Kapitel 1: Der Anfang vom Ende
Wir saßen im neuen Fastfood-Restaurant, auf dessen Vorderseite in roter Leuchtschrift ein Schild angebracht war, auf dem „Ten Of Diamonds“ stand. Von unserem Fensterplatz aus konnte man die Straße, den Supermarkt und eine Tankstelle sehen. Alles wurde in das schwache Sonnenlicht getaucht, das durch eine dichte, weiße Wolkenschicht fiel. Ein recht trostloser Fleck für ein Restaurant, die Umgebung wirkte industriell und trist.
Hier drin versuchte man, das Ambiente durch kleine Gestecke an jedem Tisch und lauschig wirkende Zweisitzer aufzuwerten. Direkt über uns war ein Lautsprecher angebracht, aus dem gerade leise ein Song aus den Sechzigern ertönte. Auch, wenn das nicht gerade meine Lieblingsmusik war, war ich heute sehr zufrieden. Bald waren wieder Sommerferien. Die letzten Prüfungen wurden bereits geschrieben – ich würde endlich in die zwölfte und letzte Klasse kommen.
Angewidert sah ich Crab (Das war unser Spitzname für Craven) dabei zu, wie er den riesigen Hamburger in sich hineinschlang, sodass seine Backen denen eines Hamsters ähnelten. Ich fragte mich, wie er so überhaupt noch kauen konnte.
Crab war mein einziger Kumpel. Er hatte stacheliges, braunes Haar, das perfekt zu seiner gebräunten Haut passte. Für einen Jungen konnte er wirklich gut zuhören – und kochen.
»Musst du immer essen wie ein Schwein?«, fragte ich ihn nach einer Weile des Stillschweigens empört.
Catherine, die neben mir saß, kicherte in sich hinein und zeichnete mit dem Finger Kreise auf die lackierte Tischplatte.
Das Einzige, das Crab nicht hatte, waren Tischmanieren.
»Was denn? Ich habe eben Hunger!«, verteidigte Crab sich mit vollem Mund.
Ich rollte mit den Augen. Seitdem das Restaurant vor ein paar Monaten eröffnet hatte, mussten wir fast jede Woche hierher gehen, weil Craven sich unbedingt den Bauch mit kalorienreichen Sünden voll schlagen wollte. Ein Wunder, dass er seine sportliche Figur beibehalten konnte!
»Ja, das haben wir schon gemerkt! Das hat jeder in diesem Laden schon gemerkt!«, murmelte Catherine und nahm einen Schluck von ihrer immer noch randvollen Cola. Im Gegensatz zu Craven aß sie wie ein Mäuschen, sehr auf ihre Figur bedacht. Dabei hatte sie das nicht nötig. Noch dazu kam, dass sie jeden Monat ein neues Hobby hatte, sei es nun Yoga oder aber Baseball, sodass sie einen nahezu perfekten Körper hatte, um den ich sie manchmal sogar beneidete. Jedoch hatte ich im Gegensatz zu Catherine auch keine Mutter, die als Trainerin im Fitnessstudio der Stadt arbeitete und leidenschaftlich gerne Sport trieb.
Ich beobachtete Craven weiterhin dabei, wie er den Hamburger verschlang, als wäre er ein ausgehungertes Raubtier. Es war irgendwie so eklig, dass es eine hypnotisierende Wirkung auf mich hatte. Weshalb hatten Jungs bloß keine Tischmanieren? Oder besser gesagt: Weshalb hatte Crab bloß keine Tischmanieren?
Es passte nun wirklich nicht zu ihm, zu seinem gepflegten Äußeren und dem sonstigen Verhalten. Er wurde schon in eine reiche Familie geboren, sein Vater besaß eine große Firma – da konnte man doch etwas mehr Manieren erwarten!
Ich schreckte hoch, als das Handy in meiner Hosentasche zu läuten und zu vibrieren begann.
»’Tschuldigung«, meinte ich hastig zu den anderen beiden und drückte auf die grüne Annahmetaste meines Handys.
Die Ziffern auf den Tasten des Handys waren schon verschlissen und das Handy überhaupt hatte seine beste Zeit auch schon hinter sich. Für jemanden wie mich reichte es. Ich war sowieso nicht der Typ für besondere Extras, wenn etwas Simples auch genügte.
»Hallo?«
Vom anderen Ende war unverkennbar die hohe Stimme meiner kleinen Schwester, Sarah, zu vernehmen. Klein konnte man sie eigentlich auch nicht mehr nennen, sie war vierzehn, und damit nur drei Jahre jünger als ich.
»Jamie?«, fragte sie unsicher.
Ich seufzte einmal so laut, dass sie es durch den Hörer garantiert hören konnte. Wer denn sonst!
»Nein, hier spricht die Queen von England!«, rief ich in den Hörer, mein Amerikanisch mit einem übertrieben hohen englischen Akzent aufgepeppt.
»Ha-ha, ich lach’ mich später weg. Mom sagt, du sollst nach Hause kommen!«, sagte Sarah trocken.
»Wenn sie etwas von mir will, soll sie mich gefälligst selbst anrufen!«, motzte ich sie an und legte nach einer knappen Verabschiedung auf.
Es war Mittag, weshalb sollte ich denn so früh nach Hause kommen? Um ein Uhr nachts wäre ein solcher Anruf ja nachvollziehbar, aber um … Ich warf einen Blick auf das verpixelte Display meines Handys. Zwölf Uhr siebenundzwanzig? Nicht mit mir! Ich würde mir doch nicht den Samstag verderben lassen!
»Wer war dran?«, fragte Catherine und klaute eines von Cravens Pommes Frites. Großzügig tauchte sie es in den Ketchup, bevor sie es sich in den Mund schob.
»Hey!«, motzte Crab wie ein kleiner Junge, dem man die Schaufel geklaut hatte, und zog den beinahe leeren Teller so weit von Catherine weg, wie es nur möglich war. Was für ein Geizhals!
Ich lehnte mich in die gepolsterte Bank mit dem roten Lederbezug zurück und schlug die Beine übereinander.
»Sarah. Sie sagte, ich soll nach Hause kommen. Aber ich will nicht. Ich gucke lieber Crab beim Essen zu!«, grinste ich ihn an. Er verzog seinen Mund, als würde er schmollen, was wegen seinem vollen Mund eher lustig wirkte.
»Solange ich nicht dick werde…«, meinte er gleichgültig und schob sich gleich mehrere Pommes Frites in den Mund.
Ich grinste ebenfalls. »Was nicht ist, kann noch werden!«
Hastig trank ich mein Wasser leer, das dank der vielen Eiswürfel angenehm kühl war und das schwüle Klima gemeinsam mit der Lüftung erträglicher machte.
Als selbst Crab fertig gegessen hatte, bekamen wir auch schon die Rechnung von einer jungen Frau mit kunstvoll hochgesteckten Haaren und freundlichem Gesichtsausdruck auf den Tisch gelegt. Entschuldigend blickte Craven in die Runde, als wir alle den Preis abgelesen hatten.
Catherine und ich mussten darüber lachen, wie viel er heute wieder gegessen hatte. Wirklich unglaublich! Physikalisch unmöglich!
»Ich zahle. So viel Geld, wie dein kleiner Imbiss gekostet hat, hast du sicher nicht dabei!«, meinte ich amüsiert und holte einige zerknitterte Scheine aus meiner Hosentasche.
Ich bezahlte also die stolze Rechnung von $24,10 und gemeinsam gingen wir wieder nach draußen.
»Tut mir echt leid, Jamie. Ich verspreche dir, du kriegst das Geld zurück«, entschuldigte Craven sich mit einem Hundeblick. Ich machte eine wegwerfende Handbewegung.
Er war doch mein bester Kumpel, da tat man sich gegenseitig auch Gefallen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, und sein Hundeblick hatte sowieso so gut wie immer Wirkung.
Ich wollte sagen, dass ich zur Sicherheit doch einmal zu Hause anrufen sollte, nur, damit Mom nicht sauer wurde, falls es denn wichtig war, doch, als ich die Hand in die Hosentasche meiner Jeans schob, griff ich ins Leere, anstatt mein Handy zu ertasten.
»Oh, Mist. Ich hab mein Handy drinnen vergessen!«, fluchte ich, als ich bemerkte, dass es sich nicht mehr an meinem Körper befand, Hosentasche befandHJJJJJJHH»Wartet schnell hier, bin gleich wieder da!«
Ich lief noch einmal hinein, hin zu dem Tisch am Fenster, an dem wir gesessen waren. Mist! Ich hätte schwören können, dass ich es auf die Tischplatte gelegt hatte! Ich suchte zur Sicherheit sogar noch unter dem Tisch und den Bänken, wofür ich einige verwunderte und belustigte Blicke von Kunden, Verkäufern und Passanten, die von Draußen hinein blickten, einkassierte.
Wurde mein Handy etwa schon gestohlen?
Balestone Village war nicht gerade für eine hohe Kriminalitätsrate bekannt. Eigentlich war unsere kleine Stadt für überhaupt nichts bekannt. Sie war einfach nur ein bewohntes Fleckchen im Nirgendwo. Hier kannte jeder jeden, und alle Jugendlichen gingen gemeinsam in die Schule. Im Sommer war es hier jedoch wunderschön. Wenn die Sonne kräftig schien, tauchte sie alles in helles Licht. Neben dem öffentlichen Basketballplatz lag eine schier endlos wirkende Blumenwiese, auf der im Sommer viele Leute ihre Decken ausbreiteten.
Hier war es nahezu undenkbar, dass in ein Haus eingebrochen oder jemand überfallen wurde. Selbst Eigentum erhielt man wieder zurück, weshalb ich sehr verwundert über das plötzliche Verschwinden meines Schrott-Handys war.
Fluchend ging ich wieder nach draußen. Wieso war ich bloß so schusselig? Ich verlor alles irgendwann einmal! Sei es der Hausschlüssel, ein Schulheft oder eben das Handy – alles war irgendwann plötzlich wie vom Erdboden verschluckt und nirgends mehr auffindbar. Ich konnte nirgends Ordnung halten – mein Zimmer und mein Spind in der Schule waren die besten Beispiele.
»Und? Hast du es?«, frage Catherine und blickte mich fragend an, sobald ich wieder an der frischen Luft war. Ich schüttelte nur enttäuscht den Kopf.
Mein Handy war zwar nicht unbedingt schön und neu gewesen, aber es hatte auch Geld gekostet und da es alt war, verband ich damit sogar einige Erinnerungen. Außerdem waren Handynummern und andere Dateien darauf gewesen, die ich nicht unbedingt verlieren wollte.
»Sieh‘s mal positiv!«, sagte Crab mit einem aufmunternden Lächeln, »Jetzt bekommst du sicher ein neues, viel cooleres.«
Das war aber wirklich feinfühlig, exakt das, was ich im Moment hören wollte…
Ich verpasste ihm einen leichten Klaps auf den Hinterkopf, wobei ich erfühlen konnte, dass er heute Morgen keineswegs am Haargel gespart hatte.
»Dein Handy taucht sicher wieder auf«, murmelte Catherine tröstend und blickte mich mitfühlend aus ihren leuchtenden, grünen Augen an, die einen wunderschönen Kontrast zu ihren dunkelroten Haaren bildeten. Wenn man sie so ansah, könnte man glatt meinen, man stand einem waschechten Model gegenüber. Ihre blasse, elfenbeinfarbene Haut schmeichelte ihren weichen, feenhaften Gesichtszügen und ließ sie noch zarter wirken, als sie ohnehin schon war.
»Hoffentlich«, meinte ich aufgeregt und überprüfte zur Sicherheit noch einmal alle Hosentaschen meiner Jeans gründlich.
Craven legte mir kameradschaftlich die Hand auf die Schulter und rüttelte leicht an mir.
»Du kannst auf die Schnelle mein Handy haben, wenn es wichtig ist!«, schlug er vor und zog es mit der anderen Hand schon aus seiner Jackentasche hervor. Er hatte (Oh, Wunder!) das neueste iPhone.
Ich nahm ihm das riesige, schwarze Ding ab, als er es mir lächelnd unter die Nase hielt. Mühselig tippte ich darauf herum.
»Ich kann so ein Teil nicht bedienen! Das ist doch viel zu umständlich!«, rief ich nach einigen Versuchen verzweifelt. Crab nahm mir das Handy augenrollend wieder aus der Hand.
»Ach, Quatsch...«, murmelte er und drückte nun auf drei Tasten. So schnell konnte es gehen.
Als er mir das Handy nun wieder zurück gab, hörte man schon das langgezogene Tuten am anderen Ende der Leitung. Das war einfach eine Kunst für sich, die Crab beherrschte.
Schnell hielt ich mir das Handy ans Ohr.
Nach dem vierten Klingeln nahm jemand ab.
»Mary Ascot, hallo?«, ertönte die sanfte Stimme meiner Mutter.
»Hey Mom. Ich bin’s!«, sagte ich hastig. Hoffentlich stellte sie, überschwänglich besorgt, wie sie nun mal war, jetzt keine Fragen, weil sie die Nummer, von der ich anrief, nicht kannte! Aber das war für sie anscheinend sowieso nur zweitrangig...
»Jamie-Lee Ascot! Wo steckst du? Ich brauche hier doch deine Hilfe!«, rief sie. Ihre Stimme klang jetzt überhaupt nicht mehr sanft, sondern aufgebracht.
»Wobei brauchst du Hilfe?«, fragte ich neugierig und versuchte Crab zu ignorieren, der seinen Kopf an meinen presste, um mithören zu können.
Man hörte ein Seufzen am anderen Ende.
»Ich will etwas am Computer ausdrucken! Und ich weiß nicht, wie!«, sagte sie leicht eingeschnappt.
Meine Mom, der Technikfeind Nummer Eins. Das war schon so gewesen, und es sah auch nicht wirklich danach aus, dass sich das bald ändern würde! Wahrscheinlich hatte ich meine Unfähigkeit, iPhones und andere Smartphones zu bedienen, von ihr geerbt.
»Ich bin ja bald da! So wichtig kann das schon nicht sein!«, lachte ich und schob nun Crab beiseite, weil es begann, zu nerven, dass sein Kopf an meinem rieb und die widerspenstigen Stacheln, zu denen er seine Haare immer formte, sich in meinen Haaren verfingen.
Es war irgendwie komisch, dass eine Mutter mich wegen einem Ausdruck gleich anrufen musste. Ich hatte eher mit einer Nachricht wie „Das Haus steht in Flammen“ oder „Ich habe mir einen Finger abgeschnitten“ gerechnet. Meine Familie war aber nun mal unberechenbar.
»Okay, aber mach dich jetzt bitte trotzdem auf den Weg hierher! Immerhin hast du mir versprochen, heute noch Mathe zu lernen!«
Ich stöhnte und nahm mir vor, nie wieder solche masochistischen Versprechen zu geben. Die Prüfungen waren sowieso schon vorbei, sodass das Lernen der eher als Vorbereitung auf das nächste Jahr zählte. Ich hatte doch drei Monate Sommerferien! Weshalb könnte ich das Lernen nicht auf diese Wochen verschieben? Das würde alles viel einfacher machen...
»Alles klar, bin schon unterwegs!«, rief ich genervt und legte auf, obwohl sie noch etwas erwidern wollte. Griesgrämig gab ich Crab sein Handy zurück.
»Ich muss nach Hause. Lernen«, grummelte ich und schob die Hände in die Hosentaschen, in denen ich sonst alles aufbewahrte – Handy, Geld und meinen Mp3-Player. Während des zweiten Satzes hatte ich mein Gesicht verzogen, als hätte ich herzhaft in eine Zitrone gebissen.
»Tut mir leid, Kleine. Aber du wirst es überleben«, meinte Crab ohne den leisesten Hauch von Mitleid in der Stimme.
Als er bemerkte, wie sich meine Miene weiter verfinsterte, zwinkerte er nur.
»Bring es einfach hinter dich! Heute haben wir sowieso kein besonders schönes Wetter, sodass wir nichts Großartiges unternehmen könnten…«
Ich blickte gen Himmel und sah nun auch die riesigen, hellgrauen Wolken, die sich so weit erstreckten, wie das Auge reichte.
»Du hast Recht. Besser die Aufgaben bei schlechtem Wetter erledigen, als sie dann bei schönem Wetter nachholen zu müssen…«, stimmte ich missmutig zu.
Unsere Straße war nicht allzu weit vom Restaurant entfernt, sodass ich nicht lange brauchte, bis ich zu Hause war. Crab ärgerte mich auf dem Heimweg noch ein wenig, indem er mir einen feuchten Blätterhaufen in die Haare schüttelte, den ich mir mühselig, Blatt für Blatt, wieder aus den Haaren herausziehen musste.
Schnell verabschiedete ich mich von Crab und Catherine, als ich auf unserer Veranda mit den vielen großen und kleinen Topfpflanzen stand. Natürlich hatte Crab sofort nach einem neuen Treffen gefragt – im „Ten Of Diamonds“, versteht sich.
Sobald ich die Haustür öffnete und eintrat, sprang mir eine fröhliche Schwester entgegen.
»Du kriegst Ärger!«, sang sie immer wieder leise und tänzelte um mich herum, während ich seufzend meine Jacke und Schuhe auszog und an den Kleiderständer hängte.
»Du wirst alleine sterben!«, sang ich in demselben Tonfall zurück, als es wirklich begann, zu stören.
Sie hörte auf, zu singen. Einen Moment dachte sie über meine Worte nach, danach blickte sie mich finster an.
»Wenn du jeden so nervst, wie mich, wäre das nur zu gut vorstellbar«, grinste ich.
Sarah schob ihre Hände in die Taschen ihrer Jogginghose und schien nach einer gemeinen Antwort zu suchen.
»So was sagst du doch nur, weil du schon einen Freund hast!«, motzte sie schließlich.
Ich grinste böse und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
»Das muss ich mir doch nicht von einem Mädchen sagen lassen, das, wenn es an sich herunter blickt, nur eine Flachlandschaft sieht!«, konterte ich gelassen und ging dann ohne ein weiteres Wort an ihr vorbei in den Flur.
»Du bist echt fies!«, rief sie mir hinterher und stampfte wie eine dreijährige mit dem Fuß auf dem glatten Parkettboden auf. Ich drehte mich noch einmal um.
»Erzähl’ das doch deinem Edward-Poster!«, säuselte ich und klimperte übertrieben mit den Wimpern.
Wutschnaubend stürmte Sarah an mir vorbei und verschwand nach oben, in ihr Zimmer (zu Edward), während ich in unser gemütliches Wohnzimmer schlenderte. Darin befand sich auch unser gläserner Esstisch, ein Fernseher mit Sitzecke und ein Regal voller CDs, DVDs und Bücher. Hinter dem Esstisch befand sich ein Schrank, in dem Mom ihr teueres Geschirr aufbewahrte.
Gerade, als ich mich auf der schwarzen Couch, auf der immer eine kuschelige Decke lag fallenließ, betrat meine Mutter das Wohnzimmer durch den Türbogen, der die kleine Küche und das Wohnzimmer verband.
Sie musterte mich prüfend.
Wenn meine Mutter nicht so ernst blickte, wie sie es im Moment tat, wirkte sie eigentlich immer herzlich und ruhig. Die Brille ließ ihre strahlenden, hellblauen Augen noch mehr zum Vorschein kommen und außerdem sehr intellektuell wirken.
Leider blickte sie oftmals unzufrieden, wobei sie ihre Stirn in Falten legte. Das war eine Alte Gewohnheit, die sie einfach nicht ablegen wollte.
»Was ist mit Mathe, Jamie?«, fragte sie sofort und verschränkte die Arme.
»Auch hallo! Mir geht’s bestens, und dir?«, murmelte ich sarkastisch und schloss für einen kurzen Augenblick die Augen. Auf Lernen hatte ich in diesem Moment wirklich keine Lust.
Sie seufzte und wusste nicht so recht, was sie erwidern sollte. Deshalb ließ sie sich neben mir auf dem Sofa nieder.
»Sarah hat mir jetzt schon geholfen, was das Ausdrucken betrifft«, sagte sie nach einer Weile des Schweigens.
Ich sah sie mit großen Augen an und holte mit theatralischem Erstaunen Luft.
»Was? Sarah weiß schon, wie man einen PC einschaltet?«, lachte ich.
Meine Mutter hob ernst eine Augenbraue. Sie fand das überhaupt nicht komisch.
Ich rollte mit den Augen, als sie begann, mir einem Moralpredigt zu halten. Angeblich sei es ja so verantwortungslos, den Mathe-Stoff nie sofort mitzulernen, und wenn erst einmal Ferien wären, müsste ich das geliehene Schulbuch zurück geben, sodass ich keine Chance mehr hatte, ‚meine Wissenslücken zu füllen‘. Wenn sie wüsste, was dieses Fach alles von mir abverlangte!
Nach weiteren fünf Minuten, in denen sie betonte, wie wichtig die letzten beiden Schuljahre waren, erhob sie sich wütend wieder und ging zurück in die Küche.
Ich jedoch streckte mich nur einmal genüsslich aus und ließ mich nach hinten fallen. Sanft sank ich zwischen den drei Kissen ein. Wenigstens fünf Minuten könnte ich mich ja wohl noch entspannen, bevor ich mich ans Lernen machte...
Ich war noch etwas müde, also schloss ich die Augen. Mathe könnte noch ein paar Minuten warten… Mir entfuhr ein herzhaftes Gähnen. Ich hätte mich dafür ohrfeigen können, aber nach einer Weile war ich eingeschlafen.
So entkam ich wenigstens vorerst dem Lernen...
Das penetrante Läuten des Telefons riss mich aus dem Schlaf. Weil ich mein breites Bett gewohnt war, rollte ich mich einmal zur Seite – und landete prompt auf dem weißen Teppichboden des Wohnzimmers. Autsch!
Das Telefon läutete weiter, und schnell wurde mir klar, warum ich es so laut vernahm: Es lag direkt neben mir auf dem Wohnzimmertisch. Stöhnend rappelte ich mich wieder auf, strich mir die Haare glatt und nahm dann das silberne Telefon vom Tisch.
Als ich die Nummer erblickte, konnte ich es kaum glauben! Das… das war meine Handynummer! Schnaubend hob ich ab. Wenn dieser Dieb jetzt auch noch die Frechheit besaß, sich einen Spaß daraus zu machen, mich anzurufen, dann würde ich ihm jetzt mal die Meinung sagen! Ich begann sofort, meinen Gesprächspartner anzumotzen.
»Findest du das witzig? Erst mein Handy zu stehlen, und mich dann noch damit anzurufen?! Hör mal zu! Ich weiß ja nicht, was du dir dabei gedacht hast, aber das Handy gehört mir! Rück es sofort wieder raus, oder hör’ zumindest auf, auf meine Karte zu telefonieren! Also echt! Weshalb rufst du an? Willst du mich auslachen? Mir unter die Nase reiben, wie dumm ich doch war, mein Handy im Restaurant liegen zu lassen? Dann nur zu! Aber bete, dass ich dich niemals – ich wiederhole mich, niemals – in die Finger kriege!«
Am anderen Ende entstand eine kurze Pause, dann ertönte unverkennbar gedämpftes Gelächter. Was war daran bitte lustig?!
An dem Gelächter konnte ich bis jetzt zumindest erkennen, dass es ein Mann war.
»Also… «, hörte ich dann, »Genau genommen, hab ich dein Handy nicht gestohlen, sondern gefunden. Und ich wollte es dir zurückgeben, deshalb habe ich auch deine Heimnummer gewählt.«
Oh, Mist. Jetzt wäre mir fast das Telefon aus der Hand gefallen. Nicht nur, weil ich den Typen aus Versehen angebrüllt hatte, obwohl er zu den wohl ehrlichsten Bürgern der Stadt (Lebte er hier?) gehörte, sondern auch, weil seine Stimme mich umgehauen hatte. Sie war sanft und zugleich noch etwas rau, wie Honig und feiner Sand. Ihr war zu entnehmen, dass mein Gesprächspartner nicht viel älter als ich sein konnte.
Diesmal war ich es, die nicht sofort eine Antwort fand.
»Also, ein „Tut mir leid“ würde mir ja genügen«, sagte mein Gesprächspartner mit der schönen Stimme jetzt. Ich konnte sein Grinsen förmlich bis hierher hören.
Warum immer ich? Mir wären fast Tränen gekommen, so peinlich fand ich das. Warum musste ausgerechnet mir, einem Mädchen aus einem Viertausendseelendörfchen, immer der schlimmste Mist passieren?
»Ähm, ja… Also… Es… tut mir leid«, stotterte ich vor mich hin. Ich war wirklich ein Pechvogel. Aber es hätte noch schlimmer kommen können, redete ich mir selbst gut zu.
»Okay, ich verzeihe dir«, sagte er in einem sarkastischen Tonfall.
Ich rollte mit den Augen. Komm bitte zu Sache, ich will endlich zu dem Teil kommen, wo ich mein Handy wiederkriege!, dachte ich genervt.
Das war genau genommen eine Lüge. Ich wollte zu dem Teil kommen, wo ich ihn kennen lernen würde.
»Ich komme vorbei und bringe es dir«, sagte er dann. Seine Stimme raubte mir
natürlich für kurze Zeit wieder den Atem.
Ich schüttelte dennoch den Kopf und merkte erst zu spät, dass er das ja nicht hören konnte.
»Nein, wir treffen uns dort, wo du das Handy gefunden hast, nämlich im „Ten Of Diamonds“«, sagte ich dann mit einer den Umständen entsprechend unglaublich festen Stimme.
Was wusste ich denn? Ich kannte ihn nicht, und auch, wenn er eine unglaublich schöne Stimme hatte, hieß das noch lange nicht, dass ich ihm einfach so vertrauen würde. Was wusste ich schon, vielleicht steckte hinter dieser Stimme ja auch ein eiskalter Killer!
»Also schön, in zehn Minuten bin ich dort. Du wirst mich sicherlich erkennen. Ich habe schwarze Haare und eine Lederjacke an, Bis gleich also!«, sagte er amüsiert.
Und dann legte er , sehr zu meinem Leidwesen, ohne ein weiteres Wort des Abschieds auf. Zu gerne hätte ich die Stimme noch einmal gehört.
Ich seufzte. Jetzt musste ich wohl oder übel noch mal zurück in dieses Restaurant… Meine Mutter würde davon aber nicht begeistert sein! Und zu Fuß wäre ich zu langsam.
Ich hatte aber schon eine Idee. Ich legte das Telefon wieder weg und warf einen Blick durch den Türbogen – und musste grinsen. Meine Mutter stand an die weiß lackierte Küchentheke gelehnt da – das ausgedruckte Dokument, das bestimmt aus über zwanzig Blättern bestand, in der Hand haltend. Sie war so sehr darin vertieft gewesen, dass sie nicht einmal mitbekommen hatte, wie ich in den Telefonhörer gebrüllt hatte.
Okay, das war unheimlich… Unheimlich praktisch! Ich schlich wieder raus in den Flur und zog erneut Turnschuhe und Jacke an.
Aus dem Schuppen im Garten holte ich das Fahrrad mit dem splitternden, roten Lack und den kaputten Bremsen heraus. Ich schob es bis vor das Haus und schwang mich dann darauf.
Auf dem Weg musste ich aufpassen, dass ich nicht zu schnell fuhr, da ich keine Lust hatte, wegen der kaputten Bremsen einen Unfall zu bauen. Deshalb kam ich auch mit einer kleinen Verspätung an. Ich lehnte das Fahrrad einfach schnell gegen die gelb gestrichene Hauswand, direkt neben einen kleinen, grünen Strauch, und sputete herein.
Schwarze Haare, Lederjacke. Sobald ich mich umblickte, fiel mir jemand auf, der auf die Beschreibung, die mir der mysteriöse Anrufer gegeben hatte, passte. Er stand mit dem Rücken zu mir. Gespannt ging ich auf ihn zu. Wenn sei Gesicht nämlich so schön war wie seine Stimme… Würde ich bestimmt nie wieder von seiner Seite weichen! Und das, obwohl ich einen festen Freund hatte!
Ich tippte ihm zaghaft auf die Schulter. Das Herz hämmerte mir gegen die Brust. Das hier war noch aufregender als Weihnachten für ein kleines Kind!
Als er sich umdrehte, hätte ich fast losgeschrien. Das hatte ich nun wirklich nicht erwartet! Igitt, war der hässlich! Knollnase, Falten und runterhängende Wangen! Und mindestens vierzig Jahre alt!
Ich kämpfte gegen den Drang an, meinen Lippen zu einem Schmollmund zu verziehen. »Ich…«, stotterte ich. Zu groß saß der Schock noch, »Sind Sie der Mann, der mein Handy gefunden hat?«
Ich war wirklich perplex. Und der Mann sah mich auch nur mit einem Gesichtsausdruck an, als würde er nichts kapieren.
Wie konnte das bloß sein, dass dieser Mann eine solch schöne Stimme hatte?
Ich wollte gerade einen neuen Versuch starten, mein Anliegen zu erklären, als sich jemand räusperte und mir von hinten auf die Schulter tippte, wie ich es zuvor bei dem Mann getan hatte. Ich drehte mich um.
Und dann stand er vor mir.
Und was auch immer ich von der Person mit der wunderschönen Stimme erwartet hatte, er schaffte irgendwie, noch viel atemberaubender zu sein.
Seine tiefen, grünen Augen fixierten mich so sehr, dass ich weder sprechen, noch mich bewegen konnte. Als würde ich direkt in den Ozean blicken… Er hatte hohe Wangenknochen, die so gut zu ihm passten, dass ich gerne seine Wangen hätte. Seine gestreichelt perfekt geformten, schmalen Lippen waren zu einem reservierten Grinsen verformt, das seinem nahezu perfekt geformten Gesicht noch mehr schmeichelte.
Er hatte Klamotten an, die seinen Körper noch mehr zur Geltung brechten – ein eng anliegendes, dunkelblaues T-Shirt, durch das man ansatzweise Muskeln erkennen konnte, wie beschrieben eine schwarze Lederjacke, und lässige Jeans.
»Kann es sein, dass ich dein Handy habe?«, fragte er dann. Sein Lächeln wurde größer.
Wow. Jetzt, da er vor mir stand, war seine Stimme noch schöner und angenehmer. Sie jagte mir einen wohligen Schauer über den Rücken.
Ich bemühte mich, meine Stimme wieder zu erhalten, doch es gelang nicht so recht.
Wäre Sarah hier gewesen, wäre sie sicherlich total ausgerastet und hätte gebrüllt: »Ich wusste doch, dass es sie gibt!« und ihn angebettelt, ihr in den Hals zu beißen.
Ich jedoch schluckte nur schwer und brachte gerade noch ein kleines Nicken zustande. Während ich keinerlei Gefühlsregungen zeigte, wurde sein Lächeln noch größer und schöner.
»Komm, lass uns das draußen regeln«, schlug er nun vor und bedeutete mir mit der Hand, ihm nach Draußen zu folgen.
Wieder nickte ich nur, bewegte mich jedoch keinen Zentimeter. Anscheinend waren meine Stimme und die Gefühlsregungen nicht die einzige Dinge, die nicht mehr funktionierten!
»Mann, euch Mädchen muss man echt alles hundert Mal sagen!«, stöhnte mein wunderschönes Gegenüber nach einigen Sekunden genervt und fasste mich am Arm.
Dieser Typ war nicht nur schön... er war auch verdammt sexy! Und das Gefühl, das ich hatte, als er mich berührte, verursachte mir Herzrasen, auch, wenn es nichts zu bedeuten hatte.
Auf jeden Fall zog mich der Fremde jetzt aus dem Restaurant raus und lehnte sich dann
lässig gegen die Hauswand. Auch, wenn es sicherlich nicht beabsichtigt war, schien es, als stünde er da, weil er gerade ein Fotoshooting hatte. Das einzige, was fehlte, war der Fotograf – der mir einen Abzug des Bildes hätte geben müssen.
Da ich immer noch nichts Besseres zu tun hatte, als zu überlegen, wieso dieser Fremde mir in diesem kleinen Dörfchen noch nie aufgefallen war, behielt ich meinen verwirrten Blick bei. Er rollte mit den Augen.
»Du bist wohl doch nicht die, die ich suche. Sie konnte am Telefon nämlich reden!«, meinte er sichtlich belustigt, und seine Stimme klang sogar schön, wenn er etwas Gemeines sagte.
Da ich immer noch in meinen Gedanken versunken war, griff er genervt in seine Jackentasche und holte etwas Silbernes heraus.
Erst, als er mir den Gegenstand unter die Nase hielt, realisierte ich, dass das mein Handy war. Ich erwachte aus meiner „Trance“ und guckte ihn Plötzlich ganz anders an. Mit Ausdruck im Gesicht. Er bemerkte es, und lächelte mich wieder so charmant an wie zuvor.
»Und ich dachte schon, ich hätte dir deine Reaktionsfähigkeit für den Rest des Lebens genommen!«, sagte er dann leicht spöttisch und schob das Handy zurück in seine Jackentasche, obwohl er es mir auch hätte geben können.
Ich war ja so bescheuert! Besser gesagt: Ich tat das Bescheuertste. Ich wurde so rot wie das Leuchtschild, das an der Vorderseite des Restaurants angebracht war. Und er – er lachte auch noch darüber.
Ja, ja, er war vielleicht gutaussehend, aber anscheinend hatte er eine gewisse Ähnlichkeit mit den Geschenken von meinem Onkel: Schönes Geschenkpapier, das vorerst verbergen sollte, dass sich darunter irgendein billiger Krimskrams von der Tankstelle um die Ecke befand.
Deshalb wollte ich das Gespräch auch so schnell wie möglich beenden, immerhin standen die Geschenke meines Onkels auch nur in meinem Zimmer herum und ernteten ab und zu komische Blicke von Freunden, gefolgt von Sprüchen wie: „Schicke Spardose! Gibt’s die auch in hübsch?“ (Das hatte Crab wirklich gesagt). Ich hatte wirklich keine Lust, auch noch Menschen in meinem Leben zu haben, die so drauf waren.
»Krieg ich mein Handy jetzt?«
Er hob eine Augenbraue.
Ich hängte hibbelig ein langgezogenes »Biiittee« dran und stand kurz davor, vor Ungeduld auf und ab zu wippen.
Daraufhin kam das Lächeln gefolgt von dem Spruch, wegen dem ich beinahe wegen Totschlags im Gefängnis gelandet wäre.
»Kein Problem… Jippielein.«, grinste er und reichte zog das Handy erneut aus der Jackentasche hervor.
Wären wir jetzt alleine gewesen, hätte ich ihm eiskalt den Kopf abgerissen. Mit einem bösen Blick schnappte ich ihm das Handy aus der Hand.
»Du…«, stotterte ich, weil ich vor Wut auf Anhieb keinen kompletten Satz auf die Reihe bekam, »Du hast… meine SMS gelesen?«
Nur Crab nannte mich ab und zu Jippielein, und woher sollte dieser mir vollkommen fremde Typ das bitteschön sonst wissen, wenn nicht aus meinen SMS?
Mein Gegenüber zuckte nur dreckig grinsend mit den Schultern. Anscheinend hatte er nicht einmal vor, sich zu entschuldigen.
»Hör mal zu, du Vollidiot! Kennst du das Wort Privatsphäre? Meine SMS gehen dich nichts an! Wie fändest du es, wenn ich einfach deine Hosentaschen durchwühlen würde oder so?«, rief ich wütend.
»Na ja, um ehrlich zu sein, hätte ich nichts dagegen!«, grinste er süffisant und verschränkte die Arme herausfordernd vor der Brust.
Mir klappte der Unterkiefer herunter und ich sah ihn böse an.
»Du…«, setzte ich an.
Doch gerade, als ich ihm einen gewaltigen Schwall von Schimpfwörtern an den Kopf werfen wollte, kam Mrs Cooper, eine alte Dame, die in meiner Straße wohnte, vorbei. Catherine nahm mich manchmal mit, wenn sie den Dackel von Mrs Cooper ausführte.
Ich lächelte gezwungen freundlich.
Mein Gesprächspartner tat es mir gleich, nur, dass es bei ihm viel aufrichtiger wirkte. Außerdem sah sein Lächeln wirklich wundervoll aus, immerhin hatte er auch perfekte Zähne.… Nein! Ich hatte wirklich wenig Selbstbeherrschung.
Ich musste damit aufhören, das war unglaublich dämlich. Ich sah ihn gerade an, als sei er das letzte Stück Schokotorte in der Konditorei.
Ich blickte ihn erneut beleidigt an, als mir auffiel, dass er den Blick verstanden hatte. Automatisch meldete sich eine zynische Stimme in meinem Hinterkopf, die mich an David, meinen festen Freund, erinnerte.
Währenddessen wurde es immer kälter, und ich fröstelte, was meinem Gegenüber anscheinend imponierte.
»Deine Wangen sind rot wie eine Tomate«, stellte er herablassend fest, als Mrs Cooper um die Ecke verschwunden war.
Ich verfluchte mich insgeheim dafür, dass ich nicht selbst daran gedacht hatte. Eine meiner Macken war nämlich, dass ich immer sofort rot wurde, wenn mir kalt war. Die Wolkendecke zog sich immer weiter zu.
»Dafür bist du so weiß wie ein Stück Kreide!«, feuerte ich zurück und verschränkte die Arme – weil mir kalt war, aber das konnte er ja nicht wissen.
Es stimmte wirklich, seine Haut war verdammt blass. Dafür aber auch so makellos, dass man sie gerne einmal berühren mochte.
Hey! Ich verpasste mir innerlich selbst eine Ohrfeige. Wenn ich so weiter machte, würde ich mich vor das nächste Auto werfen, das hier vorbeifuhr!
Zu meiner Überraschung wurde der Blick meines Gegenübers merkwürdig ernst.
»Das liegt daran, dass ich ein Vampir bin«, sagte er frostig.
Einen Augenblick lang schaute ich ihn ungläubig an. Dann begann ich, lauthals zu lachen.
»Ja klar, und ich bin die Zahnfee!«, rief ich und musterte ihn belustigt.
Sein Blick blieb weiterhin ernst. Dann beugte er sich ein wenig zu mir vor, was bei mir dummerweise sofort wieder Herzrasen hervorrief. Was er mit mir anstellte, war wirklich nicht in Ordnung!
»Ich kann es dir beweisen!«, meinte er leise und ich konnte seinen Atem an meiner Schläfe spüren. Seine grünen Augen blitzten herausfordernd.
Oh, okay, jetzt verstand ich. Er war also verrückt. War ja klar, dass sein Aussehen mit irgendwelchen Persönlichkeitsstörungen kommen müsste.
Ich sollte lieber verschwinden, bevor er begann, mir über Außerirdische zu erzählen…
»Ähm… Tut mir leid, keine Zeit. Vielleicht ein andermal«, sagte ich hastig und wollte mich gerade umdrehen und zu meinem Fahrrad gehen, als ich sah, dass der silberne Kombi meiner Mutter direkt vor uns parkte.
»Mist«, murmelte, als meine Mutter wutschnaubend aus dem Wagen ausstieg.
Während sie auf mich zukam, sah ich, wie ihr Blick immer wieder zu dem Verrückten neben mir schweifte.
»Aha, keine Zeit zum Lernen, aber Dates hast du schon!«, rief sie aufgebracht und deutete auf den Verrückten neben mir.
Der begann jetzt, lauthals loszulachen und sah mich dann mit dem reservierten Grinsen an, das er auch ganz zu Beginn aufgesetzt hatte.
Ich wollte meiner Mutter die Situation erklären, doch er kam mir zuvor.
»Das ist ein riesiges Missverständnis. Ihre Tochter hat hier etwas verloren, und ich wollte ihr es nur zurückbringen. Sie wollte gerade wieder nach Hause gehen.«
Jetzt hätte ich eine Kamera gebraucht, um den Blick meiner Mutter festzuhalten. Sie guckte so merkwürdig aus der Wäsche wie … wie nichts, das ich bisher gesehen hatte.
Wahrscheinlich lag es aus seiner attraktiven Kombination aus Stimme und Aussehen, die sie gerade verzauberte, wie es bei mir zuvor der Fall gewesen war. Lag wohl in der Familie. Wenn sie wüsste, was er für einen miserablen Charakter hatte! Einen so arroganten, selbstgefälligen Jungen hatte ich noch nie getroffen.
»Entschuldigen Sie die Umstände«, fügte er seiner Erklärung noch an.
Meine Mutter schüttelte herzlich lächelnd den Kopf, wobei ihr das kurze, dunkelblonde Haar ihr Gesicht fiel.
»Überhaupt kein Problem.«, sagte sie. Ich erkannte, dass sie hin und weg von dem Typen war.
Ich explodierte gerade innerlich! Ich meine, das kann doch nicht wahr sein, dass man, nur, weil man eine schöne Stimme hat, jeden Menschen auf der Welt um den Finger wickeln konnte, selbst meine cholerische Mutter!
»Wohnen Sie eigentlich schon länger hier?«, fragte der Verrückte meine Mutter jetzt mit einem wundervollen Lächeln, »Ich bin gerade erst hergezogen, und kenne mich nicht wirklich hier aus, auch wenn die Stadt etwas kleiner ist.«
»Ja, ja. Wir wohnen schon länger hier…«, murmelte ich und fasste meine Mutter am Arm, »Können wir jetzt bitte gehen? Immerhin muss ich noch lernen!«, drängelte ich dann und benahm mich wie eine Vierjährige. Hätte nur noch gefehlt, dass ich "Mami!" gerufen und an ihrem Arm gezupft hätte.
»Woher kommen Sie denn?«, fragte meine Mutter mit meiner Meinung nach zu großem Interesse. Ich musste ein Stöhnen unterdrücken.
»Ich komme aus Plymouth, das liegt im Südwesten Englands. Sie können mich übrigens duzen«, antwortete der Vampir-Freak immer noch mit dem charmanten Lächeln im Gesicht.
Ich konnte mir das Lachen einfach nicht verkneifen, auch, wenn meine Mutter und der wunderschöne und dennoch bescheuerte Typ mich komisch anguckten.
Ich lachte nur, weil der Typ gar kein Engländer sein konnte, er redete ohne den geringsten Akzent. Wahrscheinlich gehörte das aber nur zu seinem Vampir-Image, zu den Plastikzähnen und dem Cape in seinem Kleiderschrank. Und beinahe hätte ich ihm durch die schwarzen Haare gewuschelt! Ich meine, könnte ja sein, dass sie gefärbt waren, damit er gruseliger aussah! Und Kontaktlinsen könnte er auch tragen... Vielleicht hatte er auch absichtlich seine Hautpigmente behandeln lassen, damit er auch im Sommer blass war.
Die beiden sahen mich immer noch komisch an, während ich mich fragte, wie viel es wohl gekostet hatte, seine Zähne so weiß und gerade zu bekommen.
Hatte er einen Personal Trainer? So sah er zumindest aus. Ich vermutete steinharte Muskeln unter diesem T-Shirt.
Wahrscheinlich hatte er so ziemlich alles gemacht, was man bloß machen konnte, um toll auszusehen.
Nachdem die beiden bemerkten, dass ich nicht vorhatte, mein Gelächter zu rechtfertigen, begann meine Mutter, von England zu schwärmen. Dabei war sie nur einmal für zwei Tage geschäftlich in London gewesen.
»England ist ja so wundervoll!«, säuselte sie, »Viel aufregender und kulturgeprägter als Amerika!«
»Ah…kriecher«, hüstelte ich leise. Es war an beide gerichtet.
Weshalb wollte sie ihm denn unbedingt schmeicheln?
Mein amerikanisch-englischer Verrückter sah sie trotz der Schwärmerei ernst an.
»Es war nicht immer schön dort!«, meinte er ernst.
Na und?
»Ja. Ich muss jetzt auf jeden Fall gehen, Mathe lernen!«, sagte ich, schob mich an meiner Mutter vorbei, die nicht wirklich so aussah, als wollte sie allzu schnell wieder gehen, und krallte mir mein klappriges Rad. Es wurde langsam echt unheimlich! Diese Mischung aus Sympathie und Abneigung, die hier in der Luft lag, war mir unangenehm!
»Tschüss!«, rief Dracula mir noch hinterher.
Ich unterdrückte den Drang, ihm den Finger zu zeigen und fuhr ohne einen Blick zurück davon. Wieder musste ich besonders langsam fahren, damit ich mich nicht durch meine Schusseligkeit in Gefahr brachte.
