Prolog
Er erwartete mich schon. Ich sah ihn vor der Tür seines Hauses stehen, nur beleuchtet von einer schwachen Lampe am Fuße der Tür. Die Steine knirschten als ich auf sie trat. Ich blieb ein paar Schritte vor ihm stehen. Er lächelte mich bedrückt an. Dieses Lächeln ließ mein Herz schneller schlagen. Vielleicht wollte er sich wirklich entschuldigen. Das musste der Grund sein weshalb er mich mitten in der Nacht angerufen hatte.
Er kam mir entgegen bis wir nur noch wenige Zentimeter voneinander getrennt waren. Ich spürte seinen warmen Atem auf meinem Gesicht.
“Ich habe schon auf dich gewartet. Ich dachte schon, du kommst nicht mehr.”, murmelte er mit seiner rauen Stimme die mir immer noch Gänsehaut einjagte.
“Es dauert eben eine Weile sich fertig zu machen, wenn man um zwei Uhr Früh aufgeweckt wird”, ich lächelte ihn aufmunternd an. Er sah zu Boden, das wollte ich nicht, ich wollte seine blauen Augen sehen. Ich unterdrückte den Drang sein Kinn anzuheben, damit er mich wieder ansah.
“Was wolltest du mir so Wichtiges sagen?”, fragte ich erwartungsvoll. Er sah mich an, seine blauen Augen leuchteten in dem schwachen Licht. Plötzlich wirkte er nervös, er biss sich auf die Lippe und sah in den Wald zu unserer Rechten.
“Also, das ist etwas kompliziert.” Was soll an einer Entschuldigung schon kompliziert sein? Vielleicht war er einfach nicht in der Stimmung sich zu entschuldigen, hier draußen.
“Willst du es mir vielleicht drinnen sagen?” Sein Kopf schnellte zu mir, er sah wahrlich erschocken aus.
“Oh, nein, nein, bleiben wir lieber hier draußen!” Ich zuckte zurück. So eine Reaktion hatte ich nicht erwartet. Anscheinend merkte er meine Verwirrtheit.
“Ich meine, hier draußen ist es doch viel schöner”, nun lächelte er wieder. Er nahm mich an der Hand und zog mich Richtung Auto.
“Ähm, wohin gehen wir?”, fragte ich etwas erschrocken. Er sah nur zu mir zurück und lächelte mich an. Dies ließ mich verstummen, ich folgte ihm einfach. Er ist einfach nervös, versuchte ich mich zu beruhigen. Er hat eben seine Eigenart.
Wir ließen die Villa und sein Auto hinter uns und gingen den Weg aus den Wald entlang. Es war stockfinster hier. Man konnte gerade mal so die Hand vor Augen sehen.
Mitten auf dem Weg blieb er stehen und drehte sich zu mir. Er wirkte angespannt.
“Tut mir leid, wir gehen hier im Dunklen. Eigentlich wollte ich mit dir Wohin fahren. Es ist ein weiter Weg, wir müssen fahren. Ich weiß wirklich nicht was ich mir dabei gedacht habe. Tut mir wahnsinnig leid, Schatz”, entschuldigte er sich bei mir. Mir wurde ganz flau im Magen als er Schatz
zu mir sagte. Seine Worte allerdings bereiteten mir ein unangenehmes Gefühl.
“Ich bin gleich wieder da, okay? Warte einfach hier”, er nahm mich an den Schultern und stellte mich in die Mitte des Weges. Dann verschwand er in der Dunkelheit.
Die Geräusche des Waldes machten mir Angst. Wo war er? Hatte er mich vergessen? Nein, nein, es waren doch nur ein paar Minuten her, seit er verschwunden war. Kein Grund zur Panik. Etwas raschelte in den Blättern und ich fuhr herum. Nur ein Vogel, sagte ich mir. Ein Windzug ließ mich frösteln und ich rieb mir die Arme, ich hätte mir wirklich eine Jacke anziehen sollen.
Es raschelte wieder in den Blättern. Diesmal aber näher.
“Shane?”, rief ich unsicher in die Richtung aus der die Geräusche kamen. Vielleicht sollte ich zurückgehen und sehen ob ihm etwas passiert ist. Ich ging gerade in die Richtung des Hauses, als ich stehenblieb. Nein, du musst deine verdammte Angst loswerden. Er kommt bestimmt gleich.
Nach ein paar Minuten konnte ich es aber nicht mehr aushalten und lief zurück zum Haus. Ich wusste allerdings nicht ob ich überhaupt in die richtige Richtung lief. Dieser Gedanke ließ mich stehenbleiben.
Ich sah zurück, sollte ich lieber in diese Richtung gehen?
Ein Motorengeräusch ließ mich aufschrecken. Endlich kam er.
Das Geräusch war vor mir, also war ich in die richtige Richtung unterwegs gewesen. Ich wartete auf die Scheinwerfer, doch die blieben aus.
Das Geräusch kam näher. Etwas war falsch, sie kamen viel zu schnell näher. Ich bemerkte die dunkle Gestalt des Cabrios, das genau auf mich zusteuerte, zu spät.
Ich spürte gerade noch den Aufprall auf den Boden, alles war viel zu schnell gegangen. Ich lag bäuchlings auf dem kalten Boden. Mein ganzer Körper schmerzte, ich spürte eine warme Flüssigkeit mein Gesicht entlanglaufen. Eine Autotür schlug zu.
“Oh mein Gott, Monique”, rief eine vertraute Stimme, doch sie klang weit weg, zu weit weg. Kalte Hände berührten meine Schultern. Ein Schmerz durchschoss mich sodass ich aufstöhnte. Jemand drehte mich sanft auf den Rücken, was mich wieder aufstöhnen ließ. Meine Augenlider flatterten, selbst diese schmerzten. Ich sah nur vollkommene Dunkelheit.
Meine Haare wurden aus meinem Gesicht gestrichen und wieder berührte etwas Warmes meine Wangen, doch diesmal war es etwas anderes.
Meine Augen gewöhnten sich an die Finsternis und ich sah eine dunkle Person über mich gebeugt.
“Warum hast du nicht dort auf mich gewartet?”, Shanes Stimme wirkte tränenschwer. Es waren seine Tränen die auf mein Gesicht tropften. Ich dachte nach, sogar das Denken tat weh. Warum hatte ich nicht auf ihn gewartet? Ich wusste es nicht mehr.
Das Atmen fiel mir immer schwerer.
Warum rief er keinen Krankenwagen? Oder hatte er das schon? Wir waren beide still, nur mein unregelmäßiges Atmen zerstörte die Stille.
“Monique?”, fragte er, etwas an seiner Stimme hatte sich verändert, sie wirkte tonlos. Ich brachte nur einen Schmerzenslaut heraus, so stark waren die Schmerzen, lange hielt ich das bestimmt nicht mehr aus.
“Es tut mir leid”, seine Stimme klang schon wieder unheimlich weit weg. Was tat ihm leid?
“Was?”, brachte ich heraus, doch es war zu spät. Ich hörte seine Schritte im Gras von mir weggehen. Ich hörte ihn wieder anfangen zu sprechen, doch nicht zu mir. Ich war zu schwach um zu denken.
Ich schloss die Augen und ließ mich wegtreiben, weg in eine unbekannte Finsternis.
Sorgen
Verdattert fuhr ich herum. Ich blickte in den altbekannten Schulflur, der jetzt nur so von Schülern wimmelte, so wie jeden Morgen. Doch ich hatte mich nicht etwa umgedreht, weil ich die ganzen Teenager sehen wollte, die mich teilweise finster anfunkelten, weil ich mitten im Gang stand, sondern weil irgendjemand meinen Namen gerufen hatte.
“Hey, Shane!”, wieder rief jemand nach mir.
Ich ließ meinen Blick wieder durch den Flur gleiten, nun erblickte ich auch die Person die zu der Stimme gehörte.
