Peter Krause war sauer!
Nicht – weil ihm die Arbeit als Nachtwächter in dem kleinen Museum
des Ruhrgebiets keinen Spaß mehr machte. Sondern weil die MONA
LISA ihn so unverschämt angrinste.
Dass sie hintergründig lächelte – das wusste jeder. Und Nachtwächter
Krause hatte lange während seiner Schicht davor gestanden und sich
gefragt welches Geheimnis wohl hinter diesem Lächeln stecken möge.
Seit vier Tagen hing das Bild hier. Eine Leihgabe des Louvre. Unzählige
Politiker und andere Promis – also alles, was man eigentlich nicht
brauchte – war im Verlauf der letzten Tage hier vorbei gepilgert.
„Diese ganzen neuen Sicherheitssysteme“, hatte Krause gebrummelt,
als die Experten beinahe hysterisch das Gebäude checkten und überall
neue Lichtschranken und ähnliches anbrachten - „ sind doch Blödsinn.
Mir ist während meiner vierzig Jahre Dienst hier nie etwas weg gekommen.“
Die Museumsleiterin hatte ihm lächelnd auf die Schulter geklopft und
gesagt: „Weiß ich Krause. Weiß ich. Aber die Versicherung verlangt das
so. Schließlich ist das Bild Millionen wert.“
„Na ja“, hatte der alte Krause geantwortet. „So schön isse nu och nicht. Da
kenne ich heimische Maler, die sind viel besser.“
„Richtig“, hatte die Direktorin geantwortet. „Das Problem ist nur – d i e
leben noch.“
„Aha!“, hatte der Alte gemacht und nur den Kopf geschüttelt. „Also –
wenn de tot bist, steigt alles im Wert – egal wie gut oder wie schlecht du
als Künstler warst.“
Tjaa...und nun stand er wieder vor der Mona Lisa und das Weib grinste
fast höhnisch.
„Sei froh, dass dein Meister den Löffel abgegeben hat“, grunzte Krause
wütend. „Sonst hingste nicht hier!“
Damit drehte er sich um und stapfte davon.
Doch dann blieb er ruckartig stehen.
W i e s o grinste dieses Weib eigentlich jetzt?
Sie hatte doch bis vor kurzem nur gelächelt?!
Er marschierte mit großen Schritten zurück und blieb genau vor dem
Bild stehen. Der Atelierstrahler leuchtete das relativ kleine Gemälde optimal
aus. Jedes Detail war erkennbar.
Jedes Detail??
Krause zog die Augen zu Schlitzen zusammen.
Wieso stand da jetzt vor den Händen der Dame noch ein Weinkelch?
Krause setzte umständlich seine Lesebrille auf. Sein Blick wanderte über
das altehrwürdige Gemälde – er sah das Spiel der alten Farben...und
dann blieb ihm die Luft weg.
Dort, wo normalerweise die Signierung stand, las er: IN VINO VERITAS.
Krause kniff die Augen zusammen – öffnete sie wieder – die Schrift blieb.
Jetzt begriff er auch, weshalb Mona Lisa so dämlich grinste.
Die war besoffen!
Im Kopf des Nachtwächters begann es präzise wie in einem Großrechner
zu arbeiten.
Punkt eins: Gestern grinste Mona Lisa noch nicht.
„Hm“, kam es über seine Lippen. „Punkt zwei: Da warste also noch nüchtern.“
Er bohrte sich mit dem linken Zeigefinger überlegend in der Nase. Also
musste sie sich am Tage den Wein besorgt haben.
„Blödsinn!“ stieß Krause hervor. „Das hätte doch jeder gesehen.“
Jetzt arbeitete sein Verstand auf Hochtouren. Als er den ersten Rundgang
durch das Museum gemacht hatte...da war er sich sicher ... da hatte
die Dame noch gelächelt.