Immer noch genervt schob ich das Fahrrad zurück in den Schuppen und ging dann wieder zur Haustür. Hastig zog ich mir im Flur die Schuhe wieder von den Füßen. Die Jacke behielt ich in aller Eile an, als ich nach oben in mein Zimmer lief.
Oben hielt ich an, als ich laute Stimmen aus Sarahs Zimmer hörte. Ich konnte es mir einfach nicht verkneifen, einen Blick hinein zu werfen.
Sie sang gerade lautstark ein Lied mit, das im Hintergrund spielte und – hey! Das war doch mein Oberteil, das sie da an hatte! Lächelnd begutachtete sie sich im Spiegel und zupfte das dunkelgrüne Oberteil zurecht, das ein bisschen zu groß für ihren zierlichen Körper war. Die Ärmel gingen über ihre Fingerspitzen hinaus.
Aber egal, ich hatte jetzt keine Lust und Zeit, sie zu unterbrechen, und außerdem würde es noch bessere Gelegenheiten als diese geben, das anzusprechen. Zum Beispiel, wenn ihr Schwarm mal wieder läutete, weil er vergessen hatte, was sie für den nächsten Schultag lernen mussten...
Als ich in meinem Zimmer, dem hintersten im Gang, angekommen war, ließ ich meine Jacke neben dem großen Bett fallen, das in der Mitte des Raumes zwischen zwei Fenstern stand und das Erste war, das man sah, wenn man das Zimmer betrat. Die Wände hatte ich letztes Jahr in einem hellen Blauton gestrichen, zuvor waren sie gelb gewesen. Als ich kleiner war, hatte ich sie mit Wachsmalern beschmiert und das Meisterwerk meiner Mutter stolz präsentiert. Normales Papier wäre einfach nicht groß genug für mein Meisterwerk gewesen.
Über meinem schwarzen Laptop hing eine Pinnwand mit Notizen und Fotos. Neben meinem großen Ikea-Kleiderschrank stand ein Regal, in dessen zwei obersten Regalen ich nur Kuscheltiere aus meiner Kindheit lagerte.
Ich war schon ziemlich chaotisch, das sah man sofort. Auf meinem Schreibtisch lagen überall beschriebene Blätter und andere Utensilien verstreut, die Bücher waren auch eher in mein Regal gestopft als geschlichtet worden und meine Klamotten lagen auf dem Boden verteilt.
Vielleicht sollte ich ja wirklich mal aufräumen...
Jetzt müsste ich erst einmal lernen.
Auch, wenn ich keine Lust hatte, schnappte ich mir das bereits zerfledderte Mathebuch vom Tisch und warf mich mitsamt diesem aufs Bett.
Ich zupfte an dem rissigen Einband, während ich versuchte, mich zu konzentrieren. Schon, als ich die erste Aufgabe las, wäre ich beinahe vor Langeweile eingeschlafen. Jedoch machte ich tapfer weiter, bis ich drei Viertel der Aufgaben lösen konnte. Dann war es aber wirklich genug, immerhin sollte man einen Mathe-Versager nicht überfordern. Stöhnend ließ ich das Buch fallen und über den Fußboden in die Zimmerecke gleiten.
Als ich mich wieder aufrichtete und plötzlich jemanden vor mir sah, schrie ich schrill.
»Was machst du denn hier?«, rief ich hysterisch und sprang auf.
Hätte ich gute Reflexe und eine Waffe gehabt, würde jetzt eine Leiche vor mir liegen.
Der gutaussehende Verrückte von Ten Of Diamonds lachte gelassen und schwang sich von der gepolsterten Fensterbank, auf dem er zuvor ruhig gesessen und mich beobachtet hatte.
Erst, als er vor mir stand, bemerkte ich, wie groß er war. Sicherlich überragte er mich um einen Kopf. Mit dieser Kombination aus seiner Größe und der muskulösen Gestalt was es sicher ein Leichtes für ihn, andere einzuschüchtern.
Er blickte sich interessiert um. Ich konnte mir nur allzu gut vorstellen, dass sein Zimmer nicht aussah wie meines. Chaos konnte ich mir zwar vorstellen, aber keine Kuscheltiere und babyblauen Wände.
»Ich wollte dir einen kleinen Besuch abstatten!«, erwiderte er heiter und kam mit einem Gesichtsausdruck auf mich zu, als wäre es für ihn das Normalste auf der Welt, sich in das Zimmer einer fremden Person zu schleichen.
Ich starrte ihn immer noch ungläubig an.
»Wie bist du hier reingekommen?«, fragte ich und sah mich nervös nach einem Hinweis im Zimmer um.
»Hm? ... Durchs Fenster«, murmelte er völlig desinteressiert und blickte sich weiter im Raum um. Als er die Kuscheltiere sah, huschte kurz ein Grinsen auf seine Lippen.
Ich stand vom Bett auf, war jedoch darauf bedacht, weiterhin Abstand von dem Typen, der
ein richtiger Psychopath zu sein schien, zu halten.
»Hab ich dich jetzt überzeugt?«, fragte er plötzlich. Ich stemmte die Hände in die Hüften. Worüber redete er jetzt schon wieder?
»Wie bitte?«, fragte ich genervt, als er nicht von selbst auf die Idee kam, mir auf die Sprünge zu helfen. Er zuckte mit den Schultern und grinste, während er einen Schritt auf mich zu machte. Ich wich automatisch einen Schritt zurück.
»Habe ich dich nun davon überzeugt, dass ich ein Vampir bin?«, fragte er nun ausführlicher und kam noch näher. Als ich wieder zurückwich, spürte ich die Wand im Rücken. Jetzt hatte ich beinahe schon Angst, immerhin saß ich in der Falle, falls er mir etwas antun wollte.
»Nein, aber du hast mich überzeugt, dass du ein Psycho bist, so schwer ist es auch nicht, hier rein zu kommen«, meinte ich mit brüchiger Stimme.
»...Ohne Geräusche?«, fragte er und hob belustigt eine Augenbraue.
Ich rollte mit den Augen. Dieser Kerl war wirklich nervig! Nicht nur gutaussehend und verrückt, sondern auch eine Klette! Hätte er nicht diese einschüchternde Ausstrahlung, hätte ich ihn sicherlich schon längst lautstark zum Gehen aufgefordert.
»Was weiß ich, wie oft du diese Nummer schon woanders geübt hast! Mit Übung schafft das sicher jeder«, sagte ich mit einer dieser Situation entsprechend festen Stimme.
Er fuhr sich kurz grübelnd durch die Haare.
»Okay... Dann muss ich es dir wohl auf anderem Wege zeigen!«, sagte er.
Ich hatte langsam keine Lust mehr auf dieses Spielchen! Weshalb belästigte er mich mit etwas so Sinnlosem?
»Hör zu. Ich weiß nicht, weshalb du versucht, mich von Vampiren und Hokuspokus zu überzeugen. Du wirst sowieso scheitern. Ich bin ja nicht blöd!«
Er sah mich böse an.
»Ich beweise es dir jetzt. Bin gleich wieder da! Lauf nicht weg.«
Den letzten Satz hatte er voller Spott ausgesprochen, was nur ein weiteres Mal bewies, wie selbstgefällig er doch war. ‚Lauf nicht weg, ich find dich ja sowieso.‘ Ich wünschte mir, dass er nicht mehr zurückkam, wenn er jetzt ging.
»Okay, und bring mir Sekundenkleber für mein Fenster mit!«, motzte ich.
»Ich weiß nicht, wo ihr den aufbewahrt, aber das, was ich suche, finde ich bestimmt«, behauptete er mit einem geheimnisvollen Lächeln.
Und im nächsten Moment war er verschwunden!
Doch auch das überzeugte mich nicht davon, dass er ein Vampir war.
Das sagte mir eher, dass ich ihn mir nur eingebildet hatte. Obwohl... Das konnte auch nicht sein, sonst wäre ja ich die Verrückte.
Meine Zimmertür wurde vorsichtig geöffnet und Sarah stand im Türrahmen. Schlau, wie sie nun mal war, hatte sie mein Oberteil zuvor wieder ausgezogen und trug nun stattdessen ein weißes, ausgeleiertes T-Shirt.
»Ich habe Stimmen gehört... Ist wer bei dir?«, fragte sie dann und sah sich misstrauisch um. Glück gehabt, dass der „Vampir“ verschwunden war! Sonst hätte Sarah sicherlich einen Herzinfarkt erlitten.
»Nein, hier ist niemand!«, sagte ich so locker wie möglich und hoffte, dass sie den nervösen Unterton, der immer noch in meiner Stimme lag, nicht bemerkte.
»Mit wem hast du dann geredet?«, fragte sie neugierig.
Ich legte eine heitere Miene auf.
»Ich rede mit mir selbst! Du kennst mich doch, so bin ich manchmal!«, log ich kläglich drauf los und hoffte, dass es wenigstens ein bisschen glaubwürdig klang.
Lügen waren zwar nicht so meine Stärke, aber Sarah glaubte mir anscheinend. Sie zuckte mit den Schultern und machte die Tür wieder zu, bevor sie ging.
Als ich mich stöhnend umdrehte, hätte ich beinahe schon wieder geschrien. Dracula stand wieder vor mir! Wie machte er das nur? Es war wirklich furchteinflößend...
»Willst du, dass ich an einem Herzinfarkt sterbe?«, zischte ich.
»Nein, sonst könnte ich dich nicht mehr davon überzeugen, dass ich ein Vampir bin.«
Ich musste mich bemühen, nicht zu brüllen.
»Mann, bist du nervig! Was liegt dir bloß daran, mir zu beweisen, dass du ein Vampir bist?«, rief ich aufgebracht und reckte die Arme theatralisch in die Höhe.
Er zuckte grinsend mit den Schultern.
»Erzähl ich dir... Irgendwann mal.«
Irgendwann mal? Wie oft hatte er denn noch vor, plötzlich aufzutauchen und mich zu belästigen?
»Okay, dann beweis es und zisch ab!«
Ich setzte mich aufs Bett und sah ihn ohne große Erwartungen an. Er zog eines unserer Küchenmesser hinter dem Rücken hervor.
»Mist... Doch ein Mörder!«, rief ich und lehnte mich von ihm weg.
Er lachte, ging aber nicht weiter auf mich ein. Stattdessen hielt er sich die scharfe Klinge, die im Licht bedrohlich blitzte, an die Pulsader. Ich riss entsetzt die Augen auf.
»Was soll das werden? Bist du verrückt?«, fauchte ich.
Ja, war er, das wusste ich eigentlich schon.
Er guckte mich immer noch süffisant an, als er sich einmal horizontal in die Pulsader schnitt.
Oh Gott! Was zur Hölle, tat er da? Wieso brachte er sich um? Und wieso tat er es in meinem Zimmer? Und inwiefern würde das sein Vampirdasein erklären?
Oh wie eklig. Ich unterdrückte ein Würgen. Er würde sterben!
Augenblicklich bildeten sich auf dem schmalen Schnitt dicke Bluttropfen, die begannen, zu beiden Seiten herunterzulaufen und rote Spuren auf Draculas perfekter Haut hinterließen.
Gebannt starrte ich auf die Wunde. Dracula schien auch Schmerzen zu haben, lächelte aber immer noch souverän in meine Richtung. Immer schneller floss das Blut.
Doch was war das? Nach einiger Zeit hörte die Wunde wieder auf, zu bluten! Dracula wischte sich das Blut vom Handgelenk... Und da war auch keine Wunde mehr!
»Wow! Voll X-Men-mäßig!«, rief ich begeistert. Die Angst war wie weggeblasen. Ich erhob mich und krallte mir seine Hand, um die Stelle genauer zu untersuchen. Nicht einmal eine Narbe war zurückgeblieben!
»Also glaubst du mir?«, fragte er hoffungsvoll. Schnell ließ ich sein Handgelenk wieder los.
»Nö. War Wolverine etwa ein Vampir, nur, weil er das konnte?«, grinste ich.
Er schnaubte beleidigt.
»So jemand wie du ist mir ja auch noch nie untergekommen!«, murmelte er und schien fieberhaft zu überlegen, wie er mich denn von der Existenz von Vampiren überzeugen könnte.
»Hey! Mir ist was eingefallen! Ich habe eine Freundin, deren Vater arbeitet beim Zirkus, da kannst du ja mal...«
Ich hielt mitten im Satz inne.
Oh nein!
»Meine Mutter wird ausrasten!«, rief ich und raufte mir die blonden Haare.
Als er mich nur fragend ansah, deutete ich auf die roten Bluttropfen auf dem Parkettboden.
Dracula lachte schadenfroh.
»Sag ihr doch, dass du ganz plötzlich deine Periode bekommen hast!«
Ich nahm ein Kissen und bewarf ihn damit. Er wehrte es mit den Armen ab. Das war echt nicht lustig. Ich würde sicherlich Ärger bekommen. Die Flecken würden sich nun sicherlich im Boden verewigen.
»Okay, okay... Ich kümmere mich darum!«, sagte er und hob entschuldigend die Hände, als ich kurz davor war, ihm an die Gurgel zu springen.
»Natürlich wirst du das! Ist ja auch dein Blut!«, meckerte ich, »Und wenn der Fleck nicht raus geht, bist du tot! Oh, nein, warte! Du bist ja ein "Vampir", dann musst du ja schon längst tot sein!«
Den letzten Satz hatte ich so sarkastisch gesagt, dass er kurz davor stand, seine Unterlippe wie ein schmollendes Kleinkind nach vorne zu schieben.
»Ich werde es dir schon noch beweisen!«, meinte er beleidigt und zog die Augenbrauen zusammen.
»Alles klar. Aber erst mal kommt der Fleck da weg«, herrschte ich ihn an.
Ich konnte meine Mutter schon vor mir sehen, wie sie mir mit hochrotem Kopf eine Predigt darüber hielt, wie empfindlich unser Parkettboden war.
Ich ging aus dem Zimmer und knallte die Tür hinter mir zu.
Als ich die Haustür aufgehen hörte, eilte ich nach unten.
»Hey Jamie! Hilf mir mal bitte! Ich war noch kurz Einkaufen«, keuchte meine Mutter, als sie mich erblickte. Sie hielt drei schwer wirkende Einkaufstüten in den Händen.
»Hast du schon Mathe gelernt?«, fragte sie, als ich ihr eine Tüte abnahm.
Die Tüten waren so schwer, dass mir die weißen Henkel aus Plastik in die Finger schnitten.
»Ja, hab ich. Du warst ganz schön lange weg.«
Sie lächelte mich komisch an.
»Ja, ich habe mich noch ein wenig mit dem neuen Jungen in der Nachbarschaft unterhalten.«, sagte sie mit einem Unterton, den ich nicht identifizieren konnte, als wir die Sachen in die Küche trugen.
»Der, mit dem ich mich vor dem Ten Of Diamonds unterhalten habe?«, fragte ich nach, obwohl ich die Antwort schon kannte.
»Ja, genau der. Sein Name ist übrigens Yven, und er geht ab jetzt auf deine Schule!«
Das durfte doch nicht wahr sein! Nicht so viel Pech auf einmal, bitte!
Ich ließ die schwere Tüte auf die Küchentheke sinken.
»...Interessant«, murmelte ich und versuchte, meine Enttäuschung zu verbergen. Zu gerne hätte ich auf diesen Yven verzichtet.
»Weißt du, er ist wirklich nett! Vielleicht solltest du dich öfters mit ihm treffen!«
Perplex riss ich den Kopf hoch.
»Was hast du gesagt?«, fragte ich sicherheitshalber noch einmal nach.
Sie sah mich nicht einmal an, sondern packte eifrig die Einkäufe aus.
»Du hast mich schon verstanden.«
Wie konnte sie nicht bemerkt haben, was für ein Freak dieser Yven war? Hatte er sie nicht auf sein "Vampirdasein" angesprochen?
Wahrscheinlich nicht, denn sonst würde sie ihn sicherlich ebenfalls für verrückt halten.
»Ich... werde es mir überlegen«, log ich und verschwand aus der Küche.
Ich ging zurück in mein Zimmer. Yven, der sich nun den Spitznamen Dracula eingeheimst hatte, war verschwunden, ebenso, wie die Bluttropfen auf dem Boden.
Er konnte ganz schön faszinierende Dinge – Einfach geräuschlos in Häuser einbrechen, Flecken verschwinden lassen und einen schnellen Heilungsprozess. Aber dennoch war er kein Vampir! Ich glaubte nicht an etwas so Banales und würde es auch nie tun..
Kapitel 2: Alte und neue Übel
»Ich bin wirklich krank!«, sagte ich am nächsten Tag verzweifelt flehend zu meiner Mutter und hustete einmal gekünstelt. Diese schüttelte seufzend den Kopf. Meiner Schwester konnte ich vielleicht etwas vormachen, nicht aber meiner Mutter.
»Wenn du wirklich krank wärst, würdest du nicht barfuß und nur im T-Shirt durch die Gegend laufen!«, sagte sie streng und verschränkte die Arme. Sarah verkniff sich ein Lachen und nahm stattdessen einen Schluck aus ihrer Teetasse.
»Ich bin krank!«, versuchte ich es weiterhin vehement. Nur nicht aufgeben, Jamie!
Ich wollte nicht in die Schule. Nicht, solange die Chance bestand, dass ich dort auf Dracula traf. Die ersten beiden Begegnungen waren sicherlich schlimm genug gewesen, und ich konnte gut auf ein weiteres Treffen dieser Art verzichten.
»Bist du nicht! Also, zieh dich an, sonst kommst du zu spät in die Schule!«, meinte meine Mutter in einem noch ernsten Ton.
Ich setzte mich mit finsterer Miene auf den Stuhl und verschränkte demonstrativ die Arme.
»Ich werde nicht in die Schule gehen!«, sagte ich langsam und deutlich und hätte Sarah am liebsten mein Marmeladenbrot ins Gesicht gedrückt, weil sie mich leise auslachte.
»Gut, dann fahre ich dich eben hin!«, sagte meine Mutter in einem Tonfall, der keine Widerrede duldete.
»Aber... Nein, das ist so peinlich! Das kannst du doch nicht machen!«, rief ich schockiert und sprang schnell auf.
Wollte sie mich vor der Schule rauslassen? Oder sogar noch mit reinkommen? Oh nein, das durfte sie einfach nicht machen! Ich hatte schließlich auch einen Ruf zu verlieren!
»Das hast du jetzt selbst zu verantworten. Ich sorge dafür, dass du heute dieses Schulgebäude betreten wirst!«, sagte meine Mutter genervt.
Gut, dann würde ich eben reingehen und durch den Hinterausgang wieder verschwinden.
»Fein!«, schnappte ich, stampfte die Treppen hoch und verschwand dann in meinem Zimmer.
Ich wollte diesen Dracula nicht in der Schule sehen. Er war ein unzurechnungsfähiger Psychopath. Leider konnte man ihm das aber nicht ansehen.
Ich konnte es mir schon genau ausmalen: Unzählige Schülerinnen, die ihn anhimmelten und aufpassen mussten, dass sie ihm nicht seine sicher unverschämt teuren Schuhe besabberten, weil sie ihn langsam vor ihrem inneren Auge auszogen.
Mister Universe würde was von mir zu hören bekommen, wenn er sich an eine von diesen Tussis ran machen – oder an ihrem Hals knabbern – würde.
Wütend zog ich mein XXL T-Shirt, das mir bis zu den Knien reichte und ich immer beim Schlafen trug aus und ließ es achtlos neben mir auf dem Boden den fallen. Ich musste grinsen. Wow, wenn ich hier nicht bald aufräumte, könnte ich in ein paar Wochen den Fußboden nicht mehr sehen!
Ohne mir große Gedanken über mein heutiges Outfit zu machen holte ich ein schwarzes Top aus dem Kleiderschrank, der halb leer war, weil ja so viel auf dem Boden lag, und zog es mir über. Die Hose hob ich dann aber gleich vom Boden auf, das war der einzige Vorteil an meinem Verhau. Man musste nur auf den Boden gucken und konnte sich dann das nehmen, was man brauchte. Vorausgesetzt, es war sauber natürlich.
»Verrückt!«, meinte ich jedoch Sekunden später über meine eigenen Gedanken. Nun mal wirklich, ich konnte doch nicht immer Sachen vom Boden tragen.
Heute würde ich aufräumen, egal, was dagegen sprach!
Ich lief ins Bad und putzte schnell meine Zähne.
»Komm runter, Jamie! Du musst jetzt!«, erklang die Stimme meiner Mutter von unten.
Was? Ich sah immer noch aus wie eine Vogelscheuche! Nur noch schnell die Haare bürsten...
»Jamie! Komm sofort hier runter!«, rief meine Mutter jetzt noch lauter.
Ich stürmte mit der Haarbürste in der Hand aus dem Bad und flitzte nach unten. Ich wollte jetzt keinen Streit mehr provozieren.
Hastig stellte ich mich vor den Spiegel, der im Flur stand, und kämmte mir die Haare, während ich in meine Turnschuhe schlüpfte. Zum Glück beherrschten Frauen Multitasking!
»Komm, du musst jetzt«, wiederholte meine Mutter noch genervter als zuvor.
Ich hatte gerade noch genug Zeit, mir meine Jacke und die Umhängetasche zu schnappen, bevor ich drängelnd vor die Haustür geschoben wurde.
Als ich mich endlich auf dem Beifahrersitz des Autos befand und meine Mutter den Motor mit einem leisen Stöhnen anließ, waren es nur noch vier Minuten bis zum Unterrichtsbeginn. Zum Glück lebten wir ja in einer kleinen Stadt, sodass der Weg nicht besonders weit war und ich es wahrscheinlich noch rechtzeitig zum Unterrichtsbeginn schaffen würde.
Während ich versuchte, meine Mutter mit Blicken zu massakrieren, summte sie fröhlich den Song im Radio mit. Das störte mich nach einer Weile so sehr, dass ich irgendwann einfach den Sender wechselte. Dafür erntete ich zwar einen bösen Blick, aber bei „Highway To Hell“ würde sie sicher nicht versuchen, mitzusingen. Und das Lied beschrieb meine derzeitige Lage doch ausgesprochen gut.
Meine Mutter parkte direkt vor dem Haupteingang der Schule. Ich stieg finster dreinblickend aus. Sie warf mir noch einen warnenden Blick zu, bevor sie wortlos wendete und wieder davonfuhr.
Als ich mich umwandte, musste ich leise fluchen. Ausgerechnet sie hatte gesehen, dass ich noch in die Schule gefahren werden musste! Anna belächelte mich süffisant, während sie lässig neben dem Haupteingang lehnte, neben ihr natürlich drei ihrer nach ihrer Aufmerksamkeit lechzenden „Freundinnen“.
Anna. Meine ehemalige beste Freundin. Ich kannte sie schon seit dem Kindergarten – wenn nicht sogar noch länger. Wir waren unzertrennlich gewesen. Das war zumindest so gewesen, bis die Pubertät in unserem Leben wie eine Bombe eingeschlagen war. Früher hätte sie Jungs mit Essen beworfen, jetzt sah sie diese eher an, als wären sie etwas zu Essen. Ihre Röcke waren kürzer und die Ausschnitte größer geworden. Damit allein wäre ich noch zurechtgekommen., doch sie hatte von mir verlangt, ihr alles gleichzutun. Denn sie brauchte ja unbedingt eine ‚coole‘ beste Freundin. Erst am Anfang dieses Jahres hatte ich es über mich gebracht, unsere Freundschaft zu beenden. Seitdem war sie auf dem Rache-Trip. Bei jeder guten Gelegenheit machte sie eine unangebrachte Bemerkung. Einmal hatte sie sogar versucht, sich an David, meinen festen Freund, ranzumachen.
Als ich an ihr vorbei eilte, um noch rechtzeitig zu kommen, landete ihr Fuß „zufällig“ vor meinen Beinen, doch ich kannte solche Spielchen bereits und machte einen großen Schritt über ihre auffällige Stolperfalle.
Ich ignorierte die Gruppe der aufgetakelten Mädchen einfach. Anna und ihr dümmliches Gefolge waren heute nicht meine größte Sorge. Meine Größte Sorge war Yven – der heißeste Mensch (oder Vampir) der Welt, zumindest hielt er sich dafür.
Aber vielleicht würde ich morgen ja zur Not mit einem Holzpflock bewaffnet in die Schule gehen. Dann würde er seine Behauptungen sicher zurück nehmen…
Bis jetzt hatte ich ihn aber noch nirgends gesehen, also bestand vielleicht die Möglichkeit, dass er heute nicht zur Schule kommen würde oder vielleicht sogar nicht einmal hier angemeldet war.
Vielleicht hatte er meiner Mutter ja nur etwas vorgelogen, um sich ein bisschen beliebt zu machen…
Je mehr ich darüber nachdachte, desto größer wurde meine Hoffnung, den Tag zu überstehen, ohne diesem äußerst merkwürdigen Jungen zu begegnen.
Ich ging gleich den linken Korridor entlang, in dem ich meine erste Stunde hatte: Mathematik. Mir lief ein Schauer über den Rücken.
Ich kam gerade noch rechtzeitig in den Klassenraum, zwei Sekunden vor dem Läuten.
Schnell setzte ich mich auf meinen Platz.
»Schau jetzt nicht hin, aber Marvin...«, begann Catherine, die vor mir saß und sich umgedreht hatte, sofort.
»...Marvin schaut schon wieder herüber?«, vervollständigte ich ihren Satz.
Sie nickte und warf mir einen mitleidigen Blick zu, den ich mehr als nur verdient hatte. Ausgerechnet in mich musste Marvin, dieser Streber, verknallt sein.
Ich war bereits vergeben, und das wusste Marvin auch. Doch das schien ihn nicht zu interessieren, ebenso wenig, wie es David interessierte, dass ich ständig von einem anderen begehrt wurde. Anscheinend war er sich seiner Position an meiner Seite sehr sicher.
»Keine Sorge, das wird bestimmt bald aufhören«, sagte Crab, der neben mir saß, als er meinen Gesichtsausdruck bemerkte. Sein Grinsen verriet allerdings seine Schadenfreude.
Ich rollte mit den Augen. Crab zeigte so gut wie nie Mitleid. Das hatte man ja schon gesehen, als ich mein Handy verlegt hatte.
Der Lehrer, Mr. Gray, kam um die Ecke gebogen. Es sah echt peinlich aus, wie er sich kleidete. Hornbrille, rot-weiß kariertes Hemd, das in die Hose geschoben war, graue Haare, wobei da nicht mehr viele übrig waren, und ein Bierbauch.
Das einzige, was mir über die wie immer schrecklich langweilige Stunde verhalf, war, dass Crab mir lauter Witze erzählte, während Mr. Gray in seine Erklärungen über die Polynomdivision versunken war.
Als es läutete, packte ich schnell meine wenigen Materialien wieder ein und stürmte als erste aus dem Klassenzimmer.
Jetzt hatte ich Englisch, und das war ja wohl das beste Fach des Tages. Es war wirklich toll, und die Lehrerin, Mrs Finche, war wirklich wie geschaffen für diesen Beruf! Sie gestaltete den Unterricht wirklich interessant und brachte selbst die faulsten Schüler dazu, sich einmal zu melden. Ich freute mich jetzt schon auf den Unterricht, und nichts auf der ganzen Welt würde mich umstimmen!
»Nein!«, schrie ich auf und blieb erstarrt stehen.
Das konnte jetzt nicht wahr sein!
Nein, nein, nein! Auch, wenn ich nur einen schwarzen Haarschopf sah, verrieten mir die Mädchen, die um diese Person versammelt waren, sofort, um wen es sich handelte. Es war die Person, von der ich inbrünstig gehofft hatte, sie nie wieder zu sehen.
Wutschnaubend stampfte ich die letzten Schritte auf die anderen Leute meines Kurses zu und gesellte mich freiwillig zu der männlichen Hälfte. Die weibliche Hälfte war ja damit beschäftigt, Dracula anzuschmachten.
Ich könnte das nicht. Dieser Idiot hatte mir gerade das schönste Fach des Tages verdorben.
Der einzige Trost war, dass ich gemeinsam mit David Englisch haYtte und auch in der Reihe vor ihm saß. Als ich ihn erblickte, huschte mir sofort wieder ein Lächeln auf die Lippen.
David hatte wunderschöne, dunkelblonde Locken und blaue Augen. Sie hatten beinahe meinen Farbton, waren jedoch noch etwas heller. Auf seinem Mund war wie immer ein breites Lächeln. Wenn er lachte, steckte er damit automatisch alle anwesenden an.
»Hey«, schmunzelte er und gab mir einen schnellen Kuss auf die Wange. Auch, wenn wir schon seit zwei Monaten zusammen waren, war das Prickeln, das sich dort ausbreitete, wo er mich berührte, immer wieder überwältigend schön.
Mrs Finche kam herbeigeeilt und entschuldigte sich für die Verspätung, während sie das Klassenzimmer aufsperrte.
Ich beobachtete, wie Dracula sich genüsslich auf den Stuhl neben David fallen ließ.
Der Arme…
So konnte er sich aber gleich selbst ein Bild von Draculas „Qualitäten“ machen: Toller Körper, große Klappe, kleines Hirn.
Ich holte meinen Block, die aktuelle Lektüre und einen Kugelschreiber aus der Tasche und Mrs Finche begann den Unterricht. Sogar sie schien angetan von dem neuen, supertollen Schüler, der sich sogar Notizen im Unterricht machte – oder zumindest so tat, als ob.
»Hey Jamie! Kennst du den Neuen?«, flüsterte plötzlich Livia, die vor mir saß.
Etliche neugierige Augenpaare von Mädchen blickten mir entgegen.
»Nö«, log ich und zuckte gleichgültig mit den Schultern. Sie nickten bloß und guckten dann wieder wie läufige Hündinnen zu Yven. Als dieser das bemerkte, lächelte er sie charmant an, wie er es zuvor bei meiner Mutter getan und sie so um den Finger gewickelt hatte.
»Was ist das denn hier für ein Zirkus? Dreht euch wieder um und macht euch Notizen, nächstes Mal beginnen wir ein neues Thema, also ist heute die letzte Chance, dass ihr den Stoff verinnerlicht!«
Die Mädchen in den vorderen Reihen fühlten sich glücklicherweise angesprochen und wandten sich nun schweren Herzens wieder um.
Zufrieden folgte ich dem Unterricht und machte, wie Dracula, sogar Notizen.
Als die Stunde meines Ex-Lieblingsfachs endlich beendet war, ließ ich mir ausgesprochen viel Zeit, um meine Sachen einzupacken.
Nicht etwa, weil ich Dracula beobachten wollte, wie er grinsend aus dem Klassenzimmer schritt, ohne mich aus den Augen zu lassen, sondern, weil ich als nächstes eine Doppelstunde Mathe hätte. Mir lief ein leichter Schauer des Grauens über den Rücken.
Mathe war schrecklich, mit unserer unfähigen Lehrerin, die alles entweder zu ausführlich oder zu knapp erklärte. Außerdem fand ich es schrecklich, weil ich Mathe nicht nur mit Marvin, sondern auch mit Anna hatte! Noch lustiger konnte es eigentlich nur werden, wenn auch Dracula dabei wäre...
Glücklicherweise war er es aber nicht. Doch wie sagt man so schön? „Die Ruhe vor dem Sturm“.
Ich schlenderte nach der Stunde entspannt mit Catherine und Crab in Richtung Cafeteria. Die beiden hatten anscheinend noch überhaupt nichts von Dracula mitbekommen.
Doch das änderte sich schlagartig, als wir die Cafeteria betraten.
So einen Anblick hatten die beiden sicher noch nie erlebt. Und damit meinte ich nicht Yven – sondern das, was er mit der Cafeteria angestellt hatte.
Es war ein wirklich komischer Anblick. Fast alle Mädchen befanden sich auf der linken Seite, die meisten Jungen auf der rechten. Bis auf eine Ausnahme natürlich.
Dracula stand natürlich inmitten der Mädchen. Jedes weibliche Wesen im Raum hatte seine Augen auf ihn gerichtet – einschließlich mir und der dicken Cafeteriatante. Aber mein Blick war eher böse und überrascht, während hingegen die anderen Mädchen ihn so begeistert anblickten, als würde ein Hypnosezauber von ihm ausgehen.
»Kennst du den Typen, Jamie?«, fragte Catherine. Selbst sie schien nicht ganz abgeneigt, sich zu Dracula zu gesellen.
Ich antwortete ihr dasselbe wie zuvor auch den anderen Mädchen.
»Nö.«
In dem Moment blickte Yven mir über die Mädchen hinweg direkt in die Augen.
»Hey Jamie!«, rief er und winkte mir heiter zu.
Ich zuckte zusammen. Schon wieder klang seine Stimme wie Sand und Honig.
Das war wirklich gemein. Es konnte doch kein Zufall gewesen sein, dass er ausgerechnet in diesem Moment meinen Namen rief und so meine Lüge auffallen ließ!
Catherine und Crab hoben beide die Augenbrauen und sahen mich unbarmherzig an.
»Okay, er ist der Typ, der mein Handy gefunden hat!«, gab ich beleidigt zu.
Ich bekam große Lust, Dracula den Tag richtig zu Hölle zu machen, jedoch versuchte ich, mich abzuregen, indem ich meine Kiefer aufeinander presste.
»Das ist er?«, fragte Catherine und wirkte beinahe schon beleidigt, weil ich ihr kein Sterbenswörtchen davon verraten hatte, dass der Finder des Handys so unheimlich attraktiv war.
Anscheinend war nicht einmal meine beste Freundin gegen Dracula immun.
»Du scheinst ihn ja sehr zu mögen!«, sagte sie sarkastisch und verkniff sich ein Grinsen. Auch Crab sah mich mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck an.
Wir drei setzten uns an einen Tisch, der auf der Jungenseite war, was Catherine sogar ein wenig zu stören schien. Ich hoffte, dass sich diese Neugierde bald wieder legen würde.
»Wo ist eigentlich David?«, fragte Crab mich beiläufig und holte sein Mathematikheft hervor. Er war ein richtiges Mathe-Ass und hatte mir in der siebten und achten Klasse Nachhilfe gegeben, weil ich im Stoff nicht mehr ganz hatte folgen können.
»Ich weiß nicht«, erwiderte ich schulterzuckend.
Seit dem Englischunterricht hatte ich ihn nicht mehr gesehen.
»Wahrscheinlich wieder mal beim Training…«
Da David im Football-Team war, machte ihn das gleichzeitig auch zu einem der Aushängeschilder der Schule. In einer unbekannten Schule in einem unbekannten Städtchen war das Football-Team so ziemlich der einzige Stolz.
Ich würde ihn jedoch später sicherlich wieder sehen, immerhin hatten wir noch gemeinsam Biologieunterricht. Ich saß sogar neben ihm. Alleine dieser Gedanke zauberte mir wieder ein Strahlen aufs Gesicht.
Zunächst hätte ich jedoch Geschichte. Mal sehen, ob ich da wieder das Glück hatte, Dracula um mich zu haben.
Vorsichtig spähte ich um die Ecke. Kein merkwürdig gutaussehender Kerl in Sicht! Locker und entspannt ging ich weiter. Diese Stunde konnte ich also ohne genießen, ohne Angst haben zu müssen, dass mir jemand plötzlich in den Hals biss, um mir etwas „zu beweisen“... Blutflecken auf dem Oberteil konnte ich wirklich nicht gebrauchen.
Aber ich hatte ja noch immer die Stunden Biologie und Religion, in denen Dracula versuchen könnte, mich zu ärgern...
Während meine Geschichtslehrerin, Mrs Sheppard, uns etwas über Napoleon erzählte, kritzelte ich grinsend Yven als Strichmännchen auf meinen Block – und malte eine Schlinge um den Hals. Die gleiche Figur zeichnete ich immer wieder, nur immer wurde Dracula anders umgebracht: Mal nach den alten Folkloren gepfählt, mal von Krokodilen (die eher aussahen wie Hunde mit Schuppen) gefressen und so weiter.
Nach zwanzig Minuten hatte ich eine ganze Blockseite voll.
Mir fiel auf, dass ich Dracula, dafür, dass ich ihn erst seit zwei Tagen kannte, schon ziemlich hasste und ihn jederzeit in einem Versteck vermutete, aus dem er mich anfiel.
»Jamie! Wann ist Napoleon gestorben?«, rief Mrs Sheppard mich plötzlich auf.
Ich riss den Kopf hoch. Woher sollte ich das denn wissen?
»Ich weiß es nicht…«, antwortete ich gepeinigt und verdeckte sicherheitshalber unauffällig mit einer Hand meine Kritzeleien.
Den Rest der Stunde stellte Mrs Sheppard mir glücklicherweise keine Fragen mehr, was aber auch daran liegen könnte, dass sie mich nun als unfähig einschätzte. Sie hatte mich sowieso nie gemocht. Als es endlich läutete, wollte ich wieder nicht lange zögern und aus dem Klassenzimmer verschwinden. Mrs Sheppard warf mir schweigend einen giftigen Blick hinterher.
Das letzte, was ich jetzt wollte, war Zeit vergeuden. Immerhin musste ich noch herausfinden, ob ich die „Ehre“ hatte, Biologie mit Dracula zu genießen.
Obwohl es erst in ein paar Minuten läuten würde, hetzte ich zum Biologiesaal und lehnte mich hibbelig an die Wand. Wenn ich die Erste wäre, würde ich Dracula auch zuerst bemerken!
Schon ein paar Sekunden nach dem Läuten stürmten viele Schüler aus dem Klassenzimmer. Eigentlich könnte ich den Saal nun schon betreten, aber hier draußen hatte ich einen besseren Überblick. Anscheinend war ich wirklich paranoid, denn ich erinnerte mich an keine andere Person in meinem Leben, bei der ich so darauf bedacht war, sie nicht zu treffen, wie bei Yven.
Die ersten Leute aus meinem Kurs kamen.
Marvin, Catherine und David waren auch darunter. Ich war so auf die drei fixiert, dass ich nicht merkte, wie sich jemand von hinten an mich schlich.
»Durst!«, keuchte dieser Jemand plötzlich in mein Ohr und ich schrie erschrocken auf. Als ich mich umdrehte... Na, wer stand da wohl vor mir?
»Yven.«
Na super. Jetzt blieb nur noch die Hoffnung, dass er mich während der Stunde nicht störte.
»Hast du jetzt auch Bio?«, fragte ich und zog eine Grimasse.
»Ja! Toll, oder? Du, ich, und vielleicht noch ein paar sezierte Frösche...«
Ich sah, dass David mich mit gehobener Augenbraue beobachtete. Er wurde jetzt aber nicht eifersüchtig, oder?
»Setz dich einfach so weit wir möglich von mir weg«, sagte ich kühl zu Dracula und folgte einigen anderen Schülern ins Klassenzimmer.
»Dann werde ich dich aber vermissen!«, rief Yven mir in genau dem Moment hinterher, als David neben ihm stand. Das war jetzt aber sicherlich Absicht gewesen.
Und ich bemerkte sofort, was seine Absicht gewesen war, als David sich mit nachdenklicher Miene neben mich setzte und mich nach einiger Zeit prüfend musterte. Einige Mädchen blickten verwirrt zwischen mir und Yven hin und her.
»Jamie...«
»Nein, David! Es war nur ein blöder Spruch!«, sagte ich sofort verteidigend ohne David anzusehen.
Ich wollte nicht sehen, wie David sein Gesicht wegen einer solchen Kleinigkeit verzog. Ich wollte überhaupt nie sehen, wie er sein Gesicht verzog. Doch anscheinend war er inzwischen schon eifersüchtig auf Dracula. Nein, das konnte nicht sein.
»Tut mir leid. Es ist nur... Der Typ hat sogar eine schöne Handschrift!«
Ich grinste und boxte David in die Schulter. Wenn er noch scherzen konnte, war er sicher nicht eifersüchtig.
»Wegen seiner Handschrift werde ich dich schon nicht in die Wüste schicken!«
Er lächelte mich wieder an und strich schnell mit der Hand über meine Wange.
»Mir wird schlecht!«, kam es leise von hinten. Wütend drehte ich mich um und warf Yven einen Killerblick zu.
David räusperte sich und wandte sich verlegen nach vorne an die Tafel.
Ich machte mir ein paar Notizen zu den verschiedenen Formen von Zellen und wagte es auch nicht, David anzusprechen. Bis auf Yven fiel mir im Moment kein Gesprächsthema ein, und ich glaubte, dass es David in diesem Falle lieber war, wenn ich schwieg.
Als es jedoch läutete und David seine Sachen so hastig einpackte, dass ihm das Buch dabei auskam und auf den Boden fiel, fasste ich mir doch ein Herz.
»Weshalb hast du es so eilig?«
Er blickte mich einen Augenblick lang perplex an, bevor er antwortete.
»Ich hab Training«, meinte er lächelnd.
Verwirrt sah ich ihn an. Ich dachte, er hatte heute Mittag Training gehabt?
»Kann ich wieder kommen und zusehen?«, fragte ich.
David verzog merkwürdig das Gesicht und ließ sein Buch in der Tasche verschwinden.
»Tut mir leid. Der Coach hat ausdrücklich gesagt, dass wir niemanden mitbringen sollen. Das Ende der Saison steht an, da erwartet er nun mal, dass wir zu hundert Prozent bei der Sache sind.«
Ich seufzte enttäuscht.
»Ich versteh’ schon«, murmelte ich und packte mein Buch ebenfalls weg.
David entschuldigte sich leise und gab mir wie immer einen flüchtigen Kuss auf die Wange, bevor er verschwand.
Dracula kam mit gehobenen Augenbrauen auf mich zu und verschränkte die Arme.
»Hat dein Liebster dich sitzen gelassen?«, lächelte er böse.
»Das ist immer noch besser, als sich einzubilden, ein Vampir zu sein!«, feuerte ich zurück und schnappte mir meine Tasche, »Bis morgen, du Blödmann.«
Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, war, dass ich Yven nicht erst morgen in der Schule wiedersehen würde.
Kapitel 3: Neue Bekanntschaften
Endlich zu Hause, weit weg von Yven… Sarah und Mom waren auch noch nicht da, weshalb ich auch keine Angst vor anderen Nervensägen haben musste.
Während ich langsam meine Zimmertür öffnete, ertönte in meinem Kopf die Titelmelodie von „Mission Impossible“. Immerhin konnte hinter dieser Tür ein blutrünstiger Vampir, oder noch besser, ein blutrünstiger Psychopath, auf mich warten!
Doch niemand war da. Entspannt ließ ich mich in mein Bett fallen. Einfach mal eine Runde Ausruhen... Ich ließ meinen Blick durch mein Zimmer schweifen, über den Schrank, und dann die Wände entlang.
Plötzlich holte ich scharf Luft.
»Das hat er nicht getan!« schrie ich und sprang auf.
Was sollte das? Wenn ich ihn in die Finger kriegte...!
»Gefällt dir meine Überraschung?«, fragte plötzlich eine amüsierte Stimme hinter mir.
Ich wusste sofort, dass es Dracula war, immerhin hatte nur er so eine verdammt schöne Stimme, wobei ich ihm gerade dafür gerne die Stimmbänder herausreißen würde.
Ich drehte mich blitzschnell um und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige.
»Mach die sofort weg, sonst landest du im Krankenhaus!«, schrie ich und deutete auf die Playboy-Poster, die an meiner Wand hingen. Perverses Schwein!
»Sind die aus deiner Privatsammlung?«, rief ich böse.
Yven sah mich an, als wäre ich ein kleiner Hundewelpe.
»Du bist so süß, wenn du sauer bist!«, grinste er dann selbstgefällig.
»Und du bist süß, wenn du tot bist! Also mach die Dinger sofort runter!«, zischte ich.
Yven fing an, schallend zu lachen.
»Ich bin schon tot, also muss ich keinen Finger rühren!«, grinste er.
»Hör endlich auf mit dem Quatsch! Du weißt doch, dass ich dir das nicht glaube!«
Draculas Blick wurde finster, wie immer, wenn ich sein Vampirdasein abstritt.
»Jamie! Ich...«
Ich unterbrach ihn aufgebracht.
»Das ist schon der nächste Punkt! Woher kennst du meinen Namen?!«, rief ich ärgerlich und unterdrückte den Drang, ihn mit was auch immer neben die Poster an die Wand zu nageln.
»Wir kennen uns aus der Schule! Da hast du deine plausible Erklärung!«, meinte er schulterzuckend. Ich überlegte einen Moment und schüttelte dann energisch den Kopf.
