Cover

1.Kapitel

 

 

Draco verließ die Autobahnraststätte in Richtung Auffahrt, als er am Rand jemanden stehen sah. Hätte dieser Jemand nicht ein helles Pappschild mit der Aufschrift „Nach Süden“ hoch gehalten, hätte er ihn nicht gesehen, denn die Nacht war dunkel und regnerisch.

‚Hm, ein bisschen Gesellschaft wäre nicht schlecht’ dachte er und hielt neben der Person an.

„Komm, steig ein, ich fahr genau in Deine Richtung.“ sagte Draco.

Mit einem gemurmelten „Danke“ hob die Person ihren Rucksack vom Boden auf und stieg ein.

„Ähm, tust Du mir einen Gefallen?“ fragte Draco. „Würdest Du bitte Deine nasse Jacke ausziehen? Ich möchte nämlich nicht, dass meine teuren Ledersitze versaut werden.“

„Okay.“ kam es aus dem Dunkel der tief ins Gesicht gezogenen Mütze hervor.

Dracos Beifahrer zog sich die Kapuze vom Kopf und hervor kam – eine weitere tief ins Gesicht gezogene Kapuze, die diesmal zu einem Sweatshirt gehörte, welches ebenfalls schwarz war, so wie der Rest der Kleidung.

Die Jacke wurde über die Rücklehne des Beifahrersitzes gehangen und er schnallte sich an.

„Na, Du willst wohl dem miesen Wetter hier entfliehen?“ fragte Draco grinsend.

„So in etwa.“ kam die knappe Antwort.

‚Sehr gesprächig scheint meine Gesellschaft ja nicht zu sein’ dachte Draco amüsiert.

„Da wir eine Weile gemeinsam unterwegs sind, sollten wir uns wenigstens mit Namen anreden können.“ sagte Draco freundlich. „Also, ich heiße Draco.“

„Leo.“ war die kurze Vorstellung.

‚Auch das noch, ich habe mir einen männlichen Begleiter aufgetan’ dachte Draco. ‚Zum Glück habe ich nicht gesagt, wie weit ich nach Süden fahre, so dass ich ihn jederzeit wieder loswerden kann.’

„Ich muss Dich warnen.“ sagte Leo in seine Gedanken hinein. „Ich habe den schwarzen Gürtel in Karate, also besser nicht anfassen.“

„Das liegt auch nicht in meiner Absicht.“ antwortete Draco. ‚Und selbst wenn, würde Dir Dein schwarzer Gürtel auch nicht viel helfen’ setzte er in Gedanken grinsend hinzu.

„Das hat der Letzte auch gesagt. Und nun sitzt er mit gebrochenen Armen in seinem Truck und wartet auf Hilfe.“

„Was sagen eigentlich Deine Eltern dazu, dass Du so einfach per Anhalter fährst?“ wechselte Draco das Thema.

„Nichts, sie sind nämlich tot.“ antwortete Leo ohne eine Spur von Trauer.

„Oh, entschuldige, das tut mir leid.“ sagte Draco.

„Warum? Du warst doch nicht Schuld an ihrem Tod, das waren sie selber.“ entgegnete Leo.

„Wieso das?“ wollte Draco wissen.

„Na, sie haben sich vor vier Wochen selbst getötet. Und in ihrem Abschiedsbrief haben sie irgendetwas von einer Schuld, die sie auf sich geladen hätten, gefaselt und das sie damit nicht mehr leben könnten.“ Ohne jegliche Emotionen sagte Leo dies.

„Und Deine Verwandten? Was sagen sie dazu? Immerhin bist Du ja noch ziemlich jung“ hakte Draco nach.

„Erstens: ich bin neunzehn und zweitens: ich habe keine Verwandtschaft.“ stellte Leo klar. „Das Einzige, was ich habe, ist ein Vermögensverwalter, der mein Erbe bis zum Abschluss meines Studiums verwalten soll. Aber darauf kann er lange warten.“

Wie um das Gespräch zu beenden, beugte sich Leo zu seinem Rucksack, kramte darin herum und holte sich einen Schokoriegel heraus. Er aß ihn und blickte dabei aus dem Seitenfenster.

Draco verstand den Hinweis und schwieg. Als er nach einer Weile zu Leo hinüber sah, war dieser eingeschlafen. Sein Kopf lehnte an der Seitenscheibe und dabei war seine Kapuze verrutscht, so dass seine Haare zum Vorschein kamen. Sie hatten die Farbe von rotem Sand, so eine Farbe hatte Draco noch nie gesehen. Sie waren halblang und kräuselten sich im Nacken zu kleinen Löckchen.

Mit seiner zierlichen Figur und den Haaren hätte Leo glatt für ein Mädchen durchgehen können, dachte Draco.

Die Autobahn war ziemlich leer und so kamen sie gut voran. Im Morgengrauen erreichten sie die deutsch-französische Grenze und dank der EU wurde Draco nicht kontrolliert.

Als die Sonne aufging, wurde Leo wach.

„Wo sind wir?“ fragte er mit Blick aus dem Fenster.

„In Frankreich.“ antwortete Draco. „Und da Du jetzt wach bist, werden wir gleich anhalten, damit wir wenigstens einen Kaffee trinken können.“

Bei der nächsten Raststätte hielt Draco an. Als Leo ausstieg, dehnte und streckte er sich erst einmal. Draco hingegen sah aus, als wäre er mal gerade eine Stunde unterwegs gewesen.

„Ich glaube, ich geh mir erst mal eine handvoll Wasser ins Gesicht werfen.“ meinte Leo und ging Richtung Waschraum.

„Mach das, ich besorg schon mal das Frühstück.“ erwiderte Draco.

Später, als sie sich am Tisch gegenübersaßen, sagte Leo, der jetzt übrigens die Kapuze nicht mehr ins Gesicht gezogen hatte: „Danke für das Frühstück, aber Du musst für mich nichts bezahlen, ich habe selber Geld dabei.“

„Gut, dann kaufst Du das Mittagessen.“ lachte Draco und fügte ernster hinzu: „Ich denke mal, dass Dein Budget nicht so riesig ist, deshalb spar Du mal Dein Geld. Mir tut so eine Kleinigkeit nicht weh.“

„Immerhin hab ich 2.000 Euro dabei.“ trumpfte Leo auf. „Die hab ich meinem Vermögensverwalter aus der Tasche geleiert, weil ich angeblich nach Hamburg auf die Uni wollte, mich einschreiben. Ich würde jetzt zu gerne sein blödes Gesicht sehen.“ kicherte Leo.

„Du kannst ihn wohl nicht besonders gut leiden?“ stellte Draco fragend fest.

„Jetzt nicht mehr. Früher nannte ich ihn Onkel, aber dann machte er mir ein Angebot nach dem Tod meiner Eltern.“ antwortete Leo.

„Ein unmoralisches?“ wollte Draco wissen.

Leo antwortete nur mit einem Nicken, damit war für ihn das Gespräch beendet.

Nach etwa einer Stunde fuhren sie weiter.

„Wie weit nach Süden willst Du eigentlich?“ fragte Draco, nach dem sie eine Weile schweigend gefahren waren.

„So weit es geht.“ antwortete Leo. „Je weiter, desto besser.“

„Also Südafrika.“ lachte Draco.

„Hm, wäre nicht schlecht, aber soweit fährst Du bestimmt nicht.“ ging Leo auf den Scherz ein.

„Nicht ganz.“ antwortete Draco ernsthaft.

„Schade eigentlich.“ entgegnete Leo schulterzuckend.

Hier in Frankreich schien die Sonne und es wurde ganz schön warm in Dracos Auto, trotz Klimaanlage. Das lag auch zum Teil daran, dass es ein schwarzes Auto, genauer, ein schwarzer Ferrari war, an dem wirklich alles schwarz war, sogar die Scheiben waren dunkel. Draco hatte sich in weiser Voraussicht schon seine schwarze Lederjacke und sein ebenfalls schwarzes Hemd ausgezogen, bevor er eingestiegen war. Nun trug er nur noch ein weißes T-Shirt zur schwarzen Jeans. Er warf einen Blick auf Leo, dem in seinem dicken, schwarzen Sweatshirt doch bestimmt ziemlich warm sein musste.

„Zieh doch den dicken Pulli aus.“ forderte er Leo auf.

„Ne, geht nicht, hab nichts drunter.“ winkte Leo ab.

„Hast Du denn kein T-Shirt in Deinem Rucksack?“ fragte Draco.

„Nein, außer ein paar Schoko-Riegeln und meinem Reisepass ist da nichts drin.“ antwortete Leo.

„Es stört mich aber nicht, wenn Du mit nacktem Oberkörper neben mir sitz.t“ erklärte Draco.

„Dich nicht, aber mich.“ gab Leo unwirsch zurück.

„Okay, dann nicht.“ zuckte Draco mit den Schultern.

Die Autobahn war ganz schön voll und immer wieder gab es Staus, so dass sie nur recht langsam weiterkamen. Man merkte, dass es Urlaubszeit war.

So um die Mittagszeit fragte Draco: „Hast Du großen Hunger?“

Als Leo verneinte, schlug Draco vor, bis zum frühen Abend weiterzufahren und dann irgendwo abseits der Autobahn etwas zu Essen. Leo erklärte sich damit einverstanden.

Gegen Abend erreichten sie Montpellier. Dort verließ Draco die Autobahn und fuhr Richtung Meer. Sie fuhren etwa eine Stunde über Landstraßen, bis sie zu einem kleinen Dorf kamen, das etwas abseits der Straße lag. Es lag ziemlich versteckt. Zielsicher fuhr Draco auf einen kleinen Parkplatz und dort parkte er.

Draco forderte Leo zum Aussteigen auf, zog sich seine Jacke an und verschloss das Auto. Dann bedeutete er Leo, ihm zu folgen. Sie betraten ein kleines Gasthaus, in dem sich keine Gäste befanden. Die Wirtin, eine kleine, rundliche, freundliche Frau begrüßte sie überschwänglich in Französisch.

Draco antwortete ihr flüssig in ihrer Landessprache. Die Wirtin führte sie zu einem Tisch, der an einem der Fenster stand. Von hier aus hatte man einen herrlichen Blick auf das Mittelmeer, das blau in der Sonne schimmerte.

Gebannt sah Leo hinaus und vergaß die Umwelt. Draco bestellte in der Zeit ein Abendessen bei der Wirtin. Leo war so versunken in den Anblick des Meeres, so dass Draco ihn anstubsen musste, um zu fragen, was er gerne trinken möchte.

„Nur ein Wasser, bitte.“ bestellte Leo und sah wieder hinaus.

Bis das das Essen serviert wurde, schwiegen beide.

„Ich hoffe, Du magst das.“ sagte Draco, als die Wirtin die Platte mit frischen Meeresfrüchten brachte. Dazu gab es frisches, warmes Baguette und Kräuterbutter.

„Hmm, ja, es sieht sehr lecker aus und es riecht auch sehr gut.“ antwortete Leo, dem jetzt erst bewusst wurde, wie hungrig er eigentlich war.

Auch während des Essens warf Leo immer wieder einen sehnsuchtsvollen Blick nach draußen.

Draco, der die Blicke bemerkte, schlug vor: „Wir können nach dem Essen zum Strand hinunter fahren und wenn Du willst, eine Runde schwimmen gehen.“

„Schwimmen?“ fragte Leo. „Aber ich habe doch keine Schwimmsachen dabei.“

„Das macht nichts.“ erwiderte Draco. „Am diesem Teil vom Strand ist nichts los, da können wir auch nackt baden.“

„Nackt?“ Entsetzt sah Leo ihn an. „Nein, niemals.“

Draco sah das Entsetzen und die Angst in Leos Augen.

„War ja nur so eine Idee.“ murmelte er.

„Entschuldige, dass ich so reagiere.“ sagte Leo. „Aber es ist nicht so, dass ich Angst vor Dir hätte, aber ich bin so erzogen worden, dass man sich Fremden nicht nackt zeigt. In dieser Beziehung entstammten meine Eltern dem vorigen Jahrhundert. Immerhin waren sie auch nicht mehr die Jüngsten.“

So viel hatte Leo bisher noch nie an einem Stück gesagt. ‚Ah, er taut langsam auf’ dachte Draco.

„Ich wollte Dir damit auch nicht zu nahe treten.“ erklärte Draco. „Ich dachte halt nur, nach so einer langen Fahrt in der Hitze hätte ein Bad im kühlen Wasser gut getan.“

„Ja, wenn ich so auf das Meer hinaus blicke, hätte ich schon Lust, mich da hinein zu stürzen, aber halt nicht nackt.“ gab Leo zu.

„Waren Deine Eltern streng in ihrer Erziehung? Denn das jemand seine Kinder so prüde erzieht, ist ja heute nicht mehr gang und gäbe.“ wollte Draco wissen.

„Streng? Streng kann ich eigentlich nicht sagen, sie haben mir doch sehr viele Freiheiten gelassen. Nur in Dingen, welche den Körper betrafen, waren sie, wie soll ich sagen, hinterblieben. Da galten für sie immer noch die Ansichten aus dem neunzehnten Jahrhundert. Ich habe sie in den ganzen Jahren nicht einmal nackt gesehen. Naja, immerhin waren sie schon Mitte Sechzig, als sie starben.“

„Na gut, dann lassen wir das mit dem Schwimmen. Aber wir könnten doch ein Stück am Wasser entlaufen. Nach der langen Fahrt wird uns ein bisschen Bewegung bestimmt nicht schaden.“ schlug Draco vor. Damit erklärte sich Leo einverstanden.

Nachdem Draco bezahlt hatte, ohne auf den Protest von Leo einzugehen, verließen sie das Gasthaus und fuhren zum Strand hinunter. Draco hatte Recht, hier war wirklich nichts los, nicht wie in den Badeorten entlang der Küste.

Leo zog sich im Auto die Schuhe aus und krempelte seine Hose bis zu den Knien hoch.

Als Draco einen Blick auf Leos nackten Beine warf, dachte er: ‚Solche Waden hab ich bei einem Mann noch nie gesehen. Sie sind so wohlgeformt wie bei einer Frau.’ Überhaupt hatte Leo eher die Figur eines Mädchens als die eines Jungen.

Langsam gingen sie durch das seichte Wasser, welches sich nun wirklich nicht kühl anfühlte.

„Deine Eltern waren also schon recht alt, als Du zur Welt kamst?“ nahm Draco das Gespräch aus dem Gasthaus wieder auf. Irgendwie hatte er das Gefühl, es würde Leo gut tun, mal über alles zu reden.

„Ja.“ stimmte Leo zu. „Sie waren schon Mitte vierzig, als meine Mutter mit mir schwanger wurde. Zu der Zeit lebten sie noch in Afrika, wo mein Vater irgendwo im Dschungel als Missionsarzt tätig war. Sie glaubten schon nicht mehr daran, noch Eltern zu werden. Die ersten fünf Jahre meines Lebens verbrachte ich in dieser Mission in Afrika, aber ich sollte in Deutschland zur Schule gehen. Ich erinnere mich noch an unsere Abreise, die mehr einer Flucht glich, wie es mir im Nachhinein bewusst wurde. Wir verließen die Mission von einen auf den anderen Tag, mir blieb noch nicht einmal die Zeit, mich von meinen Freunden und von meiner Nanny zu verabschieden. Und als wir nach Deutschland kamen, zogen meine Eltern dann ganz hoch in den Norden in eine kleine Stadt, anstatt in ihre Heimatstadt zurück zu kehren. Und über Afrika wurde ab dem Zeitpunkt kein Wort mehr gesprochen, bis, ja, bis halt zu dem Tag, als sie sich das Leben nahmen.“

Draco hatte aufmerksam zugehört.

„Und jetzt willst Du dorthin zurück? An Deinen Geburtsort?“ fragte er.

„Ja. Ich hab Dir doch was von einem Brief erzählt, den sie vor ihrem Tod geschrieben haben. Naja, da stand halt drin, dass es etwas gäbe, womit sie nicht länger leben könnten. Und ich glaube, dass das etwas mit der Mission zu tun hat. Und außerdem bin ich auf der Suche nach einem guten Freund von mir, der sich da unten mal umsehen wollte.“

„Ein ‚guter’ Freund oder…?“

„Ja, nur ein guter Freund.“ fiel Leo Draco heftig ins Wort.

„Naja, jedenfalls wollte er sich dort umsehen.“ fuhr Leo mit der Erzählung fort. „Er hat sich nur einmal bei mir gemeldet und das war, als er die Mission erreicht hatte, danach habe ich nichts mehr von ihm gehört und erreichen kann ich ihn auch nicht.“

„Und deshalb nimmst Du es auf Dich, ohne Geld und per Anhalter bis Afrika zu kommen? Na, dass muss ja wirklich ein guter Freund sein.“ entgegnete Draco.

„Warum denken alle Leute immer, Freund gleich Sex. Glaubt denn keiner mehr an richtige Freundschaft?“ seufzte Leo genervt. „Ich kenne ihn zwar erst seit einem halben Jahr, aber in dieser Zeit hat sich zwischen uns eine tiefe, ehrliche Freundschaft entwickelt, die absolut nichts Sexuelles an sich hat. Er war der Einzige, der mir nach dem Freitod meiner Eltern beigestanden hat. Er hat mir geholfen, alle ihre Unterlagen durchzusehen. Und er war der Einzige, der mit mir einer Meinung war, dass es da ein Geheimnis geben muss, was entweder mit mir oder der Arbeit meines Vaters in Afrika zu tun hat. Deshalb hat er sich angeboten, der Sache mal auf den Grund zu gehen. Und irgendetwas in mir sagt mir, dass ihm etwas zugestoßen ist.“

‚Afrika’ dachte Draco, ‚welch Zufall. Genau dort vermute ich meinen Bruder.’

„Und wie willst Du nach Afrika kommen?“ fragte er laut.

„Ich werde bis Algeciras oder Tarifa trampen und von dort mit einer Fähre übersetzen.“ erklärte Leo. „Ich hätte zwar auch fliegen können, aber mehr Geld, als ich dabei habe, habe ich nicht. Das heißt, ich hätte es schon, aber ich komme nicht daran.“

Mittlerweile war es dunkel geworden und sie kehrten zu Dracos Auto zurück.

Leo zog sich die Schuhe nicht wieder an, sondern stieg so, mit der hoch gerollten Jeans, ins Auto.

Nachdenklich sah Draco zu Leo hinüber. In ihm war der Beschützerinstinkt erwacht. Eigentlich hatte er vorgehabt, Leo bei nächster Gelegenheit abzusetzen, denn für das, was Draco in dieser Nacht vorhatte, konnte er keine Zeugen gebrauchen. Aber nun brachte er es nicht mehr übers Herz.

Als sie die Autobahn wieder erreicht hatten, war diese leerer als vorher, so kamen sie zügiger voran.

Draco begann eine Melodie zu summen. Als er nach etwa einer halben Stunde zu Leo hinüber sah, war dieser eingeschlafen.

‚Na, also, klappt doch immer wieder’ dachte Draco ironisch. Nach etwa zwei Stunden erreichten sie Toulouse, Leo schlief immer noch. Draco verließ die Autobahn und schlug einen Weg ein, der ihn an der Stadt vorbei in die Berge führte. Dort lag abseits jeglicher Touristenstraßen sein Ziel.

 

 

 

 

2.Kapitel

 

Draco kam an einem Schloss an, welches hell erleuchtet war. Davor war ein Parkplatz, auf dem ziemlich viele Autos standen. Draco parkte im hinteren Teil des Platzes, dort wo es dunkel war. Er sah zu Leo hinüber, der immer noch schlief. Draco berührte Leos Stirn mit seinen Fingern und murmelte etwas in einer seltsamen Sprache. Anschließend zog er sich das weiße T-Shirt aus und zog ein schwarzes Seidenhemd über, welches er bis unter die Brust geöffnet ließ. Er nahm seine schwarze Nappalederjacke vom Rücksitz und stieg aus. Als er die Jacke übergezogen hatte, verschloss er das Auto, murmelte wieder etwas in dieser seltsamen Sprache und ging auf den hellerleuchteten Eingang zu.

Dort standen zwei Männer in mittelalterlichen Dieneruniformen.

„Guten Abend, Monsieur.“ begrüßten sie ihn höflich. „Schön, Sie auch mal wieder hier zu sehen.“

„Guten Abend, Charles, guten Abend, Jacques. Wie geht es Euch?“ fragte Draco freundlich.

„Danke, sehr gut.“ antwortete der mit Charles angesprochene.

Sie öffneten Draco zuvorkommend de Tür.

„Wünschen viel Vergnügen.“ sagte Jacques, als Draco hinein ging.

Er betrat als erstes eine große Halle, die ebenfalls hell erleuchtet war. Rechts und links führten zwei Treppen in die oberen Stockwerke und in der Mitte befand sich eine große Flügeltür. An der linken Seite der Halle stand eine junge Frau hinter einem Tresen und dahinter war die Garderobe. Draco lächelte freundlich in ihre Richtung und die junge Frau nickte grüßend zurück.

Dann ging er zielstrebig auf die Flügeltür zu, die ihm auch von einem Diener geöffnet wurde. Er betrat einen großen Saal, der von hunderten von Kerzen erleuchtet war. In der Mitte des Saales saß in einer Art Thronsessel eine etwa sechzigjährige Frau, auf die Draco jetzt zuging. Sie trug ein durchsichtiges weißes Kleid, welches ihre Brüste freiließ und es hatte einen Schlitz bis zum Bauchnabel. Darunter trug sie nichts. Hinter ihr stand ein junger Mann, etwa im Alter von Leo und massierte ihre Brüste. Rechts und links neben ihren Beinen saßen ebenfalls zwei junge Männer, etwa im gleichen Alter und streichelten ihre Beine. Für die vielen Leute, die sich noch in diesem Saal befanden, hatte Draco im Moment keinen Blick.

„Guten Abend, Madame LeNoire.“ begrüßte Draco die Dame in dem Sessel und küsste ihre Hand.

„Ach, mein junger Freund.“ antwortete die so angesprochene erfreut. „Lasst Ihr Euch auch noch mal blicken. Es ist schon recht lange her, seit wir uns das letzte Mal sahen.“

Bei diesen Worten schaute sie über Dracos Schultern, als ob sie dort noch jemanden zu sehen erwartete.

„Oh, Ihr seid heute allein? Wo ist Euer Bruder?“ fragte Madame LeNoire enttäuscht. Sie benutzte die Art zu reden, die aus dem Mittelalter stammte.

„Ich weiß leider nicht, wo sich mein Bruder zur Zeit befindet.“ bedauerte Draco. „Ich hoffe, ihn bald zu finden.“

„Und ich soll Euch dabei helfen?“ fragte Madame verschmitzt.

„Mit der Hoffnung bin ich her gekommen.“ antwortete Draco lächelnd.

„Ihr habt Glück.“ sagte Madame. „Es wurde uns heute jemand zugeführt, der noch jungfräulich in dieser Sache ist. Ich lasse alles für Euch vorbereiten.“

„Ich danke Euch, Madame.“ erwiderte Draco.

Auf Madame LeNoires Wink hin erschien ein weiterer Diener. Auch er trug eine Uniform, die dem Mittelalter entstammte.

„Jean-Baptiste, seht wer hier ist.“ wandte sich Madame LeNoire an ihn und zeigte auf Draco.

„Guten Abend, junger Herr.“ grüßte Jean-Baptiste mit einer leichten Verbeugung. „Es ist schön, Euch nach so langer Zeit mal wiederzusehen. Ihr seid heute allein?“

„Bin ich. Ich weiß nämlich nicht, wo sich mein Bruder gerade befindet.“ antwortete Draco.

„Ah, ich verstehe. Ich werde alles für Euch vorbereiten lassen und Euch dann Bescheid geben.“ versprach der Diener, verbeugte sich noch mal und verließ den Raum.

„Es ist schön, Euch nach so langer Zeit wiederzusehen.“ begann Madame LeNoire. „Ich denke noch gerne an die Zeit zurück, als Ihr und Euer Bruder zu uns kamt. Noch so jung und unerfahren. Es liegt jetzt wie lange zurück?“

„Fast zweihundert Jahre.“ entgegnete Draco. „Wir waren damals noch Neugeborene. Aber Dank Euch haben wir uns sehr schnell mit unserem neuen Leben als Vampir abgefunden.“

„Oh ja, ich erinnere mich.“ kicherte Madame. „Ich weiß noch, wie heißblütig Ihr damals wart. Unsere Nächte, die wir zu der Zeit noch mit der Jagd verbrachten und unsere Tage, die wir miteinander im Bett verbrachten. Aber heute gibt es ja kaum noch Neugeborene.“ seufzte sie bedauernd. „Seit sich die Kriminologie so sehr verändert hat und man jetzt die geringsten Spuren nachweisen kann, bleibt uns nur noch die freiwillige Blutspende. Aber wie Ihr seht, gibt es noch genügend, die es gerne machen.“ Mit einer ausholenden Handbewegung zeigte Madame auf den Saal.

„Das stimmt. Aber ab und an braucht man halt die Jagd, um das Adrenalin zu bekommen, welches die Opfer ausstoßen.“ gab Draco zu und blickte ebenfalls durch den Raum.

Dort war eine gemischte Anzahl von Vampiren und Menschen, männliche so wie weibliche. Draco wusste, wenn ein Mensch das hier jemals erlebt hatte, wurde er süchtig danach und kam immer wieder hier her.

„Euch bleibt noch genau eine Stunde bis Mitternacht.“ sagte Madame mit Blick auf die Uhr. „Die Zeit ist ein wenig knapp.“

In diesem Moment trat Jean-Baptiste wieder zu ihnen.

„Es ist alles vorbereitet.“ erklärte er mit einer leichten Verbeugung. „Sie befindet sich bereits im Labyrinth.“

„Ich danke Euch.“ erwiderte Draco.

„Dann geht. Ich wünsche Euch viel Vergnügen..“ kicherte Madame und fügte ernst hinzu: „Aber vergesst unsere Regeln nicht.“

„Das werde ich bestimmt nicht.“ versprach Draco, wohlwissend, dass diese Regel besagte, dass kein Mensch getötet werden durfte. Andernfalls verlöre der Vampir, der dafür verantwortlich war, ebenfalls sein Leben.

Draco verließ den Saal, ging durch die Halle und betrat durch eine kleine Nebentür das besagte Labyrinth.

Dort stand, verängstigt und zitternd, ein Mädchen von etwa zwanzig Jahren. Sie trug eine enge, schwarze Hose und ein ebenfalls engsitzendes, pinkfarbenes Topp, unter dem sich ihr nicht gerade kleiner Busen deutlich abzeichnete.

Als Draco auf sie zutrat, schrak sie leicht zusammen.

„Hallo.“ wisperte sie mit dünner Stimme.

„Hallo.“ grüßte Draco zurück und zeigt dabei seine langen Reißzähne. Bei deren Anblick durchfuhr das Mädchen ein heftiger Schreck und sie bewegte sich rückwärts von Draco fort.

„Lauf!“ forderte Draco sie flüsternd auf. Sie ließ sich das nicht zweimal sagen, drehte sich um und rannte davon, nicht ahnend, dass sie sich in einem Labyrinth befand.

‚Hm, ja, gut so’ dachte Draco und atmete tief den Geruch ihres Blutes ein, welches sich nun mit Adrenalin anfüllte. Langsam schlenderte Draco hinter ihr her, immer der Spur des Geruches folgend. Sobald er merkte, dass sie sich in einer Sackgasse befand, sprang er behände über die Hecke und stand dann urplötzlich vor ihr. Und jedes Mal ereilte sie ein neuer Adrenalinstoß.

‚Wenn Leo das sehen könnte, würde er schreiend davon laufen’ schoss es Draco durch den Kopf, als er langsam hinter der Flüchtenden herschlenderte. Wieso er jetzt gerade an Leo dachte, wusste Draco selber nicht.

‚So, nun wird es Zeit, dass wir langsam zum Ende kommen’ dachte Draco mit Blick auf seine Armbanduhr. Es waren nur noch zehn Minuten bis Mitternacht.

Blitzschnell stand er hinter dem Mädchen, welches immer noch verzweifelt versuchte, einen Ausweg zu finden. Durch diese Aktion vervielfältigte sich die Menge des Adrenalins so sehr, dass Draco es kaum noch aushielt. Am liebsten hätte er ihr gleich die Zähne in die Halsschlagader gerammt, aber es war noch etwas zu früh. Für sein Vorhaben musste es genau Mitternacht sein.

Nun führte Draco sie gezielt zum Ende des Labyrinths, das heißt, immer wenn er merkte, das sie einen Weg einschlagen wollte, der in einer Sackgasse endete, war er vor ihr dort und versperrte diesen Weg.

Nach fünf Minuten hatte er sie dann dorthin gebracht, wo er sie haben wollte. Nun konnte er sich Zeit nehmen, denn der Weg endete in einem Gartenhäuschen, aus dem es kein Entkommen mehr gab.

Lächelnd seine Zähne zeigend, mit den Händen lässig in den Hosentaschen, betrat Draco das Haus.

Zitternd stand das Mädchen mit dem Rücken zu dem riesigen Bett, welches dort stand, und sah ihm ängstlich entgegen.

„Bitte, tu mir nichts.“ flehte sie ihn an.

Aber Draco schien es nicht zu hören, er ging weiter auf sie zu. Tief zog er den Duft ein, den sie verströmte. Ihr Blut war nun mit genügend Adrenalin angereichert. Noch ein Schub und ihr Herz würde stehenbleiben.

Draco stand nun ganz dicht vor ihr, ihre Körper berührten sich leicht. Er blickte auf ihre heftig pochende Halsschlagader, legte seine Hände auf ihre Schultern und stieß sie rücklings auf das Bett. Dann kniete er sich über sie. Aber das Mädchen wollte wohl nicht kampflos aufgeben, denn sie begann mit ihren Händen gegen seine Brust zu trommeln. Aber all ihre Gegenwehr nutzte ihr nicht, denn Draco senkte nun langsam seinen Kopf, stieß seine Zähne in ihre Ader und begann langsam zu trinken. Anfangs wehrte sie sich noch vehement dagegen, aber dann wurde ihr Körper weich und nachgiebig.

Als Draco merkte, dass sie sich jetzt dem hingab, hörte er auf, denn es war kaum noch Adrenalin zu schmecken.

Er ließ von ihr ab, blieb aber in kniender Stellung über ihr. Draco schloss seine Augen und konzentrierte alle seine Macht, um Kontakt zu seinem Bruder zu bekommen.

„Geh raus aus meinem Kopf.“ hörte er plötzlich die befehlende Stimme Wanjas, seines Bruders.

„Nein, nicht bevor Du mir sagst, wo Du bis.t“ entgegnete Draco hart.

„Das werde ich nicht.“ kam es mit genau solcher Stimme zurück.

„Dann werde ich es herausfinden.“ drohte Draco.

„Versuchs doch.“ forderte Wanja ihn auf.

Draco verstärkte seine Macht noch mehr, so dass er jetzt durch Wanjas Augen sehen und durch seine Ohren hören konnte. Und was er sah, erschreckte ihn sehr. Wanja schien in einer Art Zelle zu sein, die sich unter der Erde befand. Es war kein Fenster oder ähnliches zu sehen. Nur eine Tür konnte Draco sehen, und diese war vergittert. Die Wände der Zelle waren aus Lehm und es lief Wasser an ihnen hinunter. Außer einer Holzpritsche gab es nichts mehr dort. Und zu hören war auch nichts, was auf den Aufenthaltsort schließen ließ.

„Das ist unfair, Du hast gejagt.“ beschwerte sich Wanja, der sehr wohl merkte, dass Draco nun durch seine Augen sah.

„Und Du hast seit Tagen kein Blut bekommen.“ stellte Draco fest, der die Schwäche seines Bruders spüren konnte. „Also, jetzt sag schon, wo Du bist.“

In einiger Entfernung war das Geräusch einer sich öffnenden Tür zu hören. Also kam jemand zu Wanja.

„Schnell, sag schon.“ drängte Draco, der genau spürte, dass der Besucher seinem Bruder nichts Gutes wollte.

„Afrika.“ kam es leise zurück. Die Verbindung wurde schwächer.

„Wo genau?“

„Dschungel….Ko…“ dann war die Verbindung ganz weg.

„Verdammt“ fluchte Draco laut. Er hatte noch genügend Adrenalin in seinen Adern, also konnte es daran nicht liegen. Es musste was mit Demjenigen zu tun haben, der das Gefängnis seines Bruders betreten hatte.

Draco spürte eine Bewegung unter sich. Wie erwachend sah auf das Mädchen hinunter, deren Arme er immer noch nach oben über ihren Kopf gedrückt hielt.

Sie sah ihn aus ihren blauen Augen immer noch ängstlich an, aber ihr Körper drückte keine Abwehr mehr aus, er fühlte sich weich und warm an. Aus der kleinen Wunde an ihrem Hals floss immer noch ein wenig Blut. Draco nahm nun beide ihrer Handgelenke mit einer Hand, senkte seinen Kopf wieder zu ihrem Hals und begann ganz leicht zu saugen, während er mit seiner nun freien Hand ihren Körper streichelte. Sie begann heftiger zu atmen und versuchte ihre Hände frei zu bekommen, was Draco aber nicht zuließ. Mit seiner freien Hand fuhr er ihr nun unter den Topp und schob es langsam nach oben zu ihrer Brust. Sie trug nichts darunter. Ihre Brust reagierte spontan auf seine Berührung und auch den Rest ihres Körpers zeigte Reaktion. Draco schob ihr Topp nach oben, so dass ihre Brust jetzt frei war. Nun fuhr er langsam mit der Zunge ihren Hals hinab, bis er zu dem empfindlichsten Teil ihrer Brust kam. Das Mädchen atmete immer heftiger und begann leise zu stöhnen. Sie begann sich unter seinen Liebkosungen zu winden. Draco lachte leise, und legte seine Lippen wieder an ihren Hals. Ihr Blut schmeckte nun noch süßer, was durch die Erregung kam. Immer wieder glitt Dracos Hand über ihren nackten Oberkörper und berührte dabei jedes Mal leicht ihre Warzen. Er merkte, wie ihre Erregung stieg, denn nun schob sie ihm ihren Unterleib entgegen. Daraufhin ließ Draco seine Hand über ihre Oberschenkel, die noch in der Hose steckten, gleiten. Das Mädchen begann nun zu keuchen und versuchte verzweifelt ihre Hände frei zu bekommen. Aber Draco hielt sie mit eisernem Griff fest. Er legte sich nun auf der Seite liegend neben sie und begann ihre Hose zu öffnen, was sie mit wilden Bewegungen ihres Unterleibs begleitete. Als er ihre Hose geöffnet hatte, schob er sie nun Stück für Stück von ihren Hüften. Darunter trug sie einen schwarzen Tanga, den Draco unberührt ließ. Immer wieder legte er zwischendurch seine Lippen an ihren Hals und saugte leicht ihr Blut. Er wusste, dass dies und seine Hand ihr Verlangen ins Unermessliche steigern würde. Als er ihre Hose bis zu den Knien hinuntergeschoben hatte, streichelte er sanft über die Innenseiten ihrer Oberschenkel. Sie versuchte ihre Beine zu spreizen, was aber durch den Sitz der Hose verhindert wurde. Ihr Herzschlag wurde schneller, was zur Folge hatte, dass ihr Blut aus der immer noch offenen Wunde an ihrem Hals stoßweise hinaus tropfte, welches Draco ständig mit seiner Zunge aufnahm.

Endlich, nach für das Mädchen einer Ewigkeit erscheinend, erlöste Draco sie und stillte ihr Verlangen. Obwohl Draco nicht minder erregt war, vergaß er doch nicht, dass da ein Mensch unter ihm lag und er hielt sich zurück. Hätte er sich gehen lassen, würde sie es nicht überleben. Aber trotz aller Zurückhaltung hinterließ er Spuren auf ihrem Körper, der nun völlig erschöpft neben ihm lag.

Draco erhob sich, kleidete sich an, griff in seine Tasche und warf ihr lässig ein paar Scheine auf den nackten Bauch.

„Was soll das?“ fragte sie aufgebracht. „Ich bin doch keine Hure!“

„Doch, jetzt schon.“ erwiderte Draco lapidar. „Das, was gerade geschehen ist, wird Dir nicht mehr aus dem Kopf gehen. Du wirst den ganzen Tag danach fiebern, es wieder und wieder zu erleben. Und von nun an wirst Du jeden Abend hierher kommen und Dich schamlos jedem hier anwesenden Vampir anbieten.“

„Das….das glaub ich nicht….das kann nicht sein.“ stotterte sie schockiert.

