kann, kam mir Noah zuvor. „Es war wohl etwas viel heute. Könntest du sie vielleicht nach Hause bringen?“ Er übergab mich an Adam, der mich sofort auf seine starken Arme hochhob und ich mich an ihn schmiegen konnte. Wie konnte er nach dem ganzen Training, dass er heute mit Sicherheit absolviert hatte, immer noch so gut riechen. „Und du gehst sofort ins Bett, junge Dame, ja?“ Noah küsste meine Stirn und ich salutierte mit meiner rechten Hand, die nicht zwischen Adam und mir eingequetscht war. Während Adam mit mir zu den Autos ging, konnte ich im Hintergrund noch hören, wie Jacob und Mila weiterredeten. Sie waren wohl die einzigen, die meine Eltern kannten, bevor alles den Bach hinunterging. Vermutlich hatten sie einander viel zu erzählen. „Was ist passiert?“ Adam sah mir in die Augen und ich fragte mich, ob er mich erst seitdem er mir gesagt hat, dass er mich liebt, so ansah, oder ob ich einfach nur total blind war und es nicht bemerkt hatte. Ich schlang meine Arme um seinen Hals und küsste ihn leidenschaftlich. „Bring mich sofort nach Hause!“ Ich zog ihn nah zu mir und fing an, an seinem Ohrläppchen zu knabbern. Als ich meine Augen wieder auf seine richtete, konnte ich pures Verlangen darin sehen. So schnell er konnte, lud er mich den nächsten Wagen ein, sprang auf die Fahrerseite und raste nach Hause. Ich hätte nie gedacht, dass ich so einen Einfluss auf Männer hatte. Es gefiel mir irgendwie.


Zuhause angekommen, stieg ich selbstständig aus und wartete, bis Adam mir die Tür aufsperrte. Das ich bei Jacob und Lucas wohnen sollte, hatte niemand mehr erwähnt, als blieb ich einfach bei meinen Jungs. Kurz nachdem ich die Tür hinter mir schloss, stieß er mich schon dagegen und presste seinen ganzen Körper gegen mich. Dieser Mann raubte mir den letzten Atem. Er fing an meinen Nacken zu küssen und schob mit seinen Händen langsam mein Shirt nach oben, wobei er ein leises Stöhnen losließ, als ich meine Fingernägel, die inzwischen ziemlich lang waren, in seinen Rücken bohrte, um ihn noch näher zu mir ziehen zu können. Ganz sanft biss er in die Stelle, wo sich meine Pulsader über den Hals zog, was mich ebenfalls zum Stöhnen brachte. Plötzlich hörte ich lautes Rumpeln aus dem Wohnzimmer. Und ein noch lauteres „Shit!“ Das war eindeutig Evan und dann konnte ich Lucas Stimme ebenfalls hören. „Hey. Das machen wir später sauber. Komm wieder her.“ Ich konnte mir nur ungefähr vorstellen, was die zwei da drinnen trieben und nach Adams angespannten Armen wusste er es vermutlich auch. Um ihn abzulenken, zog ich ihn nach oben, um den Beiden ihre Ruhe zu lassen und um ebenfalls etwas Spaß zu haben. Doch Adam wehrte sich dagegen. Also machte ich einen sehr mutigen Schritt und legte meine Hand auf seine immer noch bekleidete Männlichkeit. Es funktionierte, denn er riss seinen Blick vom Wohnzimmer weg und hob mich hoch, dass mir ein leiser Schrei auskam. Ich hoffte nur, die zwei Turteltauben haben das nicht mitbekommen. Allerdings als wir bei Adams Zimmer ankamen, er mich gegen die nächste Wand drückte und ich meine Beine um ihn schlang, war es mir schon egal. Ich konnte es nicht erwarten, ihn zu spüren, also nahm ich seine Hände und platzierte sie so an meinem Hintern, dass ich nicht hinunterrutschen konnte und zwängte meine Hände zwischen uns, um seine Hose aufzuknöpfen. „Dir ist schon bewusst, dass ich dich runterlassen muss, um deine Hose ebenfalls aufzumachen.“ Ein leiser Seufzer entwich mir und er ließ mich sanft fallen. Während ich meine Hose auf sein Bett schmiss, tat er dasselbe und nahm mich Sekunden später wieder hoch und presste mich erneut gegen die Wand. Er war so wild, dass mir allein durch seine Küsse ganz heiß wurde. Ohne zu zögern, drang er in mich ein und stieß kräftig zu. Ich konnte seinen schweren Atem an meinem Hals spüren und versuchte mich an seinen Hals festzuhalten, während er immer schneller wurde. Ich fand Halt an dem Regalbrett, dass neben uns hing, doch nur ein paar Augenblicke später, riss ich es aus der Wand, während Adam noch einmal tief zustieß und wir gemeinsam unseren Höhepunkt herausschrien. Langsam ließ er mich nach unten gleiten und wenn meine Beine vorher noch nicht wie Wackelpudding waren, jetzt waren sie es auf jeden Fall. Ich hielt mich an seiner steinharten Brust fest und er half mir mich auf das Bett zu setzen. „Das war....“ dieser Gesichtsausdruck war göttlich. „...Intensiv?“ Ich atmete schwer und mein Herz raste, wie nach einem Marathon. Doch mein Lächeln ging von einem Ohr zum anderen. „Du warst unglaublich!“ als er sich ebenfalls aufs Bett setzte, ließ ich mich auf seinem Schoß nieder und lehnte mich an ihn. „Wie konnte ich all die Zeit ohne das auskommen?“ Adam nahm meinen Kopf in seine großen Hände und lächelte mich ebenfalls an. „Naja bis jetzt wusstest du noch nicht was du verpasst.“ Meine schlaue Antwort ließ ihn noch breiter Grinsen. „Ich glaube, dass du etwas zu übermütig wirst, seitdem du diese Nebler zurückverwandelt hast.“ Er küsste meine Nasenspitze und kitzelte mich leicht an der Seite. Als mein Lachen immer lauter wurde, klopfte es an der Tür. „Hey ihr zwei Pornostars. Wenn ihr fertig seid, kommt runter. Es gibt gleich Essen.“ Mein Kopf lief tomatenrot an, doch Adam zog mich hoch, küsste mich noch einmal und ging dann ins Badezimmer. Um ihn nicht auf falsche Gedanken kommen zu lassen, schnappte ich meine Hose und verschwand selbst in mein eigenes Badezimmer um mich frisch zu machen. Etwa zehn Minuten später gingen wir beide Hand in Hand ins Esszimmer und wussten, dank den Lärm den die anderen machten, dass nicht nur unsere Familie am Esstisch saß. Ich war verblüfft darüber, dass nicht nur Jacob, Lucas und Tamara uns Gesellschaft leisten, sondern auch Mila sich einen Stuhl neben Noah ausgesucht hatte, während sie gebannt auf das Chili starrte, dass in der Mitte Platz fand. Ethan stellte gerade das frisch gebackene Maisbrot dazu und Adam und ich gesellten sich zu den anderen, die bereits ordentlich zuschlugen. In dieser Runde waren alle Menschen, die ich liebte versammelt. Einer war mich wichtiger als der andere und mein Herz machten einen kurzen Sprung. Wie lange würde dieses Glücksgefühl wohl anhalten? Die Antwort darauf wurde mir am nächsten Tag beantwortet.

12. Kapitel

„Gibt es irgendeine Möglichkeit zu testen, was sie kann, ohne sie zu foltern?“ Adam stand neben mir, während Tamara mir einen Gürtel um die Taille schnallt, der mich auf der Bahre, die sie extra aus dem Operationsaal geholt haben, festhalten soll. „Ich meine, dein Vater hat auch solche Tests mit dir durchgeführt. Wie ist das jetzt anders?“ Ich nahm seine Hand, um ihn zu beruhigen, als ob er festgeschnallt wäre. „Der Unterschied ist, dass ich es dieses Mal freiwillig mache!“ Er gab mir einen flüchtigen Kuss und ging dann ein paar Schritte zurück.
„Also gut, Evie. Das ist nur ein minimaler Anteil an dem Nebler-Virus. Er wird dich nicht verwandeln, doch er wird in deinem Blut nachweisbar sein. Wir möchten nur sehen, ob er sich nach ein paar Stunden immer noch in deinem Blut befindet, oder ob dein Immunsystem ihn zerstört hat.“ Ich nickte und machte mich auf den Einstich gefasst. Das Festschnallen dient alleine dazu, dass ich nicht wild um mich schlage, falls das Virus Krämpfe oder etwas in der Art auslösen würde. Ich blieb ganz ruhig, als die Flüssigkeit sich in meinen Venen verbreitete. Nichts geschah. Ich spürte nichts. Keine Veränderung in meinem Verhalten. Keine Krämpfe. Als wäre nichts passiert.


Als ich nach ein paar Minuten immer noch ruhig dalag, entnahm mir Tamara etwas Blut, um zu sehen, ob das Virus schon aktiv ist. Sie spritzte etwas davon auf eine kleine Glasplatte und ging damit zum Mikroskop. Als sie hindurchsah, entwich ihr ein kleiner Schrei. „Oh mein Gott. Das ist unglaublich. Dein Blut zersetzt den Virus innerhalb von Minuten. Man kann es direkt mitverfolgen. Schau her.“ Adam sprang an ihre Seite und als ich ebenfalls aufstehen wollte, bemerkte ich, dass ich immer noch angebunden wurde. „Ähh… Leute. Könnt ihr mal?“ Als ich mich befreien wollte, kippte die komplette Bahre, mit mir oben drauf, zur Seite und machte einen Höllenlärm. „Was machst du denn da?“ Adam half Tamara, alles wieder grade zu stellen und lachte mich aus. „Ich dachte ich bringe euch mal zum lachen, da in letzter Zeit ja alle so ernst sind.“ Als ich wieder auf meinen Beinen stand, zwickte mir Adam in den Hintern und zwinkerte mir zu. Wenn wir hier fertig waren, würde ich mich für den Kniff revanchieren. Auf meine ganz eigene Weise. „Hier Evie!“ Tamara war immer noch ganz aufgeregt. Allerdings war es wirklich unbeschreiblich, was mein Blut konnte. Es sah aus, als würde es den Virus einfach auffressen. Irgendwie unheimlich, wenn man bedenkt, dass das gerade in meinem Körper passiert. „Also kann mir das Virus nichts anhaben?“ Tamara, war immer noch fixiert auf das kleine Glasplättchen und nuschelte unter ihrer Gesichtsmaske, die sie zum Schutz trug. „Naja, dass ist zumindest ein Beweis, dass dein Blut den Virus bekämpfen kann. Wie viel auf einmal ist noch nicht ganz klar.“
„Das sind ja großartige Neuigkeiten.“ Jacob kam gerade ins Zimmer, als Adam mir gerade den Arm um die Schultern legte und ich meinen Kopf auf seiner Brust ablegte. „Dann können wir ja mit meinen Tests beginnen.“ Der Ausdruck auf seinem Gesicht, machte mir etwas Angst, aber Adam würde mich keine Sekunde aus den Augen lassen. Das war seine Bedingung zu diesen Versuchen.