»In der Schule wusstest du ihn schon, bevor er genannt wurde. Schon vergessen?! Vor der Mittagspause konntest du meinen Namen noch gar nicht kennen!«
Er seufzte und machte einen Gesichtsausruck, als würde er sich mit einem Kind unterhalten.
»Denk nach! So schwer ist die Lösung nicht herauszufinden, selbst für eine Frau.«
Das ignorierte ich gnädigerweise einmal und überlegte. Woher kannte er meinen Namen? Als es mir einfiel, wäre ich beinahe an die Decke gesprungen.
Mary Ascott! Deine eigene Tochter an die Ausgeburt der Holle zu verraten!
»Okay, dein Gesichtsausdruck sagt alles«, grinste Dracula.
»Du bist echt dämlich!«
Yven grinste mich noch immer an.
»Ich? Du weißt sicherlich, dass sich das Wort „dämlich“ von „Dame“ ableitet.«
Ein Tritt. Ich müsste ihm nur einmal zwischen die Beine treten, und er würde winselnd am Boden liegen.
»Ich wusste gar nicht, dass du auch mal schlau sein kannst!«, murmelte ich stattdessen.
»Vampire merken sich alles, was sie einmal gehört haben«, antwortete er in gleichgültigem Ton und ließ sich in mein Bett fallen, »Also bin ich wahrscheinlich schlauer als jeder andere, den du kennst.«
Wie oft hatte er sich wohl schon in Betten von Mädchen fallen lassen? Ich schnaubte.
»Hörst du bitte endlich mal auf mit dem Quatsch von Wegen Vampir?«, schrie ich, »Wie lange willst du mich noch damit nerven, du Psychopath?«
Dracula stöhnte auf und fuhr sich nachdenklich durch die Haare. Mann, das sah echt klasse aus, wenn er das machte…
Aufhören, das hatten wir doch schon mal!
Plötzlich sprang Yven auf. Er sah mich mit einem Blick an, den ich als irre, aber sexy bezeichnen würde.
»Wie soll ich es dir beweisen?«, fragte er beinahe schon quengelnd.
»Was weiß ich?! Schütte dir doch Weihwasser über den Kopf! Wenn du verbrennst, warst du ein Vampir!«
Er stöhnte.
»Erstens: Das würde mir ja wohl am wenigsten bringen, oder? Und zweitens: Das ist nur so ein dämlicher Mythos.«
Erstens: War ja klar, dass er wieder mal nur an sich dachte. Zweitens: Mist aber auch!
»Dann sag du mir doch, was ihr „Vampire“ so könnt!«, meinte ich genervt und verschränkte die Arme.
»Wir können Gedanken lesen!«, meinte er schließlich.
Ich hob interessiert die Augenbrauen. Das müsste er nun wirklich beweisen!
»Was denke ich gerade?!«, fragte ich deshalb prüfend.
Er verzog das Gesicht und sah mich bedauernd an.
»Ich bin der einzige Vampir, der es nicht kann.«
Ich musste darüber grinsen, dass er dachte, ich würde ihm das abkaufen. Ausgerechnet er war also der einzige, der mir nicht beweisen konnte, dass er ein „Vampir“ war?!
»Aber das mit dem Gedankenlesen kann ich dir anders beweisen!«, sagte er enthusiastisch. Ja klar!
Als er bemerkte, dass ich keinerlei Anstalten machte, auf das Angebot einzugehen, kam er mit einem bedrohlichen Blick auf mich zu. Mir machte er so schnell keine Angst. Als ich immer noch schwieg und ihn nur abwartend anblickte, packte er mich einfach an der Taille und warf sich mich über die Schulter.
»Was soll das, du...«, setzte ich an, verstummte dann aber und ließ mich davontragen.
Typen wie er standen doch darauf, wenn man sich wehrte, sie setzten es darauf an, indem sie uns zeigten, dass sie stärker waren, und wir uns wehrlos gegen den festen Griff wehrten!
Deshalb ließ ich mich von ihm tragen und machte mich extra schwer. Ich kam mir ein bisschen vor wie ein Kartoffelsack, aber das war Yven ja sowieso egal.
»Das gibt Rache, Dracula!«, murmelte ich nur, als er aus dem Zimmer ging.
»Dracula?«, fragte er. Ich konnte sein Grinsen hören, obwohl ich gerade nur auf seinen Hintern gucken konnte. Und was für ein Hintern das war!
Einen Augenblick mal! Ich hatte einen Freund. So sollte ich nun wirklich nicht denken!
»Passt doch zu dir!«, sagte ich gleichgütig und versuchte nicht mehr auf seinen Allerwertesten zu starren.
»Sag bloß, ich sehe aus wie Dracula!«, lachte er.
»Hmmm, nein...«, seufzte ich und konnte den Blick immer noch nicht abwenden.
»Wo gehen wir überhaupt hin?!«, fragte ich, als Yven die Haustür öffnete und mit mir hinaustrat. Wenn uns so jemand sehen würde…!
»Zu mir nach Hause.«
»Iiih!«, rief ich angewidert und begann doch, mich gegen seinen Griff zu wehren.
»Was ist denn so schlimm daran?!«
Ich zappelte weiter und versuchte, meine Fingernägel in seinen Rücken zu bohren. Leider waren sie aber viel zu kurz.
»Da will ich nicht rein! Oder zumindest nicht in dein Schlafzimmer!«
»Wieso das denn nicht?«, fragte er, und ich hörte den vorahnenden, belustigten Unterton aus seiner Stimme heraus.
»Dafür gibt es tausend Gründe! Erstens: Ich will nicht die tausend widerlichen Poster an den Wänden sehen! Zweitens: Ich kann mir vorstellen, wie viele Mädchen du da drin schon gevögelt hast! Drittens: Vielleicht ist das Bett nur Tarnung und du versteckst darunter einen Sarg! Und viertens: Wenn du mich da drin umbringst, wird mich bestimmt nie jemand finden! Ich habe die Möglichkeit, dass du ein Killer bist, immer noch nicht ausgeschlossen!«
So viel zu meinen Ansichten.
»Du glaubst, ich schlafe in einem Sarg? Hast du zu viel Bram Stoker gelesen?!«, fragte er entrüstet.
Wer war Bram Stoker?
»Na gut, dann eben nicht! Aber die anderen Punkte sind wahr!«, verteidigte ich meine Annahmen. Da diese aber anscheinend ebenfalls vollkommen dämlich waren, hörte ich wenigstens auf, zu zappeln.
»Wenn du meinst«, schnurrte er, »Du hältst mich wohl für einen ganz schönen Playboy!«
»Ich halte dich nicht nur dafür... Du bist einer!«, motzte ich.
»Wie kommst du bloß darauf?«, fragte er unschuldig und eine seiner Hände wanderte auf meinen Hintern. Hätte er mich nicht über den Rücken geworfen, hätte ich ihm dafür das Genick gebrochen!
»Flossen weg, oder ich beiße dich!«, zischte ich, doch er dachte gar nicht daran. Männer waren echt unfair!
»Das Beißen überlässt du lieber mir!«, lachte er. Schon wieder so eine Vampir-Anspielung!
Plötzlich hob Dracula mich von den Schultern und stellte mich wieder auf festen Boden. Das ging so schnell, dass ich beinahe vor Schwindel umgekippt wäre.
»Wir sind da«, meinte er und deutete hinter mich, woraufhin ich mich umdrehte.
Wow. Wenn das wirklich sein „bescheidenes Heim“ war...
»Wo wohnst du? Ist dein Schuppen hinter dieser riesigen Villa versteckt?«, fragte ich sarkastisch und starrte weiterhin auf Anwesen vor mir. Riesig, schlicht in weiß, und dennoch prunkvoll. Blühender vorgarten. Schicker Sportwagen in der Einfahrt!
»Gefällt’s dir?«, fragte Yven und hatte wieder einmal sein süffisantes Grinsen aufgesetzt.
»Es ist ganz okay, denke ich...«
Wieso war mir dieses prachtvolle Haus noch nie aufgefallen? Wie gesagt, Balestone Village war mickrig! Andererseits wusste ich nicht genau, in welchem Teil der Stadt wir waren. Das Haus sah neu aus, also war es wohl auch erst vor kurzem gebaut worden.
Irgendwie glaubte ich Yven immer noch nicht, dass er hier lebte. Das war einfach unmöglich! Er ging auf die Haustür zu und öffnete sie.
»Kein Schlüssel?«, meinte ich verwundert und Yven schüttelte den Kopf.
»Nein. Warum denn? Wenn hier jemand einbrechen würde, würden wir ihn zerfleischen und als Nachtisch verspeisen!«, grinste er und mir lief es eiskalt den Rücken herunter. Dabei war das nur gelogen. Ich würde jetzt ganz sicher nicht auf diese Vampir-Masche reinfallen!
Moment mal…
»Wir?«, fragte ich stattdessen. Bitte nicht! Bitte nicht das, was ich in diesem Moment befürchtete!
»Ich habe Mitbewohner«, sagte Yven und trat ins Haus ein. So viel zum Thema „Ladies First“.
»Und der ist gerade zu Hause?«, fragte ich vorsichtig, als ich ihm folgte.
»Ja. Sonst wären wir überhaupt nicht hier.«
Ich wollte zu einer weiteren Frage ansetzen, doch oben wurde eine Tür so heftig aufgerissen, dass man den Knall, der entstand, als sie gegen die Wand prallte, noch hier unten lautstark vernahm.
»Yven! Was haben wir ausgemacht?! Keine Tussis, wenn ich da bin! Das ist widerlich!«, schrie eine wütende Männerstimme. Und wunderschön war sie auch noch! Fast, wie die von Yven, nur irgendwie... netter! Und das, obwohl der Besitzer dieser Samtstimme gerade lauthals schrie.
»Den mag ich!«, grinste ich Dracula an.
Dieser presste böse die Lippen aufeinander und mimte wieder den kleinen, beleidigten Jungen.
Ich hörte, wie jemand die Treppe herunter polterte.
»Schick sie weg, oder ich reiß’ dir den Kopf ab!«, rief die Person, bevor sie um die Ecke kam.
»Nosferatu!«, entfuhr es mir automatisch, als ich diesen Mitbewohner dann erblickte.
Der Typ mit den smaragdgrünen Augen und den dunkelbraunen Haaren sah mich verständnislos an, und Yven lachte los.
»Und ich dachte schon, ich wäre arm dran!«, meinte er sichtlich amüsiert über den Spitznamen seines Mitbewohners.
Nosferatus Blick wurde finster, weil er wohl kein Wort verstand.
Wie Nosferatu sah dieser Typ wirklich nicht aus. Ich hatte ihn so genannt, weil er genauso heiß war wie Yven! Dracula und Nosferatu! Natürlich, zwei Sexgötter unter einem Dach! Wenn schon, denn schon!
»Sie weiß es also?«, fragte Nosferatu wütend und verschränkte seine starken, muskulösen, durchtrainierten... Jamie!
Er verschränkte auf jeden Fall seine Arme.
»Hab dich nicht so!«, meinte Yven.
»Du bist richtiger Vollpfosten!«, motzte Nosferatu weiter.
»Was ist daran so schlimm?«, wollte Yven wissen und man sah ihm an, dass er genervt war.
Nosferatus Blick war so böse, dass ich Angst hatte, plötzlich nach hinten zu kippen.
»Wenn Will das herausfindet, rollen drei Köpfe!«
Nosferatu schrie beinahe, und ich dachte einen Moment lang schon daran, mich hinter Dracula zu verstecken. Doch dieser sah mich beruhigend an.
»Keine Sorge. Es würde nur ein Kopf rollen... Uns Vampire kann man nicht durch so was primitives umbringen.«
Dann gehörte der dritte Kopf also mir?
»Das würde ich gerne mal ausprobieren!«, rief ich wütend, »Wenn ich ihn dir abhacke und in den Hintern schiebe, wie würde er dann wohl wieder anwachsen?«
Nosferatu lachte und Yvens Miene wurde noch eine Spur düsterer.
»Ich glaube, sie werden das nicht herausfinden. Ich meine – sieh dir die Kleine an! Sie ist weder begeistert, noch hat sie Schiss! Da kann gar nichts an die Oberfläche geraten!«
Wieso wurde ich schon wieder „Kleine“ genannt?
»Außerdem glaubt sie dir sowieso nicht«, sagte Nosferatu.
»Aha. Und woher willst du das wissen?«, zischte ich wütend darüber, dass mir niemand verriet, worum es ging.
»Weil ich deine Gedanken lese, Schätzchen!«, antwortete er sarkastisch und hob grinsend eine Augenbraue.
Ich sah ungläubig zwischen den zwei Horrorvampiren hin und her.
»Ihr habt euch also vorher abgesprochen? Nicht schlecht! Also leben hier zwei Verrückte! Ich bringe noch Edward vorbei, dann können wir eine Irrenanstalt eröffnen!«
»Wir haben uns nicht abgesprochen, verdammt!«, rief Yven jetzt wütend und packte mich am Arm. Dieser Wechsel zwischen wutverzerrter Miene und spöttischem Grinsen wurde langsam wirklich verwirrend. Und angsteinflößend.
Er zog mich in die Küche.
»Was siehst du hier?«, fragte er dann zornig.
»Eine normale Küche, wieso-?«
Yven riss den Kühlschrank auf.
»Und was siehst du hier?!«, schrie er.
Oh mein Gott. Das war unmöglich! Träumte ich vielleicht nur?
»N... nein! Hör auf mit diesen billigen Tricks!«, rief ich fassungslos.
Nosferatu war uns gefolgt und betrachtete das Spektakel gelangweilt.
»Willst du immer noch bewiesen haben, dass wie Vampire sind?«, fragte Yven und zog einen von ihnen heraus. Einen der Beutel, die voll mit undurchsichtiger, dunkelroter Flüssigkeit waren.
Blut.
Ich krallte mich an der Kücheninsel fest, um nicht umzukippen. Das konnte doch nicht wirklich Blut sein! Das war bestimmt dieses Filmblut, das sie auch bei Hollywoodfilmen verwendeten!
»Nein! Lass das! Dieses Spielchen wird wirklich krank!«, rief ich heiser.
Je öfter ich behauptete, dass er mich anlog, desto wütender wurde er. Er ging zu einem der Schränke über der Küchentheke und nahm ein Glas daraus.
Als er dann den Beutel mit der Flüssigkeit aufriss und in das Glas schüttete, musste ich angewidert wegsehen. Vielleicht war das ja doch echtes Blut! Wenn ja, wollte ich wirklich nicht wissen, von wem.
Nosferatu legte mir zur Beruhigung die Hand auf die Schulter. Anscheinend war er solche Wutausbrüche gewohnt! Anscheinend war unser Dracula von Natur aus cholerisch!
Als ich mich wieder Yven zuwandte, hatte er sich über die Kücheninsel bebeugt. Sein Gesicht war meinem so nahe, dass ich Angst hatte, er würde mir in seiner Wut die Nase abbeißen!
»Möchtest du, dass ich es trinke?«, flüsterte er.
Als ich merkte, wie mich ein weiterer Schauer überkam, wurde auch ich wütend. Das war immer noch Dracula, der Verrückte, der hier vor mir stand! Ich wollte keine Angst vor ihm haben! Und weil er mir Angst machte, wurde ich automatisch auch wütend!
»Was denkst du denn? Ich kann ja nicht mal sicher sein, ob das wirklich das ist, wofür ich es halte!«
Trotz seiner Wut konnte Yven sich ein Grinsen nicht verkneifen.
»Willst du mal probieren?«
Sein Gesicht rückte noch näher, weil er es anscheinend genossen hatte, als ich Angst hatte, und er mich wieder in diesen Zustand versetzen wollte.
Ich nahm meine Hand und patschte ihm einmal fest auf die Wange. Dann kniff ich fest zu und zog sein Gesicht von meinem weg.
»Autsch! Ich hab dir doch schon mal gesagt, dass Vampire auch...«
Ich hielt ihm den Mund zu.
»Du bist aber kein Vampir!«, meinte ich böse.
Nosferatu schien das ganze hier auch noch zu genießen, denn er hatte sich grinsend gegen den Türrahmen gelehnt und beobachtete jetzt mit verschränkten Armen unseren Wortwechsel.
»Bin ich doch!«
»Dann trinkt doch das Zeug da!«, zischte ich. Ich wollte es nicht wirklich sehen, doch ich würde nicht diejenige sein, die ihren Bluff aufgab.
Doch Yven schüttelte den Kopf.
»Ich dachte eigentlich, es dir zu zeigen würde reichen. Ich kann das jetzt nicht trinken, sonst würdest du einen Herzinfarkt bekommen.«
»Und warum nicht?«, zischte ich mit zusammengekniffenen Augen.
»Weil du es nicht sehen willst«, antwortete Nosferatu. Er hatte… tatsächlich meine Gedanken gelesen!
Raus aus meinem Kopf, oder ich schütte dir diesen Saft, der da vor mir steht, in die Haare!, dachte ich, und Nosferatu lachte.
»Warum reicht dir das eigentlich nicht als Beweis?«, fragte Dracula und deutete hinter mich.
»Nosferatu?«, fragte ich nach.
»Seine Fähigkeit, Gedanken zu lesen!«, sagte Dracula nun.
Ich grinste ihn schief an.
»Weil das Blödsinn ist! Es gibt Leute, die kassieren sogar Geld dafür ein!«, antwortete ich schulterzuckend.
Yven war an der Grenze des Wahnsinns. Ich sah, wie er sich zusammenreißen musste.
Das war sicherlich das erste Mal, dass er einer Frau eine verpassen wollte!
»Jamie...«, sagte er dann aber mit seiner letzten Beherrschung, »Wir haben Blut im Kühlschrank. Wir können ungehört in fremde Häuser einbrechen! Unsere Wunden heilen verdammt schnell! Wir sind schnell! Was muss ich eigentlich noch tun, damit du mir glaubst?!«
Nosferatu stöhnte.
»Yven... Du bist wie immer ein totaler Blödmann. Lass mich mal versuchen!«, sagte er und schubste Dracula lässig mit der Hüfte weg, damit er mir in die Augen sehen konnte.
»Jamie. Was hat deiner Meinung nach jeder richtige Vampir? Ich wundere mich, dass Yven noch nicht darauf gekommen ist!«
Ich überlegte. Blasse Haut? Hatten beide, aber wie gesagt, das könnte auch daran liegen, dass sie ihre Pigmente behandelt hatten.
Alle Vampire hatten...
»Fangzähne!«, sagte ich verblüfft und sah zu Yven, der so aussah, als ob er sich gerade innerlich ohrfeigte.
»Lass sehen, Nosferatu!«, meinte ich herausfordernd.
»Nur, wenn du mich nie wieder so nennst!«, meinte er mit demselben Blick, den Yven immer aufsetzte, wenn er beleidigt war.
Ich verschränkte die Arme und sah ihn mitleidig an. »Das kann ich dir leider nicht versprechen. Falls du es nicht bemerkt hast, liegt mir nicht genug an diesem „Geheimnis“, damit du mich damit erpressen könntest.«
Yven nickte zustimmend und Nosferatu stöhnte. Die beiden hatten ja so vieles Gemeinsam! Immer gleich stöhnen, wenn es nicht nach ihren Wünschen abläuft.
»Mund auf!«, befahl ich und Nosferatu tat es wirklich!
Das hätte Yven aber nie gemacht. Er hätte niemals einfach so auf mich gehört!
Ich fasste mit der bloßen Hand an seine Eckzähne, weshalb Yven auch sofort wieder grinsen musste. Sicherlich kam sich Nosferatu gerade vor, wie beim Zahnarzt.
»Lügner! Ich wusste es doch! Da ist nichts!«, rief ich, als ich nur die normale Zahnreihe ertasten konnte.
»Jamie..?«, schaltete sich Yven ein.
»Was denn?«
»Wäre es nicht ein wenig auffällig, wenn wir mit Fangzähnen durch die Gegend laufen würden?«
Ich sah die beiden an, als hätten sie mich ins Gesicht geschlagen.
»Also habt ihr auch zufällig keine Fangzähne?«, lachte ich nun laut, »Natürlich, ihr seid wahre Vampire!«
»Wo ist bei der kleinen der Ausschalter?«, fragte Nosferatu Dracula wehleidig.
In meinem Hals! Du brauchst nur einmal reinzubeißen, und ich werde nie wieder was sagen können!, dachte ich. Nosferatu tat so, als hätte er es nicht gehört. Gut, waren ja auch meine Gedanken!
»Natürlich haben wir Fangzähne, sie sind nur nicht die ganze Zeit sichtbar.«
Ich nickte.
»Gut, dann zeig mal her, deine Beißerchen!«
War mein Wortschatz unkonventionell dafür, dass ich gleich den Schock meines Lebens bekommen könnte?
Augenrollend öffnete Nosferatu seinen Mund wieder. Wäre ich wirklich ein Zahnarzt, hätte ich seine Zähne bestimmt mit einem Spruch wie „Zähne wie aus einem Bilderbuch“ kommentiert.
Als ich am wenigsten damit rechnete, glitten Nosferatus Eckzähne einige Millimeter nach unten. Atemlos zog ich dir Hand weg.
»Ich beiße schon nicht!«, sagte Nosferatu schelmisch.
»Sagt wer?«, murmelte Yven mit demselben frechen Grinsen. Ich fühlte mich so, als würden die beiden Insiderwitze reißen!
Komischerweise war ich überhaupt nicht schockiert, auch, wenn mir das flaue Gefühl im Magen etwas anderes sagen wollte.
»Aha! Ihr seid also wirklich Blutsauger«, meinte ich interessiert.
Sicherlich gefiel es ihnen nicht, wenn man sie so nannte! In nächster Zeit würde ich alles durchprobieren und herausfinden, was sie mochten, und was nicht, damit ich ihnen ihr Leben zu Hölle machen konnte. Immerhin taten sie dasselbe mir bei mir.
„Blutsauger“ mochten sie auf jeden Fall schon einmal nicht, denn beide hatten jetzt einen Killerblick auf mich gerichtet.
»Jetzt tut nicht so, als würde ich andauernd Schwachsinn reden«, motzte ich.
»Bryle?«, fragte Yven den anderen Vampir. Also hieß er Bryle! Egal, ich würde bei Nosferatu und Dracula bleiben...
»Ja, Yven?«, grinste Bryle zurück. Irgendwie verriet mir das, dass Nosferatu gerade Draculas Gedanken gelesen hatte!
»Jetzt, wo sie unser Geheimnis kennt, müssen wir sie töten.«
Was? Das war nicht ihr Ernst, oder? Ich trat einen Schritt zurück. Das würden sie sicherlich nicht machen!
Beide setzten sich gleichzeitig in Bewegung – auf mich zu! Mein Herz raste, und ich hatte das ungute Gefühl, dass es eine ihrer Fähigkeiten war, das zu hören.
Plötzlich stand Dracula vor mir und packte mich unter den Armen, während Nosferatu meine Beine nahm.
»Lasst mich los!!!«, schrie ich und versuchte, Nosferatu in die Seite zu treten. Keine Chance! Sein Griff tat mir zwar nicht weh, war jedoch felsenfest.
Sie trugen mich durchs Wohnzimmer. Schick eingerichtet, das musste man den beiden lassen. Sah so aus, als hätte sich hier ein Innenarchitektenteam verlaufen. Ich dachte über die Einrichtung nach, während die beiden im Begriff waren, mich zu töten! Was stimmte bloß nicht mit mir?
»Weißt du, Jippielein, als du gemeint hattest, dass niemand deine Leiche finden würde, falls du hier umkämst, hattest du Recht!«, flüsterte Dracula mit einer unheilvollen Stimme.
Das war nicht ihr Ernst! Das konnte nicht ihr Ernst sein!
Sie öffneten die Tür, die in den Garten führte, und trugen mich weiter dorthin. Ich würde aber viel lieber in dem schicken Wohnzimmer sterben!
Die Angst war mir sicherlich ins Gesicht geschrieben. Ich konnte nicht mal schreien! Nur noch zappeln, so heftig es in dieser Situation nur ging. Wären die beiden nicht so stark gewesen, hätte ich sie bestimmt verletzen können! Doch meinen Tritten und Schlägen wichen sie behände aus.
Ich sah nur die Wolken am Himmel und die Köpfe der beiden, was auch nicht zu meiner Beruhigung beitrug.
»Leb wohl, Jamie«, sagte Dracula. Und dann warfen die beiden mich mit voller Wucht auf den Boden.
Ich wartete auf den harten Aufprall, sah schon mein Leben vor mir vorbeiziehen.
Und dann... Wurde mir bewusst, dass die beiden mich reingelegt hatten.
Genau in dem Moment, in dem ich spürte, wie das Wasser meine Kleider durchtränkte.
Sie hatten mich in den Pool geworfen?
Das würde Rache geben, und zwar sofort!
Mehrmals versuchte ich noch, mich an die Oberfläche zu kämpfen, doch es wollte mir nicht gelingen. Ich ließ einfach los und gab mich den erdrückenden Wassermassen hin.
Dann wartete ich – nicht auf den Tod, ich war ja nicht blöd.
Ich wartete auf das Geräusch...
Da war es!
Ich konnte mir selbst in dieser Situation ein Grinsen nicht verkneifen. Für Vampire waren sie ganz schön bescheuert.
Ich wurde an beiden Armen gepackt und nach oben gezogen, an die Oberfläche. Dort hustete ich erst ein paar mal gekünstelt und ließ mich dann aus dem Wasser zerren.
Vorsichtig legten die beiden mich an den Poolrand.
Als Dracula und Nosferatu dann sah, wie sie triefnass dastanden und mich besorgt musterten, gab es bei mir kein halten mehr. Ich fing an, laut loszulachen. Sie waren tatsächlich leichtgläubig genug gewesen, mir freiwillig hinterher zu springen!
Zuerst sahen sie mich nur verdutzt an. Dann verstanden die beiden, dass ich nur meine Rache wollte und sahen mich so böse an, dass ich befürchten musste, bald neben den Blutbeuteln im Kühlschrank zu landen.
Als ich aufstand, nahm ich mir die Zeit, die beiden unauffällig, aber ausgiebig zu mustern.
Echt der Hammer, wie ihnen die Oberteile am Körper klebten, Draculas weißes und Nosferatus schwarzes... Was für Muskeln sie da versteckten! Hm, hm. War ich doch ertrunken und im Himmel gelandet?
Oh Gott, irgendwann würde ich David wirklich ganz vergessen! Das ging so doch nicht!
Aber dieser Anblick war zu verlockend! Ich konnte zum ersten mal richtig die Muskeln sehen, die zuvor vom Stoff versteckt waren.
»Jamie?«, fragte Nosferatu mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck.
»Ja ?«, fragte ich unschuldig.
»Hast du vergessen, dass ich Gedanken lesen kann?«, prustete er dann los.
Mist! Zwischen meinem Gehirn und meinem Mund war zwar ein Filter, aber dass er die Gedanken direkt aus der Quelle entnahm, das war nicht fair.
»Nein, das weiß ich noch! Und ich weiß auch , dass Dracula in dieser Hinsicht behindert ist!«, antwortete ich wahrheitsgemäß. Na ja, zumindest, was den zweiten Teil betraf.
»Ja, das ist wirklich schade…«, erwiderte er aufrichtig niedergeschlagen, »Es ist nämlich das Kommunikationssystem zwischen Vampiren. Außerdem kann Yven noch andere Sachen nicht!«, grinste Bryle.
»Das musst du jetzt doch nicht so herausposaunen«, raunte Yven ihm mit dem Blick des kleinen, beleidigten Jungen zu. Und wieder wollte ich ihm durch die Haare fahren, auch, wenn sie nass waren! Dann sah es sogar noch heißer aus...!
»Jamie!«
Ich guckte Nosferatu unbeeindruckt an.
»Tu nicht so! Du müsstest doch am besten wissen, dass alle Mädchen euch anglotzen! Und die Tatsache, dass ihr nass seid...«
Jetzt schien auch Yven unsere Unterhaltung zu verstehen.
»Siehst du, Jamie? Du tust nur so, als könntest du dem hier wiederstehen!«, grinste Dracula.
Mir „dem hier“ meinte er seinen Körper, denn er deutete mit beiden Händen darauf. Tja, erwischt!
»Und du lenkst von Thema ab! Erzählst du mir mehr über Yvens Behinderung, Bryle?«, fragte ich zuckersüß an Nosferatu gewandt.
»Es ist überhaupt keine Behinderung!«, rief Dracula empört. Konnte er nicht einfach die Mund halten?
Auch Nosferatu ignorierte ihn und setzte sich an den Rand eines Clubsessels, der direkt neben ihm stand.
»Also... Das war bei Yven von Anfang an so gewesen... Er hatte noch nie über diese Fähigkeiten verfügt. Er konnte noch nie Gedanken lesen oder Menschen durch Berührungen verletzen...«
»Das kannst du?!«, unterbrach ich ihn.
»Ja! Echt spaßig, weil es wegen seiner Behinderung auch bei Yven klappt!«, lachte Bryle und berührte Yven am Arm, woraufhin dieser zusammenzuckte und etwas murmelte, das sie wie „Arschloch“ anhörte.
Au, das stellte ich mir toll vor! „Mach die Poster endlich weg, Dracula, oder ich berühre dich!“ Vampire waren einfach genial!
»Außerdem können wir das in verschiedenen Maßen. Das kann ein Jucken im kleinen Finger sein, aber auch Schmerzen, die durch den ganzen Körper zucken und einen Zwei-Meter-Mann umhauen würden.«
Fasziniert hörte ich zu und wünschte mir innerlich irgendwie, dass er es mir an Dracula demonstrieren würde. Heute war ich wirklich sadistisch.
»Was kann Yven sonst nicht?«, fragte ich und ignorierte dessen beleidigtes Gemurmel.
»Er kann keinen Gerüchen folgen, also keine „Spur aufnehmen“ sozusagen. Auch schade, denn das ist wirklich nützlich, wenn mal etwas oder jemand verloren geht.«
Vampire konnten ja richtig viel!
»Was noch? Was noch?«, rief ich begeistert darüber, zu erfahren, was Vampire konnten und Yven zugleich nicht konnte.
»Das reicht jetzt erst mal!«, sagte Dracula mit seinem Killerblick. Nosferatu kräuselte zwar die Lippen, sagte aber nichts mehr.
»Jetzt bin ich dran«, meinte Yven dann mit gehobener Augenbraue und setzte sich neben Bryle. Warum hatte ich jetzt keine Fotokamera dabei? Dann würden die beiden ab jetzt so über meinem Bett hängen!
Nosferatu machte sich nicht mehr die Mühe, mich zu ermahnen, räusperte sich jedoch übertrieben laut.
Was zum Teufel hatte er bloß dagegen, dass ich ein wenig vor mich hin träumte!
Du Spanner!, dachte ich stattdessen. Inzwischen hatten beide ein angeschrammtes Ego (was ich heute Morgen noch für unmöglich hielt) und wirkten beleidigt... Das genoss ich auch so richtig. »Wie gesagt, jetzt erzähle ich dir mal etwas über Bryle... Sein Menschenleben, besser gesagt!«
Nosferatu wandte sich zu Dracula um.
»Das ist unfair! Bitte nicht!«, flehte er diesen dann an, »Das ist etwas ganz anderes°«
»Ich musste mich als behindert beleidigen lassen! Also sei kein Mädchen!«
Du siehst nicht aus wie ein Mädchen, keine Sorge, Schatz.
Nosferatus Blick war mir Antwort genug. Er sollte nicht in meinen Gedanken rumwühlen, dann würde er auch nicht so derbe enttäuscht werden! Oder es gefiel ihm, aber er war zu eitel. Würde ja zu seinem riesigen Ego passen!
Noch ein Blick. Ich streckte ihm die Zunge raus. Yven wartete unsere stumme Unterhaltung zur Abwechslung einmal geduldig ab.
»Also. Bryle wurde unter dem Namen Brigham Utteridge geboren... Eine gewisse Ähnlichkeit ist da ja noch.«
Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Brigham? Klang so, als wäre Bryle jetzt schon ein alter Knacker.
»Es war um 1630, in England. Sein Vater war ein anerkannter Kopist, ein zu dieser Zeit schon sehr seltener Beruf. Du weißt ja, Gutenberg hatte den Buchdruck schon längst erfunden... Egal. Auf jeden Fall war er ein richtiger Vorzeigeknabe, mit der besten Bildung und den besten Manieren. Das änderte sich aber schlagartig, sobald er achtzehn wurde. Sein Vater setzte auf eine Familientradition und übergab seinem Sohn bereits mit seinen achtzehn Jahren seinen Anteil des Erbes, damit er es gebrauchen konnte, solange er noch jung war. Auf jeden Fall verprasste der kleine Blödmann alles... Für Alkohol... Und Dirnen!«
Bryle sah Yven mörderisch an. Ich verkniff mir ein Grinsen, da es Bryle wirklich unangenehm zu sein schien.
Plötzlich fing Yven an, zu lachen.
»Weißt du, was das beste ist? Im Alter von zwanzig Jahren hat sich der Junge Brigham als wahrer Idiot bewiesen!«
Ich guckte von Nosferatu zu Dracula und wieder zurück.
»Wieso?«
»Er hat sich verwandeln lassen! Von«...
Eine Pause entstand, in der Dracula sein Lachen unterdrücken musste und Nosferatu dadurch noch mehr gepeinigt wurde.
»Von einer der Dirnen!«, platzte Yven jetzt heraus, »Er war sturzbesoffen!«
Bryle sah nun so aus, als würde er Yven jeden Moment an die Gurgel gehen. Und auch ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, als ich mir die Situation vorstellte.
Plötzlich schien Bryle etwas aufgefallen zu sein.
»Warum erzählst du denn alles so unpersönlich?«, fragte er Yven herausfordernd. Dieser druckste ein wenig herum und Bryle musste lachen.
»Du hast es ihr noch nicht erzählt!«, grinste Bryle dann breit.
Was denn? Ich verstehe kein Wort, Leute!
»Ich möchte dir Yvens Geschichte erzählen«, sagte Nosferatu böse grinsend, und jetzt war es Yven, der gepeinigt dreinblickte. Augenblick, die beiden hatten nicht zufällig eine Tüte Popcorn neben ihren Bluttüten liegen, oder?
»Yven hieß früher Yancy.«
Oh mein Gott! Ich quietschte beinahe vor Aufregung. Das war ja noch schockierender als die Tatsache, dass sie Vampire waren! Ich verschluckte mich beinahe an der Luft, die ich einatmete, als ich begann, zu lachen. Jetzt hab ich dich, Dracula, das ist die Sache, mit der ich dich dein Leben lang aufziehen werde!
»Da besteht ja auch noch eine geringe Ähnlichkeit. Er wurde um 1620 geboren, in England. Sein Vater war ein anerkannter Kopist, einer der letzten zu dieser Zeit.«
Momentchen mal! Auszeit!
»Das sind jetzt aber viele Zufälle auf einmal!«, sagte ich, »Wenn Kopist ein so seltener Beruf war, könnt ihr mir nicht weismachen,-«
Ich hielt inne. Nee, oder! Das übertraf jetzt aber alles! Dracula guckte mich entschuldigend an. Er hatte doch gesagt, er habe einen „Mitbewohner“! Doch sie waren...
»Brüder«, beendete Nosferatu meinen Gedanken.
»Yvens Name war Yancy Utteridge.«, klärte Bryle alias Brigham alias Nosferatu mich auf.
Yven alias Yancy alias Dracula versuchte es kläglich mit einem Hundeblick.
Ich boxte ihm böse in die Schulter.
»So was musst du mir doch vorher sagen!«, zischte ich.
»Wann hatte ich Gelegenheit dazu?!«, verteidigte Yven sich.
»Na ja... Zum Beispiel hättest du anstatt „Hi, ich bin Yven, ein Vampir“ erst mal sagen können „Hi, ich bin Yven und mit meinem Bruder hierher gezogen.“ Das wäre normal gewesen!«
»Aber wir wissen ja auch beide, dass Yven nicht normal ist!«, meinte Bryle herausfordernd an seinen Bruder gewandt. Dieser stieß ihm beleidigt den Ellbogen in die Seite.
»Wollt ihr mich immer noch umbringen, oder habt ihr es euch anders überlegt?«, fragte ich dann zappelig. Nosferatu und Dracula tauschten verwunderte Blicke.
»Wir haben doch nur einen kleinen Scherz gemacht!«, meinte Nosferatu.
Scherz? Ja, es war wirklich zum Totlachen, dass ich klitschnass war.
»Du hast ja Recht… Ich finde es auch nicht so toll, dass mir die Sachen jetzt so am Körper kleben…«, sagte Bryle.
Plötzlich erhob Dracula sich und betrachtete seine nassen Klamotten belustigt.
»Du hast wirklich recht! Fühlt sich schrecklich an!«, grinste er.
Bryle, der wohl gerade Yvens Gedanken las, guckte mich plötzlich neugierig an. Als würde er auf eine Reaktion warten.
Und dann… zog Yven sich sein T-Shirt aus! Mit einem ekligen „Flatsch!“ landete es auf dem Boden.
Dracula wollte bestimmt, dass ich jetzt auf guckte! Falsch gedacht! Ich sah in eine andere Richtung!
»Schönen Garten habt ihr da«, sagte ich dann mit der letzten Gleichgültigkeit, die ich in Petto hatte. Dracula stöhnte. Daran erkannte ich inzwischen schon, dass ihm etwas nicht passte. Er konnte es wohl einfach nicht ertragen, wenn es mal nicht nach seinen Wünschen ging.
Nosferatu lachte seinen Bruder aus.
»So hat sich noch nie ein Mädchen in deiner Nähe verhalten, Yancy!«
»Was willst du damit sagen, Brigham?«, fragte Dracula.
Ich verkniff mir ein Lachen. Mit diesen Namen könnte ich sie mein ganzes Leben lang aufziehen!
»Dass sie nicht das geringste Interesse an dir hat.«
Dracula schnaubte belustigt.
»Sie sieht mich doch bloß nicht an, weil sie Angst hat, nie wieder woanders hingucken zu können!«
Jetzt reichte es aber! So was ließ ich mir doch nicht unterstellen!
»Brigham, könntest du deinem Bruder bitte sagen, dass ich nicht auf so eine Masche hereinfalle? Mir glaubt er es ja nicht!«
Mein Blick streifte immer noch die weite, Grüne Rasenfläche, die die beinahe die Größe eines Fußballfeldes hatte und von den Typen neben mir „Garten“ genannt wurde.
Ich würde niemals hinsehen!
Während ich mir demonstrativ die Augen zu hielt, wandte ich mich zu Dracula.
»Ich habe einen Freund!«, rief ich zornig.
Plötzlich war Yvens Stimme mir ganz nahe.
»Wenn du sauer bist, bist du echt süß!«, grinste er dann.
Mann, ich schämte mich wirklich dafür, aber was besseres fiel mir im Moment nicht ein…
Ich verpasste Dracula noch eine Ohrfeige, doch diesmal war sie viel fester als heute Morgen in der Schule. Auf nasser Haut tat es bestimmt auch mehr weh…
»Red nicht so mit mir, du aufgeblasener Blutsauger!«
Nosferatu lachte leise. Wenn man einen der Brüder ärgerte, wurde der andere irgendwie automatisch glücklich.
Ich öffnete die Augen und plötzlich stand Yven mit frischem T-Shirt vor mir! Wie hatte er das denn jetzt gemacht?
Dracula beugte sich herunter und legte mir eine Hand auf die Schulter.
»Ich respektiere deine Privatsphäre«, sagte er so neutral, dass es schon wieder sarkastisch schien.
Obwohl er die Situation bis eben noch genossen hatte, verzog Nosferatu nun plötzlich die Mundwinkel.
»Hmm, Mittagessen! Warum habt ihr mir nicht bescheid gegeben?«
Okay, diese Stimme gehörte weder Dracula, noch Nosferatu. Das konnte nur eins bedeuten! Hastig schob ich Draculas Kopf beiseite, um an ihm vorbeisehen zu können.
Dort kam jemand auf mich zu… Und er war eindeutig auch ein Vampir.
»Ich hab Durst, bitte lasst mich zuerst!«, rief dieser Typ, während er auf mich zulief.
Als er dann ganz nahe vor mir stand und schon hungrig auf meinen Hals starrte, versuchte ich, ihn wegzuschubsen. Er wich behände einen Schritt zurück.
»Hör mal zu, Lestat! Der Kühlschrank ist rappelvoll, also Pfoten weg von mir!«, zischte ich ihn an. Lestat war eindeutig nicht mit Nosferatu und Dracula verwandt. Er war nämlich blond und hatte rotbraune Augen… das Gegenteil von den zweien neben mir also. Außerdem war er nicht blass, sondern eher gebräunt und hatte andere Gesichtszüge… Sie hatten etwas raubtierhaftes an sich, das jedem anderen Menschen, der wusste, dass er ein Vampir war, einen Schauer über den Rücken jagen würde. Mir aber nicht.
»Lestat? Unser Mittagessen ist ziemlich unverschämt«, stellte Lestat begeistert fest.
Okay, der Name Lestat war nicht mehr ganz so einfach abzuleiten wie Dracula oder Nosferatu, aber immerhin wussten „Eingeweihte“, was ich meinte.
»Mittagessen?! Hör mal zu, du...«
Bryle unterbrach mich.
»Jamie, das ist Alex. Er ist… Nun ja, ein alter Freund«, erklärte er. Alex blickte stirnrunzelnd zwischen den beiden hin und her. Ich konnte seinem Gedankengang folgen.
»Ja, Nosferatu und Dracula haben mich bereits eingeweiht, bevor du fragst...«
Alex lachte. Schien ihm nichts auszumachen, dass ich von ihrem Geheimnis wusste!
»Dracula und Nosferatu? Und ich dachte schon, ich hätte jetzt einen dummen Spitznamen!«, lachte er schadenfroh.
»Ich mag dich«, meinte er dann an mich gewandt, »Immerhin lässt du dich nicht von diesen verrückten Typen hier einschüchtern!«
Ich grinste ihn an.
»Du hast also schon Durst? Lass uns rein gehen, wir haben Null negativ. Die magst du doch so«, sagte Yven zähneknirschend zu Alex.
»Au ja, ich liebe Null negativ. Ist es so frisch wie die da?«, erwiderte dieser und warf mir wieder so einen Blick zu. Stöhnend packte Yven ihm am Handgelenk und zog ihn hinter sich her, nach drinnen.
»Bryle?«, fragte ich, als sowohl Lestat und Dracula verschwunden waren.
»Hm?«
»Was hat es mit den verschiedenen Blutgruppen auf sich?«, fragte ich neugierig.
Nosferatu holte tief Luft, bevor er begann zu reden. Schien ja eine lange Geschichte zu sein!
»Jede Blutgruppe hat einen andern Geschmack. Das heißt aber nicht, dass es Blutgruppen gibt, die nicht „schmecken“. Alex ist nun mal ein Feinschmecker… Null ist die seltenste Blutgruppe und die „köstlichste“, weil sie keine Antigene besitzt und deshalb auch die keine Antikörper bei der Aufnahme produziert werden. Außerdem hast du sicher schon vom Rhesus-Faktor gehört…«, meinte er.
Ich nickte. Das hatte ich mal im Biologieunterricht gelernt.
»Er wird durch „positiv“ oder „negativ“ gekennzeichnet«, sagte ich.
»Genau. Negativ ist noch mal besser als positiv, demnach kannst du dir vorstellen, dass Null negativ die beste Blutgruppe ist. Alle anderen sind aber auch nicht schlecht… Es ist wie bei euch Menschen das Eis… Es gibt verschiedene Geschmäcker, aber keines schmeckt wirklich schlecht…«
So viele Informationen! Nächstes Mal würde ich mitschreiben.
»Verstehe…«
Eine Pause entstand, und ich biss mir auf die Lippen, weil ich eine wirklich… „merkwürdige“ Frage hatte, die mich einfach nicht los ließ.
»Frag ruhig«, meinte Nosferatu, der wieder meine Gedanken gelesen hatte.
Ich seufzte einmal.
»Tötet ihr Vampire Menschen?«, fragte ich ihn und konnte mir vorstellen, wie nervös ich dabei geblickt hatte.
Bryle blickte mich emotionslos an.
»Wenn wir Lust auf frisches Blut haben, schon. Ich meine, normalerweise überlebt der Mensch, aber…«
Ich seufzte. Hätte mir eigentlich klar sein müssen! Immerhin war es bei Vampiren doch immer so! Yven will mich belästigen? Dann bricht er eben in mein Zimmer ein!
