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Ein paar Personen mal genauer

Ein paar Personen mal genauer

Tiva

 

(Tivelia Dornau)

Alter: 13

Geburtstag:23.09

Aussehen

Augenfarbe: hellbraun, kleine Spuren von Gold, eher Goldbraun

Haarfarbe: dunkelbraun

Haarlänge: bauchnabellang

Nase: normal

Haut: normal, im Sommer immer etwas heller als bei allen anderen, Sommersprossen unter den Augen, ein paar auf den Wangen und auf der Nase

Gesichtsform: herzförmig

 

Familie

Mutter (Sybille): überbesorgt, vom Vater eingeschüchtert, kontrollsüchtig (muss immer genau wissen, was ihre Tochter tut), arbeitet im Büro

Vater (Tobias): Schläger, hat Tiva u. Mutter oft verprügelt, Kontrollsüchtig, Arbeitslos, Alkoholabhängig

Keine Geschwister

 

Hobbys

Gitarre spielen, im Wald sein (überwiegend nachts, weil sie sich rausschleichen muss, weil sie das Haus normalerweise nur zum zur Schule gehen verlassen darf), joggen (was sie eigentlich auch nicht darf)

 

Persönlichkeit

An sich sehr freundlich, gegenüber ihrer Familie still und abweisend, ohne diese; fröhlich und selbstbewusst. In der Gegenwart ihres Vaters sehr eingeschüchtert, verängstigt und wütend.

Wen mag sie nicht (1)/ hasst sie (2)?

Ihren Vater (2)

Im Laufe der Geschichte Nivin (1) (Ist erst in einem späteren Kapitel)

Ihre Mutter (1) (kontrolliert sie ständig, ist kalt und abweisend

 

Freunde

Mava

Zija

Nivlo

Koshko

 

Was sie mag:

Schokolade, Blumenduft, Bäume, Tiere, barfuß über Moos laufen, Dunkelheit, den Geruch im Wald, wenn es gerade geregnet hat

 

Was sie nicht mag:

ihren Vater, verprügelt werden (wer mag das schon?), Angst, Leute, die sich über sie lustig machen, Bananen, Ärger, lackierte Fingernägel (hässlich und unpraktisch)

 

 

Mava

(Mareleiva)

Alter: 15

Geburtstag: 12.05

Aussehen

Augenfarbe: dunkelblau (wie die Tiefsee)

Haarfarbe: Honigblond

Haarlänge: bisschen kürzer als Tivas

Nase: normal

Haut: normal, im Sommer karamellfarben, keine Sommersprossen

Gesichtsform: normal

 

Familie

Ein wenig langweilig, Mutter und Vater sind nett, lassen die Kinder aber weitgehend in Ruhe. Einen kleinen Bruder (2)(wird nicht erwähnt)

Große Familie, die für Mava allerdings keine so große Rolle spielt, da alle sich im Stamm als eine Familie sehen, und die ursprüngliche Familie dann nicht mehr so wichtig ist.

Das Einzige, was Mava in ihrer Familie wirklich wichtig war, war ihre ältere Schwester Nella, die ist allerdings fort gegangen und nicht wiedergekommen

 

Hobbys

Messerkampf, Messerwerfen

Schwertkampf

Dolchkampf

Wurfnadelkampf

Reiten

Zeichnen (meist mit Holundertinte)

Sich um jemanden kümmern

 

Persönlichkeit

Fröhlich

Witzig hilfsbereit

Schlagfertig

 

Wen hasst sie?

Den König des Landes Assavi´n und seine Soldaten

 

Freunde

Zija

Tiva

Koshko

Nivlo

 

Was sie mag:

Tiere, Pferde, Bäume, Felder, Schnee, das Gefühl, wenn man mit einem Pferd über ein Hindernis springt, den Geruch von heißen, staubigen Sommertagen

 

Was sie nicht mag:

Regen

Idioten

Fleisch

Soldaten

 

 

Zija

Alter:14, fast 15

Geburtstag:17.08

Aussehen:

Augenfarbe: grau, mit einem Bisschen blau, oder-je nach Licht-grün.

Haarfarbe: rötlich blond (nur ein ganz leichter rötlicher Schimmer)

Haarlänge: etwas länger als bei Tiva, leicht gewellt

 

Familie

Nachdem ihre wirklichen Eltern von Soldaten des Königs umgebracht wurden als sie 4 war, hat sie, bis sie 11 war bei Amil und Silos gelebt. Danach hat sie irgendwer zu sich genommen, weil Silos‘ und Amils Zelt zu klein für 3 „Ausgewachsenen“ war. Von den nächsten wird sie im Lauf der Geschichte rausgeschmissen, weil sie ihnen zu rebellisch ist, daraufhin zieht sie zu Mava und Tiva.

 

Hobbys

Schwertkämpfen (fechten aller Art)

Bogenschießen

Reiten

Reitwettkämpfe

Wettkämpfe im Allgemeinen

Kochen

Schnitzen

 

Persönlichkeit

Sehr eigensinnig

Oft frech

Schlagfertig

Mutig

Tapfer

Fröhlich

Auch verbittert, wegen der Ermordung ihrer Eltern

 

Wen mag sie nicht (1)/ hasst sie (2)

Den König und seine Soldaten (2) die haben ihre Eltern umgebracht

Nivin (1/2), nachdem Nivin sie angeschrien, und ihr eine Ohrfeige verpasst hat, hat Zija keine besonders hohe Meinung mehr von ihr…

 

Freunde

Mava

Tiva

Koshko

Nivlo

Silos

Amil

 

Was sie mag:

Tiere, Pferde, Bäume, Stille, Freunde, Regen, Frühling, zugefrorenen Flussausläufer, den Geruch von Holz, Wälder, die Farbe Grün, Fledermäuse, Licht, das Gefühl, wenn man barfuß durch Matsch läuft.

 

Was sie nicht mag:

Tränen, Trauer, Tod Schmerz (wenn man traurig ist), wenn sie jemand auf ihre Eltern anspricht, Demütigung, das Gefühl, wenn sie sich an einem Grashalm schneidet, wenn sie plötzlich anfängt zu weinen, obwohl es nicht passt, weil sie doch immer „die Starke“ ist

Kapitel 1

 

 

Der Traum

 

Kapitel 1

 

Tiva wachte schweißgebadet auf. Sie zitterte. Was war das gewesen? Sie wusste es nicht. Es war etwas dunkles, bedrohliches, aber zugleich auch wunderschönes, zartes gewesen. Was hatte sie nur geträumt?

Sie erinnerte sich nur noch schemenhaft daran, dass sie über eine Blumenwiese gelaufen war und mit einem Schmetterling von Blume zu Blume flatterte. Ziemlich kitschig, dachte sie, seit wann träum‘ ich denn sowas?

 Dann hatte sich der Himmel verdunkelt und etwas war passiert. Nur was? Es war als würde Tiva in einem Strom treiben, der sie immer weiter von dem fortbrachte, was sie wissen wollte.

"Ach was soll's", gähnte Sie und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. 2:27 Uhr.

Tiva warf sich zurück auf ihr Bett, doch etwas in ihr fand keine Ruhe. Der Traum hatte irgendetwas in ihr ausgelöst, nur was?

Was, wie, wo, diese Fragen geisterten in ihrem Kopf herum. Schließlich hielt sie es nicht mehr länger aus, wälzte sich aus dem Bett und tapste zu ihrem Schrank. Sie zog sich einen Kapuzenpullover, und eine dunkle Jeans an, nahm sich ihr Halstuch und schlich aus dem Zimmer.

Vorsichtig, ganz vorsichtig schob sie sich die Treppe hinunter, sodass die Kontrollfreaks von ihren Eltern nicht aufwachten.

Als sie es geschafft hatte, lief sie aus dem Haus und zum nahegelegenen Wald.

Die Dunkelheit machte ihr nichts aus, sie mochte sie. Sie lief langsam durch den Wald, bis zu ihrer Lieblingsbuche. Diese stand auf einer kleinen Lichtung, welche noch relativ dicht am Waldrand lag.

Dort verharrte sie kurz, und begann schließlich zu ihrer Astgabel hinaufzuklettern. Irgendwann hatte sie mal beschlossen, dass dies ihre Astgabel war, dann außer ihr kam eh niemand in den kleinen, verwucherten Wald.

Plötzlich schnellte von dort oben ein Schlangenkopf hinab, Tiva fiel fast vom Baum, und die Schlange stieß zu. Sie grub ihre langen Giftzähne in Tivas Unterarm, so weit, dass sie glaubte, sie gleich hindurchstechen zu sehen.

Dann wurde ihr schwarz vor Augen. Das letzte, was Tiva registrierte, war dass sie nicht fiel, sondern sozusagen schwebte und dass jemand rief: "Keine Angst, du bist außerwählt, alles wird gut!"

Dann wurde endgültig alles schwarz.

Kapitel 2

 

Kapitel 2

 

Weiß. Ein wenig schmutzig, aber dennoch weiß.

Nichts anderes sah Tiva, als sie die Augen öffnete. Erst nach einiger Zeit nahm sie Deckenstützen, Seile und Streben wahr. Irgendwie fühlte sie sich schwer. So matschig. Außerdem tat ihr der Arm weh. Vorsichtig ließ sie ihren Blick schweifen. Sie lag auf einer Matte, etwas erhöht, eine warme Decken bis zur Brust gezogen.

Neben ihr, auf einer kleinen Holzplatte, stand ein gläserner Wasserkrug, zwei Gläser und eine Schale mit frischem Obst. Nun begriff sie auch, dass sie sich in einem Zelt befand. Die Zeltplanen waren weiß, ansonsten war es sehr in grün- und hellbrauntönen gehalten. Es standen lauter Kerzenhalter und Schwimmkerzen in kleinen Wasserschalen herum und es war nicht schwer zu begreifen, dass dies die einzige Lichtquelle war, die man nachts bekommen konnte.

Da niemand zu sehen war, nahm Tiva mit ihrem unverletzten Arm den Krug und goss sich etwas ein. Als sie den ersten Schluck nahm, merkte sie, dass dies kein normales Wasser war. Es schmeckte erfrischend und ein wenig nach Minze.

Tiva trank das ganze Glas aus und spürte plötzlich, wie eine bleierne Müdigkeit auf sie herab sank. Mit einem leisen Seufzer kuschelte sie sich wieder in ihre Decken und schlief weiter.

***

Als sie das nächste Mal erwachte, waren auch ihre Erinnerungen wieder da. Auch wenn sie beim ersten Mal einfach nur in einer etwas dämmrigen Glückseligkeit geschwebt war, erinnerte sie sich jetzt wieder an die Schlange und den Traum.

Eine Gestallt beugte sich über sie. „Du bist wach“, stellte das Mädchen fest. Wie alt sie wohl sein mochte? Fünfzehn? Siebzehn? „Ich sorge für dich, bis es dir wieder besser geht“, erklärte sie. „Mein Name ist Mava.“

„Gut“, sagte Tiva, weil ihr nichts anderes einfiel, „kannst du mir sagen, was genau mich verletzt hat, und wie ich hierher geraten bin?“

„Du wurdest von einer Norai-Otter gebissen. Es ist eine der giftigsten des Landes.“

„Und wieso lebe ich dann noch?“, fragte Tiva verwirrt.

„Die Älteste hat dich gerettet“, sagte Mava schlicht, „Außerdem wussten alle, dass du überleben würdest.“

„Wieso? Und wie kam ich her?“

„Ich kann dir weder auf die eine, noch auf die andere Frage eine Antwort geben. Die Ältesten wussten einfach, dass du überleben würdest, aber wie du herkamst weiß ich nicht. Möchtest du etwas essen?“

„Gerne“, Tiva setzte sich vorsichtig auf, „was gibt es denn für Früchte?“

„Trauben, Feigen, verschiedene Beeren, Melone, Honigkürbis. Oder möchtest du von allem etwas?“

Tiva nickte nur. Kurz darauf saß sie mit einem überladenen Tablett auf dem Schoß im Bett und aß Obst. Mava war geschäftig herumgeeilt, hatte die warme Decke gefaltet, in die Ecke gelegt und ein leichtes Laken über Tiva gebreitet. Außerdem hatte Mava Tivas Verband über der Bissstelle erneuert. Es hatte sehr stark geblutet, sehr wehgetan und die Wunde sah nicht besonders schön aus. Grüne und blaue Striemen zogen sich in alle Richtungen von ihr weg und die Wundränder waren verkrustet. Mava hatte Blätter daraufgelegt, die höllisch brannten und einen neuen, weißen Verband darum gebunden. Dann hatte Sie darauf bestanden, dass Tiva zwei Gläser des einschläfernden Wassers trank. Da es ihr schon etwas besser ging, schlief sie davon nicht mehr ein, wurde aber etwas schummrig im Kopf. Die Früchte, die sie aß, schmeckten so ähnlich, wie die, die sie kannte, doch auch irgendwie fremd. Vom Honigkürbis hatte Tiva noch nie etwas gehört, also biss sie erst ein zögerlich kleines Stück ab, doch als sich der Geschmack entfaltete, nahm sie den Mund voller und voller. Der Kürbis schmeckte, wie der Name schon sagte, nach Honig, Sonnenlicht, frischer Luft und Sommertagen.

