1
Dort, wo den Himmel wir erflehen
sehn wir des Winters Fahne wehen
und hinterm Dunst der Wolkenbänke
sortiert ein Rotrock die Geschenke
Er weckt den Elch aus tiefem Schlafe
packt seinen Schlitten für die Braven
mit allem was den Menschen lieb
und was bei ALDI übrig blieb
2
Im Pfarrhaus schnarcht der Herr Pastor
der hatte heut was Bessres vor
doch dann verschloss er fest das Tor
und nahm sich seinen Messwein vor
Drum hört er nicht den Weihnachtsmann
der vor der Kirche kurz hielt an
um dann verärgert abzuwinken
denn selig ist´s, zu zweit zu trinken
Refrain:
und wieder zieht das Elchgespann
den leicht beschwingten Weihnachtsmann
durch Stadtverkehr und tiefen Tann
und eckt schon mal am Wirtshaus an
3
Im Kaufhaus stand seit Tagen an
Adventsbasar mit Weihnachtsmann
doch als per Elch der endlich kam
da war der Beifall eher lahm
Man macht mich hier doch nicht zum Deppen
sprach Nikolaus. Er sah die Treppen
sich rätselhaft von selbst bewegen
das tat den frommen Durst erregen
Refrain:
und wieder zieht das Elchgespann
den leicht beschwingten Weihnachtsmann
durch Stadtverkehr und tiefen Tann
und eckt schon mal am Wirtshaus an
4
Der Weihnachtsmarkt verlockt den Alten
ein Viertelstündchen anzuhalten
um hier bei Glühwein zu versuchen
die sündhaft leckren Reibekuchen
Er fühlt sich pflichtbewusst gehalten
hier seines Amtes noch zu walten
doch den 1-Euro-Hilfskollegen
kommt dieses äußerst ungelegen
„Denk an den Baum!“ sagte die Liebste beim Frühstück.
„Ich denke an nichts anderes!“ seufzte ich.
„Denk dran: Edeltanne. Nicht höher als einsfünfzig. Und schöne
Etagen, bitte!“
„Ich denke, heute ist Heiligabend!“ murmelte ich in die Kaffeetasse
hinein.
„Eben! Heute sind die Bäume am billigsten!“
„Und die Auswahl am kleinsten! Dass du ausgerechnet am
Weihnachtsbaum sparen musst!“
„Quatsch nicht, halt dich ran!“ sagte sie. „Und komm bloß
nicht ohne Baum zurück!“ Sie klimperte mit dem Autoschlüssel.
„Nimm die Straßenbahn! Den Wagen brauche ich! Du
weißt ja, der Karpfen...“
Und dann stand ich vor jener Baulücke, die einmal jährlich
als Christbaummarkt zu Ehren kam. Doch nichts erinnerte
mehr daran, dass hier vor Tagen noch das Sauerland wogte.
„Edeltanne, einsfünfzig, Etagenbaum!“ Die Liebste kannte
keine Gnade.
Die dritte Station verhieß Hoffnung. Ein Hinterhof im Halbdunkel.
Ein Dutzend trister Mülltonnen. Ein halbes Dutzend
Fichten. Die letzten der Mohikaner. Elendsgeburten. Tannenbaum-
Karikaturen.
Davor eine breite Front männlicher Gestalten. Zehn vielleicht.
Fünfzehn... Schweigend. Bewegungslos die Armseligkeit fixierend.
In meinem Kopf der Liebsten Stimme: „Edeltanne, einsfünfzig,
Etagenbaum!“ In meinem Bauch eine Wut, die mir Entscheidungskraft
verlieh.
Ich drängte mich hindurch, schnappte mir den erstbesten
Baum und präsentierte ihn dem vermummten Händler.
„Den hier!“
Zwei Worte, die Erstaunliches bewirkten.
In einem dichten Knäuel urplötzlich wild entschlossener Männer
schienen sich die restlichen Bäume aufzulösen. In Sekunden
verwandelten sich friedliche Familienväter in brüllende
Kampfstiere und traurige Tannenbäume in handliches Tannengrün.
Mein Bäumchen quälte sich indes durch einen Blechtrichter
in ein grobes Netz. Wahrlich kein Baum von der Stange. Eher
eine amorphe Stachelkugel. Doch ein Kunstwerk an Verpackung.
Ich verließ das Schlachtfeld der letzten Chance und schleppte
meine Beute zur Straßenbahn.
LINIE 2 zum ersten.
Die Türen öffneten sich. Die Türen schlossen sich.
Auf dem Bahnsteig eine Mauer geduldig Wartender.
LINIE 2 zum zweiten, zum dritten, zum vierten...
Welch ein Freudentag für die Bilanz der Stadtwerke.
Die fünfte Bahn nahm mich auf. Nahm uns auf!
„Sie zahlen für zwei Personen!“ sagte der Schaffner mit einer
Stimme wie ein Fallbeil.
Ich quetschte uns zwischen die murrenden Fahrgäste, suchte
nach einem Halt und fand ihn über mir. Für Augenblicke
schien alles wohl geregelt. Nur in meinem Kopf hämmerte es:
„Edeltanne, einsfünfzig, Etagenbaum!“
Dann geschah es: Der Straßenbahnfahrer fluchte. Die Bahn
bremste abrupt. Die Fahrgäste torkelten durcheinander.
Ich ließ den Baum los, griff mit beiden Händen ins Leere und
fiel doch nicht. Wohin auch?
Die Katastrophe draußen schien abgewendet.
Die Katastrophe innen ereignete sich in diesem Augenblick.
Der Baum befreite sich. Mein Baum! Ein trockener Knall. Das
Netz zerriss. Die Zweige schnellten auseinander, suchten die
Lücken zwischen den Fahrgästen und fanden sie. Krakengleich.
„Meine Strümpfe!“ keifte eine Frau und boxte mir in die
Rippen.
„Mein Gesicht!“ brüllte ein kleiner Junge, der plötzlich mitten
in meinem Baum stand.
Über mich brach der Volkszorn herein.
Das „Raus-Raus-Raus-Raus-Raus“ wurde zum vielstimmigen,
bedrohlich anschwellenden Chor.
„Nehmen Sie ihren Scheißbaum und verschwinden Sie!“
schrie der Schaffner.
Die Bahn hielt. Diesmal sanft und rücksichtsvoll.
Auch an dieser Haltestelle Menschen dichtgedrängt.
Ich tauchte hinein in den Weihnachtsbaum, versuchte den
Stamm zu erreichen. Vergeblich!
Zu kurz die Arme, zu aggressiv die Äste.
Ich zerrte an den Zweigen.
Der Baum bewegte sich nicht. Er widersetzte sich, verkrallte
sich unlösbar in Mäntel, Schirme, Einkaufstaschen.
Hoffnungslos.
Ich ließ den Baum los, stemmte mich gegen die hereindrängenden
Fahrgäste, fand den Fluchtweg nach draußen. ließ
Baum und Flüche hinter mir.
„Edeltanne, einsfünfzig, Etagenbaum!“
In sechzig Jahren das erste Weihnachtsfest ohne Baum.
Meine Gedanken schwankten zwischen Bahnhofsmission
und Stammkneipe.
Ich entschied mich fürs Undramatische.
Und zwei Stunden später schwankte ich heimwärts.
„Ich bin der Weihnachtsbaum!“ würde ich der Liebsten sagen.
„Schmück mich oder verbrenn mich!“
Dann stand ich vor unserer Haustür und wunderte mich, dass
ich das Schlüsselloch nicht erreichte. Bis in meinem Kopf die
Erkenntnis dämmerte:
Dort, angelehnt an die Haustür, stand mein Weihnachtsbaum.
Nix Edeltanne, einsfünfzig, schöne Etagen, aber mein
wundervoller Wunderbaum.
Und in meinem plötzlich glücksüberfluteten Gehirn formte
sich die Frage:
„Hey Alter, hast du schon geklingelt?“
Doch es gibt Tage, an denen stellt man keine Fragen.
