Die Nacht war sommerlich warm, schwül und schon für
gesunde, junge Menschen eine Strapaze, doch alten, kranken,
bettlägerigen Zeitgenossen geriet sie zur unerträglichen Qual.
Nicht wenige schlossen in diesen Stunden für immer ihre Augen.
Etliche erlitten Kreislaufzusammenbrüche, Herzstillstände
und bei anderen versagten die letzten schwachen Kräfte, die
sie noch im Leben hielten.
Darüber machte sich der alte Mann allerdings keine Gedanken.
Sein Leben war nur mehr ein immer gleiches, dunkles,
von keiner Aufhellung, keiner Abwechslung und keinem
schönen Gedanken mehr unterbrochenes Warten. Worauf,
wusste er selbst nicht zu sagen. Die Pflegerin, die nachts über
die Heimbewohner wachte, hatte ihm eine gute Nacht gewünscht,
nachdem sie sich vergewissert hatte, dass bei ihm
alles in bester Ordnung war und ihn dann, wie jeden Abend,
allein gelassen und sich jenen gewidmet, die ihrer Aufmerksamkeit
mehr bedurften, als der bescheidene, unauffällige und
scheinbar immer zufriedene alte Herr.
Seine vom Leben gegerbte und von tiefen Falten durchfurchte
Haut war bis in den letzten Winkel von fechtnassem,
klebrigem Schweiß überzogen. Das Atmen fiel ihm schwer
und er fühlte sich, als laste ein Sack Zement auf seiner Brust.
Wie bei diesen Temperaturen nicht anders zu erwarten, versank
er in einem halbwachen, halbwahnsinnigen Zustand,
in dem sich Halluzination und Realität zu einem schweren,
langatmigen Alptraum vermischen und in dem man die Sorge
bekommt, nie wieder klar und zurechnungsfähig zu werden.
Vor dem weit geöffneten Fenster, dass er nicht sehen, sondern
nur erahnen konnte, raschelte das Laub des Ahorns sachte
im kaum wahrnehmbaren Wind, der nicht bis ins Zimmer
reichte und die warme Luft draußen nur ein wenig verwirbelte,
statt für die ersehnte Abkühlung zu sorgen. Gelegentlich
knarrte der Rahmen, wenn er von einer der Brisen kaum hörbar
bewegt wurde.
Jeder Atemzug wurde zu einer Anstrengung, die er einzeln
und belastend auf sich nahm. Im Ohr begann er seinen Puls
schlagen und sein schlechtes, krankes Blut rauschen zu hören.
Immerhin, dachte er, war es trotz miserabler Werte, bei denen
andere schon gestorben wären, noch gut genug, um seinen
Körper und die zunehmend schwerfällig arbeitenden Organe
mehr schlecht als recht funktionieren zu lassen.
Schwülstig gefährliche, blutige, wirre Bilder zogen in einer
absonderlichen, peinigenden Diaschau vor seinem inneren
Auge vorbei. Seine Haut klebte am Bettzeug fest und der
Atemzug, dem seine volle Aufmerksamkeit galt, wurde noch
schwerer. Zusätzlicher Schweiß trat ihm auf die Stirn. Warum
musste das Alter untrennbar mit Leid, Niedergang und langsamem
Übergang in den Tod verbunden sein?
Heute Nacht konnte es zu Ende gehen. Wenn man dem
Ein- und Ausatmen, dem fast nie die Aufmerksamkeit des Bewusstseins
gilt, sondern das mechanisch vom Unterbewusstsein
als notwendige Selbstverständlichkeit zur Erhaltung des
Organismus koordiniert wird, den kümmerlichen Rest an klaren
Gedanken schenken muss, sollte man Angst bekommen.
Der alte Herr im Seniorenheim fürchtete sich nicht davor,
endgültig abberufen zu werden. Er war im Hier und Jetzt, im
verschwitzten Bett, im stickigen Zimmer, in seiner irrealen,
schrecklichen Dunkelheit gefangen. Sich zu bewegen, war
ihm zu anstrengend und nichts hätte ihn bei diesen Temperaturen
zu beruhigenden, vertrauten klaren Gedanken bringen
können. Sollen nicht schon normale, friedfertige Menschen in
ähnlichen Zuständen getötet haben, ohne sich im Nachhinein
daran zu erinnern? Stumme Schreie, Blut, Särge, ätzende
Wunden und alles, was ein gesunder Geist gern verdrängt,
peinigten den alten Mann, der auf die Gnade hoffte, einzuschlafen.
Obwohl er sich zusammenriss, war es ihm unmöglich,
die verrückten Gedanken, die grausigen Bilder, abzuschütteln
und er brachte es nicht einmal fertig, einen Finger zu
heben, geschweige denn, sich aufzusetzen. Das morbide Kino
nahm kein Ende. Sollte er die Belastung, Luft einzuziehen,
überhaupt noch weiterhin auf sich nehmen? In Momenten wie
diesen, ist es einfacher, sich dem Tod zu ergeben, als das Leben
zu verewigen. Seine Erschöpfung war vollkommen. Er dämmerte
dahin.