„Schmeckt´s?“, fragte Mava grinsend. „Mtschja!“, mampfte Tiva und versuchte, mit vollem Mund zu lächeln.

Nach dem Essen wurde es langsam heiß im Zelt und so öffnete Mava einige Lüftungsklappen in der Zeltdecke. Tiva schaute durch die Spalten nach draußen, in den Himmel und mit einer kühlen Briese im Gesicht schlief sie abermals ein.

***

Mava trug am Abend die Platten mit dem Abendessen in Tivas Zelt und stellte beruhigt fest, dass das Mädchen immer noch schlief. Wenn sie aufwachte, musste sie ihr unbedingt ihren Namen sagen.

Vorsichtig stellte sie das Essen neben das Mattenbett. Dann betrachtete sie das unbekannte Mädchen genauer. Sie trug einen dunklen Pullover, dessen Ärmel hochgekrempelt waren, eine seltsame Hose, die sie noch nie zuvor gesehen hatte und Schuhe, aus einem Mava gänzlich unbekannten Material. Sie hatte ein hübsches Gesicht, umrahmt von langen, dunkelbraunen Haaren. Sommersprossen zierten ihre Haut unter den Augen, und ihre nicht zu große Nase.

Die Augenfarbe musste sie später noch herausfinden.

Mava nahm den inzwischen leeren Krug und ging zum Küchenzelt, um ihn wieder aufzufüllen. Sie tat etwas Zitrone, Minze und einen Würfel des einschläfernden Schmerzmittels hinein.

Als sie wieder ins Zelt zurückkam, war das Mädchen wach. Augenfarbe: Hellbraun, mit einer kleinen Spur Gold. Auch Tiva musterte nun ihrerseits Mava. Ein blondes Mädchen, mit dunkelblauen Augen und einer geraden Nase. Sie trug ein hellgrünes Leinenkleid und Ledersandalen.

„Wie heißt du eigentlich?“, fragte Mava plötzlich.

„Tivelia Dornau. Aber nenn mich bitte Tiva. Ich hasse den Namen Tivelia!“

   „Oh du bist nicht die einzige, die ihren vollständigen Namen hasst!“, sagte Mava lachend, „meine Eltern haben mich doch tatsächlich Mareleiva genannt!“ „Oh, das ist noch übler!“, kicherte Tiva, „Da hab ich’s ja noch gut!“ Mava wurde wieder ernst und fragte: „Was möchtest du zum Abendessen haben, Tiva? Ich habe Bratkartoffeln, Bohnen, Zucchini und Brot. Ich habe bloß kein Fleisch, weil unser Stamm keine Tiere isst. Manchmal müssen wir welche töten, aber wir essen keine.“ „Ich möchte von allem ein Bisschen“, antwortete Tiva. Bei sich dachte sie aber: Stamm? Wo zum Kuckuck bin ich hier gelandet?! „Und dazu“, riss Mava sie aus ihren Gedanken, „musst du noch drei von diesen Beeren, dieses Blatt und zwei von den Beeren hier essen. Das vertreibt das Gift aus deinem Körper. Kannst du den Arm schon wieder bewegen?“

Tiva versuchte es, schaffte es aber nicht. Es tat unglaublich weh, sodass sie sich mit einem Stöhnen zurück aufs Bett fallen ließ.

 

Kapitel 3

 

Kapitel 3

 

Am nächsten Tag brachte Mava neue Kleider für Tiva, da ihre blutig und dreckig waren. Als Mava ihr auch neue Schuhe aus festem Stoff und Leder bringen wollte, behielt sie lieber ihre Chucks an.

Sie bekam ein blaues, langärmliges Kleid aus einem schweren Stoff, welches, als sie das erste Mal damit aufstand, wunderbar um sie herumschwang. Tiva hatte höchstens mal als Kleinkind Kleide getragen und dann nie wieder, aber dieses Kleid liebte sie sofort.

Dazu noch ein paar Trägerkleider, sowie eine lederne Hose, ein Lederwams, ein kleines leichtes Kettenhemd und ein Leinenhemd. „Kampfkleidung“, erklärte Mava auf ihren Blick hin. Außerdem noch ein paar einfache Stoffhosen und Hemden.

Mava band ihr, nachdem sie alles inspiziert hatte, noch eine Armschlinge aus Leder um, in die sie vorsichtig ihren Arm legte. „Du fragst dich sicherlich“, begann Mava, „warum wir so viel Leder haben, obwohl wir keine Tiere essen. Also es ist so, dass wir meistens die Haut von von selbst gestorbenen Tieren nehmen und verwenden. Außerdem haben wir, bevor der König anfing uns zu bekämpfen, wie Schädlinge im Haar seiner Geliebten, öfter Handel mit Leuten aus der Stadt getrieben. Auch müssen wir manchmal Tiere töten. Wenn sich eins der Schafe böse etwas bricht zum Beispiel. Unsere Heilzauber sind bei Tieren ebenso nutzlos, wie bei den Wunden der Waffen der Soldaten.“

Dann nahm Mava sie mit nach draußen, um ihr alles zu zeigen, wie sie sagte. Tiva war etwas wackelig auf den Beinen, aber das legte sich, nachdem sie ein paar Mal tief durchgeatmet hatte. „Wie alt bist du eigentlich?“, fragte Tiva an Mava gewandt, während diese die Zeltöffnung aufknotete. „Ich bin fünfzehn, und du?“

„Dreizehn“, antwortete Tiva knapp, als sie aus dem Zelt trat.

Dann traute sie ihren Augen nicht. Rings um sie erstreckte sich ein riesiges Zeltdorf. Kleinere und größere, weiße, grüne und braune Stoffzelte. Zelte mit Blumen-, Pferde-, oder sonstigen Mustern und einfarbige Zelte. Tiva bekam den Mund vor Staunen nicht mehr zu. Mava führte sie überall herum und machte hin und wieder Bemerkungen, wie: „Hier ist das Küchenzelt“, oder; „Da die Wasserstelle und dort das Häuptlingszelt.“ Tiva vergaß fast sofort wieder alles.

Zum Schluss kamen sie noch zu einer großen Koppel. Nah am Zaun stand eine riesige Pferdeherde und graste. Mava pfiff und rief: „Ciron, Nainui!“ Auf ihren Ruf kamen zwei Pferde an den Zaun getrabt. Ein Hengst und eine Stute. Die Stute war kastanienbraun mit einer schwarzen Mähne, der Hengst war ein kohlrabenschwarzer Rappe. „Sie gehören dir“, sagte Mava ohne Umschweife, „der Rappe heißt Ciron, er ist sehr schnell und temperamentvoll. Die Braune ist Nainui. Sie kann schneller rennen als alle anderen, ist aber sehr sanft. Du kannst doch reiten, oder?“ „Ja, kann ich“, stammelte Tiva, „das sind wirklich meine? Das ist doch jetzt nicht echt wahr, oder?“

„Abgesehen davon, dass lebendige Wesen sowieso nur sich selbst gehören, doch“, schmunzelte Mava, „das sind sogesagt deine Pferde. Du kannst nicht ihren Geist besitzen, aber ich glaube, dass ist dir so oder so klar.“ Tiva war immer noch geschwächt und konnte sich nun kaum noch auf den Beinen halten.

„Du musst ihnen noch deine Hand hinhalten, damit sie dich später wiedererkennen.“ Tiva tat wie geheißen und ließ die Pferde schnuppern.

Alles was danach geschah, nahm sie nur noch verschwommen wahr. Ihre Gedanken waren bei Ciron und Nainui.

Mava brachte sie noch zur Schmiede und Waffenherstellung des Dorfs, wo sie noch einen Bogen, ein Kurzschwert und ein paar Messer bekam. Sie schenkte all dem keine große Beachtung, da ihre Wunde schmerzte. Sie konnte kaum noch stehen, und so schaffte Mava sie schnellst möglichst zurück zum Zelt. Dort ließ sich Tiva sofort erschöpft auf ihre Matte fallen. „Wo zum Kuckuck bin ich?“, fragte sie verzweifelt, „kann mir das bitte jemand erklären? Ich verstehe gar nichts mehr!“

„Schlaf jetzt“, antwortete Mava sanft, „Es wird sich alles erklären, wenn du wieder wach bist.“

Tiva nickte müde, und schlief sofort ein.

 

Kapitel 4

 

Kapitel 4

 

Es war später Nachmittag, als Tiva wieder aufwachte. Dass sie nun zwei Pferde hatte, konnte sie nicht fassen.

Mava war nirgends zu sehen, aber das Mittagessen, welches sie verschlafen hatte, stand neben ihr auf dem Boden. Es sah nach Fladenbrot, Öl und einem Ei aus.

Sie ließ es sich schmecken und trank noch ein wenig Wasser, welches inzwischen nicht mehr einschläfernd sondern nur noch erfrischend war.

Als sie fertig war, zog sie sich ihre Schuhe an und ging, da sie sich nun auch besser fühlte, nach draußen. Ihr war schon auf der Runde mit Mava aufgefallen, dass es im ganzen Lager kein Plastik zu geben schien, und die Zelte ziemlich primitiv aussahen. Abermals fragte sie sich, wo sie wohl gelandet sein mochte. Da sie es eh nicht wusste, lief sie zur Pferdekoppel.

Sie rief vom Gatter aus nach ihren Pferden, konnte sie aber nicht in der Herde ausmachen. Da die beiden sie scheinbar auch nicht gehört hatten, kletterte sie kurzerhand über den Zaun. Der verletzte Arm war ziemlich hinderlich, aber Mavas Lederschlaufe bewährte sich und hielt den Arm da, wo er bleiben sollte. Als sie es hinüber geschafft hatte, ging sie langsam auf die Herde zu.

„Ciron, Nainui!“, rief sie, diesmal lauter.

Irgendwo wieherte es. Nainui! Sie kam, Ciron im Schlepptau auf Tiva zu. Die beiden beschnupperten sie zögerlich, da sie sie erst einmal gesehen hatten, dann schienen sie ihren Geruch allerdings wiederzuerkennen.

Tiva lief mit den beiden von der Herde weg, Richtung Zaun. Dort holte sie ein paar Trauben aus ihrer Rocktasche und verfütterte diese an die beiden Pferde, denen sie scheinbar sehr gut schmeckten.

„Tiva?“, hörte sie plötzlich eine Stimme hinter sich. „Tiiiivvvvaaaaaaaaaaa?! Ach hier bist du!“, Mava blieb vor ihr stehen. „Du darfst noch nicht alleine durchs Lager gehen! Dir hätte sonstwas passieren können! Komm, ich soll dich zum Stammesrat bringen, die wollen dir ein paar Sachen erklären. Ich suche schon ewig nach dir, und der Rat wartet nicht so gern.“ So schnell sie konnten, liefen sie durchs Lager, zum Versamlungszelt.

Im Zelt saßen zehn Leute. Drei davon waren so uralt, dass Tiva glaubte, sie zu Staub zerfallen zu sehen. Außerdem waren auch zwei Jungen dabei, die ungefähr so alt wie Mava sein mussten.

„Tiva“, begrüßte sie die Frau, die am ältesten aussah, „du wirst viele Fragen haben. Das ist normal. Setzt dich erstmal.“ Und an Mava gewandt sagte sie: „Setz dich dazu, Mava, Schätzchen. Was hier besprochen wird ist auch für deine Ohren bestimmt.“

Mava tat wie geheißen und raunte Tiva zu: „Das ist meine Urgroßmutter, Dhálan Nái. Sie ist die älteste und weiseste unseres Dorfes.“ Dann verstummte sie schnell, da Dhálan Nái sich in ihren Kissen aufgerichtet hatte.

„Tiva. Wir sind heute hier zusammengekommen, um dir einige Fragen zu beantworten. Aber zuerst möchte ich dir die anderen vorstellen.

Dieser Junge hier heißt Koshko. Er ist der jüngste im Rat. Der andere Junge dahinten ist Nivlo, da ist Bargad, dort Nello. Die Frau, die dort sitzt heißt Nivin, und sie hier ist Amil. Er in der Ecke heißt Voiku und das ist Silos. Die beiden anderen Ältesten sind Ashonu und Naivi. Ich bin, wie dir meine Urenkelin sicher schon verraten hat, Dhálan Nái. Möge zuerst unser Jüngster sprechen!“

Ein Junge mit verstrubbeltem, schwarzem Haar und einem auffälligen grünen Stirnband (soweit Tiva sich erinnern konnte, war dies Koshko) trat in die Mitte des Zeltes. Er verbeugte sich höflich vor den Ältesten und begann dann zu sprechen.

