Wohin mag das Schicksal sich wenden? Welchen Weg wird es einschlagen? Wird es die Wahrheit sein, die wir sagen, oder wird die Tat, die wir vollziehen Auswirkungen auf unsere weiteren Gedanken haben?
Es ist eine komische Sache, wenn ein Spiel entscheidend für das weitere Leben wird. Geboren aus einer Laune heraus, gespielt von ein paar jungen Menschen, die sich nichts dabei denken und nicht erahnen können, wie sehr diese Nacht alles verändern wird.
Carol, Gregorius und Theo dienen als Statisten. Zuschauer und Schiedsrichter in einem unwirklichen Spiel, in einem unwirklichen Raum, verqualmt und abgedunkelt. Ein paar Kerzen und ein paar Flaschen Wein. Die Gläser sind gefüllt, man sitzt im Kreis und lacht. Vereinzelte Blicke, vor allem von zweien, verhalten, versteckt und doch ist offensichtlich, wie sehr man sich mag.
Doro, schüchtern und zurückhaltend und doch voller Leidenschaft für den Einen. Unerwartet ist sie ihm begegnet, hat nur ein einziges Mal in seine Augen gesehen, sich verloren, in deren Tiefe, in seinem Gesicht, seinem Lächeln. Verstohlen sieht sie zu ihm hinüber. Er erwidert ihren Blick, hält ihn fest, beginnt zu Lächeln.
Zu gerne hätte er dieses unterdrückt. Er ist nicht alleine. Sandy, seine Freundin, ist mit von der Partie.
Vor einem Jahr ist er ihr gefolgt, fort aus Griechenland. Er wohnt bei ihr. Trotz Aushilfsjobs, die er mühsam verrichtet, befindet er sich in einer gewissen Abhängigkeit von ihr. Wer ist er schon? Ein Ausländer, ein Fremder. Ein Niemand in Cambridge, einer ihm viel zu gehobenen Universitätsstadt.
Schon seit Langem ist diese Urlaubsliebe erloschen. Sie behandelt ihn, den Südländer, wie ihr Eigentum. Das Geld und der Wohlstand ihrer Eltern haben sie nichts anderes gelehrt. Nicht nur einmal ist er ihrer, ihn bevormundenden Art, überdrüssig. Er überlegt seit Wochen, einfach wieder nach Hause zu fahren. Doch dann trifft er sie, Doro, zum ersten Mal. Hier, in der WG seiner Landsleute, in der auch Carol ein Zimmer gemietet hat.
Doros Lächeln trifft sein Herz und ihre Augen blicken direkt in seine Seele. Er träumt seit geraumer Zeit von ihr und darf das doch nicht zugeben. Ohne Sandy ist er in dieser reichen Stadt mittellos.
Sandy bemerkt den längst erloschenen Glanz in seinen Augen. Er gilt nicht ihr. Sie mustert das Mädchen seiner Begierde, fürchtet sich, ihn zu verlieren.
Seit geraumer Zeit hat er sich von ihr entfernt, weicht ihr aus, verschwindet, sitzt über Stunden in einem Café. Dem Café, in dem Carol arbeitet, Doros beste Freundin. Auch Doro verdient sich dort Geld hinzu, allerdings nur als Spülkraft in der Küche. Das Café heißt „Sweetheart“, welch eine Ironie.
Sie liebt ihn, noch immer, obwohl er eigentlich nicht in ihr Weltbild passt. Der exotische, gutaussehende Grieche, der nicht dumm ist, aber ganz und gar nicht ihrem gesellschaftlichen Standard entspricht.
Sie steht zu ihm, als ihre Eltern sie vor die Entscheidung stellen und vermeidet, so gut es geht, den Kontakt mit ihnen. Dimi hat alles für sie aufgegeben, ist ihr in ihre Heimat gefolgt, obwohl auch seine Eltern dies nicht gutheißen. Einfache Leute, freundliche Menschen, ebenso wie ihr stolzer Sohn.