Tom steuerte geradewegs auf mich zu. Ich stieß einen leisen Seufzer aus, nun wichen mir die Schüler schon bereitwilliger aus, ich sah den anderen zu wie sie ihre Klassen aufsuchten, während ich darauf wartete, dass Tom mich endlich erreichte. Als er vor mir stand, umarmte er mich sogleich stürmisch.
“Tom!”, rief ich, er wusste wie sehr ich es hasste wenn er so etwas tat. Es tat seine Wirkung, er zog sich zurück. Er sah mich mitfühlend an.
“Tut mir leid, ich meine, dass mit…”, er schluckte und sah zu Boden. Ich wusste was er meinte ohne, dass er es ausgesprochen hatte. Ich wünschte er würde sich eher für die unerwünschte Umarmung entschuldigen als für das
.
“Schon okay”, sagte ich und sah zu der roten Wand des Flurs. Ich merkte wie sich meine Gesichtsmuskeln anspannten und sich meine Augen zu Schlitzen verengten.
“Wie geht es dir?”, fragte Tom. Konnte er nicht einfach den Mund halten?
“Gut, außer dass jetzt wieder die Schule anfängt und wir in die Klasse müssen”, ich zog eine Grimasse und drehte mich demonstrativ um. Anscheinend merkte Tom, das mir nicht zum Reden zumute war und ging schweigend neben mir her. Ausgerechnet ich nahm das Gespräch wieder auf.
“In welche Klasse gehst du?”
Tom blickte mich erstaunt darüber, dass ich etwas gesagt hatte, an.
“In die 12a”, kam seine Antwort zögernd. Seine braunen Augen sahen mich erwartungsvoll an. Ich wusste welche Antwort er erwartete, oder eher erhoffte.
“Ich auch”, erklärte ich ihm und ohne ihn anzusehen wusste ich, dass er grinste.
Wir gingen an den vielen Klassenzimmertüren vorbei, jede genau prüfend, bevor man weiterging. Uns kamen viele Schüler entgegen. Einige warfen uns, besonders mir, bemitleidenswerte Blicke zu. Es dauerte eine ganze Weile bis wir die 12a fanden.
Ich zog eine Augenbraue hoch, wir waren in der hintersten Ecke des 3. Stockes? Ganz schön weit zum Gehen, aber auch gut versteckt. Tom dachte wohl dasselbe, denn er stieß einen anerkennenden Laut aus.
Er öffnete die Tür und grinste mich mit seinem schelmischen Lächeln an.
“Ladys first”
“Lass den Quatsch”, fuhr ich ihn an. Vielleicht war das wirklich ein wenig gemein von mir, doch heute hatte ich einfach keinen Kopf für seine Blödeleien, er war doch wirklich ein Kindskopf.
Tom zuckte nur die Schultern und setzte sich in die hinterste Reihe.
Es war noch niemand in der Klasse, alle Plätze waren leer. Wahrscheinlich fanden alle die Klasse nicht, bei diesem Gedanken musste ich lächeln.
Ohne ein Wort ging ich zu Tom und ließ meine Tasche neben ihn auf den Sessel gleiten. Ich hatte einfach das Gefühl ihm etwas schuldig zu sein, obwohl das völliger Blödsinn war. Aber es war auch nicht seine Schuld das er so ein Idiot war. Ich war bereit ihm zu verzeihen.
Schon nach wenigen Minuten fand der erste Schüler den Weg in die Klasse, oder besser Schülerin. Eine schlanke Blondine mit auffallend langen Beinen. Wie sie so vorbeiging, sah sie aus wie ein Model, auch ihr Gang glich dem. Ich war mit sicher sie noch nie gesehen zu haben.
Sie setzte sich in die hinterste Reihe, und zwar neben mich, direkt neben mich.
Ich musterte ihr Gesicht, sie war gebräunt was sie mit ihrem Make-up noch verstärkte, sie hatte eine lange Nase, das war der einzige Makel das mir in ihrem Gesicht auffiel, die Lippen waren voll und mit Lippenstift vollgeschmiert, ihre Augenbrauen wirkten gezupft und gepflegt, sie strich sich ihren Pony aus dem Gesicht und lächelte als sie merkte, dass ich sie anstarrte.
Ich schüttelte den Kopf und drehte mich von ihr weg zu Tom, der mich fragend (oder misstrauisch? Oder enttäuscht, verletzt, verraten?) musterte.
Mit Frauen hatte man nur Probleme, das wusste ich nur allzu gut. Ich musste nur an die letzten Monate denken…
Tom unterbrach meine Gedanken. Er hatte sich zu mir vorgebeugt und blickte der Blondine nach, die gerade das Zimmer verließ.
“Wer ist das? Kennst du die?”, flüsterte er mir zu, obwohl nur wenige Schüler im Raum waren, und auch nur in den ersten Reihen, niemand beachtete uns. Ich zuckte nur mit den Schultern um ihm klarzumachen ,dass ich keine Ahnung hatte wer das sein könnte. Tom wirkte mit dieser Art von Antwort nicht zufrieden, lehnte sich aber zurück und fragte nicht weiter.
Schließlich hatte auch der Rest Schüler die Klasse gefunden und saß nun artig auf ihren Plätzen oder rannten in der Klasse herum und machten Blödsinn. Es wunderte mich, dass Tom nicht zu denen gehörte die in der Klasse herumtollten. Er saß neben mir und machte irgendetwas mit einem Papierstück. Ich wusste, dass er nur so darauf brannte irgendwelche Geschichten zu erzählen die er in den Ferien erlebt hatte, doch er hielt sich erstaunlicherweise zurück.
Langsam begann ich mich zu fragen ob etwas mit ihm nicht stimmte, so kannte ich meinen besten Freund gar nicht. Ich blickte mich um, ob mir jemand zuhörte, jeder beschäftigte sich mit irgendetwas, niemand schenkte uns Beachtung, die Blondine war auch nicht zurückgekehrt. Ich sah stirnrunzelnd zu Tom, der sich immer noch mit einem Papierstück vergnügte. Wahrscheinlich würde ich das was ich jetzt tat, sofort bereuen, doch das schreckte mich jetzt nicht ab.
“Und, was hast du so in den Ferien gemacht?”, fragte ich ihn geradeheraus.
“Nichts besonderes”, sagte er und zuckte mit den Schultern. Okay, irgendetwas hatte er heute, vielleicht schmollte er auch nur wegen vorhin. Trotzdem, ich war es ihm schuldig, mich wenigstens nach seinem Befinden zu erkunden.
“Sag mal, geht’s dir gut? Sorry wegen vorhin an der Tür”
Er sah mich erstaunt an.
“Also, mir
geht’s schon gut”, ich erwartete das da noch mehr kam und Tom enttäuschte mich diesbezüglich auch nicht, er fuhr fort, ”Ich mach mir eben Sorgen um dich
”
Das überraschte mich, ich lehnte mich in meinem Sessel zurück. Die Frage stand mir wohl ins Gesicht geschrieben, denn Tom redete sofort weiter.
“Weißt du, ich dachte das mit, du weißt schon, hat dich ein bisschen überfordert und du, du, du trauerst eben auf deine Weise, da will ich dich nicht stören dabei. Mir geht es besser wenn ich mit jemanden darüber rede, aber du,.. bist anders als ich, du, trauerst eben alleine.”
Das überraschte mich noch mehr. Ich wusste gar nicht, dass Tom mich so gut kannte.
“Das ist nett”, brachte ich nur heraus.
“Sag einfach wenn du fertig damit bist”, ich hörte noch wie er den Stuhl zurückschob und aufstand. Ich erwiderte nichts auf seinen Kommentar, ich wartete schweigend auf den Beginn der ersten Stunde.
Aus dem Augenwinkel sah ich zwei Gestalten an der Wand stehen. Sie flüsterten irgendetwas, bei genaueren Hinhören verstand ich auch was sie da redeten, es war über mich.
“Wie heißt der dort?”, flüsterte Eine leise, doch nicht leise genug.
“Shane, Shane Glenn. Aber sprich ihn am besten nicht an, er ist etwas,… eigenartig seit….”, sie verstummte.
