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Der neue Bond

„Bitte, Herr Bergspiel, erlösen Sie mich. Ihr Neffe macht meine ganze Arbeit zunichte. Immer hat er neue Ideen, verunsichert die Crew und niemand weiß mehr, wer überhaupt das Sagen hat.“

Stefan Bergspiel erhebt sich von seinem Stuhl und schenkt einen Kaffee in die bereitgestellten Tassen. „Ich weiß, dass Louis nicht ganz einfach ist. Er ist jung, sprüht vor Energie und kommt gerade von der Hochschule. Was hat er denn für Neuerungen am Set im Sinn?“

Peter Parker atmet tief durch, wischt sich mit einer Hand den Schweiß von der Stirn und schaut auf die Filmkulisse. „Louis wirft alles über den Haufen. Er meint, die Storys neu interpretieren zu müssen, frei nach dem Motto: Egal was passiert, nur weg vom Klischee.“

„Mal was anderes zu probieren, ist doch nicht verkehrt“, gibt Stefan zu bedenken. Woran scheitert eure Zusammenarbeit denn?“

„Louis will die Rollen neu verteilen. Anstatt der hübschen, schlanken Blondine soll nun dieses dicke Weib, die eigentlich die Putzfrau spielen sollte, im nassen, weißen T-Shirt aus den Fluten steigen. Kein Mann der Welt würde sich nach der umdrehen und, James Bond schon gar nicht! Aber das ist Louis auch klar, deshalb will er auch, dass der neue Bond nicht mehr gutaussehend, mutig und sportlich fit ist, sondern von einem altersschwachen Greis dargestellt wird. Zu diesem Zweck hat er ein Casting im Alten- und Pflegeheim vorgenommen.“

„Ist das der neue Bond?“, fragt Bergspiel und zeigt aus dem Fenster auf einen fast kahlköpfigen Mann, der mit seinem Rollator zu den Probeaufnahmen schiebt.

„Ja. Und der Kerl steht tatsächlich auf pralle Weiber. Der findet seine Filmpartnerin außerordentlich gelungen. Damit haben wir das nächste Problem. Denn Louis will, dass Bond sich mit einem Kerl vergnügt. Er meint, gay wäre viel besser und für Opa wäre das „von hinten“ auch wesentlich leichter.“

„Und wozu braucht Louis dann das Walross im durchsichtigen T-Shirt?“

„Wegen dem Überraschungseffekt. Wenn das Publikum denkt, dass ... dann kommt es ganz anders. Eben mit dem Portier. Außerdem will Louis keinen Aston Martin mehr für unseren Star, sondern eine A-Klasse von Mercedes. Da kommt Opa besser raus und rein. Und Tarnen muss man den auch nicht. Der geht in der Masse unter.“

„Bleibt denn der Martini?“

„Ja. Aber mit warmem Löffel gerührt, nicht geschüttelt, damit das Eis auftaut.“

„Man könnte Bond doch ein Glas Milch einschenken und den Martini ganz weglassen“, schlägt Bergspiel vor. „Das mit dem warmen Löffel kommt mir etwas albern vor.“

 

„Genau das habe ich Louis auch gesagt!“, stimmt Peter Parker zu. „Aber Louis sagt, er kann auf die Sponsorengelder von Martini nicht verzichten. Die Industrie ist in dieser Beziehung zu mächtig. Kein Klischee, die Wahrheit.“

„Ja. Ärgerlich. Und wie geht das Ganze aus?“

„Diesmal gewinnen natürlich die Bösen und Opa Bond wird von seinem Boyfriend getrennt. Der Portier entscheidet sich letztendlich doch für das Wet-T-Shirt Walross und Bond muss unverrichteter Dinge zum MI5 zurück. Er wird getadelt und die Queen schimpft ihn aus, nachdem Amerika untergegangen ist, weil er versagt hat. Natürlich bekommt er gleich einen neuen Auftrag. Er soll eine neue Kolonie finden, da die Alte ja versunken ist. Ein Happy End gibt es trotzdem. England ist Stolz auf seinen Helden, denn die Unabhängigkeit der USA war dem britisch Empire schon immer ein Dorn im Auge.“

„Lassen Sie Louis mal machen, Peter. Ich finde diese neue Richtung gar nicht schlecht. Vielleicht sind die Zeiten der Klischees vorbei. Man ist es tatsächlich leid, täglich neue Filme zu drehen, die es alle mindestens schon einmal gibt. Mein Neffe hat seine Chance verdient. Unterstützen Sie ihn bei seinem Vorhaben und ... diese hübsche Blonde, die ja nun nicht mehr benötigt wird, die möchte doch bitte mal bei mir vorsprechen. Sagen Sie ihr, ich wäre noch ein Regisseur der „alten Garde“ und hänge an der guten alten Zeit, samt sämtlichen Klischees.“

„Oh, nö ... Das ist unfair! Mir gefällt die auch. Warum darf ich nicht am Alten festhalten, ich finde ...!“

„Peter!“

„Ja, Sir. Ich geh ja schon“, murmelt Peter vor sich hin und ärgert sich, dass nicht alles im Leben ein Klischee ist, sondern oft auch bitterer Ernst.

 

ENDE

 

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Tag der Veröffentlichung: 17.02.2019

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