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Besserwisser

„Ein Angeber. Nichts weiter. Immer meint er, dass irgendetwas im Verborgenen liegt. Nicht offensichtlich ...! Dabei ist es offensichtlich. Liegt klar auf der Hand! Eindeutig für alle. Selbst er müsste das wissen. Aber nein ...! Ständig kommt er mir in die Quere. Schnüffelt rum. Kriecht auf allen vieren. Woher weiß er überhaupt von diesem Fall? Und was interessiert ihn daran? Dieser Fall ist simpel, eindeutig. Sollte es sogar für ihn sein. Aber nein ...! Ein, zwei Sachen und schon ist er wieder fort. Wo wollte er eigentlich hin?“

 

„Das kann ich Ihnen nicht beantworten, Sir. Nicht eine Ihrer vielen Fragen.“

 

„Ich habe gar keine Fragen gestellt, Gregson. Nicht eine! Der Fall ist klar, ganz eindeutig. Das sagte ich doch bereits. Haben Sie die Frau schon aufs Revier gebracht?“

 

„Ja, Sir. Aber er meint ...“

 

„Was soll er schon meinen? Ist mein Revier. Ganz eindeutig. Natürlich hat sie ihn umgebracht. War ja kein anderer da. Und ein Motiv hat sie auch. Sie erbt alles und ihre Hände waren blutverschmiert, von ihrer Kleidung ganz zu schweigen. Der Richter wird das genauso sehen wie wir.“

 

„Er meint, sie kann die Tat nicht ausgeführt haben, weil der Stichkanal von oben nach unten führt und nicht von unten nach ...“

 

„So ein Blödsinn. Dann stand sie eben auf einem Hocker, oder so. Das hat sie vermutlich extra so gemacht, nur um uns in die Irre zu führen. Er ist diesmal auf dem Holzweg. Alle Türen und Fenster waren fest verschlossen. Wie sollte denn jemand hinein gekommen sein und gar wieder hinaus? Wir haben die Richtige, Gregson. Und der Henker wird sich ihrer annehmen.“

 

„Aber, Sir. Wenn nun doch ein Zweifel bestehen sollte. Vielleicht ist sie ja doch unschuldig. So einer zarten und anmutigen Frau kann man das doch gar nicht wirklich zutrauen. Und dann diese ungeheure Brutalität. Außerdem beteuert sie ihre Unschuld.“

 

„Sie haben ihn gerufen, Gregson. Nicht wahr? Sie bringen mich in Teufels Küche! Seien Sie ehrlich! Kennen Sie das Weib?“

 

„Ja, ich kenne sie. Flüchtig. Sie ist die Schwester eines alten Schulkameraden von mir und Marie war schon damals bezaubernd. Ich bin sehr betroffen und habe ihn um Hilfe gebeten. Sie kann so etwas nicht getan haben.“

 

„Dann glauben Sie auch an den unbekannten Dritten? Einen Liebhaber?“

 

„Nein, Sir. Sicher nicht. Sie ist sehr sittsam, ehrbar. Nicht eine von diesen ...“

 

„Gregson! Wo waren Sie denn gestern Abend? Ihr Verhalten ist mehr als sonderbar! Sie scheinen tiefere Gefühle für die Dame zu hegen. Sie sind vom Fall suspendiert und stehen vorläufig unter Arrest. Überlegen Sie sich gut, wo Sie gestern Abend waren! Ich nehme Ihre Aussage im Büro auf. Was für ein Fall! Haben Sie ihm das auch schon alles gesagt?“

 

„Nein, Sir. Ich habe ihn nur um Hilfe gebeten, weil ich nicht glaube ..“

 

„Genug, Gregson. Sie reden sich ja um Kopf und Kragen. Haben Sie den Ehemann umgebracht?“

 

„Nein, Sir. Natürlich nicht! Wie kommen Sie darauf, Sir? Wir waren doch gestern Abend gemeinsam auf dem Polizeiball.“