Es sei nicht länger euch verschwiegen
was den Erwählten längst bekannt
und auch dem Heer der schwarzen Fliegen:
Dort hinterm Haus ist Reibekuchenland
Wenn erste Fröste durch die Gräser ziehen
und man bei Maulwurfs an den Vorrat denkt
sieht man sie köstlich unterm Laub erblühen
die späte Frucht, die uns der Winter schenkt
Sie schlüpft gebräunt ans bleiche Licht der Sterne
ihr Duft treibt selbst den müden Dichter um
er schleicht hinaus, schwenkt seine Reimlaterne
und beugt sich nieder zum Präludium
Noch wartet er, bis dann vom Wind getrieben
das Lied der Puffer durch die Nacht ertönt
dann hat er eiligst dies Gedicht geschrieben
und sich ein Glas Kartoffelschnaps gegönnt
Ich folgte ihm, als alle Nachbarn schliefen
und sah der goldnen Scheiben Hochzeitsflug
er endete in meines Schlundes Tiefen
Ja, ich gesteh´, ich kriegte nie genug
Wenn ihr dereinst in Weihnachtsmarktgefilden
sie brutzeln seht an jedem dritten Stand
dann glaubt dem üblen Schwindel nicht, dem wilden:
Nur hinterm Haus ist Reibekuchenland
„Hörst du das auch?“ fragte die Liebste. „Halt doch mal an!“
Ich trat auf die Bremse und hielt auf dem Randstreifen. „Was
ist denn? „Wenn wir weiter so trödeln, dann hast du mich da
liegen. Verhungert am Heiligen Abend.“
„Hör doch mal! Der Karpfen macht Randale,“ sagte sie.
„Kuck doch mal nach!“
„Der Karpfen ist tot!“ erklärte ich. „Der Verkäufer hat ihn
erschlagen. „Vor unseren Augen!“
„Und jetzt ist er wieder lebendig geworden. Hoffentlich!“
beharrte sie.
Ich stieg kopfschüttelnd aus und öffnete den Kofferraum.
Unglaublich! Die Plastiktüte mit dem Karpfen machte heftige
Hüpfbewegungen. Ich schlug den Kofferraumdeckel zu und
stieg wieder ein.
„Er lebt!“ sagte ich und ließ den Motor an. „Ich werde ihm
wohl die Gurgel durchschneiden müssen!“
„Dass du das kannst!“ entgegnete sie voller Abscheu. „Hast du
mal in seine Augen gesehen?“
„Fischaugen!“ sagte ich spöttisch. „Schöne grüne Fischaugen!
Wenn er auf den Tisch kommt, dann sieht er nichts mehr! Aber
ich. Ich sehe Meerrettich. Ich sehe leckere Schnittlauchkartoffeln.“
„Wie konnte ich dich nur heiraten?“ sagte sie angewidert.
Bis zu unserer Wohnung war Sendepause.
Erst, als ich die Tüte mit dem noch immer zappelnden Karpfen
in die Küche trug, machte die Liebste den Mund wieder auf.
„Ich lasse schon mal das Wasser ein!“
„In den Kochtopf? Das hat noch Zeit! Erst muss ich den
Karpfen schlachten und ausnehmen.“
„Nein!“ sagte sie schneidend. „In die Badewanne! Da kommt
er rein! Der arme Kerl hat schon genug gelitten.“
Ich wollte Weihnachten keinen Streit.
„Na gut!“ sagte ich versöhnlich. „Dann essen wir ihn erst zu
Silvester. Und wir baden so lange nebenan bei Neumanns.“
„Vielleicht machen wir das so“, murmelte sie.
Zehn Minuten später tauchte der Karpfen in die erst halbvolle
Badewanne und schien sich wohl zu fühlen.
Am zweiten Weihnachtstag kamen Gäste zum Mittagessen.
Die Koslowskis.
Wir hatten sie im Supermarkt kennengelernt, als ihnen die
hochgestapelten Kaffeepäckchen vom Einkaufswagen rutschten.
Die Liebste war sofort hingesprungen und hatte geholfen.
Und jetzt hatten wir sie am Hals…
Koslowskis also brachten eine polnische Spezialität mit: Karpfen
in Tomatensoße. Und mit viel Zwiebeln.
„Damit ihr mal schmeckt, wie wir in Katowice Weihnachten
feiern!“ sagte Maria Koslowski strahlend.
„Könnte ich für sterben!“ sagte Herr Koslowski und schaute
sehnsüchtig nach der Schüssel auf dem Küchentisch.
So was Ähnliches musste wohl auch die Liebste gedacht haben.
Noch vor dem Essen musste sie sich zweimal übergeben.
Dann ging sie ins Bett und ließ mich mit Gästen und polnischem
Karpfen allein.