Yven will mir beweisen, dass er ein Vampir ist? Dann zeigt er mir eben einen Kühlschrank voller Blutkonserven!
»Lust…«, grummelte ich. Auch Nosferatu seufzte jetzt.
»Hör zu, Jamie, das mag hart klingen, aber...«
Weiter kam er nicht, denn die Tür, die aus dem Wohnzimmer auf die Terrasse führte, wurde aufgeknallt. Lachend und rasend schnell lief Lestat heraus. Neben ihm landete klirrend etwas auf dem Boden. War das etwa ein Glas?
Jetzt wusste ich auch, woher es kam, denn Dracula stürmte tobend vor Wut hinter Lestat her – ein weiteres Glas in der Hand.
»Hey Bryle! Yven dreht durch!«, rief Lestat immer noch laut lachend.
»Wenn du das noch einmal machst…!«, schrie Dracula. Und dann warf er Lestat das Glas einfach an den Hinterkopf. Dort zersplitterte es in tausend Teile.
Langsam und wutschnaubend wandte Lestat sich nun um.
»Yven!!«, schrie er und stürmte nun auf ihn zu.
Schnell stellte Bryle sich so vor mich, dass ich nicht mehr sehen konnte, wie Alex auf Yven los ging.
»Du solltest jetzt wirklich gehen!«, meinte er dann bestimmt und führte mich außen rum auf vor das Haus.
»Ich weiß ja gar nicht, wo mein Haus sich von hier aus befindet!«, meinte ich dann beleidigt. Aus meinen Gedanken konnte Nosferatu entnehmen, weshalb das so war.
Wie üblich stöhnte er, weil er genervt war.
»Ich bringe dich.«
Mit diesen Worten ging er einfach los.
»Hey! Woher weißt du, wo ich wohne?!«, rief ich und er drehte sich entschuldigend um.
»Hab’ ein wenig in Yvens Gedanken herumgewühlt! Das stört dich doch nicht, oder?«, meinte er grinsend.
Aus dem Garten ertönte ein ohrenbetäubender Knall, als wir gerade um die Ecke bogen.
»Was war das?«, fragte ich Bryle und drehte mich kurz um.
Er zuckte mit den Schultern.
»Ich weiß es nicht. Aber irgendwas verrät mir, dass ich ein Chaos vorfinde, wenn ich zurück komme.«
Kapitel 4: Nudelsauce mit Folgen
»Mach’s gut, Catherine!«, rief ich ihr hinterher, bevor sie um die Ecke bog. Das Wochenendewürde sie mit ihrer Verwandtschaft verbringen – sie war nämlich Tante geworden! Und deshalb musste sie sich nun extra mit ihren Eltern nach Brooklyn begeben.
Diese Woche war wirklich toll gewesen! Ich hatte mir ein kleines Experiment erlaubt: Den Rest der Woche hatte ich so getan, als würde Dracula nicht existieren.
Für das Ergebnis hätte ich den Nobelpreis verdient:
Am ersten Tag hatte er noch versucht, mich anzuquatschen.
Am zweiten Tag hatte er versucht, mein Schweigen durch böse Sprüche zu brechen!
Am dritten und vierten Tag hatte er mich dann sogar in Ruhe gelassen! Halleluja, es hab einen Weg, Vampire loszuwerden.
Der Nachteil war nur, dass er stattdessen begann, mit Anna rumzuhängen. Wie konnten die beiden nur aufeinander reinfallen?
Yven fiel einfach so auf ihre langen Beine und den tiefen Ausschnitt herein
Und Anna fiel auf sein charmantes Lächeln und den scharfen Hintern hinein.
Moment… das überraschte mich doch nicht. Es war aber trotzdem wirklich widerlich, zu sehen, wie die beiden miteinander flirteten.
Ansonsten war nichts erwähnenswertes passiert. Marvin hasste David noch immer, David hasste Yven noch immer – obwohl er es natürlich nie zugeben würde. Je mehr Tage vergingen, desto grimmiger wurde sein Blick, wenn Yven mich anquatschte. Die letzte Woche war also weder für ihn noch mich leicht gewesen.
Umso zufriedener war ich, als ich endlich zu Hause war. Sarah war auch schon zu Hause und aß gerade ein Sandwich in der Küche, Mom war noch auf der Arbeit.
Ich hatte auch Hunger, und ihr Sandwich sah wirklich verführerisch gut aus.
»Toast ist leer«, sagte Sarah jedoch, als ich gerade begann, danach zu suchen.
Ich warf ihr einen tödlichen Blick zu, doch sie konterte ihn mit einem schiefen Grinsen und einem extra genussvollen Biss in ihr Sandwich. Als es läutete und ich keine Anstalten machte, hinzugehen, sprang sie trotzdem widerwillig von ihrem Stuhl auf.
Doch schon nach wenigen Sekunden kam sie zurück. Ich erkannte an ihren geröteten Wangen und dem merkwürdig zufriedenen Lächeln sofort, wer es war. Und bei dieser Person wunderte es mich überhaupt, dass sie nicht durchs Fenster gekommen war.
»Ist für dich«, meinte Sarah beinahe schon flüsternd und sah mich fröhlich an.
Wusste ich’s doch. Mir war von Anfang an klar gewesen, dass Sarah so reagieren würde, wenn sie Dracula sah. Ich schob mich an ihr vorbei in den Flur. Da ich wusste, dass Sarah sich eine Chance zu lauschen nicht entgehen lassen würde, schloss ich die Tür direkt vor ihrer Nase. Yven stand vor der Haustür und blickte sich mit ungewöhnlichem Interesse um. Als er mich entdeckte, grinste er wie immer breit.
»Hey, Baby.«
Ich rollte mit den Augen. Selbst mit Samtstimme war das das Letzte. Musste das sein? Immerhin konnte ich mit Sicherheit sagen, dass Sarah selbst hinter der geschlossenen Tür angespannt lauschte. Und so könnte hinterher sogar das eine zum anderen führen und David hiervon erfahren, denken, dass ich ihn betrog und sich von mir trennen. Aber wahrscheinlich dachte ich viel zu weit.
»Hey, Dracula«, murrte ich. Eigentlich konnte es mir ja egal sein, was Sarah sich darauf reimte.
»Was willst du hier?«
Hielt er es nicht mal vier Tage ohne mich aus?
»Willst du mich nicht erst mal hineinbitten?«, fragte er schief grinsend. Mit aufeinander gepressten Lippen trat ich ein paar Schritte zurück, damit er eintreten konnte.
Hätte ich es nicht getan, wäre er ja sowieso durchs Fenster gekommen.
»Lebt Alex eigentlich noch?«, fragte ich beiläufig. Wie gesagt, mir war nicht wichtig, wie Sarah das interpretierte.
»Klar! mit seinen Fähigkeiten war er mir einfach überlegen. Und einen Tipp gebe ich dir: Zerstöre niemals seine Frisur, sonst frisst er dich auf!«
Dracula war anscheinend bewusst, dass Sarah lauschte, denn er benutzte ja offensichtlich besonders zweideutige Wörter.
»Weshalb bist du jetzt hier?«, drängelte ich.
»Ich hab dich einfach so vermisst!«, säuselte Dracula. Ich rollte mit den Augen.
»Weshalb bist du wirklich hier?«
Er zog ein Heft hinter seinem Rücken hervor. Mein Heft! Wortlos reichte er es mir.
»Danke«, sagte ich verbissen. Yven grinste fies zurück.
»Kein Problem! Was ist eigentlich aus den Postern geworden, die ich dir geschenkt habe?«, fragte er amüsiert.
Ach stimmt, dafür wollte ich ihn noch umbringen.
»Die hab ich abgerissen und weggeworfen!«
In seinem Blick lag fast schon so etwas wie Enttäuschung, als er das hörte. Hatte er denn wirklich gedacht, dass ich die Poster hängen lassen würde?
»Ich hab gedacht, du hättest was einfallsreicheres auf Lager, um sie zu vernichten.«
Als ich an Yven vorbei blickte, sah ich, wie meine Mutter den Wagen in der Einfahrt parkte.
Oh nein, das darf nicht wahr sein! Ich konnte mir schon denken, was nun passierte…
Als sie Yven erblickte, hellte ihre Miene sich deutlich auf.
»Was für eine Überraschung!«, rief sie freudig und klatschte in die Hände, während sie auf uns zu kam.
»Nun ja, Ihre Tochter scheint sehr gerne irgendwo Sachen liegen zu lassen«, lächelte er sie mit dem typischen charmanten Lächeln an, das er jedem schenkte – außer mir. Ich bekam immer dieses süffisante Grinsen ab, das keiner so gut hinbekam wie er.
»Ach! Jamie ist dir ja so dankbar!«, sagte meine Mutter übertrieben glücklich, »Wie wäre es, wenn du als Dankeschön bei uns zu Abend isst?«
Ich musste einen Schrei unterdrücken. Das entwickelte sich ja langsam zu einem regelrechten Alptraum… Außerdem war ich nicht dankbar.
»David kommt heute schon vorbei«, sagte ich knapp.
Meine Mutter seufzte genervt. Sie konnte David aus irgendeinem Grund nicht leiden, und deshalb versuchte sie, mich mit Yven zu verkuppeln. Über David sagte sie immer, ihr ‚mütterlicher Instinkt‘ sagte ihr, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Aber mit Dracula war also alles in Ordnung? Also wirklich, eine noch schlechtere Menschenkenntnis konnte man gar nicht haben.
»Ich dachte, David hat heute langes Footballtraining!«, mischte Yven sich jetzt unschuldig lächelnd ein.
Das hatte ich ja ganz vergessen! Woher wusste er es? Ich schnaubte wütend.
»Na dann kannst du ja kommen!«, rief meine Mutter überschwänglich fröhlich, während mir hingegen schon wieder Tausende Mordgedanken durch den Kopf schossen, wenn ich Yven auch nur ansah.
Er blickte vergnügt in die Runde.
»Ich weiß nicht, Ob ich heute Zeit habe...«, meinte er und tat so, als würde er überlegen, um mich noch mehr zu peinigen.
Meine Mutter gab natürlich nicht so schnell auf.
»Ach komm schon! Wir alle würden uns riesig darüber freuen!«
Alle? Ich schnaufte verächtlich, konnte jedoch nicht rechtzeitig eingreifen.
»Dann will ich euch mal nicht enttäuschen!«, willigte er grinsend ein.
Meine Mutter sah nun erst recht aus, als würde sie jeden Moment Luftsprünge machen. Die Sympathie, die sie für Yven empfand, war nicht mehr normal.
Wahrscheinlich dachte sie bereits daran, ihn zu ihrem Schwiegersohn zu machen. Vielleicht auch schon an die Namen ihrer Enkel.
Alleine der Gedanke jagte mir einen unangenehmen Schauer über den Rücken.
»Aber als Dankeschön lade ich Jamie auch einmal zu uns ein!«
Oh nein! Ich hoffte von ganzem Herzen, dass dieser Satz eben nur Einbildung gewesen war… Außerdem war es ziemlich zweideutig, von einem Vampir zum Essen eingeladen zu werden.
»D... das ist doch nicht nötig«, sagte ich atemlos und krallte unauffällig meine Hand in den Türrahmen.
Dracula setzte einen Hundeblick auf. »Ich bestehe darauf!«
»Ein wahrer Gentleman! Jamie, so eine Einladung darf man nicht ablehnen!«, meinte Mom nun begeistert.
Tränen der Verzweiflung stiegen mir in die Augen.
»Ich sehe David beim Trainieren zu!«
Wie jedes Mal, wenn ich Davids Namen meiner Mutter gegenüber erwähnte, verzog sie das Gesicht.
»Jamie, Davids Training kannst du mehrmals in der Woche ansehen – diese Einladung gilt nur für einen bestimmten Tag!«
Woher wollte sie das denn wissen? Das war alles Taktik, um mich von David fernzuhalten und gleichzeitig ihrem Favoriten die Türen zu öffnen.
»Na gut«, gab ich letztendlich verkrampft klein bei.
Yven schien sich über seinen Triumph und die Überlegenheit in der momentanen Situation zu freuen.
»Ich schlage vor, du kommst morgen um Acht zu uns«, grinste Dracula. Da er mich noch mehr in Verlegenheit bringen wollte, fügte er hinzu: »Den Weg kennst du ja schon.«
»Und wir sehen uns um Sieben, wenn das in Ordnung geht«, sagte meine Mutter an Yven gewandt. Dann hatte ich nur noch fünf Stunden Zeit, mir einen Weg auszudenken, wie ich Yven den Abend zur Hölle machen konnte...
Sofort, nachdem wir uns von Dracula verabschiedet hatten, wies meine Mutter mich an, frisches Gemüse für die spezielle Sauce, die in unserer Familie traditionell zu Nudeln gekocht wurde, zu kaufen.
Ich schnappte mir meine Jacke und verließ das Haus. Nächster Halt: Stanleys Gemüseladen!
Glücklicherweise wusste ich, dass Stanley auch etwas Anderes als Gemüse verkaufte...
»Jam!«, rief Stanley freudig, als ich den Laden betrat, »Was kann ich heute für dich tun?«
Ich grinste ihn geheimnisvoll an.
»Ich brauche fünf Tomaten und etwas Schnittlauch!«
Fröhlich pfeifend packte er mir die aufgezählten Sachen in eine durchsichtige Plastiktüte.
»Sonst noch was?«
Ich sah mich unschuldig im Raum um.
»Ach, wenn du schon so fragst... Du verkaufst doch bestimmt auch Gewürze und so, oder?«, fragte ich schließlich.
»Die besten weit und breit«, erwiderte Stanley breit grinsend.
Ich sparte mir den Kommentar, dass ‚weit und breit‘ in unserem Dorf ungefähr fünf Häuserblocks waren.
»Ich brauche was scharfes. Meine Familie liebt scharfes Essen. Es kann gar nicht scharf genug sein.«
Stanley kräuselte nachdenklich die Lippen.
»Ich hab‘ da schon noch was, aber das wird dir echt Feuer unterm Hintern machen…«
Ich musste grinsen. Es war ja auch nicht für mich gedacht...
»Mach dir um mich mal keine Sorgen. Ich werde es sicher überleben.«
Mit in Falten gelegter Stirn holte Stanley ein Gläschen mit einem rötlichen Pulver hinter dem aus einem Schränkchen hervor. Er begutachtete es noch ein kurzes Mal, bevor er es mir reichte.
»Hast du das Spiel gestern gesehen?«, fragte Stanley, während ich Geld aus meinem Portemonnaie kramte.
»Nein, ich hatte... anderes zu tun.«
Stanley war ein echter Football-Fanatiker und liebte es, sich bei seinen Freunden über das schlechte Spiel des Quarterbacks oder die Fehlentscheidungen des Schiedsrichters zu beschweren. Ich schätze, dass ein Grund, warum er mich mochte, die Tatsache war, dass David einer der besten Spieler des Footballteams war.
Hastig verabschiedete ich mich von Stanley und eilte nach Hause.
»Jamie!«, rief auf einmal jemand.
Ich blickte in die Richtung, aus der die Stimme kam.
»David!«
Mit einem Lächeln wie der Sonnenschein kam er auf mich zu.
»Kommst du heute zu meinem Training?«, lächelte er mich hoffnungsvoll an.
Ich biss mir nachdenklich auf die Unterlippe. Was sollte ich jetzt antworten?
»Ich habe heute keine Zeit, ich muss Sarah Nachhilfe geben«, log ich drauf los.
Betrübt zog er einen Schmollmund. Es war wirklich unfair. Da hätte ich einmal Zeit gehabt, mit ihm zusammen zu sein und dann musste Yven es ruinieren!
»Aber morgen kommst du, oder?«
Enttäuscht schüttelte ich den Kopf. Eigentlich wäre mir das Training auch lieber, als ein Abendessen bei Dracula und Nosferatu.
»Tut mir echt leid! Ich habe meiner Mutter versprochen, mit ihr Klamotten zu kaufen, weil sie anscheinend meine Hilfe dazu braucht...«
Ich hoffte, dass er mir diese miserable Lüge glaubte. Ich wollte ihn wirklich nicht verletzen, auch, wenn mir das Lügen Schuldgefühle bereitete.
»Ich versteh’ schon«, murmelte er und nickte nachdenklich. Sein strahlendes Lächeln war endgültig verschwunden.
»Am Montag bin ich dabei, ja?«, sagte ich aufmunternd und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Ein schwaches Lächeln kehrte auf Davids Lippen zurück.
»Na gut. Dann wünsche ich dir viel Spaß beim Shoppen.«
Ich überlegte noch, ob das sarkastisch gemeint war, als David mir einen flüchtigen Kuss auf die Stirn gab und sich auf den Weg machte. Ich glaubte, dass ihn das Gespräch mehr enttäuscht hatte als mich.
Als ich wieder zu Hause war, stellte ich die Gewürz-Mischung in ein sicheres Versteck, gab meiner Mutter das Gemüse und schlich dann in mein Zimmer.
Ich setzte mich einfach an meinen weißen Laptop, der mir vielleicht helfen würde, Dracula für wenigstens eine Viertelstunde zu vergessen.
Im Internet sah ich mir erst Fotos von Freunden an und sah mir die neuesten YouTube-Videos an, bevor ich mich schließlich nur noch wahllos von Seite zu Seite klickte.
Plötzlich schrie ich wütend auf.
Am oberen Bildschirmrand stand die Werbung: „Bist du ein Vampir oder ein Werwolf? Mach hier den großen Test!“
Schnell verließ ich die Seite wieder. Doch nach fünf Minuten dasselbe: „Welcher Vampir-Typ bist du? Finde es HIER heraus!«
Ich wusste ja, dass es viel Müll-Werbung gab, aber, dass ich $3,99 für so einen bescheuerten Test ausgeben sollte, verstand ich nicht.
Nach weiteren drei Minuten dasselbe: „Welcher Vampir passt zu dir?“ Daneben war ein zur Zeit sehr, sehr berühmter Schauspieler abgebildet, der einen gutaussehenden Vampir spielte. (Nein, für nichts in der Welt würde ich diesen Namen auch nur denken, also bleibt es bei einem „sehr, sehr berühmten Schauspieler“)
Unglaublich! Wütend klappte ich den PC zu. Aber wenigstens wusste ich jetzt, wofür Sarahs Taschengeld draufging.
Meine Tür wurde geöffnet und Sarah stand etwas verlegen davor. Wenn man auch nur an den Teufel dachte…!
»Jamie…?«, murmelte sie nervös und fummelte an ihren Fingernägeln herum.
»Was gibt’s?«
Sie sah mich verlegen an, und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es etwas mit Dracula zutun hatte. Stirnrunzelnd wartete ich darauf, dass sie antwortete.
»Heute Abend kommt doch Yven… Und weißt du…«
Es schien ihr wirklich peinlich zu sein. Zeit, mal ausnahmsweise (!) die nette Schwester zu spielen. Meine Schwester-Telepathie verriet mir sowieso, was sie wollte.
»Such dir was raus. Ich ziehe mir irgendwas an. Kannst auch das T-Shirt haben, das dir schon immer so gefallen hat.«
Sie sah mich dankbar an. Ja, ich konnte auch nett zu Sarah sein! Ich wollte es nur meistens nicht. Ich lächelte schwach zurück. Sarah sah so aus, als würde sie nur wegen dem Oberteil gleich einen Freudentanz machen. Mir war es ehrlich gesagt wirklich egal. Das ganze Abendessen würde doch sowieso ein Reinfall werden. Ich öffnete ihr sogar noch die Kleiderschranktüren und ging dann hinaus.
Unten stand meine Mutter gerade in der Küche und schnippelte etwas. Anscheinend lief sie auf Hochtouren und achtete penibel genau darauf, dass ja nichts anbrannte.
Ich half auch nicht weiter beim Kochen mit, sondern warf mich auf die Couch und schaltete den Fernseher ein. Ich hatte nicht wirklich Lust auf Besuch von diesem Blödmann, aber irgendwie würde ich dabei sicherlich noch meinen Spaß haben…
»Jamie! Es ist zehn vor Sieben! Willst du dich nicht langsam fertig machen?«, rief meine Mutter aus der Küche.
Glaub mir, alleine der Gedanke macht mich fertig, dachte ich. Ich würde einfach die Sachen anbehalten, die ich heute auch in der Schule getragen hatte.
Beim Tischdecken würde ich auch nicht helfen. Trotzdem musste ich wenigstens so tun, als würde ich in der Küche mitarbeiten, damit ich Teil zwei meines bösen Plans umsetzen konnte, aber dafür war es noch zu früh…
Als es kurz darauf an der Haustür klingelte, hörte ich Sarah in ihrem Zimmer aufgeregt Quietschen.
»Ich mache auf!«, schrie sie, nachdem sie ihre Zimmertür lautstark aufgestoßen hatte. Ich hoffte insgeheim, dass Dracula das mit seinem feinen Gehör mitbekommen hatte.
Seufzend zwang auch ich mich von der Couch und schleppte mich in den Flur.
Und da stand schon Yven – und verdammt, ich wusste nicht, dass das überhaupt möglich war, aber jetzt sah er noch viel heißer aus als sonst. Alle meine bösen Pläne waren für einen kurzen Augenblick wie vergessen. Das machte er doch sicherlich mit Absicht…
Er trug ein graues T-Shirt, dunkelblaue, verwaschene Jeans und Sneakers. Dieses Grau… passte perfekt zu… Nein! Stopp! Nicht schon wieder diese Nummer! Ich dachte, ich wäre inzwischen immun gegen Draculeritis... Falsch gedacht.
»Guten Abend, Mrs Ascott«, sagte er charmant mit seiner Honigstimme zu meiner Mutter und mimte schon wieder den Gentleman. Sarah und meine Mutter fraßen ihm geradezu aus der Hand.
Wieder musste ich den Drang unterdrücken, ihm die Zunge rauszustrecken – oder schlimmeres.
»Das Essen ist noch nicht ganz fertig. Beschäftigt euch doch derweil anderweitig«, schlug meine Mutter vor, ehe sie wieder in die Küche verschwand.
»Sarah kann dir ihre Plüschtiersammlung zeigen!«, sagte ich grinsend zu Yven. Sarah versuchte, mich mit ihren Blicken umzubringen. Eine gute tat pro Tag reichte doch, und mein Lieblings-Oberteil trug sie ja schon, also kam jetzt wieder die böse Jamie zum Vorschein.
»Okay. Aber dann will ich deine Postersammlung sehen!«, sagte Dracula böse grinsend zu mir. Sarah wollte auch etwas sagen. Ich musste fast loslachen, weil Yven so groß war, dass sie den Kopf in den Nacken legen musste. Wenn sie ihn küssen wollte, müsste sie erst einen Stuhl zum Draufsteigen holen. Der Gedanke daran war ebenso belustigend wie abstoßend.
»Ich könnte dir ja mal mein Zimmer zeigen!«, bot Sarah Dracula nun begeistert an. Dieser lächelte natürlich zurück und stimmte zu. Grinsend folgte ich den beiden die Treppe nach oben. Mal sehen, was er zu all ihren Postern sagen würde.
Doch in Sarahs Zimmer waren alle Poster abgehängt. Ich musste zugeben, dass das ein guter Schachzug gewesen war. Sie hatte sie extra für Yvens Besuch verschwinden lassen!
»Schick!«, meine Yven belustigt. Hätte Sarah auf seinen Gesichtsausdruck geachtet, hätte sie gesehen, dass er nicht wirklich Interesse daran hatte, sich das Zimmer eines hormongesteuerten kleinen Mädchens anzugucken.
»Sarah?«, fragte er dann. Sie riss sofort den Kopf hoch.
»Ja?«
Yven lächelte sie freundlich an. Heucheln hatte er drauf, das musste man ihm lassen.
»Stört es dich, wenn ich kurz mit Jamie verschwinde? Ich muss sie noch was wegen den Englisch-Hausaufgaben fragen, weißt du…«
Ich hob eine Augenbraue. Wir hatten gar keine Englisch-Hausaufgaben auf…
Einen Moment lang guckte Sarah perplex zu mir.
»Kein Problem. Essen ist sowieso bald fertig«, sagte sie, und als ihre Schwester erkannte ich, dass sie in Wirklichkeit enttäuscht war. Sie wurde langsam wirklich zur Klette.
Misstrauisch über Draculas Aussage, führte ich ihn in mein Zimmer. Ich glaubte ihm kein Wort, denn es hatte sich in dieser Woche noch herausgestellt, dass er in so gut wie allen Fächern ein Ass war. Selbst in Sport. Hierbei muss ich wohl nicht auf die Wirkung eingehen, die ein sportlicher, verschwitzter Yven auf jedes Mädchen in der Halle hatte. Ich wollte ihm den Ball beim Völkerball spielen direkt ins Gesicht werfen – und er fing ihn auf! Zwei Zentimeter vor seinem Gesicht. Dabei war ich immer die Beste in... Er nahm mir immer die Freude! Als ich ihn einmal für ein paar Sekunden aus den Augen gelassen hatte, hatte Yven mir den Ball auch schon an den Hinterkopf geknallt und schadenfroh gelacht.
In meinem Zimmer angekommen, setzte Yven sich einfach auf mein Bett und beobachtete mich, wie ich abwartend in der Mitte des Raumes stand.
»Was willst du?«, fragte ich schließlich.
»Ich habe gesehen, dass Sarah mich so anguckt.. Tja, was soll ich sagen…«, murmelte er
Ich begann zu lachen.
»Du wolltest Sarah loswerden!«
Er sah mich wieder mit seinem sexy Killerblick an.
»Sie ist vierzehn, und es ist nicht gut, wenn sie… Du weißt schon.«
Ich nickte.
»Was willst du auch mit ihr? Du magst doch die Mädchen lieber, die kurze Röcke tragen und sie für dich auch mal hochschieben!«
Jetzt lachte Yven.
»Du hast mich aber schnell durchschaut.«
Das konnte jedes Wesen mit einem IQ über 40, also jeder, außer Anna und ihre läufigen Freundinnen.
»Ja, hab ich… Du bist einer, der jede nimmt.«
Yven schüttelte ernsthaft den Kopf.
»Nicht jede. Deine Schwester zum Beispiel nicht! ... Aber was ist mit dir?! Du bist sicher noch Jungfrau!«, lachte er.
Jetzt fühlte ich mich gekränkt. Sah ich etwa aus wie eine Jungfrau?!
Gut, ich war wirklich noch Jungfrau, aber woran hatte er das bitteschön erkannt?!
»Ich will dieses Besondere Erlebnis eben mit einer besonderen Person teilen.«
Yven lachte wieder. Das war aber überhaupt nicht lustig!
»Wenn du beim ersten Mal eines Tages enttäuscht wirst,– und glaub mir, es wird passieren – wirst du anders über mich denken…«
Mein Unterkiefer klappte herunter. Das war jetzt nicht sein Ernst!
»Komm sofort hierher«, fauchte ich und deutete neben mich.
»Wieso? Willst du mir jetzt den Hintern versohlen?«, fragte Dracula amüsiert.
»Komm doch her und find’s heraus!«
Keiner von uns beiden sagte jetzt etwas. Wir benahmen uns aber auch wirklich wie kleine Kinder! Abgesehen vom Gesprächsthema natürlich…
»Essen ist fertig!«, rief meine Mutter von unten, und jetzt erhob sich Yven tatsächlich.
»Was gibt’s eigentlich?«, fragte Yven im Rausgehen.
»Siehst du dann schon«, meinte ich gleichgültig. Yven grinste noch breiter.
»Könntest du das bitte übersetzen?«
Ich schüttelte nur den Kopf und verschwand in die Küche, in der immer noch meine Mutter stand.
»Geh schon mal, ich bringe die Teller heraus«, sagte ich zu ihr.
Sie sah m ich zwar überrascht an, ging jedoch nach einem kurzen Nicken zum Esstisch im Wohnzimmer, an dem auch schon Yven und Sarah saßen.
Böse wie ich war, holte ich das kleine Gläschen mit Stanleys superscharfer Gewürzmischung aus dem Versteck und streute über einen der Teller etwas von diesem Gewürz. War ja klar, an wen dieser Teller gehen würde…
Schnell stellte ich die vollen Teller und die leeren Gläser auf ein Tablett und trug sie an den Esstisch. Stirnrunzelnd guckte Yven auf die Teller auf dem Tablett. Noch nie Nudeln gesehen, oder was?
Ich verteilte die Teller an alle – Yven bekam den mit Stanleys Gewürzen.
»Möchtest du vielleicht was zu Trinken, Yven?«, fragte ich diesen zuckersüß.
Als Dracula zur Antwort auf meinen Hals starrte, presste ich die Lippen aufeinander und setzte mich schweigend an meinen Platz neben ihm. Das hieß wohl Nein.
»Ich hoffe, es schmeckt euch!«, meinte meine Mutter voller Vorfreude und blickte zwischen Dracula und mir hin und her. Erwartete sie jetzt einen Kuss? Nette Worte? Ein Lächeln?
Ich war wohl die einzige, die Yvens misstrauischen Blick sah, der sich auf den Teller vor seiner Nase fixiert hatte. Dann konnte er wohl doch nichts davon essen. Doch er bewies mir nur Sekunden später das Gegenteil. Zweifelnd schob er sich eine Gabel voll Nudeln in den Mund.
Seine Geschmacksnerven müssten explodieren… Und zwar genau… jetzt!… Jetzt!...
Ich hasste Vampire, die waren auch für wirklich keinen Schmerz zu haben. Dracula tat so, als wäre nichts, also war mein kompletter Plan gescheitert.
»Wie schmeckt es dir, Yven?«, hakte ich verzweifelt nach.
In dem Moment entdeckte ich etwas. Yven hatte seine rechte Hand unter den Tisch gezogen und krampfhaft zu einer Faust geballt, so stark, dass die Knochen weiß hervortraten.
Mein Plan hatte also doch funktioniert!
»Schmeckt die Spezial-Soße? Das ist unser Familienrezept!«
Dracula lächelte meine Mutter ebenso verkrampft an. »Sehr köstlich. Es prickelt richtig auf der Zunge!«
Der zweite Satz war dann wohl eher an mich gerichtet… Mit theatralischem Mitleid sah ich ihn an und schob mir selbst einen großen Happen in den Mund.
»Ich möchte ja nicht unhöflich erscheinen«, sagte Dracula unmittelbar todernst, »Aber es gibt etwas, das ich mit Jamie bereden müsste. Sofort…«
Verdammt! Die Blicke von Sarah und meiner Mutter sprachen Bände. Gar nicht gut, dafür bringe ich dich später um, Dracula.
»Kein Problem«, hauchte meine kuppel-verrückte Mutter grinsend zurück und ich erhob mich extra langsam, wie in Zeitlupe.
Dracula schien dadurch… gequält!
Sobald wir vor den Blicken von meiner Mutter und Sarah verborgen waren, hatte ich ein komisches Gefühl in der Magengegend.
Plötzlich packte Yven mich am Handgelenk und zog mich vor die Haustür. Was war denn jetzt los?
Und dann, ganz unerwartet… küsste er mich!
Ich verstand die Welt nicht mehr und versuchte, ihn von mir wegzuschubsen, doch er war ungefähr so beweglich wie ein Felsbrocken.
Ich weiß, ich hätte nicht aufgeben dürfen… Aber stattdessen… erwiderte ich den Kuss! Genau genommen konnte ich aber nichts dafür. Er hatte das Küssen seit 300 Jahren geübt, und das merkte man. Außerdem roch er so unvorstellbar gut, jetzt, da ich ihm so nahe war
Begierig liebkosten seine Lippen die meinen, sodass mir sogar ein Stöhnen entfuhr.
Dann fuhr er mit den Lippen über mein Kinn und immer tiefer meinen Hals hinunter.
»Weißt du… Schärfe hat eine besondere Wirkung auf Vampire… Sie.. erregt uns!«, murmelte er, während er meinen Hals entlang fuhr.
Dann hatte ich also das komplette Gegenteil von dem bewirkt, was ich eigentlich wollte? Aber das war mir im Moment ja auch egal… Denn Vampire küssten nun mal viel zu gut… Vielleicht sollte ich mir ernsthaft überlegen, mir einen anzulegen. In diesem Moment war mir das Wichtigste nicht mal in den Sinn gekommen: Mein Freund David.
Atemlos griff ich ihm in die Haare und zog ihn wieder an mich, um ihn erneut zu küssen. Es war zwar extrem merkwürdig, jemanden zu küssen, den man hasste, aber im Moment interessierte das keinen von uns beiden.
Plötzlich wurde ich von Yven an die Hauswand gepresst. Sogar das ließ ich über mich ergehen. Zwar schmerzte es, weil er seine Kräfte nicht mehr kontrollieren konnte und ich deshalb halb erdrückt wurde, doch wie man sicherlich schon gemerkt hatte, war uns beiden alles egal.
Plötzlich sah Yven mich an.
»Wie denkst du jetzt über mich?«, fragte er, und brachte selbst in dieser Situation noch ein schwaches Grinsen zustande. Ich rollte mit den Augen.
»Nach dem Sex wirst du wohl auch kaum fragen „Wie war ich?“! Du kennst die Antwort ja sowieso! Aber bei mir wird das kein Dauerzustand sein… Spätestens morgen früh werde ich dich dafür umbringen wollen.«
Er grinste schief.
»Dann sollte ich das hier vielleicht noch ein wenig ausnutzen…«
Doch ich versuchte, ihn von mir zu drücken. Da er nachgab, schaffte ich es sogar.
»Nein, mit deiner beschissenen Frage hast du mir den Spaß verdorben!«, sagte ich grinsend, als wäre nichts gewesen. Und mit dieser Aussage ließ ich ihn stehen und ging zurück zu Sarah und Mom. Die beiden guckten nicht schlecht, als ich plötzlich anfing, zu grinsen.
Ich erwiderte die Blicke der beiden einfach und schob mir immer noch grinsend einen weiteren Bissen in den Mund.
Nach ein paar Sekunden kam auch Dracula zurück, und ein eiskalter Killerblick traf mich. Mir doch egal, immerhin hatte ich es fertig gebracht, Dracula einen Korb zu erteilen! Wenn das keine Leistung war… Ich war tatsächlich stolz auf mich.
Jetzt starrte er kurz auf sein Essen… Zu doof aber auch, dass da noch mehr von dem Gewürz drauf war! Wenn er das essen würde, würde er mich hier und jetzt… Nein, diesen Gedanken konnte ich nun wirklich nicht zu Ende denken, so vernebelt war mein Hirn nun auch wieder nicht.
Ganz vorsichtig stocherte Dracula noch in der roten Soße herum und aß hin und wieder eine ganz kleine Gabel voll. Meine Mutter beobachtete das ganze du bemühte sich, nicht zu zeigen, wie sehr es sie gerade verletzte, dass er ihr Essen nicht verschlang, wie es für Riesen-Kerle wie Yven nun mal üblich war.
Sarah hingegen guckte immer wieder zwischen mir und Dracula hin und her und versuchte anscheinend, sich einen Reim auf unser Mienenspiel zu machen.
»Habt ihr jetzt alles geklärt?«, fragte sie plötzlich. Ich hätte beinahe das Essen in meinem Mund wieder ausgespuckt, doch stattdessen hustete ich zweimal so leise wie möglich. Yven hatte noch immer seinen Killerblick aufgesetzt, doch wenigstens seine Stimme klang wieder einigermaßen normal.
»Ich denke schon«, sagte er, und nur ich hörte den verbitterten Tonfall, der sich darin versteckte. Komm schon! Ich hatte gedacht, es wäre viel schwerer, sein Ego anzukratzen. Doch jetzt musste ich feststellen, dass Dracula auch verletzlich sein konnte. Ich schwankte zwischen Enttäuschung, weil es so leicht gewesen war, und Freude, weil ich es geschafft hatte, ihn zu kränken.
Yvens Killerblick war verschwunden, und stattdessen guckte er jetzt… verführerisch! Als ich sah, wie er Sarah mit genau diesem Blick ansah, musste ich eingreifen… Er sollte es nicht an meiner Schwester auslassen, dass er gerade total scharf war!
Deshalb nahm ich meine Gabel und pikste ihn fest ins Bein. Hatte er mir nicht selbst vor einer halben Stunde noch vorgepredigt, dass Sarah zu jung für so was war? irgendwann würde ich ihn umbringen! Immer wieder dasselbe!
»Yven… Sind deine Bauchschmerzen noch immer da? Wenn ja, solltest du vielleicht aufhören, zu essen!«, sagte ich jetzt todernst. Das nannte man dann wohl einen Wink mit dem Zaunpfahl…
»Ja.. Diese Schmerzen sind noch da«, sagte er nach einem Räuspern und blickte unauffällig nach unten, wo ich ihn noch immer mit der Gabel in den Oberschenkel pikste, »Ich denke, ich höre auf. Aber es war wirklich köstlich!«
Meine Mutter guckte besorgt, lächelte jedoch gleichzeitig wegen des Kompliments an ihre Kochkünste.
»Du isst sicherlich nicht jeden Tag Spezial-Sauce, oder?«, lächelte Sarah.
Yven lachte schwach. Hörte ich da etwa Sarkasmus raus?
»Nein, das nun wirklich nicht. Ich esse sowieso immer nur eine Kleinigkeit.«
Insgesamt war des Essen doch ziemlich hilfreich gewesen. Yven hatte kapiert, dass Sarah auf ihn stand und ich wusste jetzt, wie man Vampire erregte –nicht sodass ich es jemals wieder anwenden würde…
Der einzige Nachteil war, dass meine Mutter nun dachte, ich wäre in Yven verliebt. Aber das würden wir auch wieder irgendwie aus ihrem Kopf kriegen, und David wieder rein, ganz sicher. Damit hatte ich zwar die Sympathie zwischen meiner Mutter und Dracula noch verstärkt, aber desto schlimmer würde es werden, wenn ich ihn erst mal richtig vorführen würde. Der Idiot hatte mich immerhin geküsst, und langsam bekam ich Rachegelüste. Das konnte er nicht einfach so machen, egal, wie scharf sein Essen gewesen war.
Vielleicht halfen mir Hohlbirne zwei und drei (Lestat und Nosferatu) ja dabei, ihn fertig zu machen. Immerhin hatte er beide ganz schön auf die Palme gebracht... Und würde ich ihre Fähigkeit besitzen, Menschen (und Dracula) mit der bloßen Berührung zu verletzen, würde Yven den ganzen Tag vor Schmerzen schreien.
»Auf Wiedersehen, Mrs Ascott«, sagte Yven und lächelte ihr zu.
Nachdem er auch mich und Sarah verabschiedet, und ich irgendetwas unverständliches gemurmelt hatte, wollte ich Dracula schon nach draußen vor die Tür schieben. Doch er wehrte sich unauffällig gegen mein Geschubse.
»Okay, dann sehen wir uns morgen… Aber… Wir essen später, komm bitte erst um halb Neun vorbei.«
Halb Neun? Ich dachte, nur Europäer aßen so spät zu Abend… Na ja, da müsste ich jetzt durch…
Ich würde den morgigen Tag schon überleben!… Hoffte ich zumindest.
In dieser Nacht wälzte ich mich noch lange im Bett herum, bevor ich einschlief. Das Gefühl, dass mich morgen etwas schreckliches erwarten würde, wollte einfach nicht verschwinden und machte mich ganz kirre. Außerdem könnte ich zum Nachtisch werden, und allein diese absurde Idee brachte mich schon fast zum Durchdrehen.
Aber ich müsste mir noch etwas Böses einfallen lassen. Denn spätestens morgen… nein, es war schon 1 Uhr nachts! Also spätestens heute in der Früh würde ich wahnsinnige Mordlust bekommen. Denn dieses verdammte Arschgesicht hatte mich geküsst – und morgen würden die beiden Tomatenscheiben, die heute glücklicherweise noch auf meinen Augen lagen, einfach herunterflappen und ich würde anfangen, vor Hass und Wut zu schreien.
Kapitel 5: Dinner für Spinner
»Mach’s gut, Catherine!«, rief ich ihr hinterher, bevor sie um die Ecke bog. Das Wochenende würde sie mit ihrer Verwandtschaft verbringen – sie war nämlich Tante geworden! Und deshalb musste sie sich nun extra mit ihren Eltern nach Brooklyn begeben.
Diese Woche war wirklich toll gewesen! Ich hatte mir ein kleines Experiment erlaubt: Den Rest der Woche hatte ich so getan, als würde Dracula nicht existieren.
Für das Ergebnis hätte ich den Nobelpreis verdient:
Am ersten Tag hatte er noch versucht, mich anzuquatschen.
Am zweiten Tag hatte er versucht, mein Schweigen durch böse Sprüche zu brechen!
Am dritten und vierten Tag hatte er mich dann sogar in Ruhe gelassen! Halleluja, es hab einen Weg, Vampire loszuwerden.
Der Nachteil war nur, dass er stattdessen begann, mit Anna rumzuhängen. Wie konnten die beiden nur aufeinander reinfallen?
Yven fiel einfach so auf ihre langen Beine und den tiefen Ausschnitt herein
Und Anna fiel auf sein charmantes Lächeln und den scharfen Hintern hinein.
Moment… das überraschte mich doch nicht. Es war aber trotzdem wirklich widerlich, zu sehen, wie die beiden miteinander flirteten.
Ansonsten war nichts erwähnenswertes passiert. Marvin hasste David noch immer, David hasste Yven noch immer – obwohl er es natürlich nie zugeben würde. Je mehr Tage vergingen, desto grimmiger wurde sein Blick, wenn Yven mich anquatschte. Die letzte Woche war also weder für ihn noch mich leicht gewesen.
Umso zufriedener war ich, als ich endlich zu Hause war. Sarah war auch schon zu Hause und aß gerade ein Sandwich in der Küche, Mom war noch auf der Arbeit.
Ich hatte auch Hunger, und ihr Sandwich sah wirklich verführerisch gut aus.
»Toast ist leer«, sagte Sarah jedoch, als ich gerade begann, danach zu suchen.
Ich warf ihr einen tödlichen Blick zu, doch sie konterte ihn mit einem schiefen Grinsen und einem extra genussvollen Biss in ihr Sandwich. Als es läutete und ich keine Anstalten machte, hinzugehen, sprang sie trotzdem widerwillig von ihrem Stuhl auf.
Doch schon nach wenigen Sekunden kam sie zurück. Ich erkannte an ihren geröteten Wangen und dem merkwürdig zufriedenen Lächeln sofort, wer es war. Und bei dieser Person wunderte es mich überhaupt, dass sie nicht durchs Fenster gekommen war.
»Ist für dich«, meinte Sarah beinahe schon flüsternd und sah mich fröhlich an.
Wusste ich’s doch. Mir war von Anfang an klar gewesen, dass Sarah so reagieren würde, wenn sie Dracula sah. Ich schob mich an ihr vorbei in den Flur. Da ich wusste, dass Sarah sich eine Chance zu lauschen nicht entgehen lassen würde, schloss ich die Tür direkt vor ihrer Nase. Yven stand vor der Haustür und blickte sich mit ungewöhnlichem Interesse um. Als er mich entdeckte, grinste er wie immer breit.
»Hey, Baby.«
Ich rollte mit den Augen. Selbst mit Samtstimme war das das Letzte. Musste das sein? Immerhin konnte ich mit Sicherheit sagen, dass Sarah selbst hinter der geschlossenen Tür angespannt lauschte. Und so könnte hinterher sogar das eine zum anderen führen und David hiervon erfahren, denken, dass ich ihn betrog und sich von mir trennen. Aber wahrscheinlich dachte ich viel zu weit.
»Hey, Dracula«, murrte ich. Eigentlich konnte es mir ja egal sein, was Sarah sich darauf reimte.
»Was willst du hier?«
Hielt er es nicht mal vier Tage ohne mich aus?
»Willst du mich nicht erst mal hineinbitten?«, fragte er schief grinsend. Mit aufeinander gepressten Lippen trat ich ein paar Schritte zurück, damit er eintreten konnte.
Hätte ich es nicht getan, wäre er ja sowieso durchs Fenster gekommen.
»Lebt Alex eigentlich noch?«, fragte ich beiläufig. Wie gesagt, mir war nicht wichtig, wie Sarah das interpretierte.
»Klar! mit seinen Fähigkeiten war er mir einfach überlegen. Und einen Tipp gebe ich dir: Zerstöre niemals seine Frisur, sonst frisst er dich auf!«
Dracula war anscheinend bewusst, dass Sarah lauschte, denn er benutzte ja offensichtlich besonders zweideutige Wörter.
