Edward war außer sich vor Rage. Er schrie Joana und Markus an, ballte seine Hand zur Faust und schlug so heftig auf den Tisch, dass ich fürchtete, dieser würde zerspringen.
„Verantwortung? Ihr wolltet verantwortlich sein! Eine Stellung in der Chefetage, der Hausverwaltung! Und diesen Zustand bemerkt ihr erst jetzt?“
„Herr Arendt hat doch immer bezahlt ...“, antwortete Joana kleinlaut, „woher hätten wir denn wissen sollen, dass sich die Wohnung in so einem Zustand befindet? Er ist bereits seit Wochen weg, sagen die Nachbarn. Eine Übergabe gab es nicht, erst jetzt ...“
„Ach halt den Mund!“, schnitt Edward ihr das Wort ab. „Verschwindet! Beide! Und lasst euch hier nicht mehr blicken!“
Joana traten die Tränen in die Augen: „Greta“, flehte sie und suchte meine Hand: „Du musst uns glauben, wir wussten nichts davon.“
Ich strich ihr tröstend über die Wange, wagte aber nicht zu sprechen, denn Edward sah mich ebenso zornig an und fauchte ein: „Nimm sie nicht in Schutz! Und komm nicht in Versuchung, diesen Nichtsnutzen zu helfen.“
Markus griff sich seine Jacke, flüsterte betreten ein: „Verzeih“, in meine Richtung und nahm seine Schwester an die Hand. „Komm, Papa möchte, dass wir gehen.“
Joana warf mir noch einen letzten, verzweifelten Blick zu und folgte ihrem Bruder.
„Wartet!“, rief Edward: „Bevor ihr geht, legt ihr noch den Generalschlüssel auf den Tisch. Und außerdem: Ihr betretet das Haus nie wieder.“
Edward verzog sich nach dem Streit in sein Arbeitszimmer und schloss die Tür mit einem lauten Knall. Ungläubig sah ich erst ihm und dann seinen Kindern nach, die tief geknickt unser Haus verließen, sich schweigend ins Auto setzten, und davon fuhren.
Ich liebte Edward, auch seine Kinder. Alle drei waren mir von Anfang an sehr zugetan, unterstützten mich nach dem plötzlichen Tod meines ersten Mannes Leon nach Kräften, und erwarteten nicht einmal einen Dank dafür.
Eigene Kinder blieben mir versagt, allerdings erbte ich ein kleines Vermögen von Leon, der mehrere Wohnparks besaß. Leon war seinerzeit ein ausgezeichneter Geschäftsmann und Edward bei ihm in führender Position angestellt. So kannte ich Edward schon lange, denn, da mein verstorbener Mann am liebsten von Zuhause aus arbeitete, ging Edward schon damals beinahe täglich bei uns ein und aus.
Leon schätzte ihn sehr und vertraute ihm ohne Vorbehalt, denn Edward hatte ein unglaubliches Händchen fürs Geschäft. Außerdem sah er gut aus, hatte Charisma und auch meine Sympathie für ihn lag von Anfang an hoch.
Ich hatte nicht viele Freunde in der Stadt, war irgendwann aus Liebe von Paderborn nach Hamburg gezogen und hatte es nicht wirklich geschafft, dort Bekanntschaften zu knüpfen. Meine erste Intuition nach Leons Tod, die Häuser zu verkaufen und in die Heimat zurückzukehren, scheiterte an Edwards braunen Augen, an seinem Lächeln und auch an meiner Unsicherheit bezüglich dem Wert der Immobilien.
Edward weihte mich fürsorglich in die Geschäfte ein, half mir, mir einen Überblick zu verschaffen, und gab mir das Gefühl, etwas wert zu sein. Er war verheiratet, dennoch begannen wir eine Affäre, die sich zur Liebe entwickelte, und letztendlich reichte er die Scheidung von der Mutter seiner Kinder ein.
Trotz meiner Bedenken nahmen Joana und Markus sein Handeln gefasst, beinahe verständnisvoll, auf und sperrten sich auch nicht gegen unsere Hochzeit, die im letzten Jahr stattfand. Nun waren die zwei auch keine Kinder mehr, sondern standen im Leben und hatten studiert. Edward holte sie zu uns in die Firma und vor allem zwischen Joana und mir entwickelte sich rasch eine Freundschaft.
Ich war zufrieden, gar glücklich eine kleine Familie zu haben, auch wenn die beiden nicht bei uns wohnten, aber oft zu Besuch kamen und sich gemeinsamen Unternehmungen nicht entzogen.
