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1. Kapitel


Schwer atmend wälzte er sich in seinem Bett hin und her. Sein
Puls schlug schnell, sein Brustkorb hob und senkte sich in unregelmäßigen
Zügen. Immer wieder griff der gleiche Alptraum
nach ihm.
Das Bild des kleinen Mädchens, völlig verdreckt und mit verängstigten,
großen Augen verfolgte ihn schon seit einer Woche,
seitdem sie sie aus der verwahrlosten Wohnung befreit hatten.
Die Wohnung war voller Müll, in seinem Traum türmte der
Berg sich hoch bis an die Decke, so dass er glaubte, in dem
Raum keine Luft mehr zu bekommen. Das kleine Mädchen
war etwa zwei Jahre alt, zum Zerbrechen dünn, weil es schon
längere Zeit nicht mehr genug zu essen bekommen hatte. Ihr
kleiner Bruder, etwa fünf Monate alt, lag in einem Nebenraum
in seinem Gitterbettchen, ein kleines Bündel Leben, verlassen
von der Mutter, übersät mit blauen Flecken. Er hatte keine
Chance mehr gehabt, er war so ausgetrocknet, dass er auf dem
Weg ins Krankenhaus gestorben war. Das Kreischen einer Katze,
die in den angrenzenden Gärten auf Jagd war, riss ihn plötzlich
aus dem Schlaf.
Verschwitzt fuhr er aus den Kissen hoch, schaute sich im dunklen
Zimmer um, um sich zu vergewissern, dass er Zuhause war.
Er tastete vorsichtig nach links, wo ruhig und gleichmäßig atmend
Barbara, seine Frau, neben ihm lag. Erneute Unruhe ergriff
ihn, er schaute auf den Wecker neben seinem Bett- 02.29
Uhr- jede Nacht fast dieselbe Zeit.
Und wie jede Nacht machte er sich auf den Weg zum Kinderzimmer,
um nach seinem eigenen Kind zu schauen. Wie
ein Schlafwandler fand er den Weg im Dunkeln, begleitet von
seinem klopfenden Herzen und der Sorge, es könnte ihr etwas
passiert sein. Erst als er leise vor ihrem Bettchen mit dem
gelben Himmel stand und den Säugling beobachtete, fühlte er
sich wieder besser.
Friedlich schlummerte die sechs Monate alte Marie neben
ihrem weichen Kuscheltier, einem kleinen Bären, die kleinen
Hände zu lockeren Fäusten geballt. Andreas Heller wischte sich
den Schweiß von der Stirn, schlich leise aus dem Kinderzimmer
und trank in der Küche einen Schluck Wasser, bevor er
sich wieder ins Bett legte, um nach einer halben Stunde in einen
tiefen, traumlosen Schlaf zu fallen.
Am nächsten Morgen fegte der Wind wütend durch die Straße,
einige Kiefern und die aufblühenden Zweige der Forsythienbüsche
beugten sich seiner Kraft wie umknickende Strohalme.
Es war Frühjahr, die Menschen warteten sehnsüchtig auf den
Beginn des Frühlings, der Sonne und Wärme bringen sollte.
Vom Datum her war er schon lange da, die Temperaturen verhießen
aber das Gegenteil. Stattdessen tobte ein unangenehmer
Sturm über dem Ruhrgebiet.
Mülltonnen und gelbe Säcke, die auf die Entleerung am Vormittag
warteten, waren umgekippt oder wirbelten über den
Bürgersteig. Der Wetterdienst der meteorologischen Station
Bochum hatte für den Verlauf des Tages einen ungewöhnlich
schweren Orkan angesagt, Windstärken von bis zu 160km/h
wurden in einigen Regionen Nordrhein-Westfalens erwartet.
Der lokale Radiosender warnte die Bürger, am Nachmittag
möglichst nicht mehr das Haus zu verlassen und sich auf keinen
Fall in waldreichen Gebieten oder auf Brücken aufzuhalten.
Kommissar Heller beobachtete argwöhnisch das Wolkenspiel
am Himmel. Der Horizont war von grauer, trüber Farbe
überzogen, obwohl es noch früh am Tag war musste, man
notgedrungen das Licht einschalten. Ein Wetter, bei dem ein
labiler Mensch depressiv werden konnte, dachte Heller. Er
kontrollierte, ob der Fenstergriff richtig geschlossen war, denn
bei jeder Windböe zitterte das Fenster wie ein schwacher, alter
Mann und machte komische Geräusche.
Hoffentlich geht Barbara bei dem Sturm mit der Kleinen nicht
aus dem Haus, dachte er sich und überlegte, nochmal Zuhause
anzurufen, als sich die Bürotür öffnete und seine Kollegin Inga
Brockmann atemlos ins Zimmer stolperte.
„Morgen, Herr Kriminalhauptkommissar!“, grüßte sie lachend,
während sie mit dem einen Auge zwinkerte und mit dem anderen
Auge scheinbar gleichzeitig auf die Kaffeemaschine schielte,
was ihr ein enttäuschtes Naserümpfen entlockte. „Ob ich den
Tag noch erlebe, an dem es hier morgens nach frischem Kaffee
duftet, den ich mal nicht selber gekocht habe?“, fragte sie
seufzend.
