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Handbuch für Helden

Handbuch für Helden (geeignet auch zur Weiterbildung für Superschurken)

 

Mittels nachfolgendem Beispiel wollen wir dem geneigten Leser bzw. zukünftigem Helden einige Grundregeln nahebringen, die den Arbeitsalltag erleichtern sollen.

(Sollten sie den Beruf des Superschurken gewählt, und sich die Weltherrschaft zum Ziel gesetzt haben, sehen sie die nachfolgenden Handlungen der Bösewichte als strikte No-Go-Liste.)

Die Regeln sind, falls nicht anders angemerkt, ohne Änderungen anzuwenden, sodass Realitätsnähe unbedingt vermieden wird!

 

Regel 1: Hör auf den lässigen Professor!

One hatte den Kopf auf die Arme sinken lassen und starrte mit trübem Blick zum Podium. Dort saß Professor Gangmitglied im Schneidersitz auf dem Rednerpult und spielte gedankenverloren mit seinem Laserpointer.

„Yo, um endlich auf den Punkt zu kommen... Glaube niemandem der sagt: Das wird ganz einfach, alles kein Problem!“

Der Gong läutete das ersehnte Ende der Stunde ein und sofort wurden One und die anderen Studenten wieder munter, sprangen kollektiv auf und stopften ihre Rucksäcke voll.

One hatte den Saal schon halb verlassen, als Professor Gangmitglied ihnen hinterherbrüllte: „Bis zum nächsten Mal lesen sie bitte alle das Handbuch für Helden!“

 

Regel 2: Nimm immer die unpraktischste Tüte und kaufe etwas Rundes!

Nach der Vorlesung hatte Ones bester Freund und WG-Mitglied Heribert ihn daran erinnert, dass der Kühlschrank leer war. Deshalb klammerte sich One jetzt krampfartig an einer braunen Papiertüte ohne Henkel fest, die hoffnungslos vollgestopft war.

„Warum mussten wir die Tüte nehmen?“, quengelte er.

Heribert warf ihm einen missbilligenden Blick durch seine meterdicken Brillengläser zu.

„Weil sie dir sonst nicht runterfällt, wenn du in deiner Hosentasche nach dem Autoschlüssel kramst!“

One seufzte: „Seit wann haben Studenten eigentlich ein eigenes Auto?“

Mühsam balancierte er die kiloschwere Tüte auf einer Hand und fischte mit der anderen in seiner Jeanstasche nach dem Schlüsselbund.

Heribert schüttelte entnervt den Kopf.

„Damit wir die Autobombe finden können natürlich!“

„Autobombe...?!“, echote One entsetzt.

Für einen entscheidenden Augenblick vergaß er die Tüte und prompt landete das unpraktische Ding auf dem Boden.

Mit einem lauten Scheppern zerplatzten die Konservendosen und tränkten den Asphalt mit Tomatensoße und Hühnersuppe. Und, wie sollte es anders sein, rollten die Orangen, Äpfel und sogar die Melone drei Meter über den Parkplatz, um unter einer auffällig noblen Limousine liegen zu bleiben.

 

Regel 3: Vermute immer das Schlimmste!

„Na super!“, beschwerte sich One, verschränkte trotzig die Arme vor der Brust und stampfte mit dem Fuß auf den Boden. „Ich hab dir doch gleich gesagt, dass das Ding unpraktisch ist!“

„Jetzt spiel hier nicht die Dramaqueen!“, entgegnete Heribert und wies hoheitsvoll auf die verstreuten Einkäufe. „Du hebst einfach die Sachen auf, alles kein Problem!“

Mit einem Seufzen ging One zum Auto, kniete sich davor und sammelte kopfschüttelnd das Obst zurück in die verdammte Tüte.

„Piep... Piep...“

Er runzelte die Stirn.

„Hörst du das?“

„Was ist denn schon wieder?“, meckerte Heribert während er näherkam.

„Hör doch!“, erwiderte One ungehalten.

„Piep... Piep...“

„Meine Güte!“, rief Heribert. „Gerade sage ich noch...“

„Da muss was unter dem Auto sein!“, unterbrach ihn One.

Neugierig beugte er sich vor und schielte darunter.

„Oh!“

Begeistert schob er sich halb unter die Limousine und angelte nach dem Päckchen das er erspäht hatte.