 

„Sie waren nicht durchgehend an Ihrem Platz, Gregson. Ich habe sehr wohl bemerkt, dass Sie zwischendrin den Saal verlassen haben und als Sie zurückkamen, hatten Sie ein anderes Hemd an. Auf die Hose habe ich leider nicht geachtet. Werde noch mal in mich gehen. Los, kommen Sie! Ich nehme Sie erst einmal fest.“

 

„Aber Sir! Die Hose war die gleiche! Das Hemd habe ich getauscht, weil ich vom Tanzen vollkommen durchgeschwitzt war. Und natürlich habe ich das auf der Herrentoilette..“

 

„Kommen Sie, Gregson. Sie stehen unter Mordverdacht. Alles andere besprechen wir dort.“

 

 

*** 3 Tage später ***

 

 

Widerwillig folgte der Inspektor der Aufforderung des Detektivs, zum besagten Haus zu kommen. Sein besserwisserischer, aber leider erfolgreicher, ungeliebter und dennoch in mancherlei Fällen nützlicher Gegenspieler – oder besser – Berater, war mit dem Doktor bereits vor Ort.

 

„So seien Sie doch leise ...!“, raunte der ihm zu. „Sonst entkommt er uns noch.“

 

„Woher wollen Sie denn wissen, dass dieser Mann der Täter ist? Ich habe Gregson in Verdacht, wenn es nicht die Frau gewesen sein sollte.“

 

Sein Gegenüber lachte verhalten. „Sie sind manchmal aber auch mit Blindheit geschlagen. Wie soll eine Frau von 1,63 m Größe ihren beinahe hünenhaften Mann erstechen? Das ist physiologisch gar nicht möglich. Daher kann man dieses ausschließen. Und was ist mit den Briefen? Glauben Sie nicht, dass Sir Edward Hopkins den Mann erwartet hatte, der ihn bei dieser Gelegenheit ermordete?

 

„Aber alle Fenster und Türen waren geschlossen. Wie hätte der Mann unbemerkt das Haus verlassen sollen?“

 

„Ist Ihnen entgangen, dass man dieses Fenster nur hinunter zu schieben braucht? Die Haushälterin hat es am Morgen verriegelt, wahrscheinlich, um ihre Nachlässigkeit zu vertuschen. Offenbar haben Sie es versäumt, sie danach zu fragen. Leise! Da ist er ... Ich habe es ja gewusst ... Los, fassen Sie ihn, jetzt!“

 

 

Nach einem kurzen Gerangel, mehr oder weniger unfreundlichen Worten und einem Faustschlag, der den Inspektor am Kinn traf, wurde Ben Fletcher festgenommen. „Was wollen Sie von mir? Wieso nehmen Sie mich fest?“, schimpfte er immer wieder, bis sein Blick eher zufällig den des Detektivs traf und er unsicher in sich zusammensank. „Was hat mich verraten? Alles war perfekt. Wie sind Sie auf mich gekommen?“

 

„Das war keine große Sache, Fletcher“, gab der Detektiv zurück. „Ohne Frage ist mir sofort der Einstichkanal aufgefallen. Es ist ein Leichtes anhand der Waffe die Größe des Angreifers zu bestimmen. Dazu kamen natürlich auch die Briefe, die mit Sicherheit von einem Windzug vom Tisch gefegt wurden. In Ihrer Eile haben Sie allerdings zwei Seiten übersehen, die ich gefunden habe. Dem Wortlaut konnte ich entnehmen, um welche Art von Geschäft es sich zwischen Ihnen und Hopkins handelte. Aber Sir Edward Hopkins hat Sie vermutlich ausgelacht, als Sie ihn erpressen wollten. Ist es nicht so?“

 

„Sir Edward! Das war kein Sir! Weiß Gott nicht! Der hat mit allem gehandelt, was einen Wert hatte. Ganz gleich ob Mensch oder Tier. Verkauft hat er! Alles und jeden, der feine Sir! 10 Jahre saß ich seinetwegen im Gefängnis. Und als ich rauskam, hatte er ein feines Haus, ein feines Leben und eine feine Frau. Sir! Auch den Titel hat er sich gekauft, den Namen! Ihr Sir Edward ist John Hopkins. Ein ganz mieses Schwein aus New Orleans.“

 

„Sir Edward hat auf Ihre Erpresser-Briefe immer das gleiche geantwortet, nehme ich an“, fragte der Detektiv wissend lächelnd.

