I love Speedway
Große Jungs lieben Motorräder, die Geschwindigkeit und den Nervenkitzel. Mädchen lieben die großen Jungs, die furchtlos beim Speedway durch die Kurven jagen.
Oft fragt man sich, warum so wenig passiert, obwohl es dramatisch zugeht. Der Fight um den ersten Platz ist hart und die Zeit knapp bemessen.
Unfälle sind nicht selten, tödlich gehen zum Glück nur die wenigsten aus. Wenn man fragt, warum diese Jungs ihr Leben für diesen Sport aufs Spiel setzen, dann erntet man immer die gleiche Antwort: „Wir sind alle irre. Adrenalin-Junkies.“
Niemand wird reich oder gar berühmt, wenn er diesem Sport nachgeht. Die wenigsten schaffen es in die Superklasse oder bringen es gar zu internationalem Erfolg. Die Sponsoren sind rar gesät, so verdient dieser Sportler seine Brötchen meist mit ganz normaler Arbeit; ist Schneider oder auch Elektriker.
Wenn man diesem Sport folgt, ist man begeistert von der Bodenständigkeit, von der Hilfsbereitschaft untereinander und von der Freundlichkeit, die den Fans entgegengebracht wird. Natürlich gibt es auch hier Ausnahmen, vor allem bei denen, die es tatsächlich bis ganz nach oben geschafft haben, aber die kenne ich auch nicht. Nur den Einen, den, der es hätte schaffen können, aber bei ihm hat letztendlich doch der Verstand gesiegt.
Zwei Königskinder
„Was soll ich hier? Das ist peinlich, lass uns gehen!“, beschwerte ich mich bei meinem Bruder, der mich unablässig durch das Fahrerlager zog. „Ich suche jemanden. Der hat Teile bei mir gekauft.“
Mein Bruder war ein begeisterter Speedway Fan, der selbst versucht hatte, in dem Sport Fuß zu fassen. Allerdings mit so geringem Erfolg, dass es ihm zu peinlich wurde, diese Leidenschaft ernsthaft auszuleben. Dennoch hinderte ihn nichts daran, die Maschinen zu kaufen, Teile zu sammeln und selbst eine bessere Ausstattung zu haben, als mancher Fahrer.
„Dann such allein! Ich gehe zu unserem Platz zurück“, widersprach ich, drehte mich um und lief einen jungen Mann beinahe über den Haufen. Er fing sich rechtzeitig ab und mich auf. Dann lächelte er mich aus sagenhaft blauen Augen an: „Du hast es aber eilig.“
Schweigen. Was kann man sonst tun, wenn man dem tollsten Mann der Welt in die Arme fällt? Erröten. Auch das hatte ich sogleich mit Bravour erledigt.
„Hallo Hansi“, sprach ihn mein Bruder an: „Erinnerst du dich noch an mich? Das ist übrigens meine Schwester ...“
Nach gefühlten Schreck-Stunden später stand ich wieder auf eigenen, wackligen Beinen und gab mir die größte Mühe, meinen Blick woanders hinzulenken. Es gelang mir schlecht, aber auch meinem „Retter“ hatte ich es irgendwie angetan. Unseren Platz suchten wir jedenfalls nicht wieder auf.
Hansi lud uns in sein „Domizil“ ein, das aus einem Tisch mit ein paar Stühlen bestand und einem Pavillon für seine Maschinen. Wir lernten seine Crew kennen, denen er uns gleich als Freunde vorstellte und die wir immer bleiben sollten, trotz allem – oder gerade deshalb. Es war April, Saisonstart in ein ereignisreiches Jahr, vor allem für Hansi, einem Newcomer in der B-Lizenz, der an diesem Tag alles gewann.
Hansi wohnte leider nicht in unserer Nähe. Zwar sind ca. 100 km keine Weltreise, aber um sich zu verabreden, ein bisschen viel.
Wir trafen uns zu den nachfolgenden Rennen direkt vor Ort, da wir ohne ihn keinen Einlass zum Fahrerlager erhalten hätten. Auf dem Dorf war das nicht der Rede wert, aber in den Städten wurde mit Sorgfalt auf die Privatsphäre der Fahrer geachtet.