Ein gedämpftes Poltern drang an sein Ohr. Er vernahm
geisterhafte Schritte, die sich auf ihn zu bewegten. War er
noch allein in seiner Alptraumwelt? Hatte er soeben die Grenze
überschritten, hinter der Erscheinungen, imaginäre Freunde,
einflüsternde Stimmen, Dämonen und dauerhafte geistige
Umnachtungen lauerten? Nein, er war nicht mehr allein. Seine
Augenlider waren so unbeweglich, als hätte man sie in geschlossenem
Zustand mit zuverlässigem Sekundenkleber festgeklebt.
Er nahm sich zusammen, legte seinen ganzen Willen
hinein und nach einer kleinen Ewigkeit bekam er sie einen
winzigen Spalt weit geöffnet. Da das Augenlicht ihn fast zur
Gänze verlassen hatte, war das, was es ihm in der Dunkelheit
zeigte, genauso verschwommen, schwarz und unbestimmt wie
die Welt, aus der er in den letzten Stunden nicht hinausgekommen
war. Eine abkühlende Klimaanlage hätte ausgereicht, um
die Überhitzung seines Körpers und den temporären Wahnsinn
zu beenden, doch hier gab es sie nicht.
Stand dort ein unbeweglicher Schatten? Sah ihn jemand
an? Er glaubte, einen fremden Atem zu spüren, ein fremdes
Herz schlagen zu hören. Er wurde verrückt. Natürlich war
niemand außer ihm im Raum und ebenso selbstverständlich
hatte er keine Schritte gehört. Wie von selbst, schlossen sich
seine Augen wieder und er ergab sich der heißen, schauderhaften,
entsetzlichen Welt in seinem inneren, seinem vernebelten
Gehirn, seinem versagendem Leib.
„Erinnern Sie sich an mich?“, fragte eine ferne Stimme.
Der greise Herr antwortete nicht. Wenn man einmal anfängt,
mit nicht existierenden Stimmen zu sprechen, sagte er
sich, hörte man möglicherweise nie mehr damit auf.
„Ich werde Sie und Ihren Namen niemals vergessen.“ Die
Stimme schwieg nach diesen eindringlichen Worten. Nach einer
langen Pause sagte sie: „Ich bin hier, um Ihnen eine Frage
zu stellen.“
Jetzt stellte ihm der herbeigeträumte Gesprächspartner, der
seiner Phantasie entsprang, also hartnäckige Fragen.
Die Stimme nannte einen Namen. Der Alte hoffte, dass sie
so schnell und plötzlich verschwand, wie sie gekommen war,
wenn er sie standhaft ignorierte. Mit Geistern redet man nicht.
Eine stahlharte, eiskalte Hand umklammerte sein abgemagertes,
knochiges, verschwitztes Handgelenk. Er fühlte
Schmerzen, die es nicht geben konnte, weil die Person, die sie
verursachte, nur in seinem Kopf existierte, ihm Gesellschaft
leistete und ihn mit ihrer Aufdringlichkeit belästigte.
Jetzt hauchte sie ihm etwas aus unmittelbarer Nähe ins
Ohr. Er roch den fremden Atem und fühlte ihn auf der Haut.
Die Faust, die sein Handgelenk zerquetschte, drückte fester
zu. Er war nicht im Stande, zu schreien. Die der Erschöpfung
geschuldete Lähmung war vollkommen.
„Sie erinnern sich genau.“, sagte die Stimme mit hypnotisierender,
betonungsloser Gleichmäßigkeit. „Sie vergessen
meinen Namen so wenig, wie ich Ihren vergessen habe.“
Der alte Herr gab auf. „Warum sind sie gekommen?“
„Sie wissen also, wer ich bin?“ Die Stimme war so nah bei
ihm, wie seine eigene.
„Ja, Sie haben recht.“ Flüsternd zu hauchen, fiel leichter, als
gedacht. „Was wollen Sie von mir?“
Eine schier endlose Pause absoluter, vollkommener Stille
entstand. „Das können Sie sich wirklich nicht denken?“ In der
Frage schwang kein ehrliches Erstaunen mit, sondern nur die
traurige Bestätigung einer bestimmten Erwartung.
„Nein.“, rang der alte Herr sich ab. „Das kann ich nicht.“
Erneut verfiel die schemenhafte Gestalt in abwartendes
Schweigen. Vor dem Fenster raschelten die Blätter wieder und
der bis zur Unerträglichkeit erschöpfte Mann wähnte sich endlich
allein. Der Geist hatte sein Handgelenk freigegeben und
auf das Bettlaken zurückfallen lassen. Jetzt, da der Wahnsinn
sich zu lichten begann, konnte er daran denken, zu schlafen.
„Ich werde Ihnen eine Geschichte erzählen, die den nicht
hoch genug einzuschätzenden Vorteil hat, wahr zu sein.“ Die
eingebildete Stimme war wieder nah bei ihm und malträtierte
ihn mit ihrem verstörenden Realismus. Er hätte schwören können,
dass sie tatsächlich existierte.
„Verschwinde...“. Er setzte dazu an, seinem Gesprächspartner,
den es gar nicht geben durfte, die Tür zu weisen und ihn in die
dunkle Ecke seines Verstandes zurück zu schicken, aus der er
ohne Vorankündigung aufgetaucht war. Man konnte die Erde
Jahrzehnte bewohnt und alles gesehen haben – und dann reichte
eine heiße Sommernacht aus, um Unmögliches geschehen zu
lassen und ein Weltbild zu zertrümmern.
Die kalte Hand, die vor einer Minute, vielleicht auch einer
halben oder ganzen Stunde – die Zeit steht still in solchen Zuständen
– sein Handgelenk zerquetscht hatte, legte sich mit bestimmender,
kompromissloser Macht auf die zitternden Lippen
des alten Mannes. „Sparen Sie sich Ihre Kraft für die Antwort
auf die Frage, die Sie mir nicht beantworten wollten. Wenn Sie
sich meine Geschichte angehört haben, werden Sie mir den Namen,
den ich wissen möchte, verraten. Ich weiß, dass Sie ihn
kennen.“
Der Geist begann mit einem Vortrag, der kein Ende nehmen
wollte. Die Bilder, die sich währenddessen im Kopf des alten
Mannes zusammensetzten, standen den alptraumhaften Halluzinationen,
die er vor seinem Auftauchen gehabt hatte, nicht
nach. Er driftete davon. Die Stimme entfernte sich immer weiter,
während der Greis in seinem Wahn versank und ihn der klebrige
Schweiß auf seiner Haut, der ausgetrocknete Mund und seine
grenzenslose Erschöpfung malträtierten.
Sprach der Geist noch mit ihm? Seine Stimmbänder bewegten
sich wie von selbst und sprachen einen Namen aus, der
aus den Tiefen seiner Erinnerung herangerauscht kam.
Hatte er jetzt endlich Ruhe? Er konnte nicht mehr.
Kalte, schweißnasse Hände legten sich um seinen Hals und
drückten zu. Er blieb passiv und hatte nichts mehr zu seiner
Verteidigung aufzubringen. Ein Ring aus Stahlbeton drückte
ihm die Luft ab. Wenige Sekunden später versank er in der
Schwärze. Noch einmal riss er mit letzter Kraft für einen Sekundenbruchteil
die Augen auf. Das Letzte, was er von dieser
Welt sah, war das zufriedene, gütige Gesicht des Mörders, der
sich über ihn beugte.
„Karlheinz, traust du es dir zu, das Haus für ein paar Tage
zu beaufsichtigen?“ Inge Bachmann machte eine freundliche
und unschuldige Miene, der kaum jemand eine Bitte hätte abschlagen
können. In der grellen Mittagssonne wirkte ihr von
der heimischen Sonne vorgebräuntes Gesicht trotz der fünfundfünfzig
Jahre, die sie bereits zählte, jugendlich und unverbraucht.
Man hätte sie ohne Schwierigkeiten eine Dekade
jünger schätzen können.
„Nun ja,“, räusperte sich Karlheinz Kappler, der die letzten
Jahre in selbst gewählter Einsamkeit mit seinen Büchern ver-
bracht hatte, „es geht weniger darum, ob ich es mir zutraue,
sondern eher darum, ob ich hier meine Ruhe haben könnte.“
Sie prustete vergnügt los. „Mein lieber Karlheinz, soweit ich
weiß, hast du schon das ganze Jahr über deine Ruhe und bist
viel zu viel allein. Ein bisschen Abwechslung würde dich sicherlich
auf andere Gedanken bringen.“ Sie tätschelte ihn wohlwollend
am Arm.
Wenn er eines nicht mochte, dann waren es Leute, die meinten,
sein Leben nach ihren Vorstellungen verändern zu können
und die der festen Überzeugung waren, ihm damit etwas Gutes
zu tun. „Inge, ich glaube, dass ich immer noch ganz gut alleine
entscheiden kann, welche Abwechslung mir eine Wohltat ist
und auf welche ich lieber verzichte.“
„Wir möchten dich weder bevormunden, noch dich zu etwas
drängen, das dir widerstrebt.“, mischte sich Siegfried Bachmann,
Kapplers alter Freund, ein. „Wir haben uns lediglich
darüber gefreut, dass du dich nach so langer Zeit der Zurückgezogenheit
wieder mit uns getroffen hast und wir dachten, dass
dir ein kleiner Urlaub vom Alltag gut tun würde. Außerdem
lassen wir das Haus wegen der Gefahr durch Einbrecher nicht
gerne leer stehen und sind beruhigt, wenn jemand nach dem
Rechten sieht... Und wem kann man heute noch vertrauen?“,
fragte er nach einer kurzen Pause nachdenklich.