“Seit was? Sag schon!”, befahl die Zweite wieder.
“Naja also, seine Freundin ist erst kürzlich bei einem schrecklichen Unfall gestorben”, ich hörte wie sie Tränen unterdrückte. Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Wie konnte sie es nur wagen, darüber mit einer Fremden zu reden?!
Ich sah die beiden finster an, es war Sophie die gerade mit der Blondine redete, als ich sie ansah jedoch verstummte.
Sophie? Genau von der hätte ich es am wenigsten erwartet, dass sie so über,… wie hatte sie sie genannt? Meine Freundin
. Das sie so über sie redete. Musste mir noch einer mehr mitfühlende oder bemitleidenswerte Blicke zuwerfen?
Sophie zog ihr kleines Gesicht schuldbewusst zusammen. Ihre schmalen Lippen murmelten eine kleine Entschuldigung. Mein Blick glitt weiter zu der Blondine. Sie musterte mich mit zusammengekniffenen Augen. Ich erwiderte ihren Blick mit demselben Ausdruck.
Schließlich gab ich auf und sah weg. Ich war noch immer wütend, auf Sophie und auf mich, und auf diese verdammte Blondine die sich als etwas besseres vorkam. Was wusste sie schon? Genauso wenig wie alle anderen hier!
Ich merkte wie sich zu meiner Rechten jemand setzte. Im selben Moment läutete die nervende Schulglocke.
Tom war, wie die anderen auch aufgestanden als der Lehrer hereinkam. Die Gespräche verstummten und alle sahen ihn an.
Jeder von Ihnen dachte wohl gerade dasselbe:” Na toll, der alte grimmige Mr. Wood”
Nach einem gestammelten guten Morgen senkten wir uns alle wieder auf unsere Plätze.
Mr. Wood begann mit den vorlesen der Namen. Ich hörte nicht hin, nur als er meinen Namen nannte, zuckte ich etwas zusammen. Er las einfach weiter vor, und bei diesem Namen musste ich aufhorchen.
“Monique Torrs” Ich blickte auf, ich musste mich verhört haben! Niemand schien etwas bemerkt zu haben, auch Mr. Wood stotterte einfach weiter die Namen herunter. Mein Blick schnellte zu Tom der gelangweilt in seinem Stuhl lungerte, seinen Kopf in die Hände gelegt. Als er bemerkte, dass ich ihn ansah, blickte er mich verwirrt an.
Ich schüttelte den Kopf und sah weg. Es war unmöglich, dass Mr. Wood diesen Namen gesagt hatte.
Du drehst durch Shane, du drehst wahrhaftig durch. Aber es ist doch nicht meine Schuld, oder? Jeder würde bei so etwas durchdrehen.
Ich sah Mr. Wood an, ignorierend, dass ich den Namen meiner toten Freundin gehört hatte.
Die erste Begegnung mit dem Tod
Nach vier endlosen Stunden durften wir endlich gehen. Es war die erste Schulwoche, daher hatten wir nur vier Stunden. Wie üblich ging ich mit Tom an meiner Seite, die Treppe hinunter die in die Aula führte. Dort wimmelte es nur so von Schülern die sich eilig auf den Weg nach Hause machten.
Tom schwieg, und ich ebenfalls. Etwas bedrückte ihn, dafür kannte ich ihn gut genug. Ich sah zu ihm hinunter, er war ziemlich klein, ich sah nur sein schwarzes Haar. Er hatte den Kopf gesenkt und starrte auf seine Füße. Er wollte mich trauern lassen, wie er gesagt hatte. Aber was, wenn ich nicht trauern wollte?
Wir kamen auf dem Parkplatz an. Gerade als ich mit einer Frage begann, rief jemand hinter uns.
“Tom! Warte!”, ich kannte die weibliche Stimme, doch konnte mir keine Person dazu denken.
Tom fuhr herum und wurde auch sofort stürmisch umarmt.
“Ich habe dich den ganzen Tag gesucht!”, rief sie aufgeregt. Nun drehte ich mich endlich um. Natürlich, es war Tina, Toms Freundin. Wer auch sonst?
Sie war kleiner als er, hatte braune, kinnlange Haare und eine Sonnenbrille aufgesetzt die ihre strahlendblauen Augen verdeckte. Sie hatte beide Arme um Tom gelegt und sah ihn nun überglücklich an.
Falsche Schlange, dachte ich mir. Ich mochte sie nicht mehr. Vielleicht lag das daran, dass sie eine enorme Ähnlichkeit mit Monique hatte… Nicht schon wieder an sie denken! Ich schüttelte den Kopf, als könne ich sie so aus ihm vertreiben. Meine Bewegung machte Tina auf mich aufmerksam. Ich las in ihrem Gesicht ihre Gefühle ab, überrascht, wütend, enttäuscht,… verängstigt.
Sie räusperte sich.
“Hallo, Shane”, sie hörte sich an als würde sie gleich ersticken.
“Tina”, ich nickte ihr zu. Sie zuckte bei meiner Stimme zurück und ließ die Hände von Tom fallen.
Anscheinend hatte sie Angst vor mir. Ich lächelte böse, sollte sie die nur haben.
“Tja Tom, ich hab da… noch etwas zu erledigen. Wir…. sehen uns später?”, fragte sie Tom, mich keine Sekunde aus dem Blick lassend. Ohne eine Antwort abzuwarten drehte sie sich um und stakste davon.
“Gehen wir”, sagte ich barsch und ging zu meinem Cabrio. Ich stieg ein und wartete auf Tom. Dieser zögerte bevor er einstieg. Ich stieß die Beifahrertür auf.
“Kommst du?” Nach diesen Worten glitt Tom neben mir ins Auto.
Eine ganze Weile fuhren wir schweigend durch die Stadt. Schließlich ergriff ich wieder das Wort.
“Soll ich dich bei dir absetzen?”, fragte ich, mein Blick immer noch auf die Straße gerichtet.
“Was ist eigentlich mit dir und Angelika?”, Tom sah mich vorwurfsvoll an. Nun war ich verwirrt. Hatte ich ihn nicht gerade etwas anderes gefragt?
“Wer ist Angelika?”
“Tu nicht so als würdest du sie nicht kennen! Ich hab deine Blicke gesehen die du ihr zugeworfen hast. Ich dachte Moni bedeutet dir etwas, aber….”, er verstummte. Ich hatte Tom noch nie so wütend erlebt. Er hatte die Augen geschlossen und atmete hörbar ein und aus. Ich spannte mich an als er Moniques Spitznamen nannte. Wenn er nur wüsste! Und überhaupt, wer war diese Angelika? Etwa die große Blondine?
“Glaub mir, ich weiß wirklich nicht worüber du sprichst Tom”, ich versuchte die Wut in meiner Stimme zu unterdrücken. War sie etwa das einzige Thema worüber jeder sprechen musste? Meine Freundin?
“Ich dachte, ich wäre dein Freund!”, murmelte er leise, eher zu sich als zu mir.
“Das bist du auch, mein bester Freund” Ich hatte mich noch nie so etwas sagen hören, vor allem nicht zu Tom. Dieser wirkte genauso überrascht wie ich, wenn nicht mehr.
“Wenn, wenn da etwas mit der läuft, kannst du mir das sagen. Wirklich”
Ich schüttelte lächelnd den Kopf.
“Da läuft aber nichts. Du weißt, seit…”, ich schluckte schwer und konnte nicht weiterreden. Ich spürte wir Tom mir die Hand auf die Schulter legte.
“Okay, wenn du das sagst, glaube ich dir” Ich hielt bei seinem Haus. Er zögerte, seufzte dann aber und ging hinaus.
“Wir sehn uns morgen!”, rief er mir noch über die Schulter zu, dann verschwand er im Haus seiner Eltern.
