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1982

Damals war er mein Märchenprinz. Charmant und gutaussehend. Ich war fasziniert von seinem guten Benehmen, der Art, wie er mich ansah, der Art, wie er mit mir tanzte.

Die Leute achteten ihn und brachten ihm in gewisser Weise eine Unterwürfigkeit entgegen, die ihn stark und dominant erscheinen ließ. Zu mir war er sanft - zumindest am Anfang.

 

Hubert war damals ein Mann von Welt, jemand, der sich auf der scheinbar großen Bühne des Lebens zurechtfand. Dass diese Bühne eher klein ausfiel, habe ich über Jahre hinweg nicht gesehen.

Er war Unternehmer, hatte eine eigene Fabrik und sogar ein Zweitwerk in einer Nachbarstadt. Ich war jung. War ich naiv? Ich frage mich das heute, frage mich das seit geraumer Zeit. Das Geld ist knapp und doch wirft er es noch immer mit vollen Händen raus.

 

„Stell dich nicht so an“ und „mach dir keine Sorgen“ sind die Sprüche, die ich erhalte. Geld hingegen erhalte ich nie. Er kauft ein, auch die Kleidung für mich. Ich friste mein Dasein hier in diesem Haus. Ich bin einsam, obwohl unsere erwachsene Tochter bei uns wohnt, die von ihrem Vater ebenso verblendet ist, wie ich es einst war.

 

Im letzten Sommer waren wir im Urlaub. Hubert bevorzugt Polen, denn auch dort bringt man einem Mann mit D-Mark eine ungeheure Achtung entgegen, vor allem, wenn er diese großzügig ausgibt.

Ich denke an das blonde Mädchen, das ihn angehimmelt hat, ihm Briefe zugesteckt hat. Sie war so verliebt in meinen eitlen Mann! Wie sehr hat Hubert das genossen? Wie sehr hat er geprahlt, mit seinem Unternehmen, mit seinem Geld- dass seine Ära vorbei ist, hat er nicht erwähnt, auch nicht, dass das Geld, das er bei sich trägt, alles ist, was er hat. Das Herz der jungen Frau hatte er erobert - so wie meins vor vielen Jahren.

 

In jenem Urlaub habe ich mich zum ersten Mal gefragt, ob er seine eigenen Lügen wirklich glaubt? So wie ein Schauspieler, der nicht merkt, wenn er sich im Alter nur noch lächerlich macht. Jemand, der eine Rolle spielt, die er gar nicht ausfüllen kann. Eine Hülle ohne Inhalt, ohne Realismus oder Sinn.

 

Ich sollte ihn verlassen.

Ja, das sollte ich. Doch wo soll ich hin? Ich habe kein Geld für große Sprünge, nicht einmal das Geld, um ein Taxi zu bezahlen. Ich habe nichts außer einem Mann, der nie etwas anderes war, als ein Bild, das jede Frau liebt. Er hätte Model werden können für Zahnpasta, ein Autoverkäufer, aber mit Sicherheit kein Industrieller.

 

Ich sollte ihn verlassen. Und doch, auf meine Weise liebe ich ihn - denn, wenn ich das nicht täte, wäre mein Leben ja umsonst. Ich war nie etwas anderes als seine Frau und die Mutter seines Kindes.

Ein gutes Leben habe ich nicht gehabt und doch kenne ich den Luxus, Tabletten und den Alkohol. Davon haben wir genug im Haus, eine ganze Bar voll von edlem Stoff. Ich gieße mir ein großes Glas Wermut ein und lege mich in die Badewanne. Ich bin allein, wie so oft. Ich habe mich daran gewöhnt, an meine Einsamkeit.

Heute ist sie mein Freund.

 

Es gibt immer einen Ausweg, lächle ich, als ich den Schaum auf meiner Haut spüre. Weiches, warmes Wasser. Hubert wird noch lange in seiner Stammkneipe sein, unsere Tochter, die mittlerweile 25 ist, hat er mitgenommen. Auch ihr liegt die Geselligkeit, nur ich brauche das nicht mehr.

Eigentlich brauche ich nichts mehr, nicht einmal eine Alternative. Es ist nur ein Moment, erst ein flüchtiger Gedanke, der sich nun manifestiert. Noch einmal steige ich aus der Wanne und hole mir alles, was ich brauche, zünde eine letzte Kerze an und lass mich wieder in die wohlig warme Wanne gleiten.

 

Habe ich mir mein Leben so vorgestellt? Ich erinnere mich nicht mehr an die Wünsche und die Pläne, die ich als Teenager hatte. Es ist zu viel passiert und es ist zu lange her, irgendwann habe ich sie im Wüstensand verloren.

Ich erinnere mich nur noch an die Tränen, die ich weinte, wenn ein namenloser Traum zerstört wurde, auch, wenn Hubert mich einschüchterte oder betrog. Heute bin ich ruhig, schlucke meine Tabletten mit dem Alkohol hinunter.

 

Ich lasse die Welt hinter mir. Ich handle nicht aus Verzweiflung, nicht aus Ausweglosigkeit, nicht aus Verbitterung. Einzig und allein aus Müdigkeit, denn wohin soll man sich wenden, wenn man all die Jahre nur gelaufen ist und zu spät erkennt, dass das eigene, gelebte Leben nur aus einer Fata Morgana bestand?

 

Ich fürchte mich nicht mehr, ich träume, lasse los und schwebe in eine andere Dimension. Gott wird mich aufnehmen, er ist großzügig, ein Vater, der kein Geld für meinen Einlass verlangt.

Vielleicht hätte ich einst auf meinen eigenen Vater hören sollen, der mich vor dieser Ehe gewarnt hat. Vielleicht hätte ich ein eigenes Leben leben sollen, eigene Wege finden müssen, fort von meiner Abhängigkeit von Hubert, fort von meiner Unsicherheit, meiner unbändigen Angst davor, allein zu sein. Ob ich es erfahren werde? Alles ist besser, als das zu sein, was ich jetzt bin: Eine lebende Tote in einem trügerischen Scheinbild gekaufter Freunde.

Ich leere mein Glas. Mit letzter Kraft puste ich die Kerze aus und schaue ihrem Rauch nach. Es ist mein Lebenslicht, das jetzt erlischt. Ich bin erleichtert und schlafe ein.

 

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Tag der Veröffentlichung: 15.06.2018

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