Im Gegensatz zu seiner Ehefrau und dem seltenen Gast saß
er im Schatten der ausgefahrenen Markise. Den wärmenden
und belebenden, stechenden Sonnenstrahlen schien er nichts
abzugewinnen.
Kapplers Glatze glänzte vom Schweiß, der ihm in unansehnlichen
Bahnen vom kahlen Haupt über das gerötete Gesicht
hinab lief und im wallenden, grauen Bart versickerte. Er bot
ein ungewöhnliches, unzeitgemäßes, altertümliches Bild und
glich eher einem um zwei Jahrtausende verspäteten keltischen
Druiden, als einem deutschen Pensionär seiner Zeit. Die Leute
tuschelten und schmunzelten, wenn sie ihn auf der Straße sahen
und die Meisten glaubten einen extravaganten Spinner vor
sich zu haben, während nur wenige erkannten, dass hinter der
außergewöhnlichen Fassade ein ebenso eigentümlicher, freier,
belesener und instinktsicherer Geist verborgen war.
Kappler war unangenehm dabei zumute, einem alten
Freund eine Bitte abzuschlagen. „Wie ist denn die Nachbarschaft?“,
insistierte er vorsichtig.
Inge winkte fröhlich grinsend ab. „Du wirst sie gar nicht
richtig bemerken. Hier rechts wohnt Frau Ziegler. Sie ist alt
und eine leicht verwirrte Querulantin, aber wenn sie nicht gerade
eine unangenehme Anwandlung bekommt, mit der sie
die gesamte Nachbarschaft quält, nimmt man sie gar nicht
wahr. Da du nur unser Gast bist, wird sie sich dir gegenüber
zurückhalten.“
Die Aussicht, sich mit einer debilen Dame auseinanderzusetzen,
die ominöse „Anwandlungen“ überkamen, war wenig
verlockend. Kapplers Blick wanderte über den akkurat geschnittenen,
saftig grünen Rasen zu einem prächtigen Eichelhäher,
der sich auf dem Zaun zu seiner Linken niedergelassen
hatte. „Und wie sieht es mit den Nachbarn auf der anderen
Seite aus?“
„Dort wohnt Familie Schmitt. Sie haben zwar zwei kleine
Kinder, die bei gutem Wetter im Garten spielen und herumtoben,
aber sie sind wohlerzogen, brav und nett, richtig reizende
Geschöpfe.“ Der verzückte Ausdruck in Inges Gesicht machte
ihm Angst. Wieso mussten Frauen in den penetrantesten kleinen
Quälgeistern unschuldige Engel vermuten?
Kappler lächelte sanft. „In Ordnung. Ich werde mich auf das
Wagnis einlassen, wenn ihr damit während eures Urlaubes unbeschwert
und beruhigt schlafen könnt.“ Innerlich fühlte er sich
unwohl, weil er ahnte, eine falsche Entscheidung getroffen zu
haben. Quengelnde Kinder und eine debile, alleinstehende Seniorin
– auf Heiterkeiten dieser Art konnte der weltabgewandte
Mann getrost verzichten.
„Danke, du bist ein echter Freund!“ Wieder fasste ihm Inge
an den Arm, während ihr Gatte sich darauf beschränkte, die
Augen zuzukneifen, ihm freundlich nickend zuzulächeln und
sein Glas Cola auf ihn zu erheben.
Karlheinz Kappler nippte an seinem Wasser und wandte sich
nach einem kurzen Schmunzeln an seinen alten Freund. Siegfried
Bachmanns Haare waren ergraut, aber von beneidenswerter
Dichte. Insgesamt war er nach wie vor schlank, doch am
Bauch begann ein nicht mehr zu übersehenes Fettpolster die
Aufmerksamkeit des Gegenübers unvorteilhaft auf sich zu ziehen.
„Kannst du dich noch an unsere gemeinsamen Urlaube im
Bayerischen Wald erinnern? Wie jung wir damals waren!“
Ein unerwartetes, offenherziges Strahlen erhellte Bachmanns
Gesicht vom einen Augenblick auf den anderen. Inge entfernte
sich dezent und ließ die beiden Männer in Erinnerungen
schwelgen, die mit zunehmendem zeitlichem Abstand immer
schöner und verklärter wurden.
Eine Amsel ließ sich drei Meter neben Kappler auf dem Boden
nieder und pickte in der heißen Mittagssonne nach einem
Insekt. Das Wasser des Bachmannschen Gartenteiches plätscherte
beruhigend und die glühende Sonne brachte den Senioren
Lebenskraft, Lebensfreude und Vitalität. Die Farben des
Gartens, das Weiß der Pflastersteine strahlten intensiver und
heller und das Wasser glänzte prächtiger als sonst. Es war ein
friedliches, harmonisches Bild, das unendlich weit von menschlichem
Leid und den Abgründen entfernt war, mit denen sich
der Kommissar im Ruhestand während seiner aktiven Zeit Tag
für Tag hatte beschäftigen müssen.