„Es ist aber so. Denk an meine Worte, wenn es Tag ist und Dein ganzes Denken sich nur noch darum drehen wird.“ sagte Draco kühl. Dann verließ er das Gartenhaus und begab sich in den Saal zurück. Dort ging er gleich zu Madame LeNoire.

„Na, wie ich sehe, hattet Ihr Erfolg.“ sagte sie zu ihm.

„Ja, den hatte ich. Ich konnte kurz eine Verbindung zu meinem Bruder aufbauen, die aber leider durch andere Einflüsse unterbrochen wurde.“ bedankte sich Draco. „Und Ihr hattet recht, das Mädchen war noch jungfräulich und das in jeder Hinsicht.“

„Ich hoffe, Ihr habt ihr nicht allzu sehr weh getan.“ erkundigte sich Madame LeNoire.

„Naja, ein paar Blessuren hat ihr Körper schon davon getragen. Ich habe mein möglichtes getan, um sie nicht zu sehr zu verletzen.“ erwiderte Draco.

„Man wird sich um sie kümmern.“ erklärte Madame und winkte ihren Diener zu sich. Flüsternd gab sie ihm einige Anweisungen und er ging davon, um sie auszuführen.

Dann wandte sie sich wieder Draco zu.

„Ich sehe und fühle, dass Ihr nicht die Befriedigung erhalten habt, die Ihr benötigt. Ich hätte da jemanden, der sie Euch geben kann. Sie ist eine Neugeborene und noch wild in ihrer Lust.“

„Eine Neugeborene? Wie kann das sein? Es wird doch schon seit Jahren niemand mehr verwandelt.“ war Draco erstaunt.

„Naja, es war ein dummer Zufall.“ erwiderte Madame. „Ihr wisst doch, dass jeder menschliche Gast bei Verlassen unseres Hauses einen Abschiedstrunk bekommt. Und das ist, wie Euch bekannt, ein Glas Vampirblut, damit ihre Wunden schneller heilen und ihr Körper schneller regeneriert. Nun ja, auch dieses Mädchen bekam es. Und hatte leider einige Stunden später einen tödlichen Unfall. Und da das Vampirblut ihren Organismus noch nicht verlassen hatte, wurde sie zu einer von uns.“

Auf ihren Wink erschien eine junge Frau, etwa im Alter von neunzehn Jahren. Auch sie trug, wie fast alle Vampirfrauen hier im Raum, ein langes, durchsichtiges, weißes Kleid über ihren nackten Körper. Sie hatte langes, rotes Haar, welches in wilden Locken um ihren Kopf lag. Und wie bei allen Neugeborenen leuchteten ihre Augen hellrot.

„So, und nun viel Spaß Euch beiden.“ wünschte Madame kichernd.

Und den hatte Draco. Es war schon was anderes als mit einem Menschen. Bei ihr brauchte er sich nicht in Zurückhaltung üben.

Als er so gegen vier Uhr morgens in den Saal zurückkam, hatte dieser sich merklich gelehrt. Es befanden sich fast nur noch Vampire in ihm, die meisten Menschen waren gegangen, weil sie tagsüber ihrer Arbeit nachgingen und deshalb noch ein paar Stunden Schlaf benötigten. Die drei jungen Männer bei Madame LeNoire waren noch anwesend und dienten nun abwechselnd als Blutspender.

Die anderen Vampire waren so aufgeheizt durch das Blut, welches sie im Laufe der Nacht getrunken hatten, dass sie es jetzt ungeniert miteinander trieben.

Als Madame LeNoire Draco erblickte, winkte sie ihn zu sich.

„Und, junger Freund, seid Ihr jetzt zufrieden?“

„Oh ja, sehr.“ entgegnete Draco und küsste ihre Hand.

„Ah, ich erinnere mich noch daran, wie Ihr und Euer Bruder als Neugeborene wart.“ schwelgte sie in Erinnerungen und saugte am Hals einer ihrer jungen Galane. „Ich weiß noch genau, wie einer meiner Leute Euch fand und hierher brachte, unwissend, wie Ihr wart. Ihr wart noch so jung und herrlich wild und konntet nie genug bekommen.“

„Ja, und Ihr habt uns alles beigebracht, was wir als junge Vampire wissen mussten.“ erinnerte sich Draco. „Ihr habt uns in der Nacht gezeigt, wie man jagt, ohne erkannt zu werden. Und am Tag habt Ihr uns gezeigt, wie Vampire die körperliche Liebe leben.“

„Aber jetzt genug der Vergangenheit.“ sagte sie. „Erzählt mir lieber, was Ihr in dieser Nacht wegen Eures Bruders erreicht habt.“

„Nun ja, der Körper des Mädchens hat genügend Adrenalin produziert, so dass ich eine Verbindung zu Wanja herstellen konnte. Ich konnte meine Macht sogar so ausweiten, dass ich durch seine Augen sehen und seine Ohren hören konnte. Und was ich sah, erschreckte mich. Man hält ihn in irgendeinem Loch gefangen und lässt ihn dursten. So wie ich fühlen konnte, war er schon sehr schwach. Aber leider konnte er mir nicht mehr genau mitteilen, wo er sich befindet. Ich weiß nur, dass es irgendwo im afrikanischen Dschungel ist.“ berichtete Draco.

„Gerade, als er es mir sagen wollte, betrat jemand den Raum und die Verbindung brach ab.“

„Und nun wollt Ihr Euch auf nach Afrika machen und sämtliche Dschungel durchsuchen?“ fragte Madame LeNoire.

„Ja, das werde ich.“ erklärte Draco bestimmt. „Und ich werde immer wieder versuchen, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Immerhin ist er mein Bruder und braucht meine Hilfe.“

„Und was ist mit Eurer menschlichen Begleitung? Werdet Ihr sie mitnehmen?“

„Ihr wisst davon?“ fragte Draco erstaunt.

„Ja, natürlich. Habt Ihr vergessen, dass ich so etwas wie die Herrscherin der Vampire hier in Frankreich bin? Ich weiß immer, was vorgeht.“ erwiderte Madame.

„Nun ja.“ Erwiderte Draco zögernd. „Auch er will nach Afrika, aber ob ich ihn bis dorthin mitnehme, weiß ich noch nicht. Immerhin hat er keine Ahnung davon, was ich bin. Und so soll es auch bleiben.“

„Eure Begleitung ist ein ‚ER’? Seid Ihr dessen sicher?“ kicherte Madame, die immer, wenn Draco sprach, abwechselnd das Blut der jungen Männer trank.

„Dann habt Ihr also keine persönliche Blutbank dabei?“

„Nein, ich werde niemals das Blut eines Mannes trinken!“ entsetzte sich Draco.

„Nun gut, ich wünsche Euch trotz allem eine erfolgreiche Reise und hoffe, dass Ihr Euren Bruder recht bald findet.“ sagte Madame verabschiedend. „Ich werde mich jetzt zur Ruhe begeben. Kommt mal wieder vorbei und bringt dann Euren Bruder mit.“

Sie scheuchte die jungen Männer fort, die sich nur schweren Herzens von ihr trennen wollten und winkte ihrem Diener.

Beflissen trat Jean-Baptiste zu ihr und half ihr aufzustehen.

„Bring mich in meine Gemächer.“ befahl sie ihm.

So wie jeder hier im Saal, wusste auch Draco, dass Jean-Baptiste nicht nur ihr persönlicher Diener war, sondern das er Madame auch anderweitig zu Diensten stand.

Draco verließ das Schloss und ging zu seinem Ferrari, in dessen Inneren Leo immer noch tief und fest schlief. Draco startete das Auto und fuhr wieder auf die Autobahn. Nach einigen Kilometern steuerte er einen Rastplatz an, stellte beide Sitze in Liegeposition, nahm zwei Decken von der Rückbank, legte eine davon über Leo und deckte sich mit der anderen zu. Dann berührte er wieder Leos Stirn, murmelte ein paar unverständliche Worte, legte sich zurück und schloss die Augen.

 

 

 

 

3.Kapitel

 

 

Bilder der Erinnerung stiegen in ihm auf. Er sah seinen Zwillingsbruder Wanja und sich als kleine Jungs im Schloss seines Vaters. In den ersten sechs Jahren lebten sie wie ganz normale Kinder. Sie spielten und heckten gemeinsam Streiche aus. Er, Draco, war der Ältere, und zwar um ganze fünf Minuten und er sah seinem Vater mit seinen schwarzen Haaren und den azurblauen Augen sehr ähnlich, während Wanja mit seinem kastanienbraunen Haaren und den grünen Augen eher nach der Mutter kam.

An ihrem sechsten Geburtstag änderte sich ihr Leben allerdings drastisch. Während Draco die strenge Erziehung als Schlosserbe zu spüren bekam, wurde Wanja von der Mutter in Schreiben und Lesen unterrichtet.

Die strenge Erziehung Dracos machte ihn kalt und hart. Wanja hingegen war sanft und gutmütig. Obwohl sie so verschieden in ihren Wesen waren, machten sie vieles gemeinsam und stritten sich so gut wie nie.

Als sie einundzwanzig wurden, sollte Draco die Tochter eines Nachbarn heiraten. Die Hochzeit sollte im Mai des Jahres stattfinden. Als sozusagen Junggesellenabschied bekam er eine Reise nach Venedig zum Karneval geschenkt. Auf sein Bitten hin, durfte Wanja ihn begleiten. So reisten sie mit einer gut gefüllten Reisekasse von ihrer Heimat Rumänien ins ferne Venedig. Dort angekommen, stiegen sie in einem der besten Hotels der Stadt ab und stürzten sich gleich ins Vergnügen. Alle Menschen in der Stadt trugen Masken und herrliche Kostüme. Jeder der vielen Ballsäle war frei zugänglich. Er und Wanja suchten einen nach dem anderen auf. Als sie um Mitternacht einen Saal betraten, wurden sie gleich von einer Frau in einem weit ausgeschnittenen, roten Samtkleid begrüßt. Sie reichte ihnen ein Glas roten Wein. Beide stürzten den Inhalt auf einen Zug hinunter. Gleich darauf erschienen zwei andere Frauen und forderten sie auf, mit ihnen zu tanzen, was beide auch gerne annahmen. Immer wieder wurde ihnen etwas zu trinken angeboten. Irgendwann zu fortgeschrittener Stunde meinten die Frauen, ihnen wäre heiß vom ganzen Tanzen und baten Wanja und ihn, sie nach draußen zu begleiten. Sie verließen den Saal durch eine der großen Glasflügeltüren und landeten in einem Garten. Nachdem sie sich aus dem Lichtkreis entfernt hatten, blieben die Frauen stehen, drehten sich zu ihnen um und begannen sie zu küssen. Wanja und er wären keine Männer gewesen, wenn sie dieses Angebot ausgeschlagen hätten. Und der Alkohol tat sein Übriges dazu. Ihre Küsse wurden immer leidenschaftlicher und die Frauen zeigten sich überaus freizügig. Sie knöpften ihnen die Hemden auf und begannen ihre Brust mit Küssen zu bedecken. Als Wanja und er es vor Leidenschaft kaum noch aushielten, trennten sie sich und gingen jeder mit seiner Begleiterin in eine andere, noch dunklere Ecke des Gartens.

Dort zeigte sich Dracos Begleitung äußerst gefügig für seine Liebkosungen. Sie ließ es zu, dass seine Hände einen Weg unter ihr Kleid fanden und seine Lippen auf ihrer Brust lagen. Auch als Draco sie gegen einen Baum lehnte und ihr das Kleid hochschob, wehrte sie sich nicht, ganz im Gegenteil, sie half ihm dabei noch. Sie legte ihre Arme um seine Hals und küsste diesen. Irgendwann im Laufe des Aktes vermeinte Draco einen leichten Schmerz wie von einem Biss an seinem Hals zu verspüren, aber seine Erregung und der Alkohol ließen ihn nicht weiter darauf achten.

Auch seinem Bruder Wanja erging es nicht anders, wie Draco später erfuhr. Als sie den Saal wieder betraten, hatte sich dieser merklich geleert. Auch er und sein Bruder wollten sich auf den Weg zurück ins Hotel machen, denn es graute schon der Morgen. Die Frau, die ihnen beim Eintritt ein Glas Wein angeboten hatte, reichte ihnen zum Abschied wiederum ein Glas mit einer roten Flüssigkeit. Auch das stürzten beide durstig hinunter, ohne darauf zu achten, was sein Inhalt war.

Leicht angetrunken und noch ganz von dem eben Erlebten gefangen, machten sie sich auf den Rückweg, ohne auf den Weg zu achten. Erst als die Laternen seltener wurden und die Häuser ärmlicher aussahen, merkten sie, dass sie sich verlaufen hatten. Sie waren in dem Armenviertel der Stadt gelandet. Auf einmal standen einige dunkle Gestalten vor ihnen und forderten ihr Gold. Sie hielten Messer in ihren Händen. Wanja und er gaben ihnen das, was sie in den Taschen hatten, in der Hoffnung, man würde sie dann laufen lassen. Aber diese Hoffnung trog, kaum hatten die Männer das Geforderte in Händen, stachen sie auch schon zu.

„Oh, mein Gott!“ hörte Draco die Stimme einer Frau. „Komm, Zerafina, hilf mir, diese beiden ins Haus zu tragen.“

Draco öffnete die Augen und stellte fest, das er am Ufer eines Kanals lag. Über ihn war eine alte Frau gebeugt. Er drehte seinen Kopf nach rechts und links und sah seinen Bruder neben sich liegen. Eine junge Frau stand bei ihm und zog in weiter ans Ufer.

„Ich kann aufstehen und selber laufen.“ wehrte Draco die Hilfe der Älteren ab.

„Na, dann komm, gehen wir erst Mal zu meinem Haus.“ forderte die Alte ihn auf. „Dort könnt ihr euch erst Mal aufwärmen und eure Sachen trocknen.“

Auch Wanja konnte sich erheben und so gingen beide mit zu der Hütte der beiden Frauen. Dort reichte die Jüngere von beiden, die wohl die Tochter war, ihnen eine Decke und bat sie, ihre nassen Sachen auszuziehen. Sie würde sie in der Küche über dem Ofen trocknen.

Als sie in Decken gehüllt, auf einem alten Sofa saßen, bat die Alte, ihr zu erzählen, was denn passiert sei.

Draco berichtete ihr von dem Überfall und das sie sich nach Verlassen des Balles verlaufen hätten.

„Und wo haben Euch die Räuber erwischt? Lasst mich die Stelle sehen, dann kann ich Eure Wunden behandeln.“ bat sie.

Aber so sehr Draco und Wanja auch ihren Körper absuchten, es waren keine Verletzungen zu sehen.

Dann wollte die Alte wissen, auf welchem Ball sie waren und was da geschehen sei. Draco merkte, dass Wanja die ganze Sache peinlich war und so berichtete er darüber. Als er geendet hatte, nickte die Alte nur und fragte dann, ob sie hungrig oder durstig seien.

„Hungrig weniger, aber sehr durstig.“ erwiderte Draco.

Daraufhin verschwand die Alte durch eine Tür, die wohl zu der Küche führte und kam nach einer Weile mit zwei bis zum Rand gefüllten Bechern zurück.

„Hier, trinkt das, dann wird es euch gleich besser gehen.“ forderte sie.

Ohne sich weiter Gedanken zu machen, was sich in den Bechern befand, stürzten beide den Inhalt in einem Schluck hinunter.

„Und wie fühlt ihr euch jetzt?“ kicherte die Alte.

„Gut.“ antwortete Draco und Wanja nickte zustimmend. „Es hat sehr gut geschmeckt. Und obwohl es sich unverschämt anhört, aber ich hätte gerne mehr davon.“

„Das kann ich mir denken.“ kicherte die Alte wieder. „Aber das müsst ihr euch dann schon selber besorgen.“

„Und wo bekommt man das?“ wollte Draco wissen.

„Es ist in jedem Menschen.“ gab die Alte zur Antwort.

„Wie? Was? Ich verstehe nicht.“ war Draco irritiert.

Bevor die Alte antworten konnte, kam ihre Tochter mit den Sachen der Beiden.

„So, hier, sie sind trocken, ihr könnt sie wieder anziehen.“ sagte sie und verschwand wieder in der Küche.

Ihre Mutter erhob sich und verließ ebenfalls den Raum.

Wanja und er zogen sich wieder an.

„Lass uns von hier verschwinden.“ flüsterte Wanja ihm zu. „Die Alte ist mir unheimlich.“

„Sofort, aber erst müssen wir uns noch bedanken.“ erwiderte Draco ebenfalls flüsternd.

Sie klopften an die Küchentür und Draco sagte: „Wir würden uns gerne bei Ihnen und Ihrer Tochter für die Hilfe bedanken und dann gerne zurück ins Hotel gehen.“

Daraufhin erschienen beide.

„Hier, noch ein Abschiedsschluck.“ Mit diesen Worten reichte die Alte noch einen gut gefüllten Becher und sah zu, wie Beide ihn in einem Zug austranken.

„Und hier, nehmt diesen Brief. Darin steht alles, was ihr wissen müsst. Aber öffnet ihn erst, wenn ihr in eurem Hotel seid.“ sagte die Tochter und übergab Draco einen Umschlag.

Als Wanja und Draco das Haus verließen, stand die Sonne hoch am Himmel.

„War die Sonne schon immer so hell?“ fragte Wanja. „Und die Vögel, waren die schon immer so laut?“

„Ich weiß nicht, heute erscheint mir auch alles viel heller und lauter zu sein. Das liegt vielleicht an dem ganzen Alkohol von letzter Nacht.“ antwortete Draco.

Sie erreichten nach kurzer Zeit den Teil der Stadt, in welchem ihr Hotel war.

„Es riecht hier so…so….so gut, ich weiß nicht, nach was, aber es macht mich hungrig, nein, eher durstig.“ sagte Draco verwirrt, als sie über einen mit Menschen gefüllten Platz gingen.

„Mir geht es genauso.“ gab Wanja zu.

In ihrem Hotelzimmer angekommen, zogen sie sich erst Mal um. Dann setzten sie sich auf das Bett und Draco öffnete den Brief.

Was er dort las, ließ ihn vor Entsetzen den Atem stocken.

„Und was steht dort?“ wollte Wanja wissen.

„Dort steht, dass wir in dieser Nacht Vampiren zum Opfer fielen. Die beiden Frauen, mit denen wir es getrieben haben, wären es gewesen. Und das, was man uns zu trinken angeboten hätte, wäre Vampirblut gewesen, deshalb wären wir heute morgen bei dem Überfall zwar getötet worden, aber eben durch das Vampirblut in uns wieder aufgewacht, aufgewacht als Vampire. Es wäre jetzt unser einziges Streben, jede Nacht neues Blut zu trinken. Aber dafür würden wir keinen Tag mehr altern. Und sie, die Alte, hat uns ihr Blut zu trinken gegeben, heute Morgen, in ihrem Haus. Und sie und ihre Tochter seien Hexen, auch sie würden ewig leben, und durch ihr Blut wäre sie auf immer mit uns verbunden. Sie würde über jeden unserer Schritte Bescheid wissen. Ich weiß nicht, wie es Dir mit dieser Nachricht geht, aber ich will so nicht leben.“

„Für immer auf dieser Welt? Und in jeder Nacht einen Menschen töten? Nein, das will ich auch nicht.“ entgegnete Wanja entsetzt. „Was sollen wir jetzt tun?“

„Weiß ich nicht.“ knurrte Draco. „Ich kann jetzt nicht darüber nachdenken, meine Gedanken drehen sich gerade nur darum, wie ich meinen Durst stillen kann.“

„Dann lass uns gehen.“ sprang Wanja auf. „Auch mich bringt mein Durst fast um.“

Gemeinsam gingen sie auf den Markusplatz, wo sich wie immer im Karneval eine Menge Menschen aufhielten. Schnell hatten sie zwei unbedarfte Mädchen gefunden, die bereitwillig mit ihnen gingen. In einer dunklen Toreinfahrt bohrten sie zum ersten Mal in ihrem neuen Leben ihre nun spitzen, langen, scharfen Eckzähne in den Hals eines Menschen und tranken gierig dessen Blut. Die Leichen warfen sie anschließend in den Kanal.

So ging es nun die nächsten Nächte. Solange der Karneval hier in der Stadt tobte, war es kein Problem an willige Mädchen oder Frauen heranzukommen. Aber als er zu Ende war, wurde es schwieriger.

Als sie eines Nachts wieder auf der Suche nach Opfern waren, kam ihnen ein Mann entgegen. Mittlerweile hatten Wanja und Draco gelernt, dass Mensch und Vampir unterschiedlich rochen. Und der, der ihnen entgegenkam, war eindeutig ein Vampir.

„Guten Abend, junge Herren.“ sprach er sie höflich an. „Wie ich sehe, seid Ihr auf der Jagd. Und ich rieche, dass Ihr noch relativ jung seid. Damit mein ich nicht, jung an Jahren, sondern junge Vampire, quasi noch Neugeborene.“

Sie erzählten ihm, wie sie zu dem wurden, was sie nun waren und das es noch nicht allzu lange her sei.

Er bot ihnen an, sie mit zu seiner Herrin zu nehmen, die allerdings in Frankreich wohnte. Sein Name sei Jean-Baptist und er wäre im Auftrag seiner Herrin, Madame LeNoire, immer auf der Suche nach Neugeborenen.

Wanja und Draco stimmten zu und nachdem sie ihre Sachen aus dem Hotel geholt hatten, begleiteten sie Jean-Baptist nach Toulouse, wo Madame LeNoire ein Schloss, versteckt in den Bergen bewohnte. Von ihr lernten sie alles über das Jagen. Und, naja, Madame wollte dafür täglich belohnt werden.

Über ein Jahr verbrachten die Beiden in ihrem Schloss, dann überkam sie das Heimweh. Nun, da sie keine Neugeborenen mehr waren, ließ Madame sie gehen, nicht ohne sie zu ermahnen, bei ihren Jagden vorsichtig zu sein und sie nahm ihnen das Versprechen ab, sie immer wieder mal zu besuchen.

Im Schloss ihres Vaters angekommen, erzählten sie, dass sie in Venedig überfallen worden wären und durch einen Schlag auf den Kopf vergessen hätten, wer sie seien und woher sie stammten.

„Wir hielten euch für tot.“ erklärte ihnen ihr Vater. „Und aus Kummer darüber ist eure Mutter krank geworden und gestorben.“

Aber die Trauer ihres Vaters konnte nicht lange angedauert haben, denn wie Draco feststellte, hatte der Vater sehr schnell wieder geheiratet, und zwar die Nachbarstochter, die eigentlich er, Draco, heiraten sollte. Und sie war schon hoch schwanger.

Ihr Vater schien über ihre Rückkehr nicht sehr erfreut zu sein, denn er beachtete seine beiden ältesten Söhne kaum.

„Wir können nicht hier bleiben.“ sagte Draco eines Nachts zu Wanja, als sie sich auf der Jagd befanden. „Früher oder später wird es auffallen, dass hier auf einmal so viele Frauen und Mädchen verschwinden. Und außerdem ist Vater über unsere Rückkehr alles andere als glücklich.“

„Du hast Recht.“ stimmte Wanja zu. „Aber wir sollten ihn noch um einen Teil seines Geldes erleichtern.“

Also gingen sie zu ihrem Vater und forderten ihren Erbteil. Danach würden sie dann die Heimat verlassen und nie mehr zurückkehren. Der Vater zeigte sich einverstanden, zahlte ihnen aber nur einen kleinen Teil des Erbes aus.

„Geht und sucht euch reiche Frauen.“ riet er ihnen. „Ich brauch mein Geld für meinen Erben. Auf solch undankbaren Kinder wie euch kann ich verzichten.“ Mit diesen Worten warf er sie mehr oder weniger hinaus. Bevor sie aber das Schloss ihres Vaters für immer verließen, besuchte Draco noch das Grab seiner Mutter, er wollte Abschied von ihr nehmen und sich entschuldigen, für das, was sie ihr angetan hatten. Seinem Bruder sagte er nichts davon, er wollte alleine sein.

Als er an ihrem Grab stand, sprach er zu dem Grabstein: „Es tut mir leid, dass wir Dir solchen Kummer bereitet haben. Aber es war nicht unsere Schuld. Wir konnten und wollten nicht so zu Dir zurückkehren.“

„Es ist gut, mein Sohn.“ hörte er plötzlich die Stimme seiner Mutter. „Was Euch geschehen ist, ist Euer Schicksal. Und jetzt geh zu Deinem Bruder und verlasst diesen Ort, dieses Land. Wir werden uns irgendwann wiedersehen.“

„Ja, sicher.“ antwortete Draco höhnisch. „Wir landen in der Hölle, während Du im Himmel bist.“ Dabei liefen ihm die Tränen über die Wange.

Seinem Rat folgend, suchten sich Wanja und Draco in der folgenden Zeit immer wieder reiche Frauen und bekamen so nach und nach ein riesiges Vermögen zusammen. Ihre Wege trennten sich des Öfteren, aber immer wieder verbrachten sie mal ein paar Monate, mal ein paar Jahre miteinander.

Durch die gemeinsam verbrachte Zeit im Mutterleib waren sie so stark miteinander verbunden, dass sie immer merkten, wenn sich einer von ihnen in Gefahr befand. Was allerdings meistens Wanja war, denn durch seine sanfte, gutmütige Art brachte er sich häufig in Gefahr. So wie jetzt auch wieder.

Als Draco an diesem Punkt seiner Gedanken angelangt war, fuhr er ruckartig auf. Noch ganz in seine Erinnerungen gefangen, hatte er das Gefühl, als würde hier etwas fehlen.

‚Ach ja, mein Mitfahrer.’ erinnerte er sich und sah zum Beifahrersitz. Aber dieser war leer. Auch der Rucksack von Leo war verschwunden. Obwohl er immer noch nicht sicher war, wie weit er Leo mitnehmen wollte, machte sich Draco doch plötzlich Sorgen um ihn. Hastig stieg er aus und sah sich suchend um, aber er konnte Leo nicht entdecken. ‚Er wird doch wohl nicht mit jemand anderen weitergefahren sein?’ dachte Draco und erinnerte sich daran, was Leo beim ersten Mal zugestoßen war. Draco stand mit dem Rücken an die Fahrertür gelehnt und überlegte, wie er Leo wiederfinden sollte, als er seine Stimme hinter sich hört: „Oh, hätte ich gewusst, dass Du auch wach bist, hätte ich Dir einen Kaffee mitgebracht.“

Draco drehte sich zu ihm um und sah ihn wütend an.

„Kannst Du mir mal sagen, wo Du jetzt herkommst? Und konntest Du mich nicht wecken und Bescheid sagen? Mach das nie wieder!“ schrie er ihn an.

„Entschuldige bitte.“ gab Leo sarkastisch zurück. „Aber ich glaube kaum, dass ich Dir Rechenschaft schuldig bin. Ich werde jetzt meine Sachen nehmen und mir eine andere Mitfahrgelegenheit suchen.“

Kaum hatte Leo die Tür geöffnet, um seine Jacke zu holen, stand Draco auch schon neben ihm.

„Das wirst Du nicht tun.“ sagte er hart und packte Leos Arm. „Du wirst wieder einsteigen und wir fahren weiter.“

„Lass mich los, Du tust mir weh.“ forderte Leo. „Und ich habe übrigens schon jemanden gefunden, der mich mit nach Barcelona nimmt und von dort aus mit der Fähre nach Afrika.“

„Pech. Du wirst mit mir nach Afrika fahren.“ antwortete Draco hart. „Also, steig ein.“

„Und wenn ich es nicht mache?“ fragte Leo herausfordernd.

„Dann wende ich Gewalt an.“ zischte Draco.

Ein Blick in seine Augen überzeugte Leo davon, dass Draco es ernst meinte.

Widerwillig gehorchend setzte er sich auf den Sitz. Draco stieg ebenfalls ein und fuhr mit quietschenden Reifen los. Leo starrte stur aus dem Seitenfenster und sprach kein Wort.

‚Was mache ich da eigentlich?’ dachte Draco. ‚Warum hab ich ihn nicht einfach da gelassen? Sollte er doch sehen, wie er weiter kommt.’ Aber nachdem, was Leo ihm erzählt hatte, was ihm fast zugestoßen wäre, bei seiner ersten Mitfahrgelegenheit, war der Beschützerinstinkt in Draco erwacht.

„Hattest Du nicht genug davon, was der Fahrer des Trucks Dir antun wollte?“ fragte Draco laut. „Glaubst Du, ich würde Dich noch mal so einer Gefahr aussetzen? Du wirst mit mir diese Reise zu Ende bringen, denn bei mir bist Du wenigstens in Sicherheit.“

‚In Sicherheit bei einem Vampir’ setzte Draco zynisch in Gedanken hinzu.

Von Leo kam keine Reaktion, er schaute weiterhin aus dem Fenster.

„Okay, von mir aus können wir den Rest der Fahrt schweigend verbringen. Mich stört das nicht sonderlich, ich bin sowieso meistens alleine unterwegs.“ sagte Draco schulterzuckend. „Aber eins noch, und sieh es als Warnung: Versuch ja nicht, wenn wir tanken müssen, heimlich zu verschwinden. Ich werde Dich finden und dann wird meine Rache fürchterlich sein.“ fügte er warnend hinzu.

Ohne eine Antwort zu erwarten, schaltete Draco das Radio ein. Die Autobahn war wieder ziemlich voll, alle wollten wohl Richtung Süden, der Sonne entgegen. Hin und wieder gab es Staus und sie kamen nur langsam voran. Gegen Mittag erreichten sie dann endlich die spanische Grenze, und da so viele Urlauber unterwegs waren, kamen sie auch diesmal ohne Kontrolle durch. Draco nahm die Autobahn Richtung Madrid, die wesentlich leerer war, als die an der Küste entlang, die von Urlaubern übervölkert war. Als sie nach etwa zwei Stunden Madrid passiert hatten, fuhr Draco den nächsten Rastplatz an. Leo hatte während der ganzen Zeit kein einziges Wort gesprochen.

„Kann ich zur Toilette gehen?“ fragte Leo nun sarkastisch, während Draco das Auto tankte.

„Ja, klar.“ antwortete dieser.

„Alleine oder willst Du mich begleiten?“ wollte Leo ironisch wissen.

„Sprichst Du spanisch?“ stellte Draco eine Gegenfrage.

„Nein, natürlich nicht.“ grummelte Leo.

„Gut, dann kannst Du alleine gehen, dann brauch ich keine Angst zu haben, dass Du einen der LKW-Fahrer hier ansprichst, die wohl allesamt Spanier sind.“ antwortete Draco grinsend.

Als Leo zurückkehrte, war Draco mit tanken fertig und hatte schon bezahlt.

„Kann ich mir wenigstens noch ein Wasser kaufen? Ich habe nämlich Durst.“ fragte Leo mürrisch.

„Klar doch. Bring mir eins mit.“ bat Draco freundlich.

Schnell war Leo zurück und reichte Draco die Flasche, der neben dem Auto stand und sich zwischenzeitlich die Jacke und das Hemd ausgezogen hatte.

„Sag mal, ist Dir nicht warm?“ wandte er sich fragend an Leo. „Du musst doch in Deinen Klamotten tierisch schwitzen.“

„Geht so. Aber ich habe Dir doch schon gestern gesagt, das ich nichts drunter trage.“ bekam er zur Antwort.

„Okay, wenn Du soweit bist, können wir weiter.“ sagte Draco.

Wieder verlief die Fahrt schweigend. ‚Ob er wirklich homosexuell ist?’ dachte Draco mit Seitenblick auf Leo. ‚Seine Gesichtszüge sind weich wie die eines Mädchens und rasieren scheint er sich auch nicht. Man kann nicht einen Bartstoppel sehen.’

Wie unabsichtlich berührte Draco Leos Knie, als er den Schaltknüppel berührte.

„Sicherheit, ist klar.“ murmelte Leo.

„Das war ohne Absicht.“ entschuldigte sich Draco.

„Ohne Absicht, ja klar. Du wolltest einfach nur wissen, ob ich darauf reagiere. Aber mach Dir keine Hoffnung, Du bist nicht mein Typ.“ fauchte Leo ihn an.

„Du meiner auch nicht. Denkst Du etwa, ich stünde auf kleine Jungs?“ höhnte Draco.

„Hätte ich von Dir Macho auch nicht erwartet.“ erwiderte Leo. „Du stehst eher auf dumme Blondchen mit blauen Augen, die Dich von morgens bis abends anhimmeln.“

„Und was ist mit nachts?“ fragte Draco provokativ. „Willst Du wissen, was in der Nacht geschieht?“

„Behalt’s für Dich.“ zischte Leo.

‚Oh, Gott, ist der prüde’ dachte Draco und fügte laut hinzu: „Hattest Du noch nie eine Freundin oder einen Freund? Was machst Du denn, wenn Ihr miteinander schlafen wollt?“

„Freundin? Freund? Was soll ich denn damit? Und nur zur Beruhigung deiner Neugier: Nein, ich hatte noch nie Sex und habe auch nicht die Absicht, in nächster Zukunft welchen zu haben.“

„Nicht?“ spottete Draco. „Du weißt gar nicht, was Du da verpasst.“

„Boah, können wir nicht mal das Thema wechseln?“ stöhnte Leo.

Aber Draco machte es viel zu viel Spaß, Leo zu provozieren.

„Nö, warum denn? Ist doch ein interessantes Thema.“ sagte er provokant.

„Für Dich vielleicht.“ erwiderte Leo. „Aber ich finde es ziemlich langweilig.“

„Nur, weil Du Sex nicht kennst“ entgegnete Draco mit unterdrücktem Lachen.

Leo zog es vor, zu schweigen und sah demonstrativ aus dem Fenster.

Draco grinste still vor sich hin, es machte ihm Spaß, Leo zu provozieren. Tief sog er den Geruch ein, den Leos Blut nun verströmte. Es roch irgendwie….’Appetitanregend’ dachte Draco und setzte im gleichen Atemzug hinzu: ‚Was ist denn jetzt los? Seit wann finde ich den Geruch eines Jungen anregend?’ Schnell lenkte er seine Gedanken in eine andere Richtung, er dachte an Wanja, seinen Bruder. Wie es ihm wohl jetzt ging? Wenn er ihm doch genau hätte sagen können, wo er steckte. So hatte er nur einen Anhaltspunkt: den Dschungel in einem Land, welches mit K anfing.

Aus diesen Gedanken heraus fragte er Leo: „Wohin genau in Afrika willst Du eigentlich?“

„Was?“ schrak Leo auf. „Ach so, Du meinst, wo die Mission war, in der mein Vater als Arzt tätig war. Irgendwo im Kongo, tief im Busch. Warum?“

„Ich wollte nur wissen, wo ich Dich hinbringen muss.“ grinste Draco.

„Du musst mich nirgendwo hinbringen, ich komme schon alleine klar“ entgegnete Leo wild.

„Okay, okay, dann halt, wo ich Dich hinbringen will.“ sagte Draco beruhigend.

„Warum willst Du das tun?“ fragte Leo irritiert.

„Weiß nicht, einfach nur so.“ wich Draco aus. ’Weil mir Deine Anwesenheit gefällt’ setzte er in Gedanken hinzu. Schon der Gedanke daran, dass Leo zu einem Anderen ins Auto stieg, ließ Draco schaudern.

Am Abend erreicht sie die Hafenstadt Algeciras, von wo aus die Fähre nach Tanger fuhr. Draco fuhr direkt zur Anlegestelle, um zu sehen, ob sie heute noch einen Platz bekämen, aber es war alles schon ausgebucht.

„Heute kommen wir nicht mehr weiter.“ berichtete er Leo. „Ich habe aber für morgen früh einen Platz gebucht. Um zehn Uhr geht’s los. Jetzt werden wir uns erst mal eine Übernachtungsmöglichkeit suchen.“

Direkt in Hafennähe fanden sie ein Hotel, in welchem Draco zwei Einzelzimmer für eine Nacht buchte.

Draco holte seine Reisetasche aus dem Auto und sagte: „So, jetzt erst mal eine Dusche und dann saubere Klamotten an. Danach fühl ich mich bestimmt besser. Und was ist mit Dir? Das Gleiche?“

„Duschen ja, aber saubere Klamotten ist nicht.“ antwortete Leo.

 

 

 

4. Kapitel

Nachdem Draco Leo das Zimmer gezeigt und ihn allein gelassen hatte, beschloss Leo, in die Stadt zu gehen, um sich neue Sachen zu kaufen. Ohne Draco Bescheid zu sagen, verließ er das Hotel und wandte sich der belebten Einkaufsstraße zu, die direkt hinter dem Hotel lag. Obwohl es schon nach zwanzig Uhr war, herrschte hier noch richtig Trubel.

