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Offline – wie der Tag mein Leben veränderte

Endlich ist es 17.00 Uhr, was Feierabend bedeutet. Schnell schalte ich meinen Computer aus, greife nach meinem Handy und verlasse das Büro.

Obwohl ich nur fünf Gehminuten von meiner Arbeit entfernt wohne, habe ich es eilig, nach Hause zu kommen. Aber nicht, weil ich, wie die meisten anderen, besonderen Pflichten im Haushalt nachkommen muss, oder Kinder oder einen Ehemann zu versorgen hätte. Nein, mein Grund ist ein ganz anderer.

Ich bin eine bekannte Influencerin, der zehn Millionen Followern auf Instagram folgen und folglich muss und möchte ich diese täglich mit neuen Informationen versorgen. Jeden Abend erzähle ich meiner Gemeinschaft in meinen Stories von meinem Tag, lade Fotos hoch, und lese und beantworte die Kommentare von diesen. So wie andere ihre Haustiere versorgen, Sport betreiben oder sonst etwas machen, ist mein Leben Instagram.

 

Nun bin ich endlich zu Hause, ziehe mich noch schnell um, style mich ein bisschen, schließlich muss ich ja entsprechend aussehen, wenn ich vor die Kamera trete, und schon kann es losgehen. Ich schalte das W-LAN auf meinem Handy ein, und öffne Instagram.

Komisch. Ungewöhnlich langsam lädt meine Startseite, der Versuch, auf das runde Bild links oben zu klicken, scheitert kläglich. Was ist da los? Ich denke mir noch nichts dabei, deaktiviere das W-LAN, warte ein paar Minuten, auf die es auch nicht mehr ankommt, und schalte dann das Wireless erneut ein. Aber nichts ändert sich, mein Instagram lädt nach wie vor sehr langsam, bzw. fast gar nicht. Noch bin ich nicht beunruhigt. Schließlich habe ich noch die Alternative, mit meinen mobilen Daten auf meinen Account zuzugreifen und kann so meine Follower endlich versorgen.

 

Da ich einige Sekunden lang doch etwas nervös geworden bin, gehe ich noch schnell ins Bad, um mich nochmals nach zu schminken. Ich kann mir nämlich denken, dass man mir ansieht, dass ich kurz aufgeregt war.

Zurück im Wohnzimmer, lege ich mein Handy abermals in Position, aktiviere das mobile Internet, öffne Instagram, und …

 

… wieder lädt Instagram sehr langsam, schlimmer, die App bricht während dem Laden ab, und ich habe keine Chance, meine Fangemeinde von meinem Tag zu erzählen.

Panik steigt in mir auf, mir wird heiß und kalt zugleich. Was ist da los? Die Gedanken überschlagen sich – bin ich gehakt worden? – das würde der absolute worst case für einen Influencer wie mich sein – oder spinnt mein Handy? Dies kann ich nach einem Neustart von diesem ausschließen. Jetzt wird mir noch heißer, da vieles dafür spricht, dass ich gehackt worden bin.

In meiner Verzweiflung schalte ich meinen Laptop ein, und möchte gerade in Google „Instagram Account gehackt“ eingeben, als schon allein beim ersten Wort dutzende Meldungen erscheinen.

„Große Störung bei Instagram & Co.“, „Wieder Totalausfall bei Instagram, WhatsApp und Facebook.“ und vieles mehr, immer im fast demselben Wortlaut und eines kapiere ich sofort: Es gibt eine Störung im gesamten Konzern, nicht nur bei meinem Account, oder meinem Handy. Einerseits beruhigt mich das natürlich, auf der anderen Seite aber bleibt die Katastrophe gleich: Ich kann nicht zu meinen Followern sprechen! Ich bin offline!

Trotz des Wissens, dass dies ein allgemeines Problem ist, versuche ich alle paar Minuten, in die App zu kommen, habe die Hoffnung, dass es diesem und jenen Moment wieder funktionieren wird. Vergeblich, Instagram bleibt stumm.

Eine Frage ist allgegenwärtig, die ich mir noch nie gestellt habe: Was soll ich jetzt den ganzen Abend über machen?

 

Von der Couch aus, auf die ich mich nun ratlos begeben habe, höre ich durch die offene Terrassentüre die Kinder aus der Nachbarschaft, die im Vorgarten Fußball spielen.