*
Jennifer Hartmann verausgabte sich beim Laufen, mit
dem sie sich seit den dramatischen Ereignissen, die zu ihrer
wochenlangen Arbeitsunfähigkeit geführt hatten, einen Ausgleich
geschaffen hatte. Die Ausdauer, die Selbstüberwindung
und Willensstärke, die ihr der Sport verliehen, gaben ihr Kraft
und Zuversicht wieder und ließen sie aus ihrem mit noch lange
nicht vollständig verarbeiteten Erinnerungen überladenen
Alltag ausbrechen. Was gab es schöneres, als am nächsten Tag
einen hartnäckigen Muskelkater in den schweren Oberschenkeln
zu spüren und sich bei jedem schmerzhaften Treppensteigen
gewiss zu sein, dass man etwas für seine Gesundheit,
Fitness und sein Wohlbefinden getan hatte.
Am Ende ihrer Kräfte, quälte sie ihren Körper die Steigung
zur Himmelstreppe hinauf. Jeder einzelne Schritt tat weh und
doch durfte sie jetzt nicht stehen bleiben. Auf den letzten Metern
zu dem Betonkoloss, der auf einer alten, begrünten Halde
der Zeche Rheinelbe thronte, war sie ungeschützt der Sonne
ausgesetzt. Hier standen kein Baum und kein Busch. Schat-
ten fehlte gänzlich. Die schwarze Asche, auf der sie sich hoch
schleppte, zog die mittägliche, stickige Hitze an und gab sie an
die flirrende Umgebung ab. Weit und breit war kein Mensch
zu sehen. Auf ein laues Lüftchen wartete die einsame Sportlerin
vergeblich.
Trotz ihrer schwarzen Sonnenbrille wurde Jennifer geblendet,
wenn sie zum Himmel blickte. Meter für Meter arbeitete
sie sich vor. Das T-Shirt, unter dem sich ihre Figur vorteilhaft
abzeichnete, war so triefend nass, dass sie es mehrfach hätte
auswringen können. Aus ihren zum Zopf gebundenen Haaren
baumelte eine nasse Strähne widerspenstig vor ihrem Gesicht
im Rhythmus ihrer Schritte. Die Haare glänzten in der ausbleichenden
Sommersonne heller als im Winter. Hier und da
mischte sich ein goldblonder Farbton hinein.
Es waren nur noch wenige Meter. Die letzten Schritte gingen
in Erwartung des selbst gesetzten Zieles einfacher vonstatten.
Endlich kam sie an. Jennifer blieb stehen, hechelte
nach Luft, bückte sich nach vorne und stemmte ihre Hände
ermattet auf die Knie. Nach einer Weile hob sie den Kopf und
genoss die furiose Aussicht über das Ruhrgebiet, die man von
hier oben hatte. Das Häusermeer mit den markanten Hochhäusern
und Kirchtürmen und die zahlreichen grünen Inseln
der Wälder, Halden und Gärten boten ein überwältigendes
Panorama. Bevor sie sich nach zwanzig Liegestützen auf den
beschwerlichen Rückweg machte, beglückwünschte sie sich zu
der Entscheidung, damals ausgerechnet in die Polizeibehörde
ihrer Heimatstadt Gelsenkirchen gewechselt zu haben.
*
Hellmut van Haaren nutzte das Wochenende auf seine
Weise. Sein Kollege Jürgen hatte ihm geraten, Schwimmen als
Hobby auszuprobieren. Dass es ein unüberlegter Fehler war,
das Sportparadies aufzusuchen, wurde ihm leider erst klar,
als er sich zwischen lärmenden Halbstarken verschiedenster
Gestalt wieder fand, die wild durcheinander planschten und
sprangen und auf einen Mann, der nach langer Zeit wieder
etwas für seinen Körper tun wollte, keine Rücksicht nahmen.
Er sah schnell ein, dass es unmöglich war, hier unbeirrt eine
Bahn nach der anderen zu schwimmen und ließ sich kapitulierend
auf einem Badetuch auf der Wiese nieder.
Unzufrieden beobachtete er die jungen Leute und ihr Verhalten.
Wenn er schon nicht schwimmen konnte, blieb ihm
wenigstens das Beobachten der Menschen übrig, das gerade
an Orten wie diesem sehr aufschlussreich war. Billiges, unfreiwillig
lächerliches Imponiergehabe auf der einen und teilweise
unbeholfene, teilweise selbstsicher und keck zur Schau gestellte
Weiblichkeit auf der anderen Seite, waren an Dutzenden
Jugendlichen wie aus einem mit Klischees überfrachteten Bilderbuch
abzulesen.
Dreizehnjährige ahmten ihre fünf Jahre älteren Idole nach.