„Ich bin, wie schon gesagt, Koshko. Ich wurde in deine Welt gesandt, um dich herzuholen. Falls du jetzt gar nichts mehr verstehst; so ging es mir auch, als ich das erste Mal von der Weltensache hörte. Also ganz von vorne.

Es gibt verschiedene Welten. Du hast in der einen, und wir in der anderen, gelebt. Es gibt Tore zwischen den einzelnen, durch die aber nur geübte Springer, so nennt man die Leute, die zwischen den Welten wechseln können, gelangen können. Ich sprang also durch das nächstgelegenste Tor und beobachtete dich ersteinmal eine Weile. Eure Welt ist schwer für mich, dort ist so viel Stein, es ist immer laut und immer hell. Ich hielt mich bevorzugt im Wald. So fand ich auch deinen Lieblingsplatz, er liegt nicht weit entfernt vom Tor. Eines Nachts kamst du plötzlich angelaufen, während ich auf dem Baum saß, und da es der ideale Augenblick war, ließ ich dich von der Schlang-“

„Was?! Du warst das mit der Schlange?! Aber wieso?“, rief Tiva aufgebracht.

„Beruhige dich Tiva. Ja, ich war das mit der Schlange. Für Nichtspringer ist das Gift der Norai-Otter die einzige Möglichkeit, die Welt zu wechseln. Es hat die Fähigkeit, dich für ein bis zwei Stunden zum Mitspringer zu machen. Vielleicht würde es noch länger halten, aber länger lebt man ohne sofortige Behandlung normalerweise nicht.

Ich habe dich, nachdem du durch die Wirkung des Gifts ohnmächtig geworden, und vom Baum gefallen bist, vom Waldboden aufgehoben, und gehofft, dass du dir nichts gebrochen hast. Es tut mir leid, aber ich war nicht mehr schnell genug, um dich im Fall aufzufangen. Allerdings hast du dir ja zum Glück auch nichts gebrochen.“ Er grinste. „Ich nahm dich also, und rannte mit dir zum Tor. Auf der anderen Seite wurde ich schon von Dhálan Nái und Ashonu empfangen. Sie haben sofort die Ausbreitung des Gifts gestoppt und dich dann ins Lager gebracht, um dich vollständig zu heilen. Also nicht ganz vollständig, ein bisschen hast du ja noch in dir. Verstehst du, was ich meine?“

   „Ja, ich verstehe so ungefähr.“

„Gut. Das Ganze war vor sechs Tagen.“

„Moment mal!“, unterbrach Tiva ihn, „sechs Tage? Aber ich erinnere mich erst an drei!“

„ Du hast geschlafen. Zur Heilung muss man schlafen.“

„Und wieso wurde ich jetzt hergeholt?“ „Diese Frage kann ich dir nicht eindeutig beantworten. Ich gebe das Wort weiter an Dhálan Nái.“

„Danke mein Junge“, sie setzte sich gerader hin, „wir haben dich, Tiva, geholt, weil in unseren Prophezeiungen steht, dass ein Mädchen aus der anderen Welt, mithilfe jemandem aus unserem Stamm, zu uns springen wird, und, dass sie uns in großen Gefahren helfen wird.“

   „Und das glaubt ihr echt? So eine komische Prophezeiung, und schon reißt ihr mich aus meiner Welt?!“ Tiva war empört.

„Ich verstehe deine Zweifel, aber es ist nicht irgendeine Prophezeiung. Die Prophezeiung von der hier gesprochen wird ist dreihundert Jahre alt!“, erklärte Nivlo.

   „Gut und schön, mag sein, aber woher wollt ihr wissen, dass genau ich dieses Mädchen bin? Ich verfüge nicht über besondere Fähigkeiten oder so!“

„Weil dein Name Teil der Prophezeiung ist!“, meldete sich Nivin zu Wort. „Dort steht:“, sie zog eine Rolle aus faserigem, dünnen Papier aus ihrem Ärmel, „>In dreihundertundsieben Jahren wird eine gewisse Tivelia Dornau mithilfe des Jungen Koshko vom Stamm der Munawi in dieses Dorf gelangen. Sie wird nicht aus dieser Welt stammen. Mit ihrem Verdienst wird dieser Stamm in großem Unheil geholfen werden.< Ende der Prophezeiung. So wurde es vor dreihundertundsieben Jahren von dem Weisen Aikhar Rhúvonjí prophezeit.“ Tiva konnte es nicht glauben. Wie hatte ein alter Mann vor dreihundertsieben Jahren ihren Namen kennen können? Sogar ihren vollständigen Namen?!

   „Wir wissen, dass du nun sehr verwirrt bist“, ergriff nun wieder Dhálan Nái das Wort. „Wir wollen dich nicht noch weiter mit Welten, Namen und Prophezeiungen durcheinander bringen. Es ist, wie es ist, egal wieso oder warum. Lasst uns nun besprechen, was weiter geschehen soll. Bargad?“

Tiva war sehr verwirrt. Bei was sollte sie dem Stamm den helfen? Eigentlich sahen alle hier so aus, als könnten sie sich sehr gut selbst helfen! Ein wenig sauer war sie auch, man hätte ja wenigstens vorher mit ihr über diesen Weltenwechsel sprechen können! Es war ja nicht so, dass sie nicht froh darüber war, mal von der Kontrollsucht ihrer Eltern wegzukommen, aber sie hätte gerne ein paar Dinge mit in diese Welt genommen. Schon jetzt vermisste sie ihre Gitarre schmerzlich. Vielleicht gab es hier eine Laute oder so etwas in der Art…

Bargad riss sie aus ihren Überlegungen. Er war ein großer Mann, mit einem dicken, zotteligen Bart, den er allerdings zu zwei zerstrubbelten Zöpfen gebändigt hatte. Er sah aus, als könnte er Wölfe mit der bloßen Hand erschlagen, Steine zerschlagen und Bäume ausreißen. Tiva hatte ein bisschen Angst vor ihm.

„Du brauchst eine Ausbildung“, begann er ruhig, mit tiefer, warmer Stimme. Sofort waren Tivas Zweifel verflogen. Dieser Mann war nett, dass hörte sie an seiner Stimme.

„Die Gefahr, von der die Prophezeiung spricht, ist wahrscheinlich Krieg. Schon lange giert der Herrscher dieses Landes nach unseren Feldern und Wiesen. Wir taten gut daran, uns die Fruchtbarsten Böden zu suchen, doch nun beansprucht er diese für sich. Außerdem gibt es viele Stämme, die uns um unsere Pferde beneiden.

Du wirst Bogenschießen und Fechten lernen, so gut, dass du es auch im Sattel beherrschst. Du musst reiten können wie einer der Unseren. Dazu wirst du noch die magischen Grundlagen lernen.“

„Magie? Magie gibt es nicht“, entgegnete Tiva.

„Nein? Dann schau genau her“, schmunzelte Bargad.

   „Hier.“ Er streckte seine Hand aus, murmelte ein paar unverständliche Wörter, und siehe da, auf seinem Handballen züngelten Flammen. Sie formten Blätter, bis Bargad seine Hand schloss. Als er sie wieder öffnete, lag ein feuriges Blatt, welches mit Glas umschlossen war, darin. Bargad schloss die Hand abermals, und als er sie diesmal wieder öffnete, hing das Blatt an einer silbernen Kette.

„Streck deine Hand aus“, befahl Bargad. Als er Tiva die Kette in die Hand legte, bemerkte sie, dass die Schicht um das Blatt kein Glas war. Es fühlte sich ein wenig wie Eis an, nur, dass es nicht ganz so kalt war. Die Ummantelung war nicht ebenmäßig, sondern rau und hügelig. Wie ein zugefrorener See im Winter, dachte Tiva, bevor sie sich die wunderschöne Kette um den Hals hängte.

„Die Macht von Feuer, zusammengebracht mit der von Wasser. Sieht immer sehr schön aus“, sagte Bargad und grinste. „Glaubst du nun, dass es Magie gibt?“ „Ja“, sagte Tiva erschöpft. „Kann ich jetzt nur noch zwei Sachen wissen?“

„Frag nur Kind“, antwortete Dhálan Nái.

„Erstens: was hat mein sonderbarer Traum hiermit zu tun?“

„Traum? Was für ein Traum?“, fragte Ashonu interessiert, „wir wissen nichts von einem Traum. Ich glaube nicht, dass dies etwas mit deinem Schicksal zu tun hat.“ Herrje, seine Stimme klang schlimmer als das raueste Schleifpapier!

   „Okay. Zweitens: Wo genau befinden wir uns hier, und wie heißt das Dorf?“

Diesmal antwortete Amil. „Wir befinden uns im Land Assavi´n in den südlichen Steppenregionen. Es gibt hier sehr viele flache Grasflächen, wenig Bäume, aber in manchen Gebieten Täler mit Hügeln oder sogar Bergen. Richtung Westen liegt ein Gebirge, dort ist unser Winterlager. Dieses Dorf an sich hat keinen Namen, allerdings nennt sich unser Stamm Munawi.

„Gut. Kann ich jetzt bitte in mein Zelt? Bitte.“, bat Tiva flehend.

Mava, die bisher geschwiegen hatte, meldete sich nun auch zu Wort. „Dhálan Nái, lass uns gehen. Sie ist noch zu schwach. Es ist nicht gut, wenn sie so erschöpft ist.“ „Dann müsst ihr wohl gehen“, antwortete Dhálan Nái, „Du wusstest schon immer, was am besten für Mensch und Tier ist, also geht und ruht euch aus. Mava, räum bitte deine Sachen aus dem Familienzelt, du ziehst zu Tiva.

„Wie du sagst, Urgroßmutter, ich werde es tun. Tiva komm. Wir gehen uns ausruhen.“

Die beiden liefen langsam, und so gut sie konnten zum Zelt zurück. Dort angekommen setzte sich Tiva auf ihre Matte und nahm sich einige Weintrauben.

„Ganz schön hart für dich, oder?“, fragte Mava mitleidig. „Ich habe heute schon Sachen erfahren, die ich nie zuvor gehört habe, und ich kann mir gar nicht vorstellen, wie verwirrend das erst für dich sein muss! Ich könnte es nicht so leicht verkraften, wenn ich plötzlich in einer fremden Welt landen würde!“

„Ich glaube, ich bin im Moment einfach zu geschockt, um das alles zu realisieren. Außerdem bin ich unglaublich müde. Mava, habt ihr hier irgendwo Tee?“

   „Ja, wenn du möchtest kann ich dir einen mitbringen, wenn ich meine Sachen aus dem Familienzelt hole.“

„Ach ja, du ziehst ja zu mir! Was für Teesorten gibt es denn?“

   „Ich glaube im Moment haben wir Feigenblätter- und Früchtetee.“

„Dann würde ich Früchtetee nehmen. Du musst mir den auch nicht unbedingt mitbringen, ich kann mir den auch selber holen.“ Doch während sie noch sprach, fielen ihr bereits die Augen zu.

Mava lächelte, und trat aus dem Zelt. Sie ging zum Zelt ihrer Familie um all ihre Sachen zu holen.

Als sie mit all ihren Sachen und dem Tee zurück zum Zelt kam, schlief Tiva schon.

Mit einem Lächeln begann Mava ihre Sachen auszubreiten und sich einzurichten.

***

„Weißt du Mava“, begann Tiva später, als sie am sehr späten Abend auf ihren Matten saßen und sich unterhielten, „Ich finde eure Welt gut. Sie gefällt mir.“

   „Hast du denn keine Eltern, andere Verwandten oder Freunde in deiner Welt?“, fragte Mava erstaunt.

„Doch, schon, aber meine Mutter war immer so übervorsichtig, ängstlich und nervig. Sie machte einen sehr besorgten Ton nach: „Tivelia, warum kommst du erst jetzt? Tivelia, es ist nach sechs Uhr, du musst kommen! Pass auf und geh immer auf direktem Weg nach Hause, Tivelia!“, sie seufzte, „und mein Vater, nun, mein Vater war nicht besonders nett.“

   „Oh“, Mava sah betroffen aus, „das hört sich ja furchtbar an! Aber eins habe ich nicht verstanden. Nach was musstest du zu Hause sein?“

„Meinst du nach sechs? Ich musste immer um sechs Uhr zu Hause sein.“

   „Was ist ein Uhr?“, fragte Mava verunsichert.

Eine Uhr? Die hat doch fast jeder! Schau, das ist eine Uhr“, sagte Tiva und friemelte ihre Armbanduhr unter dem Ärmel ihres Kleides heraus.

Mava schaute fragend darauf. „Und was ist oder macht jetzt diese Uhr?“, fragte sie verwirrt.