Die Sonne scheint, es ist trotz der Uhrzeit, fast 18.30 Uhr, noch angenehm warm, wahrscheinlich der Grund, weshalb draußen solch ein Hochbetrieb herrscht.

Und da reift ein Gedanke in mir: Ich könnte ja die „instagram-freie“ Zeit für einen Spaziergang nutzen.

Bis jetzt habe ich alle Menschen belächelt, die meinten, dass spazieren gehen, radfahren, joggen oder sonstige sportliche Aktivitäten zu deren Hobbies zählen. Jetzt wird mir klar, dass diese vermutlich keine andere Beschäftigung, keine Alternative haben. So wie ich heute.

 

Ich ziehe mir meine Schuhe an, greife nach meinem Handy, das natürlich schon mitmuss, schließlich muss ich doch immer prüfen, ob Instagram nicht doch wieder funktioniert, stecke mir meine Kopfhörer in die Ohren und verlasse die Wohnung.

 

Schon bei den ersten Sekunden vor der Haustüre schlägt mir die gut riechende Luft des Abends entgegen. Ein leichtes Lüftchen weht und macht den Aufenthalt in dieser richtig angenehm.

Ich beschließe, einige Runden um meinen Block zu drehen. Obwohl ich in der Stadt wohne, haben wir hinter dem Haus eine ländliche Umgebung mit vielen Feldern und Grünflächen. Ich merke schon bei den ersten Schritten, wie gut es tut, in der Luft zu sein, ich genieße das leise Vogelgezwitscher, das Summen der Bienen und die anderen Geräusche, die man in der Natur vorfindet. Ich freue mich, dass ich das erleben darf, und denke plötzlich nicht mehr an das Handy in meiner Hosentasche, das ich jederzeit greifen und prüfen kann, ob ich wieder online bin.

 

Mit meinem Spaziergang finde ich mich in einer anderen, neuen Welt wieder, die mir – das muss ich mir eingestehen – sehr gut gefällt und jetzt tut es mir leid, dass ich die Leute immer belächelt habe, wenn sie sagten, dass sie gerne in der Natur sind.

 

Ich beobachte gerade lächelnd einen Feldhasen, der einige Meter von mir entfernt in der Erde gräbt, als ich durch den Ton meines Handys aufschaue, der mir den Eingang einer WhatsApp-Nachricht anzeigt. Mein Freund schreibt: „Insta funktioniert wieder, dein Abend ist gerettet ;-)“

Ich aber schüttele nur den Kopf, und stecke das Handy wieder ein.

Ich möchte unbedingt noch den Hasen weiter beobachten, ein Bild, das die Natur mir bietet und ich so noch nie gesehen habe. Das ist wunderschön!

Erst, als es zu dämmern anfängt, mache ich mich auf den Weg zurück. Ich habe noch einige Raben beobachtet, die, wie der Hase, auf der Wiese ihren Spaß hatten und bin mit der Natur eins gewesen.

Als ich auf mein Handy schaue, um die Uhrzeit zu prüfen, sehe ich, dass ich auf Instagram 2.500 ungelesene Nachrichten habe, die, die ich kurz überfliege, mit demselben Wortlaut „Liane, wo bist du?“

Ich mache schnell ein Video, stelle es online und schreibe kurz dazu: „Ich habe heute ein anderes Leben kennen gelernt, ich war in der Natur.“ Die Reaktion überrascht mich dann doch: innerhalb weniger Minuten entfolgen mir fast 100 Leute. Aber das stört mich nicht weiter.

 

Dieser Tag des Offlines hat aus mir einen anderen Menschen gemacht. Jeden Tag nach der Arbeit gehe ich spazieren, genieße die Natur, die mir zeigt, wie schön sie ist.

 

Mittlerweile folgen mir nur noch ca. 10.000 Menschen auf Instagram, der Rest hat sich mit dem Tag, an dem ich gesehen und gelernt habe, dass es noch etwas anderes als Instagram gibt, für immer verabschiedet. Das ist aber völlig okay so!

 

Hin und wieder poste ich natürlich schon noch etwas, oder mache ein Video – aber das im Rahmen eines normalen Konsums, und nicht eines Influencers. Denn dazu zähle ich mich seit diesem einen Tag nicht mehr – und das macht mich froh und glücklich!

 

 ENDE

 

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Tag der Veröffentlichung: 24.07.2019

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