Ich trat das Gaspedal durch, mit einem Ruck schoss der Wagen nach vorne. Endlich, endlich konnte ich der Welt die nur so von ihr handelte hinter mir lassen. Ich ließ die Häuser an mir vorbeiziehen, mein Blick starr auf die Straße gerichtet. Der Wind der durch das offene Fenster hereinkam zerwehte mein schwarzes Haar. Ich machte mir keine Mühe es aus dem Gesicht zu streichen.
Die Stadt lag hinter mir, ich war auf dem langen Weg der in das Dorf führte. Es kam mir kein einziges Auto entgegen. Auch kein Fußgänger begegnete mir. Die Straße wirkte wie ausgestorben.
Ich bildete mir ein eine Gestalt neben mir sitzen zu sehen, doch als ich zum Beifahrersitz sah, war er leer. Ich merkte wie ich langsamer wurde, war aber immer noch 40 km/h zu schnell. Vor mir tauchten die Umrisse der Häuser auf. Als ich näher kam, erschien noch etwas vor den Häusern, etwas kleineres als die Häuser. Es stand mitten auf der Straße. Die Umrisse verschärften sich, es war ein Mensch. Ich zügelte das Tempo, war aber immer noch zu schnell.
Mit einem Hupen machte ich der Person dort klar, dass sie verschwinden solle. Diese blieb aber immer noch mitten auf der Straße stehen.
Ich war nun schon so nah, dass ich die Person genauer erkennen konnte. Es war eine Frau, nein, noch ein Mädchen. Der Wind brachte ihr rotes Kleid zum Wehen, es schlängelte sich sanft um ihren Körper um dann wieder loszulassen. Sie hatte mir den Rücken zugedreht, dem Dorf zu. Ich konnte nur ihre braunen Haare erkennen. Sie mochten etwa bis zu ihrer Taille gehen, doch der Wind ließ es unmöglich machen, dies genau zu erkennen. Sogar von hinten war zu erkennen, dass sie eine wahre Schönheit sein musste. Hingerissen von der Schönheit dieser Person fuhr ich geradewegs auf sie zu.
Ich bremste und ich wäre durch die Windschutzscheibe geflogen, hätte ich mich nicht angeschnallt.
Ich musste nur wenige Zentimeter vor ihr stehengeblieben sein. Die altbekannte Wut schaltete sich wieder ein. Warum war sie nicht weggegangen? Ich sprang aus dem Auto, bereit ihr jetzt mal ordentlich die Leviten zu lesen.
Doch sie war verschwunden! Ich sie mich um, doch von ihr war keine Spur zu sehen. Klar, jetzt abhauen.
Doch irgendwie war meine Wut verschwunden. Ich ging zurück zu meinem Auto.
“Auf nach Hause”, murmelte ich. Mein Magen verkrampfte sich, die letzte Zeit zu Hause war wirklich schrecklich gewesen. Ich seufzte, nun hast du auch schon Angst nach Hause zu fahren.
Du drehst echt durch Shane.
Denk daran, Die Vergangenheit holt dich immer ein
Den ganzen Weg über hatte ich das Gefühl beobachtet zu werden, ich warf immer wieder Blicke aus dem Fenster oder auf den Beifahrersitz. Nur einmal sah ich ein Kind das mir bewundernd nachsah, oder eher meinem Auto. Doch das Gefühl verschwand nicht als ich das Kind hinter mir gelassen hatte.
Endlich bog ich auf die verlassene Waldstraße ein die zu meiner Villa führen würde.
Ich wohnte etwas tiefer im Wald. meine Eltern hatten viel Wert darauf gelegt ungestört zu sein. Um meine Eltern musste ich mir keine Sorgen mehr machen, sie waren schon seit zwei Jahren tot.
Ich lachte auf. Irgendwie starb jeder der mir einmal etwas bedeutet hatte. Bei meinen Eltern war das zwar etwas anders als mit Monique, aber trotzdem. Verdammt! Ich dachte schon wieder an sie. Dabei hatte ich mir vorgenommen, doch genau das nicht zu tun.
Vor mir baute sich ein Koloss von Haus auf. Wenn man nur ganz kurz hinsah, würde man meinen, das Haus wäre Teil des Waldes. Schlingpflanzen bedeckten fast das ganze Haus und Dach, selbst dort, wo noch keine Pflanzen waren, zeigte das Haus eine dunkelgrüne Wand.
Okay, meine Eltern hatten sehr
viel Wert darauf gelegt unentdeckt zu bleiben. Ich ließ das Auto auf die anscheinend einzige Betonfläche hier rollen und stieg aus.
Nicht viele wussten, dass ich hier lebte. Nur ein paar alte Freunde und die Freunde meiner Eltern.
Obwohl es hier eigentlich egal war, sperrte ich das Auto zu. Ich ging den gepflasterten Weg entlang zur Tür. Wie immer war auch die Haustür nicht abgeschlossen. Ich sollte mir wirklich mehr Gedanken über Einbrecher machen.
Ich trat in die riesige Empfangshalle, die ich schon seit meiner Kindheit kannte. Es war ganz anders als es von außen wirkte. Ein goldener Teppich bedeckte den gesamten Boden, die Wände waren in einem scharlachrot, eine goldene Kette hing von jeder Wand. Ein paar Bänke waren an den Wänden aufgestellt und am Ende des langen Raumes hing eine riesige Wanduhr.
Ich ging den vertrauten Weg in die Küche entlang.
Die Küche unterschied sich von der Eingangshalle wie die Eingangshalle von dem Äußeren des Hauses. Sie war mit großen schwarzen Fliesen belegt, die Wand jedoch war hellgelb. Ein kleiner Tisch stand in der Ecke des Raumes. Er war aber nicht dazu gedacht dort zu essen, sondern eher als Dekoration. Gegessen wurde nämlich in einem anderen Raum, doch seit meine Eltern nicht mehr da waren, aß ich nur noch hier.
Ich machte mir nur eine Tiefkühlpizza die ich lustlos hinunterschlang.
Ich hatte keine Ahnung was ich nun tun könnte. Ich setzte mich vor den Plasmafernseher im Wohnzimmer. Ich griff nach der Fernsteuerung und schaltete ihn ein.
Der Fernseher schaltete sofort auf Video. Video? Ich hatte gar keines angeschaut. Neugierig lehnte ich mich vor.
“Könntet ihr bitte einmal lächeln?”
Zwei Personen saßen auf einer Bank, beide mit verschränkten Armen und sahen zornig in die Kamera. Es waren Monique und Shane. Monique hatte ihr schwarzes Kleid an und die Haare hochgesteckt. Shane hatte wie immer eine einfache Jeans und ein weißes Hemd an.
“Nein”, sagten sie einstimmig.
Jemand seufzte.
“Bitte”, erklang es hinter der Kamera. Shane rollte mit den Augen. Wieder seufzte der Kameramann.
”Gebt mir wenigstens einen Kuss”
Ich schaltete ab. Ich kannte dieses Video. Tom hatte es gedreht, da wollte er gerade seine neue Kamera ausprobieren.
Aber eine völlig andere Frage plagte mich. Wie war das Video dahin gekommen? Ich hatte es ganz bestimmt nicht hineingetan. Oder doch? In letzter Zeit war ich ziemlich neben den Schuhen. Ich warf die Fernsteuerung auf die Couch und stand auf.
Überall war sie
! Als würde sie mich verfolgen. Ich beschloss etwas spazieren zu gehen.
Ich machte mir nicht die Mühe eine Jacke anzuziehen. Bestimt würde ich nicht lange draußen bleiben.
Ich ließ über den gepflasterten Weg, ignorierte das Fahrzeug und marschierte zu den Weg der durch den Wald führte. Ich hatte die Hände in meinen Hosentaschen vergraben und ging mit den Kopf zu meinen Füßen gerichtet durch den Wald.
Um mich herum zwitscherten die Vögel ihre Lieder. Weit entfernt hörte ich einen Kuckuck rufen.
Nach etwa zehn Minuten gehen blieb ich stehen.