Wir gingen gemeinsam zu den Trainingsgelände, auf dem schon mehrere Soldaten sich gegenseitig verprügelten und Sprints übten. „Du hast mir erzählt, dein Vater hätte mal mit einer Kugel auf dich geschossen.“ Ich schnaubte. Einmal? „ Nicht nur ihr Vater.“ Adam stand neben mir und meine Gedanken schweiften zu dem Moment, an dem ich Noah und Ethan kennenlernte und der Jüngere auf mich geschossen hatte. „Also Gut. Ich würde gerne deine Schnelligkeit testen. Also ob du einer Kugel ausweichen kannst.“ Adam versteifte sich neben mir. „Bist du wahnsinnig? Sie kann doch niemals so schnell wie eine Kugel sein!“ Jacob lächelte ihn an. „Das werden wir natürlich vorher testen. Wie ich schon sagte, Adam. Ich werde Evie auf keinen Fall einer Gefahr aussetzen, außer ich bin der festen Überzeugung, dass sie es schaffen kann.“ Er zwinkerte mir zu und ich nickte. „Alles klar!“ Adam drückte meine Hand und ich vergewisserte ihm, dass alles in Ordnung ist.
„Evie, stell dich bitte an diese Markierung und versuch so schnell du kannst, ans andere Ende zu laufen.“ Ich tat wie mir geheißen und stemmte meine Füße in den Boden um nicht wegzurutschen.  „Auf meinen Pfiff, rennst du los!“ Ich nickte wieder und wartete auf den Pfiff. Als er ertönte, sprintete ich los. Ohne zu überlegen, lief ich zu der Mauer, an dem das Ende der Strecke war. Als ich mich umdrehte, sichtlich zufrieden mit mir selbst, da ich schneller war, als jeder der anderen Soldaten, konnte ich Jacobs Blick sehen. Er sah nicht sehr erfreut aus. „Das war nicht gut, Evie!“ Wie bitte? Ich war schneller als ein Auto wäre, auf dieser kurzen Strecke. Ich lief zurück, langsamer dieses Mal, um mich nicht zu verausgaben. „Sie war doch verdammt schnell, Jacob.“ Als ich ankam, redete Adam gerade auf Jacob ein. „Aber sie war nicht schnell genug, um einer Kugel auszuweichen. Entweder du musst mehr trainieren, oder du musst eine bestimmte Fähigkeit aktivieren.“ Vielleicht war es genauso wie mit meiner Nachtsicht. Die konnte ich auch nur durch einen Schockzustand auslösen. „Vielleicht ist sie einfach nicht so schnell, um einer Kugel auszuweichen. Das ist doch eigentlich gar nicht nötig. Kugel können ihr nichts anhaben.“ Ich räusperte mich. „Also Schatz. Sie tun schon verdammt weh, wenn mich eine Kugel trifft und außerdem geht es dabei gar nicht nur um mich. Sondern auch um andere. Wenn ich selbst einer Kugel ausweichen kann, kann ich andere auch davor bewahren, selbst getroffen zu werden.“ Ich drehte mich zu Jacob um und straffte meine Schultern. „Ich muss es vermutlich irgendwie auslösen. Als ich meine Nachtsicht bekam, hat Adam gerade ein Messer an Davids Hals gehalten.“ Adam und ich  sahen uns bei dieser Erinnerung an diesen geliebten Menschen an und verfielen in kurzes Schweigen. „Vielleicht brauche ich so etwas hier auch.“ Adams Augen sahen mich mit einer Mischung aus Mitleid und Entsetzen an. „Willst du jemanden eine Waffe an den Kopf halten, um zu testen, ob du sie auffangen kannst?“ Ich schubste ihn leicht weg. „Sag so was nicht!“ Ich hatte keine Ahnung, was genau wir versuchen sollten, aber ich wusste, entweder Jacob oder Noah würde sicher etwas einfallen. „Geh und hol Noah!“ Ich sah Tamara an, die immer noch erstaunt in der Ecke stand. Als ob sie aus einer Trance erwachte, nickte sie und rannte los.


Ein paar Minuten später kam Noah herein. In seiner Montur, mit Waffengurt und Tanktop sah er aus, wie ein Wilderer, der gleich auf Safari gehen würde. „Ihr habt Probleme?“ Er lächelte Jacob an und zwinkerte mir zu. Jacob erwiderte das Lächeln nicht und sah wieder zu mir. „Evie ist der Meinung, wir müssten ihre Sinne irgendwie auslösen. Wie bist du auf die Idee gekommen, dass du sie mit diesem Schrecken heraufbeschwören kannst?“ Sie redeten über mich, als wären meine Kräfte ein kleines Häschen, dass sie aus ihrem Bau locken wollten. Ich spürte Adams Hände auf meinen Schultern und ich schmiegte mich an seine breite Brust. Ich schloss für einen Moment, die Augen, denn ich wusste, es war nicht so wie bei meinem Vater. Hier wurde ich geliebt und beschützt. Hier würde mir keiner etwas antun, was nicht genauestens mit mir besprochen wurde. Adam schlang die Arme um mich und zog mich langsam nach hinten. „Willst du verschwinden? Die zwei Wissenschaftler können auch ohne dich beraten?“ Ich hörte die Worte ganz leise in meinem Ohr, allerdings war Noahs Gehör wieder einmal so geschärft, dass er alles mitanhörte. „Ihr werdet jetzt nicht einfach abhauen. Adam, du kannst gerne gehen. Aber wir brauchen dich Evie.“ Ich nickte ihm zu, drehte mich zu Adam um, und zog ihn zu mir, um meine Lippen auf seine zu drücken. „Ich mach es wieder gut, ja?“ Er hob mich leicht hoch und zog mich noch enger an ihn. „Oh ja das wirst du.“ Ein Kuss auf die Nasenspitze und ein kleines Knurren Richtung Noah und Jacob, dann drehte sich Adam um und verließ die Arena. Sie probierten ein paar Techniken aus. Ich sollte von einem bewaffneten Soldaten weglaufen, dann sollte ich einfach eine Zeit lang im Kreis rennen und immer schneller werden. Geholfen hat nichts. Ich war immer noch nicht so schnell wie eine Kugel. Am Abend flog ich auf mein Bett. Komplett angezogen und fiel sofort in einen tiefen Schlaf. Ich merkte gar nicht, wie Adam sich zu mir legte, nachdem er mir meine Klamotten ausgezogen hatte. Doch am nächsten Morgen lag ich nackt unter der Bettdecke und mein Kopf ruhte auf Adams Brust. Ich könnte mich an diese Art des Aufwachens gewöhnen. Ich blinzelte ein paar Mal, bis Adam seinen Kopf hob und mich anlächelte. „Du bist noch nicht aus dem Schneider, nur zu deiner Information.“ Ich sah ihn verwirrt an, allerdings verstand ich was er meinten, als er mich auf sich zog und langsam anfing mich zu küssen. Ich würde es also jetzt gleich wiedergutmachen.

 

Als wir beide aus der Dusche kamen, konnte ich das Frühstück schon riechen. Ich konnte es immer noch nicht glauben, dass wir Hühner, Kühe und Schweine entdeckt haben, die uns Eier, Milch und Schinken lieferten. Ein normales Frühstück, mit meiner Familie. Das Brot wurde jeden Tag frisch gebacken, mit dem Mehl, dass wir aus den Getreidefeldern nicht weit entfernt ernten konnten. Ethan und Evan saßen jeweils an einem Ende des Tisches und aßen gemütlich ihre Rühreier. Noah stand in der Küche und briet gerade die nächste Portion. „Setzt euch. Es gibt genügend für alle. Die Hühner waren fleißig.“ Er wedelte mit dem Pfannenwender und kam mir vor, wie eine Hausfrau, die für ihre Kinder gekocht hat. Ein starker Kontrast zu gestern, als er mit einer Waffe auf mich gezielt hatte, um mich anzutreiben. Adam und ich nahmen jeder neben einem Zwilling Platz und warteten auf „Madame Noah“, dass er uns einen Teller mit Eiern vor die Nase stellte.
Es schmeckte so gut, dass sich jeder von uns noch einen Nachschlag holte. Wir brauchten das Eiweiß, denn Adam, die Zwillinge und ein paar andere Soldaten würden wieder auf Beutezug gehen. Eigentlich hatte ich gehofft, mitkommen zu dürfen, allerdings hatten Noah und Jacob andere Pläne für mich. „Du musst trainieren, Evie. Wir können dich nicht einfach unvorbereitet auf alles und jeden loslassen.“ hatte Jacob bei der kurzen Besprechung gestern nach dem Training behauptet. „Du bist stark, schnell und hast vermutlich magische Heilkräfte, die das Virus zerstören können. Wir müssen herausfinden, was noch alles in dir steckt und wie wir es benutzen können.“ Mein Blick verriet offenbar meinen Unmut, dass sie mich nur für das benötigten, denn er fügte schnell hinzu. „Und das meine ich nicht, dass wir dich als Waffe benutzen werden, sondern, dass du dich selbst und andere beschützen kannst.“ Er sah mir tief in die Augen und ich nickte ihm zu, um ihm zu verstehen zu geben, dass ich weiß, wie er das meinte. „Erst wenn wir wissen, zu was ich fähig bin, können wir sicher sein, dass ich niemanden unabsichtlich verletzen werde.“ Er nickte und ich blickte jedem von meiner Familie in die Augen. Später verabschiedete ich mich von den Jungs. Von Adam etwas intensiver, als von den Zwillingen und fuhr mit Noah zum Stützpunkt.

 

„Noch einmal“ Ich sprintete los und hielt an, bevor ich gegen die Mauer krachte, die an der gegenüberliegenden Wand war. Das war mein zehnter Versuch, um von einer Seite auf die andere zu gelangen, bevor Oliver, ein Rekrut auf dem Stützpunkt mit dem Pfeil auf das Ziel traf, das ebenfalls auf der Seite war, auf die ich zulief. Oliver war unser bester Schütze und trainierte seit Wochen mit dem Pfeil und Bogen. Er mochte diese Waffe, da sie leise, aber dennoch tödlich war. Mittlerweile war er schon so gut, dass er sein Ziel mit größter Präzision traf. Ich allerdings scheiterte an meinem Vorhaben. Jedes Mal sah ich zu, wie der Pfeil an mir vorbeisauste und die Scheibe traf. „Es funktioniert immer noch nicht!“ Ich keuchte und stützte meine Arme auf meine Knie ab und Luft zu holen. Ich konnte Noah sehen, wie er am anderen Ende mit Jacob tuschelte. In einem Sekundenbruchteil war ich an ihrer Seite. Ich war schnell, nur immer noch nicht schnell genug. Ich wandte mich an Oliver und sah ihm tief in die Augen. „Schieß auf mich!“ Sein normalerweise immer strenger Blick wich einer überraschten Miene. „Bitte was?“ Noah und Jacob drehten sich in einem Schwung um, und sahen mich ebenfalls entgeistert an. „Verdammt. Mir kann doch eh nichts passieren und wir müssen meine Kraft immer noch auslösen, aber schieß auf mich, Oliver.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, lief ich wieder zurück und wartete mit ausgestreckten Armen. Olivers Augen glitten zu Noah, der mich immer noch anstarrte, als hätte ich den Verstand verloren. Allerdings kannte ich ihn mittlerweile so gut, dass er meine Entscheidungen akzeptieren würde und mir vertraute. Er nickte Oliver zu, der darauf einen Pfeil in die Sehne spannte und auf mich zielte. Ich konzentrierte mich so gut es ging und als ich sah, dass er den Pfeil losließ, passierte es. Alles stand plötzlich still. Als wäre die Zeit stehen geblieben. Nur, dass ich sah wie der Pfeil in Zeitlupentempo auf mich zukam. Ich lief ihm entgegen und stoppte den Pfeil noch bevor er richtig durch die Luft segeln konnte. Die Wucht des Geschosses, trieb mich allerdings etwas nach hinten, wodurch ich zurücktaumelte und auf den Hintern landete. Das erste was ich wahrnahm war Stille. Ich rappelte mich auf und sah in 3 offene Münder. Noah, Jacob und Oliver standen vor mir und ich ein bisschen feierte ich gerade ihren Gesichtsausdruck. Ich hatte es geschafft. Ich hatte den Pfeil aufgehalten, noch bevor er richtig sein Ziel erkennen konnte. Ich brach das dünne Ästchen in zwei und schmiss es Noah vor die Füße. „So macht man das, Gentleman!“  Ich stolzierte einfach an ihnen vorbei und unterdrückte das Zittern, dass immer noch in meinem Körper bebte.

 

Am Abend kamen meine Jungs wieder, und wir warteten bereits vor dem Haus auf sie. Adam stieg aus dem Auto aus und nahm mich sofort in den Arm, um mich zu küssen. „Na, alles in Ordnung, meine Schöne?“ Mein Herz raste jedes Mal, wenn er mir ein Kompliment machte. Ich nickte und sagte ihm, ich würde ihm später alles genau erzählen, denn ich konnte spüren, dass er Neuigkeiten hatte und an seinem Gesicht konnte ich lesen, dass dies keine guten Neuigkeiten sein würden.
Während er mich immer noch im Arm hielt, drehte er sich zu Noah. „Könntest du eine Versammlung organisieren?“
„Um diese Uhrzeit. Es ist schon längst Nachtruhe“ Adam ließ mich los und packte seine Sachen aus. „Es kann nicht warten. Vertrau mir.“ Noah nickte und holte sofort sein Funkgerät heraus. „Jerry?“ Am anderen Ende war zuerst nur ein Rauschen zu hören. Doch dann kam Jerrys tiefe, raue Stimme. „Was gibt’s Noah?“
„Wie viele Soldaten sind noch unterwegs?“ Ein kurzes Zögern, als er vermutlich selbst bei einem Kameraden nachfragen musste.
„Es ist noch niemand zu Bett gegangen, Noah. Nur ein paar liegen im Krankenflügel, da eine leichte Grippe die Runde macht“ Ich konnte spüren, wie Noah leicht zusammenzuckte. Eine Grippe? Das war nicht gut. Alle Männer mussten immer in Topform sein, da jederzeit mit einem Angriff zu rechnen ist. „Schaff jeden den du kriegen kannst, in die Sporthalle. Adam ist zurück und sie haben Neuigkeiten.“ Wieder in kurzes Zögern und dann ein kurzes „Alles klar, Sir!“ aus dem Funkgerät.