„Diese hier zeigt die Zeit an. Das heißt,…“, sie überlegte kurz, „wenn es Abend ist, ist der Zeiger hier so.“ Sagte Tiva und zeigte auf die entsprechenden Punkte. „Und hier ist sechs Uhr. Man liest auf einer Uhr ab, wann es Morgen, Mittag, Abend oder Nacht ist, und wie spät es da genau ist. Eben die genaue Uhrzeit. So kann man sich zum Beispiel genau dann und dann treffen. Puh, das ist ganz schön schwierig zu erklären!“

Mava schaute immer noch irritiert. „Ich glaube, dass ich das nie ganz verstehen werde“, seufzte sie. Wir lesen die Zeit an der Sonne oder den Sternen ab. Und wenn es wolkig ist, spüren wir es. Aber macht das nicht jeder so?“

„In unserer Welt hat man das irgendwann verlernt. Die Leute können es nicht mehr nach Sonne oder Sternen, nur noch nach der Uhr.“

„Das ist schade.“

   „Ja“, seufzte Tiva, „ja das ist es.“

Kapitel 5

 

Kapitel 5

 

 

In den nächsten Tagen begann Tivas Kampf- und Reitausbildung. Bargad meinte, man könne auch einhändig kämpfen und reiten, und so rackerte Tiva sich nach Leibeskräften ab, ritt auf Nainui, sprang mit Ciron, durchlief die Stationen, die Mava sich für sie ausdachte, oder kämpfte mit Bargad. Es war sehr, sehr, sehr anstrengend.

Nach drei Tagen schaffte sie es zum ersten Mal, ihren Arm schnell genug hochzureißen, um wenigstens einen Hieb von Bargads Übungsschwert parieren zu können. Ihr Körper war ein einziger blauer Fleck, bis auf den verletzten Arm, auf den Bargad netterweise Rücksicht nahm. Wäre das Übungsschwert kein Übungsschwert gewesen, wäre sie schon längst in tausend kleine Stückchen zerschnitten worden, so oft wurde sie getroffen.

Sie fiel jeden Abend so erschöpft ins Bett, als hätte Bargad eine besonders geschickte Finte gegen ihr Bein gesandt, und wachte erst wieder auf, wenn Mava ihr ins Ohr brüllte, dass es Frühstück gebe.

Anfangs war Mava besorgt gewesen, ob es gut sei, schon so schnell mit dem Training zu beginnen, doch bald gesellte sie sich zu den Anderen auf den Kampfplatz. Brauchte Tiva mal eine Pause, focht sie so geschickt mit Bargad, dass man statt Schwertern nur noch verschwommene Streifen wahrnahm.

In diesen Pausen beobachtete Tiva öfter ein Mädchen, welches fast ebenso gut mit allen möglichen Waffen umgehen konnte wie Bargad. Wenn die halbwüchsigen Jungen des Dorfes auf den Platz kamen, um sich auszutoben, war immer sie dabei. Reihenweise besiegte sie alle, bis auf den Jungen, der ihr im Rat als Nivlo vorgestellt worden war. Er war der einzige, der von ihr ungeschlagen blieb. An Mava und diesem Mädchen sah Tiva, was sie noch alles lernen musste und sie glaubte nicht, dass sie das jemals schaffen würde.

***

Es war schon als Mava Tiva weckte unaushaltbar heiß im Zelt, woraufhin die beiden es schnell verließen. Auch wenn Tiva schon vom ans-Training-denken ins Schwitzen kam, schleppte Bargad sie unbarmherzig zum Trainingsplatz. Nachdem Tiva ein paar erfolglose Versuche gemacht hatte, an Bargads Deckung vorbeizukommen, ließ sie sich mit einem geächzten „Pause!“ auf das Grasstück neben der Trainingsfläche fallen.

Es war nun drei Wochen und zwei Tage her, dass Tiva in das Dorf gekommen war, und laut Bargad und Mava machte sie ganz gute Fortschritte. Tiva war sich da nicht so sicher, sie kassierte immer noch unglaublich viele blaue Flecken und lag oft nach nur vier Sekunden am Boden.

Mava lachte und rief: „Gut, Bargad! Da deine Gegnerin scheinbar nicht mehr kann, werde ich ihren Platz übernehmen und dich gründlich auseinandernehmen!“ Sie zog ihr Messer, welches sie immer dabeihatte, aus dem Gürtel, und ging festen Schrittes auf Bargad zu. „Na, lässt du dich auf einen Messerkampf mit echten Messern ein?“, fragte sie spöttisch.

„Natürlich“, antwortete dieser, „Du kannst mit eh nichts anhaben!“

„Das wird sich zeigen!“, rief Mava kichernd und umkreiste ihn lauernd.

Da sie mit echten Messern kämpften, waren sie sehr vorsichtig und fuchtelten nicht so sehr herum, wie sonst mit den Holzmessern.

Mava traf ein paar Mal, allerdings passte sie sehr auf, mit dem Messer nur leicht an die Stellen zu tippen. Bargad traf leider, trotz Mavas überdurchschnittlichen Messerfähigkeiten öfter als sie.

   „Bargad, Bargad! Man sticht keine Mädchen!“, keuchte sie, nachdem er einen besonders miesen Treffer gelandet hatte.

„Bist du überhaupt ein Mädchen?“, gab er zurück, während er Mavas Stichgefuchtel abwehrte, „Ich glaube eher, du bist eine Kampfmaschine!“

Tiva lachte hell auf und rief: „Los Mava, zeig´s ihm!“

Der Kampf wurde nun schneller, da beide ihren Rhythmus gefunden hatten, und aufpassten, dass sie sich nicht verletzten. Von Mavas Messer war nur ein silberner Streifen zu sehen, der sich wirbelnd mit Bargads Streifen kreuzte. „Gleich hab ich dich!“, rief Bargad, der Mava immer näher an den Rand des Kampfplatzes trieb. „Nee, du träumst wohl!“, gab Mava zurück, ließ das Messer kreisen und trieb Bargad ganze sechs Schritte nach hinten.

Tiva hatte bald herausgefunden, dass ihre bevorzugten Waffen eher ein längeres Schwert und ein Bogen waren und so bewunderte sie Mavas Messerkünste noch mehr. Mava focht mit Dolchen unterschiedlicher Länge und Breiten, konnte sehr gut mit Messern aller Art werfen, sowie fechten uns stechen. Teilweise verwendete sie auch Wurfnadeln, was Tiva noch mehr verblüffte. Diese langen, metallenen, leicht gebogenen, tödlichen Dinger waren für Tiva unverständlich. Als sie einmal versucht hatte, sie zu werfen, hatte sie fünf Meter am Ziel vorbeigeworfen und beinahe einen dort trainierenden Speerwerfer getroffen. Nein, von diesen Dingern ließ sie lieber die Finger.

Mava und Bargad trieben sich gegenseitig übers Feld, unklar, wer in Führung lag. Tiva beugte sich vor, um besser sehen zu können, Mava kämpfte verbissen gegen Bargads Finten, dieser trieb sie immer weiter zurück-

„FEINDE IM ANMARSCH!!!! DIE SOLDATEN KOMMEN!!!“, schrie plötzlich eine laute Stimme durchs Lager.

In diesem Moment startete Bargad einen Angriff, Mava, die durch den Ruf erschrocken zusammengezuckt war, lenkte das Messer nicht schnell genug ab und Bargad konnte es nicht mehr schnell genug stoppen.

Es traf Mavas Oberschenkel und grub sich tief in den Muskel.

Bargad schrie, Mava keuchte und sackte zusammen, und Tiva brüllte: „Schnell! Verbandszeug, wir brauchen Verbandszeug!!!!“

Bargad rannte so schnell er konnte davon. „Nimm das nicht so tragisch“, krächzte Mava vom Boden aus, „Sooo schlimm ist das nun auch wieder nicht.“ Da ihr Gesicht schmerzverzerrt war, glaubte Tiva ihr nicht ganz, konnte allerdings auch nichts tun, außer auf Bargad warten.

Kurz darauf kamen zwei Männer mit einer Trage angerannt, auf die sie Mava legten. Diese nuschelte noch etwas von: „keine Umstände, wirklich nicht“, dann war sie weg. So schnell sie konnten sprinteten sie durchs Lager zu Tivas und Mavas Zelt. Dort stand schon Bargad, den Arm voll mit Leinenverbänden und leichtem Alkohol. Die Männer legten Mava vor dem Zelt auf den Boden, sodass Tiva sich vor sie knien konnte.

Mava innständig um Vergebung bittend, schnitt Tiva ihr die Stoffhose auf und zog das Messer aus der Wunde. Sie war ungefähr zweieinhalb Zentimeter tief und blutete nun sehr stark. Schnell riss Tiva Bargad alle Verbandssachen aus der Hand und tränkte alle Verbandsstoffe mit dem Alkohol, dann faltete sie schnell eins der Tücher und presste es so fest sie konnte auf die Wunde. Danach wickelte sie die übrigen Tücher ebenso fest darum und richtete sich auf.

Während sie ihre Haare zurückstrich fragte sie Bargad und die anderen zwei Männern: „Es kommen Feinde?“

„Ja“, antwortete einer der Männer, „der kleine Fainen hatte Wache am entferntesten Außenposten, und hat die Soldaten zusammen mit seinen Freunden gesehen. Sie sind noch relativ weit entfernt, allerdings rücken sie beständig vor. Wir müssen in unser Winterlager ziehen.“

„Genau“, sagte Tiva schnell, „wir müssen los. Kann jemand einen Wagen für zwei Pferde herbringen? Ich würde gerne Mava und meine Sachen darauf laden. Außerdem muss ich das Zelt darauf laden. Kann mir jemand dabei helfen?“

Sie beeilten sich, Tiva lud die Inneneinrichtung des Zeltes auf den Wagen, während ihr ein kleinerer Junge mit dem Zelt half. Bald war alles abgeladen und sie machten sich alle auf den Weg zum sicheren Winterlager. Tiva hatte ihre beiden Pferde vor den Wagen gespannt, ihre Sachen aufgeladen und ein paar kleineren Kindern Sitzplätze zwischen dem Gepäck eingerichtet. Mava lag, halb wach, halb dämmrig, neben den lachenden Kindern. Tiva befeuchtete ihre Hände und legte sie Mava auf die Wangen. Diese zuckte zusammen und richtete sich auf. „Du hast mein Bein gut verbunden“, sagte sie nur und setzte sich hin. Dann beugte sie sich mit einem leisen „Ahhauuuuu“ nach vorn und legte ihre Hände auf die Wunde. Sie schloss die Augen, dann erschien an ihren Händen ein grüner Lichtschimmer. Sie Bündelte ihn zu einem Strahl, den sie durch den Verband auf ihr Bein richtete. Als sie die Hände beiseite nahm, leuchtete der Verband grünlich.

„Ein Heilungszauber“, sagte sie auf Tivas fragenden Blich hin und zog sich das, was noch von ihrer Hose übrig war über den Verband. „Die Wunde heilt schneller. Allerdings funktionieren Heilungszauber nur sehr selten. Meistens hindert irgendwas die Magie. Aber bei giftfreien Messerwunden funktioniert es. Bei dir wurde auch so einer angewendet, auch wenn es bei Schlangengift normalerweise nicht funktioniert. Dhálan Nái ist allerdings so stark, dass sie alle möglichen magischen Barrieren überwinden kann. Aber dieses Gift ist sowieso tückisch.“ Tiva nickte und schaute mit einem Seufzer auf ihren Arm, der immer noch in der Lederschlinge steckte. Auch wenn sie jeden Tag mit Nivin Übungen für den Arm machte und ihn auch schon wieder etwas bewegen konnte, tat er Tagsüber ohne Schlinge einfach zu sehr weh.

„Also ich bin in drei, vier Tagen wieder fast normal“, grinste Mava. „Ich glaube ich rufe meine Pferde, dann kann ich reiten.“

„Mava!“, rief Tiva erschrocken, „Du lagst doch gerade noch mit einem Messer im Bein auf dem Boden!“

„Ich weiß, aber durch den Zauber heilt es schneller, reißt nicht weiter auf und außerdem hemmt er den Schmerz. Vjila, Ayori!“, rief sie zu den Pferden hinüber, die neben der Wagenreihe liefen, trabten und fraßen. Eine Schimmelstute und ein kastanienfarbenes Pferd lösten sich aus der Masse und liefen auf den Wagen zu. Es waren zwei Stuten. „Das ist Vjila“, erklärte Mava und zeigte auf die Schimmelstute.

„Sie trägt ein Fohlen, deshalb kann ich sie im Moment nicht wirklich reiten. Das hier ist Ayori. Sie kann eine richtige kleine Zicke sein, aber sie ist auch unglaublich schlau und kann schon viele kleine Tricks. Hopp, Yori!“ rief sie und die Stute vollführte einen kleinen Hopser.

