Cover

Der Lobbyist

Ein Altenpfleger muss die Scheiße rausbringen,

während der Lobbyist …

'Die Anstalt', Folge 44

 

Andreas Zacharias war Lobbyist aus Überzeugung. Er hatte den Beruf sozusagen von der Pike auf gelernt, und all die vielen Jahre, die er in dieser Position verbracht hatte, erfüllten ihn mit Freude und Genugtuung. Ja, natürlich gab es auch gewisse Schattenseiten, schließlich hatte er täglichen Umgang mit Menschen. Und Menschen sind mal so, mal so. Unter ihnen gibt es immer irgendwelche Idioten, aber das hätte Zacharias nie laut ausgesprochen, schon gar nicht seinen Kollegen gegenüber.

Ja, die lieben Kollegen. Da waren genug darunter, die für diesen Beruf nicht geeignet waren, etwa die redseligen Laberer, denen es nur ums Geld ging. Aber die hielten sich nie lange. Welcher Auftraggeber beschäftigt schon Trinkgeldschwätzer, die nicht das leisten, was von ihnen erwartet wird? Denen mangelt es oft an den einfachsten Grundlagen, die ein Lobbyist beherrschen muss.

Menschenkenntnis zum Beispiel. Man muss nicht nur ahnen, wie eine Zielperson reagieren wird, sondern man muss es wissen. Oder korrekte Umgangsformen. Man kann mit einem Verkehrsminister nicht umgehen wie mit einem Vollpfosten, auch wenn er ganz offensichtlich einer ist. Auch Auftreten und Äußeres müssen passen. Dresscode Business Casual. Beim Gegenüber darf nie der Eindruck der Überheblichkeit erweckt werden, oder gar ein gewisses Gefühl, in der Sache, um die es geht, unterlegen zu sein. Und egal, was auch passierte, Andreas Zacharias bewahrte immer die Contenance.

Wenn alles zur Zufriedenheit beider Parteien klappte, war das eine absolute Win-win-Situation, die auch anderen Beteiligten nutzte. Zacharias' Auftraggeber verdiente richtig Geld, und die Mitarbeiter eines Ministeriums hatten einen gut gelaunten Chef lieber als einen übel gelaunten Kotzbrocken. Von denen gab es schon genug. Aber egal, wie die Konstellation ausgeht – die Zeche zahlt immer ein anderer. Meistens der Steuerzahler.

Natürlich hing das auch vom Ort ab, an dem der Lobbyist Andreas Zacharias arbeitete. Es machte einen großen Unterschied, ob das Washington, Paris, London oder sonst wo war. Zacharias hatte überall gearbeitet, sogar in Bielefeld. Das hielten alle zwar für einen Scherz, weil es, wie jeder weiß, Bielefeld überhaupt nicht gibt, aber das war nicht der Grund, warum es ihn schließlich zurück in seine Heimatstadt zog. Er hatte einfach Heimweh. Die letzten dreißig Berufsjahre blieb er dort. Wen hatte er in dieser Zeit alles getroffen? Er konnte sich nicht mehr an alle erinnern. An Barak Obama schon, Gerhard Schröder, Theo Waigel, neulich erst Christine Lagarde, Kyrios Mitsotakis, Markus Söder, oder die unbestechliche Angela Merkel – eine schier unglaubliche Liste an Spitzenpolitikern, wobei die kleinen, unbedeutenden Hinterbänkler für ihn die interessanteren waren. Aber das waren leider auch diejenigen, die am meisten Ärger machten. Contenance bewahren war hier besonders wichtig. Als Oberlobbyist, also als Chef der sogenannten 'Jahreszeiten Lobby' und der ganzen Nebenräume des Hotels Vier Jahreszeiten Kempinski Munic musste er alles im Griff haben. Gäste, Leibwächter, Personal, Reporter. Wenn er ab und zu nach einem harten Arbeitstag zu seiner Frau sagte, dass das alles der Steuerzahler, also auch er selbst, bezahlen müsse, so galt das natürlich nur für politische Gäste, etwa bei der Sicherheitskonferenz. Aber zum Glück gab es natürlich noch die anderen. Schauspieler, Filmdiven, Sportler samt Manager und Myriaden von Adabeis, also von den Wichtigtuern, die überall gesehen werden wollten. Und manchmal gab es sogar völlig normale Gäste, die sich einen Übernachtungspreis von weit über 300 Euro pro Person leisten konnten oder wollten.

Dieses ganze Gewirr von verschiedensten Persönlichkeiten, vom Staatspräsidenten bis zum Hanswurst war es, was ihm mehr als dreißig Jahre lang so viel Spaß gemacht hat.

Aber jetzt, in vier Wochen, ging Andreas Zacharias in den Ruhestand. Und etwas hatte er mit seiner Frau schon vorbereitet: Ein Wohnmobil, mit dem sie durch die Welt reisen würden und dabei keine Hotellobby betreten mussten, in der ein anderer Lobbychef ist und die Contenance bewahrt.

Und eines war auch sicher: Er würde niemanden erzählen, dass er einmal Lobbyist gewesen war, denn diese Berufsbezeichnung hatte einen ganz üblen Beigeschmack …

 

 ENDE

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 19.06.2019

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /