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Midlife

Der Raum war freundlich eingerichtet. Ein bunter Sommerblumenstrauß stand auf dem ovalen Holztisch und die Stühle waren sehr bequem. Dennoch verspürte ich nicht den Drang, mich zu setzen.

Tobias hatte sich eine Zeitschrift genommen und blätterte unentschlossen darin herum: „Setz dich doch“, bat er: „Du machst mich nervös.“

 

„Ich mache dich nervös? Seit wann kann ich dich noch nervös machen! Ist doch lange her, oder nicht? Deine ganzen Frauen, Eskapaden! Alles habe ich erduldet und ertragen! Nun mache ich dich nervös?“

 

„Mensch Karen! Das haben wir doch wohl längst hinter uns, oder? Ich bin dir treu ergeben, mindestens seit einem halben Jahr. Du wolltest diese Paartherapie. Wir sitzen ausschließlich deinetwegen hier, also setz dich.“

 

Tobias hatte recht. Ich wollte diesen Termin unbedingt. Ich hatte die Hoffnung, unsere Ehe noch zu retten. Trotz seiner ständigen Ausflüchte in andere Betten liebte ich ihn – und er mich auch – zumindest sagte er das immer wieder. „Nach 15 Jahren ist eine Ehe doch ziemlich eingefahren. Man braucht Anreiz, Input, damit es spannend bleibt.“

 

Natürlich war ich nicht seiner Ansicht! Wer teilt schon gerne seinen Ehemann? Ich war ihm treu von der ersten bis zur letzten Stunde, aber Tobias dachte nicht daran.

 

Wir warteten geduldig, bis wir endlich an der Reihe waren.

 

Frau Sommer, eine Dame mittleren Alters mit himmelsblauen Augen gab uns beiden freundlich die Hand. Ihr Blick ruhte meiner Meinung nach einen Moment zu lange auf Tobias, der auch mit seinen 53 Jahren noch bestens aussah.

Mit strahlendem Lächeln streckte er ihr seine Hand entgegen und dann stellte er uns beide vor: „Karen und Tobias Kaufmann.“

 

Frau Sommer bat uns in ihr Besprechungszimmer und bot uns beiden einen Kaffee an, den wir dankend annahmen. Sie war eine Meisterin des Smalltalk und kam erst nach einer Weile auf unser Problem zu sprechen.

 

„Karen, darf ich Sie so nennen? Vielleicht schildern Sie mir doch einmal, was Sie zu diesem Schritt bewogen hat.“

 

„Seine ständige Untreue! Jeder Mensch möchte irgendjemanden oder irgendetwas sein Eigen nennen!“

 

„Seit wann betrügt Ihr Mann Sie denn, Karen?“

 

„Vor zwei Jahren fing es an. Dabei habe ich alles getan, um ihm zu gefallen. Aber Tobias ist ein Bastard, ein Gigolo! Es hat keinen Sinn mehr, ich will die Scheidung. Soll er glücklich werden mit den ganzen Models!“

 

„Aber Karen!“ Frau Sommer legte beruhigend ihre Hand auf meinen Arm: „Wir sind doch hier um Missverständnisse aufzuklären. Tobias, vielleicht ist es an der Zeit, dass Sie uns Ihr Verhalten näher bringen.“

 

„Ich? Na gut. Allerdings habe ich das schon 100x versucht. Karen will mich nicht verstehen. Wenn ich nach Hause komme, dann habe ich Feierabend und habe keine Lust mehr, mir diese Visage anzusehen.“

 

„Sehen Sie!“ Wieder liefen mir die Tränen aus den Augen: „Ich wusste ja, dass er mich nicht mehr liebt, aber dass das so schlimm ist, habe ich im Entferntesten nicht geahnt.“

 

„Tobias“, mahnte Frau Sommer milde: „Sie haben mir am Telefon doch noch gesagt, dass Sie Ihre Frau lieben und keine Scheidung wünschen. Wieso sind Sie nun so hart?“

 

„Ich meine doch nicht dein Gesicht, Karen, sondern seins. Da vergeht mir jede Lust.“

 

„Das kann nicht sein! Du findest ihn doch toll, nicht ich. Deinetwegen habe ich das alles ertragen!“

 

„Entschuldigen Sie bitte“, fiel Frau Sommer ein: „Ich kann Ihnen beiden nicht folgen.“

 

„Los, zeig es!“, forderte Tobias mich auf und ich öffnete meine Bluse.

 

Frau Sommer strahlte: „Daniel Craig! Den finde ich auch toll! Wie cool ist das denn? Wo haben Sie das Tattoo stechen lassen?“

 

„Bei Sunflower Tattooing“, strahlte ich. Endlich war da mal jemand, der das Werk zu schätzen wusste! „Das waren auch nur 5 Sitzungen und die 5.000€ ist es doch alle Mal wert, finden Sie nicht?“

 

„Auf jeden Fall!“, bestätigte Frau Sommer und knöpfte ebenfalls ihre Bluse auf. „Ich habe mir damals Pierce Brosnan stechen lassen. Wie finden Sie es?“

Ich betrachtete das Kunstwerk und war beeindruckt. „Haben Sie das auch bei Sunflower machen lassen?“ ...

 

 

Erst nach einer ganzen Weile dachten wir wieder an Tobias, der seinen Kopf müde in die Hände gestützt hatte.

 

„Was gefällt Ihnen denn nicht, Tobias? Das ist doch eine ausgezeichnete Arbeit!“, nahm Frau Sommer das Gespräch wieder auf. „Mögen Sie Daniel Craig denn nicht?“

 

„Oh doch. Ist ein ganz sympathischer Typ, darf ihn hin und wieder doubeln. Ich bin Stuntman, wissen Sie, aber mit ihm schlafen muss ich wirklich nicht.“

 

„Das sagt der Richtige!“, fuhr ich ihn an. Deine Tattoos sind auch nicht besser!“

 

„Zeigen Sie mal!“, bat Frau Sommer, doch Tobias verdrehte nur die Augen: „Nichts Besonderes. Sind nur die Namen der Frauen und das Datum, an dem wir es getrieben haben. Das vergisst man ja sonst.“

 

„Ach nee, wie spannend!“, Frau Sommer riss ihm beinahe das Hemd vom Leib. „Nur 7? Das ist aber wenig. Schauen Sie mal!“

Nun staunte Tobias, als sie ihre Hose öffnete und uns die Listen an ihren Beinen zeigte: „85!“, strahlte sie: „100 will ich dieses Jahr noch schaffen. Was ist? Haben Sie nach der Sitzung schon was vor? Könnte doch ein flotter Dreier werden.“

 

Tobias erhob sich als erster vom Stuhl und zog mich zu sich hoch. „Ein anderes Mal“, hauchte er, nahm mich an die Hand und verließ beinahe fluchtartig mit mir den Raum.

 

„Die ist irre! Vollkommen irre. Karen, meine Tattoos sind die Geburtstage unserer Familie. Ich habe eine Schwäche und vergesse die immer.“

„Das weiß ich. Nach 15 Jahren Ehe kennt man sich. Daniel Craig habe ich mir tätowieren lassen, damit du weißt, wen du doubeln musst. Übrig bleibt für mich nur eine einzige Frage: Frau Sommer ist nicht zufällig deine Ex-Frau?“

 

Tobias: „Keine Ahnung, wer kann sich schon alles merken?“

 

Übrigens ... Wir haben uns nicht scheiden lassen. Sind aber im Laufe der Zeit wieder zu Papier und Bleistift zurückgekehrt. ;-)

 

Ende

 

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Tag der Veröffentlichung: 13.10.2018

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