„Wo hast du die Pferdesachen?“, fragte Mava und entdeckte sie im selben Moment selbst. „Ach hier!“, damit schnappte sie sich ihr Zügelhalfter, „Ayori, komm mal her!“ Und damit sprang sie vom Wagen auf ihre Stute. Im Wegreiten rief sie noch: „Du findest mich vorne an der Spitze! Spann doch Ciron im Laufen aus, der Wagen kann auch von einem Pferd gezogen werden und Nainui schafft das alleine, sie ist doch so lieb. Du musst nur schauen, ob du schaffst im Laufen auszuspannen. Wie gesagt, ich bin an der Spitze!“ Damit war sie verschwunden.

„Ist es in Ordnung, wenn ich auch nach vorne reite?“, fragte Tiva die Kinder, die es sich hinten zwischen den Sachen gemütlich gemacht hatten. „Klar!“, sagte ein etwas älterer Junge entschlossen, „Wir brauchen doch keinen Babysitter! Wir passen auf. Hätte mein Pferd kein schlimmes Bein, müsste ich nicht mal mit diesem Wagen fahren!“

Tiva musste über seine Hochnäsige Art lächeln. „Na dann ist ja gut“, sagte sie fröhlich und begann Ciron auszuspannen.

Sie musterte das Geschirr. Sie sah keine Zugstangen, sondern nur Seile. Seltsam. Doch! Dort waren Zugstangen! Sie waren nur nicht eingehängt, weil sie sich nur für ein Pferd eigneten!

Tiva sprang von Wagen ab, rannte nach vorne und schwang sich dort einhändig auf Cirons Rücken. Dank stundenlangem Training, vielen blauen Flecken und vielen Schrammen beherrschte sie dies nun perfekt. Von dort löste sie Cirons Geschirr, rollte alles zusammen und warf es auf den Wagen, wo ein kleines, dreckiges Mädchen so nett war und es auffing. Dann klappte sie die Zugstangen aus, was einhändig eine ziemlich bescheuerte Angelegenheit war. Als sie es nach gefühlt hunderttausend Versuchen endlich geschafft hatte Nainui in die Zugstangen zu hängen, zog sie Ciron schnell sein Zügelhalfter über den Kopf, sagte Nainui, dass sie sich benehmen sollte und ritt zur Spitze des Trupps. Sie ritt normalerweise eher auf Nainui, da Ciron oft ungestüm und wild war, und sie das ihrem Arm nicht zumuten wollte, aber nun schien er zu spüren, dass er sich besser gut benehmen sollte und lief weich und federnd.

An der Spitze des Zuges angekommen, suchte sie erstmal nach Mava.

Sie fand sie, zusammen mit Bargad irgendwo am Rand reitend. Mava sah etwas gelangweilt aus, da Bargad sie gerade mit einem immensen Schwall von Entschuldigungen überschüttete, der ihr ziemlich egal war.

   „Ach Tiva, da bist du ja!“, rief Mava so laut, dass Bargad seinen Redeschwall stoppte. „Oh schön, dass du auch hier bist“, sagte er noch, und verstummte dann ganz.

„Was ist denn jetzt genau los?“, fragte Tiva ihn, besorgt.

„Das weiß keiner so genau. Ein Junge, ich glaube er heißt Fainen, hatte zusammen mit einigen Freunden Wache am Außenposten. Wir beschäftigen dafür immer die elf oder zwölfjährigen. Die haben sonst nichts zu tun. Naja, auf jeden Fall hat er ein ziemlich großes Heer auf uns zukommen gesehen. Der Außenposten liegt auf einem ziemlich hohen Hügel, sodass man einen guten Ausblick hat. So konnte er die Soldaten schnell genug sehen.“ Er kratzte sich an der Nase. „Sie sollen noch ziemlich weit weg sein. Wir ziehen jetzt in unser Zweitlager. Es liegt in einem versteckten Bergtal, da findet uns niemand.“

„Was genau ist es für ein Tal und wie lange braucht man bis dort?“

Diesmal antwortete ihr Mava. „Es ist ein kleines Tal, von dem niemand außer uns weiß. Der Eingang ist ganz schmal, ein Tunnel, durch den alle hintereinander gehen müssen. Den Pferden werden die Wagen abgeschirrt. Wenn sie ausgeladen wurden, werden sie in einer nahegelegenen Höhle versteckt, da sie nicht durch den Durchgang passen. Das Tal ist wunderschön, und wenn wir in dem Tempo weitereiten, sollten wir nachts ankommen. Wenn wir schneller reiten würden, also traben oder galoppieren, könnten wir schon heute Abend da sein.“

Sie ritten eine ganze Weile einfach still nebeneinander her. Tiva ließ ihren Blick über die weiten Grasflächen schweifen. Sie stellte sich vor, wie es wohl wäre, ein Falke oder Adler zu sein, und hoch über all dem fliegen zu können.

Doch dann wurde sie von Nivlo und Koshko aus ihren Gedanken gerissen.

   „He, ihr zwei! Ihr habt doch auch schnelle Pferde! Wollt ihr mit uns vorreiten? Wir machen die Vorreiter und schauen, ob im Tal alles in Ordnung ist!“ Nivlo und Koshko ritten dichter zu Mava und Tiva.

„Mava hat heute ein Messer ins Bein bekommen, ich weiß nicht, ob das so gut wäre“, antwortete Tiva vorsichtig.

„Was?“, Nivlo sah ernsthaft erschrocken aus. „Svitcia, was machst du denn?!“

„Ach, es geht“, Mava verdrehte die Augen. „Komm Tiva, lass uns mitreiten.“

Sie suchten noch andere Leute zusammen und ritten dann los.

   „Was heißt denn Svitcia?“, fragte Tiva neugierig, nachdem sie eine Weile mäßig dahingaloppiert waren.

„Ach, es heißt so viel wie Süße, oder Schatz. Nivlo stellt mir schon seit Monaten nach.“

   „Magst du ihn denn?“

Mava wurde rot und blieb ihr die Antwort schuldig. Tiva hakte nicht weiter nach, weil sie merkte, dass ihrer Freundin das Thema unangenehm war.

Sie ritten durch endlos weite Wiesenlandschaften, nur unterbrochen durch Steine, Felsen und kleine Hügel. Immer im Galopp oder im Trab, und dann tauchte endlich, weit vor ihnen, ein Felsmassiv auf.

Tiva galoppierte mal neben dem einen, mal neben dem andern, unterhielt sich mit, Mava, Nivlo und Koshko, und konnte sich die Namen, der Jungen, die Tiva ihr vorstellte, nicht im Ansatz merken. Ein Mädchen ritt noch mit ihnen. Es war das Mädchen, welches auf dem Kampfplatz so gut wie alle anderen besiegt hatte, als wäre es das Leichteste der Welt. Tiva war fasziniert von ihr.

„Wie heißt sie?“, fragte Tiva neugierig.

„Zija.“

„Wieso kann sie so gut reiten? Das ist ungerecht!“

Mava lachte. „Sie ist eine Kämpferin, Tiva. Und Kämpfer können nun mal reiten!“

Dabei blieb es. Tiva beobachtete Zija noch ein Weilchen. Von weitem konnte man sie leicht mit einem Jungen verwechseln, stellte Tiva fest. Das lag nicht etwa an der Haarlänge, die Haare der Jungen waren oft fast genauso lang wie die der Mädchen, nein, es war eher die Art, wie sie sich bewegte. Sie saß genauso lässig auf ihrem Pferd, haute den Anderen kumpelhaft auf die Schultern und machte auch bei den kleinen Wettstreiten mit, die die Jungen sich während des Reitens lieferten. Tiva wünschte sich, auch einmal so zu sein wie sie. Selbstbewusst und mutig. Keines der Pferde trug einen Sattel, und trotzdem beugte Zija sich oft so weit zu Seite, dass man Angst bekam, sie könnte auf den zunehmend felsiger werdenden Boden stürzen.

Nach einer halben (oder auch ganzen) Ewigkeit erreichten sie endlich die ersten Bergausläufer. Die Berge waren wunderschön. Hoch, bis in die Wolken hinein, reichten ihre Spitzen. Die schon tief stehende Sonne beschien ihre felsigen Flanken und färbte sie in Rot- und Orangetönen. Es war das schönste, was Tiva in ihrem ganzen, bisherigen Leben gesehen hatte.

Sie bemerkte, dass sich alle anderen vor den Bergen verbeugten, und tat es ihnen schnell nach.

Als sie weiterritten, erklärte ihr Mava flüsternd: „Diese Berge sind unser Heiligtum. Sie haben eine eigene Seele und ein eigenes Leben. Niemand darf sie beschmutzen, oder ihre heiligen Tannenwälder verletzen, sonst bekommt er Jahrtausende alten Zorn zu spüren.“

Danach ritten sie schweigend weiter. Sie kamen durch die besagten Tannenwälder, wo, auch jetzt im Sommer, so viele Nadeln auf dem Boden lagen, dass man die Hufe der Pferde kaum hörte, und ritten an so tiefen Schluchten vorbei, dass Tiva ganz schlecht wurde.

Und während die Sonne immer weiter hinter die Berge sank, und der Weg immer steiler wurde, fielen Tiva langsam die Augen zu.

Kapitel 6

 

Kapitel 6

 

Ein harter Stoß zwischen ihre Rippen weckte Tiva plötzlich.

     „Wir sind da“, Zija stieg von ihrem Pferd. „Steig ab, und lauf uns einfach nach. Sei schön leise, außerhalb des Tals laufen nachts oft Bären oder sonstiges Getier herum.“

Tiva nickte Müde und rieb sich die Rippen. Doch dann schreckte sie auf. Getier?!, Sie glaubte sich verhört zu haben! Wenn Zija Bären als Getier bezeichnete, gab es in ihren Augen dann überhaupt so etwas wie blutrünstige Bestien? Erschauernd wickelte sie sich in ihren Umhang.

Es war stockfinster und sie konnte nur mit Mühe den Geräuschen der Schritte vor ihr folgen, geschweige denn die Anderen sehen. Als sich von hinten eine Hand auf ihre Schulter legte, sprang Tiva gefühlt einen halben Meter hoch. Die Lippen zusammengepresst, um nicht laut zu kreischen, krallte sie ihre Fingernägel in die Hand, die sie festhielt.

   „Au, verdammt, Tiva, ich bin‘s!“, fauchte Mava in ihr Ohr. „Wieso greifst du so an?!“

„Zija meinte, hier gibt es Bären und so. Ich hab mich erschrocken! Was schleichst du dich auch so an?!“

   „Verzeih“, wisperte Mava, „ich hatte nicht damit gerechnet, dass du dich so erschreckst. Ich musste weiter hinten noch was regeln. Hoffentlich hat Zija dich nicht zu grob geweckt?“

„Es ging“, gab Tiva im Flüsterton zurück und massierte sich die Rippen, „tat nur ein bisschen weh.“

   „Mhrmpf“, machte Mava und tastete sich zu Tiva vor.

Tiva hörte nur ein gemurmeltes: „aber ein bisschen muss die Kleine doch aushalten!“, dann war Ruhe.

So gut wie blind stolperte sie über die steilen, schmalen und verdammt steinigen Pfade. Ihre Hände waren schon mit Schnitten und Kratzern übersäht, so oft fiel sie hin. Hin und wieder beleuchtete ein Streifen von silbrigem Mondlicht den Weg, aber da sie sich (soweit Tiva das ertastete hatte) immer noch zwischen den Tannen befanden, kam das eher selten vor.

Als plötzlich ein Stück Pferd vor ihr auftauchte, konnte sie gerade noch rechtzeitig stoppen.

„Tiva?“, zischte es durch die Dunkelheit, „Bist du da? Ich sehe dich nämlich nicht.“ Hinter Tiva stolperte und fluchte etwas.

„Mava?“, rief Koshko kurze Zeit danach von dort, „hier sind alle vollzählig. Alles in Ordnung da vorne?“

„Koshko? Ja hier ist alles gut. Ich weiß nur grade nicht, wo Tiva ist. Tiva? Bitte sag mal was, ich kann dich nicht sehen, dein Pferd ist so schwarz.“

„Ja, hier bin ich. Ich glaube ich bin gerade fast in dein Pferd reingelaufen!“

„Gut, dann sind alle da. Wir gehen jetzt durch den Felstunnel. Passt alle auf, dass ihr euch die Köpfe nicht an irgendwelchen Felszacken stoßt, und- dies ist das Wichtigste- haltet euch an den, der vor euch läuft! Biegt niemals ab! Niemals, hört ihr alle? Es gibt Wege durch den Berg, die im Nichts, an einer Wand, einem See oder einem Ausgang irgendwo im Nirgendwo enden. Und wenn ihr an solch einer Stelle angekommen seid, findet ihr nicht mehr zurück!“ Mava klang sehr ernst. „Also: Niemals, niemals, niemals aus der Gruppe heraus abbiegen!“

Langsam zog die Prozession los. Tiva wusste nicht einmal genau, wo der Berg lag, da sie absolut nichts sehen konnte. Dann traten sie aus dem Tannenwals hervor, und sie blickte auf ein riesiges, vom Mond beschienenes Felsmassiv. Nivlo ging voran, auch wenn Tiva nicht sah, auf was er genau zusteuerte. Es war eine kleine Buschgruppe, die solange unscheinbar blieb, bis Nivlo die Hand ausstreckte, und die vermeintlichen Büsche einfach aus dem Boden zog.