 

Wir fuhren gerade die kurze Straße entlang, als Jerry auf uns zugelaufen kam. „Evie. Mila wartet auf dich. In Jacobs Büro. Sie möchte mit dir reden?“
„Hat das nicht Zeit, bis nach der Versammlung?“ Jerry schüttelte den Kopf und Oliver, der neben ihm stand, gab mir zu verstehen, dass ich ihm folgen sollte. „Ich wollte doch hören, was es für Neuigkeiten gibt!“ Ich schmollte etwas, doch ich folgte Oliver, in das mir mittlerweile bekannte Gebäude. „Wir werden es sowieso zuhause noch besprechen, Baby!“ Adam schrie mir nach und mit einem kleinen Zwinkern drehte er sich wieder zu den anderen um. Doch ich konnte noch seinen traurigen Blick sehen, bevor mir die Sicht versperrt wurde.

 

„Evie. Wie schön dich wieder zu sehen.“ Mila umarmte mich sofort, als ich die Tür aufmachte und ich erwiderte die Geste. Auch wenn ich Mila noch nicht so lange kannte, war sie doch die einzige Verbindung, die ich zu meiner Mutter hatte. „Es freut mich auch dich zu sehen, aber konnte das nicht warten?“ Sie schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid, meine Kleine, aber du solltest endlich alles erfahren.“ Ich nahm in Jacobs Stuhl Platz, der mir ein willkommener Freund ist, wenn ich an mein letztes Gespräch mit Mila dachte. Vielleicht sollte ich doch einen von den Männern dazu holen. Allerdings stand Oliver vor der Tür, falls ich jemanden benötigen sollte, wäre es ein leichtes für ihn, jemanden zu rufen. Mila nahm gegenüber von mir Platz und schenkte uns beiden ein Glas Wasser ein, dass immer auf Jacobs Tisch bereitstand. „Als ich dich das letzte Mal sah, habe ich dir von den Experimenten von deinem Vater erzählt. Nur leider blieb es nicht nur dabei. Nachdem er die verwandelten Nebler mit den Stromschlägen gefügig machte, ging er noch einen Schritt weiter. Er wusste er konnte sie nicht kontrollieren, sondern nur bestrafen, falls sie nicht das machen würden, was er wollte. Er hat eine ganze Armee von diesen Dingern erschaffen und die Sponsoren, die seine Forschung bezahlt hatten, waren zufrieden mit ihm. Doch Frank wusste, wenn er Ihnen diese Dinger einfach so überlassen würde, dann wäre deine Mutter für immer verloren. Als die reichen Männer und Frauen dann eines Tages in das Institut kamen, um die Nebler abzuholen, hat dein Vater sie alle freigelassen und gegen die Förderer eingesetzt. Allerdings war Frank mittlerweile so in seinem Wahnsinn fortgeschritten, dass es ihm nicht reichte, nur diese nicht ganz so unschuldigen Leute zu opfern. Sein Motto war immer:…“
„Nur die Starken überleben!“ Ich nickte und musste schlucken, als ich die Ironie in diesem Satz langsam verstand. Mein Vater war nicht mehr stark. Er hatte sich verändert. Nachdem meine Mutter in eins dieser Dinger verwandelt wurde, zerbrach etwas in ihm. Von außen hin wirkte er stark, doch tief in seinem Inneren war er ängstlich, und gebrochen.
„Er behielt sich ein paar der Nebler für seine eigenen Zwecke und den Rest ließ er auf die Welt los. So entstand die Hölle, die du nun kennst. Dein Vater hat jeden Nebler bewusst eingesetzt. Jeder Kontinent, jedes Land, jedes Dorf wurde von ihm ausgewählt und zerstört.“ Ich stand auf und öffnete Jacobs Geheimschrank. Ich wusste er hatte immer etwas stärkeres gebunkert und in diesem Moment brauchte ich etwas viel stärkeres. Ich schenkte mir ein Glas Whiskey ein und trank es in einem Schluck aus. Mila wartete, bis ich wieder so weit war und fing an, an ihren Nägeln herumzuspielen.
Ich setzte mich wieder hin, schenkte mir noch ein Glas ein und nickte ihr zu. Ich umklammerte die Flüssigkeit, während Mila weiterredete. „Wie du ja weißt, haben sich die Menschen gewehrt und versucht zurück zu kämpfen. Doch alles was ihnen übrigblieb, war zu fliehen.“ Ich nahm noch einen großen Schluck und versuchte nicht auszuflippen, denn dass was danach kam, zerstörte mich vollkommen. Mila erzählte mir, wie mein Vater mich „erschaffen hatte“

 

Ich taumelte fast aus dem Büro, während Oliver mich und Mila zu den anderen brachte. Milas Geschichte hatte natürlich kein gutes Ende, doch um alles zu verarbeiten, brauchte ich Zeit. Viel Zeit. Und meine Familie. Oliver erzählte mir, dass die Versammlung bereits zu Ende war und sie alle auf mich warteten. Ich beeilte mich und als ich Noah und Adam sah, die mit den Zwillingen vor den Wagen standen, kamen mir die Tränen. Wie konnte ich nur so ein Glück haben. Von diesem Monster wegzukommen und diese Menschen zu finden. Die mir soviel bedeuteten und die ich über alles liebe, obwohl sie nicht mein Blut in sich trugen. Als Adam sah, dass meine Augen nass wurden, starrte er Mila mit einem Todesblick an. Doch ich schüttelte nur den Kopf und zog sein Gesicht zu meinem heran. „Sie hat mir alles erzählt. Wirklich alles!“ Mein Körper fühlte sich so schwer an und ich schmiegte mich an Adams Brust. Er umarmte mich und küsste meinen Haaransatz. Ich hörte wie Mila sich verabschiedete, doch bevor sie verschwinden konnte, wand ich mich aus Adams Klammergriff und fiel in Milas Arme. „Danke! Danke für alles!“ Ich konnte spüren, dass sie etwas erwidern wollte, doch ihr Mund öffnete sich nicht. Sie nickte und lächelte mich nur an. Dann verschwand sie und ließ mich mit meinen Jungs allein.

13. Kapitel

„Sie haben was?“ Adam legte beruhigend eine Hand auf mein Knie. Wir saßen gemeinsam im Wohnzimmer und die Männer erzählten mir alles, was ich bei der Versammlung verpasst habe. „In der Nachbarstadt sieht es aus wie auf einem Schlachtfeld. Nur Gott sei Dank ohne Leichen. Alles ist zerstört. All unsere Safehäuser sind entweder verbrannt, explodiert oder einfach verschwunden.“ Ich schüttelte den Kopf. „Wie kann so etwas überhaupt gehen? Die Nebler würden niemals Häuser zerstören.“ Ethan stand auf und ging im Zimmer auf und ab. „Das ist noch nicht alles.“ Ich machte mich auf das gefasst, was jetzt kommen würde. „Der Wald ist weg. Jeder Baum, jeder Strauch. Alles niedergebrannt. Und die Tiere sind alle verschwunden. Wir haben kein einziges Wild gefunden. Und keine Beeren, oder Äpfel oder sonst irgendwas Essbares. Alles ist dem Erdboden gleich gemacht worden.“
„Und genau so sieht es auch in den nächsten Dörfern aus. Wir haben im Umkreis von 100 km nichts gefunden, außer Ruinen und abgerodete Wälder.“ Mein Kopf drehte sich. Es war als ob das gesamte Chaos wieder von vorne anfangen würde. „Und was zum Teufel sollen wir jetzt machen?“ Noah nahm mir meine Tasse Tee ab, die schon seit Minuten leer ist und ich sie nur noch hin und her drehte. „Genau darum ging es bei der Versammlung.“ Er konzentrierte sich vollends auf das Einschenken meines Getränkes um mir ja nicht in die Augen sehen zu müssen. „Wir werden Suchtrupps losschicken, die nach anderen Orten suchen, die wir plündern können.“ Ich spürte wie Adam sich neben mir anspannte. „Was soll das heißen? Wir?“ Als ich die 4 Augenpaare auf mir sah, sprang ich auf. „Nein! Auf keinen Fall werdet ihr das machen? Und falls doch werde ich mitkommen!“ Adam nahm meine Hand und drückte sie leicht. „Du musst hierbleiben und weiter trainieren. Wenn es zum Kampf kommt, musst du vorbereitet sein. Wir haben das ganze hier begonnen, Evie. Wenn wir nicht mitgehen, wirft das ein schlechtes Licht auf uns und die Leute würden uns nicht mehr folgen, wenn wir eine so wichtige Aufgabe an jemanden weitergeben würden.“ Nun schrie ich förmlich. Niemals werde ich zulassen, dass sich meine Familie erneut in Gefahr begibt. „Es ist mir scheiß egal, was das für ein Licht auf euch wirft. Ihr könnt mich nicht einfach alleine hierlassen.“ Noah kam mit meiner Tasse auf mich zu, aber ich ignorierte sie einfach. „Du weißt genau, dass wir das nie tun würden, Evie. Wir werden aufpassen. Wir haben schon schlimmeres überlebt!“ Ich schüttelte wieder den Kopf und langsam kamen mir die Tränen, die nicht aus Sorge, sondern auch aus Wut über meine Wangen liefen. „Als ihr das letzte Mal unterwegs ward, wäre Evan fast gestorben, wenn ich nicht gewesen wäre und da wart ihr noch nicht auf der Abschlussliste meines Vaters. Vielleicht ist es genau das was er will. Euch von mir trennen, damit er ein leichtes Spiel hat.“ Ich sah jedem einzelnen von ihnen die Augen. Noah, mein Fels in der Brandung. Egal wie schlimm es um ihn oder andere stand, er hatte immer ein Lächeln auf den Lippen. Ethan, der kleine Wirbelwind. Immer einen lässigen Spruch auf den Lippen und der für seinen Zwillingsbruder alles tun würde. Ethan, mein erster Freund hier. Mit seiner zarten Seite, wenn er mit Lucas zusammen ist und seine wilde Seite, wenn er trainiert und eine Waffe trägt. Und Adam. Der Mann, der wortwörtlich um mich gekämpft hat. Mein Held. Mein Herz. Wie könnte ich sie einfach so gehen lassen. Ich setzte mich auf die Couch und presste meine Hände auf mein Gesicht, ohne die Tränen zu unterdrücken. Auch wenn es meine Familie war. Im Trösten waren Männer einfach hoffnungslos. Erst als Evan auf mich zukam und mich in den Arm nahm, kamen die andern auch zu mir. Alle knieten sie vor mir. „Du gibst uns die Kraft, die wir brauchen Evie. Du führst uns in diesen Krieg und nichts und niemand wird uns daran hindern, wieder zu dir zurückzukehren.“ Noahs Ansprachen waren legendär, doch diese hier, war reine Propaganda. Er konnte mir nicht versprechen, dass sie alle wieder zurückkehren würden. Doch ich hielt mich an diesem Strohhalm fest und umarmte sie alle fest. „Ich denke, wir sollten schlafen gehen. Morgen werden wir alles Weitere besprechen, ok?“ Noah gab mir einen Kuss auf den Haaransatz und drückte kurz meine Schulter.“ Wir nickten alle und jeder ging langsam nach oben, um sich fürs Bett fertig zu machen. Als ich ebenfalls nach oben steuerte hielt mich Adam auf und deutete mit einem Kopfnicken auf den Garten. „Hast du noch eine Minute?“ Für ihn? Alle Minuten der Welt. Ich nickte und er nahm meine Hand und führte mich in den Garten mit dem Mondlicht als unsere einzige Lichtquelle.