„Inga, sie wissen doch, dass ich mit den Unmengen an Koffein
nichts anfangen kann. Ein guter Tee oder ein Mineralwasser
tun’s auch und sind viel gesünder.“
„Das ist reine Ansichtssache!“, behauptete Inga Brockmann
und machte sich gleich an die Arbeit. Fünf Minuten später
stand sie völlig gelöst mit einer dampfenden Tasse vor Hellers
Schreibtisch.
„Haben wir schon den endgültigen Autopsiebericht über den
kleinen Jungen?“, fragte sie Heller und sah ihn gespannt an.
Heller runzelte die Stirn.
„Dr. Wolff war heute Morgen der Erste, der nach mir das Büro
betreten hat!“, entgegnete er mit einer kleinen Anspielung auf
Ingas Verspätung. Der kantige Gerichtsmediziner mit der beeindruckend
glänzend polierten Glatze nahm seine Arbeit sehr
ernst, er verbrachte mehr Zeit in den kühlen Räumen des Kellers
als in seiner eigenen Wohnung und arbeitete immer schnell
und gründlich.
„Schon gut, ich hab’s verstanden, wird nicht wieder vorkommen,
aber ich musste noch einige Dinge vom Balkon räumen,
wegen des Sturmes“, murmelte sie in ihre Kaffeetasse. Heller
überreichte Inga wortlos die Akte, in die sie sich sofort an ihrem
Schreibtisch still vertiefte. Nur ab und zu unterbrach sie
ihr Studium durch leise Ausrufe. Blass und mitgenommen legte
sie die Akte beiseite, schaute eine Zeitlang den vorüberwirbelnden
Blättern vor dem Fenster zu, bevor sie sich wieder konzentriert
ihrer Arbeit widmen konnte.
„Irgendwie machen mich solche Ereignisse, besonders wenn sie
Kinder betreffen, schrecklich wütend!“, presste Inga aus schmalen
Lippen hervor. Heller nickte zustimmend.
Sie sah ihn betrübt an und fuhr fort.
„Der kleine Kerl hatte keine Chance, ich kann nicht verstehen,
wieso die Mutter ihre beiden Kinder über Tage allein in
der Wohnung gelassen hat. Dazu noch überall der Müll und
der Katzenkot. Das arme Tier scheint alles nach Essbarem
durchwühlt zu haben. Komisch fand ich nur, dass es in der
Küche ganz so aussah, als ob jemand etwas zu Essen vorbereiten
wollte, bevor die Kinder allein gelassen wurden. Auf dem
Herd der Topf mit Kartoffeln und Gemüse, in der Pfanne das
inzwischen verdorbene Fleisch, halb angefressen von der Katze.
Selbst das Fläschchen für den Kleinen stand vorbereitet im Flaschenwärmer.
Das passt doch alles nicht zusammen. Aber am
Schlimmsten ist es, dass die Nachbarn nichts gehört und gesehen
haben wollen. Das Zusammenleben mit den Nachbarn
wird doch immer anonymer. Ich würde mich auch nicht mehr
trauen, nebenan wegen ein paar Eiern oder einem Pfund Mehl
anzuschellen. Jeder will für sich bleiben, ein freundliches Grüßen
im Hausflur, das war’s. Und dann wundert man sich, wenn
solche Dinge passieren.“
Heller pflichtete ihr in Gedanken bei, allerdings wohnte er
selber inzwischen in einem Reihenhaus in bester Lage von
Bochum, in der Nähe seiner Schwiegereltern. Er hatte ein soziales
Umfeld, das aus vielen guten Freunden und Bekannten
bestand. Er und seine Frau hatten sich ein solides Netzwerk
aufgebaut. Aber er wusste, dass es viele Menschen gab, um die
sich niemand kümmerte und die niemand vermisste. Erst letzten
Monat hatten sie einen älteren Mann tot vor dem Fernseher
gefunden. Zwei Monate hatte er in seinem Sessel gesessen
und erst als es im Hausflur unerträglich zu stinken begann und
kleine schwarze Fliegen den Flur bevölkerten, konnten sich die
Nachbarn dazu durchringen, die Polizei zu rufen.