Es war eine sehr kurze Bekanntschaft. Und ich schlug mir die
gemeinsame Masuren-Reise aus dem Kopf.
Als das Thermometer wieder stieg, kamen die Schulzes vorbei.
„Wir haben da eine Idee!“ sagte Karin. „Ihr könnt doch nicht
ewig bei Nachbarn baden! – Und wir könnten doch euren
Karpfen in unseren Goldfischteich setzen.“
Fast wäre auch diese Freundschaft in die Brüche gegangen.
Denn die Liebste befand, dass Goldfische für unser Karlchen
– so hieß der Karpfen inzwischen – ein unzumutbares Milieu
seien. War ja auch was dran...
„Na ja, wir dachten, auch wegen der Gesellschaft..,“ sagte
Karin kleinlaut.
„Siehst du!“ sagte die Liebste triumphierend. „Er braucht
Gesellschaft! Das sagen die Schulzes auch!“
„In der engen Wanne?“ fragte ich zweifelnd?
Aber die Liebste duldete keinen Widerspruch.
Wir tauften die Fischdame Karoline und leisteten uns endlich
die wunderschöne „Colani“-Badewanne. Für dreitausend Euro.
Wie lange hatten wir schon von gemeinsamen Badefreuden geträumt.
Nun hatte auch Karoline genügend Platz. Und die Liebste war
glücklich.
Wir waren inzwischen bei Krauses Badegäste geworden; denn
der Neumann lag immer auf der Lauer, wenn er meine wohlgeformte
Liebste in der Badewanne wusste.
An einem Sonntagmorgen im Juli kam Christine freudestrahlend
in mein Arbeitszimmer. „Du“, sagte sie, „wir bekommen
Nachwuchs!“
„Waaas? Hast du die Pille abgesetzt?“ entfuhr es mir entsetzt.
Sie schüttelte heftig den Kopf. „Quatschkopp! Karlchen und
Karoline werden glückliche Karpfeneltern.“
„Bist du jetzt endgültig durchgeknallt?“ fragte ich.
„Sag mal, haben sie dir das etwa gebeichtet?“
Die Liebste blickte mich so mitleidsvoll an, dass ich verstummte.
„Also, ich hab´ mich informiert!“ sagte sie und hob dozierend
den Zeigefinger. „Karlchen ist ein Milchner und Karoline ein
Rogner...“
„Eine Rognerin!“ korrigierte ich sie.
„Ein Rogner, du Ignorant!“ fuhr sie mich an. „Also, ich bin
ganz sicher, dass da jetzt Fischeier in der Badewanne sind.“
„Dann nimmst du die paar Eierchen eben raus, und das Problem
ist gelöst!“ schlug ich vor.
Die Liebste schlug sich an die Stirn. „Die paar Eier? Die
kriegen ´ne Million. Oder noch mehr! Du weißt aber auch gar
nichts!“
Gestern haben wir uns ein Häuschen angesehen. Mit Swimmingpool.
Schließlich sind wir beide passionierte Nichtschwimmer.
Es schneit, es schneit, die Stadt versinkt
der Weihnachtsmann schläft tief im Stau
der Vater säuft, die Mutter trinkt
die sind bis Ostersonntag blau
nur Oma reißt den Abend raus
sie hüpft als Christkind durch das Haus
Der Christbaum brennt, es brennt zu viel
die Flamme frisst den Vorhang schon
es brennt der Ast, es brennt der Stiel
und irgendwer läuft schnell davon
nur Oma schwört, es war der Wind
denn ohne Brille ist sie blind
Refrain:
Was ist mit euch, habt ihr geseh´n
was Heiligabend ist gescheh´n?
Wer trägt die Schuld an dem Malheur
Nun sagt es uns, sagt, bitte, WER?
Aljoscha…..
Der Weihnachtsabend ist versaut
weil niemand mehr Geschenke hat
die hat wohl ein Phantom geklaut
für einen Trödler in der Stadt
Ihr schenkt, grinst Oma beim Kompott
doch jedes Jahr denselben Schrott
Frau Bundeskanzler reicht zum Fest
ein Trostwort für das Armenhaus
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Universitätsverlag Brockmeyer
Bildmaterialien: Universitätsverlag Brockmeyer
Tag der Veröffentlichung: 12.10.2012
ISBN: 978-3-95500-198-8
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