Dahinter tat sich ein großes dunkles Loch im Berg auf. Wie ein Maul, dachte Tiva, gleich wird es uns auf Nimmerwiedersehen verschlingen. Langsam bekam sie einen Anflug von Angst. Es gibt Wege durch den Berg, aus denen findet man nie wieder heraus. Die Worte echoten in ihrem Kopf, setzten sich an allen noch denkenden Teilen ihres Hirns fest, und verklebten diese mit Angst.

Trotzdem lief sie weiter. Trat durch das Felsenmaul. Dunkelheit verschluckte sie.

Tiva fühlte sich, als wären ihre Augen nun endgültig tot, herausgenommen oder mit dicken Metallplatten verschlossen.

Sie sah nichts. Keinen Pfad, nicht ihre Füße, nicht Ciron, nicht Mava vor ihr, nicht ihre Hände und auch keinen Boden. Sie sah nichts.

Panik überrollte sie, packte sie mit ihren eisigen Klauen aus Angst, wollte sie zerfleischen und zerquetschen. Sie konnte nicht weitergehen-ihre Füße waren gefesselt.

Doch das Gefühl von einem weichen, aber auch sehr knochigen Pferdekopf, der ihr ungeduldig gegen die Wange stieß, weckte sie aus ihrer Angst.

Ciron scharrte mit den Hufen. Ihm gefiel es hier offensichtlich auch nicht. Tiva hielt sich mit einer Hand in seiner Mähne fest und rief ängstlich: „Mava? Nivlo, Koshko?“ Nach kurzem Zögern fügte sie sogar noch ein: „Zija?“, hinzu.

   „Wir sind alle hier“, erscholl die mehrstimmige Antwort. „Komm, lauf dicht hinter Mava weiter!“

Zögerlich setzte Tiva einen Fuß vor den anderen. Ciron stupste sie fest in den Rücken. Der Hengst schien ungeduldig zu werden.

Tiva schloss die Augen, die eine Hand fest in Cirons Mähne, die andere tastend nach Mava ausgestreckt. Diese bemerkte es, und griff nach ihr. Die Ältere hielt sie fest und sicher an der Hand, und Tiva wurde gleich weniger ängstlich zumute.

Der Marsch durch die Dunkelheit dauerte, so schien es Tiva, Wochen. Der Gang wurde an manchen Stellen so schmal, dass sie befürchtete, die Gruppe sei vom Weg abgekommen, und sie müssten nun auf Ewigkeit durch diese Dunkelheit irren.

Als sie endlich am Ende des Ganges Mondlicht erspähten, schlugen alle Herzen höher.

„Mánalinh“, wisperte Zija feierlich. „Das heilige Tal. Der Ursprung des Lebens. Der Quell allen Seins.

Seltsamer Weise, war es hier so hell, dass man fast alles erkennen konnte, obwohl der Mond nicht übermäßig hell zu scheinen schien.

Tiva blickte in ein wunderschönes Tal hinab. Es war so groß, dass sie es nicht einmal von diesem erhöhten Punkt ganz überblicken konnte.

Grüne Hänge, gesäumt von Weiden, Birken und Buchen. Wasserfälle, Flüsse und glitzernde Seen, und ringsherum die Felswände der umliegenden Berge. In der Ferne glaubte sie einen großen Wald zu erkennen, aber sie konnte sich in diesem Halbdunkel auch irren. Das Sternenlicht spiegelte sich in den silbrigen Seen, die überall im Tal verteilt lagen. Auch wenn es eigentlich kitschig hätte sein sollen, war es das nicht. Es war einfach nur wunderschön.

So hatte sich Tiva immer Rivendell, oder Bruchtal vorgestellt, das Tal der Elben.

An einem der Seen, nah einem lichten Birkenwäldchen standen-soweit Tiva es erkennen konnte-einige kleine Häuser. Soweit sie sah, hatten sie viele Säulen, Torbögen und Ranken an allen möglichen Stellen. Am liebsten hätte sie die Arme ausgebreitet und wäre den Hügel hinunter gerannt, nur um eins dieser Häuser aus der Nähe zu sehen. Allerdings war sie dafür zu müde.

Erschöpft sank sie in sich zusammen. Die Anstrengung des Tages war etwas zu viel gewesen. Erst die Hitze, dann Mavas Verletzung, dann die Soldatenwarnung, der überstürzte Aufbruch, der steile Weg hierher, der enge Tunnel…

Tiva war fix und fertig. Alle anderen ließen sich neben sie ins Gras fallen, schlossen die Augen und begannen eine zarte Melodie zu summen. Nivlo zog eine kleine, handgeschnitzte Flöte hervor und spielte eine andere Melodie dazu.

Es klang so wunderschön, aber zugleich auch so traurig, dass Tiva einfach nicht anders konnte; sie weinte.

Damit entließ sie auch alles andere, was ihr zu schaffen machte. Die Angst aus dem Gang, die Angst und den Hass auf ihren Vater, der sie so oft geschlagen hatte, als wäre sie ein ungezogener Hund. Mit diesen Tränen nahm sie ihr neues Leben an, egal wie es werden würde.

Plötzlich wusste sie ganz genau, dass sie hierher gehörte.

Mit den schönen und schlimmen Seiten dieser Welt.

Kapitel 7

 

Kapitel 7

 

Tiva erwachte inmitten von saftig hohem Gras neben einem kleinen Bach. Ein schwarzer Pferdekopf graste in der Nähe. Sie lächelte, als Ciron ungestüm eine Fliege von seinem Auge verscheuchte.

Vorsichtig stand sie auf und sah sich im Hellen um.

Flüsse und Bäche, Wasserfälle, Bäume, weite Wiesen. Die Häuser sahen noch schöner aus, als vermutet. In natürlichen Grün-, Blau-, Gelb- und Brauntönen standen sie am Fuß des Hügels. Viele waren Baumhäuser, oder so aus Naturmaterial gebaut, dass man sie auf den ersten Blick nicht von den Bäumen und Büschen ringsherum unterscheiden konnte.

Die Wasserfälle glitzerten im Morgenlicht und ihr Rauschen erfüllte das gesamte Tal. Bis auf dies und ein paar Vögel war es vollkommen still.

Tiva setzte sich wieder zurück ins taufeuchte Gras, schloss die Augen und ließ sich die Sonne aufs Gesicht scheinen. Sie war eins mit der Erde, dem Wasser und der Luft um sie herum.

Als sie die Augen wieder öffnete, war die Sonne ein Stück weiter in den blauen Himmel gestiegen und es war wärmer geworden.

Tiva wusch sich das Gesicht im Bach, was herrlich erfrischend war. Als ihr Blick danach auf ihre Hände fiel, wunderte sie sich. Die Handflächen und die Finger waren von einem silbernen Schimmer überzogen. Sie wischte sich ungläubig über die Augen, aber als sie sie danach wieder öffnete, waren ihre Hände scheinbar noch glänzender geworden.

Ihr Hirn zermarternd, was das sein könnte, stand sie auf. Da fiel ihr etwas ein. Sie tat es erst als kompletten Unsinn ab, dachte dann allerdings noch einmal darüber nach. Könnten es tatsächlich ihre Tränen gewesen sein? Hatten sie sich über Nacht zu einem Silberglanz entwickelt, der nun Gesicht und Haare bedeckte?

Tiva wusch alles im Bach ab, woraufhin dieser nun mit einigen Silberschlieren bestückt war.

Als sie ihre Hände abermals ins kühle Wasser tauchte, hatte sie plötzlich eine tränenförmige Silberperle in der Hand. Verwundert steckte sie diese in ihre Tasche, und wartete, bis das Wasser des Baches wieder klar und nicht mehr silbern war. Dann trank sie einige Schlucke und machte sich auf die Suche nach Mava.

Sie fand sie auf einem kleinen Felsen sitzend, wo sie gerade ihre Stichwunde von Vortag verband. Diesmal allerdings mit Blättern und Gräsern, anstatt von Magie.

Mava schaute auf und sah Tiva entgeistert an.

„Deine Haare! Sie sehen aus, als hättest du sie mit Silberstaub abgepudert!“

„Ach immer noch? Ich dachte, Ich hätte alles abgewaschen.“

„Abwaschen?!“ Der Silberstaub ist das größte Geschenk, das dir das Tal hier machen könnte!“

„Was bedeutet er denn?“

Also… Ich hatte doch gesagt, dass die Berge hier irgendwie leben.“, sie patschte eine grüne Kräutersalbe auf ihr Bein. „Und einer alten Legende nach, können sie einer Person, wohlgemerkt einer, ein Geschenk machen. Ich glaube, dieses Geschenk macht einen Körperlich und geistig stärker. Also vermute ich, dass du von nun an besser fechten und reiten können wirst, aber vermutlich auch in der Magie große Fortschritte machst. Außerdem sollten all deine Verletzungen schneller heilen.“

„Aber warum ich? Ich bin nicht besonders, ich habe keine blauen Haare, keine vier Arme oder fünf Beine! Wieso ich?“

„Ich glaube nicht, dass das Gebirge irren würde. Es ist über tausend Jahre alt und du bist und bleibst die einzige Person, denen sie in dieser langen Zeit ihr Geschenk vermacht haben.“

„Vielleicht ist das Gebirge ein wenig senil geworden?“, Tiva lachte trocken.

„Mach darüber mal keine Witze. Sei einfach froh, dass du dieses Geschenk bekommen hast. Jeder aus dem Stamm würde liebend gern mit dir tauschen!“

Tiva verkniff sich eine Antwort, und sagte stattdessen: „Ich habe hier eine Perle aus dem Fluss gefischt. Was bedeutet die?“

Trag sie immer an einer Kette um deinen Hals. Sie ist wie ein kleiner Schutz. Sie verhindert, glaubt man den Legenden, zum Beispiel, dass jemand in dein Gehirn eindringt und deinen Willen unterwirft. Außerdem trägt sie auch zur Heilung von Verletzungen bei. Beweg mal deinen Arm!“

Tiva tat wie geheißen, und konnte keine Schmerzen fühlen. Sie ließ den Arm kreisen, machte schnelle Bewegungen: Nichts.

„Es tut nicht mehr weh!“, rief sie Mava lachend zu. „Ich glaube, er ist gesund!“

In diesem Moment hörten sie Kinderlachen. Und da kamen sie. Der restliche Stamm kam durch die schmale Öffnung und lief den Hang hinunter.

„Du hast dich aber ein bisschen verschätzt“, sagte Tiva zu Mava, „Meintest du nicht, sie sollten heute Nacht da sein?“

Mava grinste. „Da hab ich mich wohl ein wenig verschätzt!“

Dann fingen beide an zu lachen. Tiva dachte noch, dass sie eigentlich vollkommen sinnlos lachten, doch dann konnte auch sie nicht mehr aufhören.

Sie lachten und lachten und lachten solange, bis sie vor Bauchschmerzen nur noch japsen konnten.

***

Den restlichen Tag verbrachten sie damit, die Wägen abzuladen und alles ins Tal zu tragen.

Tiva hatte im Tunnel immer noch Angst, allerdings war es dort tagsüber ein wenig heller und außerdem erklangen von überall fröhliche Rufe, Melodien oder Pfiffe.

   „Sieh!“, rief Mava glücklich, „sie begrüßen die Berge mit ihrem Gesang!“ Lachend lief sie einer Schar Mädchen hinterher, nahm ihnen Matte und Zeltstäbe ab, und lief leichtfüßig wie ein junges Reh die Hänge hinunter.

Tiva schien es, als wäre eine Last von allen Menschen abgefallen, als sie das Tal betraten. Durch das Geschenk der Berge erhielt sie ein paar neugierige Blicke, aber die meisten nahmen es einfach als selbstverständlich. Ihr Arm war vollständig geheilt und sie fühlte sich doppelt so stark wie zuvor.

Den ganzen Tag lachte, lief, schleppte und sang sie. Auch wenn sie die Texte nicht kannte, stimmte sie in die Lieder der Kinder ein, summte bei den Frauen mit oder brummte zusammen mit den Männern, die die Zelte aufstellten.

Das Tal, so merkte sie bald, tat allen gut. Den Pferden genauso wie den wenigen Schafen, Hühnern, Ziegen und Kühen. Die Kinder rannten lachend herum, spielten fangen, neckten sich und waren einfach froh. Tiva hatte noch nie so schnelle, geschickte und mutige Kinder von ungefähr fünf bis acht Jahren gesehen. Die älteren halfen beim Abladen der Karren oder beim Kochen des Essens, für diejenigen, die die Karren abluden.