Er räusperte sich und fiel seiner Kollegin ins Wort. „Inga, der
kleine Junge, Benjamin, ist laut Autopsiebericht offensichtlich
nur einmal misshandelt worden, und zwar kurz bevor er sich
selbst überlassen blieb. Das hat Dr. Wolff festgestellt. Die beiden
Kinder waren ansonsten gesund und es gab auch vom Jugendamt
bisher keine Hinweise auf Vernachlässigung.“
„Ja, das ist schon komisch, auch weil wir die Mutter nach einer
Woche immer noch nicht gefunden haben. Normalerweise findet
sich bei Vernachlässigung oder Misshandlung die Mutter
spätestens nach zwei bis drei Tagen wieder, weil sie zum Beispiel
mit einer Freundin auf einer Tour durch die Nachtclubs
und Diskotheken war.“
Heller kannte solche Fälle. Seit er selber Vater war, berührten
sie ihn besonders. „Das Thema Kindesmisshandlung ist ein
sensibles Thema. Familien bräuchten viel mehr Unterstützung,
besonders in den Fällen wo die Eltern sehr jung oder eindeutig
mit der Erziehung der Kinder überfordert sind. Dazu kommt
noch die hohe Arbeitslosigkeit, von denen die Revierstädte
schließlich ein Lied singen können. Nicht auszudenken, was
geschieht, wenn die Politiker die Mittel für Jugend und Erziehung
weiter zusammenstreichen!“
Kriminalhauptkommissar Heller hatte sich in Rage geredet,
seine Wangen waren hochrot und er knallte die Akte mit
Wucht auf den Tisch, wodurch sein Wasserglas bedrohlich anfing
zu schwanken. Gerade in diesem Moment betrat Cornelia
Schmitz, die Leiterin der kriminaltechnischen Abteilung, das
Zimmer.
„Hoppla, komme ich ungelegen?“, fragte sie trocken.
Heller wischte sich mit der Hand über die Stirn.
„Nein, nein, der Fall dieser beiden Kinder geht uns mehr an
die Nieren, als wir zulassen möchten, wir haben nur ein wenig
diskutiert. Was gibt’s Neues?“
Cornelia Schmitz strich sich eine dunkelbraune Strähne aus
dem Gesicht.
„Tja, ich denke, der Fall wird immer undurchsichtiger. Nach
Auswertung des vorliegenden Materials haben sich neue Anhaltspunkte
ergeben. Zuerst einmal haben wir im Wohnzimmer
zwei Zigarettenkippen gefunden, die von einer fremden
Person stammen. Die Mutter ist laut Aussage von Verwandten
und Bekannten eindeutig Nichtraucherin, die DNA stammt
zweifelsfrei nicht von ihr. Einen Freund oder Bekannten hatte
es in letzter Zeit angeblich nicht gegeben.“
„Wie steht’s mit dem leiblichen Vater des kleinen Benjamin, er
war schließlich erst fünf Monate alt?“, fragte Inga Brockmann.
„Laut der Mutter hat sich Melanie Koch noch in der Schwangerschaft
vom Vater der beiden Kinder getrennt, die Ehe war
wohl nicht sehr glücklich. Er soll sie öfter geschlagen haben
und lebt jetzt mit seiner neuen Freundin, die ein Modegeschäft
besitzt, auf Sylt. Er hat den Jungen noch nie gesehen!“, beantwortete
Heller die Frage.
„Wir müssen ihn noch persönlich vernehmen, bisher haben
sich die Kollegen von der Insel darum gekümmert, er scheint
ein Alibi für die Tatzeit zu haben. Wenn das stimmt, kann er
nichts mit ihrem Verschwinden zu tun haben.“
„Was für eigenartige Familienverhältnisse!“, warf Inga ein.
Cornelia Schmitz verfolgte den Dialog der Beiden, dann fuhr
sie fort.
„Nun wartet erst mal ab, was noch kommt! Wir haben im
Badezimmer die Fliesen und den Boden mit einer Projektina-
Lampe untersucht. Ihr wisst schon, dieses Gerät, bei dem man
durch eine farbige Brille schaut und Blutspuren, Sperma und
Fingerabdrücke sichtbar machen kann. Da hat einer versucht,
stümperhaft Blutspritzer abzuwischen. Wir haben die Blutspuren
untersuchen lassen und mit Melanie Kochs DNA verglichen.
Und- bingo!“
„Du hast einen merkwürdigen Humor!“, bemerkte Inga Brockmann.
„Das heißt, dass wir nun auch noch wegen Entführung oder einer
Gewalttat ermitteln. Mein Gott, wer tut einer jungen Frau
und ihren Kindern nur so etwas an?“

2. Kapitel


Gegen Mittag hatte der Sturm seinen vorläufigen Höhepunkt
erreicht. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite des Polizeipräsidiums
flog ein Reklameschild wirbelnd über den Bürgersteig.
Die dicke alte Birke, die seit dreißig Jahren den Gehweg
säumte, hatte den Kampf gegen die Orkanböen verloren, entwurzelt
und kraftlos sackte sie in den Vorgarten einer ehrwürdigen
alten Villa.
Im Büro des Kriminalkommissariats zitterten die Fenster bei
jedem Windstoß. Heller starrte fassungslos auf die geballte Naturkraft,
die sich draußen entwickelt hatte. Besorgt griff er zum
Telefonhörer, um sich nach dem Wohlergehen seiner Frau und
des Babys zu erkundigen, obwohl er wusste, dass Barbara intelligent
und vernünftig genug war, zu Hause zu bleiben.