 

„Ich will nicht das du gehst!“ Ich schmiegte mich an seine Schulter, als wir auf der Bank Platz nahmen, die in Richtung des Hauses ausgerichtet ist. „Und ich will nicht, dass du dieses Training absolvierst, dass dich vermutlich in mehr Gefahr bringen wird, als dieser Ausflug mich und meine Brüder“ Ein Anzeichen eines Lächelns spielte um seine Lippen. Ich zwickte ihn leicht in die Seite und er lachte kurz auf, woraufhin er meine Hände in seine nahm und sie spielerisch hinter meinem Rücken zusammenhielt. Mit einer Hand hielt er sie fest, während er mit der anderen mein Gesicht nahm und mein Kinn nach oben drückte um mich zu küssen. Ich wich etwas zurück und sah zu wie er mir mit seinem Kopf folgte, bis er seine Lippen auf meine drücken konnte. Um ihn etwas zu quälen, biss ich ihm ganz leicht in die Unterlippe. „Du denkst nicht wirklich, dass du jetzt aus dem Schneider bist? Ich bin immer noch sauer auf euch alle.“ Ich versuchte zu schmollen, doch seine Augen glühten so voller Lust, dass ich mich nicht mehr zurückhalten konnte und befreite meine Hände um sie sofort um seinen Hals zu schlingen. Ich kletterte auf seinen Schoß und schmiegte mich an ihn. Ohne darüber nachzudenken, dass wir im Freien waren, griff ich zwischen uns und öffnete seine Hose. In Sekunden entfernte ich meine Hotpants und setzte mich wieder auf ihn. Als er in mich eindrang, entkam mir ein leises Stöhnen, und ich drückte seinen Kopf gegen meine Brust. Ich hob meine Hüften immer schneller und wir kamen gemeinsam zum Höhepunkt, während er seine Finger in meinen Rücken krallte. Ich fiel auf ihm zusammen und ich konnte mich nicht bewegen. Meine Beine waren links und rechts neben auf der Bank und rührten sich nicht, als ich aufstehen wollte. Als ob er es spüren würde, hob Adam mich hoch und setzte mich behutsam wieder auf den Platz, den er gerade frei gemacht hatte. Er half mir beim Anziehen meiner Hose, die ich fast bis zum Haus katapultiert hatte. Danach trug er mich nach oben und stellte mich einfach unter die Dusche. Dieser Tag hatte es in sich, doch dieser Ritt war nötig. Er machte mir klar, um was ich hier kämpfte. Meine Freiheit, dass zu tun was ich will und niemand würde dabei im Weg stehen. Nachdem ich frisch gewaschen und immer noch ziemlich erschöpft in mein Bett fallen wollte, fiel mir auf, dass Adam nicht darin lag. War er etwa wieder in sein Zimmer gegangen? Normalerweise würde ich zu ihm gehen, um mich neben ihn zu kuscheln. Aber meine Beine wollte einfach nicht mehr, also würde sein Duft, der auf dem Kissen neben meinem hängen geblieben ist, für diese Nacht wohl ausreichen müssen.

 

Eine Stunde später wachte ich schweißgebadet auf.  Mein Traum enthielt alle Dinge, die ein Alptraum ausmachen. Ein Monster, dass meine Familie töten würde. Ein reißender Fluss, der mich immer wieder unter Wasser drückte und danach ein Feuer um mich herum, aus dem ich nicht entkommen konnte. Kurz bevor es mich verschlingen konnte, wachte ich auf. Ich suchte neben mir einen Körper, an den ich mich drücken konnte, bis mir wieder einfiel, dass ich alleine eingeschlafen bin. Immer noch leicht zittern, kletterte ich hinaus und zog meine Bettdecke mit mir. Als ich aus dem Zimmer ging, konnte ich unten ein Licht erkennen. Vorsichtig ging ich die Treppe hinunter und fand im Vorgarten Adam. Er trainierte an dem Sandsack der auf der Veranda aufgehängt wurde. Eigentlich war er nur aus Spaß dort aufgehängt worden. Ich hatte keine Ahnung, dass er tatsächlich in Gebrauch war. Ich konnte sehen wie sich Adams Rückenmuskeln an- und entspannten. Da er kein Shirt trug, war sein Rücken ein schöner Anblick, an dem der Schweiß glänzte. Als er mich hörte, drehte er sich zu mir um und mir stockte der Atem. Seine Augen glitzerten und in seinem Gesicht war ein Ausdruck tiefster Trauer. So schnell ich konnte ging ich auf ihn zu und ließ meine Decke einfach fallen. Ich legte seinen Kopf an meine Schulter und streichelte ihm leicht über die Haare. Sein ganzer Körper bebte. Was hat ihn so aufgelöst? Ich ließ ihm Zeit um sich wieder zu beruhigen. Er hatte sich die Hände verbunden, um sich nicht zu verletzten, wenn er wie ein Wahnsinniger auf den Boxsack einschlug. Ganz langsam ließ er von mir und setzte sich auf die Stufen vor der Haustür. Ich hielt seine Hand und wartete ab, ob er etwas sagen würde. Als er nach ein paar Minuten immer noch wie starr in die dunkle Nacht blickte, machte ich endlich den Mund auf. „Willst du mir erklären, was das war?“ Er ließ seine Schultern kreisen, als würde er sich darauf vorbereiten, was er zu mir sagen würde. „Was ist, wenn ich sie nicht beschützen kann?“ Er fing wieder an zu zittern und ich schlang meine Arme um ihn. Dieser große, starke Mann, den ich zuerst wie die Pest gehasst hatte, sah mich nun an und weiß nicht wie er seine Familie retten soll. Ich könnte ihn nicht mehr lieben, als in diesem Moment. „Ich weiß du denkst du musst uns alle retten und den Helden spielen. Aber ich kann dir eins sagen, mein Schatz. Du musst das nicht alleine schaffen. Du hast deine Brüder, mich und eine ganze Armee von Soldaten, die dir und unserer Familie folgen, wohin wir auch gehen. Hör auf ständig alles auf eigene Faust zu machen und nimm die Hilfe an, die du brauchst und auch verdienst. Ok?“ Er nahm mein Gesicht in seine großen Hände und ich schmeckte das Salz an seinen Lippen, als er sie sanft an meine legte. „Ich liebe dich Evie und ich werde dir das mein Leben lang beweisen.“ Ich lächelte ihn sanft an und spürte seine Wärme, die mich komplett umfing. „Dann sorg gefälligst dafür, dass dieses Leben endlos sein wird.“ Wieder küsste er mich sanft und gemeinsam gingen wir dann nach oben und ich konnte mich endlich an den Mann kuscheln, der mir in letzter Zeit die größte Stütze war, die ich mir überhaupt vorstellen konnte. Mit einem Lächeln auf den Lippen und meinem Kopf auf seiner Brust fiel ich in einen traumlosen Schlaf.

 

Am nächsten Tag saßen wir alle am Frühstück. Keiner sprach ein Wort. Jeder ging seinen eigenen Gedanken nach und versuchte das unausweichliche Gespräch immer weiter hinaus zu zögern. Ich half Evan den Tisch abzuräumen und wartete danach mit meiner Tasse Kaffee in der Hand am Tresen, bis jemand den ersten Schritt machte. „Wisst ihr schon, wann wir losmüssen?“ Ethan stand auf und goss sich eine weitere Tasse Tee ein. Er konnte Kaffee noch nie leiden, deshalb stand neben der Kanne mit dem heißen schwarzen Glück eine weitere mit heißem Wasser in dem ein paar getrocknete Früchte schwammen. Noah lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust bevor er zu sprechen begann: „Ich würde am liebsten so schnell wie möglich aufbrechen, um zu verhindern, dass noch mehr Städte von den Nebler zerstört werden.“ Mein Bauch zog sich leicht zusammen. Adam bemerkte meine ansteigende Panik und kam auf mich zu und legte mir seine Arme um meine Hüfte. Ich lehnte mich an seine Brust und genoss die Wärme. Er küsste meinen Kopf und ich drehte mich gemeinsam mit ihm um. „Wer geht eigentlich noch mit euch mit?“ Noah sah mich an, mit einer Mischung aus Mitleid und Entschuldigung. „Es werden nur wir gehen, Evie! Alle anderen müssen sich auf den Kampf vorbereiten. Wir wissen auf was wir uns einlassen und die Gruppe sollte so klein wie möglich sein.“ Ich drückte Adam wieder von mir weg. „Und das müsst genau ihr sein?“ Ich fing an zu schreien. „Es gibt so viele Soldaten, die dafür besser geschaffen wären.“
„Es reicht!“ Jeder wurde still. Noah hatte noch nie seine Stimme erhoben. Ich konnte mich nicht erinnern, wann er jemals geschrien hatte, doch in diesem Moment, spürte ich diese Worte bis in meine Knochen! „Denkst du ernsthaft mir gefällt das? Ihr seid meine Familie, verdammt und ich weiß genau in welche Gefahr ich jeden einzelnen von euch bringe. Aber was soll ich machen? Einfach danebenstehen und alle anderen die Arbeit machen?“ Ich fing an zu zittern. Gestern Adam und jetzt auch noch Noah! Sie gehen alle mittlerweile an ihre Grenzen. „Ich wünscht es gäbe eine andere Möglichkeit, aber meine Brüder, sind die einzigen, denen ich genug vertraue, deshalb ja, Evie. Es müssen genau wir sein.“ Adam wollte mich vor ihm abschirmen, doch ich schob ihn zur Seite. „Aber die Leute brauchen euch hier. Ich brauche euch hier. Was zum Teufel soll ich machen, wenn euch etwas passiert?“ Tränen der Wut stiegen in meine Augen. Noah trat so nah an mich heran, dass ich seinen Duft nach Wald und Kaffee riechen konnte. Er war vor dem Frühstück im Wald laufen, um wie jeden Tag den Kopf klar zu kriegen. Seine Nasenflügel bebten, doch als er noch einen Schritt nähertrat, schlang er die Arme um mich und presste mich an seinen Körper. Ich spürte wie sein Körper sich anspannte und meine Tränen liefen unaufhaltsam an meiner Wange herab und auf sein weißes Hemd. Um uns herum war absolute Stille. „Es tut mir so schrecklich leid. Alles was du durchmachen musstest. Ich kann dir nicht versprechen, dass wir alle wieder heil zurückkommen, aber ich verspreche, dass ich alles in meiner Macht stehende tun werde um meine Familie zu beschützen und jeden einzelnen wieder zu dir zurückbringe.“ Hinter mir hörte ich Schritte und plötzlich wurde ich umringt. Wir standen alle in einem Kreis und umarmten uns. Ich spürte die Wärme um mich herum und wollte mich um nichts in der Welt davon trennen. Als wir voneinander abließen, konnte ich Tränen in jedem einzelnen Gesicht sehen. Ich nickte kaum merklich und drückte jedem einen Kuss auf die Wange. „Also gut. Aber wenn euch was passiert, dann werde ich euch eigenhändig töten!“ Das Lachen, dass von jedem einzelnen kam, brachte mein Herz zum schmelzen.

 

In dieser Nacht konnte ich mich von Adam richtig verabschieden. Die anderen Jungs waren alle aus dem Haus. Evan war bei Lucas, Noah bei Tamara und Ethan verabschiedete sich bei einem Mädchen, dass er uns bis jetzt noch nicht vorgestellt hatte. Also hatten Adam und ich das Haus für uns alleine und wir nutzten es aus. Unser „Spielchen“ startete in der Küche, nachdem wir unser Essen auf dem Boden vor dem Kamin verspeist hatten und endetet im Schlafzimmer, dass danach so aussah, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Ich lag immer noch schwer atmend auf dem Bett, während Adam am anderen Ende meine Füße massierte. Ich schloss die Augen und genoss den Moment. „Wo wollt ihr eigentlich genau hin?“ Adam hörte auf meine Fußsohlen zu kneten und sah zu mir. „Ich dachte, wir wollten heute nicht mehr über diese Sache reden?“ Ich stemmte mich auf die Ellbogen, was nach diesem Ausdauersport ziemlich schwer war. „Sieh auf die Uhr. Es ist bereits nach Mitternacht. In ein paar Stunden werdet ihr losfahren. Soll ich nicht zumindest wohin?“ Er zog eine Grimasse. „Klugscheißer!“ Ich streckte ihm die Zunge heraus, woraufhin er meine Arme schnappte und mich zu ihm umdrehte. Nun lag mein Rücken halb auf seiner Brust und wir starrten beide an die Decke. „Wir haben selbst noch keine Ahnung, wo wir mit der Suche anfangen sollen. Wir werden einfach losfahren und sehen, was wir finden. Bitte mach dir nicht so viele Sorgen, Hase!“ Er küsste meinen Handrücken und ich schloss wieder die Augen. „Ich wünschte…“ Er küsste meine Schläfe! „Ja ich weiß… Ich auch.“


In meinem Traum war ich allein und kämpfte mich durch einen Sumpf, der mir bis zu den Hüften reichte. Immer weiter sank ich in die Schlamm-Massen. Am anderen Ende waren Noah, Adam, Ethan und Evan. Ich versuchte mich zu ihnen zu kämpfen und kam aber nicht weiter. Neben ihnen stand mein Vater und zielte mit einer Pistole auf sie. Mein Schrei wurde vom Wind fortgeweht, als er den Abzug drückte.
Ich schoss hoch und klammerte mich an die Bettdecke. Die Fläche neben mir war frei. Ich sprang aus dem Bett, nur um mit einem nassen, nur einem Handtuch bekleideten Adam zusammen zu stoßen. „Hey!“ Er fing meine Arme auf und sah mir in die Augen. „Evie. Alles ok?“ Ich schüttelte den Kopf und schlang meine Arme um ihn. „Ich dachte…. Als du nicht mehr neben mir gelegen hast, dachte ich...“ In meiner Stimme war ein Zittern zu erkennen, dass ich nicht unterdrücken konnte. „Du dachtest, wir würden fahren, ohne uns zu verabschieden?“ Sein Lächeln verspottete mich. „Ich hatte nur Angst, dass ich euch nicht noch eine Predigt halten könnte.“ Ich boxte ihm leicht in die Schulter und er umarmte mich erneut und legte sein Kinn auf meinen Kopf ab. „Keine Sorge. Um nichts in der Welt würden wir uns das ergehen lassen.“

 

Die Verabschiedung war ein reines Geheule. Allerdings waren Lucas und Tamara diejenigen, die in ihre Taschentücher schnieften und rote Augen hatten. Meine Tränen waren gestern Abend schon geflossen, als ich jeden einzelnen noch ein paar Worte mitgegeben hatte. Nun würden sie mich zum zweiten Mal verlassen, seitdem ich bei Ihnen war. Das erste Mal war unfreiwillig und nun würden sie mich aus freien Stücken verlassen, mit dem Versprechen wieder zu kommen, mit Vorräten und vielleicht sogar einer neuen Strategie, um das Institut zu stürmen. Als sie ins Auto stiegen, legte Jacob seinen Arm um mich. Lucas und Tamara klammerten sich aneinander und winkten meiner Familie zu, als sie mit dem Pickup und dem Anhänger wegfuhren. Ich war allein. Ohne weiter darüber nachzudenken, schnappte ich mir meinen Koffer, den ich gestern noch gepackt hatte und ging schnurstracks auf das Haus von Jacob und Lucas zu. Während die Jungs fort waren, wollte ich nicht in unserem Haus schlafen. Es würde mir zu leer vorkommen, ohne die Geräusche der anderen.