Ich sah mich um. Der Wald sah überall gleich aus, doch diese Stelle hatte ich mir eingeprägt, nie würde ich vergessen was hier geschah. Genau hier habe ich Moni überfahren. Ich sah zu meinen Füßen, genau hier ist sie gelegen. Ich sprang mit einem Zischlaut zur Seite. Ich starrte wie gebannt auf diese Stelle, als würde sie immer noch da liegen.
Meine Gefühle übermannten mich plötzlich. Ich sank auf meine Knie, genau wie in der Nacht in der sie hier, blutüberströmt, gelegen ist. Ich schloss die Augen und rieb mir sanft die Schläfen. Warum musste sie mir das Leben zur Hölle machen?
Vielleicht weil du es warst der ihr das Leben genommen hat?
Einen Schritt weiter
Den ganzen restlichen Tag verbrachte ich damit, aufgewühlt herumzulaufen und mir Gedanken darüber zu machen was ich nun tun solle. Ich wusste, dass ich mit jemanden darüber reden musste und es dennoch nicht konnte. Niemand würde es verstehen. Jeder hatte Moni gemocht. Ich konnte mich niemanden anvertrauen.
Aber, ich hatte sie doch nicht umgebracht, oder? Es war doch nur ein Unfall gewesen, nur ein dummer Unfall. Es war ganz allein ihre Schuld gewesen, nicht meine. Oder, doch, es war meine Schuld.
All dies plagte mich. Auch in der Nacht fand ich keinen Schlaf. Ich lag einfach nur im Bett und starrte auf den Wecker bis er zu klingeln begann. Wie ferngesteuert zog ich mich an und tat all dies was man eben in der Früh macht.
Ausnahmsweise war die Schule einmal eine positive Nachricht für mich. Wenigstens das würde mich ablenken, hoffte ich zumindest.
Ich fuhr in einem gemächlichen Tempo die Straße entlang, obwohl ich Mühe hatte, das Gaspedal nicht wieder durchzutreten.
Ich blieb vor Toms Haus stehen. Wie letztes Jahr holte ich ihn auch nun ab. Seine Eltern waren hatten nicht viel Geld. Er hatte also kein Auto.
Die Tür ging auf und ich sah den verdatterten Tom in der Tür stehen. Sein Haar war zerwühlt und er hatte nur einen Bademantel an.
“Na, kommst du?”, rief ich durch das offene Beifahrerfenster. Er sah mit großen Augen zu mir, dann nickte er einmal schnell und verschwand im Haus. Das konnte etwas dauern, sagte ich mir und schaltete den Motor aus. Ich wollte ja nicht seine Eltern wecken.
Nach ein paar Minuten kam Tom aus dem Haus gelaufen. Er riss die Beifahrertür auf und sprang hinein.
“Wow, tut mir leid Shane, ich habe verschlafen”, er lächelte mich entschuldigend an. Ich musterte ihn mit hochgezogener Braue.
“Tasche?”, fragte ich tonlos.
“Verdammte Scheiße, bin gleich wieder da”, fluchte er, sprang wieder heraus und lief ins Haus. Ich lächelte währenddessen und schaltete den Motor wieder an.
Nachdem Tom endlich seine Sachen zusammenhatte, machten wir uns auf den Weg zur Schule.
“Sorry Shane. Hatte eigentlich nicht damit gerechnet das du mich heute auch abholst”, erklärte er nachdem er sich schon tausendmal entschuldigt hatte.
“Warum sollte ich dich nicht abholen?”
“Naja, du weißt schon. Die Dinge haben sich in letzter Zeit etwas geändert” Darauf erwiderte ich nichts. Wir waren schon wieder bei diesem heiklem Thema angekommen. Und über genau dieses Thema mussten wir sprechen. Auch wenn Tom vielleicht nicht gerade der richtige Ansprechpartner dafür war.
“Tom, wir müssen reden”, doch in diesem Moment kamen wir bei der Schule an.
“Klar, über was denn?”
“Ein anderes Mal”, sagte ich und stieg aus.
Tom akzeptierte das wohl, den ganzen Weg über, plapperte er nur davon was er im Urlaub gemacht hatte. Ich war froh über die Abwechslung und hörte ihm schweigend zu.
Als wir in der Klasse ankamen sprach er immer noch davon wie er angeblich einen Hai auf Mallorca gesehen hatte.
Diesmal waren schon mehr Leute im Klassenzimmer. Auch die Blondine Namens Angelika saß schon artig auf ihrem Platz. Ich ignorierte sie und nahm neben dem plappernden Tom Platz. Ich sah aus dem Augenwinkel wie sie mich anstarrte, ignorierte sie aber weiterhin und packte meine Bücher aus.
Auch Lästertante Sophie war da, sie saß eine Reihe vor mir und sah mich an. Ich sah mich in der Klasse um, alle Blicke waren auf mich gerichtet. Sogar Christian, dem auch sonst alles gleichgültig war starrte mich an. Blanke Neugier spiegelte sich in ihren Gesichtern.
Fragend sah ich zu Tom. Der wirkte genauso verwirrt wie ich.
“Hab ich keine Hose an oder so?”, flüsterte ich, unsicher ob die mir zuhörten. Tom schüttelte leicht den Kopf, dann ergriff er das Wort.
“Hey, gibt’s hier irgendetwas was ich nicht weiß?”, rief er in die Klasse. Sofort wandten sich alle ab. Nur Sophie und die Blonde starrten mich noch an.
Mein Kopf tat weh und meine Glieder schmerzten. Klar, ich war auch völlig übermüdet. Ich lehnte mich zurück in den Sessel und lehnte mich so weit zurück, dass er nur mehr auf zwei Beinen stand.
Ich hörte einige Schüler flüstern, konnte aber nur einzelne Worte verstehen.
“…nicht dass es stimmt”
“….schon,…. dir mal an….”
Ich hörte nicht mehr hin. Wer weiß über was sich diese Idioten aufregten. Und selbst wenn es wegen mir war.
Die Schulglocke ließ mich hochfahren. Ich war wohl kurz eingenickt.
Kein Schüler war mehr in der Klasse, nur ich allein war hier. Aber, wenn sie wohin gegangen wären, hätte Tom ihn doch geweckt! Oder? Natürlich.
Wahrscheinlich wollten die Anderen mir nur einen Streich spielen, war ja klar. So schnell kam alles wieder zu seiner Ordnung. Aber nicht mit mir! Ich würde ganz einfach hier sitzen und warten bis der Lehrer kam und sich wunderte wo der Rest der Klasse blieb. Ha, geschah ihnen ganz Recht. Die konnten sich dann was anhören.
Die Minuten verstrichen, kein Mr. Wood kam und auch kein anderer Mensch. Ich blieb mutterseelen allein. Zögernd stand ich auf und ging durch die Tür in den Flur. Ich ging zu der Nachbarklasse und horchte an der Tür. Stille. Ich klopfte und die Tür schwank auf. Alles leer. So auch bei allen anderen Klassen.
Die waren doch wahrlich weggegangen und ich wusste nichts davon! So eine Unverschämtheit. Niemand interessierte sich anscheinend für mich!
Ich stampfte wieder zur 8a. Ich verharrte als ich eine Person in der Klasse stehen sah.
Es war das geheimnisvolle Mädchen von gestern auf der Straße! Wieder stand sie mit dem Rücken zu mir. Sie hatte wieder das rote Kleid an. Es war aus einem dünnen Stoff gefertigt und mit einzelnen dunkelroten Steinen durchzogen. Es schmiegte sich an ihrem schlanken Körper. Ihre Haare gingen nur knapp bis zu ihren Hüften.
“Hallo, ich bin Shane”, stellte ich mich vor. Als von ihr keine Reaktion kam, fügte ich hinzu: ”Wie ist dein Name”
Wieder kam keine Antwort.
“Kannst du mich hören? Bitte, schau mich an”, bei jedem anderen wäre ich wütend geworden, doch irgendwie war es unmöglich wütend zu sein wenn ich sie ansah. Langsam ging ich auf sie zu, dabei übersah ich jedoch etwas auf den Boden und fiel.