Während er telefonierte, konnte man im Hintergrund die Sirenen
der Feuerwehr hören, die im pausenlosen Einsatz zu umgestürzten
Bäumen, Straßenschildern und sonstigen Notfällen,
die der Sturm verursacht hatte, gerufen wurden.
Inga Brockmann musterte ihren Kollegen amüsiert. Seit Heller
eine Familie hatte, war der ehemals ehrgeizige Einzelgänger
zum treusorgenden Familienvater mutiert. Keiner aus seiner
Abteilung hätte ihm diese Wandlung zugetraut. Heller war siebenunddreißig
Jahre alt, Inga arbeitete bereits seit sechs Jahren
mit ihm zusammen. Er war groß, sportlich, seine dunkelbraunen
Haare standen in einem interessanten Einklang zu seiner
immer leicht gebräunten Haut, einem Erbe seiner italienischen
Vorfahren väterlicherseits.
Inga bemerkte, wie sich Hellers Gesicht während des Telefonats
veränderte. Zuerst waren seine Gesichtszüge freudig entspannt,
dann bewegten sich die Mundwinkel immer weiter nach unten,
bis seine Augen vor Wut anfingen zu glitzern. Mit einem
Räuspern legte er den Hörer möglichst leise auf die Station.
Er betrachtete seine Fingerspitzen, bevor er aufstand, um sich
seine Flasche Wasser von der Fensterbank zu holen.
„Und, alles in Ordnung zu Hause?“, fragte Inga freundlich,
obwohl sie wusste, dass seine Frau ihm vermutlich mal wieder
klar gemacht hatte, dass sie durchaus in der Lage war, alleine
fertig zu werden.
„Ja, ja, ihr und der Kleinen geht’s gut!“, murmelte er mit dem
Rücken zum Schreibtisch. Er trank einen Schluck, presste das
Glas zwischen seinen Fingern, bis die Knöchel weiß wurden
und Inga Sorge hatte, dass es platzen würde. Dann entspannte
er sich, drehte sich um und nahm sich das Bild der vermissten
jungen Frau noch einmal aus der Mappe.
Heller betrachtete es stillschweigend, den Kopf auf die linke
Hand gestützt. Melanie Koch war eine hübsche Frau, sie hatte
lange Haare, braune Augen und geradezu klassische Gesichtszüge.
Man hatte das Gefühl, ihr Lächeln blitzte zuerst in ihren
Augen auf und erhellte dann ihr ganzes Gesicht. Ob sie jemals
wieder ihre Tochter so anlächeln würde?
Nach mehreren Tagen waren sie noch kein Stück weitergekommen.
Hellers Blick schweifte zum Fenster und ruhte versonnen
auf einem Kratzer im Glas. Manchmal war sein Job so deprimierend.
Inga Brockmann, die Heller aufmerksam beobachtet hatte, verspürte
Mitleid mit ihrem Kollegen und Vorgesetzten. Welche
Frau würde sich nicht einen Mann wünschen, der sich Tag und
Nacht Gedanken um sie macht. Ihre letzte Beziehung hatte
sechs Monate gehalten, bis sie dahintergekommen war, dass ihr
Freund nur deshalb an den Wochenenden nie Zeit hatte, weil
er stolzer Vater eines dreijährigen Sohnes und verheiratet war.
Er hatte eines Nachmittags sein Handy bei ihr liegen lassen. Als
es dreimal hintereinander piepste, las sie teils aus Neugier und
teils aus Fürsorge, er könnte eine wichtige Nachricht verpassen,
die Mitteilung. Seine Frau hatte ein Bild von sich und seinem
kleinen Sohn geschickt mit dem Text: Vermissen dich, kannst
du die Besprechung nicht früher verlassen? Kuss Deine Mäuse!
Das war ein Schlag ins Gesicht und das Ende ihrer Romanze.
Inga nahm sich eine Büroklammer aus der Acrylverpackung,
heftete einen Notizzettel an ihre Unterlagen und räusperte sich
leise. „Wie wollen wir weiter vorgehen?“, fragte sie mit einem
vorsichtigen Blick auf Heller.
„Tja, man muss einfach nur wissen, wonach man suchen muss,
dann kann man das Puzzle in aller Ruhe zusammensetzen“,
entgegnete Heller mit einem Grinsen. Inga verdrehte genervt
die Augen.
„Also wirklich, ich meine es ernst. Svenja, das kleine Mädchen,
ist ab heute bei Pflegeeltern untergebracht. Die Kinderklinik
konnte sie nicht länger in ihrer Obhut behalten, sie haben sie
aufgepäppelt und eingehend untersucht. Ich habe gestern Vormittag
mit der zuständigen Ärztin, Dr. Jana Heimbold, gesprochen.
Dem Mädchen geht es den Umständen entsprechend gut.