 

Lucas half mir, die wenigen Klamotten in den Schrank zu hängen und meine Bücher, die ich mitnahm, auf den Tisch neben dem Bett zu stellen. „Brauchst du noch Hilfe?“ Tamaras Kopf tauchte im Türrahmen auf, während ich meine Kosmetik-Artikel im Bad verstaute. „Wir sind eigentlich schon fertig, danke. Wollen wir zum Stützpunkt fahren?“ Ich sah mich kurz in dem kleinen Raum um. Es war etwas kleiner als mein Zimmer in unserem Haus. Aber es hatte alles was ich benötigte. Ein großes Bett, mit einem Holzschrank für meine Kleidung. Das Badezimmer hatte eine Wanne und eine separate Dusche. Und es gab einen kleinen Balkon, der zum Garten hinausging und einen Ausblick auf den Wald hatte.
Tamara und Lucas gingen vor, nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen hatte.

 

Im Lager empfingen mich alle mit mitleidigen Blicken und ein paar flüsterten mir aufmunternde Worte zu wie.: Deine Brüder sind echte Helden.“
„Ich wünschte ich hätte mitkommen können, aber ich bin lange nicht so trainiert wie sie“
„Was sie für uns tun, ist überwältigend.“
„Du solltest stolz auf sie sein.“
Verdammt natürlich war ich stolz auf sie. Wie könnte ich nicht? Sie begaben sich in Gefahr, nur damit ich und diese Soldaten hier leben konnten. Als ich mir dies bewusst machte, war mein erster Weg in die Trainingshalle. Wenn sie ihr Leben für uns riskierten, würde ich dafür sorgen, dass es auch für etwas gut war. Ich machte mir zum Ziel, dass wenn sie wieder hier sein würden, ich mein volles Potenzial erreicht haben werde.

 

14. Kapitel

Schweiß tropfte mir von der Stirn. Zum dritten Mal habe ich den Pfeil nun schon abgefangen, als Oliver ihn auf mich abschoss. Ich war ziemlich stolz auf mich, allerdings forderte es mir alles ab. Meine Sinne waren zum zerreißen gespannt und jedes Mal, wenn der Pfeil losschoss, stand die Zeit still und meine Hand flog nach oben und stoppte den Bolzen kurz bevor er mein Herz traf. Beim ersten Mal als Tamara zusah, sprang sie Jacob fast an die Kehle, wie er so etwas machen konnte. Bis ich sie beruhigt hatte und ihr sagte, dass es meine Idee war. Ihre Ohrfeige hallte in der ganzen Arena wider. Ich konnte es ihr nicht verdenken. Ich wäre auch ausgeflippt, wenn einer meiner Freunde sich in solche Gefahr begeben würde. Nur es war das einzige Training, dass ich zuließ, denn etwas anderes würde bedeuten, dass ein anderer die Pfeile abkriegen würde und wenn ich nicht schnell genug war, könnte dies tödlich enden. Ich würde zumindest heilen, wenn ich mal versagen sollte. Nachdem sie ein paar Minuten zusah, war sie zufrieden und verließ die Halle, um ihre Forschungen an meinem Blut fortzuführen. Ich brachte den Pfeil wieder zu Oliver, der ihn sich wieder in den Köcher, der auf seinem Rücken befestigt war, steckte. „Ich denke, dass genügt für heute.“ Jacob rieb sich die Hände, als wäre er ein Superbösewicht und ich wusste, er war nur erfreut darüber, dass mein Training so schnell Fortschritte machte. 1 Woche waren die vier Männer nun unterwegs. Ab und zu meldeten sie sich per Funkgerät um uns zu berichten. Leider haben sie immer noch keine Siedlung gefunden, wo es Vorräte, Tiere oder sonst irgendetwas gab. Alles war zerstört. Als würde mein Vater alles Leben auf dieser Welt zerstören wollen. Was vermutlich auch stimmte, wenn man den Geschichten von Mila und Jacob vertraute. Adam sagte mir jeden Abend auf seine ganz besondere Art und Weise gute Nacht, was mich in Jacob und Lucas Haus nicht gerade beliebt machte.

Gemeinsam mit Oliver räumte ich die Gewichte weg, mit denen ich ebenfalls trainierte. Die anderen Soldaten waren immer ziemlich fasziniert, wenn ich eine 100 kg Hantel einfach so hochnahm, als wäre sie so leicht wie die kleinen Kätzchen, die vor kurzem Zuflucht in unserer Scheune suchten. Vermutlich hatten sie ihre Mutter verloren und wollten eine trockene Umgebung haben, da alles andere um uns zerstört war. Als wir nach draußen, schlich gerade ein schwarzer Tiger um meine Füße, als ich plötzlich ein Kribbeln im Nacken spürte. Ich drehte mich um, aber ich konnte nichts Ungewöhnliches entdecken. Dann ging es in meinen Fingern weiter. Als würden tausend kleine Ameisen durch meine Blutbahnen krabbeln. Es breitete sich immer weiter aus, bis ich es im ganzen Körper spürte. „EVIE!“ Mila raste auf mich zu und war vollkommen außer Atem. „EVIE!“ Sie hielt kurz vor mir an und ich konnte die Panik in ihren Augen sehen. „EVIE! SIE KOMMEN!“ Sie schrie mich an und ich wusste genau wen sie meinte. Ich konnte es ebenfalls spüren. Die Nebler waren unterwegs. Sie würden hierherkommen. Ein erneuter Angriff. Jacobs Blick verriet mir, dass er es ebenfalls wusste. Er schlüpfte sofort in seine Befehlshaber-Position und drehte sich zu Oliver um. „Macht die Waffen klar. Jeder der stark genug ist, eine der Waffen zu halten, soll eine tragen. Bereitet alles vor. SOFORT!“ Das letzte Wort schrie er hinaus. Selbst er verfiel in leichte Panik. Kein Wunder! Wir wussten nicht wie viele es waren und ob meine Kraft erneut funktionieren würde. Aber ich würde es versuchen. Tamara und Jacob haben mittlerweile an einer Waffe gearbeitet, die mit meinem Blut eine Art Abwehr gegen die Nebler bilden würde. Es war eine Art Elektroschock für sie. Leider konnten wir sie noch nicht testen, deshalb war jeder der nun eine von diesen schweren Apparaten in die Hand gedrückt bekam, etwas nervös. Jacob kam auf mich zu und wollte mir ebenfalls eine überreichen doch ich schüttelte nur den Kopf und ließ meine Kraft aus mir strömen. Ein leichter Windstoß umfing mich und ein triumphierendes Lächeln umspielte mich. „Ich habe meine eigene Waffe!“ Seit ein paar Tagen habe ich nicht nur meine Schnelligkeit trainiert, sondern auch meine anderen Kräfte. Meine Abwehr reichte nun über das komplette Lager hinaus, doch ich wusste noch nicht wie lang und wie stark sie war, deshalb waren die Waffen unsere letzte Hoffnung, falls etwas schief gehen würde. Außerdem würden die Elektroschocks die Nebler so lange in Schach halten, bis wir sie in die Zellen gesperrt haben, um sie genauso wie die anderen wieder umzuwandeln. Wir hatten einen Plan. Nun werden wir sehen, ob er auch funktionierte.

 