Seinen Stolz vermisst sie heute, anstatt dessen trinkt er oftmals zu viel, raucht und umgibt sich gerne mit anderen Griechen, wie Theo und Gregorius. Einfache Studenten, die ebenso wenig wie er in die gehobene Gesellschaft von Cambridge passen.
Da sitzen sie nun, alle in einem Kreis, und drehen die Flasche des Schicksals.
Das Los trifft die unerfüllte Liebe zwischen Doro und Dimi, die sich erst verhalten küssen, dann dieses intensivieren, in einer Zeit, die stillzustehen scheint. Zeit, gemessen nach einer Sanduhr, die langsam oder gar nicht durch das Glas zu rinnen scheint.
Sandy erzählt von ihrem Urlaub, ihrer ersten Begegnung, von ihrer Liebe. Sie hofft auf Verständnis, vielleicht auf Mitgefühl, das ihr niemand verbal erteilt. Doro ist innerlich getroffen. Engel und Teufel kämpfen um ihre Seele. Die Sehnsucht gegen die Hoffnungslosigkeit. Es kann keine Zukunft geben, zu abhängig und arm sind sie beide vom Wohlwollen anderer. Sie selbst ist, wie er, eine Fremde in England, lebt als Gast in einer Familie, Freunde ihrer Eltern, und studiert mit den anderen gemeinsam an der Universität.
Gregorius gefällt das Schauspiel zwischen den Dreien. Er selbst wird vom Schicksal zum Küssen mit Carol auserwählt. Der Puppenspieler lacht, so wie er, der sie schon lange heimlich begehrt. Carol wehrt sich nicht. Der Wein fließt in Strömen und auch der Joint, der die Runde dreht, macht gelassen und öffnet das Tor zur Wahrheit.
Theo ertränkt seinen Unwillen geflissentlich mit Wein. Er verlässt die lockere Runde alsbald, um Nachschub zu besorgen. Er ist unglücklich. Das Schicksal scheint ihn zu umgehen. Zu gerne würde er an Dimis Stelle treten, weil auch er sich zu Doro hingezogen fühlt. Der Freund, der ohnehin schon eine Gefährtin hat, wird immer wieder von der Flasche auserwählt. Doro kämpft mit sich. Fühlt sich wie in fremder Hand, kann sich ihrer Gefühle nicht erwehren.
Im Morgengrauen wissen die sechs Freunde alles voneinander. Die lockere Zunge verrät jedes Geheimnis, jedes Bedürfnis. Sie offenbart die innersten Hoffnungen und Wünsche, berichtet von Fehlern und Verfehlungen. Es wird geweint, auch gebeichtet. Aus sechs wird eins.
Trotz den unterschiedlichen Empfindungen, dem anfänglichen Unbehagen und der Eifersucht, siegt das Verständnis füreinander. Eine eingeschworene Gemeinschaft, die das doch nicht zuzugeben wagt, so verfolgte doch jeder zu Anfang sein eigenes Ziel.
„Es ist nur ein Spiel“, beendet Dimi das aufgetretene Schweigen und schaut dabei in die Runde der Freunde, von denen jeder Einzelne getroffen, aber in sich ruhend, vor sich auf den Boden blickt.
Jeder überdenkt sein Leben. Reflektiert die Entscheidungen, die er selbst getroffen hat. So bemerken auch Carol, Theo und Gregorius, dass vieles in ihrem Leben aus einer einzigen Lüge besteht.
„Was für ein Spiel?“, fragt Theo schließlich und schaut von Dimi zu Doro und dann zu den anderen. „Ein Spiel, in dem man Spaß und alles Gute erhofft hat? Dabei die ungeschminkte Wahrheit und alles Böse erfahren hat? Oder die Erkenntnis, dass das eigene Leben in der Hand eines Puppenspielers liegt? So sind wir doch alle gefangen, an irgendwelchen Schnüren, die uns leiten, geleiten, durch Zeit und Raum. Ganz wie es dem Komiker Schicksal beliebt.“
ENDE
Tag der Veröffentlichung: 07.01.2018
Alle Rechte vorbehalten