»Weshalb bist du jetzt hier?«, drängelte ich.
»Ich hab dich einfach so vermisst!«, säuselte Dracula. Ich rollte mit den Augen.
»Weshalb bist du wirklich hier?«
Er zog ein Heft hinter seinem Rücken hervor. Mein Heft! Wortlos reichte er es mir.
»Danke«, sagte ich verbissen. Yven grinste fies zurück.
»Kein Problem! Was ist eigentlich aus den Postern geworden, die ich dir geschenkt habe?«, fragte er amüsiert.
Ach stimmt, dafür wollte ich ihn noch umbringen.
»Die hab ich abgerissen und weggeworfen!«
In seinem Blick lag fast schon so etwas wie Enttäuschung, als er das hörte. Hatte er denn wirklich gedacht, dass ich die Poster hängen lassen würde?
»Ich hab gedacht, du hättest was einfallsreicheres auf Lager, um sie zu vernichten.«
Als ich an Yven vorbei blickte, sah ich, wie meine Mutter den Wagen in der Einfahrt parkte.
Oh nein, das darf nicht wahr sein! Ich konnte mir schon denken, was nun passierte…
Als sie Yven erblickte, hellte ihre Miene sich deutlich auf.
»Was für eine Überraschung!«, rief sie freudig und klatschte in die Hände, während sie auf uns zu kam.
»Nun ja, Ihre Tochter scheint sehr gerne irgendwo Sachen liegen zu lassen«, lächelte er sie mit dem typischen charmanten Lächeln an, das er jedem schenkte – außer mir. Ich bekam immer dieses süffisante Grinsen ab, das keiner so gut hinbekam wie er.
»Ach! Jamie ist dir ja so dankbar!«, sagte meine Mutter übertrieben glücklich, »Wie wäre es, wenn du als Dankeschön bei uns zu Abend isst?«
Ich musste einen Schrei unterdrücken. Das entwickelte sich ja langsam zu einem regelrechten Alptraum… Außerdem war ich nicht dankbar.
»David kommt heute schon vorbei«, sagte ich knapp.
Meine Mutter seufzte genervt. Sie konnte David aus irgendeinem Grund nicht leiden, und deshalb versuchte sie, mich mit Yven zu verkuppeln. Über David sagte sie immer, ihr ‚mütterlicher Instinkt‘ sagte ihr, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Aber mit Dracula war also alles in Ordnung? Also wirklich, eine noch schlechtere Menschenkenntnis konnte man gar nicht haben.
»Ich dachte, David hat heute langes Footballtraining!«, mischte Yven sich jetzt unschuldig lächelnd ein.
Das hatte ich ja ganz vergessen! Woher wusste er es? Ich schnaubte wütend.
»Na dann kannst du ja kommen!«, rief meine Mutter überschwänglich fröhlich, während mir hingegen schon wieder Tausende Mordgedanken durch den Kopf schossen, wenn ich Yven auch nur ansah.
Er blickte vergnügt in die Runde.
»Ich weiß nicht, Ob ich heute Zeit habe...«, meinte er und tat so, als würde er überlegen, um mich noch mehr zu peinigen.
Meine Mutter gab natürlich nicht so schnell auf.
»Ach komm schon! Wir alle würden uns riesig darüber freuen!«
Alle? Ich schnaufte verächtlich, konnte jedoch nicht rechtzeitig eingreifen.
»Dann will ich euch mal nicht enttäuschen!«, willigte er grinsend ein.
Meine Mutter sah nun erst recht aus, als würde sie jeden Moment Luftsprünge machen. Die Sympathie, die sie für Yven empfand, war nicht mehr normal.
Wahrscheinlich dachte sie bereits daran, ihn zu ihrem Schwiegersohn zu machen. Vielleicht auch schon an die Namen ihrer Enkel.
Alleine der Gedanke jagte mir einen unangenehmen Schauer über den Rücken.
»Aber als Dankeschön lade ich Jamie auch einmal zu uns ein!«
Oh nein! Ich hoffte von ganzem Herzen, dass dieser Satz eben nur Einbildung gewesen war… Außerdem war es ziemlich zweideutig, von einem Vampir zum Essen eingeladen zu werden.
»D... das ist doch nicht nötig«, sagte ich atemlos und krallte unauffällig meine Hand in den Türrahmen.
Dracula setzte einen Hundeblick auf. »Ich bestehe darauf!«
»Ein wahrer Gentleman! Jamie, so eine Einladung darf man nicht ablehnen!«, meinte Mom nun begeistert.
Tränen der Verzweiflung stiegen mir in die Augen.
»Ich sehe David beim Trainieren zu!«
Wie jedes Mal, wenn ich Davids Namen meiner Mutter gegenüber erwähnte, verzog sie das Gesicht.
»Jamie, Davids Training kannst du mehrmals in der Woche ansehen – diese Einladung gilt nur für einen bestimmten Tag!«
Woher wollte sie das denn wissen? Das war alles Taktik, um mich von David fernzuhalten und gleichzeitig ihrem Favoriten die Türen zu öffnen.
»Na gut«, gab ich letztendlich verkrampft klein bei.
Yven schien sich über seinen Triumph und die Überlegenheit in der momentanen Situation zu freuen.
»Ich schlage vor, du kommst morgen um Acht zu uns«, grinste Dracula. Da er mich noch mehr in Verlegenheit bringen wollte, fügte er hinzu: »Den Weg kennst du ja schon.«
»Und wir sehen uns um Sieben, wenn das in Ordnung geht«, sagte meine Mutter an Yven gewandt. Dann hatte ich nur noch fünf Stunden Zeit, mir einen Weg auszudenken, wie ich Yven den Abend zur Hölle machen konnte...
Sofort, nachdem wir uns von Dracula verabschiedet hatten, wies meine Mutter mich an, frisches Gemüse für die spezielle Sauce, die in unserer Familie traditionell zu Nudeln gekocht wurde, zu kaufen.
Ich schnappte mir meine Jacke und verließ das Haus. Nächster Halt: Stanleys Gemüseladen!
Glücklicherweise wusste ich, dass Stanley auch etwas Anderes als Gemüse verkaufte...
»Jam!«, rief Stanley freudig, als ich den Laden betrat, »Was kann ich heute für dich tun?«
Ich grinste ihn geheimnisvoll an.
»Ich brauche fünf Tomaten und etwas Schnittlauch!«
Fröhlich pfeifend packte er mir die aufgezählten Sachen in eine durchsichtige Plastiktüte.
»Sonst noch was?«
Ich sah mich unschuldig im Raum um.
»Ach, wenn du schon so fragst... Du verkaufst doch bestimmt auch Gewürze und so, oder?«, fragte ich schließlich.
»Die besten weit und breit«, erwiderte Stanley breit grinsend.
Ich sparte mir den Kommentar, dass ‚weit und breit‘ in unserem Dorf ungefähr fünf Häuserblocks waren.
»Ich brauche was scharfes. Meine Familie liebt scharfes Essen. Es kann gar nicht scharf genug sein.«
Stanley kräuselte nachdenklich die Lippen.
»Ich hab‘ da schon noch was, aber das wird dir echt Feuer unterm Hintern machen…«
Ich musste grinsen. Es war ja auch nicht für mich gedacht...
»Mach dir um mich mal keine Sorgen. Ich werde es sicher überleben.«
Mit in Falten gelegter Stirn holte Stanley ein Gläschen mit einem rötlichen Pulver hinter dem aus einem Schränkchen hervor. Er begutachtete es noch ein kurzes Mal, bevor er es mir reichte.
»Hast du das Spiel gestern gesehen?«, fragte Stanley, während ich Geld aus meinem Portemonnaie kramte.
»Nein, ich hatte... anderes zu tun.«
Stanley war ein echter Football-Fanatiker und liebte es, sich bei seinen Freunden über das schlechte Spiel des Quarterbacks oder die Fehlentscheidungen des Schiedsrichters zu beschweren. Ich schätze, dass ein Grund, warum er mich mochte, die Tatsache war, dass David einer der besten Spieler des Footballteams war.
Hastig verabschiedete ich mich von Stanley und eilte nach Hause.
»Jamie!«, rief auf einmal jemand.
Ich blickte in die Richtung, aus der die Stimme kam.
»David!«
Mit einem Lächeln wie der Sonnenschein kam er auf mich zu.
»Kommst du heute zu meinem Training?«, lächelte er mich hoffnungsvoll an.
Ich biss mir nachdenklich auf die Unterlippe. Was sollte ich jetzt antworten?
»Ich habe heute keine Zeit, ich muss Sarah Nachhilfe geben«, log ich drauf los.
Betrübt zog er einen Schmollmund. Es war wirklich unfair. Da hätte ich einmal Zeit gehabt, mit ihm zusammen zu sein und dann musste Yven es ruinieren!
»Aber morgen kommst du, oder?«
Enttäuscht schüttelte ich den Kopf. Eigentlich wäre mir das Training auch lieber, als ein Abendessen bei Dracula und Nosferatu.
»Tut mir echt leid! Ich habe meiner Mutter versprochen, mit ihr Klamotten zu kaufen, weil sie anscheinend meine Hilfe dazu braucht...«
Ich hoffte, dass er mir diese miserable Lüge glaubte. Ich wollte ihn wirklich nicht verletzen, auch, wenn mir das Lügen Schuldgefühle bereitete.
»Ich versteh’ schon«, murmelte er und nickte nachdenklich. Sein strahlendes Lächeln war endgültig verschwunden.
»Am Montag bin ich dabei, ja?«, sagte ich aufmunternd und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Ein schwaches Lächeln kehrte auf Davids Lippen zurück.
»Na gut. Dann wünsche ich dir viel Spaß beim Shoppen.«
Ich überlegte noch, ob das sarkastisch gemeint war, als David mir einen flüchtigen Kuss auf die Stirn gab und sich auf den Weg machte. Ich glaubte, dass ihn das Gespräch mehr enttäuscht hatte als mich.
Als ich wieder zu Hause war, stellte ich die Gewürz-Mischung in ein sicheres Versteck, gab meiner Mutter das Gemüse und schlich dann in mein Zimmer.
Ich setzte mich einfach an meinen weißen Laptop, der mir vielleicht helfen würde, Dracula für wenigstens eine Viertelstunde zu vergessen.
Im Internet sah ich mir erst Fotos von Freunden an und sah mir die neuesten YouTube-Videos an, bevor ich mich schließlich nur noch wahllos von Seite zu Seite klickte.
Plötzlich schrie ich wütend auf.
Am oberen Bildschirmrand stand die Werbung: „Bist du ein Vampir oder ein Werwolf? Mach hier den großen Test!“
Schnell verließ ich die Seite wieder. Doch nach fünf Minuten dasselbe: „Welcher Vampir-Typ bist du? Finde es HIER heraus!«
Ich wusste ja, dass es viel Müll-Werbung gab, aber, dass ich $3,99 für so einen bescheuerten Test ausgeben sollte, verstand ich nicht.
Nach weiteren drei Minuten dasselbe: „Welcher Vampir passt zu dir?“ Daneben war ein zur Zeit sehr, sehr berühmter Schauspieler abgebildet, der einen gutaussehenden Vampir spielte. (Nein, für nichts in der Welt würde ich diesen Namen auch nur denken, also bleibt es bei einem „sehr, sehr berühmten Schauspieler“)
Unglaublich! Wütend klappte ich den PC zu. Aber wenigstens wusste ich jetzt, wofür Sarahs Taschengeld draufging.
Meine Tür wurde geöffnet und Sarah stand etwas verlegen davor. Wenn man auch nur an den Teufel dachte…!
»Jamie…?«, murmelte sie nervös und fummelte an ihren Fingernägeln herum.
»Was gibt’s?«
Sie sah mich verlegen an, und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es etwas mit Dracula zutun hatte. Stirnrunzelnd wartete ich darauf, dass sie antwortete.
»Heute Abend kommt doch Yven… Und weißt du…«
Es schien ihr wirklich peinlich zu sein. Zeit, mal ausnahmsweise (!) die nette Schwester zu spielen. Meine Schwester-Telepathie verriet mir sowieso, was sie wollte.
»Such dir was raus. Ich ziehe mir irgendwas an. Kannst auch das T-Shirt haben, das dir schon immer so gefallen hat.«
Sie sah mich dankbar an. Ja, ich konnte auch nett zu Sarah sein! Ich wollte es nur meistens nicht. Ich lächelte schwach zurück. Sarah sah so aus, als würde sie nur wegen dem Oberteil gleich einen Freudentanz machen. Mir war es ehrlich gesagt wirklich egal. Das ganze Abendessen würde doch sowieso ein Reinfall werden. Ich öffnete ihr sogar noch die Kleiderschranktüren und ging dann hinaus.
Unten stand meine Mutter gerade in der Küche und schnippelte etwas. Anscheinend lief sie auf Hochtouren und achtete penibel genau darauf, dass ja nichts anbrannte.
Ich half auch nicht weiter beim Kochen mit, sondern warf mich auf die Couch und schaltete den Fernseher ein. Ich hatte nicht wirklich Lust auf Besuch von diesem Blödmann, aber irgendwie würde ich dabei sicherlich noch meinen Spaß haben…
»Jamie! Es ist zehn vor Sieben! Willst du dich nicht langsam fertig machen?«, rief meine Mutter aus der Küche.
Glaub mir, alleine der Gedanke macht mich fertig, dachte ich. Ich würde einfach die Sachen anbehalten, die ich heute auch in der Schule getragen hatte.
Beim Tischdecken würde ich auch nicht helfen. Trotzdem musste ich wenigstens so tun, als würde ich in der Küche mitarbeiten, damit ich Teil zwei meines bösen Plans umsetzen konnte, aber dafür war es noch zu früh…
Als es kurz darauf an der Haustür klingelte, hörte ich Sarah in ihrem Zimmer aufgeregt Quietschen.
»Ich mache auf!«, schrie sie, nachdem sie ihre Zimmertür lautstark aufgestoßen hatte. Ich hoffte insgeheim, dass Dracula das mit seinem feinen Gehör mitbekommen hatte.
Seufzend zwang auch ich mich von der Couch und schleppte mich in den Flur.
Und da stand schon Yven – und verdammt, ich wusste nicht, dass das überhaupt möglich war, aber jetzt sah er noch viel heißer aus als sonst. Alle meine bösen Pläne waren für einen kurzen Augenblick wie vergessen. Das machte er doch sicherlich mit Absicht…
Er trug ein graues T-Shirt, dunkelblaue, verwaschene Jeans und Sneakers. Dieses Grau… passte perfekt zu… Nein! Stopp! Nicht schon wieder diese Nummer! Ich dachte, ich wäre inzwischen immun gegen Draculeritis... Falsch gedacht.
»Guten Abend, Mrs Ascott«, sagte er charmant mit seiner Honigstimme zu meiner Mutter und mimte schon wieder den Gentleman. Sarah und meine Mutter fraßen ihm geradezu aus der Hand.
Wieder musste ich den Drang unterdrücken, ihm die Zunge rauszustrecken – oder schlimmeres.
»Das Essen ist noch nicht ganz fertig. Beschäftigt euch doch derweil anderweitig«, schlug meine Mutter vor, ehe sie wieder in die Küche verschwand.
»Sarah kann dir ihre Plüschtiersammlung zeigen!«, sagte ich grinsend zu Yven. Sarah versuchte, mich mit ihren Blicken umzubringen. Eine gute tat pro Tag reichte doch, und mein Lieblings-Oberteil trug sie ja schon, also kam jetzt wieder die böse Jamie zum Vorschein.
»Okay. Aber dann will ich deine Postersammlung sehen!«, sagte Dracula böse grinsend zu mir. Sarah wollte auch etwas sagen. Ich musste fast loslachen, weil Yven so groß war, dass sie den Kopf in den Nacken legen musste. Wenn sie ihn küssen wollte, müsste sie erst einen Stuhl zum Draufsteigen holen. Der Gedanke daran war ebenso belustigend wie abstoßend.
»Ich könnte dir ja mal mein Zimmer zeigen!«, bot Sarah Dracula nun begeistert an. Dieser lächelte natürlich zurück und stimmte zu. Grinsend folgte ich den beiden die Treppe nach oben. Mal sehen, was er zu all ihren Postern sagen würde.
Doch in Sarahs Zimmer waren alle Poster abgehängt. Ich musste zugeben, dass das ein guter Schachzug gewesen war. Sie hatte sie extra für Yvens Besuch verschwinden lassen!
»Schick!«, meine Yven belustigt. Hätte Sarah auf seinen Gesichtsausdruck geachtet, hätte sie gesehen, dass er nicht wirklich Interesse daran hatte, sich das Zimmer eines hormongesteuerten kleinen Mädchens anzugucken.
»Sarah?«, fragte er dann. Sie riss sofort den Kopf hoch.
»Ja?«
Yven lächelte sie freundlich an. Heucheln hatte er drauf, das musste man ihm lassen.
»Stört es dich, wenn ich kurz mit Jamie verschwinde? Ich muss sie noch was wegen den Englisch-Hausaufgaben fragen, weißt du…«
Ich hob eine Augenbraue. Wir hatten gar keine Englisch-Hausaufgaben auf…
Einen Moment lang guckte Sarah perplex zu mir.
»Kein Problem. Essen ist sowieso bald fertig«, sagte sie, und als ihre Schwester erkannte ich, dass sie in Wirklichkeit enttäuscht war. Sie wurde langsam wirklich zur Klette.
Misstrauisch über Draculas Aussage, führte ich ihn in mein Zimmer. Ich glaubte ihm kein Wort, denn es hatte sich in dieser Woche noch herausgestellt, dass er in so gut wie allen Fächern ein Ass war. Selbst in Sport. Hierbei muss ich wohl nicht auf die Wirkung eingehen, die ein sportlicher, verschwitzter Yven auf jedes Mädchen in der Halle hatte. Ich wollte ihm den Ball beim Völkerball spielen direkt ins Gesicht werfen – und er fing ihn auf! Zwei Zentimeter vor seinem Gesicht. Dabei war ich immer die Beste in... Er nahm mir immer die Freude! Als ich ihn einmal für ein paar Sekunden aus den Augen gelassen hatte, hatte Yven mir den Ball auch schon an den Hinterkopf geknallt und schadenfroh gelacht.
In meinem Zimmer angekommen, setzte Yven sich einfach auf mein Bett und beobachtete mich, wie ich abwartend in der Mitte des Raumes stand.
»Was willst du?«, fragte ich schließlich.
»Ich habe gesehen, dass Sarah mich so anguckt.. Tja, was soll ich sagen…«, murmelte er
Ich begann zu lachen.
»Du wolltest Sarah loswerden!«
Er sah mich wieder mit seinem sexy Killerblick an.
»Sie ist vierzehn, und es ist nicht gut, wenn sie… Du weißt schon.«
Ich nickte.
»Was willst du auch mit ihr? Du magst doch die Mädchen lieber, die kurze Röcke tragen und sie für dich auch mal hochschieben!«
Jetzt lachte Yven.
»Du hast mich aber schnell durchschaut.«
Das konnte jedes Wesen mit einem IQ über 40, also jeder, außer Anna und ihre läufigen Freundinnen.
»Ja, hab ich… Du bist einer, der jede nimmt.«
Yven schüttelte ernsthaft den Kopf.
»Nicht jede. Deine Schwester zum Beispiel nicht! ... Aber was ist mit dir?! Du bist sicher noch Jungfrau!«, lachte er.
Jetzt fühlte ich mich gekränkt. Sah ich etwa aus wie eine Jungfrau?!
Gut, ich war wirklich noch Jungfrau, aber woran hatte er das bitteschön erkannt?!
»Ich will dieses Besondere Erlebnis eben mit einer besonderen Person teilen.«
Yven lachte wieder. Das war aber überhaupt nicht lustig!
»Wenn du beim ersten Mal eines Tages enttäuscht wirst,– und glaub mir, es wird passieren – wirst du anders über mich denken…«
Mein Unterkiefer klappte herunter. Das war jetzt nicht sein Ernst!
»Komm sofort hierher«, fauchte ich und deutete neben mich.
»Wieso? Willst du mir jetzt den Hintern versohlen?«, fragte Dracula amüsiert.
»Komm doch her und find’s heraus!«
Keiner von uns beiden sagte jetzt etwas. Wir benahmen uns aber auch wirklich wie kleine Kinder! Abgesehen vom Gesprächsthema natürlich…
»Essen ist fertig!«, rief meine Mutter von unten, und jetzt erhob sich Yven tatsächlich.
»Was gibt’s eigentlich?«, fragte Yven im Rausgehen.
»Siehst du dann schon«, meinte ich gleichgültig. Yven grinste noch breiter.
»Könntest du das bitte übersetzen?«
Ich schüttelte nur den Kopf und verschwand in die Küche, in der immer noch meine Mutter stand.
»Geh schon mal, ich bringe die Teller heraus«, sagte ich zu ihr.
Sie sah m ich zwar überrascht an, ging jedoch nach einem kurzen Nicken zum Esstisch im Wohnzimmer, an dem auch schon Yven und Sarah saßen.
Böse wie ich war, holte ich das kleine Gläschen mit Stanleys superscharfer Gewürzmischung aus dem Versteck und streute über einen der Teller etwas von diesem Gewürz. War ja klar, an wen dieser Teller gehen würde…
Schnell stellte ich die vollen Teller und die leeren Gläser auf ein Tablett und trug sie an den Esstisch. Stirnrunzelnd guckte Yven auf die Teller auf dem Tablett. Noch nie Nudeln gesehen, oder was?
Ich verteilte die Teller an alle – Yven bekam den mit Stanleys Gewürzen.
»Möchtest du vielleicht was zu Trinken, Yven?«, fragte ich diesen zuckersüß.
Als Dracula zur Antwort auf meinen Hals starrte, presste ich die Lippen aufeinander und setzte mich schweigend an meinen Platz neben ihm. Das hieß wohl Nein.
»Ich hoffe, es schmeckt euch!«, meinte meine Mutter voller Vorfreude und blickte zwischen Dracula und mir hin und her. Erwartete sie jetzt einen Kuss? Nette Worte? Ein Lächeln?
Ich war wohl die einzige, die Yvens misstrauischen Blick sah, der sich auf den Teller vor seiner Nase fixiert hatte. Dann konnte er wohl doch nichts davon essen. Doch er bewies mir nur Sekunden später das Gegenteil. Zweifelnd schob er sich eine Gabel voll Nudeln in den Mund.
Seine Geschmacksnerven müssten explodieren… Und zwar genau… jetzt!… Jetzt!...
Ich hasste Vampire, die waren auch für wirklich keinen Schmerz zu haben. Dracula tat so, als wäre nichts, also war mein kompletter Plan gescheitert.
»Wie schmeckt es dir, Yven?«, hakte ich verzweifelt nach.
In dem Moment entdeckte ich etwas. Yven hatte seine rechte Hand unter den Tisch gezogen und krampfhaft zu einer Faust geballt, so stark, dass die Knochen weiß hervortraten.
Mein Plan hatte also doch funktioniert!
»Schmeckt die Spezial-Soße? Das ist unser Familienrezept!«
Dracula lächelte meine Mutter ebenso verkrampft an. »Sehr köstlich. Es prickelt richtig auf der Zunge!«
Der zweite Satz war dann wohl eher an mich gerichtet… Mit theatralischem Mitleid sah ich ihn an und schob mir selbst einen großen Happen in den Mund.
»Ich möchte ja nicht unhöflich erscheinen«, sagte Dracula unmittelbar todernst, »Aber es gibt etwas, das ich mit Jamie bereden müsste. Sofort…«
Verdammt! Die Blicke von Sarah und meiner Mutter sprachen Bände. Gar nicht gut, dafür bringe ich dich später um, Dracula.
»Kein Problem«, hauchte meine kuppel-verrückte Mutter grinsend zurück und ich erhob mich extra langsam, wie in Zeitlupe.
Dracula schien dadurch… gequält!
Sobald wir vor den Blicken von meiner Mutter und Sarah verborgen waren, hatte ich ein komisches Gefühl in der Magengegend.
Plötzlich packte Yven mich am Handgelenk und zog mich vor die Haustür. Was war denn jetzt los?
Und dann, ganz unerwartet… küsste er mich!
Ich verstand die Welt nicht mehr und versuchte, ihn von mir wegzuschubsen, doch er war ungefähr so beweglich wie ein Felsbrocken.
Ich weiß, ich hätte nicht aufgeben dürfen… Aber stattdessen… erwiderte ich den Kuss! Genau genommen konnte ich aber nichts dafür. Er hatte das Küssen seit 300 Jahren geübt, und das merkte man. Außerdem roch er so unvorstellbar gut, jetzt, da ich ihm so nahe war
Begierig liebkosten seine Lippen die meinen, sodass mir sogar ein Stöhnen entfuhr.
Dann fuhr er mit den Lippen über mein Kinn und immer tiefer meinen Hals hinunter.
»Weißt du… Schärfe hat eine besondere Wirkung auf Vampire… Sie.. erregt uns!«, murmelte er, während er meinen Hals entlang fuhr.
Dann hatte ich also das komplette Gegenteil von dem bewirkt, was ich eigentlich wollte? Aber das war mir im Moment ja auch egal… Denn Vampire küssten nun mal viel zu gut… Vielleicht sollte ich mir ernsthaft überlegen, mir einen anzulegen. In diesem Moment war mir das Wichtigste nicht mal in den Sinn gekommen: Mein Freund David.
Atemlos griff ich ihm in die Haare und zog ihn wieder an mich, um ihn erneut zu küssen. Es war zwar extrem merkwürdig, jemanden zu küssen, den man hasste, aber im Moment interessierte das keinen von uns beiden.
Plötzlich wurde ich von Yven an die Hauswand gepresst. Sogar das ließ ich über mich ergehen. Zwar schmerzte es, weil er seine Kräfte nicht mehr kontrollieren konnte und ich deshalb halb erdrückt wurde, doch wie man sicherlich schon gemerkt hatte, war uns beiden alles egal.
Plötzlich sah Yven mich an.
»Wie denkst du jetzt über mich?«, fragte er, und brachte selbst in dieser Situation noch ein schwaches Grinsen zustande. Ich rollte mit den Augen.
»Nach dem Sex wirst du wohl auch kaum fragen „Wie war ich?“! Du kennst die Antwort ja sowieso! Aber bei mir wird das kein Dauerzustand sein… Spätestens morgen früh werde ich dich dafür umbringen wollen.«
Er grinste schief.
»Dann sollte ich das hier vielleicht noch ein wenig ausnutzen…«
Doch ich versuchte, ihn von mir zu drücken. Da er nachgab, schaffte ich es sogar.
»Nein, mit deiner beschissenen Frage hast du mir den Spaß verdorben!«, sagte ich grinsend, als wäre nichts gewesen. Und mit dieser Aussage ließ ich ihn stehen und ging zurück zu Sarah und Mom. Die beiden guckten nicht schlecht, als ich plötzlich anfing, zu grinsen.
Ich erwiderte die Blicke der beiden einfach und schob mir immer noch grinsend einen weiteren Bissen in den Mund.
Nach ein paar Sekunden kam auch Dracula zurück, und ein eiskalter Killerblick traf mich. Mir doch egal, immerhin hatte ich es fertig gebracht, Dracula einen Korb zu erteilen! Wenn das keine Leistung war… Ich war tatsächlich stolz auf mich.
Jetzt starrte er kurz auf sein Essen… Zu doof aber auch, dass da noch mehr von dem Gewürz drauf war! Wenn er das essen würde, würde er mich hier und jetzt… Nein, diesen Gedanken konnte ich nun wirklich nicht zu Ende denken, so vernebelt war mein Hirn nun auch wieder nicht.
Ganz vorsichtig stocherte Dracula noch in der roten Soße herum und aß hin und wieder eine ganz kleine Gabel voll. Meine Mutter beobachtete das ganze du bemühte sich, nicht zu zeigen, wie sehr es sie gerade verletzte, dass er ihr Essen nicht verschlang, wie es für Riesen-Kerle wie Yven nun mal üblich war.
Sarah hingegen guckte immer wieder zwischen mir und Dracula hin und her und versuchte anscheinend, sich einen Reim auf unser Mienenspiel zu machen.
»Habt ihr jetzt alles geklärt?«, fragte sie plötzlich. Ich hätte beinahe das Essen in meinem Mund wieder ausgespuckt, doch stattdessen hustete ich zweimal so leise wie möglich. Yven hatte noch immer seinen Killerblick aufgesetzt, doch wenigstens seine Stimme klang wieder einigermaßen normal.
»Ich denke schon«, sagte er, und nur ich hörte den verbitterten Tonfall, der sich darin versteckte. Komm schon! Ich hatte gedacht, es wäre viel schwerer, sein Ego anzukratzen. Doch jetzt musste ich feststellen, dass Dracula auch verletzlich sein konnte. Ich schwankte zwischen Enttäuschung, weil es so leicht gewesen war, und Freude, weil ich es geschafft hatte, ihn zu kränken.
Yvens Killerblick war verschwunden, und stattdessen guckte er jetzt… verführerisch! Als ich sah, wie er Sarah mit genau diesem Blick ansah, musste ich eingreifen… Er sollte es nicht an meiner Schwester auslassen, dass er gerade total scharf war!
Deshalb nahm ich meine Gabel und pikste ihn fest ins Bein. Hatte er mir nicht selbst vor einer halben Stunde noch vorgepredigt, dass Sarah zu jung für so was war? irgendwann würde ich ihn umbringen! Immer wieder dasselbe!
»Yven… Sind deine Bauchschmerzen noch immer da? Wenn ja, solltest du vielleicht aufhören, zu essen!«, sagte ich jetzt todernst. Das nannte man dann wohl einen Wink mit dem Zaunpfahl…
»Ja.. Diese Schmerzen sind noch da«, sagte er nach einem Räuspern und blickte unauffällig nach unten, wo ich ihn noch immer mit der Gabel in den Oberschenkel pikste, »Ich denke, ich höre auf. Aber es war wirklich köstlich!«
Meine Mutter guckte besorgt, lächelte jedoch gleichzeitig wegen des Kompliments an ihre Kochkünste.
»Du isst sicherlich nicht jeden Tag Spezial-Sauce, oder?«, lächelte Sarah.
Yven lachte schwach. Hörte ich da etwa Sarkasmus raus?
»Nein, das nun wirklich nicht. Ich esse sowieso immer nur eine Kleinigkeit.«
Insgesamt war des Essen doch ziemlich hilfreich gewesen. Yven hatte kapiert, dass Sarah auf ihn stand und ich wusste jetzt, wie man Vampire erregte –nicht sodass ich es jemals wieder anwenden würde…
Der einzige Nachteil war, dass meine Mutter nun dachte, ich wäre in Yven verliebt. Aber das würden wir auch wieder irgendwie aus ihrem Kopf kriegen, und David wieder rein, ganz sicher. Damit hatte ich zwar die Sympathie zwischen meiner Mutter und Dracula noch verstärkt, aber desto schlimmer würde es werden, wenn ich ihn erst mal richtig vorführen würde. Der Idiot hatte mich immerhin geküsst, und langsam bekam ich Rachegelüste. Das konnte er nicht einfach so machen, egal, wie scharf sein Essen gewesen war.
Vielleicht halfen mir Hohlbirne zwei und drei (Lestat und Nosferatu) ja dabei, ihn fertig zu machen. Immerhin hatte er beide ganz schön auf die Palme gebracht... Und würde ich ihre Fähigkeit besitzen, Menschen (und Dracula) mit der bloßen Berührung zu verletzen, würde Yven den ganzen Tag vor Schmerzen schreien.
»Auf Wiedersehen, Mrs Ascott«, sagte Yven und lächelte ihr zu.
Nachdem er auch mich und Sarah verabschiedet, und ich irgendetwas unverständliches gemurmelt hatte, wollte ich Dracula schon nach draußen vor die Tür schieben. Doch er wehrte sich unauffällig gegen mein Geschubse.
»Okay, dann sehen wir uns morgen… Aber… Wir essen später, komm bitte erst um halb Neun vorbei.«
Halb Neun? Ich dachte, nur Europäer aßen so spät zu Abend… Na ja, da müsste ich jetzt durch…
Ich würde den morgigen Tag schon überleben!… Hoffte ich zumindest.
In dieser Nacht wälzte ich mich noch lange im Bett herum, bevor ich einschlief. Das Gefühl, dass mich morgen etwas schreckliches erwarten würde, wollte einfach nicht verschwinden und machte mich ganz kirre. Außerdem könnte ich zum Nachtisch werden, und allein diese absurde Idee brachte mich schon fast zum Durchdrehen.
Aber ich müsste mir noch etwas Böses einfallen lassen. Denn spätestens morgen… nein, es war schon 1 Uhr nachts! Also spätestens heute in der Früh würde ich wahnsinnige Mordlust bekommen. Denn dieses verdammte Arschgesicht hatte mich geküsst – und morgen würden die beiden Tomatenscheiben, die heute glücklicherweise noch auf meinen Augen lagen, einfach herunterflappen und ich würde anfangen, vor Hass und Wut zu schreien.
Kapitel 5: Dinner für Spinner
»Lass dir ruhig Zeit heute Abend. Notfalls kannst du auch bei Yven übernachten«, schlug meine Mutter lächelnd vor.
»Ich hab einen Freund, Mom. Und dem würde das gar nicht passen…«, stöhnte ich.
Meine Mutter machte eine wegwerfende Handbewegung. »Und macht dieser ‚Freund‘ jetzt gerade?«
»Football spielen und mich vermissen«, zischte ich, »Ich wäre ja dabei, aber mir ist leider was dazwischengekommen.«
Nun rollte sie mit den Augen. »Dann bleib einfach so lang, wie du willst. Mit Mädchen in deinem Alter kann man anscheinend sowieso nicht vernünftig reden.«
»Ich glaube nicht, dass ich so lange dort bleiben werde«, meinte ich.
Ich hatte inzwischen echt Schiss. Es war viertel nach Acht, draußen war es schon dunkler geworden, und ich müsste zu zwei Psychopathen ins Haus. Oder war Alex dabei? Dann wären es natürlich drei Psychopathen. Ich nahm mir vor, vor Mitternacht wieder hier zu sein. Bei der Adams Family übernachten? Keine Chance.
»Okay. Dann wünsche ich dir viel Spaß! Und tu nichts, was ich tun würde!«, meinte sie zwinkernd. Ja, ja, was auch immer.
Fröstelnd machte ich mich auf den Weg… ich hoffte einfach mal, ihn mir eingeprägt hatte, als Nosferatu mich zurück nach Hause gebracht hatte.
Doch sobald ich um die Ecke gebogen war, wurde ich plötzlich hochgehoben und wieder über eine Schulter geworfen. Ich hasste Déjà Vus…
Doch diesmal wehrte ich mich wirklich. Immerhin wusste ich nicht, wer mich da verschleppte. Vielleicht war es ja so ein Verrückter. Oh, na in diesem Fall wüsste ich schon, wer das wäre…
»Was für ein Service! Du musst nicht mal zu uns laufen, du wirst getragen!«
War das Dracula? Ich war mir nicht sicher, da alle drei Vampire ähnliche, wunderbare Stimmen hatten. Ich wand mich heftig gegen seinen Griff, doch es brachte nichts. Ich hasste Vampire, hatte ich das schon erwähnt? Sie waren einfach zu stark.
Ich schlug mit den Händen um mich und traf einmal auf Draculas Hintern, den ich bisher nur ansehen durfte.
»Was war das denn jetzt?«, lachte er mich aus.
»Tut mir leid, dass ich dir auf den Hintern geschlagen habe, aber ich dachte, es wäre dein Gesicht«, zischte ich und schlug weiter auf ihn ein.
Er war nicht im geringsten beleidigt, sondern lachte heiter. »Du kannst es auch zugeben, wenn du nur mal hinfassen wolltest. Ist doch ganz normal.«
»Also Minderwertigkeitskomplexe hast du auf jeden Fall nicht«, murmelte ich und versuchte diesmal, mit den Beinen gegen Dracula anzukämpfen. Warum, zur Hölle, funktionierte es nicht!?
»Wir haben was ganz tolles vorbereitet!«, meinte Dracula jetzt geheimnisvoll.
»Ach ja? Was denn? Bier und McDonald‘s?«
Er stöhnte mal wieder. Ihm passte also etwas nicht.
»Hab’ ich dir eigentlich schon mal gesagt, dass ich dich hasse?«, hisste ich.
»Lobe den Tag nicht vor dem Abend! Nach dem Abendessen wirst du mich vermutlich so sehr hassen, dass man das hier im Moment Liebe nennen könnte!«, meinte er belustigt, und im nächsten Moment wurde ich auch schon auf die Beine gestellt. Das erste, was ich tat, war wanken. Konnte er nicht behänder mit mir umgehen? Ich war nämlich kein Vampir und somit auch nicht im geringsten resistent gegen Schmerzen.
Jetzt müsste ich mir aber erst mal Sorgen machen. Was erwartete mich wohl da drinnen? Zitterte ich etwa? Sah ganz so aus.
Yven öffnete schwungvoll die Haustür. »Ladies first.«
Misstrauisch trat ich ein und blickte mich um. Die Lichter waren ausgeschaltet und es herrschte Totenstille. »Wo sind denn die anderen? Du hast mich doch wohl nicht zu einem Abendessen zu zweit eingeladen?«
»Mach dir nicht zu viele Hoffnungen«, grinste Yven mich schief an.
Die Küchentür wurde aufgerissen und Alex lief unglaublich schnell auf uns zu.
»Hey, du Leckerbissen!«, rief er mir lachend zu. Was sollte denn diese Bemerkung wieder?
»Also habt ihr mich doch wortwörtlich zum Essen eingeladen«, meinte ich sarkastisch. Lestat lachte noch lauter. Dann warfen er und Yven sich gegenseitig bedeutende Blicke zu. Das konnte nichts Gutes Bedeuten!
»Entschuldige uns kurz!«, meinte Dracula jetzt und schob sich an mir vorbei, um mit Lestat in der Küche zu verschwinden. Jetzt stand ich hier ganz alleine, in einem mir fremden Haus… Und die Lichter hatten sie immer noch nicht eingeschaltet. Aufmerksam suchte ich die Wände nach einem Lichtschalter ab. Doch als ich mich umdrehte, musste ich schreien. »Buh!«, machte Nosferatu. Ich quiekte – ja, quiekte – erschrocken. Dann zuckte ich unweigerlich zusammen. War ich vielleicht ein Schisser.
Nosferatu hatte etwas rotes im Mundwinkel – und er trug ein schwarzes Cape, passend zu seinen sonst auch ganz schwarzen Klamotten. Er sah aus wie ein… Vampir. »Verdammt, ihr wollt mich wohl verarschen!«, rief ich jetzt böse, und Nosferatu bekam einen richtigen Lachanfall.
»Steht mir, … findest du nicht?«, presste er dann immer noch lachend hervor.
»Sagen wir mal, es passt zu dir«, fauchte ich aufgebracht darüber, dass er mich so leicht aus der Fassung gebracht hatte.
»Ich gehe mich umziehen… Um ehrlich zu sein, quetscht die Hose gewisse Stellen ein!«, grinste er machohaft. Ja, ganz typisch eben. Am liebsten würde ich jetzt in diese „gewissen Stellen“ reintreten.
So schnell, wie Nosferatu gekommen war, war er auch wieder verschwunden.
Lestat und Dracula kamen wieder zu mir zurück, und beide grinsten verschmitzt.
»Das Essen ist erst in zehn Minuten fertig.«
»Was gibt überhaupt?«, fragte ich die beiden neugierig, und wieder begannen sie zu grinsen.
»Siehst du dann schon«, meinte Dracula.
Bryle kam wieder herunter und trug jetzt Gott sei Dank etwas Normales. Da noch immer kein Licht eingeschaltet war, konnte ich die drei auch nicht plötzlich anschmachten, weshalb es mir leichter fiel, beim Thema zu bleiben.
»Willst du mal sehen, was wir die letzten Jährchen so gemacht haben?«, fragte Dracula mich jetzt grinsend.
»Nicht, dass es mich wirklich interessieren würde, aber von mir aus…«, meinte ich beifällig. Es klang wohl doch dümmer, als ich erwartet hatte. In Wirklichkeit fand ich es natürlich schon interessant, immerhin hatten diese Typen wortwörtlich alle Zeit der Welt um alle möglichen Dinge zu unternehmen.
Ich folgte den dreien ins Wohnzimmer, wo sie endlich das Licht einschalteten und aus einem Schrank eine große Schachtel voller Fotos herausholten. Sie stellten sie auf dem Kaffeetisch ab, und ich setzte mich den dreien gegenüber auf eines der zwei schwarzen Sofas – aus reiner Sicherheit, versteht sich.
Ich nahm das erste Foto heraus. Darauf war ein riesiges, weißes Haus mit prächtigem Vorgarten zu sehen. Bryle und Alex sahen natürlich durch meine Gedanken auch, was darauf abgebildet war.
»Das war mein Häuschen in Cannes«, erklärte Alex trocken. Als „Häuschen“ konnte man es aber wirklich nicht bezeichnen.
Ich legte das Foto beiseite und nahm das nächste heraus. Toll! Ein altes Foto von Dracula und Nosferatu in Kleidung aus dem neunzehnten Jahrhundert! Beide trugen Zylinder und dunkle Fracks. Ungewohnt war es schon, wo sie jetzt doch Jeans und Hemden trugen… Egal, sie sahen ja in allem toll aus…
»Schick«, meinte ich schief grinsend.
Auf dem Dritten Foto waren alle drei zu sehen, es war schon etwas neuer, vielleicht aus den achtziger Jahren.
»Wer ist das?«, fragte ich und deutete auf einen komischen Typen mit schwarzen Haaren, der ebenfalls ein Vampir zu sein schien, wenn man nach dem Aussehen ging.
»Das ist-«
Dracula wurde von der aufknallenden Haustür unterbrochen, und ich schreckte hoch.
»Yven, du Arsch!«, ertönte eine immer näher kommende Männerstimme, die meiner Erfahrung nach definitiv einem Vampir gehören musste. »Hast du wirklich dieser Schlampe von uns erzählt?«
Jemand kam ins Wohnzimmer, und ich guckte immer wieder verdutzt vom Foto zu der Person. Es war der Schwarzhaarige. Frankenstein. Okay, das war streng genommen kein Vampirname, aber bei so vielen von diesen Typen gingen mir die Namen schnell aus.
Vor dem Typen hatte ich Schiss, und auch, wenn er keineswegs so aussah wie Frankenstein, ließen die beiden Tattoos auf Oberarm und am Hals ihn ziemlich gruselig wirken.
Böse guckte Frankenstein erst mich und dann die anderen an.
»Ich bin also eine Schlampe«, stellte ich kühl fest.
»Das ist Matt…«, murmelte Nosferatu.
»Ihr hättet mich ruhig unterbrechen können«, murrte Frankenstein zu den anderen. Ich lächelte ihn sarkastisch an.
»Schon ok. Jetzt weiß ich wenigstens, wie du wirklich über mich denkst.«
Er war anscheinend nicht der hellste. Na ja, die anderen hier waren ja auch nicht wirklich Genies, auch wenn sie es behaupteten.
»Tut mir leid…«, meinte er und fuhr sich durch das rote Haar.
»Bringt nichts«, rief ich übertrieben wütend und sprang auf, »Erster Eindruck versaut.«
Mit diesen Worten stampfte ich an ihm vorbei aus dem Raum und tat einfach so, als wüsste ich, wo ich hinwollte.
»Sie ist ja ein ganz schönes Miststück«, hörte ich gerade noch. Wir hassten uns jetzt schon gegenseitig, das stand fest.
Plötzlich läutete es an der Tür.
»Abendessen!«, rief Alex und schob sich plötzlich an mir vorbei. Wie war er so schnell hierhergekommen? Ich würde mich wohl nicht so schnell daran gewöhnen…
Geschockt hielt ich seinen verdammt muskulösen Arm fest, und er sah mich überrascht an.
»Das könnt ihr doch nicht machen!«, rief ich aufgebracht.
Alex sah so aus, als würde er kein Wort verstehen.
»Habt ihr ernsthaft Leute eingeladen, um sie … ?«
Ich konnte es nicht einmal aussprechen Das konnte doch nicht ihr Ernst sein.