Die Nebelwand raste auf uns zu, wie eine Flutwelle. Ich konnte die Anspannung der Soldaten spüren, die um mich positioniert waren. Wir hatten genau für so etwas trainiert. Jeder wusste was er zu tun hatte und trotzdem war es unser erstes Mal, dass wir zusammen kämpfen würden. Jacob stand direkt hinter mir und auch wenn er geübt war, in diesen Situationen, die Ruhe zu bewahren, konnte ich sehen, wie seine Hand leicht zittert. „Also gut, Männer. Ihr wisst wie das ablaufen wird.“ Ich schrie so laut ich konnte. Auch wenn ich Angst hatte, konnte ich es nicht zeigen. Irgendjemand muss das Kommando übernehmen und da weder Noah, noch Adam hier waren und Jacob gerade zur Salzsäule erstarrte, musste ich dies übernehmen. „Wenn sie kommen, werde ich sie so gut es geht aufhalten und ihr zielt mit diesen Babys direkt auf ihre Augen. Das ist der einzige Hinweis darauf, wo ihre Körper sind, alles klar!“ Das einstimmiges „Ja, SIR!“ kam mir zwar etwas seltsam vor, allerdings war es auch ein gutes Gefühl, die Kontrolle zu übernehmen und jemanden zu haben, der auch folgen würde. Ich war bereit. Ich breitete die Arme aus und ließ meine gesamte Kraft aus mir herausströmen. Die Luft um uns wurde dick. Niemand konnte es sehen, aber jeder spürte es wie mein Schutzschild sich um uns alle ausbreitete. Die Nebler waren bereits über uns, als sie gegen die Barriere krachten. Zuerst waren sie etwas geschockt. Man konnte es nicht genau sehen, aber sie schreckten etwas zurück, also vermutete ich, dass sie geschockt waren. Doch als ihnen bewusst wurde, dass diese Kraft aus mir kam, richteten sich alle gelben Augen nur auf mich. Meine Männer entsicherten die Waffen und ich hielt eine Hand hoch, um sie genau im richtigen Moment sinken zu lassen, wenn sie feuern sollten. Die Nebler hörten plötzlich auf. Es war als würden sie auf einen Befehl warten. „Jacob! Was ist das?“ Aus dem Funkgerät an seiner Hüfte war ein leises Rauschen zu hören. Als würde am anderen Ende ein Fluss fließen und jemand würde die ganze Zeit auf den Funkknopf drücken um uns mithören zu lassen. „Hallo? Noah?“ Jacob hob das Gerät an und sprach hinein. Ich konzentrierte mich weiter, um die Mauer über uns zu halten, aber ich konnte nicht verhindern, um zu lauschen, was bei meiner Familie los war. Es antwortete niemand. Es war immer noch das Rauschen zu hören. Da die Nebler immer noch über uns schwebten und nichts unternahmen, wurden die Soldaten um mich herum, immer nervöser. „Vielleicht sind sie zu weit weg und die Verbindung ist abgebrochen!“ Mein Herz klopfte wie verrückt. Ich hoffte, dass dies die stimmte, denn etwas anderes wollte ich mir nicht vorstellen. Doch der Blick, von Jacob, den ich auffing, als ich es wagte, kurz von den Angreifern wegzusehen, stand voller Mitleid. „Dieses Ding funktioniert über Satelliten, Evie. Sie würden am anderen Ende der Welt immer noch nahe genug dran sein, dass die Verbindung nicht abbrechen könnte.“ Als ich wieder nach oben sah, spürte ich wie sich in den Neblern etwas veränderte. Ich dachte sie würden uns angreifen, allerdings entfernten sie sich immer weiter von uns. Die Nebelwand zog sich zurück. Sie gaben auf. Was zum Teufel war hier los? Langsam ließ das Kribbeln in meinem Körper nach. Und nach ein paar Minuten waren die Nebler verschwunden. Nicht einmal in der Ferne konnte man sie mehr erkennen. Sie hatten den Angriff einfach so abgebrochen. Als hätte...
„Er hat sie zurückbeordert.“ Alle Blicken ruhten auf mir. „Mein Vater. Er hat ihnen befohlen sich zurückzuziehen.“ Ich hatte keine Ahnung woher ich es wusste, aber ich wusste, dass er dafür verantwortlich war. Die Nebler würden nie einem Kampf aus dem Weg gehen. Das habe ich schon mit eigenen Augen gesehen. „Warum sollte er das tun?“ Jacob kam auf mich zu, als die Männer um uns herum, die Waffen auf den Boden legten und sich langsam um uns versammelten. „Ich habe nicht die geringste Ahnung.“ Jacob nahm das Funkgerät wieder hoch und versuchte es erneut. „Noah? Adam? Kann mich irgendjemand hören?“ Wir warteten ab. Bis ich schließlich die Geduld verlor und Jacob dieses verdammte Ding aus den Händen riss. „Verdammt nochmal. Antwortet gefälligst. Das ist nicht komisch. Was ist los?“ Ein leises Lachen drang durch den Sender. Ein Lachen, dass mir das Blut in den Adern gefrieren lässt. „Ach Evie, mein Schatz. Warum denn so kratzbürstig?“ Ich fiel auf die Knie. „Ich würde mal raten, dass du jemand anderen erwartet hast, oder nicht?“ meine Hände sanken neben meine Knie, als ich die Stimme von meinem Vater erkannte. „Also mal sehen. Wen von diesen vier hättest du denn gerne gesprochen?“ Es raschelte und jemand schrie auf. Evan! Ich konnte seine Stimme erkennen. „Der hier wäre dir glaub ich zu jung. Genauso wie sein Zwilling hier.“ Dann hörte ich Ethan stöhnen, als ob ihn jemand schubsen würde. „Hmm. Der große Blonde hier ist ja ein echter Schönling, aber viel zu muskulös. Ich denke nicht, dass er deine Kragenweite ist.“ Ich vermute, dass sie geknebelt waren, denn ich konnte nur lautes Murmeln hören. „Doch dieser hier.“ Adams erstickende Stimme stach mir direkt ins Herz. „Der hier, sieht aus, als würde er mir am liebsten die Haut von den Knochen ziehen. Ein echter Kämpfer. Das war eine gute Wahl, meine Tochter.“ Endlich fand ich meine Stimme wieder. „Wenn du ihnen nur ein Haar krümmst, du abscheuliches Monster!“ Das Gestöhne im Hintergrund wurde leiser. Vermutlich entfernte er sich gerade von ihnen. „Also bitte. Diese Ausdrucksweise. So habe ich dich aber nicht erzogen.“ Ich hatte Angst ich würde das Funkgerät zerquetschen, also übergab ich es Jacob, der mit seiner ruhigen Stimme das reden übernahm. „Frank?“ Mein Vater am anderen Ende war plötzlich still. „Hör zu, mein Freund. Wir können doch über alles reden?“ Jacob ging von mir fort, doch ich konnte sehen, wie angespannt er war, als er seine Hand wieder zu seinem Mund führte. „Warum sagst du uns nicht, wo du bist und wir können von Angesicht und Angesicht reden.“ Wir warteten, bis wieder ein Rascheln zu hören war. „Jacob? Du verdammtes Arschloch. Wie kommst du darauf, dass ich mit dir über irgendetwas reden möchte?“ Ich hatte meinen Vater noch nie so vulgäre Ausdrücke benutzen hören. Er war verzweifelt. Und verzweifelte Menschen tun schreckliche Dinge. „Du hast sie mir weggenommen. Meine Familie. Du hast sie zerstört.“ Ich ging Jacob nach, der sich immer weiter vom Lager entfernte. „Ich habe dir nichts weggenommen. Das hast du selbst zu verantworten, Frank. Du hast sie dazu getrieben, von dir wegzuwollen.“ Ich hörte ein Klicken und mein Magen krampfte sich zusammen. „Hörst du das Evie? Das ist eine Waffe, die ich gerade auf deine Freunde richte. Komm zu mir zurück und ihnen wird nichts geschehen. Wenn nicht, kannst du dich jetzt sofort von ihnen verabschieden.“ Ich stürmte los und schnappte mir das Funkgerät bevor Jacob ein weiters Wort sagen konnte. „HALT“ Ich schrie ihn an „Tu Ihnen nichts. Bitte. Ich tue alles was du willst, nur lass sie am Leben. Bitte. Ich flehe dich an.“ Tränen strömten meine Wangen hinunter. Verdammt! Verdammt! Verdammt! Ich wusste, ich hätte sie nicht gehen lassen sollen. Mein Traum wurde wahr. Ich steckte im Schlamm und konnte sie nicht retten. Ich sah sie genau vor mir. Nebeneinander knieten sie am Boden und hofften auf etwas was sie retten könnte. Doch ich war nicht bei ihnen. Ich konnte nicht zu ihnen. Der Schlamm hielt mich davon ab. „WAS WILLST DU?“ Ich schrie ihn an. Meinen Vater. Das Monster, dass mich erschaffen und mich großgezogen hatte. „Du weißt genau, was ich will, Kleines. Komm ins Institut. Alleine. Und wage es nicht, mich reinlegen zu wollen. Du hast vermutlich meine Nebler vorhergesehen. Ich kontrolliere sie, meine Liebe. Sie beobachten euch. Egal was ihr macht. Ich werde immer einen Schritt voraus sein.“ Ich konnte spüren wie er lächelt. Auch wenn ich es nicht sah, wusste ich es. Dieses Monstrum war zu allem fähig. „Also gut.“ Ich hörte die stummen Schreie im Hintergrund, als meine Familie sich vermutlich wehrte. „Haltet durch! Ich komme zu euch!“ Ich hatte keine Ahnung ob sie mich noch hörten, denn am anderen Ende war es plötzlich still. Um mich herum, war es ebenfalls ruhig geworden. Alle starrten mich an. Die Soldaten hatten sich um uns versammelt und ihre Blicke verrieten mir, was sie von dieser Situation hielten. Jacob legte mir einen Arm auf den Rücken, doch ich spürte es kaum. Ich überreichte ihm das Funkgerät und drehte mich um, bis ich zum Feld kam, wo ich mich sofort übergab. Es war meine Schuld. Wegen mir, hatte er sie in seiner Gewalt. Ich musste sie retten. Ich werde sie retten. Und wenn ich mein ganzes Leben lang, in der Gefangenschaft meines Vaters bleiben würde. Es war mir egal. Es zählten nur sie.

 

„Was denkst du, was du da machst?“ Lucas hielt mich auf dem Treppenabsatz ab, als ich gerade aus der Tür marschieren wollte. „Hör auf damit. Du weißt genau, was ich vorhabe.“ Ich ging weiter, doch er war schneller als ich. Er stellte sich vor die Tür und hinderte mich am weiter gehen. Es wäre ein leichtes für mich, ihn einfach zur Seite zu schieben, aber etwas hielt mich davon ab. „Bist du echt so dämlich?“ Er legte den Kopf schief und sah mich mit seinem Dackelblick an. „Auf keinen Fall, gehst du dort alleine hin.“ Ich ließ meinen Rucksack zu Boden fallen. „Du hast gehört, was er gesagt hat. Er wird sie töten, wenn ich nicht alleine dort auftauche.“ Bevor ich wieder danach greifen konnte, schnappte sich Lucas meine Tasche. „Und du denkst ernsthaft, wenn du wieder dort eingesperrt bist, lässt er die Jungs einfach so gehen. Du weißt, was sie das letzte Mal abgezogen haben. Dein Vater wird diesen Fehler sicher nicht noch einmal machen und sie unterschätzen.“ Mein Körper zuckte leicht, bei der Erinnerung, wie sich mich befreit haben. Davids Tod. „Was soll ich deiner Meinung nach machen? Einfach abwarten, bis er sie tötet, um dann an gebrochenen Herzen zu sterben?“ Ich schrie ihn fast an, obwohl ich innerlich fürchterlich Angst hatte. „Du hast eine verdammte Armee zur Verfügung, Evie. Wir folgen dir überall hin. Also nutze das gefälligst!“ Lucas fing ebenfalls an zu schreien, was mich ziemlich beindruckte, da ich nicht wusste, dass er das in sich hatte. Plötzlich wurde das Licht eingeschaltet und Jacob stand in seiner vollen Montur in der Küchentür. „Dann brechen wir auf.“

 

Lucas und Jacob verfrachteten mich, mit viel Schubsen und zureden im Pickup und fuhren gemeinsam zum Stützpunkt. Während Lucas immer noch auf mich einredete, auf keinen Fall auf eigene Faust loszugehen, sprach Jacob mit Oliver über Funk, um die Soldaten bereit zu machen. Mittlerweile benutzen wir einen anderen Kanal, um es meinen Vater nicht noch leichter zu machen, uns auszuspionieren. Ich glaubte zwar nicht, dass die Nebler in der Nähe waren, da ich sie spüren würde, aber wir waren trotzdem vorsichtig. Jacob parkte direkt an der Tür zur Haupthalle, wo alle bereits aufgereiht standen, als hätten sie genau auf uns gewartet. Ich sah Lucas an und er sagte mit einem Schulterzucken.: „Mein Dad wusste, dass du allein aufbrechen würdest. Also hat er bereits jedem Bescheid gesagt, dass es losgehen würde, noch bevor wir zu Hause waren.“ Ich starrte auf Jacobs Hinterkopf, der in keinster Weise Schuldgefühle hatte. Er kommandierte alle herum, damit jeder wusste, was genau er zu tun hatte. Ich ging zu Tamara, die ebenfalls eine Uniform trug. „Du kommst mit?“ Eine blöde Frage, angesichts der Tatsache, dass sie Noah liebte, wie man deutlich sehen konnte. Sie schnallte sich gerade eine Waffe um, und ich war beindruckt, da ich keine Ahnung hatte, dass sie wusste, wie man damit umging. Sie nickte und umarmte mich kurz. „Wir werden sie da rausholen. Und zwar zusammen alles klar?“ Sie streckte mir die Faust und als obwohl das eigentlich nur Noah vergönnt war, schlug ich meine dagegen und wir gingen weiter, um uns fertig aufzurüsten.

 

„Das ist es wofür wie die ganze Zeit trainiert haben. Das hier ist das Ende, meine Freunde. Wir sind hier, weil wir etwas verändern.“ Jacob stand vor der gesammelten Mannschaft und hielt eine Rede um uns alle zu motivieren. Als würden wir das brauchen. Ich konnte in den Gesichtern von jedem einzelnen sehen, was sie empfanden. Ein paar waren nervös, selbstverständlich, doch die meisten waren ernst und bereit jedem in den Arsch zu treten, der sich ihnen in den Weg stellt. „Ich weiß, dass viele von euch, Angst haben, da wir uns etwas stellen werden, dass wir nicht kennen. Doch mit unseren Waffen und unserem eigenen Neblerhybrid hier, werden wir das meistern.“ Er zeigte auf mich und bei meiner Erwähnung schwoll das Wutgeschrei noch mehr an. Sie alle waren auf meiner Seite. Sie würden mir folgen. Jacobs Lächeln spiegelte meines wieder. „Heute schreiben wir Geschichte. Die Männer, die unsere Welt zerstörten, werden heute leiden. Wir werden sie dazu bringen, zu betteln und um ihr Leben zu flehen.“ Er reckte einen Arm nach oben und ich genoss den Lärm, der um mich wehte. Alle hielten ihre Waffen nach oben und die Stimmen erhoben sich zu einem Rauschen, dass durch meinen ganzen Körper durchging.
Ich wusste, dass vermutlich nicht jeder von hier zurückkehren würde. Aber mein Gefühl sagte mir, dass wir siegen würden. Nach dieser Schlacht würde es vorbei sein. Es würde ein Ende haben. Der Krieg und die Schlachten. Es würde aufhören.