Leo kaufte sich einen Fleischspieß, die hier überall angeboten wurden und schlenderte langsam an den Geschäften entlang. Die meisten von ihnen waren auf Tourismus ausgelegt, dort gab es von der Postkarte alles, was sich die Touristen so kauften. Und von denen gab es hier eine Menge, denn es legten viele Kreuzfahrtschiffe hier an und täglich kamen viele Leute mit den Fähren hier an. Die meisten Leute, die Leo entgegen kamen, waren sommerlich gekleidet, die Männer in kurzen Hosen und T-Shirts und die Frauen trugen vom Topp mit Hotpants bis zur Jeans alle Variationen.

Innerlich war Leo angesichts der Menschenmenge total verunsichert, was er sich aber nach außen hin nicht anmerken ließ, denn es war das erste Mal in seinem Leben, dass er sich in einer Stadt befand. Alles, oder fast alles, was er Draco erzählt hatte, war geschwindelt. Er hatte nie eine öffentliche Schule besucht, sondern er hatte zu Hause Privatunterricht bekommen.

Als seine Eltern mit ihm Afrika verlassen hatten und in das einsame Schloss seines Vaters gezogen waren, wurde Leo krank, sehr krank. Da sein Vater Arzt war, behandelte dieser ihn selber, aber er wusste nicht, welche Krankheit das war. Leo lag nur im Bett, er war zu schwach, um aufzustehen. Als er sieben war, beschlossen seine Eltern, einen Privatlehrer zu engagieren, der Leo in allem unterrichten sollte. Und Leo lernte schnell. Da er ja nichts anderes machen konnte, las er viel. Mit sechzehn hatte er den ganzen Lehrstoff eines Abiturienten schon durch. Seine Eltern erreichten, dass ihm die Unterlagen, die für ein Abitur notwendig waren, zugestellt wurden.

Sein Vater forschte während der ganzen Zeit nach einem Heilmittel, was ihm dann auch gelang. Leos Genesung machte nur langsame Fortschritte. Er konnte erst nach seinem sechzehnten Geburtstag das erste Mal sein Bett verlassen. Aber er durfte sich nur im Schloss oder im dazugehörigen Park aufhalten, bis zu jenem Tag kurz vor seinem siebzehnten Geburtstag, als seine Eltern einen tödlichen Autounfall hatten, der sich dann als Selbstmord herausstellte.

Während seiner Spaziergänge im Park lernte Leo dann einen jungen Mann kennen, der etwa in seinem Alter war. Er arbeitete als Gärtner dort. Anfangs unterhielten sie sich über Blumen und Bäume, aber so nach und nach entwickelte sich eine Freundschaft zwischen ihnen. Wanja, so hieß der junge Gärtner, erzählte Leo vom Leben außerhalb der Schlossmauern und versprach, ihn eines Tages dorthin mitzunehmen. Als seine Eltern starben, war Wanja der Einzige, den Leo an sich heranliess und den Brief seiner Eltern zeigte. Wanja vermutete einen Zusammenhang zwischen der Zeit in Afrika und dem Selbstmord seiner Eltern und versprach Leo, etwas darüber heraus zu finden. Er flog nach Afrika und meldete sich von dort nur ein einziges Mal, danach hörte Leo nichts mehr von ihm.

Während Leo dies alles durch den Kopf ging, war er weiter und weiter gelaufen und stand jetzt vor einem Kaufhaus, welches etwas abseits der belebten Straße lag. Hier würde er alles finden, was er brauchte, eine enge schwarze Jeans, ein schwarzes Sweatshirt, welches wieder drei Nummern zu groß war und aus einer Laune heraus, ein paar schwarze Boots.

Mit seinen Einkäufen bewaffnet, verließ Leo den Laden und stand nun etwas ratlos auf der Straße. In welcher Richtung lag denn nun das Hotel? Er hatte, da er so in Gedanken versunken war, gar nicht auf den Weg geachtet. Gerade, als er beschloss, sich nach links zu wenden, hielt mit quietschenden Bremsen ein Auto neben ihm an.

„Verlaufen?“ fragte Draco belustigt aus dem Seitenfenster heraus.

„Sieht das so aus?“ fragte Leo bissig zurück.

„Nein, nicht wirklich.“ feixte Draco, der sehr wohl bemerkte, dass Leo unsicher war. „Aber wenn Du willst, darfst Du trotzdem einsteigen.“

Widerwillig stieg Leo ein und ließ sich nicht anmerken, dass er froh war, Draco zu sehen.

„Du hättest mir auch sagen können, dass Du noch in die Stadt willst, ich hätte Dich mitgenommen.“ sagte Draco ohne Vorwurf. „Ich hatte sowieso noch was zu erledigen.“

„Boah, ich bin doch kein Baby mehr.“ fauchte Leo. „Ich komme schon alleine klar.“

Draco schüttelte nur lächelnd den Kopf, ohne etwas zu erwidern.

Wieder zurück im Hotel, sagte Leo abweisend: „Ich werde jetzt duschen und dann ins Bett gehen. Gute Nacht.“

„Schlaf gut.“ wünschte Draco. „Morgen um zehn geht unsere Fähre.“

„Sollte ich verschlafen, fahr ohne mich.“ empfahl Leo.

„Bestimmt nicht.“ erwiderte Draco hart.

In seinem Zimmer angekommen, ging Leo als erstes unter die Dusche, danach beschloss er, seine Sachen zu waschen. Er hoffte, dass sie über Nacht trocken würden. Und falls nicht, musste er sie halt noch feucht in den Rucksack stecken. Nur mit einem Bademantel des Hotels bekleidet, trat er auf den Balkon und hängte seine Jeans und sein Sweatshirt über das Gelände.

Auch Draco war, nachdem er sein Zimmer betreten hatte, unter die Dusche gegangen, aber im Gegensatz zu Leo hatte er sich wieder vollständig angezogen. Er hatte in dieser Nacht noch etwas zu erledigen. In der Absicht, noch eine Zigarette zu rauchen, betrat Draco seinen Balkon. Kaum hatte er ihn betreten, schlug ihm der Geruch süßen Blutes entgegen, der sehr appetitanregend war. Und das in jeder Hinsicht. Suchend sah er sich um, von wo wohl dieser Duft herkäme, aber der einzige Mensch, den er entdecken konnte, stand auf dem Nachbarbalkon und es war Leo.

‚Was ist denn jetzt mit mir los?’ dachte Draco entsetzt. ‚Fang ich jetzt an auf Jungs zu stehen? Das kann ja wohl nicht sein, dass ich schwul werde.’

Leise zog er sich in sein Zimmer zurück und ließ sich rücklings auf sein Bett fallen. ‚Ich brauch dringend das Blut und den Körper einer Frau’ dachte er. ‚Es war bestimmt nur der Durst, der mich so auf Leo reagieren ließ.’

Er entschloss sich, sein Vorhaben gleich in die Tat umzusetzen. Es gab bestimmt genügend Lokale, wo er ein geeignetes Opfer finden würde. Und anschließend würde er noch erledigen, was er erledigen musste.

Er stand auf und öffnete leise die Verbindungstür zu Leos Zimmer, von der dieser allerdings nicht wusste.

Leo lag nur mit einer Boxershorts bäuchlings auf dem Bett, das Laken lag auf seinen Oberschenkeln. Er hatte das Kopfkissen mit beiden Armen umfangen und unter seinen Kopf gedrückt. ‚Er hat den Körperbau eines Mädchens’ dachte Draco, als er ihn so ansah. Aber was war das auf seiner linken Schulter? Es sah aus wie ein Tattoo in Form eines Löwenkopfes. Zwar war es sehr blass, aber Draco konnte es erkennen. ‚Leo, der Löwe’ dachte Draco belustigt. ‚Wohl eher: Leo, das Kätzchen.’

Draco fand sehr schnell, wonach er suchte. Wie immer, war es kein Problem eine junge Frau zu finden, die bereit war, ihm zu geben, wonach ihm verlangte.

Am nächsten Morgen klopfte er um acht Uhr an die Tür zu Leos Zimmer.

„Wie wäre es mit einem Frühstück?“ fragte er durch die geschlossene Tür.

„Ich komme sofort.“ antwortete Leo.

Draco hörte, wie Leo schnell aus dem Bett sprang. Nach etwa zehn Minuten stand er vor Draco.

Nach dem Frühstück sagte Draco: „Ich werde die Rechnung bezahlen und das Auto holen. Du kannst in der Zwischenzeit Deine Sachen aus dem Zimmer holen. Wir treffen uns dann vor dem Hotel.“

„Ich kann mein Zimmer selber zahlen.“ protestierte Leo.

„Jetzt hör mir mal gut zu.“ fauchte Draco wütend. „Was ich jetzt sage, sage ich nur einmal und dann ist das Thema hoffentlich erledigt. Solange Du mit mir unterwegs bist, wirst Du nicht einen Cent Deines Geldes für Essen, Übernachtungen oder sonstiges ausgeben. Ich habe beschlossen, mit Dir dorthin zu fahren, wo diese Mission ist, und ich werde sämtliche Unkosten tragen, ob Dir das nun gefällt oder nicht. Und vergiss den Gedanken, alleine weiter zu fahren, ganz schnell wieder. Ich hoffe, Du hast mich verstanden!“

„Ja, hab ich.“ wisperte Leo kleinlaut. „Aber ich habe Dich nicht darum gebeten.“

„Das spielt keine Rolle. Ich will es und ich werde es tun, notfalls wende ich Gewalt an.“ zischte Draco. „Und jetzt hol Deine Sachen, wir treffen uns in zehn Minuten vor dem Hotel.“

Leo wollte noch etwas erwidern, aber ein Blick in Dracos Augen ließ ihn schweigen, denn sie funkelten wütend.

Als Leo nach zehn Minuten vor das Hotel trat, war von Dracos Ferrari nichts zu sehen, nur ein schwarzer Hummer stand dort.

„Los, einsteigen!“ kam der Befehl aus dem Inneren.

Leo gehorchte widerstandslos und stieg in das Auto.

„Wo ist Dein Ferrari?“ fragte er Draco, als er die Tür geschlossen hatte.

„Der steht wohlbehütet in einer Garage, denn das ist wohl nicht das richtige Fahrzeug für die Wüste.“ erklärte Draco. „Wir werden nämlich nicht nur über befestigte Straßen fahren, wir werden den kürzesten Weg einschlagen.“

Leo sah nach hinten, statt der üblichen Rücksitze waren dort Zusatztanks.

„Wir haben genügend Wasser und reichlich Nahrung an Bord.“ sprach Draco weiter. „Wenn wir in Tanger gelandet sind, werden wir volltanken und dann machen wir uns auf die Suche.“

„Ich weiß nur noch, dass die Mission mitten im Urwald war, einige Kilometer vom Kongo entfernt.“ berichtete Leo. „Die nächste Stadt oder besser das nächste große Dorf war einen Tagesmarsch entfernt. Mit dem Auto kam man gar nicht zu der Mission.“

„Na, das ist doch schon mal was.“ entgegnete Draco. „Weißt Du vielleicht noch, wie dieses Dorf hieß?“

„Nein, leider nicht.“ gestand Leo. „Aber in der Nähe der Mission gab es Ruinen eines Tempels oder so etwas in der Art.“

„Jetzt setzen wir erst mal nach Tanger über und dann sehen wir weiter.“ sagte Draco.

Nachdem Draco das Auto auf der Fähre geparkt hatte, gingen sie an Deck. Das Meer vor ihnen schimmerte in einem strahlenden Blau, genau wie der Himmel. Fasziniert schaute Leo sich um, für ihn war das alles hier ja neu. Belustigt schaute Draco auf Leo.

„Warst Du noch nie am Meer?“ wollte er wissen.

„Nein, bisher noch nie.“ gestand Leo. „Ich kannte es nur aus Büchern oder dem Fernsehen. Ich hätte nie gedacht, dass es wirklich so blau ist.“

„Na, dann genieß die Überfahrt.“ empfahl Draco lächelnd. „Und hoffentlich wirst Du nicht seekrank.“

Aber das wurde Leo nicht, er stand die ganze Zeit an der Reling. Nach etwa anderthalb Stunden erreichten sie den Fährhafen von Tanger. Nach einem letzten Blick auf das blaue Meer folgte Leo Draco zu dem Auto.

Auch hier in Tanger herrschte reges Treiben, aber Draco hatte keinen Blick dafür. Er steuerte die nächste Tankstelle an und tankte sämtliche Tanks voll.

Dann machten sie sich auf den Weg Richtung Süden.

Draco brauchte keine Landkarten oder etwas in der Art, sein Instinkt sagte ihm, in welche Richtung er musste. So konnten sie die befestigten Straßen verlassen und quer durch die Wüste fahren. Auf diese Weise umgingen sie auch die Grenzkontrollen.

Gegen Abend hielt Draco an einer Wasserstelle.

„Hier werden wir die Nacht verbringen.“ sagte er zu Leo. „Ich werde mich mal auf die Suche nach Holz für ein Feuer machen. Du kannst die Zeit nutzen, um Dich zu waschen oder so. Aber ich würde Dir vom Schwimmen abraten, wer weiß was sich da im Wasser alles tummelt.“

Leo stieg aus und reckte sich erstmal.

„Feuer bei der Hitze?“ fragte er Draco erstaunt. „Willst Du grillen?“

„Nicht wirklich.“ erwiderte Draco. „Aber erstens wird es hier nachts ziemlich kalt und zweitens hält uns das Feuer die Tiere vom Hals. Oder möchtest Du als kleine Mahlzeit dienen?“

„Eigentlich nicht. Wir können doch genauso gut im Auto schlafen.“ meinte Leo.

„Wie? Im Sitzen? Es gibt nämlich keine Liegesitze.“ antwortete Draco. Das war aber nicht der einzige Grund, warum Draco das nicht wollte. Den ganzen Tag hatte er den Geruch von Leos Blut gerochen, der sehr appetitanregend auf ihn wirkte. Und er wollte nicht riskieren, dass er die Beherrschung verlor.

Ohne eine weitere Erwiderung oder auf eine Reaktion Leos zu warten, begab er sich auf die Suche nach Holz.

Nachdem er genügend gefunden hatte, kehrte er zu Leo zurück, schichtete das Holz auf, ging zum Auto und kam mit zwei Schlafsäcken zurück. Einen davon reichte er Leo. Anschließend ging er noch mal zum Auto und holte eine der Kühltaschen, die darin standen.

Als Draco das Feuer entzündet hatte, öffnet er die Tasche und reichte Leo eine Flasche Wasser.

„Hier, trink erst mal. Hast Du Hunger? Ich hätte Brot und Käse im Angebot.“ wandte er sich an Leo.

Leo, der gerade trank, konnte nur nicken. Draco reichte ihm Brot und Käse und aß selber auch etwas. Es wurde ziemlich schnell dunkel und nur der Schein des Feuers erhellte die nähere Umgebung. Draco schaute zu Leo hinüber, der auf der anderen Seite des Feuers saß. Leos Haar schimmerte durch den Feuerschein noch roter und Draco bemerkte, dass er bernsteinfarbene Augen hatte, die jetzt zu leuchten schienen.

„Am besten legst Du Dich schlafen und ich halte Wache.“ sagte Draco.

„Wache? Warum?“ fragte Leo.

„Na, glaubst Du, das Feuer brennt die ganze Nacht? Jemand muss ja Holz nachlegen. Ich werde es die ersten vier Stunden machen, danach bist du dran.“ erwiderte Draco.

„Ich glaube nicht, dass ich schlafen kann, es ist viel zu warm.“ meinte Leo, nahm sich aber den Schlafsack, rollte ihn aus und legte sich darauf. Es dauerte nicht lange, da war Leo eingeschlafen. Mit zunehmender Nacht kam die Kälte trotz des Feuers und Leo rollte sich ein, um sich zu wärmen. Draco nahm seinen Schlafsack und breitete ihn über Leo aus. Ihm, Draco, machte die Kälte nicht viel aus, er fror oder schwitzte nicht mehr, seit er ein Vampir war. Als er sicher war, dass Leo tief und fest schlief, ging er zum Auto und holte sich aus einer der Kühltaschen, die noch darin standen, zwei Blutkonserven, die er in der letzten Nacht aus einem Krankenhaus gestohlen hatte, heraus und trank sie langsam und genüsslich aus. Und wie immer, wenn er Blut trank, waren seine Sinne schärfer als bei einem normalen Menschen. Er setzte sich wieder an das Feuer und lauschte den Geräuschen der Nacht.

‚Draco?’ hörte er plötzlich die Stimme seines Bruders schwach in seinem Kopf.

‚Ja?’ antwortete er ebenso, also nur gedanklich.

‚Wo bist Du? Ich kann Deine Nähe ganz schwach spüren.’ kam es leise von Wanja.

‚Irgendwo in der afrikanischen Wüste.’ erwiderte Draco. ‚Sag mir doch, wo ich Dich finden kann.’

‚Ich kann nicht.’ gab Wanja mit schwächer werdender Stimme zurück.

‚Wieso nicht?’ wollte Draco wissen. ‚Wanja? Wanja? WANJA?’ Das letzte Wort schrie Draco fast, aber es kam keine Antwort mehr. Aber eines war jetzt sicher, Wanja befand sich hier auf diesem Kontinent, jetzt musste Draco nur noch herausfinden, wo genau.

„Leo! Leo, Du bist dran mit Wache schieben.“

„Was?“ schoss dieser in die Höhe. „Oh Mann, es ist ja noch mitten in der Nacht, versuch’s in ein paar Stunden nach ein mal.“ murrte Leo und rollte sich wieder in den Schlafsack.

„Nein, jetzt bist Du dran, nicht in ein paar Stunden, da sind wir schon wieder auf der Piste. Also los, steh jetzt auf, ich will auch noch ein paar Stunden Schlaf.“ blieb Draco hartnäckig.

Widerwillig und mürrisch erhob Leo sich und machte Draco Platz. Sich mühsam wach haltend saß Leo bis zum Morgen am Feuer und hielt es am Brennen. Sobald es begann, hell zu werden, schlug Draco die Augen auf, rollte sie Schlafsäcke zusammen und brachte sie zum Auto. Er schaufelte anschließend Sand auf das Feuer, um es zu löschen.

„So, weiter geht’s.“ sagte er fröhlich.

„Wie kann man nach so wenig Schlaf nur so gut gelaunt sein?“ knurrte Leo und stieg ebenfalls ein.

So ging es die nächsten drei Tage weiter, tagsüber fuhren sie durch die Wüste und nachts hielten sie an einem der Wasserlöcher.







5. Kapitel



Am vierten Tag verließen sie die Wüste. Sie fuhren auf mehr oder weniger befestigten Straßen weiter. Bei einer Tankstelle hielt Draco an und tankte auch die Zusatztanks wieder auf.

„So,“ wandte er sich an Leo. „Jetzt wird es schwieriger, einen geeigneten Platz zum Übernachten zu finden.“

„Bleibt uns nur das Auto.“ erwiderte Leo.

„Das wird aber ziemlich unbequem.“ meinte Draco. „Aber wir werden sehen, vielleicht finden wir ja einige gemütliche Plätzchen.“

„Wir können uns ja auch mit dem Fahren abwechseln.“ schlug Leo vor.

„Hast Du überhaupt einen Führerschein?“ fragte Draco.

„N….nein, aber ich kann bestimmt fahren, ich habe Dir ja lange genug zugeschaut.“ antwortete Leo, woraufhin Draco in Lachen ausbrach.

„Du glaubst doch nicht alle Ernstes, dass ich Dich ans Steuer lassen würde, und schon gar nicht ohne Führerschein. Nur vom Zuschauen lernt man bestimmt nicht fahren.“

„Phh.“ machte Leo und sah beleidigt aus dem Fenster.

Schweigend fuhren sie weiter. Hin und wieder warf Draco Leo einen Blick zu, den dieser aber ignorierte.

‚Zickig wie ein Mädchen’ dachte Draco belustigt.

Man merkte, dass sie sich langsam dem Regenwald näherten, denn die Vegetation wurde immer üppiger und die Möglichkeit, querfeldein zu fahren, immer geringer.

Für Draco wurde es immer schlimmer, so ruhig und beherrscht neben Leo zu sitzen, denn er reagierte immer heftiger auf dessen Geruch. Sein Verlangen, Leos Blut zu kosten, wurde von Tag zu Tag größer, aber noch hatte er sich unter Kontrolle. Aber wie lange noch? Jede Bewegung Leos wehte Draco eine neue Welle des köstlichen Duftes herüber. Und jetzt war es besonders schlimm. Draco warf einen Blick zu Leo und sah, dass dieser schlief und versuchte, eine bessere Position zu finden.

Draco sah wieder auf die Straße und vor seinem geistigen Auge entstanden Bilder, wie er Leo in seinen Armen hielt, der ihn hingebungsvoll ansah und ihm bereitwillig seinen Hals darbot. Und er, Draco, nahm diese Aufforderung gerne an und ritzte mit seinen Zähnen vorsichtig die Haut auf, um an das köstliche Nass heran zu kommen. Aber damit nicht genug, er küsste Leo anschließend lange und ausgiebig.

‚Oh, Mann, dreh ich jetzt völlig durch’ unterbrach Draco selber seine Phantasien. Er überzeugte sich, dass Leo noch schlief, griff nach hinten und fischte sich eine Blutkonserve aus der Kühltasche. Schnell und hastig trank er sie aus, in der Hoffnung, die Bilder in seinem Kopf damit zu vertreiben. Er zwang sich, an eine Frau zu denken, aber immer wieder hatten diese das Gesicht von Leo.

‚Ich muss diese Nacht ein weibliches Wesen finden’ dachte Draco grimmig. Er hatte Glück, kurze Zeit später erreichten sie eine Kleinstadt. Schnell versetzte er Leo in den Tiefschlaf und machte sich auf die Suche. Schnell fand er das Gesuchte, aber dieses Mal verschaffte es ihm keine Befriedigung.

Völlig verwirrt über seine Gefühle, die er für Leo entwickelte, setzte sich Draco auf das Dach seines Autos, neben sich die Kühltasche mit den Blutkonserven. Er trank in dieser Nacht mehr als sonst, in der Hoffnung, es würde ihn nicht mehr nach Leos Blut verlangen. Dann zwang er sich, seine ganze Konzentration auf seinen Bruder zu richten. Er spürte, dass er sich diesem näherte. Draco hatte als Neuling gelernt, dass alle Vampire eine Verbindung untereinander hatten, aber bei ihm und seinem Bruder war dieses Band stärker. Es lag vielleicht daran, dass sie Zwillinge waren. Aber es gelang Draco in dieser Nacht nicht, eine Verbindung zu seinem Bruder aufzubauen, so sehr er auch gedanklich rief, es kam keine Antwort.

Als es hell wurde, stieg Draco vom Dach hinunter und stieg ins Auto. Durch das Zuschlagen der Tür wachte Leo auf.

Sie setzten ihre Reise fort, bis sie den Flusslauf des Kongos erreichten, dem sie stromaufwärts folgten.

„Falls Dir etwas bekannt vorkommt, sag Bescheid.“ bat Draco.

„Hallo, ich war fünf, als wir dieses Land verließen, glaubst Du, da kann ich mich noch an etwas erinnern?“ fragte Leo aufgebracht. „Und außerdem sieht hier alles gleich aus, wie sollte ich da etwas erkennen?“

„Dann sag mir einfach noch mal alles, an was Du Dich erinnerst.“ bat Draco freundlich.

„Okay, das Einzige, was ich noch genau weiß, ist, dass die Mission mitten im Urwald lag und mit dem Auto nicht zu erreichen war. Die nächste Stadt war ziemlich weit entfernt. Immer, wenn mein Vater oder meine Mutter in die Stadt mussten, dauerte es zwei Tage, bis sie zurück waren. Erst liefen sie fast einen ganzen Tag bis zu dem Dorf, wo sie ihr Fahrzeug stehen hatten und dann dauerte es wohl noch drei bis vier Stunden in die Stadt.“ berichtete Leo, sich bemühend, noch weitere Einzelheiten aus dem Gedächtnis aufzurufen.

„Hm, das ist ja nicht viel.“ meinte Draco. „Aber keine Sorge, wir werden es schon finden.“

Bei nächster Gelegenheit tankte Draco noch mal das Auto voll und kaufte sich eine Karte der Umgebung. Er breitete sie auf der Motorhaube aus und forderte Leo auf, auszusteigen.

„Wir sind hier.“ Draco zeigte auf einen Punkt der Karte. „Aber hier ist nirgendwo eine Mission eingezeichnet.“

„Vielleicht gibt es sie ja schon gar nicht meh.r“ meinte Leo. „Aber was ist das?“ Er tippte mit dem Finger auf einen Punkt mitten im Urwald.

„Sieht aus wie Ruinen.“ antwortete Draco.

„So etwas war in der Nähe.“ sagte Leo aufgeregt. „Ruinen einer alten Stadt oder einer Tempelanlage, ich weiß nicht mehr so genau.“

„Na, das ist doch schon mal ein Anfang.“ erwiderte Draco. „Machen wir uns also auf die Suche nach den Ruinen.“

„Tolle Idee. Und wenn es diese nicht sind, suchen wir halt weiter, laufen wir wochenlang kreuz und quer durch den Busch.“ höhnte Leo.

„Ach, weißt Du was. Wenn es Dir nicht gefällt, dann bleib doch hier und sieh zu, wie Du weiter kommst, ich muss das hier nicht machen.“ zischte Draco wütend.

„Mach ich auch.“ gab Leo ebenfalls wütend zurück, nahm seinen Rucksack und stapfte los.

„Viel Glück.“ rief Draco hinterher, nahm die Karte und setzte sich ins Auto.

‚Kann ich mich wenigstens ganz auf die Suche nach Wanja konzentrieren’ dachte er und starrte Leo wütend hinterher.

Gerade als Draco den Schlüssel herumdrehen wollte, erklang eine leise, weibliche Stimme. ‚Aber nicht alleine, halt ihn auf und nimm ihn mit.’

„Was?“ entfuhr es Draco laut.

‚Tu, was ich sage, später wirst Du es verstehen.’ bat die Stimme.

„Wer bist Du?“ fragte Draco laut.

‚Das alles wirst Du später erfahren.’ bekam er zur Antwort. ‚Aber jetzt fahr hinterher und lad ihn ein.’

„Und falls er recht hat und das nicht die richtigen Ruinen sind? Was dann? Sollen wir den ganzen Urwald durchforsten?“ wollte Draco wissen.

‚Ihr seid auf dem richtigen Weg.’ erklärte die Stimme.

Draco startete das Auto und fuhr Leo nach. Als er ihn eingeholt hatte, fuhr er langsam neben ihm her.

„Los, komm, steig wieder ein.“ forderte er Leo auf. „Ich hab es nicht so gemeint. Und außerdem, wie willst Du weiterkommen? Die ganze Zeit laufen?“

„Kann Dir doch egal sein.“ murrte Leo.

„Ist es aber nicht.“ erwiderte Draco. „Immerhin habe ich Dich quasi dazu gezwungen, mit mir zu fahren, also fühle ich mich jetzt für Dich verantwortlich. Jetzt komm, hör auf, beleidigt zu sein und steig endlich ein.“

„Nein.“ gab Leo trotzig zurück und lief weiter.

Draco fuhr ein bisschen schneller und hielt wenige Meter vor Leo an. Er sprang aus dem Auto und stellte sich Leo in den Weg. Als Leo vor ihm stand, überlegte er kurz, ihn zu manipulieren, damit er wieder einstieg, verwarf den Gedanken aber schnell wieder. Leo sollte freiwillig mit ihm weiterfahren. Draco hielt Leo am Arm fest.

„Steig endlich ein oder ich zwinge Dich gewaltsam dazu.“ sagte Draco hart, jedes einzelne Wort betonend.

Leo sah ihn an und wusste, Draco meinte es ernst. Er würde ihn tatsächlich gewaltsam in das Auto setzen. Also gab er nach und stieg, wenn auch widerwillig, ein.

Draco stieg ebenfalls ein und legte die Karte auf das Lenkrad.

„Wir werden erst mal in diese Richtung fahren, soweit wir kommen.“ erklärte er ruhig. „Dann machen wir uns zu Fuß auf die Suche nach den Ruinen.“

„Wenn Du meinst.“ entgegnete Leo knapp.

Draco faltete die Karte so, dass er sie auf dem Lenkrad liegen lassen konnte.

Als es keine Möglichkeit mehr gab, mit dem Auto weiter zu kommen, stellte Draco es einfach mitten im Busch ab und sie gingen zu Fuß weiter. Es gab keinerlei Pfad, manchmal mussten sie sich den Weg freikämpfen.

Es war heiß und schwül dort im Busch. Leo war müde und durstig, aber er stolperte weiter hinter Draco her, dem das nichts auszumachen schien. Zielstrebig folgte Draco seinem Weg, denn seit sie das Auto verlassen hatten, spürte er die Nähe seines Bruders sehr intensiv.

„Glaubst Du wirklich, wir sind hier richtig?“ fragte Leo zweifelnd. „Denn hier kommt mir nichts, aber auch gar nichts bekannt vor.“

„Wir sind richtig, vertrau mir.“ antwortete Draco. Und er sollte recht behalten. Nachdem sie etwa einen halben Tag gelaufen waren, erreichten sie eine Lichtung, auf der ein altes, verlassenes Gebäude stand.

„Die Mission.“ hauchte Leo erleichtert.

Sie schien schon lange verlassen zu sein, denn überall wucherten Pflanzen. Das Dach war stellenweise eingefallen und dort, wo einst Fenster waren, waren nur noch Öffnungen. Die Eingangstür hing schief in den Angeln.

„Hier finden wir bestimmt nichts mehr, was mit meinen Eltern zu tun hat.“ zweifelte Leo.

Sie betraten das Gebäude, welches viereckig um einen Innenhof gebaut war. Der erste Raum schien so eine Art Empfang gewesen zu, denn außer ein paar Stühlen und einem Tisch stand nichts darin. Auch an den Möbeln hatte der Zahn der Zeit genagt. Draco wandte sich nach links und sie befanden sich in einer Art Krankensaal. Hier standen so etwa zwanzig eiserne, jetzt verrostete Bettgestelle. Anscheinend wurde die Mission überstürzt verlassen, denn auf den Betten lagen noch die Matratzen und vereinzelt auch noch die Decken.

An diesen Saal schloss sich wohl das Schwesternzimmer an. Auch hier sah es nach eiligem Aufbruch aus. Die Schubladen der Schränke, wo wohl die Krankenakten aufbewahrt wurden, standen offen oder waren herausgerissen worden und der Medikamentenschrank schien aufgebrochen worden zu sein. Außer ein paar harmlosen Medikamenten war er leer.

Langsam gingen Draco und Leo weiter. Der nächste Raum schien das Ärztezimmer gewesen zu sein, auch hier herrschte Chaos. Alle Schränke waren aufgebrochen und ausgeräumt worden. An diesem Raum schloss sich so eine Art Labor an. Hier lagen und standen noch die Phiolen und Reagenzgläser in einem wildem Durcheinander herum.

Durch eine Eisentür, welche wohl mal als Abgrenzung gedient hatte, betraten sie nun den hinteren Teil des Gebäudes.

„Unsere Wohnung.“ flüsterte Leo, als sie den langen Flur betraten.

„Das hier war das Schlafzimmer meiner Eltern“ erklärend zeigte er auf die erste Tür.

„Das Bad.“ Naja, dieses Bad bestand aus einer Toiletten, die über einem tiefen Loch stand und einer Dusche, die aus der Tülle einer Gießkanne bestand. Das Wasser zum duschen kam aus einem Wassertank, der wohl mal auf dem Dach stand, und sein Inhalt von der Sonne erwärmt wurde. Nun aber lag dieser Tank auf dem Boden des sogenannten Bades. Das Dach hatte im Laufe der Jahre wohl nicht mehr standhalten können.

„Unsere Küche.“

„Mein altes Kinderzimmer.“

Draco war schweigend neben Leo hergegangen, er spürte, wie die Erinnerung in diesem hochkam.

Als sie dieses Gebäude durchquert hatten, kamen sie wieder an eine Tür aus Eisen, die aber im Gegensatz zu den anderen Türen relativ gut erhalten war.

Als Draco diese öffnete, standen sie in einem voll eingerichtetem Labor, welches ganz offensichtlich noch genutzt wurde. Kaum hatten sie den Raum betreten, wurden sie von lautem Affengekreische empfangen.

„Was ist das denn?“ fragte Leo erstaunt. „Es scheint sich noch jemand hier aufzuhalten. Aber was macht der Jenige hier? Und warum sind die Affen eingesperrt?“

Langsam ging Leo durch das Labor.

„Hier ist alles neu und sauber.“ sprach er zu sich selbst.

Draco, der beim Eintritt ebenfalls erstaunt war, hatte noch etwas ganz anderes gespürt.

„Gibt es hier einen Keller?“ wollte er von Leo wissen.

„Nein, nicht das ich wüsste.“ antwortete dieser. „Aber ich habe die Labore oder die Stationen nie betreten dürfen.“

Suchend sah Draco sich um, als er den Raum durchquerte. Er fand, was er suchte. In einer Ecke des Labors war eine Falltür im Boden. Sie war nicht besonders gesichert.

Draco hob den Deckel an und sah, dass eine Treppe hinunter führte. Gerade, als er hinabsteigen wollte, fragte Leo: „Wo willst Du hin? Warte, ich komme mit.“

Vorsichtig stiegen sie die aus Lehm gehauenen Stufen hinunter. Es war feucht und roch nach Erde. Am Fuß der Treppe befand sich ein kurzer Gang, der vor einer schweren, mit Eisen behauenen Holztür endete. Die Treppe und der Gang wurden von in der Wand eingelassenen Lampen beleuchtet.

Die Tür ließ sich ohne weiteres öffnen und Draco und Leo standen in einem Raum, in dem sich eine Art Zelle befand. Hier gab es nicht soviel Licht wie vorher, der Raum war in Dämmerlicht getaucht.

Ängstlich griff Leo nach Dracos Arm. „Da liegt jemand“ flüsterte er und zeigte auf die Pritsche, die in der Zelle stand.

Draco, der beim Betreten des Raumes gespürt hatte, dass es hier etwas gab, was ihn schwächte, nickte nur und starrte ebenfalls auf die Pritsche.

„Wanja“ sagte er leise und trat an das Gitter.

Der so Angesprochene drehte sich langsam um. „Draco?“ kam es leise fragend zurück.

„Komm nicht näher – Rosenquarz..“ warnte er.

„Ich hab es gemerkt.“ antwortete Draco.

Wanja erhob sich und kam mit schleppenden Schritten näher an das Gitter. Er sah seinen Bruder an, dann bemerkte er Leo, der sich hinter Draco versteckt hatte.

„Was macht er hier?“ fragte Wanja aufgebracht.

„Ich…ich…ich habe Dich gesucht.“ stotterte Leo. „Ihr… ihr kennt Euch?“

„Ja, wir sind Brüder, genauer gesagt, Zwillingsbrüder.“ erwiderte Wanja. „Aber das ist jetzt egal. Ihr müsst von hier verschwinden, bevor der verrückte Professor wiederkommt und erkennt, dass sich noch ein V…“

„Nicht ohne Dich.“ unterbrach Draco hastig. „Ich muss nur noch überlegen, wie ich Dich dort herausbekomme.“

„Nein, lass nur. Ich bin viel zu schwach, um zu fliehen.“ sagte Wanja. „Bringt ihr euch in Sicherheit.“

„Wie lange schon?“ fragte Draco seinen Bruder.

„Ich weiß nicht, ein paar Tage schon. Hier unten verliert man jedes Zeitgefühl.“ erwiderte dieser.

Blitzschnell zog Draco ein Messer aus der Tasche, nahm Leos Hand und schnitt ihm die Handinnenfläche auf. Dann zog er ihn ganz nah zu den Gitterstäben.

„Hier, trink.“ forderte er seinen Bruder auf.

„Nein, ich kann nicht, nicht von ihm.“ wehrte Wanja ab.

„Du muss.t“ entgegnete Draco hart.

Leo stand wie versteinert da und wusste zunächst gar nicht, was ihm geschah.

„Ihr…ihr….ihr seid Vampire?“ flüsterte er erstaunt.

„Ja, ja, später.“ wehrte Draco weitere Fragen ab. Er schob Leos Hand durch die Gitterstäbe bis kurz vor Wanjas Mund. Und Wanja, der dem Geruch des frischen Blutes nicht länger widerstehen konnte, nahm die Hand und saugte vorsichtig daran.

„Sag, wenn Du Dich schwindelig fühlst.“ bat er Leo verzeihend.

Draco sah sich in der Zwischenzeit suchend um, ob sich etwas finden ließe, womit er die Zellentür öffnen konnte. Eigentlich gab es für Vampire ja kaum ein Hindernis, welches sich nicht überwinden ließ, aber Rosenquarz machte sie schwach.