„Ist das nicht niedlich?“, meinte er zu Heribert, als er es endlich erwischt hatte und es hervorzog.

Dieser betrachtete das rosarote Schächtelchen nur mit gerunzelter Stirn. One hingegen zog bereits an der pinken Tüllschleife.

„Da hat bestimmt wieder irgendjemand einen Vogel ausgesetzt!“, empörte er sich.

 

Regel 4: Immer der rote Draht! ... oder?

Mit schreckgeweiteten Augen starrte One auf den rückwärtszählenden Countdown.

„Piep...“

... noch 59 Sekunden...

„Piep...“

... noch 58 Sekunden...

„Was...?!“

Verzweifelt blickte One zu Heribert auf, der mit verschränkten Armen neben ihm stand.

„Nun sei doch nicht so begriffsstutzig!“, echauffierte er sich und griff in seine Jackentasche.

Kurz darauf hielt er One wie selbstverständlich einen Seitenschneider entgegen.

„Du musst den roten Draht durchschneiden!“

Das blinkende Display zeigte mittlerweile nur noch 34 Sekunden.

„Aber...“

Heribert warf in einer halb hilflosen, halb ungeduldigen Geste die Hände in die Höhe.

„Was willst du denn sonst mit einer Bombe machen?!“

One schluckte schwer, doch der herabzählende Timer half ihm schließlich bei der Entscheidung. Er nahm Heribert den Seitenschneider ab und blickte auf das Gewirr aus Kabeln. Bis auf ein Rotes und ein Grünes waren alle schwarz.

„Woher willst du wissen, dass es das Rote ist?“, wollt er wissen. „Warum nicht das Grüne?“

„Das weiß man doch!“, stöhnte Heribert genervt. „Jetzt mach schnell du Idiot!“

Tatsächlich hatte er nur noch zwölf Sekunden, um sich richtig zu entscheiden.

One atmete einmal tief ein, setzte den Seitenschneider an den roten Draht an und...

 

Regel 5: Explosion? Cool bleiben!

„Lauf!“, brüllte Heribert plötzlich, riss ihn in die Höhe und zerrte ihn seitlich vom Auto weg.

Ein lauter Knall, gefolgt von einem zischenden Geräusch knapp neben Ones rechtem Ohr ließ ihn zusammenzucken.

„Was...?!“, begann er, blickte sich erschrocken um und beendete prompt seinen Satz mit einem erstickten Keuchen.

Ungefähr ein Dutzend Bodybuilder in Lederkluft und bis an die Zähne bewaffnet mit Pistolen, Gewehren und deutlich schweren Geschützen stürmten auf sie zu. Trotz ihrer bulligen Statur holten sie schnell auf und hatten schon beinahe die Limousine erreicht, neben der sie eben noch gewesen waren.

Heribert indessen rannte unbeeindruckt weiter und schleifte One unnachgiebig hinter sich her, sodass dieser ins Stolpern geriet.

„Haltung!“, brüllte Heribert zwischen zwei hektischen Atemzügen.

Um keine nähere Bekanntschaft mit dem Asphalt zu machen, drehte One sich wieder nach vorne. Bevor er jedoch nachfragen konnte, was sein Kumpel damit meinte, gab es hinter ihnen einen ohrenbetäubenden Knall...

Die Bombe!

Während One die Augen zusammenkniff und darauf wartete, quer über den Parkplatz geschleudert zu werden, zogen sich die Sekunden wie Stunden in die Länge.

Ein seltsames Surren drang an seine Ohren und dämpfte die übrigen Geräusche.

Heribert umklammerte weiterhin schraubstockartig sein Handgelenk doch ansonsten...

Vorsichtig öffnete One die Augen und konnte nicht fassen, dass sie immer noch standen.

Ungläubig drehte er sich um und blickte auf die brennenden Trümmer, die sich halbkreisförmig um sie verteilt hatten. Ihre Angreifer hatte es da schon schlimmer erwischt. Sie entsprachen exakt dem Schreckensbild das One eben noch von sich und Heribert gehabt hatte.

 

Regel 6: Bösewichte stehen wieder auf!

„Warum hast du denn den Kopf eingezogen?!“, riss Heribert ihn aus seiner Starre.