Etwa über seine Unaufmerksamkeit, weil sie den Wein schon längst hinter
ihrem Rahmen versteckt hatte und sich über den Nachtwächter amüsierte?
„Pahh!“ stieß Krause hervor und tastete mit den Fingern über den unteren
Rand des Bildes.
Nein – da gab es keinen Zwischenraum, durch den der Becher gepasst
hätte. Und Mona Lisa musste mehr Wein gebunkert haben – das war für
ihn klar – denn von einem Becherchen wäre sie nicht so benebelt gewesen.
Schließlich besaß die Dame – wer immer auch hinter dem Namen
steckte – Contenance. Als es mal im Louvre gebrannt hatte, waren alle
Besucher und das Personal hysterisch aus dem Gebäude gerannt. N u r
Mona Lisa hatte die Nerven behalten und war an ihrem Nagel hängen
geblieben.
„Du trickst mich nicht aus!“ fauchte der Nachtwächter und lief auf den
Durchgang zum Nebenraum zu. Er schaltete, bis auf eine kleine Notlampe, die gesamte Museumsbeleuchtung aus und versteckte sich hinter
dem Türrahmen.
J e t z t – so überlegte er – könnte sich Mona Lisa sicher fühlen und sich
noch einen auf die Lampe gießen.
Doch erst mal geschah nichts.
Doch Krause wartete mit der Geduld eines Elefanten. N i e m a n d würde
einen guten Wein so lange vor sich stehen lassen und in die Landschaft
gucken.
Während er so auf das Bild blickte, stellte er fest, dass Mona Lisa – abgesehen
von ihrem Grinsen – eigentlich sowieso etwas dämlich aussah.
Er konnte nicht verstehen, weshalb Millionen von Besuchern immer so
fasziniert von diesem Bild waren.
Zum Beispiel die kleine dralle Eisenbahnerwitwe von nebenan...die würde
er viel lieber malen. Die hatte Klasse und Rasse.
Mona Lisa wirkte eher etwas platt. Nichtssagend!
Über das Model zu dem Gemälde wurde ja reichlich in den Kreisen der
Kunsthistoriker spekuliert.
‚Müsste doch ganz einfach sein‘, überlegte Krause. ‚Wenn man weiß,
wann und wo dieser Rembrandt – oder war’s Schiller - das Bild gemalt
hatte, musste man doch nur die passende Schnapsdrossel finden und
man hatte es.
Das würde er morgen früh der Museumsdirektorin mal stecken. Damit
würde sie berühmt werden.
Stunden vergingen und nichts passierte.
Mona Lisa war scheinbar diese Nacht trocken. Der Becher blieb unberührt.
Nur ihr blödes Grinsen legte sie nicht ab.
Irgendwann wurde es Krause zu bunt und er sagte laut: „Ich mache jetzt
einen Rundgang und dann ist das dumme Grinsen aus deinem Gesicht
verschwunden? Klar?!“
Er stapfte davon.
Als er zurückkehrte, lächelte Mona Lisa wieder und den Becher hatte sie
verschwinden lassen.
Der Nachtwächter lachte zufrieden auf. „Geht doch!“
Da hörte er das Klappen einer Tür.
Er stutzte. Ein Blick auf seine Uhr...nein – es hatte außer ihm noch niemand
etwas hier zu suchen. Er schlich durch den Ausstellungssaal – dorthin,
wo er das Geräusch der kleinen Seitentür gehört hatte. Er lauschte.
Er vernahm unterdrückte Stimmen. Seine rechte Hand ruckte zum Knüppel,
den er immer als einzige Abwehrwaffe bei sich führte.
Nun riss er mit der freien Hand die Tür auf und schlug zu.
Es rumste – etwas fiel schwer zu Boden – dann davon eilende Schritte.
Krause nestelte seine Taschenlampe vom Dienstgürtel. Bald konnte er
sehen, was da auf dem Boden lag. Ein zusammengerolltes Bild.
Er hob es hoch und rollte es ganz vorsichtig auseinander.