„Der Schlüssel.“ sagte Wanja und zeigte auf die Wand neben der Tür.

„Aber auch aus Rosenquarz.“

„Hast Du genug?“ fragte Draco seinen Bruder.

„Vorläufig ja, ich will ihn ja nicht töten.“

Er ließ Leos Hand los, der immer noch ziemlich sprachlos da stand.

Draco fasste Leos Arm. „Er“ sagte er an seinen Bruder gewandt und zog Leo Richtung Schlüssel.

„Nimm ihn und schließ au.f“ forderte er Leo auf.

Wie benommen tat Leo, wie ihm geheißen. Er nahm den Schlüssel und schloss Wanja die Tür auf. Nachdem dieser die Zelle verlassen hatte, trat er zu Leo und nahm diesen in den Arm. Sanft drückte er ihm einen Kuss auf die Stirn und presste ihn fest an sich. Draco, der die Szene beobachtete, spürte, wie Eifersucht in ihm aufstieg.

„Knutschen könnt ihr später, jetzt sollten wir erst mal sehen, dass wir von hier wegkommen.“ sagte er barsch. Ohne sich weiters um die Beiden zu kümmern, ging er los Richtung Treppe.

„Kommt ihr?“ fragte er, als er dort angekommen war und drehte sich um. Was er dann sah, versetzte ihm wieder einen Stich der Eifersucht.

Wanja hatte einen Arm über Leos Schultern gelegt und Leos Arm lag um Wanjas Hüften. Mit der anderen Hand hielt Leo Wanjas Hand fest. Für Draco sah es aus, als wären sie ein Liebespaar, dabei stützte Leo Wanja nur, weil dieser noch recht schwach war. Wütend auf sich und die anderen Zwei stapfte Draco die Treppe hinauf. Er nahm sich vor, sobald sie hier heraus waren, zu verschwinden. Sollten Wanja und Leo doch glücklich werden, aber ohne ihn.

Oben angekommen, wartete er ungeduldig auf Leo und Wanja. Als sie endlich erschienen, fragte Draco unwirsch: „Ach, seid ihr auch endlich da? Könnt ihr euer Wiedersehen nicht später feiern?“

„Wenn man Dich so reden hört, könnte man vermuten, Du wärst eifersüchtig.“ lachte Wanja schwach.

„Eifersüchtig? Ich? So ein Quatsch, ich will nur von hier weg.“ erwiderte Draco mürrisch.

Gerade, als sie das Labor durch die Tür verlassen wollten, durch die sie hineingekommen waren, öffnete sich einen gegenüberliegende Tür und ein Mann, so etwa Mitte vierzig, betrat den Raum.

„Ach, sieh mal an, Besuch.“ sagte er nach einer kurzen Schrecksekunde. Neugierig musterte er Draco und Leo. „Wie nett, noch einer von der Sorte.“ kicherte er, als sein Blick auf Draco haften blieb. Er richtete seine Augen auf Leo. „Du bist unbrauchbar, Du bist ein Mensch.“ winkte er abfällig ab. „Aber irgendwie kommst Du mir bekannt vor. Hm, lass mal überlegen – rotes Haar, bernsteinfarbene Augen, das hab ich schon mal gesehen, vor langer Zeit.“ Er dachte angestrengt nach, dann schien es ihm plötzlich einzufallen. „Bist Du etwa das Kind von dem Doktor, der diese Mission mal geleitet hat? Ich erinnere mich, Du warst fünf, als ihr plötzlich bei Nacht und Nebel von hier verschwunden seid. Ich hatte gerade meinen Job angetreten, als das passierte. Wie geht es Deinem Vater?“

„Er ist tot.“ antwortete Leo schroff.

„Und Deine Mutter?“ fragte er listig.

„Auch.“ gab Leo kurz zurück.

„Gut, dann wird Dich niemand vermissen.“ vermutete er und ging langsam um die Gruppe herum. „Gut, Du wirst mir als Nahrungsquelle für meine Affen dienen und ihr zwei, “ er wandte sich Draco und Wanja zu, „ihr werdet mir genügend Blut geben können, damit ich meine Experimente fortsetzen kann. Welch ein Glück.“ Sein Lachen klang wie von einem Irren, der er auch wohl war.

Gelassen hatte Draco seinem Gerede zugehört. „Stark genug?“ Diese knappe Frage war an Wanja gerichtet.

„Dafür allemal.“ kam die kurze Antwort. Wanja löste sich von Leo und im nächsten Moment hatten er und sein Bruder den Verrückten überwältigt und an einen Stuhl gebunden. Das alles hatte nur Sekunden gedauert.

Leo war wie erstarrt über die Geschwindigkeit der beiden Brüder. Er hielt sich seine immer noch blutende Hand und zuckte zusammen, als Wanja leise fragte: „Darf ich noch mal?“ und dabei auf die Hand deutete. Leo nickte nur. Wanja nahm vorsichtig die Hand an seine Lippen und trank, sich bemühend, nicht zu sehr zu saugen.

„Und jetzt zu Dir.“ wandte sich Draco hart an den Mann. „Was ist das hier?“

„Ein Labor.“ kam die spöttische Antwort.

„Das seh ich.“ Dracos Stimme wurde wütend. „Ich will wissen, wozu es dient. Und sag mir die Wahrheit, sonst werde ich sie aus Dir heraussaugen.“

„Versuchs doch, ich trage eine Kette aus Rosenquarz. Meinst Du, ich bin so dumm, mich mit eurer Art einzulassen, ohne mich zu schützen?“ Die Stimme tropfte nur so vor Hohn.

„Das hält mich nicht auf.“, erwiderte Draco gelassen. „Du vergisst den Menschen in meiner, unserer Begleitung. Ein kurzer Befehl und die Kette liegt am Boden und Dein Hals ist für mich frei.“ Draco zeigte dabei seine nun langen Eckzähne.

Leo, der gerade protestieren wollte, wurde von Wanja daran gehindert.

„Pst, lass Draco machen.“ zischte er ihm ins Ohr.

Der Mann auf dem Stuhl wurde nun kleinlauter. „Versprichst Du mir, mich am Leben zu lassen, wenn ich Dir die Wahrheit sage?“

„Hm, mal sehen.“ überlegte Draco. „Also, ich höre.“

„Ich mache Experimente an Affen.“ begann der Mann. „Und an Vampiren. Ich will versuchen, herauszufinden, warum ihr nicht krank werdet und nicht altert.“

„Du lügst.“ unterbrach Draco hart.

„Nein, ich lüge nicht.“ rief der Mann ängstlich.

„Doch.“ Draco wandte sich zu Leo um und winkte ihn zu sich.

Der Mann auf dem Stuhl folgte der Szene ängstlich mit den Augen. Als Leo auf Dracos Wink auf ihn zu kam, spiegelte sich seine Angst in den Augen wider.

„Also gut“ rief er. „Ich….ich bin auf der Suche nach einem Mittel, dass uns länger leben lässt, so eine Art Jugendelexier. Dafür brauche ich das Blut von Vampiren, welches ich den Affen injektziere. Dann untersuche ich täglich deren Blut, um zu sehen, wie es sich verändert. Aber bisher ist es mir nicht gelungen, hinter das Geheimnis zu kommen. Entweder starben die Affen oder sie wurden zu Vampiren.“

„Die Du dann freigelassen hast?“ fragte Draco entsetzt.

„Nein, nein, sie sind alle hier in den Käfigen.“ beeilte sich der Mann zu versichern.

Draco drehte sich zu den Käfigen um. „Das sind also alles Vampiraffen?“

„Ja. Eingesperrt und abgesichert durch Rosenquarz.“ kam es schnell von dem Mann. „Und auch die Gitter an den Fenstern sind aus Rosenquarz.“

„Öffne die Käfige.“ befahl Draco Leo.

„Warum sollte ich das tun?“ versuchte Leo aufzubegehren.

„Mach es einfach.“ fuhr Draco ihn an.

„Und wenn ich nicht will?“

„Werde ich Dich dazu zwingen.“

„Und wie?“ Leos Stimme war provokant.

„Hör auf, Draco zu provozieren.“ flüsterte Wanja in Leos Ohr. „In dieser Stimmung ist er zu allem fähig und ich bin nicht stark genug, um Dich zu beschützen.“

„Also gut, ich mach es, aber nur für Dich.“ seufzte Leo ergeben.

„Lasst euer Liebesgesäusel und macht voran.“ zischte Draco.

„Liebesgesäusel?“ lachte Wanja. „Leo und ich ein Liebespaar? Bruder, Du bist verrückt.“

Leo hatte die Schlüssel für die Käfige auf dem Schreibtisch gefunden und schloss nun einen nach dem anderen auf. Es waren insgesamt zehn Stück.

Draco und Wanja hatten sich zwischenzeitlich zu ihm gesellt und als Leo den letzten Käfig geöffnet hatte, zogen sie ihn schnell zur Tür hinaus.

Bevor Draco die Tür von außen verschloss, drehte er sich kurz zu dem immer noch gefesselten Mann und sagte höhnisch: „Viel Vergnügen.“

„Aber Du hast versprochen, mich nicht zu töten!“ schrie dieser hysterisch.

„Ja, aber nicht ich töte Dich, sondern Deine Kreaturen.“ rief Draco durch die geschlossene Tür.

Aus dem Labor war nur noch das laute Kreischen der Affen und die Schreie eines Menschen in Todesangst zu hören.

„Kommt weg von hier.“ sagte Draco und wandte seine Schritte Richtung Urwald.

Erst als nichts mehr zu hören war, hielt Draco an, drehte sich zu Leo und Wanja und beschloss: „So, hier bleiben wir erst mal für einige Zeit, damit Wanja wieder zu Kräften kommt. Wir werden abwechselnd auf die Jagd gehen, damit immer einer bei Leo ist.“

Müde, erschöpft und immer noch gefangen von dem Geschehen, nickte Leo nur ergeben und ließ sich auf den Boden fallen.

„Geht’s Dir gut?“ fragte Wanja besorgt und hockte sich neben ihn.

„Natürlich geht es mir gut. Warum sollte es auch nicht? Ich erfahre innerhalb einiger Minuten, dass ich mit einem Vampir durch halb Europa und halb Afrika gefahren bin und dass mein bester Freund ebenfalls ein Vampir und außerdem noch dessen Zwillingsbruder ist. Mir wurde in die Hand geschnitten und ich habe mit angehört, wie ein Mensch sein Leben verliert. Wie sollte es einem da nicht gut gehen?“ erwiderte Leo mit hysterischer Stimme. Mittlerweile zitterte er am ganzen Körper. Wanja legte tröstend seinen Arm um ihn und zog ihn an sich heran.

Draco, der das alles nicht mehr mit ansehen konnte und wollte, drehte sich weg und zog eine Zigarette aus der Tasche. Er rauchte schweigend und starrte dabei auf den Urwald. Hinter ihm begann Leo jetzt hysterisch zu schluchzen. Draco hörte, wie Wanja beruhigend auf ihn einsprach, aber Leo konnte nicht aufhören. Draco trat seine Zigarette aus, drehte sich zu Wanja und fragte knapp: „Soll ich?“

„Nein, nimm ihm nicht die Erinnerung.“ bat Wanja. „Er wird schon damit klarkommen. Beim Tod seiner Eltern hat er auch so reagiert. Lassen wir ihm etwas Zeit.“

„Wie Du meinst.“ zuckte Draco mit den Schultern. „Es ist immerhin Dein Freund.“ Das Wort Freund betonte Draco mit ironischem Unterton.

Wanja wiegte Leo in seinen Armen und summte dabei die gleiche Melodie wie schon Draco auf dem Weg nach Toulouse. Und auch dieses Mal verfehlte sie ihre Wirkung nicht, Leo schlief ein.

„So, ich glaube, wir müssen da mal was klarstellen.“ sagte Wanja, als er merkte, dass Leo tief und fest schlief. „Leo ist mein Freund, aber nicht in dem Sinne, der Dir vorschwebt. Ich habe absolut kein Liebesverhältnis mit ihm, mein sexuelles Verlangen bezieht sich immer noch auf weibliche Wesen. Und das wird sich auch nie ändern. Du würdest meine Freundschaft zu ihm besser verstehen, wenn Du ihn gesehen hättest, als ich ihn kennenlernte. Es war an meinem ersten Tag im Schloss seines Vaters, wo ich als Gärtner tätig war. An diesem Tag verließ Leo zum ersten Mal sein Zimmer, wo er jahrelang im Bett gelegen hatte. Er saß, trotz der Hitze die an jenem Tag herrschte, in dicke Decken gehüllt in einem Liegestuhl auf der Terrasse. Auch als er Wochen später die ersten kleinen Spaziergänge durch den Park unternahm, trug er immer lange, schwarze Jeans und dicke, viel zu große schwarze Pullover. Das, was von seinem Körper zu sehen war, sah aus, als wäre nur Haut über ein Skelett gespannt, er war also sehr, sehr dünn. Nicht einmal der ausgehungerste Vampir wäre auf die Idee gekommen, von ihm zu trinken. Bei einem seiner Spaziergänge, die von Tag zu Tag länger wurden, sprach er mich an und fragte nach dem Namen der Blumen. Von da an suchte er mich jeden Tag auf und wir unterhielten uns. Er erzählte mir von Afrika und der überstürzten Abreise von dort. Und von seiner langen Krankheit, die ihn kurz nach der Ankunft im Schloss befiel und ihn jahrelang ans Bett fesselte. Die einzigen Menschen, die er bis dahin sah, waren seine Eltern und sein Privatlehrer, der ein alter, verknöcherter Mann war. Er wusste nichts von dem Leben außerhalb der Schlossmauern. Ich spürte das Vertrauen, welches er mir entgegen brachte und sein Verlangen, mehr über das Leben zu erfahren und versprach ihm, ihn eines Tages mit nach draußen zu nehmen. Ja, und dann kam der Tag, als seine Eltern starben. Leo und ich waren zu diesem Zeitpunkt gemeinsam im Schloss, er hatte mir sein Zimmer gezeigt. Als die Polizei ihm den Tod seiner Eltern mitteilte, reagierte er genauso wie vorhin. Später zeigte er mir den Brief seiner Eltern und ich begann, Nachforschungen anzustellen. Alle die im Schloss tätig waren und die Bewohner des Dorfes in unmittelbarer Nähe waren der Meinung, Leo hätte sich mit Lepra angesteckt und wäre deshalb so lange krank gewesen. Aber das war nicht der Fall, wie ich herausfand. Eines Nachts brach ich in das Arbeitszimmer seines Vaters, welches stets verschlossen war, ein und fand so eine Art Tagebuch. Leos Vater hatte es bei der Rückkehr nach Deutschland begonnen. Mit Entsetzen las ich, dass es der Vater selber war, der Leo mit Injektionen krank machte, aus welchem Grund auch immer. Es war nicht wirklich ersichtlich, nur dass es etwas mit Leos Geburt und diesem Ort zu tun hatte. Aus diesem Grund entschloss ich mich, hierher zu fahren, um zu sehen, ob ich hier etwas herausfinden würde. Naja, den Rest kennst Du ja.“

Draco hatte aufmerksam zugehört und sah nun nachdenklich auf die Glut seiner Zigarette, die er sich zwischenzeitlich angezündet hatte.

„Soweit versteh ich das ja alles. Aber aus welchem Grund heuerst Du ausgerechnet dort als Gärtner an? Du hast es doch, genauso wenig wie ich,nicht nötig zu arbeiten?“ fragte er Wanja.

„Diese Frage hab ich mir auch schon öfter gestellt.“ erwiderte Wanja. „Aber irgendetwas ließ mich bei meinen Reisen an diesen Ort kommen. Als ich dort war, überkam mich plötzlich der Wunsch, in diesem Schloss irgendeine Arbeit anzunehmen. Es war, als ob mir jemand Unsichtbares befehlen würde, es zu tun.“

„Also hat eine höhere Macht uns anscheinend auserkoren, die Beschützer Leos zu werden.“ lachte Draco auf.

„Nur vor wem und warum?“ sinnierte Wanja. „Naja, vielleicht erfahren wir es ja irgendwann.“

Mittlerweile war es Nacht geworden.

„Geh auf die Jagd.“ empfahl er Wanja. „Ich achte derweil auf Leo, aber Du musst wieder zu Kräften kommen. Nimm Dir Zeit und trinke Dich satt.“

Wanja ließ sich das nicht zweimal sagen, er machte sich sofort auf den Weg. Draco setzte sich vor Leo und betrachtete diesen. Leo lag zusammen gerollt auf dem nackten Waldboden und schlief, jetzt schon ruhiger als vorher.

‚Wer oder was bist Du, dass wir auf Dich aufpassen sollen? Und warum ausgerechnet wir?’ dachte Draco, ohne auf eine Antwort zu hoffen. In Draco wuchs das Verlangen, Leo zu berühren, seine warme Haut unter seinen Fingern zu spüren. Er wollte in seine bernsteinfarbenen Augen sehen und über sein rotes Haar streicheln, ihn fest in den Armen halten. Aber dieses Mal war kein sexuelles Verlangen im Spiel.

Wanja kehrte im Morgengrauen zurück. Er sah schon besser aus, seine Haut war nicht mehr so grau und fahl. Auch seine Augen leuchteten fast schon wieder in seiner gewohnten Farbe. Er hatte eins der Tiere, welche er in dieser Nacht ausgetrunken hatte, mit gebracht.

„Schläft er noch?“ fragte er Draco leise.

„Tief und fest. Und ohne meine Hilfe.“ antwortete Draco.

„Gut. Wir sollten ein kleines Feuer machen und dieses Tier darüber braten, Leo wird bestimmt hungrig sein, wenn er aufwacht.“ meinte Wanja. „Und dann sollten wir überlegen, was wir machen. Wir können mit Leo nicht tagelang hier im Busch hausen.“

„Wenn Du Dich stark genug fühlst, könnten wir zu meinem Auto zurückkehren und dieses Land verlassen.“ schlug Draco vor. „Es steht etwa einen halben Tagesmarsch von hier entfernt.“

„Lass uns noch ein, zwei Tage hier verbringen. Durch das Blut der Tiere dauert es etwas länger, bis ich zu meiner normalen Stärke zurück finde.“ erwiderte Wanja. „Wir sollten zur Mission zurückkehren und uns dort einrichten. Dort haben wir Wasser und ein Dach über dem Kopf.“

„Wie wird Leo auf Deinen Vorschlag reagieren? Nachdem was gestern dort geschah?“ äußerte Draco Bedenken.

„Er ist stärker, als Du denkst.“ wischte Wanja die Bedenken beiseite. „Und außerdem befindet sich unter dem anderen Labor noch ein Keller, der allerdings klimatisiert ist und nicht so feucht, wie der, in dem ich gefangen war. Dort befinden sich etliche von handgeschriebenen Büchern, von denen ich vermute, dass es Aufzeichnungen von Leos Vater sind. Als ich das erste Mal dort unten war, kam dieser Verrückte und nahm mich gefangen.“

„Du hast also was gefunden?“ Diese Frage kam von Leo, der aufgewacht war, ohne dass Draco oder Wanja es bemerkt hatten.

„Ja, aber was genau, kann ich nicht sagen. Ich kam ja nicht dazu, auch nur eins der Bücher zu lesen.“ antwortete Wanja.

„Dann lass uns zurückkehren und sehen, um was es sich handel.t“ sagte Leo aufgeregt.

„Trotz der Geschehnisse vom gestrigen Tag?“ wollte Draco nun wissen.

„Was? Ach so, das.“ winkte Leo ab. „Er wird’s wohl hinter sich haben. Wäre er am Leben geblieben, hätte er es wieder und wieder getan. Und wer weiß, vielleicht wären ihm irgendwann ein paar von seinen Affen entwichen und der Urwald würde von tierischen Vampiren wimmeln.“ All das sagte Leo ohne Emotionen.

„Also gut, dann kehren wir zur Mission zurück.“ beschloss Draco.

Sie richteten sich in dem ehemaligen Ärztezimmer ein, weil es das dichteste Dach hatte. Und wie jeder andere Raum hatte es auch eine Tür zum Innenhof hinaus.

Wanja zeigte Draco den unterirdischen Raum, in dem die Bücher lagerten. Sie waren wirklich noch in einem guten Zustand. Wanja und Draco beschlossen, eins nach dem anderen zu lesen, in der Hoffnung, sie würden etwas finden, was den Selbstmord von Leos Eltern erklären würde.

Draco beschloss, bevor sie begannen, die Bücher zu lesen, die Schlafsäcke aus dem Auto zu holen. Da er dieses Mal keine Rücksicht auf einen Menschen nehmen musste, war er schnell zurück. Wanja hatte zwischenzeitlich begonnen, die Bücher nach oben zu bringen und war dabei sie nach Datum zu sortieren. Soweit er feststellen konnte, hatte Leos Vater ein Jahr vor dessen Geburt damit begonnen, Tagebuch zu führen. Als die Dämmerung begann, machte sich Wanja auf, um im Busch zu jagen. Draco sammelte Holz und entzündete ein Feuer im Innenhof.

Leo, der den ganzen Tag damit verbracht hatte, einige Tagebücher durch zu blättern, setzte sich zu Draco.

„Was ist eigentlich mit Dir? Musst Du nicht auch auf die Jagd? Du benötigst doch auch Blut zum Überleben.“ richtete er sich an Draco.

„Ja, schon, aber ich brauche es nicht jeden Tag.“ antwortete dieser. „Wanja hat es dringender nötig, weil er zu lange ohne war und ihm außerdem jeden Tag noch etwas davon entnommen wurde.“

„Ihr müsst also nicht jeden Tag frisches Blut zu Euch nehmen?“ fragte Leo weiter.

„Nicht unbedingt.“ erwiderte Draco. „Es reicht, wenn wir einmal in der Woche trinken.“

„Und dann sucht Ihr Euch Menschen und saugt sie aus, bis sie tot sind?“

„Nein, wir nehmen nicht alles. Meistens reichen ein, zwei Liter.“

„Du hast also noch nie einen Menschen dabei umgebracht?“ wollte Leo wissen.

„Doch, am Anfang, als wir noch Neugeborene waren, schon. Aber das ist schon lange her.“ gab Draco Auskunft.

„Neugeborene? Was heißt das?“

„Wenn man verwandelt wird, ist man erstmal ein Neugeborener. So nennt man junge Vampire, die noch unkontrolliert ihren Hunger, Durst stillen.“

„Und wie wird man zum Vampir?“

„In dem man in die falsche Gesellschaft gerät.“ knurrte Draco in Erinnerung an seine Verwandlung.

„Das heißt?“ bohrte Leo weiter.

„Warum willst Du das wissen? Hast Du die Absicht, Vampir zu werden?“ fragte Draco belustigt.

„Vielleicht.“ zuckte Leo mit den Schultern. „Nein, das war nur ein Scherz. Ich bin einfach nur neugierig. Und, naja, ich habe vorher noch nicht soviel von Vampiren gehört. Genau genommen, eigentlich gar nichts. Solange meine Eltern lebten, gab es für mich nur Bücher über Geschichte. Da war kein Roman oder Märchen, welches ich lesen konnte. Und Fernsehen gab es schon gar nicht. Ich sollte nur lernen, lernen, lernen. Warum auch immer.“

„Ihr hattet keinen Fernseher?“ erkundigte sich Draco erstaunt.

„Doch, schon, aber in meinem Zimmer gab es so etwas nicht.“ erklärte Leo. „Und da ich seit meinem fünften Lebensjahr weder das Zimmer noch das Bett verlassen konnte, wusste ich bis zum Tod meiner Eltern nicht, dass es so etwas überhaupt gibt.“

„Und dann hast Du innerhalb von ein paar Wochen Karate gelernt, bis zum schwarzen Gürtel?“ fragte Draco belustigt.

„Ach, das. Das war geschwindelt.“ gab Leo zu.

„Und der Truckfahrer mit den gebrochenen Armen?“

„Das auch.“ erwiderte Leo kleinlaut.

„Und was sonst noch?“ wollte Draco streng wissen.

„Sonst nicht mehr.“ erwiderte Leo. „Naja, okay, das mit dem Vermögensverwalter war auch nicht ganz so. Er hat mir kein unmoralisches Angebot gemacht, er wollte mich eigentlich nur adoptieren.“ gab er mit gesenktem Kopf zu.

„Und wozu das alles?“ fragte Draco. „Ich hätte Dich auch so mitgenommen und berührt hätte ich Dich auch nicht.“

„Ich weiß nich.t“ antwortete Leo beschämt. Er stand auf, reckte sich und sagte leise: „Ich geh jetzt schlafen, gute Nacht.“

Draco sah ihm kopfschüttelnd hinterher und lächelte. Er blieb am Feuer sitzen und wartete auf seinen Bruder, der erst im Morgengrauen zurückkehrte.

„Hast Du noch was übrig gelassen?“ fragte Draco lachend. „Ich bräuchte nämlich auch mal was.“

„Ist noch genug da.“ erwiderte Wanja knapp.

„Was ist los?“ wollte Draco besorgt wissen. „Du scheinst verändert zu sein.“

„Nichts, alles in Ordnung.“ antwortete Wanja. „Ich bin wohl nur etwas frustriert, weil es einfach so lange dauert, bis ich wieder zu Kräften komm. Ich bin einfach noch zu langsam, und sehen und hören kann ich auch nicht so wie vorher.“

„Das wird schon wieder.“ tröstete Draco ihn und machte sich auf den Weg.

Als er zurückkam, saß Wanja am Feuer, welches er am Brennen hielt und las in einem der Tagebücher.

„Wo ist Leo? Schläft er noch?“ fragte Draco.

„Da.“ Wanja deutete mit dem Kopf in Richtung des Labors, in welchem er gefangen gehalten worden war.

Draco folgte der Geste und sah Leo am Fenster stehen und in das Innere hinein schauen.

„Was macht er da?“ wollte Draco wissen.

„Keine Ahnung. Geh hin und frag ihn.“ knurrte Wanja.

„Später vielleicht.“ erwiderte Draco. „Und hast Du schon was gefunden?“

„Noch nichts, was mit Leo zu tun hat.“ erklärte Wanja. „Aber etwas über diese Mission, die eigentlich keine Mission war, sondern eher ein Krankenhaus für Leprakranke. Deshalb liegt es auch so versteckt im Busch. Und das wohl mit voller Absicht. So, wie ich es hier lese, hat Leos Vater mit den Kranken experimentiert. Er wollte ein Heilmittel gegen diese Krankheit finden. In den ersten Büchern stehen nur etliche Formeln und wie viele Fehlschläge es gab.“

„Dann sollten wir vielleicht mit den späteren Jahrgängen beginnen.“ schlug Draco vor.

„Hab ich mir auch schon gedacht.“ stimmte Wanja zu und legte das Buch, welches er gerade las, beiseite. „Zum Glück stehen ja die Jahreszahlen außen auf dem Einband. Beginnen wir also ein Jahr vor Leos Geburt.“

Da es von jedem Jahrgang mindestens zwei Bücher gab, nahm sich jeder von ihnen eines. Draco begann zu lesen, aber er konnte sich nicht richtig konzentrieren, immer wieder schweifte sein Blick ab, hin zu Leo, der immer noch da stand und in das Fenster starrte. Schließlich hielt er es nicht mehr aus, stand auf und ging zu Leo. Er stellte sich schräg hinter ihn, damit er nicht zu nahe an die Gitterstäbe des Fensters gelangte, die immerhin auch aus Rosenquarz waren.

„Was gibt es hier Spannendes zu sehen?“ sprach er Leo an. Dieser war so sehr in Gedanken versunken, dass er Dracos erscheinen gar nicht bemerkt hatte und schrak bei dessen Frage sichtlich zusammen.

„Nichts, ich lerne.“ antwortete Leo ruhig.

„Du lernst? Und was, wenn ich fragen darf?“ fragte Draco erstaunt.

„Na, wie sich Vampire verhalten.“ erwiderte Leo gelassen. „Immerhin bin ich zurzeit mit zwei von ihnen im Urwald.“

„Ach, und Du meinst, unser Verhalten aus dem der Affen ablesen zu können?“ erkundigte sich Draco.

„Es ist jetzt erst zwei Tage her, seit sie aus den Käfigen gelassen wurden.“ sagte Leo, ohne auf Dracos Frage einzugehen. „Und es sind nur noch drei von ihnen am Leben. Der Rest liegt tot am Boden, ebenso wie der verrückte Doktor. Naja, er liegt nicht am Boden, er sitzt, vielmehr hängt, auf dem Stuhl, wo Ihr ihn angebunden habt. Viel kann man von ihm nicht mehr erkennen, sie haben ihn übel zugerichtet. Auch die übrigen Leichen sehen nicht besser aus. Einigen von ihnen wurden sogar die Gliedmaße abgerissen.“ berichtete Leo in einem Ton, als wäre es ganz normal, so etwas zu sehen und darüber zu reden.

Draco schüttelte den Kopf. „Macht es Dir nichts aus, so etwas zu sehen? Es muss Dir doch bestimmt grausam vorkommen.“

„Nein. Warum sollte es? Ihr Verhalten erscheint mir ganz normal. Immerhin brauchen sie das Blut, um zu überleben.“ entgegnete Leo.

„Das ist richtig.“ stimmte Draco zu. „Und da sie, wie es scheint, alles Neugeborene sind, beherrscht der Gedanke an Blut im Moment ihr ganzes Sein.“

„Erzähl mir mehr.“ bat Leo, ohne den Blick aus dem Raum zu wenden.

„Worüber?“ fragte Draco irritiert.

„Über das Vampirwerden und das Vampirsein.“ antwortete Leo.

„Hm, na gut, also zum Vampir wird man nicht einfach nur durch den Biss eines anderen Vampirs, man muss Vampirblut getrunken haben. Wenn man dann innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden stirbt, verwandelt man sich. Es ist aber nicht so, dass man dann wirklich tot ist, es ist, als ob man in ein tiefes Koma fällt. Und wenn man wieder erwacht, fühlt man sich erst mal sehr seltsam. Deine Kehle brennt, als wenn Du tagelang durch eine Wüste geirrt wärst ohne einen Schluck Wasser. Und egal, was Du trinkst, es wird nicht besser. Bei Deiner ersten Begegnung mit einem Menschen steigt Dir dann ein Duft in die Nase, dem Du nicht widerstehen kannst. Wenn Du das erste Mal Deine Zähne in die Schlagader eines Menschen bohrst und das warme Blut langsam Deine Kehle hinunter rinnt, fragst Du Dich, ob es jemals etwas Besseres als das gegeben hat. Ja, und dann beginnt Deine Sucht, täglich davon zu kosten. Im ersten Jahr nennt man alle Vampire Neugeborene, weil sie sich so verhalten, wie ein neugeborener Mensch, der auch immer nur trinken will, um zu wachsen.“

„Und wie lernt ihr es, die Kontrolle über Euch zu bekommen?“ warf Leo dazwischen.

„Es gibt in Frankreich jemanden, der alle Neugeborenen zu sich holen lässt. Dort lernt man dann nach und nach, seinen Durst zu kontrollieren und niemanden mehr zu töten. Diese Person ist, sozusagen, die Herrscherin oder besser gesagt, die Wächterin über uns. Überall auf der Welt hat sie ihre Leute, die die Vampire im Auge haben. Sollte auch nur einer von ihnen vergessen, dass niemand mehr getötet werden darf, wird er sofort zu ihr gebracht und von ihr bestraft, was nicht selten mit dem Tod endet. Wanja und ich haben auch unser erstes Jahr dort verbracht und viel, sehr viel von ihr gelernt.“

„Und wie lange ist es her, dass ihr zu Vampiren wurdet?“ wollte Leo wissen.

„Zweihundert Jahre.“ gab Draco Auskunft.

„Zweihundert Jahre.“ sagte Leo nachdenklich. „Dann habt ihr miterlebt, wie der Strom, die Eisenbahn, das Auto, das Telefon erfunden wurde. Hm, ihr wärt eine große Hilfe für einen Geschichtsstudenten.“

Draco lachte.

„Was ist so lustig?“ fragte Wanja, der unbemerkt zu ihnen getreten war. „Etwa das Schauspiel dort drinnen?“

„Nein.“ antwortete Draco immer noch lachend und erzählte Wanja, was so lustig war.

„Das wäre doch mal eine Geschäftsidee, Nachhilfe in Geschichte..“ lachte Wanja ebenfalls.

Im Inneren des Gebäudes begannen die Affen zu kreischen.

„Oh, es geht wieder los.“ sagte Leo und wandte seine ganze Aufmerksamkeit dem Geschehen zu.

Auch Wanja und Draco richteten ihre Blicke ins Gebäude. Die drei übrigen Affen versuchten nun, sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen. Zwei von ihnen gelang es schließlich, den dritten zu überwältigen. Sich nicht aus den Augen lassend, biss jeder ihn in die Halsschlagader und saugte gierig an seinem Hals, bis er tot war. Aber durch das geteilte Mahl war ihr Hunger noch nicht gestillt und so gingen sie jetzt aufeinander los. Sie entwickelten bei ihrem Kampf eine ungeheuere Kraft. Immer wieder versuchten sie, den anderen an die Gitterstäbe zu drücken, wohl wissend, dass er dann schwächer wurde. Aber immer, wenn einer kurz davor war, entwickelte er eine noch größere Kraft und warf seinen Gegner quer durch den Raum. Mittlerweile gab es im ganzen Labor nicht mehr ein heiles Glas oder Regal. Sie hatten während ihres Kampfes die ganze Einrichtung zerstört.

Als am Ende nur der Stärkste überlebt hatte, wandte sich Wanja an seinen Bruder. „Was machen wir nun mit ihm? Das Beste wäre, ihn zu töten und dann das Gebäude niederzubrennen.“

„Und wie willst Du ihn töten?“ fragte Draco. „Ich geh da bestimmt nicht rein.“

Wanja dachte eine Weile nach.

„Wie wäre es damit: Wir schneiden Leo in die Hand, stecken sie durch Gitterstäbe und wenn er nah genug dran ist, rammen wir einen Pfeil aus Rosenquarz in sein Herz.“ schlug er vor.

Draco fuhr wild herum und starrte seinen Bruder wütend an. „Spinnst Du? Sollen wir Leos Leben riskieren? Du weißt genau, dass wir, wenn wir mit Rosenquarz in Berührung kommen, unsere Kraft verlieren. Er wird sich Leos Hand schnappen und sie nicht eher loslassen, bis kein Tropfen Blut mehr herauskommt“ fauchte er wütend.

„Dann gebt mir halt vorher euer Blut zu trinken.“ wagte Leo zaghaft auf den Vorschlag Wanjas einzugehen. „Dann wach ich halt als Vampir wieder auf.“

„So einfach ist das nicht.“ zischte Draco. „Wenn er Dich aussaugt, wachst Du nicht wieder auf, weil Dir dann unser Blut nichts nutzen wird. Es wird genau so aus Deinem Körper gesaugt wie Dein eigenes.“

„Dann mach einen anderen Vorschlag.“ knurrte Wanja.

„Lasst uns diese Nacht darüber nachdenken, vielleicht weiß ich morgen ja etwas.“ bat Draco, der sich bei dem Gedanken daran, dass Leo geopfert werden sollte, am liebsten auf seinen Bruder gestürzt hätte.

„Okay.“ gab Wanja bereitwillig nach und ging zum Feuer zurück. Draco und Leo folgten ihm.

Leo ließ sich gegenüber den beiden Brüdern nieder und blickte nachdenklich zu ihnen herüber. Zuerst sah er Wanja an. Dessen kastanienfarbenes Haar hatte durch das Feuer einen rötlichen Schimmer. Er dachte an die Zeit zurück, als er Wanja kennenlernte und daran, dass er sich wünschte, so einen Bruder wie ihn zu haben. Noch immer waren Leos Gefühle für Wanja mehr brüderlich. Dann blickte er zu Draco, dessen schwarzes Haar durch das Feuer nicht seine Farbe änderte. Was genau er für ihn empfand, konnte Leo nicht bestimmen. Bei seinem Anblick schlug sein Herz schneller und es kribbelte in seinem Bauch.

„Bald ist Neumond und danach beginnt die Regenzeit.“ unterbrachen Dracos Worte Leos Gedanken. „Wir sollten sehen, dass wir von hier wegkommen.“

„Okay.“ erwiderte Wanja. „Wir sollten aber die Bücher, die wir noch nicht gelesen haben, mitnehmen. Ich würde vorschlagen, wir brechen morgen Mittag auf.“

„Gut. Während Du diese Nacht noch dazu nutzt, noch etwas Kraft zu tanken, werde ich die Bücher aussuchen, die wichtig zu sein scheinen.“ schlug Draco vor. „Und Du,“ wandte er sich an Leo, „solltest schlafen, damit Du morgen fit bist. Immerhin haben wir einen halben Tagesmarsch vor uns.“




6. Kapitel




Am nächsten Morgen spürte Leo beim Verlassen der Mission, dass etwas nicht stimmte. Er sah, dass Draco alle Bücher, die ihm unwichtig erschienen, in der Nacht verbrannt hatte. Es waren etwa noch zehn Stück übrig geblieben.