„Ich glaub, ich bin in 'nem schlechten Film!“, schimpfte One. „Wir hätten uns auf den Boden werfen sollen!“

Missmutig winkte Heribert ab: „Ach, hör doch auf! Du hast unseren coolen Abgang voll versaut!“, nörgelte er.

One warf ihm einen ärgerlichen Blick zu doch Heribert zuckte nur mit den Schultern.

„Ist doch alles gut gegangen.“, meinte er. „Bombe entschärft, Bösewichte erledigt!“

„Was ist hier los?!“

Ein älterer Mann mit wirren grauen Haaren und riesiger Brille rannte, gefolgt von einem spärlich gefüllten Einkaufswagen und zwei Männern in Anzügen, auf sie zu.

„Warten sie Doktor...!“, rief einer der Anzugträger, wurde jedoch mit einer Handbewegung zum Schweigen gebracht.

Wutschnaubend kam der Doktor vor ihnen zum Stehen.

„Für den Schaden werdet ihr aufkommen!“

„Ihnen gehört das Auto?“, wollte One wissen.

Bevor der Doktor antworten konnte mischte sich einer der Männer in Anzug ein, die sich mittlerweile links und rechts von ihm positioniert hatten.

„Was ist hier passiert?“

Sein Blick war so durchdringend, dass sich One augenblicklich der Hals zuschnürte.

„Äh... Da war ein Paket... unter dem Auto...“ Er schluckte trocken bevor er beteuerte: „Wir hatten damit nichts zu tun!“

Heribert schnaufte entnervt und schien keineswegs eingeschüchtert zu sein.

„Eine Autobombe.“, erläuterte er gelassen. „Lassen sie mich raten: Sie haben einen Magneten entwickelt, mit dem sie jede Schusswaffe im Umkreis von fünfhundert Metern unschädlich machen können?“, wandte er sich an den Doktor.

Sowohl der Angesprochene als auch One starrten Heribert konsterniert an.

„Genauso ist es!“, bestätigte plötzlich eine tiefe Stimme hinter ihnen.

 

Regel 7: Die erklärende Rede des Superschurken wird ihm immer zum Verhängnis!

Erschrocken fuhren sie herum... und erstarrten.

Vor den qualmenden Überresten des Autos stand, abgesehen von den Rußspuren mehr oder weniger unversehrt, die Lederjackengruppe.

Panisch riss One die Hände in die Höhe und stieß Heribert auffordernd mit dem Fuß an, denn auch die Waffen schienen eine Art Wunderheilung erfahren zu haben und waren nun in erschreckender Vollzähligkeit auf sie gerichtet.

„Ihr habt uns ein kleines bisschen den Plan vermasselt.“, meinte einer der Männer an One und Heribert gerichtet und trat vor.

Er war der schmächtigste von allen, was ihn in Kombination mit der tiefen Stimme beinahe lächerlich wirken ließ.

„Aber jetzt haben wir sie ja doch noch erwischt Herr Doktor!“, grinste er süffisant.

„Ich werde ihnen den Magneten niemals aushändigen!“, rief dieser zwischen den Bodyguards hindurch, die sich sofort schützend vor ihn geschoben hatten.

Das heisere Krächzen des dürren Lederjackenträgers verwirrte One für einen Moment, bis er begriff, dass der Verbrecher lachte. Er lachte, bis er sich nach Luft schnappend auf den Knien abstützen musste. Auf einmal wurde das Krächzen jedoch immer heiserer, bis er sich hustend mit der Faust auf die Brust schlug. Keuchend taumelte er einen Schritt zur Seite während sein Gesicht tomatenrot anlief.

Seine Kumpanen hatten ihn irritiert beobachtet, schienen jetzt jedoch langsam den Ernst der Lage zu erfassen. Sie eilten zu ihm, schrien wild durcheinander und klopften ihm abwechselnd auf den Rücken.

„Wir sollten abhauen.“, meinte Heribert.

One blickte zu ihm und ließ langsam die Arme sinken.

„Das ist der erste vernünftige Satz, den ich heute von dir höre!“

Heribert grinste, packte ihn am Arm und gemeinsam rannten sie los und verschwanden zwischen den geparkten Autos.

 

Regel 8: Ende gut ... Alles auf Anfang!

Aber was war mit dem Doktor...?

 

ENDE

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 19.02.2019

Alle Rechte vorbehalten

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