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Tatort

Der Mann war eindeutig tot. Er lag in der Badewanne, Zunge herausgestreckt, Gesicht blau angelaufen. Ein Kabel führte aus dem Schaum heraus. Alles klar.

Hauptkommissar Felix Klisch schob seine uniformierten Kollegen, die schon das gesamte Bad mit ihren DNA-Abfällen verunreinigt hatten, beiseite, blies seine Latexhandschuhe auf und zog sie über. Neben der Wanne ging er in die Knie und wollte mit spitzen Fingern das Kabel aus dem Wasser ziehen, als eine der Polizistinnen aufkreischte:

"Nicht anfassen! Kann ja noch Strom drauf sein!" Klisch runzelte die Stirn und fragte dann:

"FI?"

"Hä?"

"Fehlerstrom-Schutzschalter. Ist Vorschrift für Bäder. Hat der ausgelöst?"

"Äh, ausgelöst? Was ausgelöst? Alarm? Nein, der kam von der Putzfrau, die ihn gefunden hat." Klisch stöhnte leise und zog dann das Kabel heraus. An seinem Ende baumelte ein Föhn. Der Klassiker. Kennt man vom Fernsehen. Der Mörder kommt ins Bad, steckt den mitgebrachten Haartrockner in das mitgebrachte Verlängerungskabel, weil in der Nähe der Wanne keine Steckdose sein darf – Bauvorschrift – und wirft das Ding ins Wasser. Der Strom, ein fauler Hund, sucht sich immer den kürzesten Weg. Also vom Föhn durchs Wasser zur Halsschlagader des Badenden, überwindet dort den Hautwiderstand, strömt dann entlang der Aorta im Inneren des Körpers zum Herz, verrichtet dort seine beabsichtigte Tätigkeit, sucht sich dann einen Weg durchs Gedärm zu einem Bein, tritt aus der Zehenspitze aus – egal, ob rechts oder links – und verschwindet dann im Abfluss, ohne den FI auszulösen. Perfekter Mord.

HK Felix Klisch war aber doch etwas skeptisch. Physik und Physiologie hatte er schon immer verwechselt. Er brauchte schnell was Hochprozentiges. Doch bevor er die Wohnung verlassen konnte, quiekte etwas im Eingang. Unverkennbar die Stimme der Forensikerin Bella Dorn.

"Sie schon hier, Herr Inspektor?"

"Inspektor gibt's kaan", murmelte Klisch und versuchte sich unsichtbar zu machen. Es gelang ihm nicht.

"Hallo Frau Doktor", begrüßte er die 20-jährige, blendend aussehende Gerichtsmedizinerin. Sie hatte zwei Doktortitel und war zusätzlich vom FBI ausgebildete Profilerin. "Ja, ja, ich weiß schon, Sie können erst etwas sagen, wenn Sie die Leiche auf dem Tisch gehabt haben. Ich gehe mal den Hausmeister suchen und frage ihn nach dem Sicherungskasten."

Dr. Dr. Dorn betrachtete ihn mit einem Kopfschütteln. Sie dachte an seine dreimal geschiedene Tochter, sein Alkoholproblem, sein Wohnchaos und an seine Beziehungskrise mit einer vierfachen Mutter, deren Mutter wiederum im Altenheim Castrop-Rauxel dahin siechte, wie gemunkelt wurde, und als sie ins Bad ging und sich von den dahinflimmernden Bildern befreit hatte, wären im Fernsehen schon 44 Minuten Sendezeit mit den Problemen eines Hauptkommissars vergangen.

Aber es war ja kein Film, weshalb Klisch erst kurz vor der Wohnungstür stand, welche aufflog und ihm fast auf die Nase geknallt wäre. Ein junger Typ stand im Rahmen, starrte ihn mit riesigen Glubschaugen unter seinem umgedrehten Basecap an. Dann drehte er sich ruckartig um und rannte davon, während der Hosenboden seiner Baggy-Jeans um die Kniekehlen schlapperte.  Klisch hinterher. Beim Rennen versuchte er seine Dienstwaffe aus dem Holster zu zerren, was etwas dauerte, und dann schrie er dem Typen den oft eingeübten Slogan hinterher: "Halt, Polizei! Stehenbleiben, oder ich schieße!"

Seltsamerweise hatte das keine Wirkung. Der blöde Typ rannte einfach weiter die Treppe hinunter und aus der Hintertür. Klisch hinterher mit der verdammt schweren Heckler& Koch SFP9 in der Hand. "Halt, oder ich schieße!", brüllte er noch mal, obwohl er wusste, dass ein Kriminaler niemals einem Flüchtenden hinterher schießt.