Von beiden Brüdern war nichts zu sehen. Leo ging noch mal zu dem Labor und warf einen Blick durch das Fenster. Der letzte Affe saß auf dem Boden. Als er Leo erblickte, sprang er auf und sprang kreischend an das Gitter des Fensters. Er steckte eine Hand hindurch und versuchte, Leo zu fassen.

„Bist Du verrückt? Komm sofort da weg!“ hörte Leo Draco rufen, dann wurde er gepackt und weggezogen.

„Sag mal, bist Du lebensmüde? Wie kannst Du nur so nah an das Fenster gehen?“ fuhr Draco ihn an. „Zum Glück sind die Gitter aus Rosenquarz und schwächen ihn, denn wenn er Dich zu fassen gekriegt hätte, wäre es um Dich geschehen. Er ist ein Neugeborener und hat seit gestern kein Blut mehr bekommen.“

„Entschuldige, aber ich wollte doch nur sehen, ob er noch lebt,“ gab Leo zurück. „Und er sah so traurig aus.“

„In dem Stadium, in dem er sich befindet, braucht er noch sehr viel frisches Blut,“ begann Draco, schon ruhiger, zu erklären. „Und er reagiert auf jeden noch so kleinen Hauch. Und da er jetzt keine Möglichkeit mehr hat, Blut zu bekommen, wird er in den nächsten Tagen unter höllischen Schmerzen leiden, falls es uns nicht gelingt, ihn zu töten.“ Während Draco sprach, ging sein Blick immer Richtung Busch. Irgendwie erschien er Leo nervös.

„Was ist los? Stimmt etwas nicht?“ fragte Leo vorsichtig.

„Ich weiß nicht, Wanja ist noch nicht zurück“ antwortete Draco. „Sonst erscheint er immer im Morgengrauen.“

„Meinst Du, ihm ist etwas passiert?“

„Nicht in dem Sinne von gebrochenem Bein oder so,“ sagte Draco. „In der Beziehung sind wir unverwundbar. Aber ich fühle, dass etwas nicht stimmt. Ich kann nur nicht definieren, was es ist.“

Wieder ging sein Blick sorgenvoll Richtung Busch.

„Willst Du ihn suchen?“ schlug Leo vor.

„Und Dich alleine hier zurücklassen? Auf keinen Fall. Nicht nachdem, was Du gerade gemacht hast,“ wehrte Draco ab. „Wir werden warten, irgendwann wird er ja erscheinen.“

„Wie Du meins,t“ erwiderte Leo und sah Draco an. Trotz des langen Aufenthaltes hier im Busch, sah seine Kleidung ordentlich und gepflegt aus und auch sein Äußeres war sauber und gepflegt, während er, Leo, sich schmutzig und unwohl fühlte.

„Wir werden noch etwas warten, schließlich weiß Wanja, dass wir heute von hier fort wollen,“ beschloss Draco.

„Und warum muss es ausgerechnet heute sein?“ wollte Leo wissen.

„In drei Tagen ist Neumond und danach beginnt die Regenzeit,“ erklärte Draco. „Und ich habe keine Lust, durch knöcheltiefen Morast zu stapfen, zumal wir ja langsamer voran kommen.“

„Entschuldige, dass ich nur ein Mensch bin,“ sagte Leo schnippisch.

„Na, wir sind ja heute empfindlich,“ lachte Draco. „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glatt behaupten, Du hast Deine Periode.“

„Meine was?“ fragte Leo erstaunt.

„Periode? Menstruation?“ antwortete Draco erstaunt. „Noch nie was von gehört?“

„Äh….nein,“ erwiderte Leo unsicher. „Was soll denn das sein?“

„Hast Du in Biologie nicht aufgepasst?“ wollte Draco wissen.

„Doch, eigentlich schon,“ sagte Leo zögernd.

„Na, dann kennst Du ja den Unterschied zwischen Mann und Frau und wirst wissen, dass das eine Sache ist, die die Frauen betrifft,“ meinte Draco.

„Ach so, das meinst Du. Ja klar kenn ich den,“ gab Leo nicht sehr überzeugend zurück.

„Nein, tust Du nicht,“ seufzte Draco, der die Lüge in Leos Stimme erkannte. „Aber ich habe jetzt keine Lust darauf, Dich aufzuklären. Frag einfach meinen Bruder, der wird es Dir bestimmt mit Freuden erklären.“

„Okay, mach ich,“ nickte Leo.

Draco sah immer wieder in die Richtung, aus der er Wanja erwartete. Jetzt war es schon fast Mittag und noch immer war er nicht zurück. Irgendetwas stimmte da nicht.

„Geh ihn suchen,“ bat Leo und legte Draco eine Hand auf den Arm. „Ich verspreche Dir hoch und heilig, nicht zu dem Labor zu gehen.“

„Wirklich nicht?“ Skeptisch schaute Draco Leo an.

„Nein. Ich werde mich hier hin setzen und etwas in den Tagebüchern meines Vaters lesen,“ versprach Leo.

Draco zögerte noch. Er konnte Leo auch in den Schlaf versetzen und sich dann auf die Suche nach seinem Bruder machen, aber irgendwie scheute er auch davor zurück. Er ahnte, wenn Leo das herausfinden würde, würde er ziemlich wütend auf ihn sein und kein Wort mehr mit ihm sprechen.

„Also gut, ich vertraue Di,r“ seufzte er ergeben. „Ich werde bald wieder zurück sein, und das hoffentlich mit meinem Bruder.“

Nach diesen Worten wandte er sich dem Busch zu und ging, immer noch zögernd los. Kurz bevor er in dem undurchdringlich Dschungel verschwand, drehte er sich noch mal kurz um. Leo saß am Feuer und hatte sich eines der Bücher genommen. ‚Hoffentlich hält er sein Versprechen’ dachte Draco, dann betrat er den Urwald. Er versuchte, Kontakt mit Wanja aufzunehmen, was aber nicht gelang. Immer wieder schien es, als würde er gegen eine Mauer stoßen. ‚Seltsam’ dachte Draco. ‚Ich kann doch seine Spur riechen, wieso erreiche ich ihn nicht?’ Er folgte dieser Spur, die plötzlich abrupt endete. Draco war ratlos.

Leo hatte in der Zwischenzeit eins der Bücher seines Vaters geöffnet und begann zu lesen.


Es herrschen unruhige Zeiten hier im Land. Wie lange werden wir hier noch sicher sein? Bisher wurden wir noch nicht entdeckt. Aber wird es so bleiben? Unsere Forschungsstation ist ja als Mission für Leprakranke getarnt. Nun ja, Leprakranke haben wir wirklich hier, nur dass wir sie nicht behandeln, sondern als Versuchskaninchen für unsere Forschung brauchen.

Bisher ist es uns nicht gelungen, ein wirksames Mittel gegen diese Krankheit zu finden. Also Versuche schlugen fehl. Entweder trat bei den Kranken keine Besserung ein oder sie starben. Mein Assistend

t, Dr. M. war genau so besessen davon wie ich. Aber langsam kamen mir Zweifel.

Seit die Unruhen begannen, waren alle meine Schwestern fortgegangen, nur noch meine Frau, mein Assistend und ich waren hier. Naja, und gut zwanzig Patienten. Ich überlegte, die Mission aufzugeben und zurück nach Deutschland zu gehen, wo ich das Erbe meines Vaters antreten wollte. Meine Frau und ich würden dann in dem Schloss leben, welches ich geerbt hatte und würden von dem Geld leben können, welches mein Vater mir hinterlassen hatte.

Aber was sollte mit den Kranken geschehen? Konnten wir sie so einfach ihrem Schicksal überlassen? Durch meine einheimisch en Mitarbeiter wusste ich, dass niemand freiwillig dieses Land, auf welcher die Mission stand betreten würde. Erstens hatten alle Angst vor dieser Krankheit und zweitens war der Legende nach dieses Land verflucht. In den Tempelruinen, die einige Meter von uns entfernt standen, sollte der Geist eines mächtigen Gottes hausen. Es sollte sich dabei um den Löwengott handeln, der sich regelmäßig ein Menschenopfer holte.

Mitten in meine Überlegungen hinein, klopfte es an die Tür und meine Frau betrat mein Arbeitszimmer. Bevor ich ihr meine Pläne mitteilen konnte, sah sie mich mit strahlenden Augen an und verkündete mir, sie wäre schwanger. Jetzt, nach all den Jahren, die wir vergeblich gehofft hatten, sollten wir endlich Eltern werden.

Sie erzählte mir, dass sie bei ihrem letzten Besuch in dem Dorf, welches einen Tagesmarsch von uns entfernt lag, eine alte Frau getroffen hätte, mit der sie sich lange unterhalten habe. Es sei eine Weiße gewesen und da sie so lange niemanden getroffen hatte, der unsere Hautfarbe hatte, hätte sie sich über eine Unterhaltung mit ihr so sehr gefreut, dass sie ihr alles erzählt hätte. Als meine Frau dann erwähnte, wie sehr wir unter unsere Kinderlosigkeit litten, hätte ihr diese Frau eine Kräutermischung mitgegeben, wovon meine Frau täglich einen Tee bereiten sollte.

Natürlich freute ich mich, endlich Vater zu werden. Jahrelang hatte ich mir einen Sohn gewünscht, der mein Erbe fortführen sollte. Liebevoll nahm ich meine Frau in den Arm und teilte ihr mit, dass wir dieses Land in den nächsten Tagen verlassen würden. Aber sie sah mich nur entsetzt an und sagte unter Tränen, dass ihr jetzt eine Reise nicht gut tun würde. Immerhin wäre sie schon Mitte vierzig und sie wolle das Kind, auf welches sie so lange gewartet hatte, nicht verlieren. Es wäre unsere letzte Chance, Eltern zu werden.

Ich bat sie, sie untersuchen zu dürfen, um zu sehen, ob es sich nicht um einen Irrtum handelte, aber es stimmte, sie war tatsächlich schwanger und so wie es aussah, würde eine Reise diesem Kind wirklich nicht gut tun. Also beschloss ich, hier zu bleiben.

In den nächsten Wochen ging es meiner Frau wirklich nicht sehr gut. Sie musste oft tagelang im Bett bleiben, weil immer die Gefahr bestand, das Kind zu verlieren. Ich war der Verzweiflung nahe. Da wir kein Personal mehr hatten, kümmerten Dr. M. und ich uns um die Patienten. Und nebenbei kümmerte ich mich um meine Frau.

In all dem Chaos erschien mir das Auftauchen einer alten Frau mit ihrer Tochter wie ein Lichtblick. Ihr Name war Daleira und ihre Tochter hieß Zerafina.

Daleira kümmerte sich von nun an um meine Frau, da sich herausstellte, dass sie es war, die meine Frau in dem Dorf traf. Und Zerafina ging uns bei der Pflege der Kranken zur Hand.

Seit Daleira meiner Frau täglich einen Aufguss aus verschiedenen Kräutern bereitete, ging es ihr besser. Sie konnte jetzt stundenweise das Bett verlassen und im Innenhof in der Sonne sitzen. Nur eins machte mir Sorgen, ihr Appetit auf rohes Fleisch. Sie aß kaum noch etwas anderes. Als ich Daleira darauf ansprach, sagte sie beruhigend, dass wäre ganz normal, jede Schwangere hätte so seltsame Gelüste. Ich gab mich mit dieser Erklärung zufrieden und überließ Daleira die Pflege meiner Frau.

Das Kind in ihrem Bauch wuchs gut heran. Abends, wenn wir im Bett lagen, legte sie meine Hand auf ihren Bauch und ich konnte die Bewegungen spüren. Es schien ein lebhaftes Kind zu werden, denn es lag keine Minute ruhig in ihr.

Als die Regenzeit kurz bevor stand, wollte Daleira mit ihrer Tochter in der Stadt Besorgungen zu machen. Bis zur Geburt, die kurz bevor stand, würden sie rechtzeitig zurück sein, versprach sie. Aber ihre Rückkehr verzögerte sich.

In der Nacht, bevor unser Kind dann auf die Welt kam, schlief meine Frau sehr unruhig. Sie wälzte sich ständig hin und her und schrie im Schlaf des Öfteren nein, nein. Sanft weckte ich sie auf und fragte, was los wäre. Ob die Wehen schon eingesetzt hätten, was sie aber verneinte. Dann erzählte sie mir unter Tränen, dass sie geträumt hätte, sie hätte ein Mädchen zur Welt gebracht, welches dazu bestimmt wäre, dem Löwengott einen Sohn zu gebären. Es sollte geschehen, wenn sie achtzehn Jahre alt wäre.

Tröstend nahm ich sie in den Arm und sagte beruhigend, es wäre nur ein Alptraum gewesen und unser Kind würde bestimmt ein Sohn.

Und dann setzten die Wehen ein. Daleira war immer noch nicht zurück, also musste ich bei der Geburt helfen.

Stundenlang quälten meine Frau höllische Schmerzen und sie schrie fast ununterbrochen. Hilflos stand ich daneben und wusste nicht, wie ich ihr helfen konnte.

Hilf mir, es will nicht raus, es will nicht raus’ schrie sie immer wieder. Ich versuchte sie zu beruhigen und holte eine Spritze mit einem Beruhigungsmittel. Aber als sie die Spritze in meiner Hand sah, schrie sie, sie wolle keine, es müsse so raus kommen.

Aber es dauerte zwölf Stunden, bis es so weit war. Gerade in dem Moment, als unser Kind den Mutterleib verließ, betrat Daleira das Zimmer.

Denk an Dein Versprechen’ sagte sie zu meiner Frau, als sie sah, dass das Kind geboren war.

Aber….aber es ist ein Junge’ sagte meine Frau und sah mich bittend an.

Ich verstand ihren Blick nicht, stimmte aber zu, dass es Junge wäre.

Daraufhin verließ Daleira wütend das Zimmer und verließ die Mission.

„Ich bin wieder zurück“ sagte Draco, als Leo bei dieser Stelle war.

Erschrocken klappte er das Buch zu und sah Draco an.

„Und Wanja? Wo ist er?“ fragte er und sah sich suchend um.

„Ich konnte ihn nicht finden,“ antwortete Draco niedergeschlagen und setzte sich neben Leo.

„Und nun?“ wollte Leo wissen.

„Ich weiß es nicht,“ erwiderte Draco. „Werden wir halt weiter warten.“

„Ich….ich habe gerade von meiner Geburt gelesen,“ sagte Leo. „Aber irgendwie endet das Buch hier, obwohl noch etliche Seiten leer sind. Und so wie ich es sehe, gibt es danach keins mehr.“

Draco nahm das Buch in die Hand und drehte es hin und her.

„Doch, eigentlich müsste es noch eins geben,“ entgegnete er nachdenklich und sah auf den Stapel der anderen Bücher. „Ich habe sie diese Nacht sortiert und geordnet. Alle, die wir noch nicht gelesen hatten, habe ich auf einen Stapel gelegt, es waren zehn Stück, ich erinnere mich genau. Alle anderen habe ich verbrannt, damit sie nicht in fremde Hände gelangen. Jetzt liegen aber nur noch neun Stück dort. Das letzte Tagebuch, welches Dein Vater hier in dieser Mission schrieb, ist verschwunden.“

Während Draco sprach, fiel hinter ihnen etwas zu Boden. Als er geendet hatte, drehte er sich um, um nachzusehen, was es war. Leo, der das Geräusch nicht gehört hatte, sah erstaunt zu Draco, als dieser mit einem Stein in der Hand sich wieder setzte.

Um diesen Stein war ein Blatt Papier gewickelt. Draco löste es und las, was darauf geschrieben stand.

„Verdammt!“ fluchte er wütend und sprang auf.

„Was ist los? Was hast Du?“ fragte Leo geschockt.

„Hier, lies,“ erwiderte Draco und hielt Leo den Zettel hin.

Wenn Du Deinen Bruder lebend wiedersehen willst, komme sofort zu den Tempelruinen und bring Deine Begleitung mit.“

Als Leo es gelesen hatte, sah er Draco an, der nachdenklich und wütend hin und her lief.

„Wir sollten gleich aufbrechen,“ schlug Leo vor, der inzwischen auch aufgestanden war.

„Ja, ja, gleich, Moment noch,“ erwiderte Draco abwesend. Er versuchte gerade, Kontakt zu seinem Bruder herzustellen. Aber es gelang ihm nicht, es war, als stieße er ständig gegen eine Mauer.

„Komm,“ sagte Draco und griff nach Leos Hand. „Wir müssen uns beeilen, irgendetwas stimmt da nicht. Ich kann Wanja nicht erreichen.“

Draco stürmte los und zog Leo hinter sich her.

„Meinst Du, er…er ist….er ist tot?“ stammelte Leo ängstlich.

„Nein, das denke ich nicht,“ fuhr Draco ihn wütend an.

Die Ruinen lagen in nicht allzu großer Entfernung der Mission, so dass sie sie in kurzer Zeit erreicht hatten. Niemand war zu sehen. Langsam gingen Draco und Leo weiter, vorbei an zerfallenen Säulen und Ruinen kleinerer Gebäude, welche wohl früher mal als Unterkunft für die Priester dienten. Die Häuser waren kreisförmig um den eigentlichen Tempel angebracht. Kurz bevor sie ihn erreichten, rief eine Stimme: „Halt!“

Draco blieb stehen und sah sich suchend um, woher die Stimme wohl käme, aber er konnte niemanden entdecken.

„Wer bist Du? Und was willst Du?“ fragte er laut. „Und wo ist mein Bruder?“

„Sieh nach oben,“ riet der unsichtbare Sprecher, dessen Stimme nicht klar erkennen ließ, ob es sich um eine weibliche oder männliche Stimme handelte.

Draco richtete seinen Blick nach oben und zog scharf die Luft ein. Leo folgte seinem Blick und auch er hielt für einen kurzen Moment die Luft an.

In einem hohen Baum hatte man einen Käfig angebracht, in welchem Wanja gefangen gehalten wurde. Aber nicht nur das, man hatte ihm auch noch einen Pfeil aus Rosenquarz durch den Körper gejagt, kurz unter seinem Herzen. Blut floss aus der Wunde, nicht sehr viel, aber langsam und stetig.

„Was habt Ihr ihm angetan?“ schrie Draco gequält auf. „Er wird sterben.“

„Nicht, wenn Du tust, was ich Dir sage,“ antwortete die Stimme.

„Dann sag endlich, was Du willst,“ forderte Draco.

„Was ich will? Ich will den Kristall der Dunkelheit,“ kam es zurück.

„Den hab ich aber nicht,“ erwiderte Draco und sah sich immer noch suchend nach dem Sprecher um.

„Ich weiß. Aber ich weiß, wo er zu finden ist. Und ich will, dass Du und der Mensch in Deiner Begleitung ihn mir beschafft. Ihr habt einen Tag Zeit dafür, ansonsten stirbt erst Dein Bruder und später dann ihr.“

„Dann sag, wo er zu finden ist und wir machen uns gleich auf den Weg,“ bat Draco.

„Er ist tief unter der Erde. Geht in die Mitte des Tempels, dort findet Ihr unter einer Steinplatte eine Treppe, die nach unten führt. Steigt sie hinunter und am Ende findet Ihr den Kristall.“

„Muss ich den Menschen mitnehmen? Ohne ihn wäre ich schneller,“ meinte Draco.

„Ich will aber nicht alleine hier bleiben,“ wandte Leo ein.

„Sei still,“ zischte Draco.

„Nein, das geht nicht, ihr müsst zusammen gehen. Und ich würde mich beeilen.“

„Komm,“ forderte Draco Leo auf und zog ihn hinter sich her in den Tempel, der noch relativ gut erhalten war.

Anscheinend war er früher dem Löwengott gewidmet, denn überall waren Löwenköpfe angebracht.

Als sie in der Mitte angekommen waren, suchte Draco den Boden nach der Platte ab. Der ganze Boden war mit Staub und Blättern bedeckt, aber dank der guten Augen Dracos fand er die Platte schließlich. Er fasste den darin eingelassenen Ring und hob fast mühelos die schwere Platte an. Darunter gab es wirkliche eine Treppe, sie schien tief nach unten zu gehen, denn man sah nur die ersten Stufen und danach nur noch Dunkelheit.

Entschlossen packte Draco Leos Hand und begann die Stufen hinab zu steigen. Die Steine, aus denen die Treppe war, waren feucht und glitschig. Es gab kein Geländer, an dem sie sich hätten festhalten können, nur Wände aus feuchter Erde. Je tiefer sie kamen, umso dunkler wurde es. Leo hatte sich jetzt mit beiden Händen an Dracos Arm festgeklammert.

„Ich hab Angst,“ flüsterte er Draco zu.

„Ich weiß, ich kann sie spüren,“ erwiderte Draco beruhigend. „Aber keine Sorge, ich kann im Dunklen genauso gut sehen, wie im Hellen.“

Sie stiegen immer weiter abwärts, noch war kein Ende abzusehen. Draco spürte Leos feuchte, kalte Hände auf seinem Arm und er spürte die Angst, die er hatte. Am liebsten hätte er ihn tröstend in den Arm genommen und seine Angst weggeküsst, aber schnell verwarf er den Gedanken daran wieder.

Er war wütend, wütend auf seinen Bruder, der sich immer wieder in neue Gefahren brachte und wütend auf Denjenigen, der sie hier herunter geschickt hatte. Sollte er denjenigen in die Finger bekommen, würde er ihn töten, selbst auf die Gefahr hin, von Madame bestraft zu werden. Er würde ihn langsam und qualvoll sterben lassen, sein Blut trinken, immer wieder ein wenig, aber in so kurzen Abständen, dass es keine Möglichkeit hatte, sich zu erneuern.

Mit diesen Bildern vor Augen erreichten sie den Fuß der Treppe. Vor ihnen lag ein langer Gang, der auch im Dunklen lag.

„Nichts zu sehen von einem Kristall,“ erklärte er Leo, der gar nichts sehen konnte. „Wir müssen wohl weiter.“

„Und wenn es ihn gar nicht mehr gibt? Wenn ihn schon jemand anderes gefunden hat?“ fragte Leo ängstlich.

„Daran dürfen wir gar nicht denken,“ erwiderte Draco hart. „Er muss hier sein und wir werden ihn finden.“

Während sie sprachen, waren sie weitergegangen und standen nun vor einer Mauer. Hier schien der Gang zu enden.

„Verdammte Scheiße,“ fluchte Draco wütend. „Hier ist Ende, es geht nicht mehr weiter. Aber wo ist dieser verfluchte Kristall?“

Er ließ Leo los und tastete die Wände nach einer versteckten Tür oder so etwas in der Art ab, aber er war nichts zu finden.

Er kehrte zu Leo zurück und gab diesmal seinem Drang, ihn in den Arm zu nehmen, nach. Fest umschlossen seine Arme Leos zitternden Körper und er drückte ihn dicht an sich.

„Keine Angst, wir werden ihn finden. Wanja wird nicht sterben, bald kannst Du ihn wieder in den Arm nehmen,“ versprach er tröstend.

Leo schmiegte sein Gesicht an Dracos Brust. Dessen Arme um sich zu spüren, war ein schönes Gefühl und er wünschte sich, Draco würde ihn nie mehr loslassen. Dann dachte er daran, dass ihn seine Eltern nie umarmt hatten. Und überhaupt waren sie auf Abstand bedacht gewesen, es kam fast nie zu einer liebevollen Berührung. Nur wenn sein Vater ihm eine Spritze gab, tätschelte er anschließend seinen Arm.

Als sie so engumschlungen da standen, hörte Draco ein leises Geräusch hinter sich, dem er aber keine große Beachtung schenkte. Erst als eine Stimme hinter ihnen erklang, drehte er sich um.

„Ihr seid in unser Reich eingedrungen,“ sagte ein junger Mann, der ein langes, weißes Gewand trug. „Wir müssen Euch zu unserer Herrscherin bringen und sie wird über Eure Strafe entscheiden.“

Hinter dem Sprecher waren noch vier weitere Personen aufgetaucht, die genauso gekleidet waren, mit dem Unterschied, dass sie Waffen in ihren Händen hielten. Es waren lange Speere mit scharfer Spitze.

Die vier umringten Draco und Leo und stießen sie hinter dem Sprecher her.

Sie folgten einem weiteren Gang, an dessen Ende es heller wurde.

Als sie das Ende erreicht hatten, blieb Draco erstaunt stehen und mit ihm auch Leo. Vor ihnen lag eine Stadt, die anscheinend ganz aus Kristall gebaut war. Durch einige Löcher, die nach oben gingen, schienen Sonnenstrahlen und fielen auf die Kristalle, die dadurch leuchteten.

„Weiter!“ befahl der junge Mann. Die Wachen stießen Draco und Leo vorwärts, bis sie in der Mitte der Stadt vor einem Palast ankamen. Vor dessen Eingangstor standen auch Wachen, die ihnen den Durchgang verwehrten.

„Lasst uns durch, Wir haben zwei Gefangene und müssen zur Herrscherin,“ forderte der Anführer.

Draco und Leo wurden in einen großen Saal geführt, wo auf einer Art Thron eine ganz in Weiß gehüllte Frau saß, die eine Kapuze tief ins Gesicht gezogen hatte.

„Wir bringen die Gefangenen,“ sagte der Anführer.

„Es ist gut, lasst uns allein,“ kam es unter der Kapuze hervor.

„Wie Ihr wünscht.“ Unter einer Verbeugung verließen die Wachen den Saal.

Die weiße Frau erhob sich.

„Folgt mir!“ befahl sie und winkte Draco und Leo hinter sich her. Sie verließen den Saal und gingen durch endlos scheinende Gänge, bis sie vor einem Raum ankamen, der wahrscheinlich das Privatgemach der Frau war.

Hier waren die Wände zwar auch aus weißem Kristall, wie alles hier, aber sie waren von innen her mit dunkelrotem Stoff behangen.

Die Frau öffnete die Tür und hieß die beiden eintreten. Dann schritt sie an ihnen vorbei und ließ sich auf einem Sofa nieder.

„Setzt Euch.“ forderte sie.

Draco und Leo nahmen ihr gegenüber in zwei Sesseln Platz.

„Möchtet Ihr etwas essen oder trinken?“

Als die zwei als Antwort nur nickten, klatschte sie in die Hände und minutenspäter betraten zwei junge Frauen den Raum. Auch sie trugen lange, weiße Gewänder. Sie stellten die Tabletts, die sie in den Händen hatten, auf den kleinen Tisch, der zwischen Draco, Leo und der Frau war.

Auf einen Wink ihrer Herrin verschwanden sie gleich wieder.

„Ist das unsere Henkersmahlzeit?“ fragte Draco ironisch und zeigte auf den Tisch. Dort lag Gebäck und Obst und es gab Saft oder Wasser zum trinken.

„Henkersmahlzeit? Nein, warum sollte es?“ fragte die Frau sanft. Ihre Stimme hatte einen warmen, sanften Tonfall.

„Ach so, Ihr glaubt, ich würde Euch erst hier in meinem Privatgemach bewirten und Euch dann töten lassen, weil Ihr in unser Reich eingedrungen seit?“

„So in etwa wurde es uns mitgeteilt.“ antwortete Draco.

Leo saß die ganze Zeit schüchtern im Sessel und sah sich verstohlen um. Als Kind war er oft bei den Ruinen gewesen, aber er hatte keine Ahnung davon gehabt, was sich unter ihnen befand.

Die Frau hatte sich erhoben und war vor eines der Fenster getreten. Dort öffnete sie den Verschluss ihres Umhanges und ließ ihn von ihren Schultern gleiten. Unter ihrer Kapuze kam kastanienbraunes Haar zum Vorschein, welches ihr bis zu den Hüften reichte. Langsam drehte sie sich zu Draco und Leo um und ein Lächeln lag auf ihrem Gesicht.

„Ich werde doch nicht meinen eigenen Sohn umbringen.“ lächelte sie.

„Mutter?“ Dracos Stimme war nur ein Wispern. „Aber wieso? Was machst Du hier? Du bist doch tot? Wir etwa auch?“

„Ja, ich bin’s, Lumina, Deine Mutter,“ lachte sie nun. „Und ich habe Dir gesagt, damals an meinem Grab, dass wir uns wiedersehen werden.“

Draco war aufgesprungen, zu ihr gegangen und nahm sie nun in den Arm.

„Komm, mein Sohn, setzen wir uns. Ich werde Dir, Euch alles erklären.“ bat sie. Immer noch lächelnd nahm sie wieder auf dem Sofa Platz.

Draco setzte sich wieder in den Sessel und schaute immer noch ungläubig zu der Frau, die seine Mutter war.

„Also, zunächst einmal, ich weiß, warum Ihr hier seid,“ begann sie mit sanfter Stimme zu sprechen. „Und ich verspreche Euch, ich werde alles tun, was in meiner Macht liegt, um Wanja, meinen anderen Sohn und Deinen Bruder zu retten.“
„Du weißt, wo wir den Kristall der Dunkelheit finden?“ fragte Draco erleichtert.

„Ja, aber dazu kommen wir später,“ nickte sie. „Aber zuerst will ich Dir Deine Fragen nach dem Warum und Wieso erklären. Vor einigen Jahrhunderten lebten wir oben auf der Erde und huldigten dem Löwengott, wie ja unschwer an den Ruinen zu erkennen ist. Er war ein mächtiger Gott, aber nie ungerecht oder grausam. Das änderte sich, als die dunkle Macht Besitz von ihm ergriff. Es war irgendwie gelungen, uns den Kristall der Dunkelheit zu stehlen. Das alles jetzt zu erklären, würde zu lange dauern. Vielleicht haben wir ja später noch die Gelegenheit, dass ich Euch die ganze Geschichte erzählen kann. Jedenfalls bekamen wir den Kristall wieder zurück, aber der Gott blieb böse, so dass wir uns gezwungen sahen, unter die Erde zu gehen. Hier leben wir schon seit drei Jahrhunderten und versuchen, das Gute und das Böse im Gleichgewicht zu halten. Einer unserer Priester prophezeite uns, dass ich, die Hohepriesterin, zwei Söhne gebären würde, die in der Lage wären, den Gott zu vernichten und alle, die zu ihm standen. Daraufhin begab ich mich auf die Erde und begegnete Deinem Vater, was allerdings nicht zufällig geschah. Alles war vorbestimmt. Leider auch Eurer Verwandlung in Vampire. Als Ihr damals nicht zum vereinbarten Zeitpunkt von Eurer Reise nach Venedig zurückkamt, wusste ich, dass sich Euer Schicksal erfüllt hatte und ich konnte die Welt wieder verlassen. Und ich wusste Euch bei Madame LeNoire in guten Händen.“
„Du kennst Madame LeNoire?“ fragte Draco dazwischen.

„Ja, natürlich,“ nickte seine Mutter lächelnd. „Immerhin ist sie die Wächterin der Vampire dort oben. Irgendjemand muss ja auf Euch aufpassen, damit ihr nicht die ganze Menschheit verwandelt oder ausrottet. Und wie ich sehe, macht sie ihren Job sehr gut.“
„Wenn Du das alles wusstest, warum hast Du uns dann nach Venedig reisen lassen?“ wollte Draco wissen.

„Weil es so vorherbestimmt war. Ich konnte und durfte nicht in das Schicksal eingreifen.“ antwortete seine Mutter. „Dein Bruder und Du, ihr seid dazu bestimmt, den Gott zu vernichten. Und das schon sehr bald.“
„Und unser Vater? Wusste er davon?“

„Nein, ihn habe ich ausgewählt, weil er Drachenblut in seinen Adern hatte. Eine seiner Vorfahrinnen sollte in grauer Vorzeit einem Drachen geopfert werden, aber statt sie zu töten, hatte dieser sich wohl in sie verliebt und sie zeugten ein Kind, einen kleinen Menschen mit der Stärke und dem Mut eines Drachen. Und diese Stärke und den Mut solltet ihr auch besitzen. Durch Eure Verwandlung seid ihr noch stärker geworden, stärker als andere Vampire. Eure Sinne sind ausgeprägter als die ‚normaler’ Vampire.“

Lumina erhob sich. „So, genug geplaudert Lasst uns zu den Kristallen gehen.“ forderte sie Draco und Leo auf.

„Eins noch, bevor wir gehen,“ hielt Draco sie auf. „Was hat er damit zu tun?“ und zeigte auf Leo. „Und hast Du Wanja zu ihm geschickt?“

„Ja, Wanja wurde von mir geschickt. Und seine Rolle dabei werdet ihr noch früh genug erfahren. Ich kann jetzt nichts dazu sagen, um die Mission nicht zu gefährden.“ erwiderte Lumina und sah Leo an, der die ganze Zeit nur schweigend zugehört hatte. „Dir kommt das alles sicherlich sehr seltsam vor.“ richtete sie sich an Leo.

„Ja, ein wenig schon.“ gab er zu.

Lumina wandte sich nun dem Ausgang zu und ging den Weg zurück in die große Halle. Dort waren nun etliche Menschen versammelt, die alle die gleichen langen, weißen Kleider trugen. Es war ein Gemisch aus Alten und Jungen, aus Männern und Frauen.

„Das sind alles unsere Priester und Priesterinnen.“ erklärte Lumina.

„Und sie leben alle hier unter der Erde? Sie haben noch nie das Sonnenlicht gesehen?“ fragte Leo ungläubig.

„So ist e,s“ nickte Lumina zustimmend. „Wir haben uns hier unten unsere eigene Welt erschaffen. Wir bauen Obst und Gemüse an und wir züchten Tiere für das Fleisch. Viele von ihnen wurden hier geboren und kennen die Welt dort oben gar nicht.“

Sie verließen die Halle durch eine andere Tür und gingen einen langen Gang entlang, bis sie zu der einzigen Tür kamen, die sich hier befand. Lumina holte einen Schlüssel, den sie um den Hals trug, hervor und schloss die Tür auf. Sie hieß die Beiden eintreten. Im ersten Moment sah Leo in diesem Raum gar nichts, da er im Gegensatz zum Rest des Palastes oder was immer das hier auch war, dunkel war. Als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er, dass der ganze Raum mit schwarzem Samt ausgeschlagen war. In der Mitte stand auf einem Podest eine Art Waage, allerdings mit drei Schalen. In jeder Schale lag eine Kugel, jede in einer anderen Farbe. Es gab eine weiße, eine rote und eine schwarze.

„Hier sind sie, die Kristalle,“ sagte Lumina. „Der Weiße steht für das Licht, also für das Gute in der Welt. Der Rote steht für die Vampire und die schwarze steht für die Dunkelheit, also das Böse, wie ihr euch ja bestimmt schon gedacht habt. So lange sie alle drei hier liegen, ist das Gleichgewicht auf der Welt hergestellt. Nimmt man allerdings eine fort, überwiegt das, wessen Farbe sie trägt.“

„Aber wenn Sie uns die schwarze geben, überwiegt das Böse.“ wagte Leo einzuwenden.

„Ja, aber nicht sofort. Es wird langsam und schleichend kommen.“ erwiderte Lumina.

„Was heißt langsam?“ wollte Draco wissen.

„Nun ja, sobald sie fort ist, beginnt die Waage sich zu neigen. Allerdings nicht so, wie es eine normale Waage täte, dass die leere Schale nach oben geht, nein, sie wird sich nach unten neigen. Dies dauert so etwa drei, vier Tage, dann ist sie unten und das Böse beherrscht die Welt.“

„Also bleiben uns drei Tage, um sie zurück zu bringen.“ überlegte Draco.

„Keine Sorge, es wird euch gelingen.“ beruhigte Lumina ihn. Vorsichtig nahm sie den Kristall aus der Schale und hüllte ihn in ein Tuch. Dann übergab sie ihn an Draco.

„Komme nicht direkt damit in Berührung, er wir dich sonst schwächen,“ riet sie ihm. „Durch dieses Tuch ist seine Macht gebrochen. So, und nun kehrt so schnell als möglich auf die Erde zurück, morgen Nacht ist Neumond.“

Sie begleitete Draco und Leo zurück bis in die Halle. Dort erschienen auf ihren Wink hin die vier Männer, die sie hier her gebracht hatte.

„Begleitet sie nach oben,“ befahl Lumina. „Aber lasst Euch dort nicht sehen.“

„Ihr lasst sie gehen?“ wagte der junge Mann einzuwenden, der bei ihrer Ankunft die Eskorte anführte.

„Ja, es muss sein,“ erwiderte Lumina. „Aber keine Sorge, ich weiß, dass sie rechtzeitig zurück sein werden.“

Ein älterer Priester trat zu ihr und nickte zustimmend zu ihren Worten.

„So stand es in der Prophezeiung.“ bestätigte er Luminas Worte. „Habt Vertrauen zu unserer Hohepriesterin, sie weiß, was sie tut.“ richtete er sich an den jungen Priester.

Draco und Leo verließen unter Begleitung ihrer Eskorte den Saal. An der Tür, die in den langen, dunklen Gang führte, drehte Draco sich noch mal um und sah zu seiner Mutter. Diese stand hochaufgerichtet inmitten ihrer Priesterschar und sah ihnen nach.

‚Ich komme wieder’ versprach er in Gedanken.

‚Ich weiß’ hörte er die Stimme seiner Mutter im Kopf. Also konnte auch sie sich telepatisch unterhalten.

Die vier jungen Priester, die sie begleiteten, hatten Fackeln dabei, die sie nun anzündeten. So waren der Gang und die Treppe nicht mehr so dunkel wie bei ihrem Abstieg.

Als sie sich dem Ausstieg näherten, löschten sie die Fackeln und waren plötzlich verschwunden.

„Sie hätten sich ja wenigstens verabschieden können,“ meinte Leo.

„Wir sind noch hier,“ erklang eine Stimme neben Leo. „Nur sollte uns niemand sehen. Wir werden Euch erst verlassen, wenn ihr den Boden dort oben betretet, so lautet unser Auftrag.“

‚Und, bitte, redet nicht mit uns’ sandte er Draco eine Nachricht.

„Pst, nicht reden.“ flüsterte dieser Leo zu. „Wir wissen nicht, wer unser Feind ist und der soll nicht wissen, dass sie hier sind.“

Leo nickte verstehend.

Als sie wieder den Boden der Ruine betraten, schloss Draco die Falltür und ging zu der Stelle, an der sein Bruder immer noch gefesselt in einem Baum hing.

„Wir sind zurück.“ rief Draco und sah sich suchend um.

„Leg den Kristall auf den Boden und dann verschwindet.“ erklang die undefinierbare Stimme.

„Nein, erst lasst ihr meinen Bruder frei.“ forderte Draco bestimmt.

„Und wenn ich es nicht tue?“ wurde hämisch zurück gefragt.

„Dann werde ich den Kristall zerschmettern, so dass er in tausend Stücke zerbricht.“ erklärte Draco. „Ich weiß, dass ihr ihn in einem Stück braucht. Also, was ist nun?“ Er hielt den Kristall hoch, bereit, ihn mit voller Wucht auf den Boden zu werfen.

„Da habt ihr euren Bruder.“

Der Käfig, in dem Wanja gefangen war, rauschte zur Erde und knallte hart auf den Boden. Ein schmerzvolles Aufstöhnen begleitete den Aufprall.

Draco ließ den Kristall fallen und lief zu Wanja. Er befreite ihn aus dem Käfig und zog ihn stützend davon.

„Komm endlich.“ forderte er über die Schulter Leo barsch auf.

Leo war starr vor Schreck, als er sah, wie Wanja auf den Boden zuraste. Erst als Draco ihn so anfuhr, erwachte er aus seiner Starre und begab sich an Wanjas andere Seite, um ihn ebenfalls zu stützen.






7. Kapitel


Nach langem Marsch erreichten sie die Mission. Wanja hing mehr tot als lebendig zwischen ihnen. Sie brachten ihn in das alte Ärztezimmer, wo eine noch halbwegs gute Pritsche stand. Dort legte Draco ihn vorsichtig nieder und besah sich seine Verletzungen.

„Fast jeder Knochen in seinem Körper ist gebrochen,“ murmelte er mehr zu sich selbst. „Aber zum Glück sein Genick nicht.“

Er tastete weiter Wanjas Körper ab. „Auch seine inneren Organe sind okay. Aber die größte Sorge bereitet mir der Pfeil unter seinem Herzen.“

Wanja, der die ganze Zeit wie bewusstlos dagelegen hatte, öffnete langsam seine Augen.

„Zieh ihn heraus.“ stöhnte er.

„Ja, aber das wird sehr schmerzhaft und die Wunde wird stark bluten. Und ohne frisches Blut wird es schwer sein, die Blutung zu stillen und Du könntest sterben.“ wandte Draco ein.

Leo, der die ganze Zeit nur schweigend zugesehen und zugehört hatte, sah von einem zum anderen. Dann ließ er seinen Blick durch den Raum gleiten. An einem alten Glasschrank blieb sein Blick hängen. Er stand schräg hinter Wanjas Kopf. Unbemerkt von den Beiden ging er dorthin. Die Scheiben in dem Schrank waren wohl vor langer Zeit eingeschlagen worden und es steckten noch Splitter im Rahmen. Ohne lange zu überlegen stieß Leo seine Hand auf einen spitzen, scharfen Splitter, der gleich tief in seine Hand fuhr. Leo trat hinter Wanjas Kopf und hielt ihm seine blutende Hand an die Lippen. Zuerst weigerte sich Wanja, seinen Mund zu öffnen, aber als die ersten Blutstropfen seine Lippen berührten, öffneten diese sich wie von selbst. Als Leo sah, das sein Vorhaben Erfolg hatte, sah er Draco an und sagte: „Mach es.“

Draco erfasste mit einem Blick die Situation und welches Opfer Leo darbrachte.

„Nun gut,“ nickte er. „So, Bruder, jetzt heißt es stark sein, denn es wird höllisch weh tun.“

Er fasste mit beiden Händen den Pfeil, presste seine Füße fest auf den Boden, holte tief Luft und zog mit einem Ruck den Pfeil aus Wanjas Brust. Wanja biss vor Schmerz in Leos Hand, was dessen Blut noch schneller fließen ließ. Leo war bei dem Biss nur kurz zusammengezuckt, hatte seine Hand aber nicht zurückgezogen.

Draco öffnete Wanjas Hemd und sah auf die Wunde.

„Hm, es scheint, als würde sie sich schließen,“ stellte er fest. „Du verdankst Leo Dein Leben.“

Draco sah hoch und richtete seinen Blick auf Leo. Dessen Hand lag immer noch auf Wanjas Mund. Draco bemerkte die Blässe in Leos Gesicht, seine Lippen waren fast so weiß wie seine Haut und er hielt sich kaum noch auf den Beinen.

„Wanja, es reicht!“ fuhr Draco seinen Bruder hart an. Sofort schob Wanja Leos Hand fort, die immer noch stark blutete. Gegen sein eigenes Verlangen, Leos Blut zu trinken, ankämpfend, sprang Draco zu ihm und konnte noch so eben verhindern, dass Leo zu Boden stürzte. Er war ohnmächtig geworden.

„Fast wäre er gestorben, weil er Dir das Leben retten wollte.“ sagte Draco an seinen Bruder gewandt. „Er muss Dich sehr lieben.“

„Ja, wie einen Bruder,“ erwiderte Wanja schwach. „Wie einen großen Bruder, den er nie hatte. Was ist mit seiner Hand? Ich glaube, ich habe zugebissen, als der Schmerz mich zu überwältigen drohte.“

Draco nahm Leos verletzte Hand und sah sie sich an.

„Hast Du.“ antwortete er. „Und es blutet immer noch sehr stark.“

„Du musst ihm Dein Blut geben, damit die Wunde heilt.“ sagte Wanja.

Draco biss sich selbst in die Handkante, öffnete vorsichtig Leos Lippen und ließ sein Blut in dessen Mund laufen. Instinktiv schluckte Leo es hinunter.

„Ih, bah, pfui.“ spuckte Leo plötzlich los. „Das ist ja ekelhaft. Nimm das weg, das schmeckt widerlich.“ Er drehte seinen Kopf zur Seite und presste seine Lippen fest aufeinander, als er Dracos Absicht spürte, ihm noch mehr davon einzuflössen.

„Und? Wirkt es?“ fragte Wanja aufgeregt.

„Wach ist er immerhin wieder.“ lachte Draco leise. „Und seine Verletzung heilt anscheinend auch schon, es hat jedenfalls aufgehört zu bluten.“

„Gut.“ seufzte Wanja. „Ich hatte echt Angst, ihn getötet zu haben.“

„Du solltest jetzt etwas schlafen.“ riet Draco Leo. „Damit sich Dein Körper erholen und neues Blut produzieren kann.“ Er hob Leo hoch und trug ihn zu dem Bett, in welchem Leo nachts schlief.

„Ich bin aber nicht müde.“ protestierte dieser.

„Dann bleib einfach so liegen. Glaub mir, Du brauchst jetzt Ruhe.“ erwiderte Draco sanft.

Er zog sich einen alten Stuhl heran und setzte sich zu seinem Bruder.

„Und wie fühlst Du Dich?“

„Soweit wieder ganz gut. Meine Knochen sind alle wieder heil und der Schmerz in der Brust klingt auch langsam ab.“ antwortete Wanja. „Aber jetzt erzähl mir mal, wie ihr an den Kristall gekommen seid.“

„Unsere Mutter hat ihn uns gegeben.“ begann Draco, aber bevor er weiter sprechen konnte, wurde er von Wanja unterbrochen. „Unsere Mutter?“ fragte dieser ungläubig. „Aber sie ist seit zweihundert Jahren tot.“

„Das dachte ich auch.“ entgegnete Draco und begann Wanja zu erzählen, was sich zugetragen hatte.

Leo, der anfangs zugehört hatte, fielen langsam die Augen zu. Die Stimme von Draco ging nach und nach in ein Murmeln über, bis sie ganz verstummte. Leo war eingeschlafen.

Als Draco seinen Bericht zu Ende gebracht hatte, hatte sich Wanja wieder gut erholt und er setzte sich auf.

„Ich würde unsere Mutter auch gerne wiedersehen.“ bekannte er.

„Das wirst Du auch.“ versprach Draco. „Wir müssen schließlich den Kristall zurück bringen. Weißt Du, wer Dir das antat?“

„Nein, ich habe niemanden gesehen, immer nur diese Stimme gehört.“ überlegte Wanja. „An jenem Tag war ich auf der Fährte eines Tieres und habe nicht auf den Weg geachtet. Plötzlich hing ich kopfüber in einem Baum, um meinen Fuß die Schlinge eines Seils. Dann kam von irgendwo dieser Pfeil geflogen und bohrte sich in meine Brust. Er musste mit etwas getränkt worden sein, denn ich verlor das Bewusstsein. Als ich wieder erwachte, steckte ich in diesem Käfig und hing hoch oben in der Luft. In der ganzen Zeit habe ich niemanden gesehen. Wo sollen wir also anfangen zu suchen?“

„Ich würde sagen, bei den Ruinen.“ schlug Draco vor. „Aber nicht heute, Du musst Dich noch ausruhen und auch Leo sollte sich erholen.“

Beiden sahen zu Leo, der jetzt tief und fest schlief.

„Hör mal, Bruder, was mir so durch den Kopf ging.“ sprach Wanja. „Wir sollten den letzten Affen töten. Er ist jetzt schwach und wir haben diesen Pfeil. Und wir sollten es machen, solange Leo noch schläft.“

„Du hast Recht, lass es uns versuchen.“ stimmte Draco zu.

Wanja sprang von der Pritsche, als ob er nicht vor ein paar Minuten noch dem Tode näher gewesen wäre als dem Leben. Sie gingen zu dem Labor und sahen durch das Fenster. Als der Affe sie erblickte, sprang er mit letzter Kraft an die Gitterstäbe und versuchte, einen von ihnen zu packen. Wanja und Draco packten jeder einen Arm von ihm und zogen ihn dicht an die Stäbe, dann stieß Draco ihm den Pfeil ins Herz. Der Affe stieß noch einen grauenvollen Schmerzensschrei aus und dann war er tot.

Die beiden Brüder kehrten zurück und setzten sich auf die Veranda vor das Arztzimmer.

„Nun kommen wir doch nicht so bald hier weg.“ sagte Wanja. „Hoffentlich beginnt die Regenzeit nicht zu früh.“

Er blickte in den wolkenlosen dunklen Nachthimmel, an dem die Sterne funkelten. Und vom Mond war nur noch eine kaum sichtbare Sichel zu sehen.

„Morgen Nacht ist Neumond.“ sprach Wanja weiter.

Draco, der in einem der Tagebücher geblättert hatte, fragte völlig zusammenhanglos: „Welches Datum ist morgen?“

„Der vierundzwanzigste Mai. Warum?“ antwortete Wanja irritiert.

„Weil, wenn es sich hier in diesem Buch um Leo und dessen Geburt handelt, er morgen Geburtstag hätte und er würde erst achtzehn.“ erwiderte Draco und hielt Wanja das Buch hin. „Mir hat er gesagt, er wäre neunzehn.“

„Stimmt, als ich ihn kennenlernte, hieß es, er wäre siebzehn und das ist jetzt zwei Jahre her. Allerdings war sein Geburtstag im August. Hm, sehr komisch.“ Wanja blätterte in dem Buch. „Seltsam, es endet bei Leos Geburt, obwohl noch über die Hälfte der Blätter leer sind.“

„Und es fehlt das Buch danach.“ sagte Draco. „Ich habe sie letzte Nacht sortiert, die, die wir schon gelesen hatten, habe ich verbrannt und die anderen auf einen Stapel gelegt. Und ich bin der Meinung, es wären zehn gewesen, aber es sind nur neun Stück hier.“

„Hier geht etwas Seltsames vor, wir sollten wachsam sein.“ meinte Wanja.

„Und ich glaube, es hat etwas mit Leo zu tun.“ stimmte Draco zu. „Ich seh mal nach ihm.“

„Er schläft noch tief und fest.“ berichtete er, als er zu Wanja zurückkam.

„Er hat ja auch eine Menge Blut verloren durch mich.“ sagte Wanja schuldbewusst. „Das hat ihn sehr geschwächt. Und von Dir hat er ja nicht allzu viel getrunken.“

„Es waren höchstens drei, vier Schlucke, dann wachte er auf und weigerte sich, auch nur einen Schluck zu trinken.“

Unbemerkt von den Beiden hatte sich der Himmel zugezogen und die ersten Regentropfen fielen.

„Hoffentlich ist es nur ein kurzer Schauer.“ hoffte Wanja. Aber daraus wurde nichts, es entwickelte sich ein richtiger Landregen.

Es war kurz nach Mitternacht, als Leo aufwachte. Es war nicht nur der Regen der ihn weckte, sondern ein heftiger, brennender Schmerz auf seinem linken Schulterblatt. Er versuchte, die Stelle zu befühlen, aber er kam nicht an sie heran. Der Schmerz wurde immer heftiger, es fühlte sich an, als ob ein glühendes Eisen auf seine Haut gedrückt würde. Obwohl er vor Schmerz hätte schreien können, unterdrückte er jeden Laut, um Wanja und Draco nicht auf sich aufmerksam zu machen. Leise stand er auf und trat an das nach hinten gehende Fenster. Er hielt eine Hand in den Regen, der angenehm kühl war.

‚Vielleicht kühlt er ja die Schmerzen’ dachte Leo.

Vorsichtig, um kein Geräusch zu verursachen, stieg er aus dem Fenster und ging zur Rückseite des Hauses, dorthin, wo einst die Wohnung seiner Eltern war. Dort zog er seine Kleidung aus und ließ den Regen auf seine Haut fallen. Es fühlte sich angenehm an und auch das Brennen auf seiner Schulter ließ nach. Er bog seinen Kopf nach hinten und ließ den Regen auf sein Gesicht fallen. ‚Schade, dass ich jetzt keine Seife habe, dann könnte ich den Regen als Dusche nutzen’ dachte Leo. Um ihn herum war alles still, nur das Rauschen des Regens war zu hören. Seine Sachen lagen völlig durchnässt auf dem Boden, was aber nicht so schlimm war, denn er hatte noch trockene in seinem Rucksack. Dieser lag allerdings unter seinem Bett.

‚Ich muss mich nur leise genug wieder hineinschleichen’ dachte Leo, als er ein Geräusch hinter sich hörte. Doch bevor er sich umdrehen konnte, wurde ein Lappen auf seinen Mund und seine Nase gepresst, dem ein beißender Geruch entstieg. Dann wurde es schwarz um ihn.

Wanja und Draco bekamen von alledem nichts mit. Sie saßen immer noch auf den Stufen der Veranda und überlegten, wie sie am nächsten Tag vorgehen sollten. Durch den Regen wäre es schwerer, eine Spur zu finden, denn alle Gerüche würden weggewaschen.

„Eigentlich könnten wir ja alleine dorthin gehen.“ überlegte Wanja.

„Und Leo alleine hier lassen?“ fragte Draco. „Wenn es aber ihn betrifft, sollten wir ihn besser nicht aus den Augen lassen.“

„Stimmt auch wieder.“ erwiderte Wanja. „Solange wir nicht wissen, wer und warum das machte, sollten wir drei immer zusammenbleiben.“

„Was wohl in dem fehlenden Buch stand?“ grübelte Draco.

„Sollten wir es finden, werden wir es erfahren.“ äußerte Wanja. „Hoffentlich hört dieser blöde Regen noch mal auf.“

Er richtete seinen Blick zum Himmel, der sich im Osten langsam rot färbte. Über ihnen hingen allerdings noch dicke Regenwolken.

„Sollen wir Leo schlafen lassen oder ihn aufwecken?“ wandte Wanja sich fragend an Draco.

„Lassen wir ihn noch etwas schlafen. Wir kommen durch ihn sowieso schon langsamer voran und wenn er dann noch müde ist, geht es noch langsame.r“ antwortete Draco.

„Dann hätte ich also noch Zeit, mir schnell ein Frühstück zu besorgen?“ grinste Wanja.

„Schnell ja, wenn Du was findest.“ entgegnete Draco. „Es ist heute Morgen ziemlich still, noch nicht einmal ein Vogel singt.“ Er hob lauschend seinen Kopf. „Scheint, als ob alle Tiere sich vor dem Regen verkrochen hätten.“

Wanja stand auf und reckte sich. „Ich versuch einfach mal mein Glück. In einer Stunde bin ich zurück, ob mit oder ohne Frühstück.“

Draco blieb allein zurück und lauschte. Es war nichts, aber absolut nichts zu hören, noch nicht einmal ein Geräusch aus dem Zimmer, in welchem Leo schlief. Er widerstand der Versuchung, aufzustehen und nachzusehen, ob Leo noch schlief.

Genau nach einer Stunde kehrte Wanja zurück.

„Es ist wie verhext.“ sagte er. „Nicht ein Tier war zu finden.“

„Das ist allerdings sehr seltsam.“ meinte Draco. „Auch von Leo ist noch nichts zu hören, obwohl es schon fast Mittag ist.“

„Ich seh mal nach ihm.“ bot Wanja an.

„Er ist weg!“ hörte Draco ihn kurz darauf rufen. Blitzschnell war er in dem Zimmer.

„Wie weg?“

„Weg, verschwunden, nicht mehr da.“ sagte Wanja aufgeregt. Er lief durch den Raum und schnupperte. „Es war niemand Fremdes hier.“

Draco sah unter das Bett. „Seine Sachen sind auch noch da.“

„Hier, er ist durch das Fenster geklettert.“ rief Wanja und sprang schon hindurch.

Behände sprang Draco hinterher und folgte seinem Bruder, der die Spur von Leo aufgenommen hatte.

„Hier liegen seine Anziehsachen. Und das hier.“ Wanja hielt einen Lappen hoch und roch daran. „Äther.“

„Das heißt, er wurde vor unseren Augen entführt.“ stellte Draco wütend fest.

Wanja schloss die Augen und konzentrierte sich. Nach einer Weile gab er auf.

„Ich kann keine Verbindung zu ihm herstellen. Ich dachte, dadurch dass ich sein Blut in mir habe, würde es gehen,“ sagte er traurig. „Aber ich kann ihn noch riechen.“

Wanja lief los, ohne darauf zu achten, ob sein Bruder ihm folgte. Diejenigen, die Leo entführt hatten, waren kreuz und quer durch den Busch gelaufen, ohne eine bestimmte Richtung einzuhalten.

„Es ist zum Verrücktwerden.“ fluchte Wanja. „Wo wollen sie mit ihm hin?“

„Zu den Ruinen.“ antwortete Draco.

„Wie kommst Du denn darauf? Wir sind meilenweit davon entfernt.“

„Eben. Man wollte uns auf eine falsche Fährte führen.“ sagte Draco ruhig. „Der Kristall, der Neumond, die Entführung Leos und sein achtzehnter Geburtstag, das alles hängt irgendwie zusammen.“

„Klingt logisch.“ nickte Wanja. „Dann nichts wie dorthin.“

Sie erreichten die Ruinen bei Anbruch der Nacht. Aus einem fast noch gut erhaltenen Raum drang der Schein eines Feuers. Draco wollte gleich drauflosstürmen, aber Wanja hielt ihn auf.

„Wir wissen nicht, was uns dort erwartete. Lass uns einen anderen Weg suchen.“

Flink wie Eidechsen kletterten sie auf das Dach, in welchem sich ein großes Loch befand. Langsam und vorsichtig schoben sie sich an den Rand und schauten hinunter. Bei dem Anblick, der sich ihnen bot, wollte Draco gleich wieder losstürmen.

„Warte.“ hielt Wanja ihn wiederum auf. „Es sieht aus, wie die Vorbereitung zu einem Ritual, wir sollten noch abwarten.“ Er sprach mit so leiser Stimme, dass ihn nur Draco verstehen konnte.

Unter ihnen lag Leo mit abgespreizten Armen und Beinen unter weißen Tüchern. Auf einem weiteren, rechteckigen Altar aus Stein lag eine junge Frau. Sie war nackt, ihre Arme und Beine waren gefesselt.

Eine in einen langen, schwarzen Umhang gekleidete Gestalt betrat den Lichtkreis des Feuers. Sie hatte die Kapuze des Umhanges tief ins Gesicht gezogen. In ihren Händen hielt sie eine Schale mit einer dunklen Flüssigkeit.

„Blut.“ flüsterte Wanja, dessen Nase nach seiner Verletzung sehr empfindlich war.

Die Gestalt schob das Tuch, welches Leos Beine bedeckte bis zu den Oberschenkeln hoch. Jetzt konnten Wanja und Draco sehen, dass es sich um eine Art Kreuz handelte, auf dem Leo lag. Auch seine Füße waren mit Fesseln an den Stein gebunden.

Nun begann die Gestalt mit ihrem Finger seltsame Zeichen mit Blut auf Leos Beine zu malen. Als sie beide Beine angemalt hatte, legte sie Leos Bauch frei und machte dort das Gleiche. Die Brust und das Geschlecht blieben dabei bedeckt.

Als sie mit Leo fertig war, ging sie zu dem anderen Altar und machte bei der jungen Frau das gleiche, allerdings sparte sie hier die Brust und das Geschlecht nicht aus.

„Ich kenne sie.“ flüsterte Draco und zeigte auf die junge Frau. „Es ist die Tochter von der Alten, die uns damals in Venedig aus dem Wasser zog.“

„Das ist zweihundert Jahre her“ erwiderte Wanja ebenfalls flüsternd. „Sie wäre schon lange tot. Es sei denn…“

„Es sei denn was?“

„Hexen, es sind Hexen.“ meinte Wanja aufgeregt.

Die Kapuzengestalt hatte die Schüssel weggestellt und hielt nun einen Becher in der Hand. Damit ging sie zu Leos Kopf, hob ihn leicht an und flößte ihm den Inhalt ein.

Dann bedeckte sie den Körper wieder mit den weißen Tüchern und sah sich um.

„Es ist alles bereit.“ sagte sie laut und man erkannte, dass es sich um eine Frau handelte. Hinter ihr erklang das Gebrüll eines Löwen, aber sie zuckte nicht zusammen, sondern sah in die Richtung, aus der das Geräusch kam.

„Ihr seid pünktlich.“ sagte sie mit einem Lächeln in der Stimme.

„Kommt, sie erwarten Euch.“

Aus dem Dunklen kam ein großer Löwe hervor, der die Größe eines Ponys hatte. Langsam und majestätisch schritt er auf die Frau zu, die keine Angst vor ihm zu haben schien.

Der Löwe richtete sich auf und stellte sich auf seine Hinterbeine, dabei nahm er nach und nach die Gestalt eines Menschen an, bis ein großer, muskulöser Mann da stand. Nur seine Haare und sein Bart erinnerten an einen Löwen.

„Du hast den Kristall?“ fragte er mit einer tiefen, lauten Stimme.

„Ja, ich habe ihn.“ bestätigte sie und nahm ihre Kapuze ab.

„Ich wusste es, sie sind Hexen.“ wisperte Wanja, der die Frau erkannte, die ihm und seinem Bruder in Venedig half.

„Dann ist er der Löwengott.“ stellte Draco fest. Gespannt blickten die Brüder nach unten, um zu sehen, was weiter geschah.

Die alte Hexe ging zu Leo. „Hier ist sie, Eure Brau.t“ sagte sie und zog mit einem Ruck die Tücher von Leos Körper.

„Ein Mädchen, er ist ein Mädchen.“ hauchte Draco verwirrt. Auch Wanja war überrascht.

„Sie ist sehr klein und zar.t“ brummte der Löwenmann. „Glaubst Du wirklich, sie ist fähig, mein Kind auszutragen?“

„Aber ja, selbstverständlich. Sie mag zwar klein und zierlich sein, aber ihr Körper ist kräftig genug.“ beteuerte die Alte.

„Du bist sicher, dass sie die Richtige ist?“ zweifelte er immer noch.

„Sie hat das Mal auf der Schulter, hier sieh.“ sagte sie und drehte Leos Schulter so, dass man das Mal sehen konnte.

„Aber ist sie auch bereit, meinen Sohn zu empfangen?“

„Und ob sie bereit ist, mehr als bereit. Sie kann es kaum erwarten, dass Ihr zu ihr kommt“ entgegnete sie.

„Und was ist mit ihr?“ fragte der Löwenmann und zeigte auf die Tochter der Alten.

„Sie dient Euch als Opfer, fresst sie oder macht mit ihr, was Ihr wollt.“ zuckte sie mit den Schultern.

„Oh, ich weiß, was ich mit ihr machen werde, sobald ich meinen Sohn gezeugt habe.“ leckte er sich die Lippen. „Allerdings bezweifle ich, dass sie es überlebt. Ich habe schließlich seit tausend Jahren keine Frau mehr besessen.“

Er legte eine Hand, die riesengroß war und Fingernägel hatte, die wie Krallen gebogen waren, auf den Bauch der jungen Frau und fuhr hinunter bis zwischen ihre Beine.

„Hm, eine Jungfrau.“ lechzte er.

In Draco und Wanja stieg die Wut hoch. Am liebsten hätten sie sich gleich auf die Beiden dort unten gestürzt, aber noch hielten sie sich zurück.

Der Löwenmann trug nur einen Lendenschurz und sie konnten deutlich seine Vorfreude sehen.

„Aber zuerst kommt mein Sohn.“ sagte er in diesem Moment und trat zu Leo. Er stellte sich zwischen dessen gespreizte Beine und ließ seinen Lendenschurz fallen.

In diesem Moment schlug Leo die Augen auf. Beim Anblick des Mannes fing sie an zu schreien.

„Ja, schrei nur.“ lachte er höhnisch. „Jetzt ist es noch vor Angst, aber gleich wirst Du aus einem ganz anderen Grund schreien.“

Das war zuviel für Draco, er stürzte sich ohne Vorwarnung von oben auf den Löwenmann und biss sich gleich in seinem Genick fest. Nach kurzer Schrecksekunde begann der Mann sich zu wehren und versuchte, Draco von seinem Rücken zu ziehen. Aber dieser war in seiner Wut so stark, dass es ihm nicht gelang.

Wanja hatte sich zwischenzeitlich auf die Hexe gestürzt und ihr mit einem Biss die Kehle herausgerissen. Nun lag sie blutend am Boden und versuchte, weg zu kriechen. Wanja, der das verzweifelte Bemühen sah, trat zu ihr und brach ihr mit einem Ruck das Genick. Dann eilte er seinem Bruder zur Hilfe, der sich immer noch in das Genick des Mannes festgebissen hatte und nun sein Blut trank. Wanja stellte sich vor den Löwenmann, stieß seine Hand in dessen Brust und riss sein Herz heraus.

„Ich bin ein Gott, ihr könnt mich nicht töten.“ Verzweifelt stieß er die Worte heraus, jedes von einem Schwall Blut begleitet.

„Du siehst doch, dass wir es können.“ höhnte Wanja und hielt ihm sein noch zuckendes Herz vor Augen.

„Und wie wir es können.“ fauchte Draco, nahm den Kopf zwischen seine Hände und brach ihm das Genick. Aber damit nicht genug, er war so wütend, dass er ihm den Kopf abriss und ins Feuer warf. Langsam sank der große Körper des Löwengottes zu Boden und hinterließ eine große Blutlache.

Wanja trat zu der Hexe, drehte sie auf den Rücken und tastete sie ab.

„Hier, der Kristall.“ sagte er zu Draco gewandt. „Und hier, das fehlende Tagebuch.“

Draco war inzwischen zu Leo geeilt, hatte ihren Körper wieder mit den Tüchern bedeckt und löste nun ihre Fesseln.

„Was machen wir mit ihr?“ fragte Wanja und deutete auf die Tochter der Hexe.

Draco, der noch völlig verwirrt war, von der Entdeckung, dass Leo ein Mädchen war, zuckte nur mit den Schultern.

„Bindet sie los und bringt sie mit nach unten.“ erklang in diesem Moment eine Stimme. Sie gehörte dem jungen Mann, der Draco und Leo vor einigen Tagen dort unten am Tor empfing. Er hatte sich den Kristall genommen und sah die Beiden auffordernd an. „Eure Mutter erwartet Euch.“ sprach er weiter. „Würdet Ihr mir also bitte folgen?“

Wanja trat zu der jungen Frau, band sie los und nahm sie auf die Arme. Ihr Name war Zerafina, wenn er sich recht erinnerte.

Draco stand unschlüssig vor Leo.

„Kannst Du laufen?“ fragte er. „Oder soll ich Dich tragen?“

Leo versuchte aufzustehen, aber ihre Beine trugen sie kaum. Sie schwankte und bevor sie auf den Boden schlug, hatte Draco sie auf seine Arme genommen.

„Also, können wir?“ fragte der junge Priester seiner Mutter.

„Ja, wir können. Aber sag mal, hast Du eigentlich auch einen Namen?“ wollte Draco wissen. „Wir können ja schlecht immer: Ey, Du sagen.“

„Mein Name lautet Angelus.“ erwiderte er und ging zu der Stelle, wo die Treppe nach unten führte. Hier wurden sie von vier Wachen erwartet, die jeweils eine Fackel in der Hand hielten.

Als sie durch das Tor traten, verhielt Wanja seinen Schritt.

„Hier wohnt also unsere Mutter.“ sagte er staunend.

„Irrtum, hier regiert Eure Mutter.“ stellte Angelus richtig. „Immerhin ist sie unsere Hohepriesterin. Und jetzt kommt, man sollte sie nicht warten lassen.“

Er führte sie direkt in den großen Saal, wo ihre Mutter sie schon erwartete.

Angelus reichte ihr kniend den Kristall dar, welchen sie gleich an sich nahm.

„Bringt sie in meine Privatgemächer.“ befahl sie. „Ich werde den Kristall schnellstens an seinen Platz bringen, damit das Gleichgewicht wieder hergestellt wird.“

Sie eilte, von ihren ältesten Priestern begleitet, davon.

„Folgt mir bitte.“ sagte Angelus und ging voraus.

Als Draco, Wanja, Leo und Zerafina alleine in dem Raum waren, setzte Draco Leo ab und wandte sich seinem Bruder zu: „Was wird Madame wohl mit uns machen? Wir haben immerhin gegen die Gesetze verstoßen und zwei Menschen getötet.“

„Nichts wird sie machen, außer Euch danken.“ erklang in diesem Moment die Stimme ihrer Mutter, die durch eine andere Tür den Raum betreten hatte.

„Da kennst Du Madame aber schlecht.“ lachte Draco auf.

„Im Gegenteil, ich kenne sie sehr gut“ erwiderte seine Mutter. „Sie ist, genau wie ich, eine Hohepriesterin, nur hat sie vorgezogen, auf der Erde zu leben. Aber sie hat ihren Besuch angekündigt.“

Wanja hatte bisher noch kein Wort gesprochen, er hatte nur staunend seine Mutter angesehen.

„So, jetzt werden wir erstmal die jungen Damen versorgen und danach können wir uns unterhalten.“ bestimmte Lumina. Sie klatschte in die Hände und sofort erschienen vier junge Frauen.

„Bringt diese beiden Mädchen jeweils in ein Zimmer und lasst ihnen ein Bad ein,“ befahl sie. „Dann richtet ihr ihnen das Bett und serviert ihnen eine kleine Mahlzeit. Ich werde, sobald ich kann, nach ihnen sehen.“

„Sehr wohl, Eure Hoheit.“ verneigten sie sich und nahmen Leo und Zerafina mit sich.

„Und nun zu Euch,“ wandte sie sich an Draco und Wanja. „Ich denke mir, dass auch Ihr hungrig seid, deshalb habe ich etwas für Euch vorbereiten lassen.“

Wieder klatschte sie in die Hände. Diesmal trat nur eine junge Frau ein, die ein Tablett in den Händen trug. Darauf standen ein Krug und zwei Gläser. Die Flüssigkeit in dem Krug war von einem dunklen Rot. Als die Dienerin das Tablett abgestellt hatte, sagte Lumina: „Danke“ und deutete mit einer Handbewegung an, dass sie nun den Raum verlassen könne.

„Tut Euch keinen Zwang an, trinkt, soviel ihr wollt,“ forderte sie ihre Söhne auf. „Wenn es nicht reicht, lass ich noch mehr kommen.“

Lächelnd sah sie Wanja an und erkannte die Frage in seinen Augen.

„Und jetzt werde ich Eure Neugier befriedigen,“ lächelte sie. „Deinem Bruder habe ich bei seinem ersten Besuch ja schon die Kurzform erzählt, aber jetzt sollt ihr die ganze Geschichte hören. Wie ihr ja wisst, bin ich eine Hohepriesterin. Unser Orden hat vor langer Zeit dort oben auf der Erde gelebt und wir huldigten dem Löwengott. Nicht dem, den ihr getötet habt, nein, es war dessen Vater. Alle tausend Jahre kommt er in Gestalt eines Mannes auf die Erde und zeugt einen Sohn. Nur war bei der letzten Zeugung eine Hexe im Spiel, die ihn zu einem bösen Gott machte. Er ermordete seinen Vater und wollte alle, die ihm angehörig waren, ebenfalls töten. Uns erschien der alte Gott als Geist und befahl uns, unter die Erde zu gehen, um somit seinem Sohn zu entgehen. Und er war derjenige, der uns weissagte, dass es zwei Söhne einer Hohepriesterin wären, die seinen Sohn töten würden. Zu jener Zeit war ich die einzige, die in Frage kam. Er erschien mir eines Nachts, als wir schon hier unten lebten und sagte, dass ich mich zur Erde begeben müsse. Ich solle mir einen starken Mann suchen und mit ihm bekäme ich dann Zwillinge. Allerdings würde ich sie verlieren, sobald sie das einundzwanzigste Lebensjahr erreichen würden. Aber nicht durch den Tod, sondern durch die Verwandlung in Vampire würde ich sie verlieren. Dann bestimmte er Madame LeNoire, die übrigens Darkness mit Vornamen heißt, als zweite Hohepriesterin. Sie würde für die Vampire zuständig sein, die in jener Zeit ihr Unwesen auf der Erde trieben. Sie wurde dazu bestimmt, alle Vampire in Schach zu halten, damit diese nicht die Menschheit ausrotten würde. Naja, und mit diesen Informationen kam ich auf die Erde. Ich fand Euren Vater, der unter seinen Vorfahren einen Drachen hatte und bekam Euch. Euer Vater wusste nichts von meiner Mission, er freute sich, gleich zwei Nachfolger zu haben. Allerdings konnte immer nur der Erstgeborene das Erbe antreten und das warst nun mal Du, Draco. Deshalb ist Dein Name auch Drache. Du, Wanja, was von Gott gegeben bedeutet, erhieltest nicht die strenge Erziehung wie Dein Bruder. Aber ihr habt trotz allem immer zusammengehalten. Dann kam Euer Besuch in Venedig. Als Ihr zum vereinten Zeitpunkt nicht zurückkehrtet, wusste ich, dass sich Euer Schicksal erfüllt hatte und Ihr zu Vampiren wurdet. Allerdings ahnte ich damals noch nicht, dass sich Daleira, jene Hexe, die den bösen Löwengott anbetet, sich in Venedig aufhielt und Euch fand. Und dadurch, dass sie Euch ihr Blut zu trinken gab, war sie über jeden Eurer Schritte informiert. Um unauffällig zu verschwinden, fiel ich in einen todesähnlichen Schlaf und wurde beerdigt. Euer Vater nahm sich in dem Glauben, dass auch ihr tot wäret, eine junge Frau und zeugte mit ihr den langersehnten Nachfolger. Euch nahm Darkness unter ihre Fittiche und ich weiß, auch in ihr Bett. Schaut mich nicht so entsetzt an“ lachte sie über die Blicke ihrer Söhne. „Sie war schon immer sehr heißblütig. Naja, und den Rest der Geschichte kennt ihr ja. Nur die Tatsache, dass Daleira eine Tochter bekam, eigens zu dem Zweck, sie dem Löwengott zu opfern, macht mich wütend. Ich werde die Tochter gleich aufsuchen, um zu sehen, wie viel Bosheit sie von ihrer Mutter mitbekommen hat. Ich hoffe, nichts, denn ich würde ungern jemanden töten müssen.“

„Töten? Du meinst, Du musst sie töten?“ fragte Wanja.