Sie weint viel und fragt immer wieder nach ihrer Mutter, nicht
unbedingt ein Zeichen dafür, dass Melanie Koch ihre Kinder
schlecht behandelt hat. Dr. Heimbold sprach von einem recht
guten Allgemeinzustand des Kindes, wenn man einmal von der
Auszehrung nach mehreren Tagen ohne vernünftige Nahrung
absieht. Das Kind ist von Natur aus sehr zierlich, da hatte sie
nicht mehr viel zuzusetzen in dieser Situation!“
„Soweit ich weiß, würden die Großeltern das Kind gerne zu
sich nehmen, aber die Großmutter hatte nach dem Verschwinden
ihrer Tochter und dem Tod des Enkels einen Zusammenbruch.
Sie muss sich noch erholen, aber ich denke, dass wir die
Großeltern morgen nochmal vernehmen können.“
„Ich habe da so eine Idee“, murmelte Inga.
„Na los, erzählen Sie schon!“, ermunterte Heller seine Kollegin.
„Es erscheint Ihnen vielleicht merkwürdig, aber mein Bauchgefühl
sagt mir, dass wir uns viel eingehender mit Melanie Kochs
Privatleben beschäftigen sollten. Ich würde liebend gerne nochmal
mit ihrem Chef und ihren Kolleginnen aus der Apotheke
sprechen. Es gab da einen anonymen Hinweis, dass Melanie
Koch ein Verhältnis mit dem Apotheker hat. Vielleicht hilft
uns das weiter.“
„Wieso weiß ich davon nichts?“, brauste Heller plötzlich auf.
Er sprang aus seinem Stuhl und knickte unsanft mit dem rechten
Knöchel um. Schmerzverzehrt rieb er sich mit der rechten
Hand die Stelle, während er mit der linken Hand wild gestikulierte.
„Das ist mal wieder typisch. Sie enthalten mir wichtige Informationen
vor. Inga, sie haben die Pflicht mich zu informieren!
Langsam glaube ich, dass es einige Kollegen gibt, die es mit der
Genauigkeit nicht so ernst nehmen!“
„Entschuldigung, aber wir hatten so viele Hinweise aus der Bevölkerung,
die erst einmal sondiert und nachgeprüft werden
mussten. Und ja, mhm,…, also, in der Regel geben Sie nicht
viel auf anonyme Hinweise, da dachte ich…“
„Herrgott, Sie denken ohnehin zu viel. Diese junge Frau ist
immer noch verschwunden, wenn sie noch lebt, dann ist jede
Sekunde kostbar. Das sollten Sie sich immer vor Augen halten!“
Beleidigt starrte Inga auf ihren Schreibtisch. Wut kochte in ihrem
Bauch. Auch wenn Heller im Grunde recht hatte, brauchte
er nicht jedes Mal so anmaßend und wütend zu werden.
Sie griff mit einer Hand nach der Akte auf ihrem Schreibtisch,
schlug sie mit einem Ruck auf. Gerade als sie beginnen wollte,
den Mund zu öffnen, gab es einen heftigen Knall. Glasscherben
flogen in kleinen Teilchen ins Zimmer, der Wind pfiff gnadenlos
durch das beschädigte Fenster und verteilte sämtliche
losen Zettel wahllos im Raum. Geschockt beobachtete Inga
das Durcheinander, unfähig sich zu rühren. Erst als sie sich zu
Heller drehte, bemerkte sie seinen besorgten Blick, der auf ihr
Gesicht gerichtet war. Sie erwachte durch einen stechenden
Schmerz aus ihrer Lethargie, fasste sich an die Stirn und wurde
kalkweiß, als sie das Blut an ihren Händen sah.
„Keine Sorge, das ist bestimmt nur ein Kratzer, ich hole schnell
den Notallkoffer!“, versuchte Heller, der ehrlich besorgt war,
sie zu beruhigen.
Die Windböe hatte inzwischen nachgelassen. Inga begutachtete
ängstlich das Ausmaß des Schadens. Ein Teil einer Dachschindel
war durch den Sturm direkt in eines der beiden Fenster
geschleudert worden und hatte es zertrümmert.
Immer noch fassungslos, spreizte sie beide Hände von sich, bewegte
sich Schritt für Schritt zum Waschbecken, um das Blut
von den Händen zu waschen und sich die Wunde näher anzusehen.
Als sie einen Blick in den Spiegel warf, bekam sie sofort
wieder ein ungutes Gefühl in der Magengegend, ihre Beine
wurden weich wie Pudding und zitterten ein wenig. Rasch zog
sie den Schreibtischstuhl zu sich heran und atmete einmal tief
durch. Kurze Zeit später ließ sie sich dankbar von Heller verarzten,
der soeben hereingekommen war.
„Alles in Ordnung?“, fragte er, als er ihren Gesichtsausdruck
sah. Inga nickte. Behutsam zog Heller den kleinen Glassplitter
mit einer Pinzette aus ihrer Haut, tupfte ein wenig Jodsalbe auf
und klebte ein sauberes Pflaster auf die Wunde.
„Da haben wir nochmal Glück gehabt!“, behauptete er.
„Was heißt hier Glück gehabt?“, fauchte Inga, nun wieder zu
Leben erwacht.