Die Mädchen trugen viel zu knappe Bikinis, unter denen
nicht selten speckige Fettrollen das Auge jedes Ästheten beleidigten
und ebenso korpulente Jungen suchten sie mit plumpen
Sprüngen vom Drei-Meter-Brett zu beeindrucken. Andernorts
näherten sich die hemmungslosen Zärtlichkeiten bedenklich
den Grenzen, die man in der Öffentlichkeit besser nicht überschritt.
Ein wenig kam sich van Haaren wie ein Voyeur vor, obwohl
er nur das, was vor aller Augen stattfand, ausgiebig und
mit großem Interesse betrachtete. Was könnte die Menschenkenntnis
besser reifen lassen, als das Studium seiner Umgebung
und ihrer typischen, hundertfach wiederholten Verhaltensweisen?
Insofern konnte er nicht behaupten, den Tag zu verschwenden.
Während das Wasser auf seiner Haut in Windeseile
trocknete und er an den Schultern die ersten Verbrennungen
erlitt, fragte er sich, was seine Kinder zeitgleich taten. Gingen
sie auch schwimmen? Schob ihre Mutter sie vor den Fernseher
oder Computer ab, spielten sie Fußball oder kletterten sie mit
ihren Freunden auf dem Spielplatz herum?
Kinder waren unkomplizierter als Erwachsene und fanden
leichter zueinander. Vielleicht, so dachte er, war es kein Zufall,
dass man mit wachsender Reife auch Misstrauen, Vorurteile
und Vorsicht übernahm. Man konnte niemandem uneingeschränkt
vertrauen – nicht einmal sich selbst. Damit war van
Haaren bei dem einzigen Thema angelangt, auf das er bei seinen
Gedanken mit vertrauter Unvermeidlichkeit stets zurück
kam: Der Arbeit.
Er ließ die Menschen Menschen sein, legte sich auf den
Rücken und schloss die Augen. An einem wunderschönen,
sorgenfreien Tag, den die Anderen für unbeschwertes Urlaubsfeeling
und Spaß nutzten, machte er sich über die Fälle
Gedanken, an denen er in seiner Laufbahn gescheitert war
und deren fehlgeschlagene Aufklärung einen wunden Punkt
darstellte, der ihn nicht ruhen ließ.
„Natürlich komme ich klar!“, sagte Karlheinz Kappler
entschieden. „Ich bin ja in den letzten Jahren nicht auf dem
Mond gewesen. Sei vollkommen unbesorgt, Inge.“
Ingeborg Bachmann konnte ihren Zweifel nicht verbergen.
„Gut, Karlheinz. Dann wünsche ich dir einen angenehmen
Aufenthalt in unserem bescheidenen Heim.“ Sie küsste ihn
links und rechts, schulterte ihre Handtasche und wandte sich
zur Tür.
„Vielen Dank für deine spontane Hilfe.“ Siegfried begnügte
sich mit einem festen Händedruck und Schulterklopfen.
„Ich danke euch und wünsche euch einen wunderschönen,
erholsamen und bereichernden Urlaub.“, beendete Kappler
den Austausch der Höflichkeiten.
Das Ehepaar Bachmann stieg in seinen Wagen. „Gute Reise.“,
rief ihnen der alte Kommissar, der in ihrer Haustür stand
und winkte, hinterher. Sie bedankten sich und verschwanden
mit einem Hupen als Gruß aus der Straße.
Kappler war schon darin begriffen, die Tür hinter sich zu
schließen, als er es sich anders überlegte und zurück auf die
Stufe trat. Langsam ließ er seinen Blick durch die kleine, beschauliche
Straße schweifen. Die erholsame Morgenfrische
benetzte seine Haut.
In der Sackgasse, deren Ende auf das Haus der alten Frau
Ziegler, vor der Kappler bereits graute, zulief, standen sich auf
jeder Seite zwei Häuser gegenüber. Das Nebenhaus, soviel hatte
ihm Inge schon gesagt, wurde von Familie Schmitt mit ihren
angeblich reizenden Kindern bewohnt. Die Nachbarn auf
der anderen Straßenseite waren für ihn unbeschriebene Blätter
und daran gedachte er nichts zu ändern.
Die gepflegten, sauberen Rasenflächen, auf denen sich
kein einziges Unkraut verlor, bildeten im Verbund mit liebevoll
gepflegten Beeten voller blühender Sommerblumen und
Stauden ein beschauliches, hübsch anzusehendes Bild. Einzig
das vor Kopf unmittelbar zu seiner linken gelegene Haus der
alten Dame stach heraus. War es auch wie die übrigen Häuser
zweigeschossig und von außen absolut baugleich, wobei das
obere Stockwerk bereits in der Dachschräge lag, machte es
einen insgesamt heruntergekommenen Eindruck. Der ergraute
Putz hätte einen Eimer Farbe dringend vertragen können,
die Fensterläden aus Holz ließen allenfalls erahnen, dass sie
einmal grün gewesen waren und erst jetzt wurde Kappler der
augenfälligste Kontrast dieses sonderbaren Fremdkörpers zu
seiner peinlich ordentlichen Umgebung bewusst: Vor dem
Haus wucherte eine Unkrautwiese, in welcher der hartnäckige
Löwenzahn, das Grauen jedes Rasenfreundes, eine willkommene
Heimat gefunden hatte. Während der Blüte mussten die
Pusteblumen Hunderte Meter weit fliegen und ihre Samen in
die Gärten der ganzen Umgebung tragen.