 

„Er schrieb, dass das ein schlechter Scherz sei. Verhöhnt hat er mich, abgewiesen! Dabei hat er die ganze Kohle alleine eingesteckt, sich ein schönes Leben gemacht. Dieser Bastard! Dann hat er mich eingeladen, gesagt, dass er hätte, was ich wolle. Und gegrinst hat er! So, wie Sie jetzt gerade! Nur Geld gegeben hat er mir keins. Nicht einen Penny! Als er mir einen Schmierzettel in die Hand drückte, anstatt der Moneten, bin ich durchgedreht und habe ihm mein Messer in die Brust gehauen. Verdient hat er das nicht anders, der Schweinehund!“

 

„Und den Zettel haben Sie achtlos ins Blumenbeet geschmissen, nachdem Sie aus dem Fenster gestiegen sind und dieses wieder hinter sich verschlossen haben“, fuhr der Detektiv fort. „Aber das war Ihr größter Fehler. Haben Sie ihn nicht gelesen?“

 

„5 Oaks stand drauf. Welch ein Blödsinn! Was soll ich mit 5 Eichen?“

 

Der Detektiv lachte nun laut. „Das war die richtige Adresse von dem Mann, den Sie gesucht haben. Er ist der Gastwirt der 5 Oaks. Nur ein paar Meilen von hier. John Hopkins ist ein übler Geselle und Geld hat er keins. Man sagt, er hätte mal welches gehabt und vom Rest den Pub 5 Oaks gekauft. Mit Sir Edward Hopkins, den Mann, den Sie erstochen haben, ist er nicht einmal weitläufig verwandt. Ihr Opfer, der ehrenwerte Sir Edward, wollte die Sache richtigstellen und hat Ihnen die Adresse Ihres ehemaligen Freundes aufgeschrieben. Sie haben den falschen Mann ermordet.“

 

„Das kann nicht ... Das kann doch nicht ...“, stotterte Ben ungläubig. „Woher wissen Sie das alles? Auch das mit der Verwechslung? Das ist doch gar nicht möglich. Was für ein verfluchter Besserwisser sind Sie?“

 

Der Detektiv lachte. „Ich weiß nichts besser. Aber ich weiß. Andere vermuten nur und reimen sich die unsinnigsten Dinge zusammen. Logik, meine Herren! Ein paar Nachforschungen und Deduktion. Das könnte Ihnen übrigens auch helfen, Lestrad, nicht wahr? Und lassen Sie die Dame des Hauses und Gregson wieder frei. Ihr Kollege ist zumindest der Einäugige unter den Blinden.“

 

Inspektor Lestrad führte Ben Fletcher wortkarg, aber dennoch mürrisch, ab. Das: „Sie hätten das niemals rausgefunden“, vom Festgenommenen machte die Sache nicht besser. Mit einem: „Ach seien Sie doch leise!“, schloss er die Tür hinter dem Gefangenen zu. „Warten Sie!“, bat Fletcher. „Wer war der Mann? Sicher keiner von Ihren Leuten, oder?“

„Sie haben ihn doch gehört, Fletcher. Bedienen Sie sich des logischen Denkens und der Deduktion. Dann erübrigt sich das Fragen in den Straßen von London – und – man weiß es einfach das nächste mal besser.“

 

 

Ende

 

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Tag der Veröffentlichung: 07.03.2019

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