„Ich habe einen Riesenschreck, eine Schnittwunde und all unsere
Papiere liegen auf dem Boden verteilt. Außerdem sieht das
Büro aus wie ein Saustall. Überall Glasscherben, das Fenster ist
kaputt, selbst meine Topfblume ist zu Bruch gegangen. Außerdem
zieht’s hier wie Hacke!“
Bedauernd betrachtete sie die kleine gelbe Primel, die jetzt
zwischen Topfscherben und Blumenerde ein klägliches Dasein
fristete und vom Wind hin und her gerollt wurde, sobald die
Tür aufging.
Inzwischen hatten sich nämlich etliche Kollegen in der Zimmertür
versammelt, um sich das Desaster anzuschauen. Henry
Kowallek, der Kollege aus dem Büro nebenan, schüttelte geschockt
den Kopf. Da er der Sicherheitsbeauftragte war, bat er
sofort alle Umstehenden, das Zimmer zu verlassen, denn der
Wind nahm wieder an Stärke zu. Mehrere Scherben wurden
erneut durch die Luft gewirbelt.
„Andi, Inga, für heute könnt ihr in diesem Büro nicht mehr
weiterarbeiten, ich werde dafür sorgen, dass noch heute Nachmittag
aufgeräumt und sobald als möglich ein neues Fenster
eingesetzt wird!“
Entschlossen zwirbelte er seinen mächtigen Schnauzbart, während
Conny Schmitz ihre Freundin Inga sanft am Arm in den
Flur zog. Heller schnappte sich die Ermittlungsakte, Ingas
Handtasche und seine Jacke, dann schloss er die Tür hinter
sich.
„Inga, ich werde noch zu Melanies Mutter fahren, um ihr einige
Fragen zu stellen. Sie nehmen sich besser den Rest des Tages
frei und erholen sich!“
Freundlich nickte er ihr zu, aber sie war nicht in der Laune
für eine angemessene Erwiderung. Ihr Kopf schmerzte, sie war
wütend und verwirrt und maß ihn mit einem langen, grüblerischen
Blick.
Conny Schmitz deutete mit einer Handbewegung an, dass sie
sich um Inga Brockmann kümmern würde und er ruhig gehen
könnte. Erleichtert übergab Heller seiner Kollegin die Handtasche,
klopfte Henry Kowallek auf die Schulter, der in seinem
karierten Flanellhemd und der beigen Kordhose auf dem Flur
stand und angeregt von seinem Handy aus mit der Schadenstelle
telefonierte.

3. Kapitel


Das Haus, in dem Melanie Kochs Eltern lebten, hatte schon
bessere Zeiten gesehen. Es lag in der sogenannten „Kappskolonie“,
einer ehemaligen Bergarbeitersiedlung mit malerischen
Fachwerkhäusern im Stadtteil Bochum-Hordel. Viele dieser
Häuser waren inzwischen liebevoll renoviert worden. Unweit
der Siedlung, kurz vor Günnigfeld, war Heller im letzten Sommer
mit seiner Frau im Industriemuseum „Zeche Hannover „
gewesen. Die beiden hatten auch die „Zeche Knirps“ besucht.
Hier konnten Kinder unter fachmännischer Anleitung zusammen
mit ihren Eltern oder der Schulklasse den Bergbaubetrieb
kennenlernen und sogar selber „Kohle fördern“- in diesem Fall
war es allerdings Sand, den die Förderbänder transportierten.
Da würde er mit Marie auch mal hingehen, wenn sie alt genug
war, überlegte Heller, während er den Zeigefinger auf den Klingelknopf
legte. Im Hintergrund hörte er das tiefe Bellen eines
großen Hundes, und es dauerte noch einige Minuten, bis sich
die Haustür öffnete. Überrascht blickte Heller in das Gesicht
einer Frau Ende fünfzig.
Ihre Haare waren kurz geschnitten und karottenrot gefärbt. Sie
konnte den zotteligen altdeutschen Schäferhund, den sie am
Halsband hielt, kaum bändigen. Wütend bleckte er die Zähne
und kläffte Heller, der einen Schritt zurückgewichen war,
immer wieder an. Wäre Heller nicht an Hunde gewöhnt gewesen,
er hätte Fersengeld gegeben und sich schleunigst wieder
in sein Auto gesetzt. So aber wartete er ab, bis der Hund sich
auf behutsames Zureden seiner Herrin beruhigt hatte, ließ ihn
dann vorsichtig an seiner Hand schnuppern und wandte sich
schließlich mit sanfter Stimme an Marlene Wegener.
„Guten Tag Frau Wegener, mein Name ist Andreas Heller von
der Kripo Bochum. Ich würde mich gerne mit Ihnen unter
halten. Vielleicht wäre es besser, wenn Sie den Hund in ein
anderes Zimmer sperren. Oder glauben Sie, er lässt mich ins
Haus?“, fragte er mit einem gewinnenden Lächeln. Doch Melanie
Kochs Mutter beäugte den Kommissar weiterhin misstrauisch,
genau wie ihr Hund.