Bevor er sich wieder dem Haus zuwandte, in dem seine
Sachen darauf warteten, ausgepackt zu werden, bemerkte
er flüchtig, wie er von einem Fenster von schräg gegenüber
beobachtet wurde. Das Gesicht der Person, die sich hinter
ihrer Gardine unsichtbar glaubte, konnte er nicht genau erkennen.
Indes schickte er ein Stoßgebet gen Himmel, dass
er von aufdringlichen, neugierigen Nachbarn verschont
werden möge. Aber da Kappler standhaft davon ausging,
dass Gott gestorben und der Himmel leer sei, schwante ihm
Böses.
*
Die Stunden liefen schnell dahin, als er seine Kleidung im
Schrank des Gästezimmers und seine Hygiene-Utensilien im
Badezimmer des Hauses einordnete. Die Bachmanns mussten
viel Geld in eine adäquate Isolierung investiert haben, denn im
Inneren war die Luft angenehm mild. Sobald er jedoch auf die
Terrasse hinaus ging, schlug ihm eine Wand heißer, trockener
Luft entgegen, die ihm den Schweiß am ganzen Körper in
kleinen Sturzbächen aus den Poren strömen ließ.
Kappler suchte sich am Ende der Rasenfläche, wo der Garten
nur durch einen halbhohen Holzzaun von dem dahinter
liegenden Gebüsch abgegrenzt war, einen Platz im Schatten
einer wuchtigen Lorbeerkirsche und machte es sich dort auf
einer Gartenliege bequem. Als Lektüre wählte er eines der
Fünfzehn Bücher, die er sicherheitshalber eingepackt hatte.
Kaum etwas missfiel ihm mehr, als die Langeweile, die ihn
befiel, wenn er plötzlich ohne ein Buch da stand, mit dem er
sich die Zeit vertreiben und durch das er sein Wissen erweitern
konnte. Er war bibliophil, lesesüchtig, musste sich immer neue
Welten erschließen.
Er versank in der Biographie Karls des Großen, ritt mit
ihm gegen die heidnischen Sachsen und staunte, mit welcher
Zielstrebigkeit der Kaiser ein beispielloses Reich errichtete
und von seinen ununterbrochenen Reisen, Zechgelagen und
Feldzügen verschlissen wurde. Er korrespondierte mit dem
mächtigen Kalifen Harun al-Raschid und versuchte, an die
großartige Zivilisation des antiken Römischen Reiches anzu-
knüpfen. Kappler konnte bestens verstehen, dass der Rheumatiker
sich an den heißen Quellen in Aachen eine Residenz
erbaute, in der er ein spätes, aber angenehmes Heim fand, eine
kleine, aber feine Hauptstadt. Musste nicht jeder Mensch eine
Heimat haben, ein Haus, eine bescheidene Hütte, in die er
sich vor dem rasanten Lauf der Welt zurückziehen und Ruhe
finden konnte? Einen Ort, an dem er alles vergaß und sich auf
das wirklich Wesentliche besann?
Rasend ging der Tag zur Neige. Der alte Kommissar hatte
weder Zeit gefunden, etwas zu essen, noch zu trinken. Er vermisste
es nicht.
Gegen sechs Uhr und Einhundertfünfzig Seiten später,
klappte er das dicke Buch zu und ging in die Küche. Er studierte
den Zettel, auf dem Inge ihm die wichtigsten Dinge
aufgeschrieben hatte, suchte und fand schließlich, zwischen
Brot und Stuten eingeklemmt, den halb aufgebrauchten
Toast. Jetzt stand er vor der raffinierten schwarzen Maschine
mit ihren fünf Knöpfen und zwei Drehreglern und hatte keinen
blassen Schimmer, wie er dieses neumodische Gerät dazu
bringen sollte, sein Weißbrot vernünftig zu toasten. Er ging
unruhig auf und ab, haderte mit seiner Unfähigkeit, fasste sich
ein Herz und steckte die Scheibe hinein. Zu seiner Zufriedenheit
verschwand sie ganz. Aber was hatte die orange Leuchte
zu sagen? Er drückte hastig auf den Knöpfen herum, bis auch
noch eine grüne erleuchtete. Und was hieß das, zum Teufel?
Er hatte sich anscheinend wirklich zu lange von der übrigen
Welt abgekapselt. Jetzt sprang auch noch eine digitale Uhr an.
Das war zu viel. Kurzentschlossen zog er wütend den Stecker
heraus, verwünschte den Toaster mit einem zornigen Blick
und fingerte den Toast mühsam heraus. Dann musste er sich
eben mit Brot als Abendessen begnügen.