»Man wird die Leute doch vermissen, und ihr könnt sie doch nicht einfach so umbringen! Das… Das ist schrecklich!«, rief ich aufgebracht.
Alex lachte und schüttelte meinen Arm ab.
»Erstens ist es nur eine Person«, sagte Alex und musterte mich amüsiert, »Und zweitens bringt sie uns nur die Pizza!«
Okay… Das war jetzt echt peinlich. In Sachen Fauxpas war ich wirklich unschlagbar.
Allerdings war ich jetzt auch überrascht und wütend. In diesem Haus befanden sich vier Vampire, und keiner von ihnen konnte kochen, obwohl sie drei Jahrhunderte lang Zeit hatten, es zu lernen. Durch und durch faul eben.
Zufrieden und mit vier Pizzakartons in der Hand kam Alex zu mir zurück.
»Wir haben nicht mal ein Kochbuch«, grinste er mich an.
Wahrscheinlich wären sie sowieso nicht fähig gewesen, es zu verwenden. Zu anspruchsvolle Literatur. Sollten sie doch bei ihren Schmuddelheftchen bleiben…
Als ich wieder ins Wohnzimmer kam, war der dort stehende Esstisch schon gedeckt. Wie machten sie das, verdammt noch mal? Gerade war er noch ungedeckt gewesen! Irgendwann würden mich diese Vampir-Fähigkeiten um den Verstand bringen…
Ich setzte mich auf einen der Stühle und wartete ungeduldig darauf, dass Yven endlich zu uns kam. Ab jetzt galt es wieder, die Sache so schnell wie möglich zu beenden.
Frankenstein und ich saßen gegenüber und warfen uns gegenseitig vernichtende Blicke zu, wobei mir klar war, dass meine Blicke im Vergleich zu seinen wie Hundeblicke wirken mussten. Er machte mir echt Angst, was er aber nie erfahren würde. Ich zwang mich sogar, nicht daran zu denken, weil er es sonst ja sowieso sofort erfahren hätte. Seine Mundwinkel zuckten jedoch. Zu denken, nicht an etwas zu denken klappte ja auch nie.
Endlich kam Yven zurück. Und er hatte fünf Bierflaschen in der Hand! Na super, das war mal ’ne typische Männeraktion. Pizza bestellen und Bier einfach aus der Flasche trinken. Zum verrückt werden!
Alex öffnete sein Bier gleich mit den Zähnen, und Yven öffnete meins freundlicherweise mit der Hand. Mit der bloßen Hand.
Na ja, Bier war mir in diesem Fall lieber als Blut. Alex, der mal wieder in meinen Gedanken gewühlt hatte sah grinsend auf.
»Nicht mal ein klitzekleines Schlückchen?«, fragte er mich und setzte dabei doch tatsächlich einen Hundeblick auf!
»Nein«, sagte ich möglichst ruhig, aber mit Nachdruck. Frankenstein konnte sich das Grinsen nicht mehr verkneifen.
»So giftiges Blut würde ich an deiner Stelle sowieso nicht trinken«, meinte er an Lestat gewandt. Ich guckte Frankenstein böse an, doch mir fiel keine gemeine Antwort ein. Stattdessen nahm ich einfach einen großzügigen Schluck Bier und guckte an ihm vorbei zu Nosferatu, der die Pizza angewidert musterte.
»Er steht nicht auf Menschenfraß«, klärte Frankenstein mich mit einem giftigen Blick auf. Ich nahm mir ein großes Stück Schinkenpizza und biss demonstrativ davon ab.
»Ich esse nichts«, meinte Nosferatu daraufhin angewidert und schob seinen Teller weg.
Die anderen drei knabberten ebenfalls nur an ihren Pizzastücken. Irgendwas stimmte da doch nicht…
»Ihr vertragt also keinen… Menschenfraß«, stellte ich nüchtern fest.
Wenigstens das Bier schien ihnen zu schmecken, denn sie kippten es herunter, als wäre es… Na ja, Blut.
»Schmeckt nicht wie Blut, aber jegliche Art von Rauschmittel macht Spaß«, antwortete Alex grinsend. Na ja, als Spaß würde ich sie jetzt nicht bezeichnen…
Schon nach wenigen Minuten hatten sie ihre Flaschen vollständig geleert, während ich an meiner immer noch nippte.
»Ihr seid Idioten«, stellte ich trocken fest. Alle vier sahen mich mit gehobenen Augenbrauen an.
»Ihr bestellt vier Pizzas, obwohl ihr wisst, dass ihr nichts davon esst«, erklärte ich und deutete dabei auf die vier Kartons, von dem gerade mal einer halb leer war.
»Wir konnten ja nicht wissen, wie viel Hunger ein Menschlein wie du hat«, meinte Frankenstein böse.
Am liebsten wäre ich aufgesprungen und gegangen, weil mich alle vier anguckten, als wäre ich eine Außerirdische. Und Lestat sah mich noch immer an, als wollte er mir jeden Augenblick an den Hals springen.
Plötzlich klingelte ein Handy. Lässig zog Frankenstein es aus seiner Hosentasche und sah alle entschuldigend an – alle, außer mich natürlich.
»Hallo?«, meinte er genervt.
Doch plötzlich erstarrte seine Miene. Er schien der Person am anderen Ende genau zuzuhören.
»Verstehe. Ich werde es so bald wie möglich vorbeibringen… Ja… So, wie immer.«
Damit legte Frankenstein auch schon wieder auf. Ich war zwar neugierig, traute mich aber nicht, zu fragen.
»Es waren Vampire«, antwortete auf meine Gedanken, »Und ich verkaufe ihnen Blut.«
Er klang nicht mehr so gemein wie vorher. Irgendetwas hatte ihn beruhigt…
»Du bist nicht wie andere Mädchen, die uns sehen«, erklärte er, »Du würdest uns nicht verraten, und du hast weder Angst noch… andere nervige Gefühle für uns. Von mir aus kannst du also am Leben bleiben.«
Während er den letzten Satz sagte, lächelte er freundlich. Ich war mir sicher, dass er sowohl das Lächeln, als auch den Satz ernst gemeint hatte.
»Verdient man viel mit dem Verkauf von Blut?«, wechselte ich das Thema.
»Ich zeig’ dir mal den Rest vom Haus«, sagte Yven plötzlich.
»Aber wir unterhalten uns doch gerade…«, setzte ich an, doch Yvens Blick duldete keine Widerworte. Ich verstand ihn einfach nicht. Da erfuhr ich einmal etwas über sie oder Vampire im Allgemeinen und glaubte es bedingungslos, und er wollte es verhindern.
»Zu viele Informationen auf einmal verderben doch den Spaß«, sagte er mit einem schiefen Lächeln.
Missmutig schlurfte ich hinter ihm her. Ich hätte mich zwar gerne weiter unterhalten, doch andererseits war ich auch neugierig, wie die Zimmer der Jungs wohl aussahen.
»Verdient man jetzt gut an Blut oder nicht?«, fragte ich Yven, während er mich die Treppen mit glatten Stufen hochführte. An den Wänden dort hingen wieder viele Bilder von überall aus der Welt: vom Eiffelturm in Frankreich, vom Monument in Washington D.C., eines von der Basilius-Kathedrale in Moskau und noch viele mehr. Sie waren wirklich viel rumgekommen in den letzten paar Jährchen…
»Ja. Man verdient verdammt viel damit. Es ist immerhin schwer, an so viel Blut zu kommen, ohne Massenmord zu begehen«, antwortete er ruhig, und fügte, als er meinen Blick sah, hinzu: »Bevor du fragst: Ich werde dir nicht verraten, wie man an das Blut kommt.«
Seufzend folgte ich ihm. Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn er mir einmal eine klare Antwort geben würde, wenn ich sie wollte.
Schnell stieß er die erste Tür auf.
»Badezimmer«, meinte er nur und schloss die Tür schon wieder, bevor ich überhaupt etwas erkennen konnte. Anscheinend hatte er noch nie eine Führung durch sein Haus veranstaltet. Ich eilte hinter ihm her zur nächsten Tür.
„Alex’ Zimmer. Penibel aufgeräumt wie immer.«
Ich sah hinein. Keine Särge? Nicht einmal schwarze Kerzen? Mensch, was für ein Langweiler. Noch dazu war das hier die reinste Ordnung, was ich niemals von Lestat erwartet hätte. Aufgeräumter Schreibtisch, dahinter ein Regal voller Ordner… Sah beinahe schon aus wie ein Büro, würden da kein penibel gemachtes Bett und kein Kleiderschrank stehen…
»Genug gesehen?«, fragte Yven ungeduldig. Ich nickte nur und wir gingen weiter.
Er wandte seinen Kopf zu mir um, während wir weiter hingen und grinste.
»Das hier wird dich beruhigen. Du bist nicht der einzige Mensch, der seine Sachen einfach auf den Boden schmeißt.«
Er öffnete die Tür. Staunend sah ich das genaue Gegenteil von Alex’ Zimmer: Hosen und Oberteile lagen wie bei mir auf dem Boden verteilt, aufgeschlagene Bücher lagen in den Zimmerecken und die Bettwäsche lag neben dem Bett. Auf dem Schreibtisch lagen Stifte verstreut, und die Schubladen der Kommode waren noch geöffnet. Es war zwar noch schlimmer als bei mir… aber wenigstens roch es toll. Nach Vampir eben.
Was mich verwunderte, war, dass das hier nicht Draculas Zimmer war. Er roch anders… Glaubte ich zumindest…
Ohne nachzudenken, nahm ich seinen Arm und roch einmal an ihm. Das war ein anderer Duft. Aber genauso gut.
Jetzt war ich schon wieder drauf und dran, ihn anzuhimmeln, das spürte ich. Ich räusperte mich verlegen. »Ist das Bryles Zimmer?«, versuchte ich, das Thema zu wechseln.
Erst, als Dracula lachte, realisierte ich, was ich gerade getan hatte.
»Stehst du auf meinen Geruch?«, grinste Dracula und sah mich amüsiert an. Ich verpasste ihm einen Klaps auf den Hinterkopf.
»Zeig mir dein Zimmer!«, forderte ich ihn dann ungeduldig auf.
Grinsend stellte er sich vor die nächste Tür.
»Bereit?«, fragte er dann. Ich rollte mit den Augen.
»Wieso sollte ich es denn nicht sein?«
Er zuckte mit den Schultern. »Du warst doch diejenige, die Schiss hatte!«
Ich sah ihn verständnislos an. Was meinte er jetzt damit?
»“Oh, ich will nicht in dein Zimmer! Da drin hast du schon zig Mädchen gehabt, und diese ganzen Heftchen… Bla, bla, bla!“«, machte er mich in einer hohen Stimme nach, die absolut nicht zu ihm passte. Stöhnend drängte ich ihn zum Öffnen der Tür.
Als er es dann tat, musste ich feststellen, dass wir es hier mit drei verschiedenen Arten von Zimmern zu tun hatten. Sein Zimmer sah nicht aus, als wäre die Apokalypse schon ausgebrochen, aber penibel aufgeräumt wie Alex‘ Zimmer war es auch nicht. Aber irgendwie passte alles zusammen. Es war alles schwarz-weiß gehalten. An den Wänden hingen Fotos – auch allesamt schwarz-weiß und in der Mitte stand ein riesiges Bett mit schlichter weißer Bettwäsche.
Ich musste leicht grinsen.
»Und? Überrascht?«, fragte Dracula mich.
»Allerdings! Das Zimmer von einem alten Mann habe ich mir anders vorgestellt.«
Er rollte mit den Augen.
»Okay, okay… Es sieht einfach anders als erwartet aus. Ich komme mir richtig kindisch vor, mit meiner Pünktchen-Bettwäsche und den orangefarben gestrichenen Wänden, wenn ich so was sehe. Es wirkt einfach zu erwachsen für dich. Nicht, dass du nicht erwachsen bist, aber es passt einfach nicht zu deinem Charakter… Ich hätte einfach eher auf ein völlig unordentliches Zimmer getippt. Das soll jetzt nicht heißen, dass du so wahnsinnig unordentlich bist, aber es würde meinen Erwartungen einfach gerechter werden, als das hier. Was nicht heißen soll, dass ich es nicht schlecht finde, es ist-«
»Ja, ja, schon kapiert!«, unterbrach Dracula mich grinsend.
»Lass und wieder runter gehen«, sagte ich drängelnd zu Dracula. Es war mir unangenehm, hier alleine mit ihm zu sein. Er war unwiderstehlich, und wenn wir alleine waren, viel es noch mehr auf. Deshalb fühlte ich mich etwas unwohl.
Gerade, als wir die Treppen hinunterstiegen, läutete es an der Tür.
Nichtsahnend stieg ich die letzte Stufe hinunter… und dann… Traf mein Kopf unerwartet auf etwas Hartes.
»Au«, keuchte ich nur und hielt mir eine Hand auf die schmerzende Stelle an der Stirn.
Als ich wieder aufblickte, stand Lestat schockiert vor mir.
»Tut… tut mir leid!«, stammelte er, »Ich wollte nur… die Tür…«
»Was habt ihr jetzt?! So schlimm ist es auch nicht, aber-«
Die Tür zum Wohnzimmer flog auf und die anderen beiden kamen herbei. Sie wirkten besorgt. Sie warfen mir nur einen kurzen Blick zu, dann wandten sie sich an Lestat.
»Tut mir leid!«, meinte dieser gepresst. Hielt er etwa die Luft an, »Es war keine Absicht…«
»Was ist denn los?«, fragte ich noch einmal gereizt. Yven berührte mit den Fingerspitzen die pochende Stelle an meiner Stirn. Als er mir seine Hand dann unter die Nase hielt, verstand ich endlich. Ich blutete!
»Ich hol’ mal was, um die Blutung zu stoppen… und dann bringe ich dich nach Hause«, murmelte Dracula.
»Nein! Ich meine… Nein.«
Alle vier sahen mich überrascht an.
»Ich will wegen euch Vollpfosten doch keinen Ärger kriegen! Wenn meine Mutter das so sieht, wird sie kollabieren. Und dann wird sie wieder zwei Monate total übervorsichtig sein, und mich den ganzen Tag im Haus behalten, damit nichts passiert. Und ich werde verhätschelt, nur, weil ich ein bisschen geblutet habe. Außerdem habe ich keine Lust, von Schritt auf Tritt von ihr beobachtet zu werden, und… Ihr wisst, was ich meine. Sie ist einfach total überfürsorglich, was so was angeht.«
Frankenstein konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. Ebenso wie Lestat.
»Jetzt könnte ich ja doch mal…«
»Nein. Ich bin immer noch sauer auf dich!«
Er seufzte. »Was soll ich tun, damit du mir verzeihst?«
»Du willst es wirklich unbedingt probieren, hm?«, knurrte ich, während ich spürte, wie mir ein Bluttropfen die Schläfe herunterlief.
»Lass uns gehen«, sagte Yven, der nun einen Verband und ein paar Pflaster in den Händen hielt.
»Vergiss es! Heute übernachte ich bei euch.«
Das war mein Ernst, und doch sahen sie mich alle überrascht an.
»Was denn? Das einzige, was ich noch mehr hasse, als euch, sind hysterische Anfälle. Ich entscheide mich hier gerade für das kleinere Übel.«
»Tja…«, meinte Yven dann grinsend, »Da gibt es nur ein kleines Problem.«
Auch die anderen schienen zu verstehen. Nur ich nicht.
»Wir haben kein Gästezimmer«, stellte Bryle klar. Ich schnaubte. War ja klar. Doch nach kurzem Überlegen kam mir eine gute Idee.
»Macht ja nichts… Ihr habt eine Couch!«
Lestat sah mich verwirrt an. »Du willst echt auf der Couch schlafen?«
Ich lachte.
»Anscheinend hast du mich falsch verstanden. Du schläfst auf der Couch. Immerhin ist es deine Schuld!«
Er presste böse die Lippen aufeinander.
»Sei kein Mädchen, Lestat«, grinste ich.
»Na schön!«, stöhnte er dann auf. Zufrieden lächelte ich. Es funktionierte anscheinend, an ihre Männlichkeit zu appellieren.
»Und jetzt entschuldigt mich, ich wasche mir das Blut von der Stirn, bevor Lestat noch auf dumme Gedanken kommt.«
»Lestat?«, fragte Frankenstein belustigt
»Du bist Frankenstein. Das hat sie vorhin gedacht«, hörte ich Alex trocken antworten, während ich die Treppen hinauf lief.
Das Bad, das ich vorher nicht gesehen hatte, konnte ich nun ungestört betrachten. Es war schick, die Wände waren von beigen Fliesen bedeckt, die zu den gleichfarbigen Bodenfliesen passten. Es wirkte sehr elegant… und teuer. Ich stellte mich vor das Waschbecken mit dem riesigen Spiegel und betrachtete meine Stirn darin genau. Jetzt wusste ich auch, warum sie gleich so aus dem Häuschen gewesen waren. Das da war eine richtige Platzwunde und rund um die Wunde war meine Haut mit Blut benetzt. So schmerzhaft, wie es ausah, hatte es sich gar nicht angefühlt…
Was ich auch nicht bemerkt hatte, war, dass das Blut mir bis ans Kinn hinuntergelaufen war und von dort auf mein Oberteil tropfte. Na super…
Ich nahm mir ein Handtuch aus dem Regal und tupfte mir damit die Wunde ab. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die anderen in dieser Situation etwas dagegen hätten.
Vielleicht sollte ich ihnen noch in die Shampoos spucken und die Zahnbürsten in die Toiletten werfen… Nein, das wäre auch wieder zu gemein… Obwohl ich noch immer Rache für den gestrigen Kuss wollte.
Es klopfte an der Tür.
Ich öffnete sie und steckte nur den Kopf heraus.
»Bist du nackt?«, fragte Dracula amüsiert. Ich stöhnte.
»Nein.«
»Schade… Na ja, ich hab hier was, immerhin hast du da ja Flecken auf dem Oberteil…« Er hielt mir ein gefaltetes T-Shirt entgegen.
»Danke«, meinte ich trocken und nahm es entgegen.
Das Oberteil ging mir fast bis zu den Knien, wie ich feststellte, als ich es anhatte. So groß hätte ich Yven jetzt auch nicht eingeschätzt. Und es roch so gut..
Nachdem ich es angezogen hatte, kam ich wieder heraus und folgte den Stimmen nach unten ins Wohnzimmer.
»Steht dir… als Kleid«, meinte Yven amüsiert und musterte mich interessiert.
»Deine Wunde muss genäht werden«, stellte Frankenstein… Matt… fest.
Ich riss die Augen weit auf. »Ich muss ins Krankenhaus?«
»Nein, musst du nicht. Ich kann das auch«, antwortete er ruhig.
Schockiert sah ich ihn an.
»Ich habe sogar ein paar Jahrhunderte mehr Erfahrung als andere Ärzte«, grinste er.
Letztendlich willigte ich doch ein, und so saß ich ein paar Minuten später still auf der Couch und ließ mich von Frankenstein verarzten.
»Hey, Lestat«, sagte ich, ohne in anzusehen, weil ich mich nicht bewegen durfte, bis Matt fertig war.
»Ja?«
Ich musste lächeln. Er reagierte schon auf den Namen, ohne es zu merken.
»Was ist eigentlich dein echter Name?«
»Alex. Weißt du doch.«
»Nein«, stöhnte ich, »Ich meine deinen alten Namen.«
»Oh«, meinte er, »Aleister. Aleister Haley.«
Ich drehte den Kopf ein wenig zu Alex und musterte ihn. Wie ein Aleister sah er wirklich nicht aus. Na ja, vielleicht mit Zylinder schon.
»Fertig. Du siehst aus wie neu«, grinste Matt.
Ich fuhr sanft über die genähte Wunde. Ich zählte drei Stiche wie kleine Hügel. Er schien seine Arbeit perfekt getan zu haben.
»Danke«, sagte ich überrascht.
Yven kam mit besorgter Miene in den Raum. »Geht es wieder?«, fragte er.
Ich nickte.
»Dann solltest du jetzt ins Bett gehen. Du siehst müde aus.«
Ich war mir da nicht so sicher, aber er hatte schon wieder in diesem bestimmten Tonfall gesprochen.
»Na gut.«
Er hob eine Augenbraue. »Du widersprichst nicht?«
»Provozier es lieber nicht«, motzte ich und drehte mich um, »Gute Nacht.«
Also begab ich mich Lestats Zimmer. Die Decke und das Kissen hatte er sich geschnappt… Blödmann.
Na ja, ein letztes wollte ich noch tun, bevor ich mich Schlafen legte. Ich sah es als Rache und Experiment zugleich an. Lestat, hatte mir immerhin gerade eine Narbe beschert. Ich sah mich in seinem penibel aufgeräumten Zimmer um… In seinem noch penibel aufgeräumten Zimmer.
Ich ging unschuldig zu seinem Schreibtisch und schmiss „ganz zufällig“ ein Glas voller Stifte so um, dass diese sich über die komplette Tischplatte verteilten.
»Ups…«, grinste ich.
Danach ging ich zu dem Schrank, in dem die vielen Ordner standen. Ungeschickt, wie ich war, rempelte ich so gegen den Schrank, dass vier der Ordner herausfielen.
Aber ich war nicht gemein. Es wäre gemein gewesen, wenn ich die Vase zertrümmert hätte, die da in der Ecke stand. Was ich hier tat, war… gerechtfertigt.
Ganz aus Versehen zog ich auch noch eine der Schubladen des Kleiderschranks so weit heraus, dass sie auf den Boden krachte…
»Mann, bin ich heute aber ungeschickt!«
Ich hoffte mal, dass ich da nicht die Unterwäsche-Schublade erwischt hatte. Wie hätte ich das erklären können?!
Doch in der Schublade waren Krawatten. Nicht viele, sie bedeckten gerade mal den Boden der Schublade. Doch egal, ich konnte mir Lestat einfach nicht mit Krawatte vorstellen. Was mich noch verwunderte, war, dass die Krawatten allesamt schwarz waren. Mir war schon aufgefallen, dass Alex bevorzugt Schwarz trug. Es sah an ihm nicht düster, sondern elegant aus. Aus reiner Neugierde öffnete ich die Schranktüren. Tatsächlich, die Klamotten waren überwiegend schwarz!
Hinter mir lachte jemand. Mussten diese Typen immer in den ungelegensten Momenten auftauchen?
Du diesmal war es noch dazu Lestat höchstpersönlich.
»Was genau tust du da?«, fragte er mit gehobener Augenraue. Ich spürte förmlich, wie ich immer roter wurde.
»Ich?«
Er rollte mit den Augen.
»Nein, die da neben dir«, antwortete er sarkastisch.
»Okay, okay… Ich wollte mich nur über deinen Kleidergeschmack informieren.«
Er schüttelte tadelnd den Kopf.
»Das geht nun aber wirklich nicht einfach so!«
»Tut mir leid…«, meinte ich überschwänglich lächelnd.
»Kein Problem… Aber geh jetzt lieber-«
Er hielt inne und guckte in die Ecke, in der sein Schreibtisch stand.
»Jamie?«
Mit schnellen Schritten ging ich auf Lestat zu.
»Dafür wirst du bluten«, sagte Lestat in wütendem Ton.
»Ich blute doch schon!«, erinnerte ich ihn und tippte mit dem Zeigefinger an meine Stirn.
»Du weißt, was ich meine. Du hast mein Zimmer verwüstet!«
Ich lachte böse.
»Ich hab’ gerade erst angefangen!«
»Das wirst du büßen«, sagte er böse, doch anscheinend wusste er, dass er mich nicht aufhalten könnte.
»Und wenn ich dir stattdessen erlaube, was von meinem Blut zu probieren?«
Er sah überrascht auf. »Das würdest du tun? Ich dachte, du bist vehement dagegen…«
Ich zuckte mit den Schultern. »Wäre doch interessant, herauszufinden, wie sich ein Vampirbiss anfühlt… Aber nur unter der Bedingung, dass ich mir aussuchen darf, wann.«
»Wie…? Nicht jetzt gleich?«, fragte er enttäuscht wie ein kleiner Junge.
Ich schüttelte den Kopf. »Für heute habe ich schon genug Blut verloren.«
»Na gut… Aber rühr meine Sachen nicht mehr an… Außer, du willst sie wieder aufräumen.«
Ich nickte. »Gute Nacht, Aleister.«
Er verbeugte sich theatralisch, bevor er den Raum verließ.
Langsam ging ich zum Bett. Der Abend war wirklich anders verlaufen, als ich erwartet hätte. Seufzend ließ ich mich auf die Matratze sinken – das Kissen war ja nicht vorhanden.
Nach etwa zwanzig Minuten wurde ich wieder wach. Jemand öffnete die Tür. Derjenige schien nicht zu merken, dass ich schon geschlafen hatte, weshalb ich darauf schloss, dass es Dracula war.
Er hatte etwas in der Hand, wie mir seine Silhouette verriet. Was es war, konnte ich aber nicht erkennen. Leise kam er an das Bett.
Der Gegenstand war eine Decke, wie ich bemerkte, als er sie behutsam über mich legte. Was war denn hier los?! Seit wann konnte er so fürsorglich sein? Das war richtig unheimlich…
Er wandte sich wieder um, um zu gehen.
»Dracula?«, flüsterte ich. Er drehte sich schmunzelnd um. Ich kuschelte mich in die flauschige Decke.
»Danke.«
Kapitel 6
Als ich am nächsten Morgen wie immer früh aufwachte, spürte ich etwas unter meinem Kopf, das definitiv nicht die Matratze war. Ich öffnete die Augen spaltbreit.
Das konnte doch nicht wahr sein! Dracula hatte sich in der Nacht zu mir ins Bett gelegt und jetzt lag mein Kopf auf seiner Brust. Völlig perplex rappelte ich mich auf.
Ein Blick in sein Gesicht verriet mir, dass er tatsächlich noch schlief.
War das Absicht gewesen? Ich wusste es nicht, doch es war mir im Moment auch egal. Die Situation war einfach so… ungewohnt. Ungewohnt, aber auch bequem.
Verwundert über meine Gedanken schüttelte ich den Kopf. Stöhnend hob ich mich aus dem Bett und musste dabei feststellen, dass ich meine Hose nicht mehr anhatte, obwohl ich genau wusste, dass ich sie gestern noch anbehalten hatte, nur zur Sicherheit. Und jetzt hing sie über der Stuhllehne beim Schreibtisch… Ich wollte überhaupt nicht wissen, wie das passiert war. Aber egal, das T-Shirt reichte mir sowieso fast bis zu den Knien. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es erst zehn nach Sieben war. Das mochte früh für die meisten Menschen sein, für mich war es aber normal, früh aufzustehen.
Gähnend ging ich ins Bad. Die anderen schienen auch noch zu schlafen…
Theoretisch könnte ich ja jetzt kurz duschen. Die andern würden sicherlich noch eine Weile schlafen, und, wenn ich mich beeilte…
Gesagt, getan. Natürlich hatte ich kein Duschgel dabei, deshalb hatte ich mir einfach eines aus dem Regal geschnappt. Grinsend stellte ich fest, dass ich hinterher wohl nach Vampir riechen würde.
Schon bald prasselte Wasser auf mich hinab und jegliche Anspannung fiel von mir ab. Als ich fertig war, wickelte ich mich in eines der riesigen, weichen Handtücher und öffnete die Tür.
Ich nahm mir schon ganz schön viel heraus, zuerst hatte ich verlangt, hier zu übernachten, und dann hatte ich hier noch geduscht, ohne zu fragen.
Ich schlich wieder in Lestats Zimmer und hinterließ dabei eine feuchte Spur auf dem dunklen Parkettboden. Das würde ihn sicherlich auch noch mal aufregen.
Ich warf einen Blick auf den Wecker. Dummerweise musste ich mich dazu etwas über Yven beugen. Deshalb hielt ich mit einer Hand mein Handtuch fest und stützte mich mit der anderen an der Bettkante ab.
Ihr wisst ja, was jetzt kommt. Das, was eben immer an einer solchen Stelle passiert.
»Jamie?«, fragte Dracula belustigt und ich spürte sein Grinsen förmlich auf meiner halbnackten Haut. Ich kniff die Augen aufeinander. Das war echt bescheuert, immer im schlimmsten Moment.
»Ähm… Ja?«
Dracula lachte leise.
»Was tust du da?«, fragte er amüsiert, und ich drehte den Kopf zu ihm.
»Schlaf doch einfach weiter!«, murmelte ich.
Sein Blick lag auf meiner Hand, die krampfhaft das Handtuch festhielt.
»Nö«, grinste er und fasste mir plötzlich um die Taille.
Ich schrie auf, als er mich dann schnell zu sich herunterzog.
»Wer hat dir erlaubt, zu duschen?«
Ich fand die Situation gerade sehr unangenehm und peinlich, sagte aber nichts.
»Niemand…?«
Gott, ich lag auf einem heißen Typen! Immer diese peinlichen Situationen… Na ja, ich empfand es zumindest für peinlich. Dracula grinste mich nur an.
Und warum wehrte ich mich nicht gegen diese Situation? Ich hätte einfach gehen können, aber es funktionierte nicht! Stattdessen lag ich immer noch mit dem Kinn auf seiner Brust da und sah ihm unverwandt in die Augen.
»Jamie, ich-«, setzte Yven an. Er wurde allerdings durch mich unterbrochen. Ich schnaubte und schob mich einfach von ihm herunter. Das ging so nicht. Ich hasste ihn immer noch, und außerdem musste ich nun an David denken. Was ich tat war falsch, und David hatte das nicht verdient. Ich stampfte aus dem Zimmer. Yven war ein Arschloch, aber David war immer nett. Wenn er das gerade eben getan hätte… Die Situation wäre um so vieles leichter gewesen.
Reiß dich zusammen, redete ich mir selbst immer wieder gut zu. Es war nicht so schlimm gewesen, wie ich es nun empfand. Und außerdem hätte ich Yven auch nicht gleich so zurücklassen sollen, immerhin wollte er noch etwas sagen.
Ich steckte noch einmal den Kopf durch den Türrahmen.
»Wolltest du was bestimmtes?«, fragte ich böse. Dracula schluckte einmal.
»Nein, schon gut.«
Na dann… Ich schnappte mir meine Hose und zog sie mir an, wobei ich Dracula einen bösen Blick zuwarf. Komischerweise grinste er diesmal nicht.
»Sicher, dass du nichts-«
»Geh jetzt«, sagte er ernst, nachdem er sich erhoben hatte. Was war denn jetzt los?
»Ich will wissen, was los ist, verdammt! Immerhin nervst du mich die ganze Zeit, und wenn es dir mal nicht passt, soll ich gehen?«, rief ich wütend.
»Geh jetzt. Bitte.«
Mit diesen Worten verließ er einfach das Zimmer. So ernst hatte ich ihn noch nie erlebt… Was war jetzt nur los? Er benahm sich, als wäre er in der Pubertät… Aber wie ein pubertierendes Mädchen.
Na schön, mit so einem Mist musste ich mich auch nicht abgeben. Wütend verließ ich das Haus, obwohl ich immer noch das T-Shirt von einem der Jungs trug und meine Haare noch ziemlich nass waren. Ich wollte einfach nur weg.
Wütend ging ich nach Hause und verdrängte allzu gemeine Gedanken. Langsam begann ich zu hoffen, dass ich Yven nie begegnet wäre. Dann würde er nicht mein gesamtes Leben auf den Kopf stellen und ich könnte ruhig mein Leben weiterführen, das bis auf schreckliche Mathestunden immer wunderbar gewesen war.
»Jamie!«, hörte ich hinter mir jemanden rufen. Welcher Idiot nervte mich jetzt schon wieder? Wütend drehte ich mich um.
»David«, meinte ich dann doch etwas überrascht. Lust auf ein Gespräch hatte ich trotzdem nicht. Strahlend kam er auf mich zu, doch selbst sein Lächeln munterte mich heute nicht auf.
»Wo kommst du denn so früh her?«, fragte er. Ich stöhnte.
»Dasselbe könnte ich dich auch fragen«, sagte ich unfreundlich. David nahm das alles ziemlich locker. Woher hatte er bloß diese Gleichgültigkeit? Ich beneidete ihn wirklich darum. Okay, okay, ruhig bleiben. Er hatte rein gar nichts mit meiner momentanen Gefühlslage zu tun, als würde ich sie auch nicht an ihm auslassen…
»Ich wollte eigentlich nur zum Bäcker gehen… Und du?«
Mist. Das war eine plausible Begründung. „Oh, ich war bei Yven, dem Typen, den du am meisten von allen hasst. Und ich habe bei ihm zu Abend gegessen und übernachtet. Nachher habe ich noch bei ihm geduscht und fast schon mit ihm gekuschelt“ war wohl nicht ganz so zufriedenstellend.
»Ach.. ich mache nur einen Spaziergang… Willst du mich noch bis nach Hause begleiten?«, schlug ich lächelnd vor.
Er nickte erfreut und ich hakte mich bei ihm unter.
»Was ist denn da passiert?«, fragte er und wirkte plötzlich besorgt. Behutsam strich er mit den Fingerspitzen über meine Stirn.
»Ach, das… Ich bin gestolpert. Du weißt doch, was ich für ein Tollpatsch bin.«
»In Zukunft muss ich wohl besser auf dich aufpassen«, sagte er zwinkernd.
Ich lächelte ihn an, doch seine erfreute Miene veränderte sich kurz darauf schon wieder. Immer wieder streifte sein Blick das T-Shirt, das ich trug, und dennoch sagte er nichts, bis wir vor meinem Haus zum Stehen kamen.
»Willst du noch mit reinkommen?«, fragte ich, um ihn davon abzulenken, doch er schüttelte nur schweigend den Kopf.
»Na gut, dann… Sehen wir uns morgen in der Schule«, murmelte ich.
»Ja, bis dann.«
Er lächelte zwar, machte jedoch keinerlei Anstalten, mir einen Abschiedskuss zu geben, wie es normalerweise üblich war. Ein wenig enttäuschte es mich, wie empfindlich er war. Doch dann musste ich wiederum daran denken, was ich in den letzten Tagen gedacht und getan hatte. Indirekt ruinierte Yven bereits mein Leben.
Schweigend sperrte ich die Haustür auf, als David bereits um die Ecke verschwunden war. Meine besorgte Mutter kam mir entgegen.
»Wo warst du denn so lange? Ich habe mir schon Sorgen gemacht!«
Ich rollte mit den Augen.
»Ich bin gestern ganz plötzlich auf der Couch eingeschlafen, tut mir leid! Ansonsten wäre ich natürlich sofort nach Hause gekommen!«
Sie schüttelte grinsend den Kopf.
»Schon gut! Ich finde es ja schön, dass du dort geblieben bist, wenn du ihn schon so magst.«
Oh je. Ihre Fantasie wurde ging ja immer mehr mit ihr durch. Jetzt hatte sie auch noch die Wunde an meiner Stirn entdeckt.
»Was ist da passiert?«, wollte sie wissen und fasste nach meiner Stirn, doch ich zuckte zurück.
»Halb so schlimm. Ich bin nur gegen etwas gelaufen. So bin ich eben«, log ich schon wieder. Das sollte wirklich nicht zur Gewohnheit werden. Außerdem war es ziemlich unglaubwürdig, wenn ich allen erzählte, dass ich leidenschaftlich gegen Gegenstände lief.
Meine Mutter nickte und ließ mich erst einmal in Ruhe die Jacke ausziehen. Zum Glück hatte sie im Gegensatz zu David das Oberteil nicht entdeckt, das definitiv nicht mir gehörte. Wer weiß, auf was für Gedanken sie sonst gekommen wäre…
Doch sobald sie aus dem Flur verschwunden war, kam mir auch schon Sarah entgegen. Hier ging es ja zu.
»Und? Wie war es?«, fragte sie neugierig. Sie entdeckte das Oberteil natürlich sofort und musterte mich argwöhnisch.
»Das erkläre ich dir ein andermal«, meinte ich genervt und ging nach oben.
»Sag mir wenigstens, was ihr gegessen habt!«, rief mir Sarah von unten noch zu.
»Pizza!«, rief ich zurück. Weshalb interessierte sie bitteschön, was wir gegessen hatten?
»Pizza«, hörte ich sie unten murmeln, »Sehr einfallsreich.«
Grinsend ging ich weiter. Tja, das war nun mal typisch. Sowohl die Frage, als auch die Reaktion.
In meinem Zimmer zog ich mir zuallererst das Oberteil aus. Es war zwar schade, weil es so gut gerochen hatte, doch ich hatte damit bereits genug Aufmerksamkeit erregt… Und immerhin gehörte es höchstwahrscheinlich Yven.
Ich öffnete gedankenverloren die Tür meines Kleiderschrankes. Doch ein Geräusch hinter mir ließ mich hochschrecken.
»Jamie…«
Ich krümmte mich instinktiv, um meinen halbnackten Oberkörper zu verstecken.
»Yven«, hisste ich leise, da meine Familie im Haus war, »Verschwinde! Siehst du nicht, dass…«
»Oh«, unterbrach er mich, »Tut mir leid.« Ich hatte mich noch immer nicht zu ihm umgedreht, glaubte jedoch, einen amüsierten Unterton in seiner Stimme zu hören.
»Ich schau nicht hin«, versprach er.
Misstrauisch drehte ich mich um, doch er lag tatsächlich entspannt auf dem Bett und starrte an die Decke. Schnell griff ich mir ein Oberteil und zog es über.
»Was willst du?«, fragte ich dann. Ich wirkte überraschend ruhig. Innerlich brodelte ich jedoch.
»Ich wollte dir nur dein Oberteil bringen«, sagte er grinsend, während er noch immer an die Decke starrte, »Darf ich wieder gucken?«
»Von mir aus… Und wo ist mein Oberteil?«, fragte ich misstrauisch. Er hielt es zumindest nicht in seinen Händen.
Yven richtete sich auf und deutete mit einer Kopfbewegung zu meinem Schreibtisch. Da lag tatsächlich mein Oberteil. Es schien sogar gewaschen (aber natürlich nicht gebügelt) zu sein.
Ich schwieg. Eigentlich hätte ich ihm danken sollen, doch ich war von der Situation peinlich berührt. Einerseits war ich wirklich wütend auf ihn, doch andererseits hatte er mir soeben einen Gefallen getan… Nachdem er in mein Zimmer geplatzt war.
»Wie läuft es mit dir und Football?«, fragte er beiläufig, während er sich wieder einmal interessiert umblickte.
»Was geht dich das an?«, fragte ich. Meine Fingerspitzen kribbelten. Ich wollte ihn einfach nur schlagen.
»Ich bezweifle, dass er allzu gut für dich ist«, sagte Dracula immer noch in diesem gleichgültigen Tonfall. Ich schüttelte fassungslos den Kopf.
»Das sagst gerade du!«
Plötzlich stand er vor mir und packte mich an den Schultern. Wenn ich so schnell sein könnte, wäre er schon längst tot.
»Jamie, du musst mir glauben«
»Verschwinde einfach!«, rief ich sauer. Er schüttelte den Kopf.
»Ich gehe, wenn du sagst, dass du mir glaubst.«
Ich war so kurz davor, etwas Unüberlegtes zu tun, dass meine Hände zitterten.
»Was hast du für ein Problem mit David? Er ist tausendmal besser als du.«
Das hatte gesessen. Anscheinend hatte ich Yvens Schwachstelle getroffen. Er stand auf und beugte sich ganz nah zu mir.
»Du… hast ja gar keine Ahnung.«
Im nächsten Moment war er verschwunden, so, als sei er niemals hier gewesen.
Wie zur Hölle kam dieses Arschloch auf die Idee, dass David nicht gut war?
Das würde noch was werden, das wusste ich jetzt schon… Chaos vorprogrammiert, wie immer, wenn Dracula und ich aufeinander trafen.
Wahrscheinlich würde Yven mich in der Schule zerfleischen… Oder David. Ich wusste es nicht, aber ich hatte jetzt schon Angst davor…
So wütend hatte ich ihn nämlich noch nie erlebt. Und was er mit „Du hast ja gar keine Ahnung“ gemeint hatte, fragte ich mich noch lange.
Herzlich willkommen im Chaos.
Kapitel 9
Tick. … Tack. … Tick. … Tack.
Wieso ging eine Uhr immer dann langsam, wenn man etwas am schnellsten hinter sich bringen wollte?!
»Alles okay?«, fragte Crab mich leise, »Du siehst heute so fertig aus!«
Ich guckte weiterhin auf die Uhr, die ironischerweise direkt über der Tafel hing.
Natürlich war es NICHT okay! In der nächsten Stunde müsste ich mich mit David UND Dracula abgeben, und das konnte ja heiter werden!
Ich wollte es so schnell wie möglich hinter mich bringen, weil ich keine Lust auf Yven hatte und mir Davids Reaktion noch unbekannt war!
Das würde was werden! Das wusste ich jetzt schon! Ich hatte gestern echt Schiss vor Yven, als er mich so runtergemacht hatte…
»…Und vergesst nicht: Vor den Sommerferien werdet ihr noch die meisten Prüfungen schreiben! Ich habe gehört, Englisch und Biologie stehen diese Woche an? Na dann…«, meinte Mr. Gray mit seiner nasalen Stimme und rückte seine Brille zurecht.
Das stimmte allerdings! Zum Glück war nicht mein Biologiekurs diese Woche dran, aber in Englisch hatte es mich erwischt So war das eben, drei Wochen vor Notenschluss kamen hier alle Klausuren… Und hatte ich nächste Woche, das könnte heiter werden, zumal unsere Lehrerin so viel verlangte, dass ich selbst dann eine Vier bekam, wenn ich eine ganze Woche büffelte!
Als es zur nächsten Stunde läutete, musste ich den Drang unterdrücken, mich ängstlich an Crab zu klammern. Stattdessen räumte ich meine Utensilien mit zitternden Händen weg und machte mich auf den Weg zu Englisch.
Was würde mich erwarten?! Mann, das ging so doch nicht! Reiß dich zusammen, Jamie, einen Vollidiot und einen Menschen wirst du schon unter Kontrolle bringen!
Ich atmete tief durch und sputete dann weiter zum Klassenraum. Weil ich vorher so getrödelt hatte, war ich natürlich auch die letzte, die das Klassenzimmer betrat.
Am besten gar nicht gucken, ob die beiden mich ansahen! Einfach stur geradeaus blicken und an den Platz setzen…
»Hey Jamie!«, meinte Lissa, meine Banknachbarin, die inzwischen wieder gesund war. Manchmal jedoch nervte sie mich so, dass ich sie gerne gegen eine Wand klatschen würde!
»Hey«, murmelte ich und versuchte, mich voll und ganz dem Unterricht zu widmen.
»Warum sieht Yven dich so komisch an? Der sieht ziemlich wütend aus«, flüsterte sie mir zu. Ich hasste sie! Das war genau das, das ich nicht wissen wollte!
Verbissen lächelte ich sie an.
»Wir hatten eine kleine Meinungsverschiedenheit.«
Das konnte man aber laut sagen!
Jetzt drehte ich mich doch um und begegnete dem Killerblick von Dracula, der mich beinahe schon durchbohrte. Ich lächelte ihn als Antwort nur sarkastisch an.
Dann sah ich zu David, der mich anlächelte und ich grinste zufrieden zurück. David schien mich ja auch zu mögen, nicht?! Oh je, das klang schon fast so, als würde ich auch zu einem läufigen Mädchen werden! Das durfte nicht passieren, auch, wenn es bei mir nicht an Dracula gerichtet war.
Erstaunlicherweise wurden Draculas Blick NOCH finsterer, als er ihn auf David richtete! Was für ein Problem hatte er bloß mit ihm?! David war in Ordnung, nett und ehrlich. Irgendwie auch all das, was Dracula nicht war! Denn Dracula gab einen Scheiß auf Ehrlichkeit, er war zu mir auch nicht wirklich nett, und außerdem schleppte er jedes Mädchen ab, das nicht bei Drei auf den Bäumen war! (Zur Not würde er hinterher klettern)
Wenn man so darüber nachdachte, war es wirklich Unglück gewesen, dass ausgerechnet ich mein Handy im „Ten Of Diamonds“ liegen gelassen hatte, und nicht eine der Tussis! Und dass er ausgerechnet mir verraten wollte, was er war!
Moment mal… warum eigentlich?! Na ja, jetzt war es mir egal, ich wollte nichts mehr von ihm wissen, da konnte er noch so böse gucken.