 

Ich hatte keine Ahnung nicht, dass wir so viele Autos besaßen, doch als ich in den Pickup zu Jacob, Lucas, Oliver und Tamara kletterte, fuhr eine ganze Schar von Militärautos an uns vorbei. Die komplette Armee machte sich auf den Weg um meine Familie zu retten und vermutlich die ganze Welt. Auf dem Weg sagte keiner ein Wort. Nicht einmal Musik tönte aus den Boxen. Wir alle bereiteten uns vor. Ich ging den kompletten Ablauf durch. Vermutlich würde mein Vater sobald er uns entdeckte, die Nebler auf uns loslassen. Ich werde wieder versuchen, sie in Schach zu halten, bis meine Männer sie mit den Kanonen abfeuern konnten. Wir konnten sie nicht in die Zellen sperren, aber zumindest so lange außer Gefecht setzen, bis wir das Institut stürmen konnten. Zumindest hoffte ich das. Ich wollte gar nicht daran denken, was passieren würde, wenn diese Waffen nicht funktionieren. Doch ich vertraute auf Jacob und Tamara. Sie waren dabei, als mein Vater diese Dinger erschuf und hatten deshalb vermutlich am meisten eine Ahnung, wie man sie aufhalten konnte. Ich erkannte die Straße wieder, an der wir langfuhren. Es war nicht mehr weit, bis das Gebäude in Sicht kam. Wir wollten nichts riskieren, deshalb parkte die komplette Kolonne etwa einen Kilometer davon entfernt. Den Rest würden wir zu Fuß gehen, um unser Kommen, nicht noch auffälliger zu machen. Wir haben den Sender am Funkgerät wieder auf das ursprüngliche Signal geschaltet, um zu hören, ob mein Vater uns etwas zu sagen hatte. Niemand in unserer Truppe würde es benutzen, es sei denn, am anderen Ende würde sich etwas rühren. „Wie werden wir die Waffen dort hinbringen?“ Lucas Frage war durchaus berechtigt. Die Dinger waren verdammt schwer und nur ein paar Männer waren überhaupt in der Lage sie zu halten, geschweige denn sie über eine weite Strecke zu tragen. Doch Jacob war wieder einmal klüger als wir alle und hatte extra kleine Wagen für die Geräte angeschafft, um sie leichter transportieren zu können. An zwei Autos waren Anhänger angebracht, die gerade abmontiert wurden, um sie, wie zu groß geratene Leiterwagen, zu benutzten. Zwei Männer an jedem Fuhrwerk, in dem jeweils 10 Waffen lagen. Es schien schwerer zu sein, als es aussah, denn bereits nach ein paar Metern stand der Schweiß in den Gesichtern der armen Kerle. Ich schwang mir meinen Rucksack um die Schultern und tippte auf die Schulter eines Rekruten, der das schwere Teil hinter sich herzog. „Lass mich mal!“ Ich löste ihn ab und gab dem anderen zu verstehen, dass er ebenfalls gehen konnte. Ich würde das schon schaffen, und bei dem anderen Wagen, sollten sie sich abwechseln, um nicht zu ermüden.
Also starteten wir unseren Marsch. Auf in die Schlacht!

 

15.Kapitel

 

Ich spürte es schon, bevor wir es sahen. Die Nebler warteten bereits auf uns. Wir ein grauer Vorhang, waren sie über dem Institut. Sie hüllten es komplett ein, sodass ein Eindringen unmöglich war. Unserer Armee positionierte sich direkt vor dem Bauwerk. Die weißen Wände, die mich mein Leben lang eingesperrt haben, kamen wir mit einem Mal viel kleiner vor, als früher. Die Mauer, die da gesamte Gelände einzäunte, wurde schwer bewacht. Selbst aus dieser Entfernung, konnte ich die Gewehre der Männer sehen, die auf uns gerichtet wurden. Ein Wort von meinem Vater und sie würden auf uns schießen. Nur niemand hatte mit meiner Macht gerechnet. Mein Schutzschild reichte von Jacob, der an unserer Spitze ging, bis zu Tamara, die, auf Jacobs Befehl hin, mit den Jüngsten ganz am Ende marschierte. Selbst wenn sie die Gewehre abfeuern würden, keine Kugel würde durch meine Wand hindurchgehen. Dafür habe ich zu stark trainiert. Zu lange gekämpft. Ich spürte wie die Nebler nur auf den Befehl warteten, um anzugreifen. Spürte ihre Gier nach uns. Doch mein Vater wartete ab. Vermutlich bis ich einknickte oder meine Kraft verlor. Darauf konnte er lange warten. Ich war so voller Adrenalin, dass es Tage dauern würde, bis meine Kraft nachließ. Dafür hatte ich gesorgt. Ich hatte Spritzen mit dieser Substanz von Tamara bekommen und falls ich doch einmal schwach wurde, hatten die Rekruten, die um mich standen, jeweils noch zwei in ihren Waffengurten, um sie mir zu spritzen, falls ich schwach wurde. „Na was haben wir denn hier?“ Die Stimme kam von weit her. Nicht aus dem Funkgerät wie ich vermutete, sondern aus den Lautsprechern, die auf den Mauern montiert waren. „Sagte ich nicht, du sollst alleine kommen, Evie?“ Jacob überreichte mir den Sender, da wir keine andere Möglichkeit sahen, im zu antworten. „Ich habe nur ein paar Freunde zum spielen mitgenommen. Du willst doch nicht, dass ich mich langweile, während ich dir in den Arsch trete?“ Mein Vater wurde wütend, dass konnte ich an der Stimmlage erkennen: „Hör auf mich auf die Probe zu stellen, mein Schatz. Ich habe langsam die Schnauze voll.“
„Verschwinde von hier, Evie!“ Mein Herz setzte aus, als ich Adams Stimme hörte. Dann ein dumpfer Schlag. „Wir kommen hier schon raus. Mach dir um uns keine Sorgen.“ Noah war wie immer positiv, doch auch er kassierte dafür eine Faust, als das Geräusch erneut ertönte. „Willst du wissen, wie ernst ich es meine, mein Schatz?“ Ich stellte mir vor, wie mein Vater vor meiner Familie stand und sie einem nach dem anderen starrte. Ich musste dort hinein. Irgendwie musste ich es schaffen.
Es war nur eine kleine Bewegung, doch ich erkannte es sofort. Die Nebler würden angreifen. „An die Waffen!“ Jeder der konnte, stellte sich auf und zielte auf den grauen Schleier. Das erste Augenpaar kam direkt auf mich zu und ohne zu zögern, schoss Oliver ihm direkt dazwischen. Der Nebler schrie auf und fiel zu Boden. Man konnte deutlich sehen, wie der Körper zuckte, doch es war immer noch Rauch, der da auf dem Grund zappelte. Als wir merkten, dass die Waffen funktionierten, kam ein Jubelschrei und die andere folgten Olivers Beispiel und feuerten die Geschosse ab. Einer nach dem anderen fiel zu Boden und blieb zitternd liegen.
Dann hörte ich plötzlich etwas, was mich erstarren ließ. Dieses Geräusch würde ich überall erkennen. Es war die Stromanlage, an die ich früher Tag für Tag angeschlossen wurde. Die Narben, die ich davongetragen hatte, waren noch immer in meiner Haut gebrannt. Als der erste Schrei aus dem Lautsprecher ertönte, als mein Vater einen von meinen Brüdern, einen Stromstoß durch den Körper jagte, brach es aus mir heraus.  In einem Moment strömte die Wand von Nebler noch auf uns zu, im nächsten stoppten sie mitten in der Bewegung. Als würden sie aus einem Traum aufwachten, bewegten sich die Augen auf der Suche nach einem Ziel. Als sie mich sahen, stürmten sie auf mich zu. Doch ich hatte keine Angst. Ich spürte es. „Nicht angreifen!“ Meine Männer zögerten, als sie zusahen, wie die Rauchschwaden ein paar Meter vor mir zum stillstand kamen. Sie sahen mich und warteten. Sie warteten auf meinen Befehl. Mein Vater war nicht länger ihr Herrscher. Sie gehorchten mir. Meine Macht hatte sie angelockt und nun würden sie mir folgen. Eine weitere Armee, die auf nun auf meiner Seite kämpfte. „Was soll das? Ihr sollt angreifen, verdammt nochmal.“ Ein teuflisches Lächeln schlich sich auf meine Lippen. „Den Teufel werden sie tun, Dad!“ Das Wort troff von Ironie, als ich einen Schritt nach vorne machte. Wie auf Befehl, machte meine neblige Mannschaft kehrt und richtete ihren Blick auf das Institut.
Als die Männer auf den Türmen das sahen, eröffneten sie sofort das Feuer. Nur war meine Wand immer noch stark genug, um die Kugeln aufzuhalten, also stürmten wir vorwärts. Ich hielt die Nebler zurück. Sie würden nicht für mich kämpfen. Niemand soll dazu gezwungen werden, Menschen zu töten, selbst wenn es willenlose Soldaten waren. Wie man an Mila und den anderen sah, waren sie immer noch menschlich. Deshalb beauftragte ich die Nebler, ins Institut zu fliegen und Schrecken zu verbreiten, damit die anderen Soldaten alle herauskamen. Ihnen würden wir uns stellen. Dafür sind wir gekommen. Die Männer und Frauen, die aus freien Stücken, Menschen gefoltert und an ihnen experimentiert haben. In Scharen kamen sie aus den Gebäuden gestürmt und als sie meine Barriere erreichten, griffen wir an.

