Gedankenverloren starre ich auf das Tattoo, das meinen rechten Unterarm ziert. Die verschnörkelten Buchstaben, die den Namen „Gregor“ bilden, verschwimmen vor mir, da ich plötzlich zu weinen anfange. Erst ist es nur eine Träne, die meine Wangen runterrinnt, aber nach dieser bricht der Damm und ich schluchze laut auf.
Gregor. Die Zeit mit ihm, die Vergangenheit mit ihm, holt mich in diesem Moment ein.
Es war ein verliebter, und zugleich stolzer Moment, im April 2012, als er eines Abends völlig unvermittelt bei mir zu Hause auftauchte, und mir seinen rechten Unterarm entgegenstreckte. Ich schluckte erst ein paar Mal, ehe ich begreifen konnte, was ich da sah. Den verschnörkelten, mit einigen Herzchen verzierten Schriftzug, der den Namen „Gabi“ darstellte, meinem Namen.
Ich war völlig überwältigt, fing vor Rührung zu weinen an und war Feuer und Flamme, als er mir eröffnete, dass er sich wünschte, dasselbe zu tun. Ein Tattoo mit seinem Namen an selber Stelle.
Ich überlegte nicht lange. Ich war verliebt, und wusste, dass wir füreinander bestimmt waren und wir so – neben unserer womöglich baldigen Hochzeit – unser Glück für immer besiegeln würden.
Die Bedenken meiner Mutter schlug ich in den Wind, die fand sowieso alles, was ich tat, was ich wollte und wer ich war, scheiße, und auch die Bedenken meines Bruders tat ich mit „Das ist doch romantisch, ich weiß nicht, was du hast“ ab.
Drei Wochen später ließ ich mir „Gregor“ auf meinen rechten Unterarm stechen. Ich war total begeistert, glücklich und ich war mir sicher, dass dieses Glück für immer halten würde.
Unser Glück war perfekt, als mir der Arzt Ende Juni eröffnete, dass ich schwanger war, völlig überrascht, da ich keine Anzeichen gemerkt hatte. Und jetzt erwarteten wir ein Kind! Ich konnte es nicht glauben, Gregor konnte es nicht glauben, wir fielen uns in die Arme und ich war der glücklichste Mensch seit langer, langer Zeit. Oft starrte ich auf das Tattoo und freute mich und war dankbar, wie perfekt doch mein Leben plötzlich war und beschloss, mir auch den Namen unseres Kindes stechen zu lassen, sobald es auf der Welt war.
Mitte August dann aber die Hiobsbotschaft, die mein Leben mit einem Mal wieder zerstören ließ. Bei einer Ultraschalluntersuchung stellte der Arzt fest, dass ich mein Kind verloren hatte. Ich war in der 9. Woche gewesen.
Ich konnte, wollte es nicht glaube, Tränen rannen mir über mein Gesicht, Gregors Frage „Sind Sie sicher?“, während er meine zitternden Hände hielt, war völlig lächerlich und ich wusste, dass ich in ein tiefes Loch fallen würde. Da fiel mein Blick auf das Tattoo – Gregor. Mein baldiger Mann, mein Halt, mein Ein und Alles. Gemeinsam würden wir das aber alles schaffen, da war ich mir sicher.
Aber das taten wir nicht. Mit meiner Fehlgeburt ging unsere Beziehung Stück für Stück, anfangs auch nicht erkennbar, in die Brüche. Gregor hatte immer weniger Zeit für mich, tröstete sich im Alkohol und in übermäßig viel Partys mit seinen Freunden, und ich saß daheim bei meiner desinteressierten Mutter und trauerte Gregor und meinem ungeborenen Kind nach – ersteren, den ich verlieren würde und zweiterem, das ich bereits verloren hatte.
Immer wieder starrte ich auf das Tattoo, so, als könnte es mir versichern, dass alles gut werden würde, und Gregor und ich eine Chance hatten, solange nur sein Name mein Handgelenk zierte.
Irgendwann musste ich mir aber eingestehen, dass unsere Beziehung vorbei war und wir beide selbständige und unabhängige Menschen waren, die nichts mehr gemeinsam hatten und eigene Wege gingen.
Es war eine sehr schwere Zeit, die durch mein Tattoo nur noch schwerer wurde. Jede Minute starrte ich darauf, dachte an Gregor und unsere Zeit, an mein Kind, fing zu weinen an, und war untröstlich.
Wäre meine damalige beste Freundin nicht an meiner Seite gewesen, hätte mein Leben damals vermutlich auch irgendwann geendet.
Mir war klar, dass das Tattoo so schnell als möglich wegmusste, ich all die Erinnerungen, die daran hingen, auslöschen musste. Weglasern aber war teuer und dies konnte ich mir damals nicht leisten. Also musste es bleiben und damit all die schmerzhaften Erinnerungen, die mir Tag für Tag den Boden unter den Füßen wegrissen.
Das alles ist jetzt 6 Jahre aus – das Scheitern meiner Beziehung, und der Verlust meines Babys. Ich denke an die Zeit zurück, und starre auf meinen rechten Unterarm, auf dem sich kein Tattoo befindet.
Ja, ich war damals zu feig, mir eines stechen zu lassen, zu feig vor den körperlichen Schmerzen, die mich laut anderen erwarten würden und so lehnte ich nach Wochen des Überlegens, sollte oder sollte ich nicht, Gregors romantischen Vorschlag ab, was er so hinnahm.
Ich bin noch heute froh darüber.
Mein jetziger Freund, mit dem ich im November vier Jahre zusammen bin, machte genau denselben Vorschlag an unserem ersten Jahrestag. „Lassen wir uns doch ein Tattoo stechen mit dem Namen des anderen!“, meinte er.
Sofort schüttelte ich den Kopf. Nein! Die Gründe für meine Verneinung kannte er, und so verstand er meine Ablehnung und akzeptierte sie.
Seit damals habe ich nie wieder daran gedacht, mir ein Tattoo stechen zu lassen. Neben der Angst, die körperlichen Schmerzen nicht ertragen zu können, hält mich noch ein Gedanke davon ab, meinen Körper zu verzieren:
Nichts ist für die Ewigkeit, alles ist vergänglich.
ENDE
Tag der Veröffentlichung: 16.10.2018
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