Die ganze Stunde ging das so, dass Dracula abwechselnd mich und David böse ansah, und dann sofort beim Klingeln herausstürmte. Ich wusste nicht, wo sein Problem lag, aber genervt war ich davon allemal.
Seufzend machte ich mich auf den Weg zu Latein. Es war echt schrecklich, Mrs. Luce zuzuhören. Zu ihr passte Mrs. Luzifer viel besser! Ihre nasale Stimme und die merkwürdige Figur nervten wirklich. Wie sie immer über die Ränder ihrer Brillengläser sah, wenn sie jemanden zum Stoff befragte oder jemand doch tatsächlich eine falsche Antwort gab, das war unfassbar.
»Was haben wir letzte Stunde gemacht?«, fragte sie nun und sah auf ihre Liste, um schon mal zu überlegen, wen sie denn diesmal befragen würde.
»Jamie?«
Scheiße!
»Ja?«
Abfällig musterte mich Mrs. Luce und begann, mich die neuen Vokabeln abzufragen. Da ich nicht wirklich gelernt hatte, wusste ich nur gut ein Drittel. Zusammen mit der Grammatik, die sie mich abfragte, ergab das eine Vier minus.
Tja, dumm gelaufen! Meine Fünf müsste ich mir anderweitig ausmerzen…
Ich hasste Mrs. Luce jetzt allerdings noch mehr, falls das überhaupt ging. Wieso musste sie mich auch immer dann ausfragen, wenn ich mal nicht gelernt hatte?!
David sah mich mitleidig an, war Marvin nicht entging. Verunsichert blickte er zwischen mir und David hin und her. Und Anna grinste nur zufrieden. Sie war zwar auch nicht wirklich der Überflieger, aber eine Drei hatte sie wenigstens geschafft… Blöde Kuh aber auch!
Und die Stunde war so langweilig! Nachdem wir viele verschiedene Übungen zu allen möglichen Themen gemacht hatten, war ich heilfroh, als es läutete.
Weg von Anna, die mich schon wieder böse ansah! Führte sie was im Schilde?!
Als ich aus dem Klassenzimmer ging, fasste mich plötzlich jemand am Arm. Es war David.
Schnell verzogen wir uns in eine Ecke in der wir ungestört reden konnten.
»Also, das gestern-«
Ich hielt inne, als David mir plötzlich lächelnd eine Hand auf die Wange legte. Mist, sicherlich wurde ich jetzt wieder knallrot! Houston, ich glaube, wir haben ein Problem! Ich spiele verrückt!
Jetzt zog David mich an sich. Mein Bauch kribbelte! Ich war vielleicht kindisch, mit meinen Schmetterligen im Bauch und den Herzen auf den Augen!
Marvin ging gerade am gang vorbei, in dem wir standen. Als er uns sah, mussten David und ich loslachen. Er sah aus, als hätte man ihm einen Liter Zitronensaft zu Trinken gegeben!
»Du hast also noch einen Verehrer.«
Hatte er gesagt, noch einen?! Sollte das heißen…?!
»Am Ende kann es aber nur einen geben!«, grinste ich.
David fasste mit der Hand an mein Kinn und drückte mir dann einen Kuss auf die Lippen! Diesmal war es auch ein richtiger Kuss, und nicht so flüchtig wie gestern!
Danach kribbelten meine Lippen wie Brause und mein Herz raste! Oh Gott, ich war echt verschossen. Und er auch! Tja, also ausnahmsweise mal ein positives Erlebnis diesen Monat!
»Ich muss jetzt wo hin«, sagte David geheimnisvoll grinsend. Ich sah ihn traurig an. Anscheinend mochte ich ihn wirklich sehr, denn ansonsten würde ich mir nicht so sehr wünschen, dass er bei mir blieb!
»Wohin denn?«
Er lächelte noch breiter.
»Ich muss noch was erledigen!«
Mit diesen Worten schob er mich sanft aber bestimmt wieder von sich weg und verpasste mir nur noch einen flüchtigen Kuss auf die Wange. So blieb ich zurückgelassen im Gang stehen. Typisch!
Grinsend ging ich zu Catherine und Crab. Da dieser ein gutes Gespür für Reaktionen hatte, versuchte ich, nicht allzu breit zu grinsen! Sonst wüsste er sofort-
»Wer ist es?«, fragte Crab schon. Mann, war der gut!
»Ich weiß nicht, was du meinst!«, lächelte ich ruhig. Er rollte mit den Augen.
»In wen bist du verliebt?!«
Er war SEHR gut.
»Crabby, nichts gegen dich, aber du benimmst dich gerade ziemlich metrosexuell!«, grinste ich böse. Ich verschränkte die Arme.
»Nicht ablenken!«
Ich wusste, dass ihn das beleidigt hatte, sagte aber nichts mehr dazu.
»Genau genommen habe ich es dir schon erzählt!«
Catherine guckte jetzt überschwänglich beleidigt drein.
»Du hast es ihm vor mir erzählt?!«, rief sie gespielt entsetzt. Crab schien derweil ein Licht aufzugehen.
»David Mason!?«, rief Crab. Catherine bekam große Augen.
»DAS hast du mir verschwiegen?!«
Ich lachte los. Nachdem David nach Dracula der süßeste Junge an der Schule war, überraschte sie das sicherlich ziemlich!
»Ja, genau der!«
Wenn sie beleidigt war, konnte Catherine ziemlich komisch sein! Sie erzählte dann komische Sachen!
»Er ist halber Ire!«, rief sie.
Da hatten wir gleich ein Beispiel.
»Er hat aber keine roten Haare!«, grinste ich und guckte dabei verschmitzt auf ihre Haare. DIE waren ja rot.
»Ich habe wenigstens keine Irischen Wurzeln!«
Ich rollte mit den Augen. Ich hatte doch nichts gegen Iren! Bis auf ihre bescheuerte Aussprache waren die alle ganz nett! Und mit Klischees wie der rothaarigen Bevölkerung konnte mir auch keiner kommen! Es gab sogar mehr Rothaarige in Schottland!
»Catherine, jetzt spiel nicht die Beleidigte! Ich weiß doch, dass du dich eigentlich für mich freust!«
Sie lächelte.
»Tut mir leid! Ich will nur verhindern, dass du ein Kind mit roten haaren bekommst! Ich weiß ja selbst am besten, wie das ist!«
Ich rollte mit den Augen. Jetzt sprach sie auf einmal vom Kinderkriegen!
»So, und ich muss jetzt wieder!«, sagte ich heiter. Ich musste wirklich! Aufs Klo! Und zwar dringend!
Schnell winkte ich den beiden noch zu und schoss um die Ecke. Das musste sicherlich bescheuert aussehen, aber das war im Moment meine geringste Sorge!
Als ich an der Jungentoilette vorbeilief, öffnete sich plötzlich die Tür. Jemand packte mich und zog mich herein.
»Was soll das?!«, rief ich aufgebracht. Konnte dieser Penner mich nicht einmal in Ruhe lassen?! Ich wurde gegen die Flieswand gepresst.
»Seid ihr zusammen?«, fragte Dracula wutschnaubend. Gute Frage. Das wusste ich ja nicht mal selbst, oder?!
»Vielleicht«, sagte ich gepresst. Musste er mich so an die Wand quetschen?!
»Dann trenn dich von ihm.«
Jetzt hatte ich mich aber verhört, oder?!
»Wie bitte?!«
Dracula konnte einfach nicht anders, als böse zu schauen.
»Er wird dich verletzen!«
»Lass die Scheiße! Er würde mich nie verletzen oder so! Immerhin liebt er mich!«
Dracula lachte. Aber es war ein trockenes Lachen, das eher seine Verachtung für David hervorhob.
»Das sagst du jetzt noch!«
»Ich kriege keine Luft!«
Angespannt trat er einen Schritt zurück.
»Du musst auf mich hören, Jamie!«
Ich verstand das nicht. Wie konnte man nur so fest von etwas überzeugt sein?! Hatte er nichts besseres zutun, als mich zu nerven?!
»Jamie…«, sagte er jetzt plötzlich ruhig und kam wieder näher, »Ich will dich beschützen.«
Dann legte er mir eine Hand auf die Schulter.
»Wow. Ich kriege Schutz von einem Monster.«
Mit diesen Worten riss ich mich von ihm los und stürmte aus der Toilette, die Blicke mehrerer Jungs ignorierend. Was bildete er sich ein?! Am liebsten würde ich zurückgehen und ihn umbringen! Vielleicht würde ich ihm einfach Klopapier in den Mund stecken, und sehen, ob er erstickte, oder ihn mit der Klobürste erstechen!
Plötzlich knallte ich gegen jemandem. Und dummerweise musste ich feststellen, dass dieser Jemand eine steinharte Brust hatte! Mann, hoffentlich hatte das niemand außer mir bemerkt... Außer mir und diesem Jemand... Außer mir und...
»Nosferatu?! Äh... Bryle!«
Er grinste schief und fasste mich, an den Armen. Menno, wurde das jetzt zur Gewohnheit, dass ich mit einem von diesen Typen zusammenstieß?!
»Ein Wunder, dass du nicht umgefallen bist!«, sagte er amüsiert und schlackerte dabei mit meinen Armen hin und her, als wären sie aus Gummi.
»So umwerfend bist du nun auch wieder nicht!«, sagte ich augenrollend.
»Was machst du überhaupt hier?! Wenn die Mädchen dich sehen, bricht Massenhysterie aus!«, wechselte ich das Thema.
Er biss sich auf die Unterlippe... Das sah sexy aus!
Och, noch so ein böser Blick von ihm... Tja, ich grinste nur zurück.
»Ich bin hier, um auf Yven aufzupassen.«
Ich sah ihn überrascht an. Ich wusste ja noch gar nicht, dass Dracula einen Babysitter brauchte!
»Und warum?«, hakte ich nach, als er nicht mehr weitersprach.
»Hat mehrere Gründe... Vor allem aber, weil ich aufpassen muss, dass er diesem David nicht aus Versehen den Hals umdreht...«
Ich schluckte.
»Warum hasst er David denn auf einmal so?!«, fragte ich. Er sah mich nervös an.
»Oh.«
Ich verpasste ihm einen Klaps. Konnte er vielleicht mal mehr sagen?!
»Was „Oh“?«
»Du weißt es noch gar nicht...«
Verdammt, diese Vampire sprachen aber auch immer in Rätseln!
»WAS weiß ich nicht?!«, fragte ich laut. Er seufzte.
»Ich kann dir das nicht erzählen. Schon vergessen? Ich bin der Brave, Yven ist der Böse.«
Das letzte sagte er mit einem Lächeln, von dem er diesmal wahrscheinlich sogar hoffte, dass ich es atemberaubend fand... Nur damit ich vom Thema abkam! Arsch!
»Ihr seid beide böse«, sagte ich beleidigt und ging einfach an ihm vorbei. Solange die beiden nicht Klartext mit mir reden würden, würde ICH überhaupt nichts mehr sagen!! Wenn es nämlich um mich ging – das vermutete ich zumindest – dann sollten sie mich wenigstens über was-auch-immer aufklären!
»Jamie, warte!«, rief Bryle und hatte mich binnen weniger Sekunden wieder eingeholt. Er fasste mich am Arm und wollte etwas sagen, doch ich kam ihm zuvor.
»Wenn du mich nicht augenblicklich loslässt ... Dann platzt meine Blase!«
Er sah mich einen Augenblick lang perplex an und ließ mich dann grinsend los.
»Das würde ich zu gerne sehen!«, lachte er und ich war kurz davor, ihm in den Hintern zu treten.
»Kein Wunder... Du bist ja auch so bescheuert wie dein Bruder!«
Und zwei von dieser Sorte waren eindeutig zwei zu viele. Böse schnaubend ließ ich Nosferatu hinter mir und eilte auf die Mädchentoiletten.
Mein Entschluss stand fest: Ich würde die beiden – nein, alle dieser blöden Vampire! – ignorieren, bis sie mit der ganzen Wahrheit rausrückten.
Nachdem ich den menschlichen Bedürfnissen nachgegangen war, die Vampire anscheinend nicht hatten, widmete ich mich der nächsten Situation: Catherine und Crab.
Für euch war das sicher nicht erkennbar gewesen, aber die beiden verbrachten seit neuestem SEHR viel Zeit miteinander.
Ich traf die beiden, wie sie wieder einmal zu zweit am Tisch saßen und über irgendetwas lachten.
Bitte nicht, oh Herr.
Das würde mich natürlich nicht stören, wenn die beiden endlich ihre große Liebe gefunden hätten, aber mit den beiden rumzuhängen und mir Gesäusel und Geknutsche reinziehen... Nein, danke! Sie waren ja meine Freunde, und das wäre nun wirklich sehr ungewohnt...
Und alleine der Gedanke, was die beiden machen würden, wenn sie alleine wären...! Bäh.
Reg dich ab, Jamie, du weißt ja nicht einmal, ob die beiden ein Paar sind...
Moment! Was macht Crab denn da?! Er legt seine Hand auf ihre!
Okay, ich kann das eindeutig nicht... Das ist zu viel, selbst für mich. Ich konnte vier beschissene Machovampire mit dummen Sprüchen und heißen Bodys ertragen... Aber DAS ging so nicht!
Außerdem musste ich Catherine ja immer vor Jungs schützen, weshalb ich sogar ein wenig sauer auf Crab wurde!
Okay, um ehrlich zu sein, wünschte ich mir sogar, dass sich die Erde vor ihm auftäte und er in einem riesigen See voller Scheiße ertrinken würde!
Stopp. Jamie, du bist echt bescheuert.
Wenn sie glücklich sind, müsste ich dann nicht eigentlich auch glücklich sein?! Und Catherine sah ja nicht gerade aus, als wäre ihr unwohl dabei...
Pfüh, mir hielt sie eine Standpauke, weil David halber Ire war, und selbst stand sie auf den größten Snob in der Weltgeschichte!
Grinsend ging ich auf die beiden zu. Sobald sie mich sahen, zog Crab seine Hand wieder zurück, und beide setzten einen Blick auf, der wohl bedeutete, dass sie hofften, ich hätte das Händchenhalten nicht bemerkt.
»Na, wie läuft’s?«, fragte ich amüsiert und setzte mich neben Crab.
»Ganz normal«, antwortete dieser.
Mich konnte er nicht anlügen! Ich kannte ihn schon, als er noch in die Windeln gekackt hatte! Ich setzte einen überschwänglich enttäuschten Blick auf und verschränkte die Arme.
»Für wie blöd hältst du mich?«, grinste ich dann fies.
Wow, ich war durch Dracula und Co. so fies geworden, dass ich selbst meine Freunde in peinliche Situationen versetzte!
»Okay, ihr könnt es mir sagen. Ich werde schon nicht austicken oder so«, seufzte ich dann und ließ mich wartend in den Stuhl zurücksinken. Echt verdammt schwer, in dieser Situation nicht zu grinsen!
Doch nun guckten Catherine und Crab ganz anders.
»Wir sollten es ihr sagen«, sagte Catherine. Man konnte ihr die Verlegenheit ansehen.
Ja, kommt schon! Verratet mir endlich das, das ich schon längst weiß!
»Wir denken...«, fuhr sie fort. Ja? Ja? Na los!
Doch irgendwie bekam sie den Rest nicht über die Lippen. Crab seufzte.
»Wir denken, dass David nicht unbedingt gut für dich ist.«
Wow.
Hätte ich mich noch ein bisschen weiter hintergelehnt, wäre ich jetzt mitsamt Stuhl nah hinten umgekippt. Ich hatte auf etwas anderes gehofft.
»Das ist jetzt aber nicht euer Ernst, oder?!«, rief ich böse und richtete mich auf. Hatten die sich etwa mit Dracula verbündet?!
»Bitte lass es uns erklären«, sagte Catherine beinahe schon flehend. Ich ballte die Hand zu einer Faust, und versuchte, mir die Wut nicht mehr allzu deutlich anmerken zu lassen. Nicht unbedingt leicht, wenn man bedenkt, dass die ganze Welt versucht, mich davon zu überzeugen, dass David „nicht gut für mich“ war!
»Du weißt ja, dass David hier, bevor dieser Yven kam, der beliebteste Typ in der ganzen Schule war. Er hatte ganz schön viele Freundinnen. Und... Na ja, keine Beziehung hielt wirklich lang...«
Ich biss mir vor Zorn so fest auf die Lippen, dass sie schmerzten.
»Kurz gesagt: Ihr habt ihr etwas dagegen, dass David und ich zusammen sind!«
Catherine schüttelte den Kopf.
»Wir wollten dir nur sagen, dass wir uns Sorgen machen!«, sagte sie leise.
Sorgen?! Würde ich ein Gewehr haben, würden hier jetzt zwei Leichen liegen!
Angespannt schob ich meinen Stuhl zurück.
»Wenn das alles ist, werde ich jetzt gehen«, sagte ich und unterdrückte den Drang, irgendetwas zu zerstören.
»Jamie, wir-«
Ich schüttelte den Kopf.
»Spar’s dir«, fuhr ich Crab ins Wort. So viel zu meinen besten Freunden, die voll und ganz hinter mir standen...
Wütend ließ ich die beiden zurück. Jeder hielt David für einen Arsch, oder wie?!
Ich wünschte mir, ein Vampir zu sein! Dann könnte ich jetzt vor Wut Gläser zersplittern oder ein Loch in die Wand schlagen, ohne mich zu verletzen!
Langsam ging ich weiter in Richtung des Biologiesaales. Auf Bio hatte ich jetzt allerdings auch keine Lust, immerhin musste ich da neben Graf Dracula persönlich sitzen! Da ich jetzt allerdings nicht mehr mit ihm redete, würde sich das ganze wohl sogar angenehm gestalten...
Das Klassenzimmer war sogar schon aufgesperrt, als ich herein kam, weshalb ich mich einfach schweigend auf meinen Platz setzte und mich im noch leeren Klassenzimmer umblickte.
Nach einer Zeit wurde mir so langweilig, dass ich meinen iPod aus der Tasche holte und mir „Sour Cherry“ von The Kills lautstark anhörte. Während ich mit der einen Hand meine Utensilien aus der Tasche kramte, trommelte ich mit der anderen im Takt der Musik auf die Tischplatte.
Wieder begann ich, auf meinen Block zu kritzeln. Es wurde eine süße Maus. Als ich allerdings mit ihr fertig war, malte ich noch eine Katze dazu, von der diese Maus nun gejagt wurde. Selbst in meinen Bildern fand man nur noch Gewalt!
»Wow. Wir haben eine Künstlerin unter uns!«, hörte ich eine mir viel zu bekannte Stimme neben mir, die den iPod gerade noch übertönte.
Als Dracula sich neben mich setzte, zog er mir den Block unter der Nase weg.
»Das Bild passt zu dir... Immerhin bist du ja ein kleines Mäuschen.«
Das sagte er mit einem dermaßen großen Grinsen, dass ich dachte, er habe den Streit von vorher schon vergessen. Und – Hey! Sah ich aus wie ein Mäuschen?!
»Zumindest bin ich ja wohl die Katze... Weil sie die Maus gerne fressen würde!«
Ich sah ihn verdutzt an. Er grinste.
»Ich bin nur neugierig... Wie dein Blut schmeckt!«
Lestat war anscheinend ansteckend! Ich hätte zwar viele Ideen für gemeine Antworten gehabt, aber ich wollte mein Schweigegelübde nicht brechen... Deshalb blickte ich nur stur nach vorne.
»Was denn?«, fragte Dracula amüsiert, »Ignorierst du mich wieder?«
Ich tat so, als hätte ich seine Frage überhaupt nicht wahrgenommen.
»Jamie!«
Immer noch keine Reaktion meinerseits. Er begann, sich darüber aufzuregen. Gut so!
»Was hab ich jetzt wieder angestellt?!«, fragte er, gefolgt von seinem typischen Stöhnen. Er würde mich nicht dazu bringen, mit ihm zu reden, egal, was er tat!
Plötzlich beugte er sich ganz nah zu mir, sodass ich seinen Atem schon am Hals spüren konnte.
»Wenn du nicht mit mir redest, werde ich dich hier, vor allen, küssen! Und zwar sofort!«
Ich riss den Kopf nach oben. Das würde er nicht tun! Das würde nicht einmal ER sich trauen! Er schien zu wissen, dass ich so dachte.
»Willst du es herausfordern?!«
Böse presste ich die Lippen aufeinander. Das war eine echte Zwickmühle! Ich musste mich wohl für das kleinere Übel entscheiden..
»Wieso erpresst du mich?«, fragte ich so böse, wie es nur ging. Er grinste mich nur fies an.
»Ist doch viel lustiger, wenn du mit mir redest!«
Was für ein toller Grund! In Wirklichkeit lag es bestimmt daran, dass auch er eine sadistische Veranlagung hatte!
Böse guckte ich wieder nach vorne an die Tafel. Er konnte mich mal! Wenn er mich küssen würde, würde ich ihn ganz einfach kastrieren!
Ich sog scharf die Luft ein, als Dracula plötzlich meine Hand in die seine nahm. Was sollte das denn jetzt?! Langsam führte er meine Hand zu seinem Gesicht...
»Yven...!«, zischte ich und versuchte, meine Hand wegzuziehen, doch gegen Dracula konnte man nicht ankommen, das wusste ich ja schon.
Jetzt hielt er sich meine Hand unter die Nase... Und roch daran! Oh Gott, war das krank! Was tat er denn da?!
Jetzt ließ er meine Hand dreckig grinsend wieder los.
»Du riechst gut...«, meinte er amüsiert. Ich rollte mit den Augen.
»Meinst du mich oder mein Blut?«, fragte ich und musterte meine Hand angewidert... Bestimmt roch sie jetzt nach Yven!
»Dein Blut natürlich! Wusstest du, das du Blutgruppe Null hast?«
Nein, wusste ich nicht! Aber das musste er ja nicht wissen!
»Natürlich! Ich habe es nur nicht gesagt, weil ich sonst zu Alex’ Blutbar geworden wäre!«
Es war wirklich interessant, anscheinend konnte er meine Blutgruppe RIECHEN, wenn er nur nah genug an mich ran kam! Diese Situationen würde ich aber sowieso vermeiden!
»Yven.«
Er sah mich aufmerksam an.
»Hm?«, machte er, und begann schon wieder, zu grinsen. War das vielleicht ein Reflex?!
»Du hast Recht, wir sollten wirklich reden«, sagte ich so ruhig wie möglich.
Triumphierend strahlte er mich an. Wahrscheinlich freute er sich nun wahnsinnig darüber, dass ich ihm einmal Recht gegeben hatte!
»Und worüber möchtest du reden, Mäuschen?«
Mäuschen?! DAS hatte er jetzt nicht gesagt! Ich durchbohrte ihn mit fiesen Blicken, bevor ich ihm antwortete.
»Über das kleine „Ereignis“ bei euch zu Hause... Erinnerst du dich noch? „Bring mir den Brief vorbei, so schnell es geht“«
Ich hatte versucht, Frankensteins tiefe Stimme so gut wie nur möglich nachzuahmen.
Und plötzlich verschwand Draculas Grinsen wieder! Stattdessen kam ein typisches Schnaufen von ihm. Hatte er wirklich gedacht, ich hätte die Sache schon wieder vergessen?!
»Du lässt nicht locker, oder?«
Ich schüttelte ernst den Kopf. Je mehr er versuchte, mich von diesem Thema abzubringen, desto interessierter wurde ich daran.
»Ich gebe dir nur einen Hinweis«, sagte er ernst und sah mir tief in die Augen, was bei mir sofort Herzrasen verursachte. Ich nickte aber dennoch eifrig.
»Der Brief, von um den es sich handelt... Kommt aus Frankreich.«
Frankreich?! Was konnte so wichtig und dennoch so weit entfernt sein?!
»Was stand darin?«, fragte mich, und beugte mich ohne es zu bemerken, noch weiter zu Dracula. Dieser beugte sich ebenfalls noch weiter vor, als habe er brisante Details für mich... Musste er es so spannend machen?
»Weißt du nicht mehr, was ich gesagt habe?«
Ich überlegte. Was konnte er bloß meinen?! Schließlich musste ich den Kopf schütteln. Ich hatte keine Ahnung, was er meinte.
»Ich habe gesagt...«
Eine dramatische Pause entstand...
»...dass ich dir nur EINEN Hinweis gebe!«
Und auf diese Information hatte ich jetzt so gespannt gewartet! Das war echt gemein!
»Ich bin kein Sherlock Holmes, also kann ich damit nichts anfangen...«, murmelte ich missmutig.
»Das ist nicht mein Problem, oder?«, grinste er und stützte sich das Kinn auf der Hand ab. War ja eigentlich klar gewesen, dass er so eine Antwort geben würde...
»Sag mir wenigstens noch, wer den Brief verfasst hat!«, bettelte ich und versuchte, zu ignorieren, dass... Dracula schnaubte.
»Das würdest du mir sowieso nicht glauben«, sagte er, und ich glaubte, einen beinahe schon verbitterten Tonfall in seiner Stimme zu vernehmen.
Wenn er sich jetzt gleich von der beleidigten Seite zeigen musste, war das Gespräch für mich nun beendet! Wenn er seine Drohung wahrmachen würde, würde ich ihn eigenhändig exekutieren!
Als es endlich zum Ende der Stunde läutete, machte ich keinerlei Anstalten, mich zu beeilen, da ich die nächste Stunde ja sowieso mit Dracula hätte...
Ich hatte wirklich nicht schlecht geschaut, als ich bemerkt hatte, dass ich Religion mit Dracula hatte. Wirklich ungewöhnlich, Vampire mit der Kirche zu assoziieren...
Das hieß für mich wohl leider auch, dass ich ihn nicht mit Weihwasser oder Exorzismen vertreiben könnte...
Das hieß für mich wohl leider auch, dass ich ihn nicht mit Weihwasser oder Kreuzen vertreiben könnte...
Von meinem Platz aus konnte ich sehen, dass Dracula eine SMS versendete, anstatt im Unterricht aufzupassen.
Ich saß direkt hinter ihm, weshalb ich versuchte, mitzulesen, was er da schrieb.
Als ich es erkennen konnte, wäre mein Herz beinahe stehen geblieben.
»Notfalls müssen wir ihn umbringen.«
Was sollte das heißen? Und wen wollten sie umbringen? Tausende Fragen schossen durch meinen Kopf. Irgendetwas verheimlichte er doch vor mir!
Ich beugte mich etwas vor, um die Nachricht lesen zu können, die er kurze Zeit darauf empfing.
»Aber weshalb? Du hast doch genau das erreicht, was du wolltest. Sie sind zornig.«
Jetzt verstand ich gar nichts mehr! Was wollte Yven erreichen, und weshalb machte es jemanden zornig? Immer mehr Fragen, und keine einzige Antwort...
Plötzlich drehte Dracula sich um und sah mich so wütend an, wie ich ihn noch nie zuvor erlebt hatte. Ein eiskalter Schauer lief mir über den Rücken, als sein Blick mich zu durchbohren schien.
»Ich dachte, es gehöre zur Privatsphäre, dass man keine SMS von anderen liest!«
Ich schluckte einmal heftig. Seine Stimme hatte einen so unheimlichen Unterton, dass ich befürchtete, er würde mich jeden Moment umbringen.
»T... Tut mir leid!«
Yven zeigte nicht eine Gefühlsregung.
»Wie viel hast du gelesen?«, fragte er ernst und verkrampfte die Hand, die auf der Stuhllehne lag, so sehr, dass ich glaubte, ein leises Knacksen zu vernehmen.
»Ich...«
Zu der Tatsache, dass Yven mich mörderisch anstarrte, kam auch noch dazu, dass mit die Situation extrem peinlich war.
»Jamie!«, knurrte er und ich zuckte zusammen. Das Knacksen, das von der Stuhllehne ausging, wurde lauter.
»Du hast geschrieben, dass jemand umgebracht wird!«, platzte ich heraus.
Ich konnte sehen, wie Yven die Kiefer aufeinander presste und irgendetwas drängte mich beinahe dazu, sein Gesicht in die Hände zu nehmen und ihn zu beruhigen. Damit das allerdings nicht passierte, ballte ich die Hände zu Fäusten und verbarg sie unter dem Tisch.
»Erzähl mir doch einfach alles«, wisperte ich.
»Das geht nicht«, antwortete er frostig und drehte sich wieder um.
Seufzend widmete ich mich dem Unterricht. Im Moment konnte ich auch nichts machen, wenn Yven mich so abwehrte.
Schnell übertrug ich die Tafelanschrift in mein Heft, als es läutete. Bei dem ganzen Stress eben hatte ich das komplett vergessen.
Yven klemmte sich sein Buch unter den Arm und stürmte aus dem Raum.
Anscheinend war er wirklich ziemlich sauer auf mich...
Diesmal war ich diejenige, die nicht lockerlassen wollte.
»Yven!«, rief ich laut und lief ihm so schnell wie möglich hinterher.
Ich war mir sicher, dass er mich verstanden hatte, und dennoch lief er weiter. Meine Rufe stießen wohl auf taube Ohren.
Während Yven nach rechts abbog, stürmte ich durch den Hintereingang der Schule, der zu meiner Rechten lag und an den Sporttrakt angrenzte. So könnte ich ihn noch aufschnappen, da die Straße, die er entlang musste, ebenfalls auf der rechten Seite lag.
Irgendwie überkam mich die Wut, als mir klar wurde, dass mein ganzer Alltag auf Yven abgestimmt war. Er entschied alles, traf mich, wann er wollte, ging, wann er wollte, während ich keine andere Wahl hatte, als dies über mich ergehen zu lassen.
Die schwüle Luft ließ mich noch ein bisschen schwerer atmen, als ich es unter diesen Umständen sowieso schon tat. Schnell lief ich den Weg entlang und links um die Ecke. Auf diesem Weg müsste jeden Augenblick Yven auftauchen.
Er kam, die Augen ab und zu zusammengekniffen, als würde er krampfhaft überlegen.
Ich musste wie ein aufgebrachter Stier beim Stierkampf wirken, als ich auf ihn zu lief. Dracula war der Matador.
Als er mich erblickte, machte er sofort kehrt und eilte davon. Da hier noch einige Schüler und Schülerinnen (die ihn natürlich nicht aus den Augen ließen) waren, konnte er auch nicht seine volle Geschwindigkeit ausschöpfen. So war es diesmal wirklich ein faires „Rennen“.
»Bleib stehen!«, schrie ich, die verwunderten Blicke meiner Mitschüler ignorierend.
Doch – wer hätte das gedacht – Dracula dachte nicht im Traum daran, auf mich zu hören, und drosselte sein Tempo nicht im Geringsten.
Schnell bückte ich mich nach einem Tannenzapfen, der neben dem Weg im Gras lag und schleuderte ihn in Richtung Yven.
Volltreffer!
Ich traf ihm am Hinterkopf, und einen kurzen Moment verlangsamte er, sodass sein Vorsprung sich weiter verringerte.
Inzwischen beobachteten uns so gut wie alle Schüler, die draußen standen. Sie fanden es teilweise erschreckend und teilweise amüsierend, dass ich jemanden mit Tannenzapfen bombardierte. Zum Glück kannte ich keinen dieser Schüler!
Weshalb lief Yven jetzt vor mir weg? Ich wollte reden, und er machte einen auf „The Fast and the Furious“!
Schon während ich ihm hinterherlief, wurde mir klar, dass er schneller sein würde. Deshalb überlegte ich im Laufen, was ich sonst tun könnte.
Und da kam mir auch schon eine Idee! In letzter Zeit mangelte es mir wirklich nicht an Ideenreichtum!
Yven mochte es also, sich in fremde Zimmer zu schleichen... Wie hieß es so schön? „Wie du mir, so ich dir“.
Kapitel 10
Wie bereitet man sich am besten auf einen nächtlichen Einbruch bei irgendwelchen Menschen vor? Ganz klar: Schwarze Kleidung, Werkzeug und eine Waffe.
Und wie bereitet man sich am besten auf einen nächtlichen Einbruch bei Vampiren vor?
Das war schon etwas komplizierter! Ich arbeitete eine Liste in meinem Kopf ab.
Erstens: Vampire konnten Menschen durch ihr Blut riechen.
Zweitens: Vampire hatten ein verdammt gutes Gehör.
Drittens: Sie waren viel schneller als ich.
Viertens: Sie sperrten das Haus nicht ab, zerfleischten Einbrecher allerdings.
Fünftens: Vampire konnten sich lautlos bewegen, sodass ich sie nicht bemerken würde.
Mein Fazit: Fünf zu Null für die Vampire.
Deshalb hatte ich mir auch eine ausgefeilte Taktik überlegt: Reinstürmen!
Ich hatte mir die Autoschlüssel vom Haken in der Garderobe geschnappt und hielt nun zehn Meter vor der Vampir-Villa.
Den Weg bis zur Eingangstür bestritt ich langsam, da hier draußen keine Beleuchtung eingeschaltet war und ich nicht ins Blumenbeet tappen wollte. Sobald ich jedoch die kalte Türklinke in meinen Händen spürte, ging es los.
Ich riss die Tür auf und ließ den Eingangsbereich hinter mir.
Gerade, als ich die erste Treppenstufe hinaufsteigen wollte, hörte ich hinter mir ein Schnappen und ein Knurren.
»Scheiße, der Hund!«, rief ich leise und zog reflexartig den Kopf ein.
Ich überlegte gehetzt, ob ich mich dem Hund widmen oder einfach nach oben stürmen sollte.
»Braves Hündchen«, flüsterte ich und hob beschwichtigend die Hände in die Höhe, während ich versuchte, vorsichtig rückwärts die Treppe hinaufzusteigen.
Der Dobermann beäugte mich wachsam. Irgendwie sah er nicht so aus, als würde er mir etwas tun, doch mit Hunden hatte ich schon genügend schlechte Erfahrungen gemacht...
Ich seufzte erleichtert, als ich den Parkettboden unter den Füßen spürte. Das Haus war wirklich unheimlich, wenn man wusste, dass hinter jeder der Türen im Gang ein gemeiner Vampir wartete!
Als ich mich umdrehte, knallte ich gegen etwas. Als ich den Stoff und das regelmäßige Auf- und Absinken spürte, wurde mir klar, dass ich wieder einmal gegen eine steinharte Brust geknallt war. Nicht schon wieder!
»Jamie?«, fragte Lestat mich, halb überrascht, halb amüsiert.
»Äh...«, machte ich nur.
Jetzt musste mir schnell etwas einfallen, bevor die anderen wach wurden!
»Ich schlafwandle! Schlafwandler sollte man nicht wecken!«
Alex schnaubte belustigt.
»Netter Versuch!«
Ich versuchte, mich einfach an ihm vorbeizudrängeln, doch seine Arme versperrten mir den Weg.
»Wohin des Weges, wenn ich fragen darf?«, meinte Lestat.
Sein Grinsen wuchs von Sekunde zu Sekunde.
»Ich will zu Yven!«
Alex begann, dreckig zu grinsen und lachte leise.
»Nicht dafür!«, zischte ich und boxte ihn in die Brust.
»Was willst du von ihm?«, fragte Lestat neugierig und verschränkte die Arme.
Ich seufzte genervt.
»Ich will mit ihm reden! Was soll dieses Verhör?!«
»Weiß einer von den anderen beiden, dass du hierher kommen wolltest?«
Ich schüttelte genervt den Kopf. Wenn er nicht gleich aufhören würde, würde ich ihn aus dem Weg prügeln!
»Wenn das so ist...«, meinte er verstohlen grinsend, »Könnten wir einen Deal machen!«
»Und was für ein Deal soll das bitteschön sein?«, fragte ich mit gehobener Augenbraue.
Alex’ Grinsen hätte mir eigentlich Antwort genug sein müssen.
»Ich verteidige dich vor den anderen und sage, ich habe dir erlaubt zu kommen.«
Misstrauisch runzelte ich die Stirn.
»Und was verlangst du im Gegenzug?«
»Ach, weißt du... Mein Null Negativ ist verbraucht und...«
Das durfte doch nicht wahr sein! Ich unterbrach ihn aufgeregt.
»Auf gar keinen Fall!«
»Bitte«, meinte er und mimte den Hundewelpen. Als er die Finger zur Bitte verschränkte, nutzte ich meine Chance und schob mich an ihm vorbei.
Schnell hatte Lestat versucht, mich einzuholen, bevor ich Yvens Tür erreicht hätte. Er war echt verrückt!
Doch ich war schneller und riss Yvens Tür auf.
Dieser hatte soeben noch im Bett gelegen und geschlafen. Nun riss er ruckartig den Kopf hoch.
Selbst in dieser Situation – ich war sauer auf Yven und Alex – konnte ich mir ein Grinsen einfach nicht verkneifen. Yven sah einfach zu süß aus, das schwarze Haar so zerzaust, dass es an einigen Stellen abstand. Wieder einmal sah er aus wie ein kleiner Junge.
»Was machst du denn hier? Schäferstündchen mit Alex?
»Fresse«, murmelte ich böse und presste die Lippen aufeinander.
»Weshalb bist du dann hergekommen?«
Ich warf Alex einen verstohlenen Blick zu.
»Es war nicht geplant, dass außer dir noch jemand aufwacht«, zischte ich.
Yven rappelte sich auf und fuhr sich durch das Haar, um es wenigstens ein bisschen in Form zu bringen.
»Also wolltest du nur zu mir ...?«
Ich rollte mit den Augen.
»Ja.«
Alex und Yven begannen zu grinsen. Ersterem verpasste ich dafür einen Klaps auf den Hinterkopf.
»Nicht deswegen! Ich will dir in den Hintern treten, Yven!«
Yven setzte eine Unschuldsmiene auf. Er tat gerade so, als hätte er die Vorkommnisse in der Schule ganz und gar vergessen.
»Was habe ich dir denn getan?«
»Du nervst mich, wenn ich dich nicht brauche, und haust ab, wenn ich mit dir reden will!«, motzte ich und machte zwei Schritte auf ihn zu.
Auf dem Gang ertönten Schritte. Anscheinend war auch Nosferatu nun wach geworden.
»Was ist denn hier los?!«, grummelte er mit seiner tiefen Stimme verschlafen. Als er mich sah, hob er eine Augenbraue.
»Hab ich was verpasst?«, fragte er.
Ich stöhnte. Ich wollte mit Yven reden. Und zwar ALLEINE!
»Nein, hast du nicht«, seufzte ich, »Aber das hier war die letzte Möglichkeit, die mir in den Sinn kam, mit Yven zu sprechen, ohne, dass er mich abwimmeln kann.«
Die drei Vampire warfen sich vielsagende Blicke – die ich natürlich nicht verstand, weil ich nicht Gedankenlesen konnte – zu.
»Wie lange willst du davor weglaufen, es ihr zu sagen, Yven?«, meinte Bryle und ließ sich auf dem Bürostuhl sinken.
»Wie wäre es mit... „Bis morgen Früh“?! Ich will schlafen!«
Alex stöhnte aufgebracht.
»Wen willst du für dumm verkaufen? Vampire benötigen keinen Schlaf, es ist nur Zeitvertreib! Also, hör auf mit dem Mist!«
Ich wurde immer angespannter, je mehr sie sagten. Irgendetwas war hier verdammt faul.
»Aber Jamie braucht ihren Schlaf ...!«
Ich schüttelte heftig den Kopf und eilte noch ein paar Schritte zu ihm, um ihm seine Decke zu entreißen und ihn so zu zwingen, endlich aufzugeben.
»Hey!«, rief er.
»Langsam habe ich keine Lust mehr! ...«, rief ich, wurde jedoch von Yven unterbrochen.
»Und genau das ist auch gut so! Du solltest überhaupt nichts von uns wissen!«
Ich ballte meine Hände zu Fäusten, damit ich mich nicht auf ihn stürzte und sein Gesicht so zerkratzte, dass es nicht einmal seine „Vampir-Kräfte“ wieder heilen könnten.
»DU hast mir doch von euch erzählt, alles, ja, wirklich ALLES, daran gesetzt, dass ich dir glaube! Und jetzt sagst du so etwas!? Ich will jetzt sofort wissen, was hier los ist!«
Ich merkte, dass meine Stimme langsam schon begann, sich zu überschlagen. Irgendwann würden diese Typen mich so weit bekommen, dass ich reif für die Anstalt war.
Yvens Miene wurde noch einen Deut düsterer.
»Vielleicht wird es wirklich Zeit, dir von allem erzählen. Aber behaupte später nicht, ich hätte dich nicht gewarnt. Behaupte nicht, ich hätte damit dein Leben zerstört, oder so.«
Ich blickte ihn unverwandt an.
»Erzähl es ruhig. Du hast mein Leben sowieso schon zerstört«, sagte ich frostig.
Yven warf Lestat und Nosferatu wieder bedeutungsschwangere Blicke zu. Alex und ich quetschten uns gemeinsam in einen Korbsessel, der in der Ecke stand.
»Ich habe einen riesengroßen Fehler begangen.«
Seufzend legte Alex mir eine Hand auf die Schulter. Es wirkte beinahe so, als glaubte er, ich bräuchte Beistand für das, was nun auf mich zukommen würde...
»Ich hätte dir nie erzählen dürfen, dass wir Vampire sind. Diese Schuld nehme ich voll und ganz auf mich«, sagte Yven. Das spärliche Mondlicht, das durch das Fenster schien, ließ ihn noch ernster wirken, als er im Moment sowieso schon war.
»Sicher kannst du dir denken, dass es Leute... Oder besser gesagt, Vampire, gibt, denen es nicht gefällt, dass Sterbliche ihr Geheimnis kennen und somit ausplaudern könnten.«
Eine Pause entstand. Yven schien die nächsten Worte mit größter Sorgfalt wählen zu wollen.
»Jeder Mensch, der das Geheimnis bisher kannte, wurde zur Sicherheit umgebracht.«
Ich spürte, wie mein Herz einige Zentimeter tiefer rutschte. In meiner Brust schien das Blut zu gefrieren, sobald ich seine Worte verstanden hatte.
Ohne es zu merken, krallte ich meine rechte Hand in den Korbsessel und die Linke in Alex’ Oberschenkel. Dieser ließ sich keinerlei Schmerz anmerken, obwohl ich mir sicher war, dass mein Griff in dieser Situation beinahe so fest war wie der eines Vampirs.
»Anscheinend haben sie Antoine aus Frankreich hierher geholt. Er soll dich...«
Ich wusste nicht, wer Antoine war, konnte mir das Wesentliche jedoch schon denken: Er war ein Vampir.
»...Ermorden?«, setzte ich seinen Satz trotz meines inzwischen trockenen Halses, fort.
Jedes Wort fühlte sich an wie ein Nadelstich. In meinem Hals, aber auch im Brustbereich unmittelbar über meinem Herz.
Yven presste die Lippen aufeinander und nickte kurz angebunden.
Als mindestens eine Minute – die längste meines Lebens – verstrichen war, ohne, dass jemand ein Wort sagte, meldete sich plötzlich Bryle zu Wort. Seine Stimme durchschnitt die nächtliche Stille wie berstendes Glas.
»Das ist noch nicht das Schlimmste.«
Ich spürte jetzt schon Tränen in den Augen. In solch riesige Schwierigkeiten hatte mich Yven also gebracht. Innerlich wünschte ich mir nichts sehnlicher, als ihm eine runterzuhauen, doch körperlich war ich dazu einfach nicht imstande. Wie ein Souffle war ich ineinandergesackt und war froh, dass Alex seine Hand immer noch nicht von meiner Schulter nahm.
Ich wollte jedoch nicht weinen! Nicht vor diesen Typen!
Sonst hätten sie gewonnen. Es war immer schon eine Art unfreiwilliger Wettbewerb gewesen, wer von uns die Probleme, die der andere machte, als Erster nicht mehr ertragen konnte und klein bei gab.
»Was ist das Schlimmste?«, fragte ich und war auf alles gefasst.
Nur nicht auf die folgenden Worte.
»David hat dich an die anderen Vampire verraten«, presste Yven hervor.
Ich war so schockiert über diese Aussage, dass ich nicht einmal bemerkte, dass Yven diesmal nicht den Spitznamen „Football“ benutzt hatte.
»Was?«, fragte ich heiser nach.
Yven presste die Augen fest aufeinander und legte sich eine Hand auf die Stirn.
»Ich will dich nicht verletzen, Jamie.«
Ich schüttelte beinahe unmerklich den Kopf.
»Wieso solltest du mich verletzen?«, flüsterte ich ungläubig.
»Nicht körperlich, sondern seelisch! Ich will dir nichts erzählen, das du nicht auch ertragen kannst.«
»Yven«, sagte ich mit brüchiger Stimme.