Es schien mir unmöglich doch ich fiel auf den Rücken. Meine Wirbelsäule tat weh und ich stöhnte auf. Etwas rüttelte an meiner Schulter. Ich schlug die Augen auf und sah in das geschminkte Gesicht der Blondine, ich meine Angelika. Zu meiner anderen Seite sah ich Toms Kopf der mich erschrocken musterte.
“Mr. Glenn, dürfte ich erfahren was Sie da machen?”, fragte die strenge Stimme von Mr. Wood. Es dauerte eine Weile bis ich begriff dass er mich meinte. Ich rappelte mich auf. Erst langsam sickerte die Situation in meinen Kopf ein.
Ich war eingeschlafen und war mit dem Stuhl zurückgefallen. Das fremde Mädchen in dem roten Kleid war nur ein Traum gewesen, ein alberner Traum. Ich war furchtbar enttäuscht. War sie auch nur ein Tagtraum gewesen als sie mir auf der Straße erschien?
Wieder unterbrach Mr. Woods Stimme meine Gedanken.
“Würde Sie so nett sein und sich wieder auf Ihren Stuhl setzen Mr. Glenn?”, fuhr er mich streng an.
Ich antwortete nicht und stellte einfach nur meinen Stuhl auf und setzte mich wie mir befohlen wurde. Alle Blicke in der Klasse waren mir zugewandt. Ihre ganze Aufmerksamkeit war mir gerichtet, was in letzter Zeit ziemlich oft geschah.
Ich muss ein wirklich interessantes Leben haben, erst zwei Tage wieder in der Schule und schon kreisten alle Gedanken um mich. Hatte etwa niemand von diesen Idioten ein eigenes Leben?
Ach, reg dich nicht auf Shane, ermahnte ich mich.
“Nun gut, weiter im Programm” Augenblicklich wandten sich alle von mir ab und blickten zu Mr. Wood. Alle außer diese verdammte Angelika. Was wollte die bloß von mir?
Als die Schule endlich vorbei war, marschierte ich wie üblich mit Tom die Straße zu den Parkplätzen hinunter. Diesmal kam uns keine Tina die ihren Tom umarmte. Wahrscheinlich hatte sie mir damit nur eins auswischen wollen.
Ach, ich hatte genug andere Sorgen als diese Tina. Zum Beispiel wie ich Tom gestehen sollte, dass ich Moni umgebracht hatte. Er hatte sie wahnsinnig gemocht, so wie fast jeder andere auch.
Tom merkte wohl, dass etwas mit mir nicht stimmte, hielt aber den Mund bis wir in meinem Cabrio saßen.
“Du wolltest mit mir über etwas reden?”, fragte er. Ich hörte die Nervosität in seiner Stimme.
“Erst wenn wir bei mir sind”
“Okay”
So saßen wir schweigend nebeneinander. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor bis wir die Stadt hinter uns hatten. Ich drosselte das Tempo, wir kamen jetzt zu der Stelle wo erst gestern das geheimnisvolle Mädchen gestanden hatte. Tom sah mich ganz merkwürdig an, als wir fast stehenblieben dort wo sie gestanden hatte.
Erst als wir die Stelle passiert hatten fuhr ich wieder schneller.
Es dauerte nur halb so lang bis wir auf den kleinen Parkplatz meiner Villa ankamen.
Ich spürte wie meine Hände zitterten.
Ich wusste, ich musste es tun, ansonsten würde ich keine Ruhe mehr finden.
Tom war schon aus dem Auto und ging den Pflasterweg entlang. Als er merkte, dass ich nicht kam, blieb er stehen und wartete geduldig auf mich. Es viel mir schwer die Klinke der Tür herunterzudrücken, meine Finger zitterten zu sehr.
Schließlich kam ich doch heraus und ging zu Tom. Selbst meine Beine zitterten vor Nervosität.
Auch mit dem aufsperren der Eingangstür hatte ich Probleme, ich schaffte es erst beim vierten Versuch.
Ich setzte mich auf die Couch, ohne ein Wort war Tom neben mir. Er beäugte mich misstrauisch.
“Geht es um diese Neue in der Klasse? Hey, Shane, das ist okay, Moni ist weg, da…”
“Könntest du bitte mal deine Gedanken von dieser… verdammten Blondine abwenden?!”, unterbrach ich ihn aggressiv. Er zuckte vor meiner lauten Stimme zurück. Ich biss mir auf die Unterlippe.
“Es geht um etwas ganz anderes”, erklärte ich ihm mit etwas ruhigerer Stimme.
“Okay,…” Ich nahm ihn bei den Schultern und sah ihm in die Augen.
“Was ich dir jetzt sage, du musst mir versprechen, dass du es niemanden, absolut niemanden sagst, egal was kommt”, ich betönte dabei jedes einzelne Wort. Gleich war es so weit, gleich würde er mich für immer hassen.
“Ich verspreche es dir Shane” In seinen Augen spiegelte sich sicherer Ernst. Ich konnte ihm vertrauen. Ich ließ meine Hände sinken und vergrub mein Gesicht darin. Mir saß ein dicker Klos im Hals.
Du musst es jetzt tun!
“Ich war es der Moni überfahren hat”, die Worte kamen blitzschnell aus meinen Mund geflossen. Ich wagte es nicht Tom anzusehen. Bisher hatte er nur gewusst, dass sie überfahren wurde, aber nicht von wem.
“Es war dunkel, meine Scheinwerfer waren kaputt, ich konnte nichts sehen. Auf einmal stand sie vor mir. Es war hier! Auf der Straße vor meinem Haus. Ich habe sie umgebracht”, die letzten Worte waren nur noch ein Schluchzen. Tränen bahnten sich ihren Weg in meine Hände.
Ein Arme legte sich um meine Schultern.
“Ach Shane”, murmelte Tom.
Er wartete bis meine Tränen versiegten. Selbst dann fing er nicht wieder an zu sprechen. Ich wagte es immer noch nicht ihn anzusehen. Stattdessen blickte ich zur Wand.
“Ich bin ein Mörder, Tom”
“Es war ein Unfall,“, er sagte genau die Worte die auch die Polizei gesagt hatte. Aber ich wusste es besser. Er fuhr fort, “,dir kann niemand etwas vorwerfen”
Ich sprang auf. Bevor ich noch etwas sagen konnte, dass ich womöglich noch bereute rannte ich zur Tür.
“Ich bring dich nach Hause”
Willst du das Geheimnis wissen?
Die nächsten Wochen verstrichen ohne irgendeinen Zwischenfall. Alles lief wieder nach seiner gewohnten Ordnung. Seit dem Geständnis war Tom wieder ganz er selbst. Ganz der Kindskopf letzten Jahres.
Kein geheimnisvolles Mädchen im roten Kleid erschien, selbst die Blondine fehlte.
Also ganz normale Wochen, nach der Zeit ließen auch die eigenartigen Blicke nach die mir einige Schüler zuwarfen.
Heute war der erste Oktober und es war eisig kalt. Die Windschutzscheibe und die Fenster meines Fahrzeugs waren eingefroren. Die Bäume hatte schon ihre Blätter abgeworfen und auch diese hatten, wie das Gras um mich herum, eine weiße Eisschicht. Es verzauberte die ganze Umgebung in einen weißen Wintertraum ,dabei war es nicht einmal Winter.
Obwohl ich eine dicke Jacke angezogen hatte fröstelte ich. Ich rieb mir die Hände um mich aufzuwärmen.
Meine silberne Armbanduhr die ich einmal zu Weihnachten von meinem Vater bekommen hatte, zeigte, dass ich zu spät dran war. Ich joggte den Rest des Weges zu meinen Wagen.
Als ich drin saß drehte ich sofort die Heizung auf. Warum war ich nicht einfach zu Hause geblieben? Drinnen war es unheimlich warm.
Die Straße war rutschig und ich musste enorm aufpassen wo ich hinfuhr. Anscheinend hatte es in der Nacht geregnet und nun war die Straße mit einer glatten Eisschicht überzogen, die für unaufmerksame Fahrer den Tod bedeuten konnte.