„Da war doch schon mal jemand hier, um uns zu vernehmen!“,
wehrte sie ab, ohne Anstalten zu machen, Heller ins Haus zu
bitten. Durch den Türspalt wehte Heller der Geruch abgestandener,
schaler Erbsensuppe in die Nase.
„Das ist richtig, aber es haben sich neue Anhaltspunkte ergeben,
über die ich gerne mit Ihnen reden würde!“
Marlene Wegener rümpfte die Nase.
„Unsere Melanie ist nun schon eine Woche verschwunden und
mein Enkelsohn ist tot, was wollen Sie denn von uns? Suchen
Sie lieber den Verbrecher, der uns das angetan hat! Haben Sie
mal diese widerlichen Zeitungsberichte gelesen? Meine Tochter
hat ihre Kinder immer gut versorgt, und jetzt zeigt man mit
dem Finger auf unsere Familie, weil sie die Kleinen vernachlässigt
haben soll! Ist das gerecht?“
Ihre Gesichtszüge verhärteten sich und ihre Augen füllten sich
mit Tränen, aber nun trat sie doch einen Schritt beiseite, um
Heller den Weg ins Haus freizumachen. Dabei bemerkte der
Kommissar, wie im Nebenhaus eine ältere Frau, die vorher
neugierig sein Eintreffen beobachtet hatte, hinter der Gardine
verschwand.
Zögerlich quetschte sich Heller an dem Hund vorbei, der wachsam
im Eingangsbereich des kleinen Hauses stehen blieb. Marlene
Wegener hatte seinen Wunsch, den Hund wegzusperren,
einfach ignoriert. Wenigstens zeigte sich das Tier nicht mehr
aggressiv, und nachdem er eine Weile das Geschehen beobachtet
hatte, trottete der Schäferhund gelangweilt zu einer alten
Decke, die vor der Heizung im Wohnzimmer lag.
„Unser Hasso ist schon neun Jahre alt, ein guter Wachhund,
und er war mir und meinem Mann immer treu ergeben!“, verkündete
Melanie Kochs Mutter stolz, während sie sich in einen
abgewetzten Sessel setzte, der zusammen mit einem ebenso
abgenutzten beige-braunen Sofa die Sitzecke ergab. Auf dem
Couchtisch und überall in dem billigen rustikalen Wohnzimmerschrank
aus Eiche ergänzten Häkeldeckchen den Stil der
Einrichtung.
Vom Wohnzimmer aus hatte Heller einen Blick in die Küche.
Ein Mann in Unterhemd saß an einem winzigen Küchentisch
und löffelte geräuschvoll seine Suppe, wahrscheinlich die Erbsensuppe,
die Heller schon im Eingang gerochen hatte. Zwischendurch
griff er ein paar Mal nach einer Flasche Bier, die
neben seinem Teller auf einem Pappdeckel stand. Dass ihm
seine Mahlzeit mundete, bekundete er immer wieder durch
herzhaftes Rülpsen, das Heller die Röte ins Gesicht trieb. Die
Frau, die dieses Gebaren offenbar gewohnt war, schien davon
unbeeindruckt.
„Das ist der Herbert, mein Mann!“, zeigte sie in seine Richtung.
„Herbert, wenn du fertig bist, komm doch mal rüber zu uns
ins Wohnzimmer. Hier ist ein Herr von der Kripo!“, schrie sie
lautstark über die kurze Distanz.
„Mein Mann hört schlecht“, erklärte sie Heller, als sie ihn ob
ihrer Lautstärke zusammenzucken sah. „Ein Arbeitsunfall auf
der Zeche, es gab eine kleine Explosion, dabei hat er fünfzig
Prozent seines Hörvermögens verloren. Jetzt ist er aber schon
länger Rentner.“
Heller nickte teilnahmsvoll. Zu oft musste er sich die Lebensgeschichten
der Opfer und ihrer Familien anhören. Er wartete,
bis sich Herbert Wegener den Mund mit der Hand abgewischt
hatte und sich auf das Sofa gegenüber fallen ließ. Die angebo-
tene Hand zur Begrüßung lehnte Heller jedoch dankend ab.
Die Eheleute blickten ihn nun erwartungsvoll an. Heller fühlte
sich durch die Situation unangenehm berührt. Die verhärmte
Frau, der ungepflegte Mann, das ärmliche Haus und die wenig
appetitanregenden Gerüche aus der Küche machten ihm
zu schaffen.
„Frau Wegener, Herr Wegener, ich muss Ihnen leider sagen,
dass wir Anlass zu der Vermutung haben, dass Ihre Tochter entführt
und wahrscheinlich auch verletzt wurde. Das können wir
anhand der Spuren aus der Wohnung annehmen. Wer könnte
ein Interesse daran haben, ihr so etwas anzutun?“
Marlene Wegener war blass geworden.
Einen Augenblick glaubte Heller, dass Melanie Kochs Mutter
anfangen würde zu weinen, aber sie fing sich schnell wieder,
streichelte mit einer Hand das struppige Fell des Hundes, der
sich inzwischen zu ihren Füßen niedergelassen hatte und suchte
den Blick ihres Mannes. Der jedoch saß mit stumpfsinnigem
Gesichtsausdruck auf seinem Platz. Offensichtlich wusste er
nicht, was er zu der Frage sagen sollte. Marlene Wegener stockte,
bevor sie zu sprechen begann.