Er blickte auf. Es war das erste Mal in dieser Nacht, dass er mich direkt ansah.
»Ich bin die Geheimnisse leid«, meinte ich.
Alex neben mir zuckte unauffällig unter meinen Fingernägeln zusammen, die sich immer weiter und fester in sein Knie bohrten.
»Na gut, irgendwann wurst du es ja sowieso erfahren...«, sagte Yven.
Seine Stimmlage und sein Verhalten verrieten mir, dass ihm dieses Gespräch noch schwerer fiel als mir. Einmal noch seufzte er schwer, bevor er fortfuhr.
»Antoine ist der Beste, wenn es darum geht, Menschen oder Vampire aufzuspüren. Er ist erst hundertvier Jahre alt, doch hat sich sein Sinn, andere aufzuspüren – Bryle hat dir ja schon davon erzählt – unentwegt weiterentwickelt. ... Das Schlimmste ist jedoch, dass die Vampire, die Antoine angeheuert haben, sicherlich nicht alleine agieren, sondern jemanden aus deinem Bekanntenkreis auf ihre Seite gezogen haben.«
Nachdem die anderen beiden mich einige Sekunden lang wortlos angeblickt hatten, verstand ich, dass ich ihnen dazu eine Vermutung abgeben sollte.
»Wer ist es?«, fragte ich dennoch nur trocken.
Wieder entstand diese unangenehme Stille.
»David«, platzte Alex schließlich gepresst heraus.
Nein. Das durfte jetzt nicht wahr sein! Ich schüttelte Alex’ Hand von meiner Schulter ab und erhob mich aufgebracht.
»Ich weiß, dass das hier schwer für dich ist, aber wir werden alles tun,...«, setzte Yven an.
Ich ließ ihn nicht ausreden.
»Für wie bescheuert hältst du mich eigentlich?!«,schrie ich und ging aus Yven zu.
Da dieser Blödmann natürlich eine andere Reaktion erwartet hatte, sah er mich nun nur perplex an.
»Was Alex soeben gesagt hat, ist wahr«, meldete Bryle sich zu Wort.
Ich schüttelte enttäuscht den Kopf. Von den dreien hatte ich nur ihm vertraut und niemals gedacht, dass er versuchen würde, mir so eine Lüge aufzutischen.
»Wieso sagt ihr das immer wieder?«, fragte ich leise, »Weshalb gönnt ihr mir kein glückliches Leben mit dem Jungen, den ich liebe?«
Yven erhob sich nachdenklich von seinem Bett.
»Komm mit.«
»Checkst du es nicht, Yven?! Ich will nicht den Rest meines Lebens nach deiner Pfeife tanzen! Such dir jemand anderen, den du... HEY!«
Yven hatte mich ignoriert und gepackt. Nun warf er mich wieder wie einen Kartoffelsack über die Schulter.
Diesmal wehrte ich mich heftiger, als beim ersten Mal. Immer wieder trat ich mit den Füßen fest auf Draculas Rücken ein.
»Wenn du nicht aufhörst, fessle ich dich!«, warnte er mich. Ich konnte nicht erkennen, ob das Spaß oder gar sein Ernst war. Sicherheitshalber kapitulierte ich.
Er trug mich weiter hinter in den Gang, in einen Raum, den ich zuvor noch nicht gesehen hatte.
Dieser Raum wirkte düster, mal angesehen von der Tatsache, dass es Nacht war und hier kein Licht brannte. Die Wände schienen vertäfelt zu sein, mit einem dunklen Holz, wie ich annahm. Auch der Boden, der sich unter Draculas Schritten wie Teppich anhörte, war dunkel.
»Hinsetzen.«
Mehr sagte Yven nicht, nachdem er einen Lichtschalter betätigt hatte, und deutete auf einen Ledersessel am anderen Ende des Zimmers, vor dem ein Schreibtisch stand.
Murrend folgte ich der Anweisung und blickte Yven abwartend an. Er überlegte einen Moment, bevor er sich umdrehte und die Schublade eines riesigen Schrankes aufzog. Ich hörte das Rascheln von Papier.
Yven drehte sich um, etwas, das ich aus dieser Entfernung noch nicht erkennen konnte, in der Hand haltend.
Schon wieder schnaufte er. Ein Zeichen dafür, dass ihm etwas nicht passte.
»Wieso vertraust du mir nicht?!«, knurrte er und stützte sich mit den Handflächen auf der anderen Seite des Schreibtisches ab, sodass er mir direkt in die Augen blicken konnte.
»Wieso sollte ich?! Ich mag dich ja nicht mal!«, gab ich finster zurück.
Yven lachte voller Spott.
»Aber David liebst du und würdest ihm dein Leben anvertrauen?!«
Ich fühlte mich unter seinen höhnischen Blick beunruhigt. Yven wirkte geradezu, als wolle er mir für eine Antwort, die ihm nicht passte, eine runterhauen. Zum ersten mal empfand ich sogar das tiefe Seegrün seiner Augen beängstigend.
»Ja«, sagte ich mit ungewöhnlich fester Stimme.
»Dann tut es mir leid, dass ich ihn bald umbringen werde«, grollte Yven laut. Ich fuhr in den Sitz zurück.
»WAS?! Das... das würdest du nicht tun!«
Erneut stiegen mir Tränen in die Augen und raubten mir die klare Sicht
Grob packte Yven mich am Kinn und zwang mich so, ihn anzusehen.
»Nur bei mir bist du im Moment sicher!«, knurrte er – während er mir fast den Unterkiefer brach, »Während du bei deinem Süßen wärst, bestünde jederzeit die Gefahr, dass er dich einfach umlegen würde.«
Er ließ mein Kinn los. Einige Sekunden lang fühlte es sich noch so an, als würden blaue Flecken bleiben, es kribbelte richtig, als das Blut wieder strömte.
»Jeder hat Mordpotential. Das müsste ein Vampir doch am besten wissen, oder?«, sagte ich, selbst über meinen hochnäsigen Ton überrascht.
»Nicht jeder schöpft sein Potential aus«, lächelte Yven sarkastisch.
Mit diesen Worten knallte er das etwas, das er in den Händen gehalten hatte, auf den Tisch. Auf den ersten Blick erkannte ich nur, dass es sich um Fotos handelte. Dann schnappte ich scharf nach Luft.
»Woher hast du die?!«, schrie ich beinahe hysterisch und starrte die Fotos an.
Was darauf zu sehen war, konnte und wollte ich einfach nicht glauben.
Auf dem Bild war es Nacht, nur eine Straßenlampe erhellte einen kleinen Abschnitt des Fotos. In der Mitte waren zwei Gestalten zu erkennen, einer von beiden hielt etwas Rotes in der Hand. Der andere war eindeutig zu erkennen. Diese Statur und die dunkelblonden Haare konnten nur zu einem gehören. Ich zog das nächste Foto hervor, und mein fürchterlicher Verdacht bestätigte sich.
»D... Das ist nicht wahr! Nein!«, schrie ich und zerriss das unscharfe Foto, das ich zuerst angesehen hatte, voller Zorn und Trauer.
Ich war mir aber auch sicher, dass noch Kopien des Bildes bestanden.
Wieder und wieder betrachtete ich das zweite Foto in meiner zitternden Hand.
Darauf waren die Gesichter der beiden Personen deutlich erkennbar. Links stand David, was ja noch nichts bedeuten musste. Doch rechts...
»Ein Vampir«, stellte ich im Flüsterton fest.
Der Vampir sah anders als die aus, die ich bisher kennen gelernt hatte. Er hatte schulterlanges, schwarzes Haar und aschfahle Haut, der Blick seiner hellgrauen Augen wirkte bedrohlich und stechend.
Dennoch blickte David auf dem Foto unbeeindruckt, als sei ein solches Treffen Gewohnheit.
Schnell krallte ich mir das nächste Foto.
Ich schrie leise auf. Der Schreck schnürte mir den hals beinahe komplett zu.
»Ist David ein...«, fragte ich nach Luft schnappend.
»Vampir? Nein.«
Yvens Blick veränderte sich, wurde weicher. Er sah mich mitleidig an, als wolle er noch etwas dazu sagen.
»...Er ist wirklich kein Vampir«, sagte er wieder, » ... Noch nicht. Das, was der Typ in der Hand hält, ist ein Beutel voll mit Blut. Und zwar Vampirblut!«
Ich blickte Yven fragend an.
»Wofür braucht David Vampirblut!?«
Einen Moment schien Yven abzuwägen, ob er mir darauf eine Antwort geben wollte.
»Wenn man in einen Vampir verwandelt wird, ist Voraussetzung, dass man mindestens einen halben Liter Vampirblut intus hat«, sagte Yven und konnte sich nicht einmal jetzt ein Grinsen verkneifen.
»Musstest du das auch machen?«, fragte ich nasenrümpfend.
Er sagte: »Ja. Aber die Überraschung ist, dass es schmeckt, wie z7um Beispiel den Göttern Ambrosia schmeckt.«
Wenn er mich jetzt auch noch von den mythischen Gottheiten überzeugen wollte, dann...!
Yven schien meine Gedanken gut einschätzen zu können, denn er rollte mit den Augen.
»Das war nur ein Beispiel. Wollte damit nur sagen, dass Vampirblut klasse schmeckt.«
»Zurück zum Thema!«, drängelte ich.
Das hier war immerhin sehr wichtig! Es ging um mein Leben!
»Tut mir leid... was ich sagen will, ist, dass diese Vampire einen Handel mit David abgeschlossen haben. David will dich sozusagen gegen ein ewiges Leben umtauschen.«
Mir klappte der Unterkiefer herunter.
»Glaubst du mir nun endlich?«, fragte Yven. Es kam mir fast so vor, als wäre es für ihn das Wichtigste der Welt, dass ich ihm wenigstens ein bisschen Vertrauen schenkte.
»Ja. Alles, bis auf das mit den Göttern.«
Kapitel 11: Antoine
Alex sah aus, als sendete er gerade ein Stoßgebet in Richtung Himmel.
Da ihn hier niemand kannte, fiel es am Wenigsten auf, wenn ich mit ihm herum hing. Wenn ich hingegen mit Yven oder Bryle – er hatte die Frauen von Balestone Village auch schon für sich gewonnen – ernteten wir so gut wie die Aufmerksamkeit eines jeden.
Deshalb musste ich mit Alex Vorlieb nehmen – oder besser gesagt, er mit mir. Er schien sichtlich genervt, aber das war mir egal.
»Kannst du ihm nicht einfach eine SMS schreiben?!«, quengelte er, während ich mir vor dem Spiegel die Haare kämmte, die wie jeden Morgen aussahen, als währe ein Tornado darüber gebraust.
»Spinnst du? Man macht mit niemandem per SMS Schluss!«, sagte ich böse.
Er begann, dreckig zu grinsen. Ich rollte mit den Augen. Das Grinsen sollte wohl bedeuten, dass Alex das schon öfters getan hatte – und wohl auch damit davongekommen war. Hätte er so mit mir Schluss gemacht – was niemals passieren würde, weil ich niemals mit ihm zusammen sein würde – hätte ich ihm bei der nächsten Begegnung vier Zähne ausgeschlagen, vorzugsweise die Schneidezähne.
»Dort hinzugehen, ist sehr gefährlich«, mahnte Lestat mich.
»Du bist ja mein Beschützer!«, grinste ich zurück.
Er kräuselte die Lippen.
»Vielleicht... Gegen ein gewisses Entgelt sicher.«
Ich rollte übertrieben mit den Augen und legte die Haarbürste weg.
»Was willst du? Sex oder mein Blut?«
Er lachte böse, während er die Handtücher im Regal glatt streifte. Perfektionist.
»Beides auf einmal wäre nicht schlecht!«
Als er nun auch noch den Staub von einer Ablage wischte und seine Finger überprüfte, musste ich grinsen.
»Kann ich dir einen Tipp geben?«
Er blickte auf und nickte neugierig.
»Wenn du mal wieder eine Frau bei dir hast, sag, bevor ihr miteinander schlaft ja nicht »Baby, falte deine Klamotten noch schnell und leg sie auf den Stuhl da hinten.«!
Er kniff die Augen beleidigt zusammen.
»Ich bin soweit, lass uns gehen«, meinte ich dann unschuldig.
Gemeinsam verließen wir das Haus der Jungs und stiegen in Alex’ „bescheidenen“ Wagen, einen Lamborghini – natürlich war er schwarz lackiert.
Er hielt direkt vor Davids Haus.
Das war meine Bedingung gewesen – wenn ich schon mit David Schluss machen sollte, dann wenigstens in einem direkten Gespräch.
Ich stieg aus dem wagen, Alex lehnte sich wartend in den Sitz zurück.
»Wie pubertierende Teenager«, hörte ich ihn noch leise murmeln, ehe ich die Tür zuschlug.
Sicherlich bereitete er sich schon darauf vor, dass er von seinem bequemen Sitz aus ein stundenlanges Gespräch über Gefühle mit ansehen – und hören, blöde Vampire! – müsste.
Doch darauf hatte auch ich keine Lust.
Ich läutete an der Haustür, David öffnete. Er setzte ein strahlendes Lächeln auf, sobald er mich sah. Heuchler.
»Jamie, was...«
Ich ließ ihn nicht einmal ausreden. Als ich ihn nun gesehen hatte, wurde ich wütend – und zwar richtig.
»Es ist aus, David.«
Er sah mich verwirrt an und wusste nicht so recht, was er antworten sollte.
Mir war klar, dass das daran lag, dass er sich nun eine neue Taktik überlegen musste, um mich diesen kranken Vampiren auszuliefern.
»Warum?«, fragte er mit gerunzelter Stirn, sichtlich schockiert.
Mist... Darüber hatte ich noch nicht nachgedacht! Ich konnte doch nicht sagen »Weil ich nicht will, dass du durch meinen Tod unsterblich wirst!« oder so, immerhin hatte Yven mir tausend mal gesagt, ich sollte mir nicht anmerken lassen, dass ich bescheid wusste.
»Na ja...«, stammelte ich.
Die Tür des Lamborghini wurde geöffnet und wieder zugeworfen, nachdem Lestat ausgestiegen war.
»Jamie, Süße!«, rief er und stieg dir Treppen zur Haustür, also zu mir und David, hinauf. Dort angekommen legte er mir einen Arm um die Taille.
»Kannst du sich ein wenig beeilen? Ich habe einen Tisch für uns reserviert.«
Dann küsste er mich auf die Wange – ohne David aus den Augen zu verlieren. Dieser stierte ebenso konzentriert zurück. Anscheinend wusste David, dass Lestat ein Vampir war und auch, dass ich es wusste.
»Deshalb verlässt du mich? Wegen einem anderen Typen?«
Ich hoffte, dass Alex jetzt keine blöde Aktion startete. Doch, weil er mich ärgern wollte und meine Gedanken gelesen hatte, tat er ebendies.
»Sie steht eben nicht auf Waschlappen wie dich!«
Im nächsten Moment wanderte seine Hand von meiner Taille zu meinem Hintern. Das würde er später bereuen!
»Ich wusste gar nicht, dass du dich gerne vor anderen Leuten befummeln lässt, Jamie«, sagte David düster.
Punkt für ihn, eine echt peinliche Situation.
»Aber«, fuhr er fort, »Man soll ja auf alles vorbereitet sein!«
Alles passierte nun so schnell, dass ich den spitzen Gegenstand, den David in der hand hielt, erst realisierte, als er bereits auf Alex heruntersauste.
Ich schrie auf, als ich ein widerliches Geräusch hörte, das jedem Menschen automatisch Gänsehaut verursachte.
David hatte von oben einen Holzpflock in Alex’ Brust gerammt, just neben dem Herzen.
Alex röchelte und fiel auf die Knie. Anscheinend konnte er den Pflock nicht entfernen, und verheilen wollte die Wunde auch nicht.
Ich wollte ihm helfen, notfalls sogar den Pflock herausziehen, doch als ich mich nach Alex bücken wollte, wurde ich von hinten an den Haaren gepackt. Mein Mund wurde so fest zugehalten, dass ich David nicht einmal beißen konnte. So zog er mich rückwärts ins Haus hinein.
»Gut gemacht.«
Eine Person löste sich aus dem Schatten hinter der Haustür. Sie hatte einen leichten französischen Akzent.
Ich sah ihr Gesicht nicht, da sie durch die Tür den auf dem Boden liegenden Alex betrachtete, doch die Stimme und die Statur wiesen eindeutig auf einen Mann hin. Einen großen, verdammt stark wirkenden Mann.
Dieser packte Alex nun ohne große Vorsicht unter den Armen und schleifte ihn nach drinnen.
Dann schloss er die Tür und drehte sich um.
Der Anblick war einschüchternd und verwirrend. Ein Vampir stand vor mir. Und er hatte eine Narbe. Ziemlich paradox, da die Wunden von Vampiren ja eigentlich binnen Sekunden vollständig verheilten, ohne jegliche Spuren zu hinterlassen. Ich konnte nicht aufhören, die dünne Narbe anzustarren. Sie zog sich schräg über die linke Augenbraue zum Wangenknochen des Mannes.
Außerdem hatte er platinblondes Haar und hellgraue Augen, so hell, wie der morgendliche Himmel.
»Sie ist tatsächlich die richtige. Sie weiß es«, sagte er. Seine Stimme war rau und tief.
Ich wusste sofort, was er meinte. Durch meine Gedanken hatte ich mich verraten. Verraten, dass ich über die Vampire bescheid wusste.
Da ich noch immer von David an den Haaren gehalten wurde und so eine ungerade, schmerzhafte Haltung hatte, musste der Typ, der bis auf seine Narbe eigentlich genau so gut
aussah wie alle anderen Vampire, sich bücken, um mir direkt ins Gesicht sehen zu können.
Er roch gut, wie ich feststellte, jedoch hatte Alex das auch getan, als er mir vorher einen Kuss gegeben hatte.
Alex... war er jetzt tot? Wahrscheinlich... Wuttränen stiegen mir in die Augen.
»Dummes Ding«, sagte der unbekannte Vampir enttäuscht, »Du weißt ja doch weniger, als ich dachte... Da du sowieso bald sterben wirst, verrate ich dir einmal ein paar Sachen.«
Mein Herz hatte innegehalten, als er das Wort „sterben“ benutzt hatte.
Mit einem Kopfnicken wies der Vampir David an, mich loszulassen. Wegzulaufen würde ich nun wirklich nicht versuchen, ich war ja nicht lebensmüde.
Als David der stillen Anweisung folgte, blieb nur noch das Brennen unter der Kopfhaut.
Der Vampir tippte auf seine Narbe.
»Das hier schafft nicht jede Waffe. Töten kann man Vampire auch nicht mit jeder Waffe. Dein Freundchen ist nicht tot, sondern bewusstlos, der Pflock war immerhin nur aus Holz. Wir werden ihn später erledigen. Was die Narbe angeht... Will man einen Vampir verletzen, so braucht man ein Messer aus Silber. Damit muss man dem Vampir die Kehle aufschneiden, an anderen Stellen verheilt die Wunde auch, nur langsamer. Meine Narbe sollte heute Abend verschwunden sein.«
Es war wirklich schwer, dem Gesagten zu folgen. So viele Bedingungen waren also daran geknüpft, einen Vampir töten zu können? Wirklich stressig.
»Nun ja, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit, heute stehen noch drei Vampire auf dem Plan, die ausradiert werden müssen...«, sagte der Vampir mit französischem Akzent und richtete sich auf.
In dem Moment wusste ich endlich, wer vor mir stand.
Antoine.
Ich wusste nicht, woran es lag, doch sobald mir das klar wurde, wuchs meine Angst stetig an.
»Eilt mein Ruf mir voraus?«, fragte Antoine boshaft lächelnd, »Dann müsstest du ja auch wissen, dass ich meine Aufträge schnell hinter mich bringe... Also... Ich bin gespannt, wie du schmeckst.«
Wie oft ich diesen Satz jetzt schon gehört hatte...
Reflexartig wich ich einen Schritt zurück und stolperte so in David hinein, als Antoine seine Fangzähne herausgleiten ließ.
»Ich liebe dich so sehr, Jamie, dass ich dich vielleicht sogar vermissen werde«, flüsterte David mir von hinten sarkastisch ins Ohr und packte mich an den Oberarmen.
»Du musst... nein, du KANNST sie nicht festhalten, David«, sagte Antoine entschlossen, »Ansonsten gehst du vielleicht mit drauf.«
David schien zu verstehen, was Antoine meinte und verschwand sogleich ins Wohnzimmer, wobei er die Tür hinter sich schloss.
»Jetzt zu dir, Schätzchen«, sagte Antoine.
Täuschte ich mich, oder entdeckte ich sogar Gier in seinen Augen?
Alex fiel mir erst wieder ein, als er stöhnte und sich beinahe unmerklich regte.
»Bevor du mich tötest, möchte ich etwas wissen«, sagte ich leise zu Antoine.
Seine Fangzähne fuhren zurück und er rollte mit den Augen.
»Dann frag doch einfach!«
»Warum tötest du mutwillig Menschen und Vampire?«
Er seufzte.
»Ich habe diesen besonders ausgeprägten Spürsinn und brauche Geld. Außerdem macht es mir Spaß«, meinte er schulterzuckend.
Ich schauderte über so viel Gleichgültigkeit und Respektlosigkeit gegenüber anderen Lebewesen.
»Sonst noch was?«
Ich nickte.
»Weshalb bringst du mich um? Es gäbe eine viel einfachere Lösung, man könnte mich doch einfach verwandeln!«
Zwar wollte ich das nicht einmal, aber der Gedanke ließ mich nicht los. Antoine lächelte böse.
»Glaub mir, umbringen geht schneller... Und qualloser.«
Ich nickte.
»Ich habe noch eine Frage.«
»Das ist jetzt aber die letzte!«, sagte er und hörte sich dabei beinahe wie meine Mutter an – bis auf den Akzent eben.
»Woran liegt es, dass manche Vampire keine Gedanken lesen können?«
Er sah mich fragend an.
»Von solchen Vampiren weiß ich nichts. So, und jetzt zum ernsten Teil, bevor mir die drei Vampire davonlaufen.«
Als er dabei Alex ansah, verstand ich.
»Nein!«, rief ich, »Sie haben nichts getan!«
Antoine sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren.
»Dieser Yven Utteridge... Der hat dir aus heiterem Himmel verraten, dass er ein Vampir ist, sein Bruder Bryle, der hat es dir offensichtlich bestätigt. Und dieser hier, Alex Harlock, den mag ich einfach nicht!«
Ich riss die Augen auf. Das war ein Grund, Leute umzubringen?!
Antoine trat Alex in die Seite, dieser stöhnte schmerzerfüllt auf.
Wenn ich mich beeilte, könnte ich Alex vielleicht den Pfahl aus dem Herz ziehen, und er könnte mich beschützen... Immerhin heilten nur durch Silber bescherte Wunden langsamer...
»Keine Chance, Mäuschen. Sobald du dich bückst, breche ich dir das Genick.
Ein grausamer Gedanke, beinahe von Selbst brannte sich ein knackendes Geräusch in meine Gedanken.
Gehetzt blickte ich mich im Raum um. Mir kam eine Idee, die ziemlich aussichtslos schien, meinen Tod vielleicht jedoch noch etwas herauszögerte. Ich musste nur schnell handeln!
Ich griff die Glasvase neben mir und warf sie neben mir an die Wand – im Vasen zertrümmern hatte ich ja Erfahrung. Dann ging ich schnell in die Knie und krallte mir den größten Glassplitter – da stand Antoine auch schon neben mir und zog mich an den Haaren hoch. Ich schrie auf.
Er sah mich mit geblähten Nasenflügeln an und packte mit seiner Hand die meine, die den Glassplitter umklammert hielt. Dann drückte er zu. Die scharfen Kanten des Splitters zerschunden meine Handfläche, Blut tropfte auf den Boden. Ich stöhnte auf, ließ den Splitter jedoch nicht los. Antoine drückte noch fester zu und schien meine Schmerzenslaute zu genießen. Sie zeigten ihm, wie schwach ich im Gegensatz zu ihm war.
Unerwartet wurde Antoine am Knöchel gepackt.
Alex hatte seine Augen spaltbreit geöffnet. Sein Griff war nicht fest, lenkte Antoine jedoch kurz ab. Lang genug für mich, um ihm die Spitze des Splitters in den Oberschenkel zu rammen. Sein Kopf fuhr wieder zu mir herum, und diesmal war er es, der vor Schmerzen aufschrie.
Ich nutzte die Gelegenheit und riss die Wohnzimmertür auf – sehr dumm, wie sich herausstellte. Hätte ich doch Alex geholfen... Doch nun starrte ich David an, und er überrascht zurück. Er kam schnell auf mich zu, um mich zu packen. Doch als er vor mir stand, verpasste ich ihm eine Ohrfeige – mit der verletzten Hand, wie ich leider erst bemerkte, als der Schmerz meine hand schon durchzuckte. An Davids Wange klebte Blut. Das brachte mich auf eine Idee. Ich hatte einen Trick von Crab gelernt, mit dem man Leute – Menschen zumindest – für eine kurze Zeitspanne ausschalten konnte. Ich griff mir Davids Arm. Ehe er sich versah, sank er auch schon zu Boden.
»Nun zu meiner Idee«, sagte ich wie als Selbstmotivation zu mir selbst.
Ich verschmierte das Blut, das aus meiner Hand quoll auf der Treppe, der weißen Couch und dem flauschigen Teppich unter dem Esstisch – Antoine könnte meine Spur dann nicht so schnell wieder aufnehmen. Als nächstes riss ich – diesmal mit der unversehrten Hand – die Tür zum Garten auf. Ich lief zum Zaun und kletterte darüber.
»Mist!«, fluchte ich, als ich mir die Hose aufriss.
Wenigstens war ich auf der anderen Seite. Leider bemerkte ich nun, dass nicht nur die Hose, sondern auch das Bein nicht heil davongekommen war – ein einziger Bluttropfen lief aus einer kleinen Wunden und tränkte meine Hose.
Während ich lief, achtete ich darauf, dass ich keine Blutspur hinterließ. Ich wusste, in welcher Richtung das Haus der Jungs ungefähr lag und rannte, so schnell es mit der Wunde am Bein, die tiefer war, als sie aussah, gestattet war.
Jemand packte mich von hinten und hob mich. Ich schrie, weil ich dachte, es sei Antoine und zappelte herum.
»Du dummes Gör! Hör auf, so zu strampeln !«, motze jemand – glücklicherweise jemand ohne französischen Akzent.
»Frankenstein«, sagte ich verblüfft.
Er stöhnte, ihn schien das Geschehen nicht im Geringsten zu beeindruckend.
»Mein Name ist übrigens Will!«
Er blieb kurz stehen und nahm mich Huckepack. Auch, wenn ich ihn nicht mochte, leistete ich keinen Wiederstand, weil mir das lieber war, als mit meinen Wunden selbst zu laufen.
»Du blutest«, stellte er fest, ohne eine der beiden Wunden entdeckt zu haben, »Das ist nicht gut.«
»Wieso?«, fragte ich.
»...«
Das war eine Gute Antwort, immerhin war die Frage bescheuert gewesen: „Weshalb war es nicht gut, zu bluten?“
»Antoine wird dich nicht finden, solange er dein Blut nicht probiert hat.«
Ich sog scharf die Luft ein.
»Der Glassplitter!«
Daran klebte immer noch mein Blut. Ich hatte wohl eine Pechsträhne...
»Glassplitter?«, hakte Will nach.
Als Antwort hielt ich ihm meine Hand vor die Nase.
»Hab verstanden, nimm das Ding da weg!«
Er redete über meine Hand, als sei sie ein totes Tier, jedoch wusste ich, dass es zu meiner eigenen Sicherheit war. Wenn Vampire zu viel Blut rochen...
»Greif in meine vordere Hosentasche«, befahl Will mir.
»In die andere!«, sagte er gerade noch, bevor ich mit meiner verwundeten Hand sinnlos seine Jeans beschmiert hätte.
Ich griff als mit Links hinein und zog ein Handy hervor. Will blieb kurz stehen und ließ mich wieder herunter. Schweigend nahm er mir das Handy ab und wählte eine Nummer.
»Bryle«, sagte er, als er meinen fragenden Blick bemerkte.
»Ich bin’s. Antoine hat ihr Blut. ... Ja, Bring sie mit. ... Ja, natürlich die mit den Silberkugeln, Idiot! ... Aha. ... Wir sind hier in der Fletcher Street.«
Schon klappte er das Handy zu und schaffte es so, mich einmal mehr von seiner Unhöflichkeit zu überzeugen.
»Bin gleich wieder da«, meinte er hastig und eilte davon.
„Bleib da“, wollte ich am liebsten sagen, „Lass mich nicht alleine!“, doch ich riss mich zusammen.
Unsicher blickte ich mich um, ich hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Zu allem Überfluss begann es auch noch, zu regnen. Keiner war auf den Straßen unterwegs, was sehr merkwürdig war.
Als ich mich umdrehte, entdeckte ich plötzlich Antoine am anderen Ende der Straße stehen. Sein Gesicht war vor Wut verzerrt, ich war mich sicher, dass es daran lag, dass er es als Niederlage empfand, von einem Menschenmädchen ausgetrickst geworden zu sein.
Dafür war sein Tatendrang nun umso größer, wie es aussah.
Mit seiner Vampirgeschwindigkeit eilte er nun auf mich zu. So schnell musste ein Gepard sein...
»Sieh an, sieh an...«, sagte er mit zornerfüllter Stimme und musterte mich abschätzend.
»Ich hätte dir sofort die Beine brechen, oder den Hals aufbeißen sollen, als ich die Gelegenheit hatte... Aber jetzt denke ich, dass es dir anscheinend Spaß macht, dich nach und nach selbst zu verstümmeln.«
Ich funkelte ihn böse an.
Er lächelte gemein und griff meinen linken Arm. Ehe ich hätte nach Will schreien können, biss er in die Innenseite des Unterarms.
Ich stöhnte erneut vor Schmerz auf. Antoine ließ sofort wieder von mir ab. Es schien ihm zu gefallen, mir viele Wunden zuzufügen. Ihm war es sogar egal, dass wir mitten auf der Straße standen, uns jeder hätte beobachten können. Ich presste die ohnehin schon blutige rechte Hand auf die Bisswunde, um die Blutung zu stoppen.
Doch Antoine ergriff die Hand – er hatte absichtlich die verwundete gewählt – und zog mich hinter sich her. Da er viel zu schnell lief, dauerte es nicht lange, bis ich strauchelte und auf die Knie fiel. Jetzt waren die auch aufgeschrammt. Zwar bluteten sie nicht, jedoch brannten sie unangenehm. Hilfesuchend blickte ich mich nach Will um, doch von ihm fehlte immer noch jede Spur.
Ich kniff die Augen wegen des Schmerzes fest zu. Meine Hand wurde wieder absichtlich gequetscht, und auch, wenn mir diesmal kein Glas die Hand zerschnitt, war es quälend, wie grob Antoine war. Ich mocgte gar nicht daran denken, wie viele Narben mir vom heutigen Tag blieben...
Das Schlimmste war, dass ich langsam müde wurde... Zu müde, um mich zu wehren, wenn es wieder gefährlich wurde.
Antoine schleppte mich in den Wald, der nordöstlich an Balestone Village grenzte.
Ich musste schon bald aufpassen, dass ich nicht über die Wurzeln stolperte.
Plötzlich hielt Antoine und schubste mich so kräftig von sich, dass ich mit voller Wucht und dumpfem Geräusch gegen den Stamm einer riesigen Kiefer prallte.
Nun schmerzte auch meine Schläfe. Als ich mit den Fingerspitzen an die stechend schmerzende Stelle fasste, bemerkte ich, dass ich nun auch am Kopf eine große Wunde hatte, knapp neben der Stelle, an der ich letztens die Verletzung durch Alex davongetragen hatte.
»Hm, bei so viel Blut bekomme ich Durst«, lächelte er und machte einen Schritt auf mich zu.
Ich unterdrückte den völlig unsinnigen drang, ihm meine Blutige Hand einfach ins Gesicht zu klatschen.
Er kam auf mich zu und stützte seine Arme links und rechts von mir so an der Kiefer ab, dass es für mich keinen Fluchtweg mehr gab.
Langsam kam sein Gesicht dem meinen näher.
Ich zuckte zusammen, als seine Lippen mein Kinn berührten und von dort aus tiefer zu meinem Hals glitten. Mein Herz raste, Antoine spüre das sicherlich und weidete sich daran. Er lachte leise, schien meinen Tod noch etwas herauszögern zu wollen. Es schien ihn zufrieden zu stellen, dass er mich endlich unter Kontrolle hatte.
»Fast schon schade um ein so hübsches Ding wie dich...«, murmelte er und entfernte sein Gesicht wieder einige Zentimeter, um mich betrachten zu können. Der bedrohliche wirkende Blick seiner kalten Augen jagte mir Schauer über den Rücken.
»Vielleicht verwandle ich dich ja doch, dann könnten wir ein wenig Spaß zusammen haben...«, sagte er.
Ich ließ ihn durch einen angewiderten Blick verstehen, dass ich darauf niemals eingehen würde. Er lachte darüber nur heiter.
Obwohl ich den Kopf zur Seite wandte, strich er mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und fuhr mit den Fingerspitzen über meine Wange.
Ich schüttelte den Kopf, um Antoine dazu zu bringen, die Hand zurückzuziehen.
Doch stattdessen legte er seine Hand nun auf meine Stirn und presste meinen Kopf dadurch an den Baumstamm. Am Hinterkopf spürte ich die Unebenheiten der Rinde.
»Der Glassplitter hat ganz schön weh getan«, sagte Antoine.
»Das weiß ich selbst«, feuerte ich zurück und hob meine Hand, deren Blutung inzwischen nicht mehr ganz so schlimm war.
»Touché.«
»Der Biss war auch nicht so angenehm«, zischte ich.
Antoine lachte in sich hinein, als hätte ich etwas vollkommen Unsinniges gesagt.
»Der sollte auch nicht angenehm sein.«
Ich wusste, dass ich noch eine Chance auf Rettung hatte, wenn ich meinen Tod noch etwas herauszögerte. Mir bleib nur eine unangenehme Möglichkeit...
»Weshalb genießt du dein Leben nicht einfach, sondern reist um die ganze Welt um andere zu ermorden? Es gibt sicher einfachere Wege, an Geld zu kommen.«
Antoine rollte erneut mit den Augen.
»Das habe ich doch schon erklärt... Mein Beruf macht mir Spaß.«
Jetzt oder nie, dachte ich verbittert und ballte die heile Hand zu einer Faust.
»Es gibt auch andere Wege, Spaß zu haben«, meinte ich und versuchte mich an einem Lächeln, das ich sonst nur von Dracula kannte.
Antoine schien sogar darauf anzuspringen.
»Was schwebt dir denn da so vor?«, grinste er.
Ich unterdrückte die Lust, ihm eine zu verpassen, da ich wusste, dass es mir nichts nützen würde und Antoine wütend ziemlich brutal war.
»Tja... Wenn du mich so hübsch findest...«, meinte ich und hoffte, er hatte den gepressten Unterton nicht bemerkt.
Wenn ich ganz ehrlich war, musste ich sogar zugeben, dass es mir nicht schwer fiel, Antoine zu bezirzen, da er nicht gerade hässlich war – nein, sogar verdammt attraktiv.
Antoine lächelte kurz zufrieden und kam mit seinem Gesicht erneut näher, nur diesmal beugte er sich nicht vor, sodass seine Lippen nun meine Stirn berührten. Ich konnte seinen Duft noch besser wahrnehmen, er war nahezu betörend. Jedoch lag es bestimmt daran, dass diejenigen, die sagten, die Sinneswahrnehmungen verschärften sich kurz vor dem Tod, Recht hatten.
Antoines Lippen fuhren zu meiner blutigen Schläfe, ich spürte, wie das Blut sich nach unten verteilte, als er sich meinem Wangenknochen näherte.
Ich hoffte inbrünstig, dass Will, Bryle und Yven sich beeilten. Zum ersten Mal merkte ich, was für einen Nachteil Yven hatte und war nicht amüsiert, sondern traurig über seine fehlenden Fähigkeiten.
Der Regen wurde wieder schwächer. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit, bis ich ein lautes Knacken hörte. Irgendjemand hatte einen Ast aus einem Baum gebrochen. Noch ein Knacken.
Antoine blickte sich um. Ich nahm meinen Mut zusammen und fasste ihn sanft am Kinn, woraufhin er sich wieder mir zuwandte.
Für den Besten in diesem „Geschäft“ war er wirklich töricht. Er ging auf mich ein, als ahnte er nicht einmal ein bisschen, dass es nur ein Ablenkungsmanöver war.
Das dachte ich zumindest.
»Für wie bescheuert hältst du mich eigentlich?«, knurrte er und packte mich am Hals.
Ich schnappte, bekam aber keine Luft. In meinem Magen breitete sich ein flaues Gefühl aus, meine Gliedmaßen wurden tauber, je länger er meinen Hals packte. Ich legte meine Hände auf seine und versuchte erfolglos, sie von meinem Hals loszureißen. Blaue Flecken tanzten vor meinen Augen. Ich versuchte vergeblich, sie durch Blinzeln loszuwerden.
Würde ich jetzt durch Ersticken sterben? Ich rang vergeblich um Luft, meine Lungen brannten, als wären sie mit Sand gefüllt.
Ich verstand, dass ich mich nicht mehr retten konnte und gab mich meinem Tod hin.
Zu sterben war einfach. Einfacher, als zu leben. Die Aussicht, nie wieder Trauer oder Schmerz zu fühlen empfand ich als Erleichterung. Nur noch diese paar schmerzhaften Sekunden... Mein Körper würde bestimmt merken, dass der Atemreflex nicht einsetzen konnte... Einfach...
Ich hatte auch nichts, woran ich mich noch klammern könnte. David hatte mich verraten... Mir tat es einzig für meine Familie leid. Ich wollte nicht, dass sie meinetwegen litten...
Plötzlich wurde der Griff jedoch gelockert. Ich riss die Augen auf. Mein Atemreflex setzte doch ein. Die erste Luft in meinen Lungen brannte noch schlimmer als der Sand, mehr, als befände sich die Sonne in meinen Lungen und versengte sie gerade.
Augenblicklich gaben meine Knie nach und ich sank hustend am Baumstamm zu Boden.
Doch weshalb hatte Antoine überhaupt losgelassen? Wollte er mich nur quälen? Nun denn, es war ihm vollends gelungen. Nun hoffte ich, dass er dem Ganzen wenigstens ein schnelles Ende bereitete.
Doch es war nicht Antoine, der ganz unvermittelt an mir rüttelte. Ich konnte nicht seine platinblonden Haare verschwommen wahrnehmen, sondern braune. Zusammen mit den smaragdgrünen Augen, die es nur einmal auf dieser Welt geben konnte.
»Nosferatu«, krächzte ich und rang mir ein schwaches Lächeln ab.
Bryle wurde zur Seite geschubst. Wieder ein Augenpaar. Seegrün.
Yven zog mich an sich. Unwillkürlich schmiegte ich mich an sich. Ich wollte jetzt nicht allein sein, wollte die Wärme einer anderen Person spüren, wer auch immer sie war.
»Es tut mir leid«, flüsterte Yven immer wieder, »So schrecklich leid...«
Während er mir sanft durch die Haare fuhr, wurden meine Augenlider immer träger. Ich war müde, hatte mich verausgabt und wäre beinahe gestorben.
Unter Yvens leiser, beruhigender Stimme und sanftem Regen schlief ich ein.
Epilog
»Es tut mir so unendlich leid... ««Das werde ich nie wiedergutmachen können!«, sagte Yven beinahe gequält und fuhr vorsichtig über die Bisswunden auf meinem Oberarm.
Mir war egal, ob ich verwundet war.
»Wie geht es Alex?«, fragte ich stattdessen angespannt.
Yven schüttelte den Kopf über meinen Altruismus.
»Er wird wieder. Die Wunde ist schon verheilt, aber träge ist er immer noch... Er muss sich ganz schön beschissen fühlen... von einem Menschen gepfählt zu werden...«
Yven seufzte und ließ sich auf der Couch nieder. Ich hingegen wurde zappelig und lief im Wohnzimmer auf und ab.
»Und...«
Ich wollte es nicht aussprechen. Es war meine Schuld, dass...
»...Bryle? Das kann dauern... Antoine hat ihm das Messer ein mal in die Schulter und einmal direkt neben dem Herz in die Brust gerammt.«
Ich kniff die Augen bei dieser Vorstellung aufeinander. Ich fühlte mich so schuldig...
Nachdem ich in Yvens Armen eingeschlafen war, hatte Bryle Antoine verfolgt. Beinahe hätte er es geschafft, Antoine zu ermorden, doch der hatte ein Silbermesser dabei... Und nun war Bryle meinetwegen schwer verwundet, während Antoine über alle Berge war...
»Ich will die beiden sehen. Und Fran... Will«, sagte ich fest entschlossen.
»Alex und Bryle müssten gleich hier sein... Will ist in Ohio.«
Ich hob eine Augenbraue.
»Ohio?«
Yven lachte.
»Der Kerl hat so seine Geheimnisse und Aufgaben überall auf der Welt...<, sagte Yven geheimnisvoll.
Ich wusste genau, dass er nichts mehr darüber verraten würde, deshalb zuckte ich nur mit den Schultern.
Die Haustür wurde geöffnet. Fast so schnell wie ein Vampir stand ich auch schon im Flur.
Bryle und Alex sahen mich beide überrascht an.
Das war mir aber egal. Ich umarmte erst einmal Alex. Nach einem Zögern erwiderte er die Umarmung verwundert, indem er mir den Arm auf den Rücken legte.
»Tut mir leid«, sagte ich dann.
Alex lächelte mich fies an.
»Wenn dich hier jemand aufessen darf, dann ich!«, lachte er.
Ich rollte mit den Augen und wandte mich Bryle zu. Ohne nachzudenken umarmte ich auch ihn.
»Jamie!«, keuchte er und wich zurück.
Ich bis mir verlegen auf die Unterlippe.
»Tut mir leid, hab ich vergessen«, sagte ich und deutete mit einem Kopfnicken auf den Verband, den er unter dem T-Shirt trug.
Er lächelte.
»Kein Problem.«
Stanntessen stellte ich mich auf Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange. Damit hatte ich alle Vampire durch!
»Ich wünschte, ich wäre auch verwundet«, grinste Alex daraufhin.
Ich streckte ihm die Zunge raus. Hinter mir betrat Yven den Flur.
»Jamie, ich muss dir noch was erzählen«, sagte er und wurde... rot?
Mit gerunzelter Stirn folgte ich ihm nach oben in sein Zimmer.
»Weshalb bedankst du dich nicht bei mir?«, lächelte er dann.
Ich seufzte und umarmte ihn halbherzig. Als ich wieder von ihm ablassen wollte, ließ er nicht los, sondern hob mit seiner Hand mein Kinn an und küsste mich auf meine inzwischen gereinigte Wunde an er Schläfe.
»Antoine wird sich nicht mehr so schnell trauen, jemanden hier anzugreifen.«
Ich blickte auf.
»Warum nicht?«
Wieder ein geheimnisvolles Lächeln.
»Er ist gekränkt darüber, dass du es geschafft hast, ihn hinters Licht zu führen... Jetzt kannst du aber vorerst ein ruhiges Leben führen.«
Ich kräuselte die Lippen. Er hatte „vorerst“ gesagt...
»Nicht, solange ihr in meiner Nähe seid.«
»Stimmt auch wieder...«, grinste Yven.
Eine Pause entstand, sein Grinsen wurde breiter.
»Jetzt, wo du so viel über uns weißt, müssen wir dich leider...«
»Oh, nein!«
»Oh, doch.«
~ Ende ~
Ich hoffe echt, es hat euch gefallen. Ich bin glücklich ud traurig zugleich... Einerseits habe ich zum ersten Mal in meinem Leben eine Geschichte beendet, andererseits ist das Abenteuer mit Jamie und Yven vorerst vorbei...
Dennoch freue ich mich, besonders jetzt, woes nichts neues mehr geben wird, sehr über Kommentare.
Machts gut, ihr verrückten Leser, die sich das hier nun seit einem halben Jahr reinziehen xD
Nici
Tag der Veröffentlichung: 15.05.2010
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