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KaraLina

Mit zittrigen Fingern übertrug Kara das idyllisch wirkende Bild eines Baums auf ihren Digital Assistant. Ulme, Deutschland, 2020 verriet die Bildunterschrift.

Jeden Moment rechnete sie damit, dass die Tür des Serverraums auffliegen und unzählige Waffen auf sie gerichtete werden würden.

Doch es passierte nichts. Eine Meldung bestätigte, dass das Foto erfolgreich heruntergeladen war und es geschah rein gar nichts.

Hätten sie den unerlaubten Zugriff auf die verbotene Datenbank nicht längst bemerken müssen? Sollte sie wirklich so viel Glück haben?

Kalter Schweiß rann ihren Nacken hinunter und das Summen der Ventilatoren schien sich in ein gehässiges Flüstern zu verwandeln, als sie den langen Gang zurücklief. Die Tür, die besser zu einem Banktresor gepasst hätte, war immer noch ein Spalt breit offen. Das gelbliche Licht der Flurlampen vermischte sich mit dem kühlen Blau der unzähligen LED-Lämpchen.

Kara lauschte und spähte auf den Gang. Er war menschenleer, alle Türen geschlossen, also huschte sie hinaus und zog hinter sich die schwere Metalltür zu.

Mühsam versuchte sie ihre Atmung zu normalisieren und schritt gemächlich den Flur entlang, obwohl alles in ihr sie dazu drängte zu rennen.

Kaum hatte sie die Abzweigung erreicht, erwachten ihre Alpträume in Form des schrill kreischenden Alarmtons zum Leben.

Gehetzt blickte sie sich um, als sie auch schon Türen knallen hörte, gefolgt von aufgeregten Rufen.

Einen Moment dachte sie noch daran, ihre Tarnung aufrecht zu erhalten, doch dann übernahm das Adrenalin in ihrem Körper die Führung und sie stürmte los.

Das Labyrinth aus grauem Beton und hellblauem Plastikboden schien endlos und sah mit den rot blinkenden Streifen an der Decke beinahe so aus, als würde es brennen. Auf Karas Brust lastete das Gewicht der Angst und ließ sie kaum noch Luft holen.

Endlich erreichte sie die Tür zum Treppenhaus, stieß sie auf und bremste abrupt ab. Wie gelähmt starrte sie zu dem weißen Helm hinauf, hinter dem ihr ein nicht weniger überraschtes Augenpaar entgegenblickte. Wahrscheinlich dauerte es nur wenige Sekunden, doch Kara kam es so vor, als dehnte sich der Moment, in dem sie sich stumm gegenüberstanden, zu einer kleinen Ewigkeit aus.

Erst als hinter dem Mann Stimmen laut wurden, löste sie sich aus ihrer Starre und wirbelte herum.

Eine Hand griff nach ihrem Arm, bekam den Stoff ihrer Jacke zu fassen, doch sie streifte sie ab und rannte los, ohne noch einmal zurück zu blicken. Funksprüche und gebrüllte Flüche verfolgten sie, als sie in Richtung der Aufzüge rannte.

Kara rannte um ihr Leben…

…und musste sich doch eingestehen, dass es umsonst war.

Mit Sicherheit warteten sie bereits in der Eingangshalle auf sie und alle Ausgänge waren gesperrt.

Schlitternd kam sie zum Stehen, ihr Blick huschte wie der eines in die Ecke gedrängten Tieres umher und blieb an der Tür zu den Waschräumen hängen.

Keuchend stürmte sie hinein, verriegelte die Tür hinter sich und schob sogar einen der übervollen Schminktische davor.

Auf dem Gang hörte sie bereits Stimmengewirr, dass sich mit dem schrillen Alarmton mischte, der sie langsam aber sicher taub werden ließ.

Am liebsten hätte sie sich jetzt in einer Ecke verkrochen, die Hände auf die Ohren gepresst und ihren Tränen freien Lauf gelassen, doch dafür war keine Zeit. Kara wusste, dass sie keine zweite Chance erhalten würde.

Ihre Hände zitterten so stark, dass sie Angst hatte ihren DA fallen zu lassen, als sie in aus der Tasche ihre Jeans zog. Sie traf kaum die richtigen Tasten, während sie die BOX öffnete, das Programm, dass all ihre Social Media Konten miteinander verknüpfte.

Geübt platzierte sie das Bild der Ulme neben dem Foto, dass sie glücklicherweise gestern bereits gemacht hatte. Es zeigte eine der metallenen Nachbildungen, die überall in der Stadt standen und in ihrem Inneren moderne Technologie zum Erzeugen von Sauerstoff verbargen.

„Baum“ 2020 und 2224 schrieb sie darunter.

Ein kurzes Zögern, Fäuste hämmerten an die Tür, dann drückte sie auf Senden.

Es fühlte sich an, als hätte sie ihr Schicksal damit besiegelt und eine Welle aus Panik und Verzweiflung brach über ihr herein. Kara rutschte an der Wand zu Boden, während ihr Herz so heftig in ihrer Brust schlug, als wollte es den Käfig aus Rippen zertrümmern und entkommen. Gleichzeitig spürte sie aber auch die ruhige Gewissheit, dass sie nicht anders hätte handeln können.

Ihr Plan, der Kuppel zu entkommen, war im Grunde von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen. Aber zumindest hatte er ihr die Zuversicht geschenkt, die sie gebraucht hatte, um es durchzuziehen.

Ihr Post erhielt die ersten Views, als etwas Schweres gegen die Tür gedonnert wurde. Das dünne Blech bekam eine Delle. Es würde nicht lange standalten.

Plötzlich vibrierte ihr DA.

„Kein Internet. Bitte überprüfen sie ihre Verbindungen.“

Das Piepsen, das eigentlich vorausgegangen sein musste, war wohl in dem schrillenden Meer untergegangen. Brandenden Wellen gleich rammten ihre Verfolger immer wieder von außen gegen die Tür.

Wie gerne hätte sich Kara eingeredet, dass sie nur so lange Follower gesammelt und Unwahrheiten im Namen der Regierung verbreitet hatte, um eines Tages genau hier zu sitzen.

Inmitten der Flut aus verschwiegenen Informationen und vertuschten Tatsachen war es ein Tropfen auf den heißen Stein und Kara konnte nur hoffen, dass sie wenigstens ein paar Menschen damit zum Nachdenken brachte. Dass ein paar wenige anfingen zu hinterfragen, anstatt blindlings alles zu glauben, was ihnen im Internet vorgesetzt wurde.

Mit einem hämischen Kreischen gab die Tür nach, der Tisch flog zur Seite und Lippenstifte, Liedschattendöschen und Nagellackflaschen verteilten sich auf dem weißen Fliesenboden.

Kara schloss die Augen, in dem kindischen Versuch, die Welt um sich herum auszusperren.

Trotzdem spürte sie die behandschuhten Finger, die sich schmerzhaft in ihre Arme bohrten und sie auf die Füße zerrten. Sie hörte die gebellten Befehle und fühlte, wie ihr der DA aus den Fingern gerissen wurde.

Ein Schlag auf den Hinterkopf ließ gelbe und rote Blitze vor ihren geschlossenen Lidern tanzen, bevor sie in die gnädige und stille Dunkelheit abdriftete.

 

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Fake-News von KaraLina

Gestern erlaubte sich die beliebte Influencerin KaraLina

einen Spaß auf Kosten ihrer Follower.

Ihre Social-Media Seiten wurden daraufhin gesperrt.

 

ENDE

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 09.07.2019

Alle Rechte vorbehalten

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