Eigentlich blöd, dachte er und blieb stehen, während der Baseballkappenkerl über Mülltonnen und Lärmschutzwänden im Nirwana verschwand. Er wusste ja, dass seine junge Kollegin bereits mit dem Auto genau hinter dem Eck wartete, um das der Flüchtende rennen würde. 

Und so war es auch. Der Typ klatschte auf die Motorhaube und riss sofort die Hände hoch, als die Kollegin aus dem Wagen stieg.

Warum machen die das bei mir nie?, dachte er noch, als er durch den Gang des Präsidiums zum Verhörraum ging. Am Getränkeautomaten rüttelte wieder einmal jemand an der Ausgabeklappe. Klisch schlug im Vorbeigehen mit der Faust an die Seitenwand, und die Cola-Büchse kullerte heraus. "Da nich für!", rief er im Weitergehen und wedelte jovial mit der Hand.

In Verhörraum fläzte der Arschloch-Mützen-und-Hosen-Typ auf einen Stuhl herum und grinste Felix Klisch kaugummischmatzend provokant an.

"Sach nix. Anwalt.", nuschelte er und Klisch nuschelte zurück. Er musste sich anstrengen, so zu nuscheln, schließlich war er nicht Till Schweiger. Nuscheln wurde ja von einem kriselnden Hauptkommissar erwartet. Der zuständige Staatsanwalt könnte ja hinter der Scheibe mithören und hätte dann sein Hörgerät völlig umsonst lauter gedreht.

"Warum sinnsen abghaut?"

"Hm, hm", murmelte der Baggyhosenträger und starrte zur Decke hoch. "Mach's immer so, macht Spaß!"

"Dann können's gehen", nuschelte Felix Klisch und verließ den Raum, gefolgt vom Nichtsnutz, der im Rauswatscheln noch einmal über den Tisch wischte und Getränke, Mikrofon und Rekorder auf dem Boden zerdeppern ließ.

Klisch ging mit gesenktem Kopf links den Gang hoch und begegnete dem Staatsanwalt. Der schaute wütend den Gang runter, wo der Typ im Gorillaschritt Richtung Ausgang stolzierte.

"Klisch, sind sie jetzt völlig verrückt geworden?", brüllte er. "Das wird ein Nachspiel haben! In mein Büro! Da läuft der Täter! Haltet ihn!"

Kommissarin Fardina Zaimoglou kam gerade den Gang hoch, hörte das Gebrüll, drehte sich um und rief dem gerade Entlassenen das Übliche hinterher:

"Halt, stehenbleiben etc,…" Aber der tat das, was er immer tat. Er rannte davon. Diesmal aber nicht nach draußen, weil dort viele rauchende Polizisten standen, sondern die Treppe hoch, noch eine, noch eine – Schlapperhose egal – und Fardina Zaimoglou hinterher, die Knarre in der Rechten hin und her schlenkernd.

Endlose Stockwerke, auf denen niemand zu sehen war, dann raus aufs Flachdach. Der Hosenträger stand am Rande des Abgrunds, hob die Arme und grinste, als die Polizistin keuchend auf ihn zu rannte. Mit beiden Händen die SFP9 vorgestreckt, stolperte sie über einen Blitzableiterdraht.

Als HK Felix Klisch ebenfalls oben war, frisch wie der junge Morgen und ohne ein Tröpfchen Schweiß auf der Stirn, sah er erst einmal nichts. Dann hörte er ein Stöhnen, trat näher und bemerkte plötzlich zwei Finger an der Dachkante. Und daran hing, baumelnd über dem Abgrund, Farida Zaimoglou.

"Gib mir deine Hand, gib mir deine Hand!", rief er, und die Polizistin ließ mit dem rechten Finger los. Nein, sie kippte nicht nach links, wie das Newtonsche Gesetz erwarten ließ, sondern Klisch packte die Hand und zog die 80 kg der Kollegin problemlos aufs Dach. Noch einmal gut gegangen.

Und der Hosenträger? War irgendwie verschwunden.

Zurück im Präsidium überprüften sie die Aussagen der üblichen Verdächtigen wie Hausmeister, Putzfrau, Nachbarn. Wo waren Sie, haben Sie Zeugen dafür, wo war Ihre Oma, was haben Sie am 1. April gemacht? usw. Es dauerte.

Dr. Dr. Dorn rief an.

"Ja, es war ein Stromschlag", quiekte sie, und Klisch legte auf, weil er alles Wichtige gehört und Angst um sein Trommelfell hatte. Also kein Mord. Punkt.

"Hab ich doch gleich gesagt, Herr – noch – Hauptkommissar!" brüllte der Staatsanwalt. "Und Sie lassen den Täter laufen! Das wird ein Nachspiel haben, in mein Büro!"