In Vechta kamen wir zu spät und mussten uns mit den Zuschauer-Plätzen begnügen. Hansi lag wie immer weit vorne, überrundete sogar den Letzten und kam dann ins Schleudern. Sein Motorrad überschlug sich mehrfach, flog in die Bande und er hinterher.
Ich habe in meinem Leben nicht allzu oft gebetet, doch dies war ein Moment, an dem ich das tat. Mittlerweile kannten wir uns schon 2 Jahre und unsere anfängliche Sympathie war eigentlich viel mehr geworden. Eine unausgesprochene und ungelebte Liebe. Wie auch? Uns trennten viel zu viele Kilometer und die Liste der Frauen, die ihn anhimmelten, war lang. Ich wollte mich da weder einreihen, noch an Liebeskummer sterben, so erzählte ich ihm nie, wie viel mir an ihm lag – und er hielt es ebenso.
Die Bande war durch Luftkissen gepolstert. Dennoch blieben Verletzungen meist nicht aus. Der Lauf war längst abgebrochen worden und Helfer eilten zu ihm, doch zum Wunder aller stand er wieder auf, nahm sich seine Maschine und schob sie zum Ausgang.
Natürlich hielt meinen Bruder und mich nun auch der zwei Meter hohe Maschendrahtzaun nicht mehr ab, um ins Fahrerlager zu gelangen. An einer dunklen Ecke bogen wir den Draht hinunter und kletterten darüber, dann suchten wir ihn und fanden ihn schließlich in einem Pulk von Leuten.
Er lachte, als ich weinend vor ihm stand: „Ich dachte schon, du kommst nicht mehr!“
„Ich komme auch nie wieder mit“, versprach ich. Er zog mich grinsend in den Arm. „Ach Mensch, ist doch nicht so schlimm. Das muss man abkönnen.“
Sein Schrauber hatte längst die nächste Maschine hingestellt: „Das kannst du punktemäßig noch schaffen, wenn du den nächsten Lauf gewinnst.“
Er gewann. Wie eigentlich immer, wenn ich dabei war. Er bekam den Pokal und ich die Blumen zur Meisterschaft.
Es war das letzte Rennen, bei dem ich ihm zugesehen habe, dem halsbrecherischen Crack des Motorsports, dem Speedway und Langbahn nicht ausreichten und der immer neue Herausforderungen fand.
Außerhalb der Saison besuchte er uns, tauschte Teile mit meinem Bruder und fachsimpelte mit ihm. In gewisser Weise war er schüchtern, ebenso wie ich. Manches Mal stand ich am Fenster und beobachtete ihn, fragte mich, was ich denn tun oder sagen sollte. Wir hatten keine Zukunft, sein Motorsport bedeutete ihm viel mehr, als alles andere auf der Welt.
Es änderte sich etwas, als ich nach einem heftigen Autounfall im Krankenhaus lag und er sich mühsam bis zur Intensivstation durchgekämpft hatte: „Weißt du eigentlich, wie viele Sorgen ich mir um dich gemacht habe?“
„Ja ...“, lächelte ich: „Aber das muss man abkönnen.“
„Wieso hast du eigentlich so viele Freunde? Die haben mich erst auf die Intensivstation gelassen, nachdem deine Mutter alle aussortiert hat, die da nicht hingehören.“
Ich musste lachen. „Sie hat bestimmt jeden aussortiert für dich.“
Hansi lächelte auch: „Ja. Und doch sind wir zwei Königskinder, die niemals zueinander kommen werden, oder?“
6 Jahre später wurde Hansi Deutscher Meister in der 500 Ccm Klasse. Im gleichen Jahr heiratete ich jemand anderen. Hansi hat mir Jahre später mal erzählt, wie sehr ihn das getroffen hat.
Vielleicht war es gut, denn schon bald darauf lernte er ein anderes Mädchen kennen, das noch weniger Verständnis für seinen Sport hatte, als ich. Er gab seine Karriere auf, fuhr hin und wieder noch mal heimlich, aber nie mehr offiziell.
Heute spielt er Golf und ich bin froh, dass sich die Ballade der zwei Königskinder nur bedingt erfüllt hat. Zwar ist aus uns beiden nie etwas geworden, aber er lebt und allein das Wissen, dass er da ist, ist sehr beruhigend für mich. Denn manche Menschen machen das Leben wertvoll.
ENDE
Tag der Veröffentlichung: 20.12.2018
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