„Das werde ich leider müssen, sollte sie so boshaft sein wie ihre Mutter.“ bedauerte Lumina. Sie erhob sich. „Kann ich Euch noch was bringen lassen? Oder sonst etwas für Euch tun?“

„Danke, wir haben genug getrunken.“ antwortete Draco. „Mir wäre jetzt eher nach einer Dusche oder einem Bad. Und Du, Wanja?“

„Ja, baden oder duschen wäre nicht schlecht. Und endlich mal wieder saubere Sachen anziehen können.“ seufzte dieser.

„Leider könnt ihr nicht hier bei mir wohnen,“ bedauerte ihre Mutter. „Aber ich habe ganz in der Nähe ein Haus für Euch vorbereiten lassen. Dort findet Ihr alles, was ihr benötigt, einschließlich täglich einen Krug frischen Blutes.“

Sofort erschien Angelus auf ihr Klatschen. „Bring sie zu ihrer Wohnung,“ bat Lumina ihn. „Und sorge dafür, dass alles so ist, wie ich es gewünscht habe.“

„Würdet Ihr mir bitte folgen.“ bat er Draco und Wanja mit einer leichten Verbeugung.

„Moment, eins noch.“ Draco wandte sich an seine Mutter. „Wo habt ihr Leo untergebracht? Kann ich ihn…ähm, sie besuchen?“

„Ihr könnt jederzeit hierher kommen,“ erwiderte sie. „Nur heute solltet ihr sie in Ruhe lassen. Ich werde mich schon gut um sie kümmern.“

Draco und Wanja gaben sich mit der Auskunft zufrieden und folgten Angelus. Dieser brachte sie zu einem kleinen Haus, welches direkt neben dem Palast lag. An der Tür verließ er die Beiden und entfernte sich.

In Inneren des Hauses befanden sich eine kleine, komplett eingerichtete Küche, ein gemütliches Wohnzimmer, zwei Schlafzimmer und zwei Bäder.

Die Betten waren frisch bezogen und luden zum schlafen ein. Der Kleiderschrank war gefüllt mit allem, was ein Mann zum Anziehen brauchte.

Im Bad befand sich außer einer Badewanne, in welcher bequem zwei Leute Platz hatten, noch eine Dusche. Frische Handtücher hingen über einem Handtuchwärmer. Überhaupt war das Bad mit allem ausgestattet, was für ein Bad oder eine Dusche benötigt wurde.

Draco entschied sich für ein Bad in der Wanne, während Wanja nur duschte.

In der kleinen Küche befand sich ein wohl gefüllter Kühlschrank, mit allem, was das Herz begehrte, auch ein großer Krug mit frischem Blut. Wanja goss sich nach der Dusche ein Glas davon ein und setzte sich ins Wohnzimmer auf die sehr bequeme Couch. Er hatte das fehlende Tagebuch vor sich auf den Tisch gelegt.

Als Draco nur mit einer bequemen Jogginghose dazu kam, schlug Wanja vor, gemeinsam das Buch zu lesen. Vielleicht bot es ja Auskunft darüber, warum Leo als Junge aufwuchs.

Und richtig, es setzte dort an, wo das andere geendet hatte:

Meine Frau hatte Daleira angelogen und ich ebenfalls, ohne den Grund dafür zu kennen. Später, als Daleira fort war, bat meine Frau mich zu ihr zu setzen. Und dann erzählte sie mir, dass sie vor ein paar Monaten diese Daleira getroffen hätte und sich gut mit ihr verstanden hätte. So hätte sie ihr dann erzählt, wie sehr wir uns ein Kind gewünscht hätten, es aber hätte nicht sein sollen. Und jetzt wären wir wohl zu alt dafür. Aber Daleira meinte, das Alter wäre kein Problem und sie versprach, meiner Frau zu helfen. Sie kenne sich gut mit Kräutern aus, die helfen würden, schwanger zu werden. Allerdings müsse ihr meine Frau im Gegenzug versprechen, dass, wenn es ein Mädchen werden sollte, Daleira das Kind im Alter von achtzehn Jahren haben könne. Meine Frau war so sehr von ihrem Wunsch beseelt, dass sie alles versprach. Aber als es dann endlich soweit war und sie merkte, dass neues Leben in ihr heranwuchs, bereute sie ihr Versprechen und sie beschloss, egal ob es Junge oder Mädchen wäre, es zu behalten, auch wenn es achtzehn wäre. In ihr reifte der Gedanke, Daleira über das Geschlecht zu belügen, sollte es ein Mädchen werden. Allerdings hatte sie nicht damit gerechnet, dass Daleira die ganze Schwangerschaft über bei uns bleiben würde. Aber zu ihrem Glück setzten die Wehen gerade dann ein, als Daleira für ein paar Tage fort war. So konnten wir sie belügen.

Wir stellten eine einheimische Nanny ein. Diese war erschrocken, als sie das Mal, welches unser Kind auf der linken Schulter hatte, zum ersten Mal sah.

Es sei das Zeichen des Löwengottes, erklärte sie uns. Und wenn ein Mädchen dieses trüge, wäre sie dazu bestimmt, dem Gott geopfert zu werden. Sollte allerdings zum Jahrtausendwechsel solch ein Mädchen achtzehn Jahre sein, wäre sie dazu bestimmt, ein Kind von dem Gott zu gebären. Und in den meisten Fällen würde sie das nicht überleben. Wir bestachen sie mit viel Geld, damit sie niemanden sagte, dass unser Leo ein Mädchen war. Sie hatte Angst, dass der Löwengott sie bestrafen würde, wenn er davon erführe und seine Strafe würde grausam sein. Es kostete uns viel Überredungskunst, sie davon zu überzeugen, dass ihr nichts geschehen würde.

In den ersten drei Jahren seines Lebens wuchs unser Kind unbeschwert auf. Wir kleideten und behandelten es wie einen Jungen und niemand schöpfte Verdacht.

Aber eines Tages tauchte Daleira wieder auf. Sie wollte sich immer um das Kind kümmern, sie schickte die Nanny mit lächerlichen Aufträgen fort, aber meine Frau und ich waren wachsam und verhinderten, dass Daleira das Kind nackt sah. Allerdings litt meine Frau sehr unter der Situation und wurde immer nervöser.

Dann kam der Tag, an dem wir in letzter Sekunde verhindern konnten, dass Daleira das Kind badete. Meine Frau riss es ihr aus den Händen und sagte: „Fass ihn nicht an, er….er hat Lepra.“ Was allerdings wieder eine Lüge war. In dieser Nacht beschlossen wir, das Land zu verlassen und zurück in die Heimat zu gehen, wo ich von meinem Vater ein kleines, einsames Schloss geerbt hatte.

Hier endete das Tagebuch.

„Tja, nun wissen wir, warum Leo als Junge aufwuchs.“ meinte Wanja. „Aber es erklärt immer noch nicht, wieso er beziehungsweise sie so lange krank war. Denn das sie tatsächlich an Lepra erkrankt war, glaub ich nicht.“

„Das glaub ich auch nicht. Es war einfach nur die Angst, Leo an diese Daleira zu verlieren.“ stimmte Draco zu. „Aber viel geholfen hat es ja nicht, sie hat sie trotzdem gefunden.“

„In dem Arbeitszimmer von Leos Vater habe ich keine weiteren Aufzeichnungen gefunden.“ sagte Wanja. „Denn dann hätte ich schon vorher gewusst, dass sie ein Mädchen ist. Aber ich hatte auch nicht soviel Zeit, alles gründlich zu durchsuchen. Vielleicht sollte man dort noch mal genauer nachsehen.“

„Sollte man.“ erwiderte Draco, stand auf und reckte sich. „So, ich hol mir jetzt noch einen Schlummertrunk und dann werde ich schlafen gehen.“

„Dem schließe ich mich an.“


8. Kapitel


Leo erwachte in einem großen, weißen Bett, welches mit Gold verziert war. Über ihr war ein ebenfalls weißer Baldachin. Staunend sah sie sich um, das ganze Zimmer war in Weiß gehalten. Im ersten Moment wusste sie nicht wo sie sich befand, doch dann setzte langsam ihre Erinnerung wieder ein. Da war der brennende Schmerz auf ihrer linken Schulter, den der Regen kühlte. Und ein widerlich stinkender Lappen war ihr auf das Gesicht gedrückt worden, danach war alles schwarz um sie herum gewesen. Das nächste, an das sie sich erinnerte, war dieser große, kuppelförmige Raum gewesen, in dem sie auf einen kalten, steinernen Tisch oder was immer das auch war, gefesselt lag. Da war dann diese alte Frau, die ihr unter unverständlichem Gemurmel irgendeine Flüssigkeit einflösste, die ihren Körper innerlich zum Glühen brachte und sie ganz entspannte. Die alte Frau hatte dann ihre Beine und ihren Bauch mit Zeichen bemalt. Und dann war dieser große, wild aussehende Mensch erschienen, der irgendetwas von ‚Meine Braut’ und ‚Die Mutter meines Sohnes’ gefaselt hatte. Die Alte hatte ihr die Tücher vom Körper genommen und hatte zu dem Mann gesagt: ‚nimm sie Dir, sie ist bereit.’ Wozu bereit, hatte Leo nicht verstanden. Dieser Mensch hatte sich zwischen ihre Beine, die weit auseinander gespreizt festgebunden waren, gestellt und hatte sich die Lippen geleckt. Er hatte ihr eine Hand auf den Bauch gelegt und war gerade dabei, sie zwischen ihre Beine gleiten zu lassen, als auf einmal Draco vom Himmel fiel und mit diesem Menschen kämpfte. Auch Wanja war dort gewesen und hatte die alte Frau getötet.

Leo kam das Ganze jetzt wie ein Traum vor.

Leise öffnete sich die Tür und Dracos Mutter, Lumina, betrat den Raum.

„Oh, Du bist wach.“ sagte sie mit leiser Stimme. „Ich wollte nur mal nach Dir sehen. Wie fühlst Du Dich?“

„Soweit ganz gut,“ antwortete Leo. „Ich bin nur etwas verwirrt.“

„Das glaube ich.“ lächelte Lumina sanft. „Wenn man jahrelang als Junge aufwächst und dann erfährt, dass man ein Mädchen ist, das kann einen verwirren.“

„Hm, ganz ehrlich? Ich kenne den Unterschied zwischen Junge und Mädchen nich.t“ gab Leo beschämt zu.

„O je.“ stöhnte Lumina. „Was haben Dir Deine Eltern da angetan. Sie haben Dir nie gesagt, dass es Mann und Frau gibt?“

„Äh, nein.“ erwiderte Leo.

„Aber wie hast Du denn Vater und Mutter unterscheiden können? Dir muss doch aufgefallen sein, dass Deine Mutter zumindest oben herum anders aussah, als Dein Vater.“ Lumina fasste sich bei diesen Worte unter ihre Brust und hob sie leicht an.

„Sie haben immer gleich ausgesehen,“ berichtete Leo. „Und wenn sie mein Zimmer betraten, sagten sie immer: Ich bin’s, Deine Mutter oder Dein Vater’. Und ich habe in all den Jahren auch nicht ein Buch gelesen, in dem zum Beispiel Bilder oder so etwas waren. Für mich sahen alle Menschen gleich aus.“

„Aber Du bist nun mal ein Mädchen.“ sagte Lumina. „Hattest Du nie Deine Periode? Ich hoffe, Du weißt, was das ist.“

Leo schüttelte den Kopf.

„Soll das heißen, Du weißt nicht, was es ist oder Du hattest sie noch nie?“ hakte Lumina nach.

„Beides.“ gestand Leo verlegen.

„Oh, Mann, da kommt ja eine Menge Arbeit auf uns zu.“ seufzte Lumina.

„Aber damit werden wir nicht jetzt beginnen, denn vor der Tür steht jemand, der schon ganz ungeduldig darauf wartet, Dich zu besuchen und wir wollen ihn nicht zu lange warten lassen. Ich hätte da nur noch eine kleine Bitte an Dich. Und zwar möchten unsere Heiler Dein Blut untersuchen, deshalb möchte ich Dich bitten, mir zu erlauben, Dir etwas davon abzunehmen. Ist das in Ordnung?“

„Ja, natürlich.“ antwortete Leo und hielt Lumina ihren Arm hin. Lumina sah voller Entsetzen die vielen vernarbten Einstiche in Leos Armbeuge, schwieg aber. Sie suchte sich eine Stelle, wo sie die Nadel einstach und Leo einige Ampullen Blut abnahm.

Leo ließ die Prozedur ohne eine Miene zu verziehen über sich ergehen und Lumina schloss daraus, dass sie es jahrelang gewohnt war.

„So, dass war’s.“ sagte sie und streichelte über Leos Arm. „Und nun schick ich Deinen Besuch herein.“

‚Draco’ dachte Leo freudig und sah mit glänzenden Augen zur Tür. Aber es war Wanja, der eintrat und langsam auf sie zukam.

„Hallo, Kleiner, äh, sorry, Kleine meinte ich, wie geht es Dir?“ fragte er und setzte sich auf die Bettkante.

„Soweit ganz gut.“ antwortete Leo. „Ich bin nur etwas verwirrt über das, was in der Nacht geschah. Wer war dieser….Mann? Und was wollte er von mir?“

Wanja überlegte, wie er ihr es erklären sollte, als Leo schon weitersprach: „Er und die Alte haben was gesagt, von wegen: Mutter seines Sohnes’ und ‚Nimm sie Dir, sie ist bereit’ und solch komische Sachen. Ich habe kein Wort davon verstanden.“ Sie dachte kurz nach und redete dann weiter: „Und diese Hexe oder was immer sie auch war, hat dann gesagt, er könne mit der anderen Frau machen, was immer er auch wolle, er könne sie sogar fressen. Das ist doch verrückt oder nicht?“

„Ja, das ist verrückt.“ stimmte Wanja zu. „Ich weiß nur, dass dieser Mann der Löwengott gewesen sein soll, der alle tausend Jahre auf die Welt kommt, um einen Sohn zu zeugen. Sehr wahrscheinlich kann Dir meine Mutter mehr darüber erzählen. Ich habe von diesen Götterdingen keine Ahnung.“

„Gut, werde ich sie danach fragen.“ nickte Leo. „Und wie geht es Dir? Hast Du keine Schmerzen mehr?“

„Mir geht es wieder bestens.“ erwiderte Wanja. „Dank Deiner großzügigen Blutspende habe ich mich sehr schnell erholt. Dafür muss ich mich noch mal herzlich bei Dir bedanken.“

„Brauchst Du nicht, habe ich doch gerne gemach.t“ wehrte Leo verlegen ab. Nachdenklich sah Leo Wanja an. „Ob meine Eltern davon wussten? Ich meine, von letzter Nacht? Haben sie sich deshalb umgebracht?“

„Diese Frage kann ich Dir nicht beantworten.“ wich Wanja aus. „Vermisst Du sie sehr?“

„Nein, eigentlich nicht. Sie waren ja nie wirklich da, das heißt, ich habe sie kaum gesehen. Mein Vater erschien jeden Morgen und jeden Abend, um mir meine Medikamente und meine Spritze zu geben und verschwand danach direkt wieder. Ja, und meine Mutter brachte mir zwar mein Essen, aber auch sie blieb nicht wirklich lange in meinem Zimmer. Der einzige Mensch, der sich stundenlang bei mir aufhielt, war dieser alte verknöcherte Professor, der mich unterrichtete. Und er sprach mit mir auch nur über Lernstoff. Von dem Leben draußen, außerhalb meines Zimmers wusste ich nichts. Erst als ich so langsam aufstehen und herumlaufen konnte oder durfte, habe ich noch andere Gesichter gesehen. Und mein bisher schönster Tag war der, als wir uns kennenlernten.“

Wanja hatte schweigend zugehört, er fühlte, dass Leo sich alles Mal von der Seele reden musste. Und er war wütend, wütend auf Leos Eltern, die ihr Kind so behandelt hatten. Er konnte verstehen, dass Leo keine große Trauer empfand. Umso mehr bewunderte er, dass Leo den Mut gefasst hatte, sich alleine auf die Suche nach ihm, Wanja, zu machen.

Bevor er sich dazu äußern konnte, klopfte es an die Tür und eine junge Dienerin trat ein.

„Ihre Mutter erwartet sie in ihren Räumen. Sie möchten so bald es geht, zu ihr kommen.“ wandte sie sich an Wanja.

„Und Ihnen bringe ich das Frühstück und ich soll Sie bitten, dieses Medikament zu nehmen.“ richtete sie sich an Leo und stellte ein wohl gefülltes Tablett auf das Bett. „Falls Sie noch einen Wunsch haben sagen Sie es ruhig, ich stehe zu Ihren Diensten.“

„Ich habe keine Wünsche.“ sagte Leo. „Doch, vielleicht einen kleinen. Könnten Sie mir die Toilette zeigen?“

Wanja merkte, dass es Leo unangenehm war, das Bett zu verlassen, solange er anwesend war, deshalb erhob er sich und sagte: „Na, dann werd ich mal schnell zu meiner Mutter gehen. Und Du erhol Dich gut, ich komme später noch mal wieder.“ Er streichelte Leo zum Abschied über die Wange.

Draco, der in den letzten Tagen sehr wenig Schlaf hatte, wachte erst gegen Mittag auf. Er ging unter die Dusche, dann öffnete er den Kleiderschrank, um sich frische Wäsche zu holen. Anscheinend war sein Faible für schwarze Sachen hier bekannt, denn es hingen etliche schwarze Designerjeans und schwarze Seidenhemden dort. Es gab auch einen Stapel mit weißen T-Shirts und schwarzen Pullis. Draco entschied sich für eines der T-Shirts, denn ganz in schwarz würde er sich zu sehr von den Anderen abheben. Als er sich angekleidet hatte, wollte er seinen Bruder aufsuchen, stellte aber fest, dass dieser gar nicht anwesend war. Gerade, als er in die Küche gehen wollte, um sich ein Glas Blut zu holen, klopfte es an die Eingangstür. Draco ging hin und öffnete sie.

„Ich soll Sie zu Ihrer Mutter bringen.“ sagte Angelus und verneigte sich leicht.

„Dank.e“ erwiderte Draco und folgte ihm.

Angelus brachte ihn zu dem Privatzimmer seiner Mutter, wo schon Wanja war. Kaum hatte Draco Platz genommen, ergriff auch schon seine Mutter das Wort.

„Unsere Heiler haben das Blut von Leo untersucht und einige ihrer Haare. Sie fanden heraus, dass sie eine große Menge Testosteron in ihrem Körper hat, eine ungewöhnlich große Menge. Daraus lässt sich schließen, dass es ihr künstlich zugeführt wurde, was die Analyse ihrer Haare bestätigte. Unsere Heile vermuten, dass der Vater von Leo ihr, seit sie wieder in Deutschland waren, täglich dieses Hormon gespritzt hat und die Menge erhöhte, als sie in die Pubertät kam.“

„Das heißt, er hat ihre Weiblichkeit unterdrückt?“ fragte Wanja dazwischen.

„Genau das heißt es.“ antwortete Lumina. „Nun beginnen wir damit, ihrem Körper weibliche Hormone zuzuführen. Allerdings machen sich die Heiler Sorgen, dass Leos innere Geschlechtsorgane darunter gelitten haben. Aber das soll nicht Eure Sorge sein. Ich wollte Euch auch nur mitteilen, dass wir Leo einige Zeit bei uns behalten wollen, bis ihr Körper so funktioniert wie es ein weiblicher Körper tun sollte.“

„Wie lange wird das dauern?“ erkundigte sich Wanja.

„Kann man nicht so genau sagen. Es kommt darauf an, wie schnell ihr Körper darauf reagiert.“ erwiderte Lumina.

„Wie hat sie eigentlich darauf reagiert, dass sie ein Mädchen ist?“ wollte Wanja wissen.

„Eigentlich gar nicht.“ war die Antwort seiner Mutter. „Ich habe heute Morgen mit ihr gesprochen und dabei kam mir der Verdacht, dass sie quasi geschlechtslos aufgewachsen ist. Wie auch immer ihre Eltern das geschafft haben. Sie gestand mir verlegen, dass sie den Unterschied zwischen Mann und Frau gar nicht kennt. Ihr wurden wohl alle Bücher, die mit diesem Thema etwas zu tun hatten, vorenthalten. Und das Fach Biologie wurde auch unter den Tisch fallen gelassen.“

Draco, der die ganze Zeit schweigend zugehört hatte, sagte: „Sie wollte nie ihren dicken Pulli ausziehen, damit man nichts von ihrem Körper sah. Sie wollte auch nicht nackt sein. Und dann liegt sie so auf diesem Altar. Wie muss sie sich da gefühlt haben?“

Seine Mutter und sein Bruder sahen ihn erstaunt an.

„Das wird ein hartes Stück Arbeit.“ seufzte Lumina. „Ich werde mich persönlich um Leo kümmern, ihr langsam und schonend beibringen, wie sich Mann und Frau unterscheiden. Das sich ihr Körper mit der Zeit verändern wird und das Nacktsein keine Schande ist. Ich möchte Euch bitten, wenn ihr sie besucht, nicht über die Themen zu reden, es sei denn, sie fragt Euch danach. Ihre Fragen könnt Ihr natürlich beantworten.“

Draco und Wanja versprachen es.

„Wie geht es der Tochter von dieser Hexe Daleira?“ erkundigte sich Wanja.

„Körperlich ganz gut.“ berichtete Lumina. „Mit ihr hat einer unserer Priester gesprochen, der die Fähigkeit besitzt, den Menschen tief in ihre Seelen zu blicken. Und er ist zu dem Ergebnis gekommen, dass sie nichts von der Boshaftigkeit und der schwarzen Magie ihrer Mutter in sich hat. Sie kann, wenn sie möchte, hier bei uns bleiben.“

„Ich würde sie gerne besuchen, wenn ich darf.“ sagte Wanja.

„Natürlich, geh nur zu ihr.“ erwiderte Lumina.

Wie auf einen unsichtbaren Befehl erschien eine der jungen Dienerinnen von Lumina.

„Bringst Du meinen Sohn bitte zu Zerafina, Malu?“ bat Lumina diese.

Als die Beiden den Raum verlassen hatten, sah Lumina ihren erstgeborenen Sohn an.

„Was beschäftigt Dich? Du bist so schweigsam?“ fragte sie ihn.

„Leo.“ antwortete Draco. „Ich weiß nicht, wie ich ihm, ihr begegnen soll. Ich habe sie nackt gesehen und weiß, dass ihr das unangenehm sein wird. Als wir hierher unterwegs waren, hielt ich in einem kleinen Dorf in Frankreich, welches abseits in den Bergen lag, an und nach dem Essen dort gingen wir zum Strand, der menschenleer war. Es war heiß an diesem Tag und ich machte den Vorschlag, nackt im Meer zu baden, im Glauben, Leo wäre genau wie ich ein Mann. Er reagierte sehr wütend auf meinen Vorschlag und sprach kein Wort mehr mit mir.“

„Du solltest trotzdem zu ihr gehen, ich glaube, sie wartet auf Deinen Besuch.“ riet seine Mutter. „Sprich von Dir aus nicht über das, was oben war. Aber das ist noch nicht alles, was Dich bedrückt, oder? Egal, was es ist, Du kannst es mir erzählen.“

„Du hast Recht, da gibt es noch etwas.“ gab Draco zu. „Ich habe, solange ich Vampir bin, immer nur die Frauen als Objekte meiner Begierden gesehen. Bis ich Leo traf. Für mich war sie zu der Zeit noch männlich. Je länger ich mit ihr unterwegs war, desto mehr fühlte ich mich zu ihr hingezogen. Ich wehrte mich dagegen, weil ich sie ja für einen Jungen hielt. In mir erwachte ein nie gekannter Beschützerinstinkt und die Angst, sie zu verlieren. Aber das spielt keine Rolle, weil sie und Wanja ja wohl ein Paar sind. Ich habe gesehen, wie sie sich ansahen……Ich möchte den Beiden nicht im Weg stehen und werde Euch, so bald es geht, verlassen.“

„Es tut mir leid, dass zu hören.“ kommentierte Lumina traurig den letzten Teil. „Du willst wirklich das Feld räumen?“

„Ich kann und werde meinem Bruder nicht weh tun.“ erwiderte Leo. „Lieber gehe ich mit meiner unerfüllten Liebe im Herzen fort. Ich werde schon nicht an gebrochenen Herzen sterben.“

„Verlass uns aber nicht so bald.“ bat seine Mutter. „Nur weil ich Euch damals ohne Abschied verließ, bedeutet das nicht, dass ich Euch nicht liebe.“

„Ich werde ja nicht gleich morgen verschwinden.“ versprach Draco.

„Ach, übrigens, morgen wird Darkness, Madame LeNoire, hier erscheinen. Sie würde gerne mit Euch über den gestrigen Tag sprechen.“ fiel seiner Mutter ein.

„Und uns zur Rechenschaft ziehen, weil wir, wenn es auch ein Gott und eine Hexe war, getötet haben.“ fügte Draco hinzu.

„Da mach Dir mal keine Sorgen, dass wird sie nicht.“ beruhigte ihn Lumina. „Anders konntet Ihr den teuflischen Plan nicht aufhalten.“

„Jetzt würde ich aber gerne zu Leo gehen.“ bat Draco. „Sehen, wie es ihr geht.“

„Mach das.“ erwiderte seine Mutter und sah ihm nach, als er den Raum verließ.

Kurz darauf klopfte Draco an Leos Tür. Auf ihr „Herein“ betrat er den Raum und sah vorsichtig zu dem Bett, in welchem Leo lag. Ihm entging das freudige Aufblitzen ihrer Augen.

„Mein Rette.r“ freute Leo sich. „Komm her und setz Dich.“ Einladend klopfte sie auf das Bett.

„Soll ich wirklich…?“ fragte Draco zweifelnd.

„Ja, klar.“ antwortete Leo fröhlich.

Vorsichtig setzte Draco sich auf die Bettkante und sah Leo verlegen an.

„Wie geht es Dir?“ wollte er wissen.

„Eigentlich ganz gut.“ strahlte Leo. „Ich weiß gar nicht, warum Lumina darauf besteht, dass ich im Bett bleibe.“

„Damit Du Dich erholen kannst. Immerhin hast Du vorgestern eine Menge Blut verloren.“ erwiderte Draco.

„Und wie geht es Dir?“ wollte Leo wissen. „Du siehst abgespannt aus.“

„Mir geht es gut, sehr gu.t“ antwortete Draco.

„Hast Du etwa ein Problem damit, dass ich ein Mädchen bin?“ erkundigte sich Leo zaghaft. „Da bist Du nicht der Einzige.“

„Ich kann mir vorstellen, dass es ein Schock für Dich war“ meinte Draco.

„Hm, nein, um geschockt zu sein, hätte ich glauben müssen, ich sei ein Junge. Aber da ich ja eigentlich geschlechtslos aufwuchs, spielt es keine Rolle. Meine Eltern und später auch mein Lehrer müssen alle Bücher von mir ferngehalten haben, die etwas mit diesem Thema zu tun hatten. Und was meine dicken, schwarzen Pullis anging, hielt ich diese Kleidung auch für normal, da meine Eltern ständig so herumliefen. Mir wurde seit frühester Kindheit eingebläut, dass man sich niemandem nackt zeigen dürfe. Deshalb habe ich auch so reagiert, als Du mir vorschlugst, nackt im Meer zu schwimmen.“

Draco hatte Leo reden lassen, weil er spürte, dass diese sich mal alles von der Seele reden musste.

„Nun ist Deine Mutter so nett und will mir alles erklären.“ redete Leo weiter. „ Ich bin schon ganz gespannt und kann es kaum erwarten. Darf ich Dich mal etwas fragen?“ erkundigte sie sich schüchtern.

„Ja, klar, alles, was Du möchtes.t“ antwortete Draco verwirrt.

„Was bist Du?“ lautete Leos kurze Frage.

„Was ich bin? Ein Vampir.“ erwiderte Draco irritiert.

„Das meinte ich nicht.“ sagte Leo. „Ich meinte, was bist Du, Mann oder Frau?“

„Ach so. Ich bin ein Mann.“ antwortete Draco.

„Und Dein Bruder auch? Und Deine Mutter ist eine Frau?“ bohrte Leo weiter.

„So ist es.“ bestätigte Draco.

„Ah ja.“ nickte Leo. „Dann ist das der Unterschied, also hier.“ Sie legte sich die Hände auf die Brust.

„Ja, auch, aber nicht nur.“ entgegnete Draco verlegen. „Aber meine Mutter wird Dir das alles schon genauestens erklären.“

Langsam wurde es Draco peinlich und er war froh, als es an die Tür klopfte und seine Mutter in Begleitung eines älteren Mannes den Raum betrat.

„Das ist Arsus, einer unserer Heiler.“ stellte sie ihn vor. „Er würde Dich gerne untersuchen, falls Du damit einverstanden bist, Leo. Keine Angst, ich werde die ganze Zeit dabei sein.“ Beruhigend legte sie ihre Hand auf Leos, als sie den ängstlichen Blick sah. „Allerdings muss ich Dich bitten, zu gehen.“ wandte sie sich an Draco.

Draco erhob sich sofort, beugte sich zu Leo und küsste sie auf das Haar.

„Keine Angst,“ flüsterte er. „Ich komme morgen wieder.“

Als Draco das Zimmer verlassen hatte, verriegelte Lumina die Tür.

„Damit wir nicht gestört werden.“ erklärte sie.

Lumina setzte sich neben Leo auf das Bett.

„Also, Arsus, unser Heiler hier, ist zuständig für unsere Frauen,“ erklärte Lumina. „Und keine Sorge, er ist ausgebildeter Arzt. Alle unsere Heiler haben dort oben Medizin studiert. Jetzt müssen wir Dich allerdings um etwas bitten, was Dir unangenehm sein wird. Um Dich untersuchen zu können, müsstest Du Dein Nachthemd ausziehen und alles, was Du darunter trägst. Ich weiß, dass Nacktsein ein Tabu für Dich ist, aber es muss leider sein. Du wirst feststellen, dass es nichts Schlimmes ist, nackt zu sein.“

„Ich werde alles tun, was ihr verlangt“ sagte Leo vertrauensvoll. Sie setzte sich auf und zog ihr Nachthemd aus, darunter trug sie nichts mehr. Lumina hatte zwischenzeitlich die Decke fortgenommen und bat Leo, sich wieder hinzulegen.

Der Anblick von Leos nacktem Körper ließ Luminas Atem stocken. Ihre Brust war wirklich so flach wie die eines Jungen. Lumina forderte den Heiler mit einem Blick auf, mit der Untersuchung zu beginnen.

Leo spürte, wie die Hände des Heilers ihren Körper berührten und in ihr stieg die Erinnerung an letzte Nacht auf. Sie verkrampfte sich.

„Die Erinnerung.“ flüsterte Lumina dem Heiler zu.

„Denk an etwas Anderes, an etwas Schönes,“ sprach sie auf Leo ein. „Ich weiß, dass es unangenehm ist, aber es muss leider sein. Wir wollen Dir nur helfen.“

„Erzähl mir von Deinen Söhnen, als sie Kinder waren.“ bat Leo und sah Lumina an.

Lumina fing an zu erzählen, wie die Beiden sie in Atem gehalten hatte. Sie erzählte von ihren ersten Worten und ihren ersten Schritten. Wie sie zusammen gehalten hatten, wenn sie Streiche ausheckt hatten. Lumina redete und redete und Leo entspannte sich beim Zuhören, so dass der Heiler seine Untersuchung abschließen konnte. Nur einmal zuckte Leo kurz zusammen, als der Heiler ihre Beine anwinkelte und auseinander spreizte.

„So, fertig.“ unterbrach er Luminas Erzählung.

Lumina deckte Leo wieder zu und wandte sich dem Heiler zu.

„Und?“ fragte sie knapp.

„Ihre inneren Geschlechtsorgane sind vollkommen in Ordnung, genau wie ihre Äußeren,“ berichtete er. „Aber wir sollten die Hormonbehandlung über einen längeren Zeitraum vornehmen. Und wir sollten anfangs die Höchstdosis anwenden, zumindest so lange, bis ihr Busen wächst und sie ihre erste Periode hatte. Danach müsste dann noch mal ihr Blut untersucht werden und auch ihre inneren Organe.“

„So sei es.“ nickte Lumina. „Wir sollten ihr aber möglichst Tabletten geben. Seht Euch ihre Arme an und Ihr versteht, warum.“

Leo hatte zwar zugehört, aber nichts verstanden. Nur das sie wieder Medikamente nehmen sollte.

„Schon wieder Pillen und Spritzen?“ fragte sie verzweifelt.

„Ja, leider, Kleine.“ tröstete Lumina sie. „Aber es wird nicht lange dauern, dann kannst Du wieder damit aufhören. Und auf Spritzen werden wir ganz verzichten.“

„Aber bedenkt, Eure Hoheit, mit Tabletten wird es länger dauern.“ wies der Heiler hin. „Und die Spritze kommt nicht in den Arm, sondern in den Po.“

„Und damit werde ich zu einer Frau, einer richtigen Frau, so wie sie?“ fragte Leo und zeigte auf Lumina.

„Du bist eine richtige Frau.“ erwiderte Lumina sanft.

„Nein, bin ich nicht, seht doch, da ist nicht das, was Ihr dort habt.“ sagte Leo und zog die Decke von ihrer Brust. „Und wenn es mit Spritzen schneller geht, dann nehmt sie bitte.“

„Also gut, es ist Deine Entscheidung.“ nickte Lumina.

„Wir könnten gleich heute beginnen.“ bot der Heiler an. „Ich habe alles dabei.“

Lumina und Arsus sahen Leo fragend an.

„Je eher, desto besser.“ meinte Leo.

Der Heiler zog eine Spritze auf und stach sie Leo in die Pobacke.

„Es könnte jetzt etwas brennen.“ sagte er.

Es brannte nicht nur ein wenig, sondern es brannte höllisch, aber Leo verzog keine Miene.

„So, das war’s schon.“ Der Heiler zog die Spritze heraus und drückte kurz auf die Einstichstelle, dann erhob er sich.

„Bis morgen früh.“

„Ich werde Dich dann auch mal alleine lassen.“ meinte Lumina. „Dann kannst Du noch etwas schlafen.“
„Ach nein, bleib noch.“ bat Leo. „Mir geht es doch schon wieder gut. Wir können doch noch etwas reden.“

„Gut, dann bleibe ich noch.“ lächelte Lumina. „Über was möchtest Du denn sprechen?“

„Über gestern?“ fragte Leo. „Vielleicht kannst Du mir sagen, was das alles zu bedeuten hatte. Dieser komische Satz: ‚Sie ist bereit, Euren Sohn zu empfangen.’ Was hatte er zu bedeuten?“

„Puh.“ stieß Lumina die Luft aus. „Um Dir das zu erklären, muss ich weiter ausholen.“

Nach kurzer Pause begann Lumina dann, Leo zu erklären, wie sich Männer und Frauen unterschieden. Leo hörte aufmerksam zu, ohne Lumina zu unterbrechen.

„So,“ sagte Lumina, als sie geendet hatte. „Jetzt weißt Du das Wichtigste.“

„Also,“ meinte Leo. „Wenn ich das alles richtig verstanden habe, müssen wir Frauen einmal im Monat bluten, um bereit zu sein, Kinder zu bekommen. Aber das habe ich doch noch nie, wie konnte sie dann sagen, ich wäre dazu bereit? Sie kannte mich doch gar nicht.“

„Sie war eine Hexe, vielleicht hat sie dir einen Trank eingeflößt, der dieses Problem löste.“ überlegte Lumina.