„Wer schläft eigentlich in den Häusern?“, fragte Tiva in einer kurzen Verschnaufpause Mava.

„Alle die wollen. Überwiegend Familien mit vielen Kindern, aber die Ältesten nehmen auch lieber Häuser als Zelte. Die meisten Baumhäuser sind allerdings einfach zum Zurückziehen und entspannen.“ Mava grinste. „Außerdem gibt es auch hin und wieder einige Paare, die auch gerne mal ungestört sein wollen“ Tiva grinste. „Du und Nivlo beispielsweise?“, neckte sie.

„Was?! Nein! Wir sind doch kein Paar!“ Sie wurde rot. „Er mag mich ja nicht mal. Obwohl ich mich natürlich freuen würde, Äh, ich meine, obwohl das wohl auf Gegenseitigkeit beruht, weil ich ihn auch mag, Äh natürlich nicht mag!

Mit hochrotem Kopf lief sie wieder zurück zu dem Wagen, den sie gerade ablud.

Nach getaner Arbeit saßen die gesamten Stammesmitglieder zusammen am Feuer, sangen, aßen, tranken und erzählten sich Geschichten.

„Nein, nein“, raunte Nivlo den Kindern gerade zu, als Mava und Tiva dazukamen, „Hier gibt es keine Wildschweine. Nur ganz gemeine Drachen, mit spitzen Riesenzähnen und Krallen, die so lang sind wie eure Beine!“ Die ganz kleinen sahen etwas verängstigt aus, doch zwei Kinder, augenscheinlich Zwillinge, standen entschlossen auf. Es waren ein Mädchen und ein Junge, etwa sechs oder sieben Jahre alt.

„Na gut Nivlo“, sagte das Mädchen, „Dann zeig uns doch mal so einen Drachen! Mit dem werde ich mit einer Hand fertig!“ Ihr Bruder nickte bekräftigend und machte ein finsteres Gesicht. Nivlo lachte. „Ich bin mir sicher, dass du mit allen Drachen der Welt fertig wirst, Senara! Du brauchst nur in den Wald zu gehen! Dort gibt es Drachen ohne Ende!“

Tiva kicherte und holte sich eine Portion Kartoffelsuppe.

   „Tja“, schmunzelte Mava, „Das sind die Zwillinge, die dem Stamm am meisten zu schaffen machen. Senara und Pino machen eine ganze Menge Unsinn, einfach weil es ihnen Spaß macht. Die beiden werden mal erstklassige Kämpfer sein, Senara will schon nächstes Jahr die erste Prüfung machen. Ich bezweifle nicht, dass sie das schaffen würde, aber ich bezweifle, ob sie zugelassen wird. Dann dürfte sie nämlich mit, wenn jemand zu einem der Wachposten reitet, und ich glaube, dass sie da eine Menge Unsinn anstellen könnte.“ Sie steckte sich einen Löffel dampfender Suppe in den Mund. „Pino ist nicht ganz so schlimm, er ist ein guter Kämpfer, aber nicht so angriffslustig, und macht auch keine dämlichen Streiche mit.“

Tiva holte sich drei Mal nach, da die Suppe einfach zu lecker war. Beim dritten Mal bekam sie einen scharfen Blick von der Köchin, also ließ sie ein viertes Mal. Auch wenn es einfach so lecker war!

Als das Feuer verglommen war, gingen Mava und Tiva zurück zum Zelt. Mava öffnete oben in der Zeltdecke eine Klappe, sodass man im Liegen genau in den Sternenhimmel schauen konnte.

„Morgen musst du Bargad zeigen, dass du stärker geworden bist! Wie wäre es, wenn du auch einige Treffer landen könntest, oder ihn sogar in den Staub schicken würdest?“

„Oh das wäre schön.“ Tiva zog sich ihre Decke über die Füße. „Vielleicht kann ich ihm endlich die vielen blauen Flecken heimzahlen!“

Aber Mava hörte sie nicht; sie war schon eingeschlafen.

Kapitel 8

 

Kapitel 8

 

Ein wunderschöner klarer Morgen brach an.

Es dämmerte gerade erst, als Mava Tiva weckte. „Komm, steh‘ auf, Zija und ich wollen dir etwas ganz besonderes zeigen!“

Tiva rieb sich die Müdigkeit vom Gesicht und stand auf.

„Zieh keine Schuhe an. Das Gefühl barfuß am frühen Morgen über feuchtes Gras zu laufen ist wunderschön.“ Mava schlug die Zeltplane zurück. Zija saß vor dem Zelt auf einem der kleinen Felsen und wartete.

Sie liefen über die Grasflächen (die tatsächlich sehr schön unter den Füßen waren) bis zu einem dünnen Spalt in der Felswand. Zija war schon vor gelaufen und stand wartend am Eingang.

   „Komm“, flüsterte sie, „wir zeigen dir das Heiligtum unseres Stammes!“

Sie wandte sich um und trat in den Spalt. Mava gab Tiva einen kleinen Schubs, sodass sie hinterherstolperte. Es war schon wieder ein entsetzlich dunkler Gang, und Tiva wollte gerade protestieren, und sagen, dass sie sich nicht verlaufen wolle, und deshalb schleunigst umdrehen wollen würde, als sie in eine große Grotte hinaustraten.

Im ersten Moment starrte Tiva nur die Umrisse eines riesenhaften Steins an, der in der Mitte aus dem Boden zu wachsen schien, doch dann riss sie ihre Augen weit auf.

Denn genau in diesem Moment fiel ein Sonnenstrahl durch irgendein Loch in der Grottendecke genau auf den Stein. Dieser Leuchtete in einem silbernen Licht auf, so schön, wie Tiva es noch nie zuvor gesehen hatte. Er strahlte durch die gesamte Grotte und erfüllte jeden noch so kleinen Winkel mit Licht.

Mava und Zija verneigten sich vor dem Stein und Tiva tat es ihnen nach.

   „Der Munawi. Nach ihm ist unser Stamm benannt. Er ist das Leben dieses Tals, der Ursprung von Allem, was du hier in diesem Tal sehen und finden wirst. Es gibt noch mehr dieser Höhlen, und die Steine sind das Leben des Gebirges. Sie haben darüber entschieden, dass du die Gabe erhältst. Dieses Schauspiel kann man nur in den frühen Morgenstunden sehen, wenn die Sonne genau in der Höhe des Lichtschachts ist.“

Tiva starrte fasziniert den Kristall an, dessen Leuchten nun Langsam schwächer wurde, das die Sonne nicht mehr genau auf den kleinen Schachtausgang gerichtet war.

„Das, und der Sonnenuntergang, den wir auf dem Ritt hierher gesehen haben, sind die schönsten Dinge, die ich jemals gesehen habe“, seufzte Tiva.

Sie standen noch eine Weile schweigend da, bis das Leuchten ganz verschwunden war, dann verbeugten sie sich noch einmal und gingen, ebenfalls schweigend, zurück zu ihren Zelten.

Tiva blieb allerdings nicht lange dort. Nach einem kurzen Frühstück machte sie sich auf die Suche nach Nainui, die zusammen mit den anderen Pferden im Tal herumlief. Sie fand sie und ritt mit ihr zum Wald, da sie diesen von nahem betrachten wollte. Die Bäume waren viel höher und dicker als die in der anderen Welt, auch schien es, als ob es viel mehr Baumarten geben würde. Sie kletterte auf eine dicke Buche (dies waren schon immer ihre Lieblingsbäume gewesen), schloss die Augen und erinnerte sich an das wunderbare Leuchten des Kristals.

Nainui stellte sich zwischen die Wurzeln und schien zu dösen.

Lange Zeit saß Tiva dort oben und schaute der Sonne zu, die langsam ihren Weg hoch über den Wolken abschritt. Lange Zeit…

Tivas Uhr zufolge war es ungefähr vier Uhr, als sie vom Baum kletterte. Sie war ziemlich hungrig, deshalb ging sie, nachdem sie Nainui wieder zum Rest der Herde gebracht hatte, zum Küchenzelt und schaute, was es zum Mittag gegeben hatte. Sie ließ sich eine Schale Suppe geben, setzte sich auf den Boden, und wartete darauf, dass ein bekanntes Gesicht vorbeikam.

Kurze Zeit später lief auch tatsächlich Mava vorbei, die sie nur bemerkte, weil Tiva einmal laut pfiff.

   „Ach hier bist du! Komm, wir wollen doch Bargad zeigen, wer hier der Stärkere ist!“ Sie liefen zum Kampfplatz, der im Tal viel größer und vielseitiger war als in der Steppe, und suchten Bargad. Er kämpfte gerade mit einem Jungen, der sich bei näherer Betrachtung als Nivlo herausstellte. Nachdem er von Bargad zu Boden geschickt worden war, entdeckte er die beiden Mädchen.

„Oh, Svitcia und Silberhaar!“

   „Nenn uns bei unseren richtigen Namen, Nivlo, ich bin nicht deine Svitcia und Tiva ist einfach nur Tiva!“

„Aber wieso denn nicht, Mava? Ich mag dich, und du magst mich doch auch!“

Mava wurde erdbeerrot und sagte: Lass uns das ein anderes Mal bereden. Wir sind nicht hier her gekommen, um uns dämliches Geschwafel anzuhören!“

„Er mag dich!“, stichelte Tiva, „letztens sagtest du, er würde dich nicht mögen! Du bist und bleibst eine Lügnerin, Mareleiva!“

Mava verzog das Gesicht. „Bitte nenn‘ mich nicht so. Und jetzt zeig’s Bargad endlich!“

„Nicht so voreilig!“, grinste Bargad, „Was soll die Kleine hier mir zeigen?“ Damit stellte er sich breitbeinig auf die Kampffläche und wartete siegessicher auf Tiva.

„Mava?“, fragte Nivlo vorsichtig, „kämpfst du wenigstens mit mir?“

   „Wenn’s unbedingt sein muss…“, seufzte diese.

Tiva trat auf die abgetrennte Grasfläche auf der Bargad schon wartete, auf der Fläche daneben taten es ihr Mava und Nivlo gleich.

Sie holten sich Holzwaffen vom breitstehenden Waffenständer und legten los.

Mavas Holzmesser wirbelte so rasch durch die Luft, dass Nivlo mit seinem Holzdolch kaum hinterher kam. Tiva und Bargad kämpften mit hölzernen Schwertern, die Bargad vor mehr als drei Jahren aus einem Eichenast gefertigt hatte. Dies alles erzählte er ihr, während er schwierige Stiche und Schläge gegen Tiva ausführte. Tiva fragte sich, wo er die Konzentration dafür hernahm.

„Daran erkennt man Qualität!“, rief er ihr während eines Angriffs ihrerseits zu, „Mehr als Hundert Übungskämpfe, und die halten immer noch!“

   „Schön!“, keuchte Tiva, während sie versuchte eine Finte gegen Bargads Arm auszuführen. Da hatte sie plötzlich eine Idee. Sie änderte ihre Taktik, wehrte Bargads Angriffe nur noch halbherzig ab, sodass dieser sich siegesgewiss auf sie Stürzte. Doch Tiva riss das Schwert hoch, parierte den Angriff und schickte Bargad mit einem pfeilschnellen Schlag gegen sein Knie in die Wiese. Fluchend rappelte er sich wieder auf.

„He, was sollte das denn?! Du kannst mich doch nicht einfach so umlegen!“

Dann lachte er. „Mava und Tiva, an euch sind wirklich ein paar Jungs verloren gegangen! Ach nein, nicht nur an euch, diese Zija ist gehört auch noch dazu!“

   „Wieso“, fragte Mava herausfordernd, „sollten wir Jungen sein? Was spricht gegen starke Mädchen?“

„Ja, du hast recht“, gab Bargad nach. „Ihr drei seid einfach starke Mädchen. Aber als Jungen währt ihr auch nicht schlecht.“

„Mhrmpf“, antwortete Mava und schickte dem abgelenkten Nivlo einen schnellen Schlag in den Bauch. Kurz darauf waren die beiden wieder ein einziges Gewirr aus Messern, Armen und Beinen.

Da kam aus Richtung der Zelte ein Junge auf sie zugeeilt. Er trug einen Korb mit Äpfeln auf der Schulter, sein Gesicht war hochrot und er stammelte: „Sol- Sol- Soldaten! Soldaten durchkämmen die Ber- Ber- Ber- Berghänge!“

   „Nein!“, Bargads Gesicht wechselte von einer Sekunde von freundlich zu zornig. „Wie können sie, mit ihren dreckigen Mäulern, es nur wagen, hierher zu kommen, und unsere Heiligen Berge mit ihrer Anwesenheit zu besudeln?!“

„Wir gehen zum Häuptlingshaus!“, entschied Mava, die bei der Nachricht seltsam weiß im Gesicht geworden war, „Vielleicht kann uns Dhálan Nái sagen, was wir tun können. Kommt!“

Sie liefen so schnell sie konnten zu einem der Häuser, unten im Tal. Davor hatten sich schon einige Leute versammelt, die sich, als Dhálan Nái ins Freie trat, ehrfurchtsvoll verbeugten.

