Françoise de Cézelli ist die Lokalheldin des am Mittelmeer gelegenen, sehr bekannten südfranzösischen Ferienortes und Winzerstädtchens Leucate. Sie wird als Heldin im ganzen Languedoc, der südlichsten Region Frankreichs, verehrt. In dieser Geschichte wird ihre Legende erzählt.
Es war im heißen Sommer 1590, als Françoise de Cézelli vom Fenster ihres Schlafzimmers aus aufmerksam über die Landschaft blickte. Das Blau des Meeres, das fast zu Füßen des Châteaus sehr ruhig dahinplätscherte, ging am Horizont in das etwas hellere Himmelsblau über. Einige weiße Wölkchen vervollkommneten die scheinbare Harmonie, die von diesem Bild ausging. Sie genoss den Augenblick und die zärtliche Hand ihres vertrauten Freundes Seigneur Claude de Sigean, die sich gerade unter ihren Rock gestohlen hatte. Ihr Blick wandte sich hinüber auf die sanften Hänge des Corbières-Gebirges, deren Kalkfelsen hell in der Sonne strahlten. Eigentlich hätte es ein sehr schöner Tag sein können, und sie war sich sicher, dass Claude alles dafür getan hätte, ihn zu einem ganz besonderen werden zu lassen.
Seit ihr Ehemann Jean Bourcier de Barry, der Gouverneur von Leucate, den Ort verlassen hatte, um mit seinen Getreuen gegen den Feind zu ziehen und den Duc de Montmorency vor der Landung in La Franqui zu warnen, hatte sie das Kommando über die Grenzfestung übernommen. Ihr Vertrauter Claude hatte ihr sehr geholfen bei allen Maßnahmen, die sie als Gouverneurin treffen musste, den Ort und die Festung auf die Verteidigung gegen den spanischen Feind vorzubereiten.
Es war selbstverständlich, dass sie treu zu Henri IV. stand, dem König von Navarra und Anführer der Hugenotten Frankreichs, dem die katholische Liga den berechtigten Anspruch auf die französische Krone verwehrte. Schließlich war Heinrich einer der ihren, aus dem Süden, und war ihr so wie allen Bewohnern der Region viel näher als der katholische Adel aus dem Norden.
Françoises Blick verfinsterte sich, obwohl ihr die frechen Finger Claudes durchaus gut taten. Es war der Anblick der dunklen Bergkette der Pyrenäen, der sich ihr linker Hand bot und düstere Gedanken heraufbeschwor. Von dort sind die spanischen Truppen gekommen, die mit der Liga verbündet sind und Unheil über das Land bringen.
Im Juli vergangenen Jahres war es ihnen gelungen, ihren Gatten Jean aus einem Hinterhalt heraus gefangen zu nehmen. Seitdem war es ihr persönlicher Ehrgeiz, Leucate zu halten und damit die Grenze zu verteidigen. In einem Brief an die Konsuln von Narbonne hatte sie damals im August geschrieben: »Es ist die Zeit der Hoffnungslosigkeit, dass man das Leben verlieren muss, um es gut zu machen.«
Seitdem ist es ihr immer wieder gelungen, Angriffe der spanischen Söldner abzuwehren und die Stellung zu halten. Aber nun liegen sie schon seit Wochen rings um die Festung: die spanischen Belagerer. Sie wollen sie mürbe machen.
Gerade noch rechtzeitig kann Claude seine unzüchtige Hand zurückziehen, als nach kurzem Klopfen sehr schnell ein Lieutenant eintritt.
»Ein Unterhändler steht vor dem Tor«, meldet er.
»Was ist sein Begehr, Lieutenant?«, fragt die Gouverneurin.
»Er möchte mit Ihnen persönlich sprechen und eine wichtige Botschaft überbringen, Madame.«
»Man möge ihn zu mir bringen.«
Ein stolzer, hagerer Mann, offenbar von Stand, wurde vor Madame Cézelly gebracht. Nach der förmlichen Begrüßung und Vorstellung brachte er sein Anliegen vor:
»Ich bin von Herzog Joyeuse beauftragt, Ihnen, Madame, ein Angebot zu unterbreiten. Der Herzog ist bereit, Ihrem Gatten Monsieur Bourcier de Barry das Leben zu schenken und ihn aus der Gefangenschaft zu entlassen, wenn Sie uns die Schlüssel der Festung, das heißt, die Stadt, übergeben. Bei einer Verweigerung Ihrerseits, von der wir nicht ausgehen, wird Gottes Strafe Ihren Mann treffen.«
»Sie wollen ihn doch wohl nicht ermorden?!«
»Excusez, Madame, ich bin nur der Überbringer der Botschaft des Herzogs.«
»Lieutenant, gehen Sie mit ihm nach draußen! Er soll warten.«
»Mon cher Claude, was soll ich nur machen? Ich kann doch die Festung nicht aufgeben! Aber die bringen Jean um …!«
»Hochverehrte Françoise, Sie sind die Kommandantin, Sie entscheiden! Ich bin nur Ihr ergebener Diener. Aber ich darf Sie daran erinnern, was Sie im vorigen August den Konsuln über die Zeit und das Sterben geschrieben haben …«
Madame de Cézelli nickte stumm, ließ sich Tinte, Feder und Papier bringen und verfasste einen kurzen Brief. Danach ließ sie den Boten wieder rufen.
»Er überbringe dieses Schreiben dem Duc de Joyeuse! Es sei ihm gesagt: Die Stadt gehört dem König und meine Ehre Gott. Ich werde sie bis zu meinem letzten Seufzer bewahren.«
Damit war das Schicksal ihres Mannes besiegelt, er wurde hingerichtet. König Henri IV. zeigte sich dankbar und gewährte ihr eine Pension und das lebenslange Gouvernement über Leucate. Noch heute wird Françoise de Cézelli in Leucate und im ganzen Languedoc als Kriegsheldin verehrt.
***
Heute ruhen die Gebeine der Françoise de Cézelli, die auch als die Jeanne d'Arc du Languedoc bezeichnet wird, in der Basilika Saint Paul in Narbonne an der Seite ihres Gatten.
Bemerkung: Alle kursiv aufgeführten Personennamen und Zitate sind historisch überliefert.
Tag der Veröffentlichung: 14.07.2018
Alle Rechte vorbehalten