Langsam rollte mein Wagen bei Toms Elternhaus vor. Die Tür flog auf und Toms Vater kam heraus. Ich war überrascht ihn zu sehen. Er kam zu meinen Wagen und klopfte an die Fensterscheibe.
Ich ließ das mittlerweile aufgetaute Fenster herunter und beugte mich zu ihm hin.
Mr. Duncan hatte einen breiten Schnauzer der seine Lippen verdeckte. Sein Haar war schon grau und er sah mich grimmig an. Ich konnte mich nicht erinnern ihn jemals lächeln gesehen zu haben.
“Tom ist krank, er kommt nicht. Und jetzt verschwinde von meinem Grundstück!”, befahl er mir und drehte sich um. Er hatte mich noch nie leiden können. Mr. Duncan war das genaue Gegenteil von Tom.
Ich seufzte. Ich hätte wirklich daheim bleiben sollen, jetzt war es zu spät.
Ich kam zu spät in die Klasse.
Mr. Wood begrüßte mich mit einem netten ´Das gibt einen Eintrag´.
Ich ignorierte ihn einfach, sowie auch den Rest der Klasse.
Als ich mich setzte, fiel mir als erstes Angelika auf, die wieder auf ihrem Platz war. Sie lächelte mich geheimnisvoll an. Auch sie ignorierte ich.
Was war nur los mit denen? So interessant war ich nun auch wieder nicht. Sie glotzten mich schon wieder alle an. Ich beschloss am Ende der Stunde jemanden danach zu fragen und ich würde keine Ausreden dulden!
Das Ende der Stunde wurde dann zum Ende des Schultages. Ich machte mich gerade auf den Weg aus der Schule, als mich
jemand ansprach.
Es war der leise Christian. Seine Brille war etwas verrutscht und das braune Haar hing ihm wirr ins Gesicht. Er trug einen karierten Pullover und grinste mich an. Er streckte mir die Hand entgegen.
“Guten Tag, mein Name ist Christian Coleman. Dürfte ich mit Ihnen ein kurzes Gespräch führen?”, ich hatte ihn noch nie so sprechen gehört. Er bemühte sich erwachsen und erfahren zu klingen, doch er hörte sich eher wie ein Kleinkind an.
“Ich weiß wer du bist Chris, was soll der Blödsinn?”
Er ließ die Hand sinken und kramte einen Block und einen Stift aus seiner Tasche.
“Dürfte ich Ihnen ein paar fragen stellen Mr. Glenn? Es sind wichtige Angelegenheiten”
“Was soll das?”, fuhr ich ihn an. Er schrieb etwas auf seinen Block, ohne den Blick zu heben sprach er weiter.
“Ich betrachte das einfach mal als Ja. Also, wie lange kennen sie schon Frau..”, er kam nicht weiter, ich hatte ihn beim Hemd gekrallt und zog ihn auf die Höhe meines Gesichts.
“Ich muss eindeutig widersprechen Mr. Glenn. So geht man nicht mit einem Therapeuten um” Therapeuten. Der Typ machte mich noch wahnsinnig. Ich ließ ihn mit einem Stöhnen fallen. Er schrieb wieder eilig etwas auf seinen Block.
“Okay, weiter im Text. Wir kommen später noch mal auf diese Frage zurück. Nächste Frage, also…”,
“Nein, jetzt stell ich dir mal eine Frage. Was habt ihr alle? Warum seht ihr mich immer so an?”, ich ballte meine Hände zu Fäusten.
“Ich bitte Sie, lassen Sie mich einfach meinen Job machen” Ich glaubte ich konnte gleich nicht mehr. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn wütend an. Das ließ ihn erstmal verstummen.
“Gut, im Angesicht der Tatsachen finde ich einen Tausch angemessen”, sagte er schließlich.
“Einen Tausch?”, fragte ich tonlos nach.
“Ja, Frage gegen Frage. Ich beantworte dir deine wenn du meine beantwortest”, er hatte seinen professionellen Ton verloren und grinste mich nun schelmisch an.
“Du bist doch verrückt!”
Er beugte sich zu mir hin und flüsterte mir zu: “Willst du das Geheimnis wissen?”
Ich kräuselte die Lippen. So schlimm konnten seine Fragen schon nicht sein.
“Na gut, abgemacht”
“Klasse, so, nun, hier die zweite Frage. Sie erscheinen mir ein wenig, hmm, aggressiv. Werden Sie schnell wütend?”, er hatte nun wieder zu seiner professionellen Art zurückgefunden.
“Kommt drauf an wer daran Schuld ist” Chris nickte nur gedankenverloren und kritzelte auf seinen Block
“Nächste Frage: Gibt es da bestimmte Personen bei denen Sie schneller wütend werden als bei anderen?” Wollte er mich veräppeln?
“Es hieß Frage gegen Frage, jetzt bist du dran mir meine Frage zu beantworten!” Christian schüttelte nur lächelnd den Kopf.
“Ich stelle hier die Regeln auf. Ich sage dir die Antwort schon, lass mich erst fertig machen”
Warum machte ich das eigentlich mit?
“Schön du Nervensäge, hier deine Antwort: Das kommt drauf an wie sehr man meine Nerven überstrapaziert und du bist ganz nah dran, dass ich dir gleich sehr weh tun werde”
“Meine nächste Frage”, er wirkte überhaupt nicht eingeschüchtert,” oder kommen wir lieber auf die erste zurück. Wie lange kennen Sie Frau Torrs schon?”
Mir klappte der Mund auf, hatte er das wirklich gesagt? Ich biss die Zähne zusammen und packte ihn am Arm.
“Au”
“Es reicht! Du wirst mir jetzt sofort meine Frage beantworten oder ich breche dir den Arm!”, drohte ich ihm. Diesmal hatte ich Erfolg.
“Okay, okay. Aber lass mich zuerst los”
“Jetzt!”
“Wir wundern uns nur darüber, dass du schon so schnell über Monique hinweggekommen bist”
“Was meinst du damit!”, schrie ich ihn an. Ich hatte Glück das schon alle Personen gegangen waren.
“Es bestehen, em, ja, Gerüchte das du und Angelika, tja…”
Das war alles? Deshalb beäugten sie mich immer so eigenartig? Warum war ich eben so ausgerastet?
“Weißt du was, sag deinen Kameraden sie sollen Gerüchte, Gerüchte bleiben lassen”, ich schlug einen besänftigenden Ton ein. Ich ließ Chris´ Arm los, er taumelte zurück.
“Also stimmt das nicht?”, fragte er etwas enttäuscht.
“Nein”, sagte ich kurz gebunden und drehte mich um.
“Bevor ich es vergesse. Meine Diagnose für Sie ist: Sie haben eine schwere Krankheit, vielleicht sollten Sie sich mal anschauen lassen”
Ich beachtete ihn gar nicht mehr und lief die Treppe hinunter.
Unerwarteter Besuch
Es war Freitag.
Heute war es sogar kälter als gestern, was mich dazu brachte, zu beschließen zu Hause zu bleiben. Tom war auch noch krank, daher musste ich mir um ihn keine Sorgen machen.
Im Haus war es angenehm warm, ich hatte die Heizung voll aufgedreht, selbst den Kamin hatte ich angemacht und der gab jetzt eine angenehme Wärme ab.
Ich lag auf der Couch und schaute mir irgendeine Sendung an. Ich musste daran denken wie ich letztens das Video von Moni und mir gesehen hatte. Seit ich mit Tom gesprochen hatte, konnte ich viel leichter von ihr denken.
Apropos Video, wo war es eigentlich? Ich stand auf und öffnete den DVD Player. Da war es. Eine gebrannte CD mit der Aufschrift 2008.
Ich seufzte und ging zum Kamin. Ein Blick noch auf die CD und ich warf sie ins Feuer. Ich beobachtete wie sich die Flammen genüsslich um die CD schlangen um sie dann endgültig zu verschlingen.