Ich war noch nie in einer Schlacht und ich hoffte, dass ich nach dem heutigen Tag auch nie wieder in einer sein würde. Ich versuchte mich durch die Masse durchzukämpfen. Meine Familie war immer noch in dem Gebäude gefangen, denn ich spürte, dass die Nebler nicht durch die Mauer kamen, in denen sich mein Vater mit ihnen eingesperrt hatte. Es war als könnte ich durch ihre Augen sehen. Ich hielt meine Pistole dicht bei mir. Ich würde sie nur im Notfall einsetzen. Ich ließ meine Macht, durch das gesamte Gelände wandern. Ich wehrte Kugeln ab und stieß Soldaten zur Seite, um Platz zu machen. Ich musste irgendwie dort hineingelangen. Neben mir konnte ich plötzlich einen Rekruten sehen, der mir öfter bei meinem Training geholfen hatte. Er kämpfte gerade mit einem Mann meines Vaters und ich stürmte auf die Beiden zu und riss den Soldat von den Füßen, um meinen Krieger eine Chance zu geben, ihn zu töten. So kämpfte ich mich durch das gesamte Feld. Immer wieder stoppte ich, um meinen Männern zu helfen und kam immer weiter voran, bis ich vor den Toren befand, die mein Zuhause waren, obwohl es sich niemals so angefühlt hatte, wie mein Heim, mit meiner Familie. Ich stieß die Türen auf und suchte, mit Hilfe von meinen rauchigen Freunden den Raum, in denen mein Vater sich versteckte. Ich musste die Treppe, bis in den letzten Stock laufen, da es schien, als sei der komplette Strom in dem Gebäude ausgefallen. Ich schnaufte, da meine Kraft langsam nachließ. Ich hätte selbst eine Spritze tragen müssen. Mein Körper verbrannte das Adrenalin viel zu schnell. Als ich schlitternd, vor der einzigen Tür, aus der Licht kam, zum stehen kam, drehte sich mir der Magen um. Es war mein Zimmer. Das ich seitdem er angefangen hat, an mir zu forschen, bewohnt hatte. Durch das kleine Fenster konnte ich sehen, wie Noah und Adam knieten, während Evan und Ethan bereits bewusstlos am Boden lagen. Mein Vater ging vor ihnen auf und ab. Er hatte eine Waffe in der Hand und es sah aus, als würde er Selbstgespräche führen. Langsam öffnete ich die Tür und war überrascht, dass sie nicht abgeschlossen war. Die Türen waren für die Nebler nicht zu erreichen, weil in der Wand Stromkabeln durchführten, durch die, die Nebler nicht durchkamen. Auch ihre Zellen waren damit ummantelt, um sie dort festzuhalten. Als ich eintrat, richteten sich 3 Augenpaare auf mich. Zwei davon waren überrascht und leicht verärgert und eines sah mich verzweifelt an. „Evie! Du bist gekommen.“ Ich trat langsam auf meinen Vater zu und hielt meine Hände nach oben, um ihn nicht zu erschrecken, solange er noch diese Waffe trug. „Ja ich bin gekommen. Genau wie du wolltest. Jetzt lass meine Freunde frei, ja?“ Ich zeigte auf die vier Männer, die mir mehr bedeuteten, als mein eigenes Leben. Mein Vater drehte sich zu ihnen um, als würden ihm gerade erst wieder klar werden, dass sie mit uns hier drin waren. Schneller als ich reagieren konnte, hielt er Adam die Waffe an den Kopf. „Warte!“ ich hob meine Hände erneut um ihn zu beruhigen. „Das willst du doch nicht wirklich tun, oder? Dad, bitte.“ Seine Hand zitterte. „Denkst du das wirklich, mein Schatz. Ich habe den letzten auch einfach abgeknallt. Was macht einer mehr schon aus?“ Ich konnte in seinen Augen sehen, dass er es ernst meinte. Langsam wurde er wahnsinnig. „Sie mich an. Du willst nicht ihn. Du willst mich. Ich bin an allem schuld. Nur wegen mir, bekam Mum diese Medikamente. Nur wegen mir wurde ihr das Virus gespritzt. Nur wegen mir hast du sie verloren.“ Meine eigenen Worte brannten wie Säure in meinem Mund. Aber es war wahr. Ich war daran schuld. Weil meine Mutter mit mir schwanger war, wurde sie zum Nebler. Er schüttelte den Kopf. „Das ist nicht wahr. Du warst das einzige, was noch wichtig war. Du warst die ultimative Waffe.“ Er entfernte sich von Adam und den anderen, was mir die Möglichkeit, einen weiteren Schritt auf sie zuzumachen. „Es war nicht deine Schuld. Sondern meine.“ Ich trat noch näher an sie ran. „Dad. Ich kann ihr helfen. Ich kann Mum wieder zum Menschen machen. Ich bin nicht die Waffe. Ich bin die Heilung.“ Ich versuchte aufmunternd zu lächeln, doch ich scheiterte kläglich. „Nein, das kannst du nicht.“ Der Blick, mit dem mich mein Vater ansah, war so voller Schuld, dass es mir das Herz zerriss. „Sie ist tot, Evie!“ Kurz bevor ich Noah erreichen konnte, der mir am nächsten war, stoppte ich. „Was?“ Er sah mir tief in die Augen. „Ich habe alles versucht, um sie wieder zurückzuholen. Die Experimente, die ich mit dir durchführte, habe ich auch bei ihr vorgenommen, weil ich wissen wollte, ob sie auch wieder heilen würde. Sie hat es immer wieder geschafft. Immer wieder kam sie zurück. Bis ich mit den Stromschlägen anfing.“ Sein Lächeln trieb mir die Galle hoch. „Was denkst du, wie ich auf die Idee kam, die Nebler mit Strom gefügig zu machen? Ich wusste, zu viel davon würde sie zerstören, als würden ein paar Volt ihnen so viel Schmerz zufügen, dass sie mir gehorchen würden.“ Ich taumelte rückwärts. „Das hast du nicht!“ Er fuchtelte mit der Waffe herum und es war mir für einen kurzen Moment egal, ob er abdrücken würde. „Nichts davon war jemals deine Schuld, Evie. Als wir erfuhren, dass Ella mit dir schwanger war, sah ich meine Chance. Ich habe ihr das Serum gespritzt. Ich dachte, dadurch würdest du stärker werden. Ich dachte, ich könnte eine neue und starke Generation erschaffen. Ich war verzweifelt, nachdem alle meine Forschungen zu nichts geführt haben. Und ich hatte Recht. Ich habe dich geschaffen. Meine größte Errungenschaft. Ich wollte nie, dass deiner Mutter etwas passiert. Ich spritze es nur in deine Blutbahn. Doch ich wusste nicht, dass deine Mutter bereits innere Blutungen hatte, durch die Komplikationen. So kam das Virus auch in ihr Blut und sie verwandelte sich.“ Er fiel auf die Knie. „Alles war meine Schuld. Es tut mir so leid, mein Schatz. Es tut mir alles so schrecklich leid.“ Noch bevor ich reagieren konnte, hielt er sich die Pistole an den Kopf und drückte ab. Meine Hände fingen ihn gerade noch auf, bevor er auf dem Boden aufschlug. Langsam bettete ich seinen Körper auf meinem Schoß. Die Dinge, die er mir gerade erzählt hatte, strömten auf mich ein. Wie konnte man nur so ein Mensch werden? Wie konnte man der Frau, die man liebte, nur so etwas antun? Er war mein Vater. Wie konnte ich von so etwas abstammen? „Evie?“ Träge hob ich den Kopf und sah Adam, Noah, Evan und Ethan, die immer noch an Ketten festgebunden waren, die in den Boden verankert waren. Ich war mittlerweile zu schwach, um sie zu zerstören, deshalb nahm ich die Waffe von meinem Vater und schoss die Schlösser einer nach dem anderen auf. Kaum waren sie befreit, stürmten Adam und Noah auf mich zu und zogen mich in eine feste Umarmung, die mich fast wieder zusammenflickte. Danach kümmerten wir uns um Evan und Ethan, die immer noch ohnmächtig waren. Adam und Noah trugen die zwei aus dem Zimmer und übergaben sie, nachdem ich ihnen versichert habe, dass es in Ordnung war, den Nebler, die sie wie als ob sie schweben würden, nach draußen trugen. Mit einem letzten Blick auf meinen Vater und das Zimmer, dass ich hoffentlich nie wiedersehen würde, machte ich mich mit meiner Familie auf den Weg nach draußen.

Die vielen Treppen verlangten von uns allen einiges ab, wodurch wir am Schluss alle von den Neblern getragen wurden. Adam und Noahs Gesichter waren unglaublich. Ich konnte sehen, dass sie eigentlich Angst hatten, fallen gelassen zu werden, aber sie fanden auch sichtlich ihren Spaß daran, in der Luft zu sitzen und von unsichtbaren Händen getragen zu werden.
Kurz bevor wir ans Tageslicht kamen, konnte ich bereits die Schreie hören. Allerdings waren es keine Schreie von Schmerzen, oder von Angst, sondern das war wir dort draußen hörte, war Jubel. Meine neuen Freunde, ließen uns langsam zu Boden gleiten und wir gingen den restlichen Weg zu Fuß. Evan und Ethan flogen immer noch über unseren Köpfen, weshalb die meisten von unseren Soldaten überraschte Gesichter machten, als wir aus den Toren spazierten. Doch nach nur einer Sekunde, stieg der Jubel erneut an. Die Sonne stand hoch am Himmel, als würde selbst sie wissen, dass wir es geschafft haben. Es war vorbei. Der Krieg war vorbei und wir hatten gewonnen. 

Epilog

 

Meine Hand glitt wie von selbst auf Adams Brust. „Guten Morgen!“ Neben ihm aufzuwachen, war immer noch eine Tatsache, die ich niemals als selbstverständlich ansehen werde. Er küsste mich auf den Haaransatz und ich drehte meinen Kopf um ihn in die Augen zu sehen. „Gut geschlafen?“ Sein Lächeln brachte meinen Magen zum Tanzen. „Oh ja. Genauso wie die letzten Wochen!“ Er schlug die Bettdecke von unseren ineinander verschlungen Körpern und machte Anstalten aufzustehen. Doch ich zog ihn wieder zu mir hinunter, und er bedeckte mich mit seinem Körper, bis mir egal war, falls nun jemand in mein Schlafzimmer stürmen würde und uns beide nackt sah. Die letzten Wochen waren wirklich ein Segen. Nachdem wir alle Nebler aus dem Institut befreit hatten und das Gebäude endgültig zerstört haben, um niemanden mehr eine Chance zu geben, die Experimente, mit den Daten meines Vaters erneut durchzuführen. Nachdem ich jeden Tag ungefähr einen Liter Blut gespendet hatte, um die restlichen Nebler zurück zu verwandeln, entdeckte Tamara, dass die Ex-Nebler ebenfalls dieses Gen in ihrem Blut hatten, um die Rückverwandlung zu bewirken. Deshalb konnte ich mittlerweile entspannen, während Tamara und ein paar Leute, die sich etwas mit diesen Wissenschaftskram auskannten, die armen Menschen heilten. Vor ungefähr einer Woche sah ich zu, wie das letzte Serum auf einen Nebler gesprüht wurde. Als der Mann, der sich später als Stuart vorstellte, wieder seine feste Form annahm, kamen mir die Tränen. Dieser Alptraum hatte nun endgültig ein Ende. Das einzige Problem war die Tatsache, dass wir keinen Schimmer hatten, wohin wir nun alle gehen sollen.
An diesem Abend saßen Noah, Tamara, Evan, Lucas, Ethan, Jacob, Mila, Adam und ich in unserem Wohnzimmer und spekulierten darüber, ob es noch andere Überlebende gab. Schließlich sind viele in Bunker umgezogen, bevor die Seuche über unsere Welt hereinbrach. Niemand wusste, wo sich diese Schutzräume genau befanden, also war das etwas, mit dem wir uns befassten, wenn es zum Problem wurde. Adam und die Jungs haben bevor sie von meinem Vater entführt wurden, eine kleine Siedlung entdeckt. Sie war ungefähr eine Tagesreise von hier entfernt. Da sie direkt am Meer lag und rund um das gesamte Gelände ein Zaun aufgestellt war, der immer noch unter Strom gesetzt war, konnten die Nebler dieses kleine Glück nicht zerstören. Jacob und Noah fuhren, während Tamara noch mit ihrer Wunderheilung beschäftig war, mit einigen Männern in den kleinen Vorort, um zu überprüfen, ob es dort auch niemanden gibt, der uns unser zukünftiges Leben versauen könnte. Und bei der Versammlung morgen, würden wir es der gesamten Mannschaft mitteilen, dass wir weiterziehen um weiter zu überleben. Und nicht nur überleben, sondern wirklich leben. Etwas was die meisten von uns noch nie gefühlt haben. Endlich ein normales Leben führen. Ohne Krieg, ohne Angst getötet zu werden. Wir hatten genügend Essen, Tiere, Wasser, Ärzte und Gesellschaft um eine richtige Gemeinschaft zu gründen. Es war wie ein Wunder. Gerade als ich aufstehen wollte, um Adam wieder mit nach oben zu ziehen, räusperte sich Tamara. „Bevor ihr jetzt alle verschwindet möchte ich euch gerne noch etwas sagen.“ Sie sah zu Noah, der ein lautlosen „Jetzt?“ über seine Lippen gleiten ließ. Tamara nickte und stand auf. Als ob er von ihr angezogen werden würde, stellte sich Noah neben sie und legte ihr seine großen, starke Arme auf ihre Schultern. „Ich bin schwanger!“ Tamaras Hand wanderte über ihren Bauch und in ihrem Gesicht bildete sich ein Lächeln, dass von einem Ohr zum anderen glitt. Sie sah uns allen in die Augen und endete dann um zu Noah aufzublicken, der sie fast um einen Kopf überragte. Der Stille wich ein plötzlicher Aufschrei von allen. Evan und Ethan stürmte auf die Beiden zu und gratulierten herzlich, während sie sie in eine innige Umarmung zogen. Mila und Jacob hielten sich im Hintergrund und lächelten sich gegenseitig zu. „Das ist großartig, Leute.“ Lucas, unser Softie, hatte wieder Tränen in den Augen und schlug Noah auf den Rücken, während er Tamara sanft über den Bauch streichelte. Adam und ich sahen uns an und über seine Züge glitt ein trauriges Lächeln. Natürlich freuten wir uns unheimlich für Noah und Tamara, wenn wir nicht gestern ein Gespräch geführt hätten, dass genau dieses Thema auffing. Stundenlang hatten wir gestern noch diskutiert, bis wir zu dem Schluss kamen, dass niemand genau weiß, was aus meinen Nachkommen werden würde und es vermutlich für alle das Beste sein wird, wenn Adam und ich keine Kinder bekommen würden. Als ich wieder darüber nachdachte, krampfte sich mein Magen zusammen. Ich hatte seitdem ich mein Kind damals verlor, hatte ich keinen Gedanken mehr daran verschwendet, weil es einfach zu irrsinnig war, in so einer Welt nur darüber nachzudenken. Doch seitdem ich mit Adam so glücklich war, hätte ich es mir durchaus vorstellen können. Doch ich wollte es nicht riskieren. Als ich Adams Hand drückte und aufstand um Tamara zu umarmen und ihr alles Glück der Welt zu wünschen, nagten meine Schuldgefühle an mir. Adam wäre ein toller Vater geworden und auch wenn er es mir letzte Nacht immer und immer wieder weismachen wollte, er hätte gerne Kinder gehabt. Er kam von hinten und schmiegte seine Brust gegen meinen Rücken. „Auch wenn wir selbst keine Eltern sein werden, werden wir verdammt gute Onkel und Tante, meinst du nicht?“ Ich drehte mich zu um, stellte mich auf die Zehenspitzen und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. Dieses Kind wird mit soviel Liebe überhäuft werden, bis es keine Luft mehr kriegt. Bei dem Gedanken musste ich anfangen zu kichern und alle starrten mich an, als ob sie einen Geist gesehen haben. „Dieses Geräusch habe ich ja noch nie von dir gehört, Evie!“ Noah kam auf mich zu, ganz der stolze Papa. „Naja. Ich bin einfach glücklich!“ Alle fielen in mein Gelächter ein und die Welt könnte nicht perfekter sein.

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Tag der Veröffentlichung: 11.09.2018

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