„Na so was?“ murmelte er.
In diesem Moment vernahm er das Martinshorn. Reifen quietschten und
jemand rief lautstark: „Stehen bleiben! Polizei!“
Krause nahm das nur am Rande wahr, denn er starrte irritiert auf das
Gemälde der Mona Lisa.
Das Bild in der Hand eilte er in den Saal zurück.
Da hing sie!
104
Krause war durcheinander.
Da tauchten zwei Polizisten auf.
Einer war in Zivil. Der Nachtwächter kannte ihn. Oberkommissar Matteck.
„Hallo Krause“, brummte er und blickte dann auf das Bild. Ein merkwürdiges
Lächeln umspielte die Züge des Kriminalbeamten. „Mann Krause –
sie können ja ganz schön zuschlagen. Der Bursche hat eine dicke Beule.
Und das Bild haben sie auch gerettet.“
„Jaa“, kam es gedehnt aus dem Mund des Nachtwächters.
Der Oberkommissar trat nah an das Gemälde im Rahmen heran und begutachtete
es. Dann nickte er. „Eine brillante Fälschung. Aber sie haben
es bemerkt.“
Dann kam die Museumsleiterin angerannt. „Gratuliere, Herr Krause! Sie
haben das Bild und das Museum gerettet.“
Auch sie hielt ein Bild in der Hand. Krause schluckte. Das war doch das
Bild mit dem Weinbecher...
„Ja – da war was schief gelaufen, bei dem Burschen. Wir haben ihn seit
der Ausstellungseröffnung beobachtet. Er sollte die Mona Lisa im Kundenauftrag
stehlen.“ Der Oberkommissar nahm den Rahmen mit der Fälschung
von der Wand und dahinter befand sich – fast gleich groß – eine
Öffnung in der Wand.
„Das hat er, als Handwerker getarnt, am Eröffnungstag erstellt. Um keinen
Kameraalarm auszulösen, hat er ein falsches Bild hinter das echte in
den Rahmen geschoben. Dann ruckzuck – das richtige fast gleichzeitig
raus.“
Die Museumsleiterin betrachtete den Werbedruck einer Weinfirma.
„Wozu hatte er das denn hier bei sich?“
Matteck zuckte mit den Achseln. „Wir haben noch einen zweiten Burschen
rennen sehen. Unsere Streife wird ihn bald haben. Ich könnte mir
denken, dass der die Fälschung bei sich hatte und der Dieb nicht wusste,
ob sie rechtzeitig fertig sein würde. Aber er musste heute zuschlagen,
denn die Franzosen wollen das Gemälde morgen Abend wieder abholen.“
Die Museumsleiterin schüttelte den Kopf. „Aber das wäre doch schnell
aufgefallen...sehen sie mal hier die Inschrift.“
„Sicher“, bestätigte der Oberkommissar. „Aber dann wäre es auch zu spät
gewesen.“
Er schaute Krause an. „Na Krause – der Dieb hat nicht damit gerechnet,
dass sie es auf ihrem Rundgang sofort bemerken. Sonst wäre der Typ uns
entkommen.“
Krause nickte nur.
Nachdem die Museumsleiterin das Bild wieder fachgerecht gerahmt
hatte, ging sie mit dem Polizisten in das Verwaltungsbüro.
Nachtwächter Krause setzte sich auf die Besucherbank – direkt gegenüber
der Mona Lisa und richtete den Blick fest auf ihr hintergründiges
Lächeln.
Es war völlig still in dem Ausstellungsraum.
Doch dann durchbrach Krauses leise, aber dennoch feste Stimme diese
Ruhe.
„Ich weiß, dass du heimlich säufst!“
Texte: Universitätsverlag Brockmeyer
Bildmaterialien: Universitätsverlag Brockmeyer
Lektorat: Werner Schlegel, Norbert Brockmeyer
Tag der Veröffentlichung: 10.02.2013
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