Etwas flammte in mir auf. Auf einmal wollte ich alle Erinnerungen an sie zurücklassen, von den Flammen für immer verschwinden lassen.
Ich holte alles was von ihr handelte aus den Räumen. Alte Fotos, Briefe, einfach alles. Ich warf es ins Feuer und sah zu wie alles in schwarzem Rauch aufging. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen.
Ich hockte vor dem Kamin, ich stand auf. Etwas steckte in dem Holzboden, nur ein kleines Stück weißes Papier. Ich beugte mich herunter und zog es heraus.
Es war ein weiteres Foto. Doch ich hatte es nicht gesehen als ich all die Sachen geholt hatte.
Es zeigte Monique und mich. Sie saß auf einer Schaukel und hatte ihr bezauberntes Lächeln aufgesetzt. Ich war hinter ihr und hielt sie an ihren Schultern fest. Auch ich strahlte über das ganze Gesicht.
Ich kannte dieses Foto nicht. Wie war es hierhergekommen? Hatte ich es übersehen?
Ich wollte dieses Bild nicht wegwerfen. Eine Erinnerung würde wohl okay sein. Ich faltete es zusammen und steckte es in meine Hosentasche.
Ein lautes Geräusch erklang. Es dauerte eine Weile bis ich begriff, dass es eine Glocke war und noch länger bis ich erkannte, dass es die Hausglocke war.
Wer kam mich bitte besuchen? Wahrscheinlich war es nur ein verirrter Wanderer der nach dem Weg fragen wollte.
Ich lief den relativ weiten Weg zur Haustür. Ich hatte ausnahmsweise einmal zugesperrt.
Ich riss die Tür auf und blickte geradewegs keinem
verirrten Wanderer ins Gesicht. Es war diese Angelika.
“Woher weißt du wo ich wohne?”, platzte es aus mir heraus. Sie lachte, es war dieses überhebliche Lachen, dass sie sich sehr sicher fühlte was ihn betraf.
“Ist das eine angemessene Begrüßung?” Meine Augen verengten sich.
“Für mich schon”
“Dann würde ich dir raten schnellstens deine Manieren zu ändern, Freundchen” Hatte ich mich gerade verhört? Diese kleine Blondine nannte mich Freundchen
?
Bevor ich ausflippte begann sie wieder zu sprechen. Einen Arm an ihrer Hüfte abgestützt, musterte sie mich prüfend.
“Für einen Kranken siehst du aber sehr gesund aus”, belehrte sie mich spöttisch. Was dachte sich diese Angelika eigentlich wer sie war?
“Lass das mal meine Sache sein. Was willst du hier?”, meine Geduld war erschöpft. Ich wollte sie aus meinen Augen haben.
“In der Schule sprechen alle über dich. Da wollte ich einfach mal vorbeischauen und sehen was so bei dir los ist. Außerdem bist du ja krank
” Sie drängte sich an mir vorbei und spazierte lässig ins Haus.
“Und du solltest dir mal einen Gärtner zulegen. Manche mögen ja dieses Wirrwarr vor dem Haus aber die Meisten schreckt es einfach nur ab”
“Das ist auch der Sinn der Sache”, stieß ich zwischen den Zähnen hervor. Ruhig, Shane. Ich musste höflich sein, sogar zu dieser Angelika. Ich zauberte ein Lächeln af mein Gesicht und strahlte sie an.
“Wir haben uns ja noch gar nicht einander vorgestellt. Also, ich bin Shane Glenn.” Ich deutete eine Verbeugung an. Zuerst schien die Blondine paff, fing sich aber schnell wieder.
“Schön, ich bin Angelika Anjette Dupont. Aber für dich Angi”, sie lächelte mich verführerisch an.
“Du kommst aus Frankreich?”, fragte ich erstaunt. Moni war auch aus Frankreich. Ich biss mir auf die Lippe und bereute es Interesse gezeigt zu haben. Angelika lächelte mich noch immer an.
“Ja, aber ich kann auch deine Sprache”, sie zuckte mit den Schultern. Ich schwieg. Ich wusste nicht was ich sagen konnte. Irgendwie hatte mich die Neugierde gepackt. Vielleicht hatte ich einfach zu viele Vorurteile ihr gegenüber gehabt. Sie schien ganz nett.
“Darf ich vielleicht reinkommen?”, sagte sie nach einigen Sekunden des Schweigens.
“Du bist doch schon drinnen”, ich schlug hinter ihr die Tür zu und ging ins Esszimmer, ohne darauf zu achten ob sie hinter mir war.
In der Mitte des Esszimmers stand ein großer Tisch, acht Sessel waren dazugeschoben. Die beigefarbene Wand war mit vielen rot-goldenen Teppichen geschmückt.
Ich setzte mich auf einen der dunklen Holzstühle. Angelika nahm auf der anderen Seite des Tisches, mir gegenüber, platz.
“Recht fein hast du es hier”, fing sie das Gespräch wieder an. Sie sah sich mit einem bewundernden Blick um. Etwas war da noch in ihrem Ausdruck, doch bevor ich es deuten konnte war es schon verschwunden.
“Sind deine Eltern reich?” Eine so typische Frage.
“Meine Eltern sind tot. Wenn schon so viel über mich geredet wird müsstest du das eigentlich wissen”, fuhr ich sie an.
“Tja, das Interessante lassen sie immer aus”, sie rollte mit den Augen.
“Wer sind denn die, die so viel über mich plaudern?”, fragte ich und sah sie mit zusammengekniffenen Augen an.
“Ach, so ziemlich alle aus der Schule. Aber bilde dir jetzt bloß nicht ein, du seiest der interessanteste Teil der Schule”
Ich wendete mich ab und starrte auf meine Hände die sich zu Fäusten geballt hatten. Niemand hatte das Recht sich in mein Leben einzumischen.
“Du bist gerade nur so interessant weil deine Freundin gestorben ist. Wie so was nur so lange wichtig für die sein kann”
Ich konnte das alles schon langsam nicht mehr ertragen.
“Und du kommst aus Frankreich?”, wechselte ich abrupt das Thema.
“Ja, hab ich doch gesagt!”
“Warum bist du nach England gezogen?”, ich sah sie an. Angelika dachte angestrengt nach bevor sie antwortete.
“Meine Eltern haben mich hergeschickt” Das war eine blanke Lüge. Es musste einen Grund geben warum sie das vor mir verschwieg. Es reizte mich es herauszufinden.
Ich beugte mich über den Tisch zu ihr herüber so dass wir nur noch eine halbe Armlänge voneinander getrennt waren und lächelte sie geheimnisvoll an.
“Wirklich? Kannst du mir das etwas genauer erklären?”, fragte ich mit so einer sanften Stimme wie ich sie nur konnte. Angelika schien zuerst überrascht, wich aber nicht vor mir zurück oder Sonstiges.
Sie warf ihr blondes Haar zurück und sah mich abschätzend an.
“Da gibt’s nichts zu erklären. Meine Eltern wollten eben das ich auf diese Schule gehe, aus” Sie sah nicht so aus als würde sie so schnell nachgeben. Ich ließ es nicht darauf beruhen und beugte mich noch näher zu ihr herüber. Wir waren nur noch eine Handlänge voneinander entfernt. Ich spürte ihren Atem auf meinem Gesicht.
“Aber etwas wirst du mir doch erzählen können, oder, Angi?” Ihre Reaktion überraschte mich. Sie schob sich mit ihren Händen von mir weg und stand auf.
“War nett dich mal zu besuchen, mach ich vielleicht noch mal.”, sagte sie und marschierte mit erhobenen Hauptes zur Tür hinaus.
Ich lief ihr nach. Sie überraschte mich nochmals als sie sofort den Weg hinaus fand. In meinem Garten winkte sie mir und verschwand dann in ihrem silbernen Golf.
Ich konnte nichts weiteres tun als ihr verdattert nachzusehen.
Tag der Veröffentlichung: 28.07.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für meine beste Freundin Lena :)