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Selbstporträt

Margarete hatte alles vorbereitet.

Die Kamera.

Die Kulisse, bestehend aus einem Salonsessel und Beistelltischchen samt duftendem Rosenstrauß.

Sie selbst hatte die blonden Haare aufwendig hochgesteckt und trug ihr schönstes Kleid; himmelblaue Seide üppig verziert mit Volants und wolkenweißer Spitze.

Um genug Licht einzulassen, waren die Vorhänge vor den beiden breiten Flügelfenstern zurückgezogen. Da Margarete sichergehen wollte, wurde das Atelier zusätzlich von Petroleumlampen erhellt.

Die Photographie unter freiem Himmel und in der gleißenden Mittagssonne anzufertigen, wäre besser gewesen. Doch aus einem unbestimmten Bauchgefühl heraus wollte Margarete alleine sein.

So oft hatte sie schon zugesehen, wie ihr Vater die Menschen auf ein starres Lichtbild bannte, dass ihr seine Arbeitsschritte in Fleisch und Blut übergegangen waren.

Aber so sehr Margarete auch bettelte, nie hatte er ein Bild von ihr angefertigt. Er wurde regelrecht wütend, wenn sie wieder einmal darum bat.

Gestern war er zum Wohnsitz einer einflussreichen Adelsfamilie aufgebrochen, von denen er einen Auftrag erhalten hatte.

Diese Chance würde sie nutzen.

Dank der minutenlangen Belichtungszeit stellte das Auslösen kein Problem dar. Sie brauchte nicht einmal einen Spiegel, sondern musste nur schnell genug ins Bild huschen.

Mit leicht zitternden Händen überprüfte Margarete noch einmal alles. Als sie zufrieden war, nahm sie den Deckel vom Objektiv, wandte sich um und eilte zum Sessel.

Das Gewicht des Stoffes und der Federstahlbänder, die die Krinoline bildeten, erschwerte ihr jeden Schritt und machte sie langsam. Doch Margarete hoffte, dass das Bild trotzdem gut werden würde, als sie sich auf den Sessel sinken ließ.

Nun musste sie einige Minuten regungslos verharren.

Margaretes Herz klopfte aufgeregt, während sie dem Holzkasten mit erhobenem Kinn und festem Blick entgegensah. Die Sekunden schienen sich endlos zu dehnen. Ein seltsames Kribbeln breitete sich in ihrem Magen aus und bescherte ihr ein Gefühl von Leichtigkeit.

So musste sich fliegen anfühlen, dachte sie noch...

 

Wäre jemand mit Margarete im Atelier gewesen, so hätte für einen Moment noch alles normal gewirkt.

Dann, als hätten die Naturgestze nun ihren Fehler erkannt, fiel das Kleid in sich zusammen und der Reifrock kollabierte scheppernd.

Ring und Kette landeten polternd auf dem Boden, gefolgt vom leisen Klackern der Haarnadeln.

Als alles einen neuen Platz auf den dunklen Dielen gefunden hatte, breitete sich vollkommene Stille aus. Gleich dem Moment, wenn ein Betrachter tief im Bild versank.

Für manche mochte diese Stille friedlich wirken, für andere befremdlich oder gar bedrückend.

Doch für einige wenige barg die Stille ein Geheimnis.

Eines, von dem sie wussten, dass sie es ergründen mussten, denn nicht eher hätten sie Ruhe.

 

ENDE

 

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Tag der Veröffentlichung: 21.10.2019

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