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Spinatlasagne

Wir hatten bestimmt schon hundert Mal darüber gesprochen, mich nicht im Büro anzurufen. Nur im äußersten Notfall.

Ihre Nummer leuchtete auf dem Display meines Handys auf – sicherlich kein Notfall. Genervt blaffte ich ins Telefon

„Was ist?“

 

„Du denkst an heute Abend, Äffchen.“

 

„Nenn mich nicht immer Äffchen … und ja, ich denke dran.“

 

„Es wird nämlich ein Überraschungs-Essen, mein Äffchen.“

 

Schon hatte sie aufgelegt. Warum war es denn plötzlich ein Überraschungs-Essen. Das irritierte mich. Jeden ersten Montag im Monat lud mich meine Mutter zu meinem Lieblingsessen ein. Spinatlasagne. Das war eine ihrer ersten Hilfsmaßnahmen seit mich Julia verlassen hatte.

Essen tut der Seele gut, hatte sie gesagt. Das ist jetzt schon ein gutes Jahr her. Das mit Julia und seitdem gibt es einmal im Monat diese herrliche Lasagne, die dann meine Seele streichelt. Und nun fragte ich mich, was daran eine Überraschung sein sollte. Hoffentlich wollte sie nicht etwas anderes ausprobieren.

 

***

 

Schwungvoll öffnete mir meine Mutter die Tür. Ich drückte ihr die monatliche Schachtel Pralinen in die Hand.

 

„Aber Äffchen, du sollst mir doch nicht immer etwas mitbringen.“ Sie umarmte mich liebevoll.

 

Alles wie sonst und doch fühlte es sich irgendwie anders an.  Sie wirkte ziemlich angespannt und nervös.

 

„Ist dir die Lasagne angebrannt.“, fragte ich.

 

„Aber nein, Äffchen, wo denkst du hin.“, sie tätschelte mit fahrigen Fingern meine Wange und schob mich ins Wohnzimmer.

 

„Schau, wer heute ganz überraschend vorbeigekommen ist.“ Ihr angespannter Gesichtsausdruck wich einem strahlenden Lächeln.

Eine junge Dame saß mit übereinander geschlagenen Beinen auf meinem Lieblingssessel. Ich kannte sie nicht.

 

„Das ist Gwendolin. Erinnerst du dich an sie?“

 

„Nein, tut mir leid.“ Ich starrte die zierliche Blondine an. Sie kam mir überhaupt nicht bekannt vor.

 

Gwendolin erhob sich elegant von dem Sessel. Ein kleiner Schritt und wir standen uns gegenüber. Keck legte sie den Kopf leicht in den Nacken. Ich schaute in ein Paar herrlich blauer Augen. Gwendolin? Der Name sagte mir überhaupt nichts. Aber es war wirklich ein sehr hübsches Mädchen.

 

„Hallo Benno.“, sie spitzte die Lippen, griff nach meinen Schultern, zog mich zu sich herunter und drückte mir einen feuchten Kuss mitten auf den Mund.

„Ich bins, Gwenni.“

 

„Ihr müsst mir echt auf die Sprünge helfen.“ Noch immer spürte ich ihre Lippen auf den meinen. Warm und weich. Sehr angenehm und es fiel mir schwer, mich auf etwas anderes zu konzentrieren.

 

„Gwenni, ist deine Sandkastenliebe. Du kannst sie doch nicht vergessen haben.“, sagte meine Mutter vorwurfsvoll.

Selbst diese Erklärung half mir nicht weiter.

 „Du hast ihr damals deine Metallschippe über den Kopf gezogen. Die Wunde musste mit vier Stichen genäht werden.“

 

Wie auf Kommando schob Gwenni ihren Pony zur Seite. Darunter lugte eine kleine Narbe hervor. Kaum erkennbar. Aber ich erinnerte mich immer noch nicht.

 

„Tut mir leid!“, sagte ich und fühlte mich schlecht, obwohl das Ganze schon Jahrzehnte zurück lag.

 

Mutter war währenddessen in die Küche geeilt und kam mit der Auflaufform zurück.

 

„Zu Tisch“, krähte sie fröhlich. Viel zu fröhlich für mein Empfinden.

 

Mir kam das alles ein wenig seltsam vor. Wie konnte ich eine Sandkastenliebe überhaupt und dann noch mit solch einem Namen einfach vergessen haben. Und dieses überzogene Verhalten meiner Mutter verstand ich ehrlich gesagt auch nicht.

Gwendolin hatte bereits am Esstisch Platz genommen und verteilte großzügig die Lasagne auf den Tellern.

 

„Ach Gwendolin, ich freue mich so, dass du vorbeigekommen bist.“ Mutter stieg bei diesen Worten eine zarte Röte in die Wangen … während ich noch immer versuchte mich zu erinnern.

 

„Es gibt sicherlich Fotos von damals?“ Meine Frage war mehr eine Feststellung.

 

„Ja, sicherlich Äffchen, aber ich hatte noch keine Zeit, danach zu schauen.“ Die Röte in ihren Wangen vertiefte sich. Sie benahm sich einfach nicht normal.

 

„Wir machen das gleich nach dem Essen.“, forderte ich sie auf.

 

„Natürlich …“, erwiderte meine Mutter und warf meiner Sandkastenliebe einen merkwürdigen Blick zu. Oder bildete ich mir das nur ein?