„Melanie ist so ein liebes Mädchen. Sie hat doch keine Feinde.
In der Apotheke war sie beliebt, und nach der Trennung von
ihrem Mann gab es keinen neuen Freund. Sie hat hart gearbeitet
und sich in ihrer Freizeit voll und ganz um die Kinder
gekümmert. Das müssen Sie mir glauben. Die beiden gingen
tagsüber in eine Kinderkrippe, damit sie arbeiten konnte. Der
Kleine erst seit kurzem. Wenn sie länger bleiben musste, habe
ich für die Kinder gesorgt. Ich putze in der Gaststätte nebenan,
aber ab mittags habe ich Zeit. Und jetzt ist unser kleiner Sonnenschein
tot, unser kleiner Enkel….“
Sie brach abrupt ab und schaute verzweifelt zu Boden.
Ihr Mann erwachte aus seiner Lethargie, berührte zaghaft ihre
Hand und räusperte sich.
„Hören Sie, die Melanie hat mal was von einem Stefan Häuser
erzählt, ich glaube, das ist ihr Chef. Sie scheint sich gut mit
ihm verstanden zu haben. Aber Jens war dagegen, das sie was
mit ihm anfing.“
„Jens, wer ist Jens?“, fragte Heller verwirrt, der die leisen Worte
kaum verstanden hatte. Herbert Wegener schaute ihn mit ernster
Miene an.
„Das ist doch unser Sohn, Melanies Bruder.“
„Und wo ist ihr Sohn zurzeit?“, fragte Heller und setzte sich
konzentriert auf, überrascht von dieser Mitteilung.
„Der ist zurzeit in Hamburg, bei der Bundeswehr. Er hat sich
für zwölf Jahre verpflichtet. Er ist ein guter Junge!“, betonte
der Mann.
Ein frischer Wind blies durch das halbgeöffnete Wohnzimmerfenster
und übertönte das unangenehme Schweigen, das nun
für eine kurze Zeit in dem kleinen Zimmer in der Luft hing.
Heller notierte sich die Informationen des Vaters, steckte dann
seinen Notizblock ein und wandte sich an die Mutter. Er hatte
es jetzt eilig.
„Frau Wegener, falls Ihnen noch etwas einfällt, Sie können
mich jederzeit im Präsidium erreichen. Ich danke Ihnen, dass
Sie sich heute noch mal die Zeit genommen haben!“
Der Kommissar stand auf, um sich höflich von Melanies Eltern
zu verabschieden. Es gab nun ganz neue Gesichtspunkte. Er
musste die Akte unbedingt noch einmal lesen. Wieso hatte der
Beamte vor Ort diese Angaben beim ersten Mal nicht mit in
die Unterlagen aufgenommen? Heller war verärgert, er hasste
es, wenn jemand nicht korrekt arbeitete.
„Und wir werden Sie natürlich informieren, wenn es etwas
Neues gibt!“, versprach er den Wegeners, tätschelte dem Hund,
der nun sogar mit dem Schwanz wedelte, vorsichtig den Kopf.
Als er ging, war er ziemlich erleichtert, dieser kleinbürgerlichen,
gedrückten Atmosphäre entkommen zu sein. Im Rückspiegel
seines Autos sah er das Ehepaar im Türrahmen stehen,
sie wirkten wie zwei hundertjährige Eichen, die sich im Sturm
aneinander lehnten und doch schon viele Äste verloren hatten.
Als Heller ins Polizeipräsidium zurückkehrte, konnte er natürlich
noch nicht in sein Büro. Kowallek hatte zwar tatsächlich
in die Wege geleitet, dass das Zimmer aufgeräumt wurde und
die Glaser im Anmarsch waren, aber die Renovierungsarbeiten
würden noch bis morgen früh andauern. Er schaute kurz in
Kowalleks Zimmer hinein, um sich zu bedanken. Gerade als er
den Kopf durch die Tür steckte, winkte der Kollege ihn schon
herein.
„Ah, Andy, gut dass du wieder da bist. Wir haben noch einen
neuen ominösen Fall. Da ist wohl so ein Professor von der Uni
verschwunden. Schau dir die Unterlagen mal an, wenn du Zeit
hast. Heute kannst du hier sowieso nichts mehr ausrichten.
Wir sehen uns morgen!“
Heller bedankte sich bei Kowallek mit einem Handgruß und
fing die Akte auf, die der Kollege ihm zuwarf, während er mit
dem Hörer unter dem Kinn telefonierte. Heller warf einen
Blick in die Unterlagen, beschloss aber dann, erst am nächsten
Tag weiter zu recherchieren und für heute Schluss zu machen.
Die Akten verwahrte er in seinem Spind auf, bevor er erschöpft
nach Hause fuhr.

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Tag der Veröffentlichung: 02.12.2011

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