Edward handelte meist überlegt und solche Ausbrüche, wie heute, kamen äußerst selten vor. Ja, wir waren zufrieden und vor allem abgesichert und glücklich.
Ich setzte mich an den Tisch zurück und sah mir die Bilder der Wohnung noch einmal an. Warum ließ jemand seine Sachen in einer fristgerecht gekündigten Wohnung zurück und verschwand einfach so ohne Worte? Die Möbel, die noch in der Wohnung standen, schienen nicht günstig gewesen zu sein und die Unordnung, die dort herrschte, wirkte auf mich irgendwie gestellt.
Ich konnte meinen Argwohn nicht in Worte fassen und hatte es auch vermieden, diesen vorhin zu äußern. Ich würde hinfahren, einfach nachsehen, was dort geschehen war, und hoffentlich eine Antwort auf meine offenen Fragen erhalten.
Am nächsten Morgen fuhr ich zu besagter Adresse und öffnete die Tür der Wohnung mit Joanas Generalschlüssel. Ich selbst hatte keinen, denn ich kümmerte mich mehr um die Mietverträge, als um alles andere. Die Hausverwaltung oblag Edward und, zumindest bis gestern, seinen Kindern.
Ich trat ein, schloss die Tür hinter mir zu, und fand das bestätigt, was mir auf den Bildern merkwürdig vorkam. Der Fußboden war keinesfalls dreckig, im Gegenteil, er wirkte ziemlich sauber und die vielen Sachen, die auf dem Boden lagen, platziert.
Ich durchschritt die drei Zimmer der Wohnung und gelangte in die Küche. Überall war es das gleiche Bild: Häufchenweise Wäsche oder Klamotten, die umher lagen, jedoch keine Schublade, die offen stand.
Selbst die Schränke waren verschlossen, nur in der Küche stapelte sich das schmutzige Geschirr, viel mehr, das Meißener Porzellan. „Wer lässt so etwas stehen?“, fragte ich mich und sah mich nach einem Besen um. Nicht, weil der Küchenboden dreckig war, sondern weil irgendein Gefühl in mir Gefahr spürte.
Stille. Dann hörte ich es, zog vorsichtig mein Smartphone aus der Tasche, und wählte.
Edward versuchte, mich zu beruhigen, hielt mich in der Leitung und versprach, sofort mit Hilfe zur Wohnung zu kommen.
Ich zitterte, fürchtete mich und schrie. Dann ließ ich das Telefon fallen, sank langsam zu Boden und hörte nur noch, wie Edward immer wieder meinen Namen rief, bis das Gespräch plötzlich abbrach.
Eine Stunde später
Ich hörte, wie der Schlüssel sich im Schloss drehte und rutsche noch ein Stück weiter auf dem Tisch, auf dem ich saß, zurück. Auch hörte ich verstohlenes Lachen, Flüstern und glaubte dieses im Innersten meines Herzens nicht. Doch dann sah ich sie, alle drei, wie sie fröhlich mit langen Stöcken bewaffnet in die Küche traten und mich erschrocken anstarrten.
„Liebling“, stotterte Edward. „Wir haben uns die größten Sorgen gemacht. Was ist denn passiert?“
„Wir haben die Schlangen bereits konfisziert, Herr Wagner“, teilte ein Polizeibeamter Edward mit und verhaftete ihn und seine Kinder. „Sie haben Ihre Frau mit Vorsatz in eine tödliche Falle gelockt.“
„Das ist nicht wahr!“, schrie Edward, als die Beamten ihm die Handschellen anlegten. „Greta, sag ihnen, dass ich dir verboten habe ...“
„Ach Edward“, winkte ich ab, „Du kennst mich so genau! Nur von dir“, ich sah Joana in die Augen, „bin ich zutiefst enttäuscht. Warum hast du dich darauf eingelassen? Du hättest eines Tages alles geerbt.“
Joana zuckte gelangweilt mit den Schultern: „Es war sogar mein Plan. Ich weiß, dass du Unordnung am meisten hasst. Du kannst dieses Durcheinander nicht ertragen. Ich frage mich nur, wie du es rechtzeitig bemerkt hast.“
Ihre kalte Art ließ mir ein Schauder über den Rücken laufen und doch musste ich lächeln: „Weißt du, mein liebes Kind, ich war zu keiner Zeit alleine hier, sondern habe gleich die Beamten alarmiert. Und richtig, ich hasse Unordnung, aber Naivität hasse ich noch viel mehr.“
ENDE
Tag der Veröffentlichung: 13.11.2018
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