 

Zudem schmeckte meine Lasagne anders als sonst. Sie schmeckte nach diesem Kuss. Nach diesen warmen Lippen. Und ich dachte an Julia. Das Thema war eigentlich schon lange erledigt. Aber „eigentlich“ ist ein nicht sehr vertrauenswürdiges Wort. Es war eben nicht so einfach jemand aus seinem Herz zu reißen. Als der Verlassene, tat man alles, damit dieser kleine Funke Hoffnung, dass doch noch irgendwann alles wieder gut würde, nicht erlosch. Selbst nach einem Jahr ertappte ich mich dabei, wie ich mich nach Julia sehnte. Nicht mehr oft. Aber dennoch.

 

„So, jetzt schauen wir nach den Bildern und frischen meine Erinnerung auf. Gwendolin ist bestimmt auch gespannt.“, eifrig stellte ich die Teller zusammen und brachte sie in die Küche. Mutter saß da und bewegte sich nicht. Warum holte sie nicht die Fotos?

 

„Wo sind die Fotoalben?“ fragte ich deshalb.

 

„Da muss ich erst mal überlegen.“ Sie runzelte die Stirn und es herrschte absolute Stille.

Gwenni betrachtete sehr intensiv ihre Fingernägel. Sie hatten einen zarten Rosé-Farbton. Alles in allem lag eine recht merkwürdige Stimmung über dieser Szene.

„Erzähl doch mal von früher“, forderte ich die junge Dame auf.

„ja also … wir haben im Sandkasten gespielt, du und ich.“, dabei zeigte sie erst auf mich und dann auf sich selbst.

„Und daran erinnerst du dich noch?“, fragte ich. Sie musste ein ganz besonderes Gedächtnis haben. Meine Erinnerungen setzten erst weit aus später ein.

 

„Ja, klar“, sie nickte eifrig.

 

„Und was weißt du noch?“

Ihr Blick verirrte sich immer wieder fragend zu meiner Mutter, deren Wangen jetzt wie im Fieber glühten.

Sie gab mir heute wirklich Rätsel auf. Unruhig ruckelte sie auf ihrem Stuhl hin und her. Dann räusperte sie sich.

„Ach Äffchen, ich habe es nur gut gemeint, als ich die Anzeige für dich aufgegeben habe“, nuschelte sie plötzlich in die peinliche Stille.

 

Was hatte sie gesagt?

 

„Weißt du, ich dachte, es ist an der Zeit, wieder jemand kennenzulernen. Du trauerst doch immer noch hinter Julia her. Es ist meine Pflicht als Mutter, dir dabei zu helfen, wieder glücklich zu werden.“ Dabei hob sie mahnend ihren Zeigefinger.

Das war nun wirklich eine Überraschung!

 

 

Ich war sprachlos. Wie kam sie dazu, mich verkuppeln zu wollen und woher wollte sie wissen, dass ich unglücklich war?

 

„Ähmmm…. Also ich glaube ich gehe jetzt…“, mischte sich Gwendolin ein. Wenn sie überhaupt Gwendolin hieß.

 

„Ja, das wird das beste sein und ich gehe gleich mit dir“, erklärte ich und bedachte Mutter mit einem sehr bösen Blick.

 

„Ich hab‘s doch nur gut gemeint …“, wiederholte sich meine Mutter mit gesenktem Kopf. Wie ein Sünder saß sie da. Und sie tat mir in diesem Augenblick sogar ein wenig leid. Nichts desto trotz sollte sie Gelegenheit haben, über ihr Tun nachzudenken. Wo kämen wir denn dahin, wenn ich sie nach Lust und Laune in meinem Leben rumhantieren ließe. Deshalb marschierte ich, unbeachtet ihrer zusammen gesunkenen Gestalt, an ihr vorbei, hinter meiner vermeintlichen Sandkastenliebe her. Ich musste mich erst einmal sammeln.

 

„Wollen wir noch einen Kaffee zusammen trinken?“, fragte ich Gwenni, als wir beide draußen auf der Straße standen. Zu gerne wollte ich die ganze Geschichte hören.

Gwendolin schaute mich einen Moment unschlüssig an. Dann nickte sie.

„Sehr gerne.“

 

In einem kleinen Straßen Café erzählte sie mir dann von der Anzeige, auf die sie sich gemeldet hatte. Wie ihr meine Mutter von meiner Gefühlsmiesere berichtete und dieser Plan ausgeheckt wurde.

Ich hatte mich gemütlich zurückgelehnt und hörte ihr amüsiert zu. Typisch Mutter. Sie ließ nichts unversucht, mich glücklich zu sehen. Meine Wut war längst verflogen. Trotz dieser Ungeheuerlichkeit hatte Mutter eine sehr gute Wahl getroffen, musste ich etwas widerwillig zu geben. Gwendolin gefiel mir. Sehr sogar.

 

***

 

Mein Handy klingelte und klingelte an den folgenden Tagen unaufhörlich. Mutter entschuldigte sich wieder und wieder … bis ich es nicht mehr hören konnte. Genug war Genug. Auch für eine Entschuldigung. Außerdem wurde man sehr großherzig und milde, wenn das Herz in anderen Sphären taktete

Ja, eine Überraschung zog manchmal eine weitere nach sich. Mutter wird Augen machen, mit wem ich am nächsten Lasagne-Montag vor ihrer Tür stehen werde …

 

ENDE

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 30.09.2019

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