Dhálan Nái gebot mit erhobener Hand Ruhe und begann sofort zu sprechen.

   „Die Soldaten werden uns hier höchstwahrscheinlich nicht finden. Wir werden trotzdem Vorsichtsmaßnahmen treffen und den Gang versperren. Es wird viel Arbeit werden, da es nach einem Natürlichen Felssturz aussehen muss. Sie dürfen nicht auf die Idee kommen, hier Menschen finden zu können.“

Bargad schaute immer noch sehr wütend.

   „Und nein, falls dies deine Frage sein sollte, Bargad, wir werden nicht nach draußen und ins Verderben reiten. Wir werden nicht kämpfen. Zumindest noch nicht.“

Kapitel 9

Kapitel 9

 

Die nächsten Tage verliefen sehr bedrückt. Alle, die kräftig genug waren, verstopften den Tunnel mit Steinbrocken, was wirklich eine sehr mühselige Arbeit war, da es natürlich aussehen musste.

Allen Kindern wurde eingeschärft, ja nicht zu laut zu spielen, da alle Angst hatten, man könnte sie hören. Das fröhliche Singen und Pfeifen der ersten Tage konnte man nicht mehr finden. Selbst bei den Kindern sah man nur noch selten ein Lächeln. Alle Heiterkeit war verschwunden. Auch Tiva fühlte sich niedergeschlagen und fragte sich des Öfteren, wie schrecklich die Soldaten wohl sein mussten, das der ganze Stamm so entsetzlich Angst vor ihnen hatte. Zweimal, seit der Nachricht war sie bei Sonnenaufgang zum Kristall gegangen, beide Male hatte sie etwas Hoffnung schöpfen können. Aber obwohl ihr Arm heil, und sie sonst auch bei vollen Kräften war, konnte sie sich nicht recht freuen. Mava ging es ähnlich.

Manchmal, wenn die beiden durchs Lager streiften, sahen sie Bargad, der die Hände vor die Stirn geschlagen auf einem Stein saß. Nicht selten hörten die beiden so etwas wie: „Sie dürfen aber einfach nicht in unseren Bergen sein! Wir müssen sie vernichten!“ Er tat ihnen Leid. Tivas Ausbildung wurde auch erstmal nicht fortgesetzt, worüber sie fast ein wenig traurig war, da sie gerade Gefallen daran gefunden hatte. Sieben Tage nach der Botschaft stellte Dhálan Nái einen Kundschaftstrupp auf. Es sollte herausgefunden werden, ob die Soldaten noch da waren, und wenn ja, wo sie sich befanden. Tiva, Mava, Bargad, Nivlo, Koshko, Nivin, Amil und Silos wurden dazu ausgewählt. Da der Gang nun versperrt war, mussten sie einen der winzigen Nebentunnel nehmen. Nivin führte sie zum Bestgelegensten. „Ihr dürft keine Panik bekommen!“, schärfte sie allen ein, „Natürlich, es ist eng dadrin, aber wir haben teilweise unsere Essensvorräte hierdurch bekommen und die Leute, die die gebracht haben sind auch nie stecken geblieben. Und ich muss sagen, manche von denen waren wirklich nicht die Dünnsten!“

Dann krochen sie ins Dunkel hinab. Tiva war inzwischen schon etwas geübter in der Magie, und so ließ sie eine kleine Lichtkugel aufsteigen, die den Tunnel notdürftig ausleuchtete. Es war wirklich unglaublich eng. Sie mussten auf allen Vieren gehen und manchmal sogar auf dem Bauch kriechen. Tiva war nicht ganz wohl zumute, zeigte dies jedoch mit keiner Regung. Als sie endlich einzelne Lichtpunkte an den Wänden sahen, wurden alle ganz still, aus Angst, dass dort jemand sein könnte. Vorsichtig schaute Nivin aus dem Ausgang.

„Nur Büsche, sonst nichts“, flüsterte sie.

Langsam und leise schoben sie sich aus dem engen Fels Loch.

„Zweiergruppen“, zischte Nivin, „wenn die Sonne am höchsten Punkt steht, treffen wir uns wieder hier! Bargad, denk daran, wir sind zum Kundschaften hier, nicht zum Kämpfen! Mava und Tiva brachen gemeinsam auf, so wie auch Bargad und Silos, Nivlo und Koshko, und Amil und Nivin. Jede Gruppe bekam ein Stück zugewiesen, welches sie absuchen sollte.

Bevor Mava und Tiva aufbrachen, zogen sie sich noch braune Kapuzen über die Haare und grüne Tücher vor die Gesichter. Dann schlichen sie durch die Büsche den Berg hinunter.

Unten war ein befestigter Weg, an dessen Rand sie sich erst einmal kauerten.

„Sie verschandeln unsere Berge!“, Mava verzog das Gesicht, „Diesen Weg gab es bis vor kurzem nicht!

Das ist Frevel! Ich frage mich nur, wie sie es in so kurzer Zeit geschafft haben, einen so guten Weg anzulegen.“

Nach ein paar Minuten hörten sie Hufschläge von vielen Pferden den Berg hinauf kommen.

   „Mist!“, schimpfte Mava, „Ich hatte Gehofft, sie würden nicht auf der Seite des Bergs sein!“

Es waren ungefähr zwanzig Soldaten, die in eisernen, Rüstungen auf ebenso gepanzerten Pferden saßen. Die Rüstungen waren schwarz, ebenso wie die Pferde. Es waren nur Rappen, kein einziger Brauner oder Schimmel.

   „Was wollen die denn mit der Panzerung?“, Tiva runzelte die Stirn, „erwarten die einen Großangriff?“

„Ich weiß nicht. Vielleicht haben sie Angst vor unserem Stamm?“

Die beiden Mädchen kauerten sich, dicht an den Boden gedrückt, hinter einige spärliche Büsche. Der Weg führte direkt daran vorbei.

Als die Soldaten nah genug waren, hörten die Mädchen: „Ar Nakra! Se Lorken ir Naogod!“

„Nefre, se nirta Vrien ze!“

„Zu blöd!“, schimpfte Tiva, so leise sie konnte, „Sie sprechen eine andere Sprache!“

Mava nickte nur grimmig und legte warnend einen Finger auf die Lippen. In dem Moment hörten sie hinter sich ein Geräusch. Es war ein leises Tacken, wie von zwei Steinen aufeinander. Mava hob lauschend den Kopf. Tiva drückte sie schnell wieder zu Boden, da die Soldaten nun sehr nahe waren.

„Das ist ein Signal!“, zischte Mava aus dem Mundwinkel, „Es heißt so viel wie: Ich gehöre zu euch; nicht

erschrecken!“

Zehn Sekunden später kam Zija neben sie gekrochen. Sie presste sich auf den Boden und machte eine Handbewegung, die wie ‚gleich‘ aussah. Die Soldaten ritten in dem Moment genau am Versteck vorbei, so lagen die drei, flach auf den Boden gepresst, ganz still da. Tiva glaubte, dass ihr Atem und ihr rasendes Herz sie gleich verraten würden, aber die Soldaten ritten zügig vorüber, sodass sie sich langsam wieder entspannte.

Als sie außer Hörweite waren, fragte Mava: „Nun Zija? Woher bist du denn noch gekommen?“

„Dhálan Nái hat sich erinnert, dass ich auch noch da bin“, sie grinste. „Und dann hat sie beschlossen, dass sie mich euch noch hinterher schickt. Am Ausgang von diesem dämlichen Tunnel habe ich nach Tivas Fußabdrücken gesucht. Du hast ja so komische Schuhe, und da ich ganz gut im Fährtenlesen bin, hab ich den Weg recht gut gefunden. Keine Angst“, fügte sie auf Mavas Gesichtsausdruck hinzu, „Außer mir wird keiner euren Spuren Folgen können. Denn erstens sind Soldaten lausige Fährtenleser, und zweitens wird niemand, wenn er deine Schuhe sieht, an Schuhe denken, dazu sind sie zu komisch.“

Mava nickte nur knapp und sagte dann: „Wir müssen sie verfolgen, um ihr Lager rauszufinden.“

   „Was?!“, Tiva runzelte die Stirn, „Aber die sind doch schon vor einiger Zeit hier vorbeigekommen, außerdem hatten die Pferde!“

„Ja schon, aber wir kennen die Berge viel besser. Wir können Abkürzungen nehmen und so viel schneller sein“, Zija stand auf, „Kommt jetzt, sonst behält Tiva doch noch recht!“

Querfeldein liefen sie los, geduckt, immer hinter Büschen oder Bäumen verborgen. Nach kurzer Zeit hatten sie den Trupp eingeholt, welcher in langsamen Schritt den Berg hinaufzog. Die Mädchen hielten sich ungefähr zehn Meter hinter den Soldaten.

Der Weg führte Bergauf, bis zu einem großen Wiesenplateau. Dort oben erstreckte sich ein Zeltlager, welches mindestens ebenso groß war, wie das des Stammes. Wenn nicht sogar größer.

Mava zog scharf Luft ein. „Nun, darüber dürfte Dhálan Nái nicht gerade erfreut sein“, stellte sie grimmig fest. „Das sieht aus, als würden sie sich auf einen Angriff vorbereiten.“ Sie drehte sich um. „Kommt! Wir haben erstmal genug gesehen. Die Sonne steht schon fast am höchsten Punkt, und das wird knapp, wenn wir uns nicht beeilen.“

Vorsichtig, sich in den Büschen haltend, liefen sie zurück. Am Tunnel angekommen, warteten dort schon Nivin und Amil. Von den Anderen war keine Spur zu sehen.

   „Habt ihr was herausgefunden?“, begrüßte sie Nivin.

„Ja“, Mava strich sich ein widerspenstiges Haar hinters Ohr. „Wir haben ungefähr zwanzig Soldaten gesehen und sin ihnen bis zu ihrem Lager gefolgt. Es liegt auf diesem großen Wiesenplateau, du weißt schon, da drüben“, sie machte eine ungenaue Handbewegung. Es ist riesig. Sollten die uns angreifen, werden wir wohl kaum eine Chance haben. Was habt ihr rausgefunden?“

„Nichts“, Amil runzelte die Stirn, „wir haben unser ganzes Gebiet durchkämmt, aber da war nichts. Allerdings wird sich Dhálan Nái über eure Nachricht freuen. Oder auch nicht, nachdem was ihr berichtet habt. Wenigstens wissen wir jetzt ein wenig mehr über den Aufenthaltsort der Soldaten.“

Kurz darauf kamen auch Nivlo und Koshko den Berg hinauf.

   „Wir haben nichts gesehen“, keuchte Koshko, „Aber Entschuldigung, dass wir zu spät gekommen sind:“

„Macht nichts. Was habt ihr denn gemacht, dass ihr so außer Atem seid?“

   „Wir sind hergerannt, weil wir dachten, wir würden Ärger bekommen, wenn wir zu spät kommen“, Nivlo verzog das Gesicht. „Da das ja scheinbar nicht so ist, hätten wir ja auch langsam gehen können!“

„So?“, fragte Nivin erstaunt, „Ich kann natürlich gerne mit euch schimpfen, wenn euch das lieber wäre!“

„So war das nun auch wieder nicht gemeint“, grummelte Nivlo.

Sie warteten, aber Silos und Bargad fanden sich nicht wieder ein. Tiva kam es vor, auch wenn sie es sich nicht erklären konnte, als würde Amil mit jeder verstreichenden Minute nervöser und nervöser werden.

Die Sonne schlich über den Himmel, es war heiß, sie saßen da und warteten, aber niemand kam. Als die Sonne schon wieder die Spitzen der Berge berührte, brach Nivin das Schweigen, welches sich unter den Wartenden breit gemacht hatte.

   „Lasst uns gehen. Wenn die beiden bis morgen früh nicht aufgetaucht sind, werden wir sie suchen gehen. Es nützt nichts, wenn wir hier herumsitzen und warten.“

Alle nickten zustimmend, Amil etwas zögerlicher als alle anderen, so krochen sie wieder durch den dämlichen Tunnel, wie Zija es genannt hatte.

Im Tal angekommen, ging Nivin zu Dhálan Nái, um zu berichten, die anderen setzten sich am Küchenzelt ans Lagerfeuer, und holten das verpasste Mittagessen nach.

Sie waren noch bis lange in die Nacht hinein wach, und standen am nächsten Tag sehr früh auf, doch Bargad und Silos kamen nicht wieder.

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 19.02.2019

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine Familie, Und für Lena, Lara, Jakob und Ines, meine wunderbaren Freunde

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