Klisch dachte nicht daran. Es war ja immer so. Absolut jeden verdammten Fall hatte er in der Normzeit gelöst, so verworren er auch war. Und jedes Mal hatte der Staatsanwalt seinen besten Ermittler zwischendurch zur Sau gemacht. Laaangweilig. Außerdem passte irgendetwas ganz und gar nicht.

Statt ins Büro des Staatsanwalts zum Abwatschen zu kommen, suchte er im Archiv nach Eintragungen über den Toten. Und was fand er? Der Tote war ein mehrfach verurteilter Kinderschänder und Frauenvergewaltiger. Klar. Mindestens die Hälfte seiner ehemaligen Kunden waren welche. Das klassische Muster. In den Unterlagen fand er eine Adresse. Eine Lagerhalle im Osten.

Die Tür war nicht verschlossen, also ging er rein. Gegen die Vorschriften gingen auch alle seiner Kollegen und Kolleginnen immer allein rein. Aber er hatte natürlich seine H & K mit beiden Händen im Anschlag.

"Ist da jemand?", rief er in die Stille.

"Nein, niemand", kam es zurück. Gott sei Dank! Klisch wischte sich den Schweiß von der Stirn. Vorsichtshalber drehte er seine Pistole trotzdem immer von links nach rechts und zurück. Er hätte wissen müssen, dass der Schlag in den Nacken immer von hinten kommt.

Und dann saß er da auf einem Stuhl, mitten in der Halle und hörte dem Mörder zu, wie er lang und breit seine Tat erklärte und sich rechtfertigte und um Verständnis bat, dass er den Hauptkommissar jetzt zum Schweigen bringen müsse.  

Er war die einzige Person, die sie nicht zum Verhör geladen hatten. Der Gärtner. Nicht zu glauben. In den Akten ist er aufgetaucht, weil der Tote seine Tochter und drei seiner Frauen vergewaltigt hatte und immer noch frei herum lief. Und er werde auf keinen Fall zu den Zuhältern, Kinderschändern und Vergewaltigern ins Gefängnis gehen, erklärte er Klisch immer wieder. Dann erzählte er sein ganzes, verdammtes Leben, bis ihm nichts mehr einfiel und er wieder auf den Punkt kam. Deshalb werde er wohl leider den Kommissar umbringen und verschwinden müssen, meinte er wieder mal abschließend.

Er nahm ein Seil mit einer stilgerechten Henkersschlinge in die Hand, warf es über einen Stahlträger und kam auf Klisch zu.

Dem wurde es langsam mulmig zumute. Wo bleibt das verdammte SEK?, dachte er. Täter erzählen doch immer so lang, bis die Rettungstruppe eingetroffen ist! Er musste handeln.

"Ich kann Sie gut verstehen", sagte er, "aber etwas ist mir unklar."

"Ach ja, was denn?" Der Mörder hielt in seinen Vorbereitungen inne.

"Wie haben Sie das Schwein denn wirklich umgebracht? In der Wanne sicher nicht!"

"Nein, das geht ja nicht so wirklich. Ich habe ihm in seiner Wohnung aufgelauert, den Schlüssel hab ich mir vorher vom Hausmeister geklaut, und dann hab ich ihm von hinten den blanken Draht eines Kabels an den Hals gehalten. Hat gezappelt wie ein Fisch, hihihi. Und dann war Schluss. Ab in die Wanne, Föhn dazu und es war ein Unfall, wie ja auch Ihr Chef glaubt. Warum Sie nicht? Tut mir leid, aber ich muss …"

"Warum ich nicht? Weil Sie einen Fehler gemacht haben." Klisch schwieg, er musste Zeit gewinnen. Wieder kam der Mörder auf ihn zu und schwenkte bedeutungsvoll die Schlinge.

"Was für einen Scheißfehler denn, Mann?"

"Bitte, bitte", murmelte Klisch.

"Was?"

"Das Kabel. Der Föhn steckte nirgendwo drin, weil die nächste Steckdose zu weit weg ist. Sie haben das Verlängerungskabel vergessen."

Wie auf ein Stichwort stürzten jetzt die martialischen SEKler in die Halle und brüllten ihre Standardsätze:

"Hände hoch, Waffe weg, auf den Boden, etc. p.p."

 

Am nächsten Tag quittierte Felix Klisch seinen Dienst. Er hatte es satt, immer nur Klischees bedienen zu müssen.

Schauspieler, hatte er beschlossen, das wäre doch was! Und für den nächsten Film von Rosamunde Pilcher lief gerade das Casting. Aber war die Dame nicht gerade erst verstorben? An was? Wer war der Täter?

 

ENDE

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 20.02.2019

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