Mein acht Jahre älterer Bruder hatte mal wieder einen seiner - pass auf deine Schwester auf – Tage. Sie gefielen ihm absolut nicht. Ausgerechnet an diesem Tag wollte er was mit Freunden unternehmen. Dabei wusste ich gar nicht, warum er sich so aufregte. Ich entwischte ihm ja doch wieder, wie so oft. Na ja - abgesehen davon - kassierte er vom Vater jedes Mal eine heftige Tracht, weil ich wieder mal ausgebüxt war. Logisch, dass er diese Aufgabe hasste.
„Du bleibst immer in meiner Nähe, und läufst nicht weg,“ sagte er. Ich fragt: „Darf ich mit euch mitspielen?“ Darauf er: „Das ist nichts für kleine Kinder.“ Darüber war ich immer sehr traurig. Wir gingen zu dem Treffpunkt seiner Freunde. Er erklärte ihnen, dass er nicht mit machen konnte, weil er auf mich aufpassen musste. Die Freunde kamen dann auf die glorreiche Idee, sich beim <aufmichaufpassen> abzuwechseln. Wir gingen zur Schule. In der Turnhalle waren zwei Tischtennistische, die sie aufstellten und anfingen zu spielen. Am Anfang schaute ich zu. Machte auch die Schlagbewegungen nach. Nach einiger Zeit wurde es mir zu langweilig und ich schaute mich in der Turnhalle um. Was da alles an den Seiten so rum stand, damit konnte ich ja nun mal gar nichts mit anfangen. Da ich mich beim rumschauen gleichzeitig rumbewegte, kam ich der Türe immer näher, ohne das mich jemand aufhielt. Die Tür stand einen Spalt offen. Plötzlich ein Gejohle und Geschreie, gleichzeitig machte ich den Türspalt weiter und schlüpfte hinaus. Niemand hielt mich auf. Beine in die Hand und weg. Ha, frei! Jetzt erst mal ein Versteck suchen. Ich kannte meinen Bruder, er würde bald kommen und mich suchen. Das Versteck musste also gut sein. Da er längere Beine hatte (schließlich war er größer als ich), nutzte mir einfach weg laufen überhaupt nichts. Da stand ein Schuppen, mit offenem Fenster. Davor standen Kisten. Ich hin, auf eine Kiste und dann durchs Fenster. Ich passte gerade so durch, und dass Glück war mir hold, auf der anderen Seite ging es nicht tief runter. Es stand ein altes Bett mit kaputten Sprungfedern darunter. Ich setzte mich in eine Ecke und wartete. Es dauerte nicht lange, da hörte ich meinen Bruder und zwei seiner Freunde nach mir rufen. Ganz still blieb ich in meiner Ecke sitzen. Mein Herz klopfte zum zerspringen, und ich hoffte, dass die Jungs es nicht hörten.
Irgendwann war es still. Ich schaute vorsichtig aus dem Fenster. Nichts zu sehen. Kletterte wieder raus. Mist, mein Kleid blieb an der kaputten Sprungfeder hängen. Auweia. Das gibt schimpfe von Mutti. Dann hält sie mir wieder vor, wie brav, lieb und vorsichtig doch meine toten Schwestern waren. Auf Umwegen lief ich nach Hause. Nicht ganz. Ich verschwand im Grenzgebüsch. Irgendwann kamen meine Eltern wieder und ich krabbelte aus dem Gebüsch heraus und lief in die Arme von Papa. Er fragte mich, wo Konrad wäre und ich zuckte nur mit den Schultern. Ich wusste es nicht.
Wann Konrad nach Hause kam? Keine Ahnung, auch nicht, ob er wieder Prügel von Papa bekommen hatte. Nur Mutti schimpfte mit mir, wie ich es voraus gesehen hatte.
Texte: Gitta Weiß
Bildmaterialien: Gitta Weiß
Tag der Veröffentlichung: 04.11.2012
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