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Er isst sie

Inmitten der traumhaften Landschaft kündigte sich ein Gewitter an. Dem sonst so spiegelglatten See vor dem charmanten Chalet fehlte es an Ruhe: Wilder Wind weckte Wogen – eine Welle Stehwasser erhob sich brüsk und spülte bis ans Ufer, wo sich gerade eine Gestalt an der Tür des Häuschens zu schaffen machte.

Ein Mann war es, der einen großen Eisenschlüssel im Schloss der Pforte bewegte, während hinter ihm der Himmel zuzog. Die Tür öffnete sich, gerade noch früh genug, damit er sich vor dem harsch einsetzenden Platzregen ins Innere retten konnte.

In der Hütte war es dunkel und kühl.

Der Mann tippelte zum Kamin, entfachte ein Feuer, durchquerte den großen, holzvermantelten Wohnraum und entledigte sich achtlos seines schweren Mantels. Das Kleidungsstück landete neben einem der alten, braunen Ledersessel, von denen die Haut in Fetzen hinabhing.

Gleich würde der Mann in die Küche gehen.

Dort lag SIE schon wohlpräpariert auf dem Tisch. Wenn er an sie dachte, entfachte sich in ihm ein Feuer, das nur noch selten in ihm aufloderte.

Bevor er sich ihr in Gänze widmete, musste er sich aber noch im Badezimmer frischmachen. Die Hitze ließ ihn beschwingter gehen. Auf der Toilette schlug ihm eisige Kälte entgegen. Da war es gerade richtig, dass er innerlich heiß war.

Sie lag schon viele Tage auf dem Tisch. Er hatte lange mit sich gerungen, ob es die richtige Entscheidung war, sie dort ausharren zu lassen, oder ob es nicht menschlicher sei, sie sofort zu genießen. Seine Lust auf saftiges Frischfleisch war noch immer groß. Doch wusste er auch, dass ihm der Genuss in jenem Zustand zu schnell gegangen wäre.

Er musste sich beherrschen. Der Wasserverlust würde vieles einfacher für ihn machen. Er könnte es dann langsamer angehen. Er müsste es. Es wäre einfach genussvoller.

Als er sich die Hände wusch, betrachtete er sein Gesicht im Spiegel. Kälteschäden zwischen den Furchen – die Einöde der Jahrzehnte hatte Spuren hinterlassen.

Während er seine Gräben inspizierte, überkam ihn jenes Gefühl, das ihn in den vergangenen Jahren immer wieder ergriff – es kam wie eine plötzliche Welle, eine toxische Woge, die ihn mit Elend und Verdruss füllte: Einsamkeit. So schadhaft und zermürbend, dass nicht einmal Routine sie zu verhehlen wusste. Denn auch das Immergleiche war manchmal einfach nicht mehr staubig genug, um die brüllende Frage nach dem Sinn zu ersticken.

Manchmal lief er dann schnell hinaus und hackte eine Partie Holz. Aber nun, bei diesem Wetter, machte das keinen Sinn. Und um eben diesen Sinn ging es doch!

Sinn nun also anders – die Sünde als Sinn!

Nur mit der Aussicht auf Ausbruch, auf Abartigkeit vom eigenen Turnus, konnte er sich der schweren Flut erwehren, abtauchen, tief in das Dunkel des Nichtdenkens – einfach nur spüren.

Er schritt in die Küche.

Schon im Türrahmen vernahm er ihren stechend-charismatischen Geruch.

Seine Augen klebten auf ihrem runzeligen Körper.

Wie in Zeitlupe näherte er seinen Kopf an sie an, beugte sich über sie, inhalierte ihren herben Duft und atmete schneller.

Dann neigte er sich hinunter, leckte von unten bis oben über sie, erfreute sich an ihrem salzigen Geschmack ... Speichel tropfte aus seinen Mundwinkeln auf sie hinab ... auf ihr gedarbtes Fleisch ...

Und dann nahm er sie hoch und biss in sie hinein.

Obwohl er bedächtig kaute, ging sie doch in wenigen Happen gänzlich in ihn über.

So wie es eben immer war, wenn er seine geliebten Salamis aß.

 

ENDE

 

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Tag der Veröffentlichung: 28.11.2019

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