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Mein Freund Wotan


Zur Volljährigkeit bekam ich von meiner Schwester Selma einen Polenurlaub geschenkt, den wir gemeinsam verbringen wollten, damit ich die Heimat meiner Geschwister und Vorfahren kennen lernte. In Masuren, wo die Wiege der Schwester gestanden hatte. Sie hatte mir so viel von Sensburg, Königsberg, Rastenburg und der masurischen Seenplatte, überhaupt von Ostpreußen, erzählt. Wie das Leben so spielt, irgendetwas kam uns immer dazwischen. Doch nach elf Jahren war es soweit und wir fuhren hin. Nach Sensburg - heute Mragowo/Polen. In der Nähe gab es einen Bauern, der Kutschfahrten und Reiterferien anbot. Selma und ich natürlich hin, denn der Bauer hatte Trakehner Pferde. Mein Herz schlug wie verrückt, als ich die Pferde sah. Eines schöner und stolzer als das andere. Die edelste Warmblutrasse, die ich kenne. Wir gingen ganz dicht an das Gatter der Pferdekoppel um uns die Pferde genauer anzusehen. Ein Rappe mit weißer Blesse kam auf uns zu. Für meinen Begriff das schönste Pferd, was ich je gesehen hatte. Ich kletterte das Gatter hoch und setzte mich auf die oberste Stange um besser an den Kopf dieses Trakehnerpferdes zu kommen und ihn zu streicheln. Der Rappe hatte ein wundervoll seidiges Fell und er lies sich meine Streicheleinheiten mit Wohlbehagen gefallen. Es hing ein Knotenhalfter am Gatter und ich legte es dem Rappen an. Dann schwang ich mich auf seinen blanken Rücken und lies ihn erstmal im Schritt gehen. Als Kind habe ich das Reiten ohne Sattel erlernt und ritt später auch am liebsten so. Dabei hatte ich immer das Gefühl, dass Pferd und Reiter eher eine Einheit bilden würden als mit Sattel. Wir wurden beide mutiger, trabten und fielen anschließend in den Galopp. Es war himmlisch. Das Pferd reagierte bei dem leisesten Halfterzug und Schenkeldruck. Am liebsten wäre ich mit ihm um die ganze Welt geritten.

Am Gatter angekommen empfing Selma mich mit einem Donnerwetter, wie ich nur so leichtsinnig sein konnte, mich auf ein wildfremdes Pferd zu setzen und dann auch noch ohne Sattel und vernünftigem Zaumzeug. Der Bauer gab mir Rückendeckung und sagte, so wie wir zwei aufeinander zugegangen wären, war nichts anderes möglich. Der Rappe und ich würden einfach zusammen gehören und ab jetzt zu nichts anderem mehr zu gebrauchen sein. Er würde uns das Pferd verkaufen. Laut jubelnd fiel ich dem Bauern und anschließend Selma um den Hals. Mit 32 Jahren bekam ich das traumhafteste Pferd das ich je gesehen hatte. Und er hieß Wotan, wie der Trakehnerhengst in einem Buch, das ich mal als Kind gelesen hatte. Während des ganzen Urlaubes war ich jeden Tag bei Wotan und ritt mit ihm aus (gesattelt und mit Reitzaum – grins). Selma bekam eine Lammfromme Stute zum ausreiten, da sie das Reiten nicht mehr gewohnt war und so erkundeten wir die „Alte Heimat“ von Selma. Wotan und ich waren oft zum zweiten Mal am Tag unterwegs. Wir waren ein Team.

Bei einem unserer Ausritte durch den Wald, achtete ich nicht auf die Bodenunebenheiten, stürzte beim Absteigen und verletzte mein linkes Fußgelenk. Links ist mein Standbein beim Aufsteigen, was mache ich nun? Ich konnte nicht mal aufstehen! Wotan stupste mich an. Dann stellte er sich so hin, dass ich an einen Steigbügel kam. Nun konnte ich mich daran und am Sattel hoch ziehen. Wie war das noch mal beim voltigieren? Ach, das war ja schon so lange her. Vergessen wie der Schwung ging. Ich brauchte einen Baumstumpf oder ähnliches zum draufstellen. Ganz langsam hüpfte ich mit Wotan den Weg zurück. Wir waren an einem umgestürzten Baum vorbei gekommen, zu dem wollte ich. Dort angekommen, musste ich mich erst einmal setzen. Der Weg war für mich sehr anstrengend gewesen. Wotan wurde von mir so hingestellt, dass ich mich wieder am Sattel hoch und auf den Stamm ziehen konnte. Das linke Bein wurde von mir auf den Sattel gelegt, stieß mich mit dem Rechten ab und saß im Sattel. Ich ließ Wotan nur im Schritt gehen, da meine Beine lose herab hingen. So kamen wir auf den Hof. Der Bauer kam sofort an und fragte was passiert wäre, dann halfen er und ein Knecht mir vom Pferd runter. Der Knecht versorgte Wotan. Der Bauer fuhr mich zum nächsten Arzt. Ich hatte Glück, kein Bänderriss, kein Bruch. Ich bekam einen Salbenstützverband und konnte mit dem Bauern zurück.

Auf dem Hof schaute ich nach Wotan und gab ihm einen Apfel als Dank für seine Freundschaft. Ja, seit diesem Tag waren Wotan und ich die besten Freunde. Zwei Tage später kam Bruder Ernst mit dem Pferdetransporter. Ratet mal, wie und wo ich nach Hause gefahren bin 

Nachwort


Gitta Weiß ist mein Pseudonym

Impressum

Texte: Gitta Weiß
Bildmaterialien: BookRix
Lektorat: Gitta Weiß
Tag der Veröffentlichung: 07.04.2012

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