*
„Hat die Ziegler sich schon wieder gemeldet?“, fragte sie.
„Natürlich hat sie das. Sie scheint eine diebische Freude daran
zu haben, uns zittern zu sehen.“, antwortete die Andere.
„Sie ist eine gelangweilte alte Hexe, die mit ihrem eigenen
Leben nicht ausgelastet genug ist. Wir sollten uns von ihr gar
nicht in Angst versetzen lassen.“
„Ich werde wegen ihr nicht alles, was wir uns aufgebaut
haben, wegwerfen und dich will ich erst recht nicht verlieren.“
Sie küsste ihre Freundin innig auf den Mund.
Dann fuhr sie ihr zärtlich über das Gesicht und wischte
vorsichtig eine Träne beiseite.
„Wir werden dem Spuk ein Ende setzen müssen.“
Die Andere zögerte. „Wie stellst du dir das vor? Sie wird
keine Ruhe geben, bis sie uns vernichtet hat. Die intrigante
Schlange kann man nur zum Schweigen bringen, wenn man
sie aus dem Weg räumt. “
Stumm nickte sie. „Lass mich die Sache regeln und versprich
mir, die Nerven nicht zu verlieren. Ich liebe dich.“
„Ich liebe dich auch, aber das endlose Versteckspiel und die
Angst vor dem, was geschieht, wenn es herauskommt, treiben
mich in den Wahnsinn.“
„Sei ein starkes, braves Mädchen.“ Mit einem abermaligen
Kuss beendete sie den Dialog.
*
Kappler konnte nicht einschlafen und wandelte durch die
ihm unvertrauten Räume. Ihm wurde unbehaglich dabei,
überall die Privatsphäre seiner Freunde verletzen zu können,
wenn ihm danach war. Es reichte schon aus, die richtige
Schublade aufzuziehen und intime Dokumente, persönliche
Briefe, Notizen, Kontoauszüge oder Ähnliches in die Hände
zu bekommen. Das Vertrauen, das sie ihm entgegenbrachten,
beeindruckte ihn ungemein – und sie hatten sich für einen
prinzipienfesten, diskreten Mann entschieden, der sich alle
Mühe gab, den in ihn gesetzten Erwartungen gerecht zu werden.
Die Rollos im Erdgeschoss hatte er heruntergelassen, die
Tür verschlossen.
Im Dachgeschoss geisterte er nun zu nachtschlafener Stunde
umher und wartete darauf, dass endlich Ermüdungserscheinungen
nach einem anstrengenden Tag einsetzten. Das Haus
und die Straße lagen im Dunkeln. Lediglich die Laternen auf
dem Bürgersteig und die Lampen an den Haustüren sorgten
für fahle Beleuchtung. Kappler besah sich ausgiebig das langweilige
Bild. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Schräg
gegenüber brannte noch Licht. Ansonsten schienen die Nachbarn,
wie für den arbeitenden Normalbürger üblich, schon zu
Bett gegangen zu sein. Nach einer Minute langweilte er sich.
Im Geiste rezitierte er als Gedächtnistraining Daten aus
dem Leben Karls des Großen. Die Vögel hatten ihr fröhliches
Konzert längst eingestellt und sich in Bäumen und Büschen
zur Ruhe begeben. Einzig das Froschkonzert aus einem nahen
Garten durchschnitt die absolute, harmonische Ruhe. Kappler
erfreute ihr lebensfrohes, natürliches Quaken. So falsch, dach-
te er, konnte die Entscheidung, hier ein wenig zu entspannen
und den Sommer mit all seinen Annehmlichkeiten zu genießen,
nicht gewesen sein.
Plötzlich öffnete sich die Tür im Haus schräg gegenüber.
Ein Mann trat mit einem bellenden Jagdhund, der ungestüm
und übermütig um ihn herum sprang, heraus. Den Hut hatte
er weit ins Gesicht gezogen und sein Gesicht war nicht zu
erkennen. Er bückte sich zu seinem vierbeinigen Begleiter hinunter
und leinte ihn an. Sein Gang war der schwerfällige und
bedächtige eines alten oder kranken Mannes. Bevor er auf den
Bürgersteig trat, hielt er inne und sah zu dem Fenster, an dem
Kappler stand, hinauf. Der Kommissar bewegte sich nicht
und war sich sicher, im Dunkeln nicht gesehen zu werden.
Der Hundehalter hatte keine Eile, zu gehen. Die Sekunden,
in denen er reglos da stand und das Haus der Bachmanns anstarrte,
wuchsen sich zu gefühlten Minuten aus. Der Hund
saß brav neben ihm und hechelte. Endlich wurde es ihm langweilig
und abrupt ging er weiter, bog in die Querstraße ab und
verschwand aus Kapplers Blickfeld, dem dieses sonderbare
Verhalten nicht aus dem Sinn ging.
Tag der Veröffentlichung: 01.12.2011
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