„Ich erinnere mich, sie hat mir etwas gegeben und danach brannte mein ganzer Körper innerlich, als ob Feuer durch meine Adern floss.“ sagte Leo. „Und dann konzentrierte sich das Feuer auf eine Stelle in meinem Körper, dort unten, zwischen meinen Beinen.“

„Es sollte Dich dazu bereit machen, ihn in Dir aufzunehmen, ohne dass Du dabei allzu große Schmerzen erleiden würdest.“ sprach Lumina ihre Gedanken aus.

„Es schmerzt?“ fragte Leo mit weit aufgerissenen Augen.

„Nein, nein, da hab ich mich falsch ausgedrückt.“ beruhigte Lumina sie. „Wenn Du es aus Liebe machst, dann ist es sehr schön. Aber diesen Mann kanntest Du nicht und Du warst nicht freiwillig dort. Und wenn es auf diese Weise geschieht, kann es sehr schmerzhaft sein.“

„Ich glaube, ich werde es niemals machen.“ sagte Leo. „Woher soll ich denn wissen, dass ich es will.“

„Oh, Du wirst es merken.“ erklärte Lumina. „Mit dem richtigen Mann, dem Dein Herz gehört. Und ihm willst Du auch Deinen Körper schenken, glaub mir.“

„War es bei Dir und dem Vater von Wanja und Draco so?“ fragte Leo neugierig.

„Oh ja.“ erwiderte Lumina und dachte an die Zeit zurück, dachte an den Mann, der ihr in mancher Nacht die höchsten Wonnen beschert hatte.

„Ich werde nie so jemanden finden.“ seufzte Leo und ließ in die Kissen sinken. „Wer mag schon eine Frau, die nichts hat, hier oben herum.“

„Da wird schon noch was wachsen, warte ab.“ tröstete Lumina sie.

„So, und jetzt lass ich Dir Dein Abendessen bringen.“ sagte sie und erhob sich. „Soll ich Dir ein paar Bücher bringen lassen, damit Du Dir die Zeit vertreiben kannst? Wir haben eine große Bibliothek, da findet sich bestimmt etwas.“

„Das wäre sehr net.t“ nickte Leo. „Vielleicht etwas über Liebe oder so.“

„Ich schau mal.“ versprach Lumina. „Morgen früh sehen wir uns dann wieder, ich werde unseren Heiler begleiten.“

„Danke.“ murmelte Leo, dann war sie wieder alleine.

Früh am nächsten Morgen erschien Lumina in Begleitung des Heilers, der schnell seine Aufgabe erledigte.

„Ich würde Ihnen raten, noch eine halbe Stunde liegen zu bleiben, denn es könnte sein, dass Ihnen nach der Spritze schwindelig wird.“ riet er Leo.

„Mach ich, ich habe ja sonst nichts vor.“ erwiderte Leo.

„Ich komme gleich zurück.“ versprach Lumina und verließ mit dem Heiler das Zimmer.

Nach einer halben Stunde, Leo hatte zwischenzeitlich im Bett gefrühstückt, betrat Lumina das Zimmer.

„So,“ sagte sie fröhlich. „Jetzt ab mit Dir unter die Dusche, dann anziehen, danach zeige ich Dir unser Reich, wenn Du möchtest.“

„Aber ich habe nichts zum Anziehen, meine Sachen liegen in der Mission.“ entgegnete Leo. „Ich kann ja schlecht in meinem Nachthemd herumlaufen.“

„Hier. Ist das genug zum Anziehen?“ lachte Lumina und öffnete den großen Kleiderschrank. Sie nahm eine Jeans und ein Topp heraus und reichte es Leo.

„So, ab unter die Dusche. Ich warte.“ befahl sie lachend.

„So kann ich nicht herumlaufen.“ sagte Leo, als sie aus dem Bad kam. „Man sieht viel zu viel von meiner Haut.“

Lumina hatte ihr ein Topp gegeben, welches Spagettiträger hatte und den Bauch freiließ.

„Hm, ja gut, es ist wohl etwas gewagt, nachdem, was Du sonst getragen hast.“ meinte Lumina. „Wir müssen Dich erst langsam an gewagtere Kleidung gewöhnen. Hier, nimm das.“ Sie reichte Leo ein einfaches T-Shirt, welches etwas weit war.

„Besser?“ fragte sie, als Leo es übergestreift hatte.

„Ja, viel besser.“ nickte Leo.

„So, dann komm, auf zum Stadtrundgang, meine Söhne warten schon.“ rief Lumina fröhlich.

„Sie kommen mit?“ Leos Stimme schwankte zwischen Enttäuschung und Freude.

„Schickes Outfit.“ sagte Wanja anerkennend, als Lumina und Leo vor das Portal traten. „Oder was meinst Du, Draco?“

„Hm.“ brummte dieser, ohne richtig hinzusehen.

„So ganz anders, als das, was Du sonst getragen hast.“ fügte Wanja noch hinzu.

„Meine Sachen liegen ja immer noch in der Mission.“ erwiderte Leo. „Also musste ich das anziehen, was da war.“

„Und da können sie auch verrotten.“ lachte Wanja.

Sie gingen hinter Lumina und Draco her, Lumina zeigt auf die Häuser, die alle aus dem gleichen hellen kristallähnlichen Material gebaut waren.

„Hier leben unsere Priesterinnen und Prieste.r“ erklärte sie.

Sie kamen zu einem großen Gebäude.

„Das ist das Haus unserer Heile.r“ berichtete sie. „Es gibt verschiedene Heiler, die eigentlich alle studierte Ärzte sind, dort. Fast für jede Krankheit einen.“

„Brauchen wir nicht.“ lachte Wanja. „Oder, Bruder?“

„Nicht wirklich.“ stimmte Draco ernst zu.

Sie kamen in den hinteren Teil der Stadt. Hier waren die Häuser aus normalem Stein gebaut.

„Das ist das Viertel unserer Arbeiter.“ sagte Lumina. „Hier leben unsere Dienerinnen und Diener. Und unsere Handwerker.“

Daran schloss sich ein Gebiet an, in welchem Gemüse und Obst wuchs. Durch ein ausgeklügeltes System wurde das Sonnenlicht von oben auf die Pflanzen geleitet.

„Woher bekommt ihr euren Strom?“ wollte Wanja wissen.

„Oh, wir haben ein kleines Wasserkraftwerk.“ erwiderte Lumina.

Sie führte sie zu einem Wasserfall, wo es sich befand.

„Und hier ist unsere Wasserversorgung.“ erläuterte Lumina. „Da wird, dank unserer Ingenieure Strom erzeugt und Trinkwasser hergestellt. Alle unsere Ingenieure haben oben studiert, genau wie unserer Ärzte. Auch gehen einige unserer anderen Bewohner ab und an nach oben, um Kleidung zu kaufen oder was sonst noch so benötigt wird und wir nicht selbst herstellen können.“

Langsam waren sie zu dem Tempel, in dem Lumina lebte, zurückgekehrt.

„Jetzt, wo dieser Gott doch nicht mehr ist, könntet ihr doch wieder an die Erdoberfläche zurückkehren.“ meinte Wanja.

„Und den Tempel wieder aufbauen? Was meinst Du, wie lange wir dort unentdeckt leben könnten? Die meisten unserer Leute sind hier unten geboren, sie wollen gar nicht mehr nach oben.“ entgegnete Lumina. „Wir haben das Ganze schon besprochen, kurz nachdem ihr ihn beseitigt habt. Niemand will hier weg.“

„Eure Hoheit, Euer Besuch ist eingetroffen.“ wurden sie von Angelus unterbrochen.

„Danke, mein Lieber.“ sagte Lumina. „Kommt, wir wollen ihn nicht zu lange warten lassen.“

Als sie Luminas Salon betraten, stand dort eine große Frau. Sie hatte, wie man heute sagen würde, eine Rubensfigur. Ihr Haar war feuerrot und dazu trug sie ein langes, ebenfalls rotes Kleid und einen schwarzen Umhang.

„Darkness, meine Liebe.“ begrüßte Lumina ihren Gast. „Es ist schön, Dich nach so langer Zeit mal wiederzusehen. Du hast uns ja nicht allzu oft besucht.“

„Lumina, wie geht es Dir?“ erwiderte die Angesprochene. „Ah, wie ich sehe, sind meine beiden Lieblingsvampire ja auch hier.“

Sie umarmte einen nach den anderen.

„Madame.“ grüßte Draco knapp.

„Madame LeNoire, es freut mich, Sie wiederzusehen.“ sagte Wanja und küsste ihre Hand.

„Und das ist sie?“ Madame LeNoire sah Leo prüfend an. „Ein wenig dünn und ziemlich klein.“

„Ach, Darkness.“ seufzte Lumina.

„Naja, im Gegensatz zu der Frau, die seine Mutter war.“ meinte Darkness.

„Immerhin wurde die Frau, die dem Löwengott damals bestimmt war, von uns aufgezogen.“ erwiderte Lumina. „Wir haben sie von Anfang an auf ihre Bestimmung vorbereit. Und als es soweit war, hat sie freiwillig seinen Sohn empfangen. Das sie bei seiner Geburt starb, war nicht vorauszusehen.“

„Starb? Sie wurde ermordet“ rief Darkness aufgebracht. „Ermordet von dieser Hexe Daleira, damit sie ihren Plan vollziehen konnte. Sie hatte von Anfang an die Absicht, mit dem Sohn das Böse auf diese Welt zu holen. Er ist nicht von sich aus so geworden, so dass wir gezwungen waren, unser Heim zu verlassen und unter die Erde zu gehen.“ Sie hatte sich richtig in Wut geredet.

„So sagte uns sein Vater, der sobald sein Sohn das Licht der Welt erblickte, in die Geisterwelt ging.“ nickte Lumina.

„Und leider mussten wir tausend Jahre warten, bis ihm der Garaus gemacht werden konnte.“ bedauerte Darkness. „Denn das war erst möglich, als er menschliche Gestalt annahm. Aber am meisten freut es mich, dass dieser Hexe auch das Lebenslicht ausgehaucht wurde, denn sonst hätte ich ihr meine Vampire auf den Hals geschickt.“

„Haben Deine Vampire den Auftrag ausführen können, um den ich Dich bat?“ wollte Lumina wissen.

„Aber ja.“ nickte Darkness stolz, griff in die Tasche, die neben ihr stand und holte einige Bücher heraus. „Hier, das ist alles, was sie fanden. Es müssten alle Tagebücher sein.“

„Ich hoffe, wir werden, wenn wir sie gelesen haben, wissen, was er mit ihr machte.“ meinte Lumina geheimnisvoll.

Es klopfte und eine Dienerin trat ein.

„Eure Hoheit, der Heiler wäre da.“ sagte sie mit einer leichten Verbeugung.

„Danke sehr, wir werden gleich erscheinen.“ nickt Lumina freundlich.

„Ich werde jetzt Leo in ihr Zimmer bringen, damit sie ihre Spritze bekommt.“ wandte sie sich dann an Darkness. „Sobald dies erledigt ist, komme ich zurück und wir können weiter reden.“

Auffordernd sah sie Leo an, die sich gleich erhob und ihr folgte.

„Wenn ich darf, komme ich später noch zu Dir.“ rief Wanja ihr nach.

„Das würde mich freuen.“ erwiderte Leo und lächelte ihm zu. Niemand bemerkte, wie sich Dracos Augen wie im Schmerz verdunkelten und er Leo traurig hinterher sah.

„So.“ sagte Lumina, als sie nach kurzer Zeit den Raum wieder betrat. „Das wäre erledigt. Leo muss jetzt erst mal eine halbe Stunde ruhen.“ Sie wandte sich an Darkness. „Und nun zu den Büchern. Lass mal sehen, ob sie uns Aufschluss bieten, was der Vater mit Leo gemacht hat.“

Sie nahm das erste Buch und begann zu lesen.

„Es ist….grauenhaft. Wie können Eltern nur so sein und ihrem Kind so etwas antun?“ Entsetzt schlug sie das Buch zu und legte es beiseite.

Sie sah ihre Söhne an. „Es war schon schlimm genug, zu wissen, dass ihr zu Vampiren werdet, aber was diese Eltern machten, war schlimmer. Wenigstens wusste ich, dass ich Euch wiedersehen werde.“

Sie umarmte einen nach dem anderen.

„Aber noch schlimmer ist, wenn man sich ein Kind machen lässt, dessen Schicksal es ist, einem Löwen zum Fraß vorgeworfen zu werden.“ äußerte Darkness.

„Du meinst jetzt die Tochter von Daleira? Das stimmt wohl. Und so wie ich verstanden habe, hat Daleira ihrer Tochter gegenüber nie einen Hehl daraus gemacht, aus welchem Grund sie auf der Welt ist. Ich frage mich nur, warum Zerafina ihre Mutter nicht verlassen hat.“ überlegte Lumina.

„Tja, Daleira war halt eine Hexe.“ zuckte Darkness mit den Schultern.

„Zum Glück hat Zerafina nichts in dieser Hinsicht von ihrer Mutte.r“ sagte Lumina. „Sie wurde eingehend daraufhin getestet und untersucht.“

„Und was geschieht nun mit ihr?“ wollte Darkness wissen.

„Wir haben ihr freigestellt, hier zu bleiben oder nach oben zurück zu kehren.“ antwortete Lumina. „Aber dort oben ist niemand, der auf sie wartet, da wäre sie ganz allein, deshalb möchte sie erst mal hier bleiben.“

„Wollt ihr sie zu einer Priesterin ausbilden?“ fragte Darkness.

„Wenn sie das möchte. Ansonsten kann sie entscheiden, was sie machen mochte, entweder wird sie Tempeldienerin oder bleibt erst mal nur so bei uns.“ erwiderte Lumina. „Wir werden sie zu nichts zwingen.“







9. Kapitel


Dieses Mal hatte die Spritze sehr weh getan, aber Leo hatte nicht eine Miene verzogen. Auch jetzt noch brannte die Einstichstelle wie Feuer. Lumina war bei ihr geblieben, bis der Heiler fertig war, danach hatte sie sich entschuldigt, weil sie ihren Besuch nicht so lange warten lassen wolle.

„Ist schon okay.“ nickte Leo. Sie nahm sich eines der Bücher, die Lumina ihr hatte schicken lassen und blätterte darin herum. Es war ein Biologiebuch für Kinder. Leo begann zu lesen.

Nach etwa einer halben Stunde begannen in ihrem Unterleib leichte, krampfartige Schmerzen. Leo legte das Buch beiseite, stand auf und lief im Zimmer herum, aber der Schmerz ließ nicht nach. Auch das Brennen an dem Einstich hatte noch nicht aufgehört. Sie ging in das Badezimmer und wollte eine Dusche nehmen. ‚Eigentlich könnte ich ja auch ein Bad nehmen’ dachte Leo und ließ Wasser in die Wanne laufen. Bisher hatte Leo noch nie ein Wannenbad genommen, deshalb wusste sie nicht, wie viel Badeschaum man dazu nahm und goss die halbe Flasche hinein. Es entwickelte sich sehr viel Schaum.

Gerade, als Leo in der Wanne lag, klopfte es an die Tür.

„Wer ist da?“ rief Leo laut.

„Ich bin’s, Wanja“ lautete die Antwort. „Darf ich hineinkommen?“

Leo sah in der verspiegelten Decke, dass außer ihrem Kopf von ihr nichts zu sehen war.

„Ja.“ erwiderte sie. „Ich bin hier im Bad.“ fügte sie hinzu, als Wanja eintrat.

„Ach so, gut, dann komm ich später wieder.“ meinte er.

„Nein, ist schon okay, komm nur rein.“ sagte Leo.

„Stört es Dich auch wirklich nicht?“ fragte Wanja noch mal nach, als er das Bad betrat.

Leo schüttelte den Kopf, die Krämpfe in ihrem Unterleib waren heftiger geworden.

„Wisst Ihr schon, was in den Büchern steht?“ wollte sie wissen.

„Nein, noch nicht. Mutter will sie später lesen.“ entgegnete Wanja.

„Wo wurden sie denn gefunden?“ fragte Leo.

„Im Arbeitszimmer Deines Vaters. Er hatte dort ein Geheimfach, wo er sie versteckt hielt.“ antwortete Wanja. Aufmerksam sah er Leo an. „Sag mal, geht es Dir nicht gut? Du bist so blass.“

„Doch, es geht mir gut.“ erwiderte Leo. „Ich habe nur ein wenig Bauchschmerzen, aber das ist nicht so schlimm.“

„Du solltest aus der Wanne kommen.“ riet Wanja.

Keiner der Beiden hatte gehört, dass sich die Tür geöffnet hatte und Draco den Raum betrat. Er hörte nur die letzten Sätze ihrer Unterhaltung und verließ genau so leise wie er gekommen war, das Zimmer. Seine Augen waren schwarz vor Schmerz, da er annahm, dass Wanja und Leo nun, da Leo ein Mädchen war, ein Paar waren. Weshalb sollten sie sonst gemeinsam im Bad sein?

Wanja hatte das Bad verlassen, damit Leo aus der Wanne steigen und sich anziehen konnte. Als sie nach kurzer Zeit mit einem Bademantel bekleidet das Zimmer betrat, riet Wanja ihr, sich ins Bett zu legen wegen ihrer Schmerzen.

„Boah, von Betten habe ich eigentlich genug.“ schmollte Leo. „Ich habe doch wirklich genug Zeit darin verbracht. Jetzt möchte ich die Welt kennenlernen, neue Länder bereisen und so was.“

„Das kannst Du auch, nur nicht jetzt.“ erwiderte Wanja sanft. „Du bist noch jung, Du hast noch alle Zeit der Welt.“

„Das sagt der Richtige.“ lachte Leo. „Du bist und bleibst ewig jung, aber ich werde immer älter.“

„Und wenn Du dann mal Oma bist, bin ich immer noch Dein Freund und wir erzählen Deinen Enkeln von unseren Erlebnissen.“ fügte Wanja lachend hinzu.

„Apropos, alt. Wie alt bin ich denn nun wirklich?“ wurde Leo ernst.

„Den Aufzeichnungen Deines Vaters nach, bist Du vorgestern achtzehn Jahre alt geworden.“ erwiderte Wanja.

„Also bin ich jünger als es mir gesagt wurde.“ dachte Leo nach. „Daraus lässt sich schließen, dass meine Eltern Bescheid wussten über…über das…“

„Lass gut sein, ich weiß, was Du meinst.“ unterbrach Wanja. „Es sieht danach aus, dass sie es wussten. Aber es scheint, als wenn sie ihre Entscheidung bereut hätten, denn aus welchem Grund hätten sie Dich dann älter gemacht und als Jungen großgezogen?“

„Ich verstehe das Ganze immer noch nicht.“ sinnierte Leo. „Hatte mein Kranksein etwa auch damit zu tun?“

„Ich denke, darüber werden uns die Bücher Aufschluss geben.“ meinte Wanja. „Meine Mutter wird Dir bestimmt erzählen, was sie darin gelesen hat.“

„Was ist eigentlich mit diesem anderen Mädchen? Geht es ihr gut?“ fragte Leo.

„Du meinst Zerafina?“ Bei der Erwähnung des Namens leuchteten Wanjas Augen auf. „Ja, ihr geht es gut. Sie hat das Erlebte ganz gut verarbeitet. Ich besuche auch sie regelmäßig.“

„Du magst sie wohl?“ neckte Leo ihn.

„Ja.“ gab Wanja beschämt zu. „Sie sieht sehr gut aus und sie riecht so gut.“
„Ich…ich meinte, Du magst sie als Mensch, nicht als…als Essen.“ stotterte Leo.

„Ich will sie auch nicht essen.“ lachte Wanja. „Ich bin doch kein Menschenfresser.“ Er schüttelte belustigt den Kopf.

Leo sah Wanja nachdenklich an. „Als Ihr vorgestern so plötzlich die Beiden angegriffen und getötet habt, war das Euer….hm, wie soll ich sagen? Euer Jagdgesicht?“

„Nein, dass war Hass und Wut.“ erklärte Wanja. „Unser Jagdgesicht ist nicht anders als jetzt, nur dass unsere Zähne etwas länger werden. Haben wir Dir Angst gemacht?“

„Angst? Nein, ich fand es nur faszinierend.“

„Du findest den Tod faszinierend?“ fragte Wanja erstaunt. „Nicht abschreckend oder grausam?“

„Nein, dass die Zwei starben, war nur gerecht.“ erwiderte Leo. „Ich fand es bewunderst wert, wie stark Ihr wart. Wie Du dem Kerl das Herz aus der Brust gerissen hast und Draco seinen Kopf abriss und ihn dann ins Feuer warf.“

„Jeder andere hätte davon Alpträume bekommen.“ schüttelte Wanja den Kopf.

„Vielleicht bin ich nicht normal.“ meinte Leo. Wieder durchfuhr ein heftiger Schmerz ihren Unterleib, der ihr für Sekunden die Luft nahm.

„Alles okay bei Dir?“ fragte Wanja, der es mitbekommen hatte.

„Ja, ja, geht schon.“ hauchte Leo tonlos.

„Soll ich meine Mutter oder einen Heiler holen?“ erkundigte Wanja sich.

„Nein, nicht nötig. Mir geht es gut.“ wehrte Leo ab.

„Du solltest versuchen zu schlafen.“ riet Wanja. „Ich werde jetzt gehen, morgen komme ich wieder und seh nach Dir. Und falls in der Nacht etwas sein sollte, sag ruhig meiner Mutter Bescheid.“

„Mach ich, versprochen.“ entgegnete Leo.

Als Wanja das Zimmer verlassen hatte, zog Leo den Bademantel aus. Ihr war schon die ganze Zeit über heiß gewesen, aber sie trug darunter nur ein kurzes, durchsichtiges Hemdchen. Sie legte sich auf das Bett und starrte zur Decke. Obwohl das ganze Gebäude aus einem hellen, durchscheinenden Kristall gebaut war, konnte man jedoch nicht durch die Wände sehen. Und es gab keine Fenster, aber trotzdem wurden die Räume durch die Sonne, die durch ein kompliziertes System ins Innere geleitet wurde, erhellt.

Langsam setzte die Dunkelheit ein, die Wände erschienen jetzt in einem Blutrot, also war der Sonnenuntergang rot. Wie spät es wohl sein mochte? überlegte Leo. Hier unten verlor man jedes Zeitgefühl. Sie lag ganz still auf ihrem Bett und wagte kaum, sich zu bewegen, denn solange sie still lag, war der Schmerz in ihrem Bauch erträglich. Sie nahm sich vor, es morgen dem Heiler zu sagen.

Mittlerweile war es ganz dunkel geworden und Leo fielen die Augen zu. Sie fiel in einen unruhigen Schlaf. Mitten in der Nacht erwachte sie, weil sie glaubte, Stimmen zu hören, aber es war niemand zu sehen. Im Glauben, es wäre nur ein Traum gewesen, schloss sie die Augen wieder und versuchte weiter zu schlafen. Und sie fiel zurück in ihren Traum…

„Das ist sie also.“ sagte eine dunkle Männerstimme.

„Ja, das ist si.e“ bestätigte eine weibliche Stimme.

„Sie ist so klein, so schmal, so zierlich.“ murmelte der Mann. „Was haben sie sich nur dabei gedacht?“

„Ich weiß es nicht.“ erwiderte die Frau. „Wenn ich da an die Frau denke, die Dir Deinen Sohn geschenkt hat.“

„Ja, meine Auserwählte.“ seufzte der Mann traurig. „Ich verstehe immer noch nicht, warum sie bei der Geburt starb. Eigentlich hätte sie es überleben müssen.“

„Das kann ich Dir leider auch nicht sagen.“ bedauerte die Frau. „Sie hat uns kurz vor der Geburt bei Nacht und Nebel verlassen. Wir können nur vermuten, dass Daleira dahinter steckte, dass es damals schon ihr Plan war, ein bösartigen Gott zu erschaffen.“

„Und das hat ja leider auch geklappt.“ stimmte der Mann zu. „Und dieses arme Wesen hier sollte eine noch bösartigere Form gebären, was sie bestimmt nicht überlebt hätte.“

„So war es wohl geplant.“ entgegnete die Frau. „Aber dank Deiner Prophezeiung konnte das ja verhindert werden.“

„Und nun bin und bleibe ich der Letzte meiner Art.“ meinte der Mann. „Meine Zeit in der Zwischenwelt ist nun abgelaufen und ich werde dorthin gehen, wo meine Vorfahren sind.“

„Was ich sehr bedaure.“ seufzte die Frau.

„Sei nicht traurig, ich werde immer für Dich da sein. Uns verbindet etwas, was nicht zerstört werden kann, egal, wo ich mich befinde“ tröstete der Mann.

Leo warf sich im Schlaf unruhig hin und her und stöhnte schmerzvoll auf.

„Was ist mit ihr?“ fragte der Mann und legte seine Hände auf Leos Körper. Sofort war sie ruhiger.

„Sie bekommt Hormonspritzen.“ erklärte die Frau. „Anscheinend hat ihr Vater ihr jahrelang männliche Hormone gespritzt, um ihre Weiblichkeit zu unterdrücken. Wir wollen versuchen, sie ihr vollwertig zurück zu geben.“

Der Mann ließ seine Hände über Leos Körper wandern, was diese sehr angenehm empfand, denn seine Hände waren sehr kühl.

„Hm, hat sie vor kurzem Vampirblut getrunken?“ wollte der Mann wissen.

„Ich glaube, ja, vor drei Tagen. Sie hat meinem jüngeren Sohn ihr Blut gegeben, damit er nicht stirbt. Und damit sie sich besser davon erholen konnte, gab ihr mein älterer Sohn etwas von seinem Blut. Aber soviel ich weiß, waren es höchstens zwei, drei Schluck.“ antwortete die Frau.

„Vor drei Tagen? Dann ist immer noch ein Rest in ihrem Kreislauf. Dadurch erhöht sich die Wirkung der Medikamente um ein hundertfaches.“ überlegte der Mann laut. „Ich glaube, es wäre gut, wenn Du morgen, wenn sie aufwacht, bei ihr wärst. Denn wenn sie wirklich so unwissend ist, wie Du mir gesagt hast, gibt es morgen eine Menge zu erklären.“

Es herrschte einen Moment Stille. Die Hände wurden von Leos Körper genommen, aber die Schmerzen kehrten nicht zurück. Leo glaubte immer noch zu träumen.

„Ich bin froh, dass es meinem Sohn nicht gelang, seinen Samen in sie zu pflanzen.“ sagte der Mann mit sanfter Stimme.

„Wir auch. Wer weiß, ob wir dann hier unten noch sicher gewesen wären, denn Dein Sohn und diese Hexe machten ja auch schon Jagd auf uns.“ stimmte die Frau zu.

„Nicht nur deshalb.“ erwiderte der Mann. „Sie hier ist zwar die Auserwählte gewesen, aber sie ist auch etwas Besonderes. Es steckt noch etwas anderes in ihr. Ich kann es spüren, aber nicht mit Bestimmtheit sagen, was es ist.“

„Es ist bald Mitternacht.“ erhob der Mann wieder seine Stimme. „Ich muss nun bald gehen.“

„Ich werde Dich sehr vermissen.“ flüsterte die Frau. „Jetzt, da unser Abschied gekommen ist, muss ich Dir was beichten. Seit ich Dich das erste Mal gesehen habe, damals, als Du uns das Kind brachtest, welches Dir bestimmt war, seit dem Tag liebe ich Dich. Wie sehr habe ich mir damals gewünscht, an ihrer Stelle zu sein.“

„Auch ich empfand so für Dich.“ gestand der Mann. „Aber es durfte nicht sein. Aber jetzt, da ich bald gehen werde, könnten wir uns ein einziges Mal vereinen. Mir bleibt eine Stunde, in der ich mich in einen Menschen aus Fleisch und Blut verwandeln kann.“

„Dann lass es uns tun.“ hauchte die Frau. „Ich möchte Dich einmal in mir spüren.“

„Der Gedanke an Deinen nackten Körper in meinen Armen macht mich ganz heiß.“ Erregung klang in der Stimme des Mannes. „Komm, wir werden es in der Halle der Kristalle machen, dort wird niemand Deine Lustschreie hören.“

Dann herrschte Stille.

Als Leo am nächsten Morgen erwachte, saß Lumina auf ihrem Bett und sah sie lächelnd an.

„Guten Morgen. Hast Du gut geschlafen?“ fragte sie fröhlich.

„Nicht so wirklich.“ erwidert Leo. „Warst Du diese Nacht mit einem Mann in meinem Zimmer?“ fragte sie unumwunden.

Lumina sah Leo schweigend an und lächelte. Sie sah heute Morgen so anders aus, sie strahlte richtig. Und dieses Strahlen schien aus ihrem Inneren zu kommen.

„Es war bestimmt nur ein Traum.“ meinte Lumina.

„Ich glaube auch.“ sagte Leo zweifelnd, setzte sich und schlug ihre Decke zurück. Und dann sah sie es, ein riesiger Blutfleck hatte sich zwischen ihren Beinen gebildet.

„Oh, mein Gott, ich sterbe.“ hauchte sie entsetzt und starrte auf den Fleck.

„Aber nein, Liebes.“ erwiderte Lumina beruhigend. „Du stirbst nicht, Du wirst zur Frau. Es ist ganz normal, dass Du blutest und das wird jetzt einmal im Monat sein. Und jetzt, ab unter die Dusche. Du findest im Bad alles, was jetzt nötig ist.“

Verschämt verschwand Leo im Bad.

„Kommst Du zurecht?“ rief Lumina, als sie hörte, dass die Dusche abgestellt war.

„Ich…ich glaube schon.“ antwortete Leo unsicher.

„Warte, ich komm und helf Dir, falls es Dir recht ist.“ bot Lumina an.

Sie betrat das Bad und traf dort auf eine unsicher blickende Leo, die mit großen Augen auf die Hygieneartikel für Frauen blickte.

„Hier, zieh das erstmal an.“ Lumina reichte Leo eine Panty. Nachdem diese sich das dargereichte Kleidungsstück angezogen hatte, zeigte Lumina ihr erklärend, wie Leo die Hygieneartikel zu verwenden hatte.

„Eigentlich ist das ja der Job einer Mutter bei einem zwölf-dreizehnjährigen Mädchen.“ lachte Lumina dabei, um Leo die Scheu zu nehmen. „Wenn man bedenkt, dass ich nur zwei Jungs hatte.“

Sie gab Leo ein langes T-Shirt. „Hier, zieh das erstmal drüber. Das reicht für heute“ sagte Lumina. „Ich weiß, dass Du von im Bett liegen die Nase voll hast, aber heute solltest Du es noch mal machen.“

In der Zeit, die die Beiden im Bad verbracht hatten, wurde das Bett frisch bezogen.

Leo setzte sich erstmal nur auf die Bettkante und sah Lumina dankbar an.

„Hast Du noch Schmerzen?“ fragte diese fürsorgevoll.

„Woher weißt Du von meinen Schmerzen? Ich habe es niemand gesagt“ erwiderte Leo überrascht.

„Ach, mein Schatz, es war kein Traum diese Nacht. Ich war wirklich hier in Deinem Zimmer, mit Lieu, dem Gott, dem wir dienten.“ gestand Lumina.

Es klopfte und der Heiler betrat das Zimmer. Lumina ging rasch auf ihn zu und redete leise mit ihm. Erst sah er sie erstaunt an, dann nickte er verstehend, kam zu Leo an das Bett und sagte bittend: „Lumina hat mir gerade erzählt, was los ist. Ich würde jetzt gerne Deinen Bauch abtasten, wenn Du es erlaubst.“

„Hab keine Angst.“ kam es beruhigend von Lumina. „Wir wissen, dass es Dir unangenehm ist, aber er ist der Heiler unserer Frauen, er sieht so etwas fast täglich.“

Leo legte sich auf den Rücken und starrte an die Decke. Der Heiler betastete ihren Unterleib und drückte leicht darauf.

„Wenn es weh tut, musst Du uns das sagen.“ bat er.

„Nein, ich habe keine Schmerzen mehr.“ erwiderte Leo, die bei jedem Druck des Heilers das Gefühl hatte, es würde literweise Blut aus ihr herauslaufen.

„Soweit ich von außen fühlen kann, scheint alles in Ordnung zu sein,“ teilte der Heiler Richtung Lumina mit. „Aber genau kann ich es erst sagen, wenn ich sie richtig untersuche.“

„Nicht heute.“ flüsterte Lumina ihm zu, die Leos entsetzten Blick bemerkte.

„Wir werden abwarten, bis die Blutung aufhört, dann muss ich Dich aber noch mal richtig untersuchen.“ wandte sich der Heiler an Leo. Dann sah er Leo um Verzeihung bittend an und fügte hinzu: „Ich würde mir gerne Deine Brust anschauen. Aber nur, wenn Du es möchtest.“

Leo nickte nur stumm und ließ es zu, dass er ihr das T-Shirt bis zum Hals hochschob. Starr und steif lag sie da, es war schrecklich für sie, dass jemand ihren nackten Körper sah.

„Na, da scheint auch alles in Ordnung zu sein.“ sagte der Heiler an Lumina gewandt. „Seht Ihr, ihre Brustwarzen haben sich vergrößert und sie werden dunkel.“

„Jetzt ist es genug für heute.“ bestimmte Lumina. Der Heiler erhob sich sofort, zog Leos Shirt wieder nach unten, tätschelte ihre Wange und ging zur Tür.



Draco war am Abend, nachdem er das Zimmer von Leo ebenso unbemerkt verlassen hatte, wie er es betreten hatte, wütend zu seinem Haus gestapft. Dort hatte er sich ein großes Glas Blut eingeschenkt und war in sein Zimmer gegangen. Ganz gegen seine sonstigen Gewohnheiten hatte er seine Tür verschlossen. Er ließ sich auf sein Bett fallen und nippte an seinem Glas. Viel lieber hätte er jetzt ein lebendiges, warmes Wesen im Arm gehalten und sein Blut getrunken.

Es klopfte an die Tür. „Draco, bist Du da?“ fragte Wanja, aber Draco gab keine Antwort. Er wollte seinen Bruder heute nicht sehen. Es klopfte noch mal. „Ich weiß, dass Du da bist.“ sagte Wanja. „Mach doch auf.“

Nachdem Draco sich immer noch nicht rührte, kam es von Wanja: „Na gut. Ich weiß zwar nicht, was ich Dir getan habe, warum Du mich nicht sehen willst, aber ist okay. Ich wünsche Dir eine gute Nacht.“

‚Eine gute Nacht’ dachte Draco ironisch. ‚Die wirst Du ja bestimmt haben, jetzt, wo Du Deine Liebe zu Leo nicht mehr verstecken musst.’

Draco wollte warten, bis alle schliefen und sich dann heimlich davon machen, aber dann dachte er an seine Mutter. Obwohl er als Kind seine Gefühle nicht offen zeigen durfte, sein Vater wollte das nicht, liebte er seine Mutter abgöttisch. Vor seinem geistigen Augen sah er ihr trauriges Gesicht, wenn sie erfuhr, dass er fort war. Wenigstens von ihr wollte er sich verabschieden. Er wartete bis Mitternacht, dann schlich er sich leise aus dem Haus und ging zum Zimmer seiner Mutter. Aber dieses war leer, keine Spur von ihr. Draco wollte nicht ohne Abschied gehen. Er sah sich um und entdeckte die Bücher von Leos Vater und begann zu lesen.

Leos Vater hatte mit der Ankunft in Deutschland begonnen. Er beschrieb, wie er Leo vor der Flucht ein Sedativum gab, damit sie bei der Flucht ruhig blieb. Im Schloss seiner Väter angekommen, habe er ihr dann erneut dieses Medikament gegeben. Seine Frau und er hätten dann beratschlagt, wie es weiter gehen solle und wären zu dem Entschluss gekommen, den Leuten vorzuspielen, dass ihr Kind erkrankt sei. Für ihn war es kein Problem, das Kind ruhig zustellen, er war schließlich Arzt. So begann er, Leo täglich ein Medikamentencocktail zu injizieren, welcher ihn ruhig und schwach machte. Durch einen befreundeten Rechtsanwalt besorgten sie sich eine falsche Geburtsurkunde, in welcher Leo zwei Jahre älter und sein Geschlecht in männlich umgewandelt wurde. So glaubte jeder in ihrem Umfeld, dass sie einen Sohn hätten.

Ihrem Kind gegenüber deuteten sie allerdings nie an, dass es zwei verschiedene Geschlechter gebe. Er und seine Frau einigten sich darauf, sich gleich zu kleiden und auch ihren Haarschnitt gleich zu halten. Damit Leo auch niemals einen körperlichen Unterschied spüren konnte, vermieden sie körperliche Nähe, sie umarmten ihn nie. Sie sagten ihm von frühester Jugend an, dass man seinen Körper nie einem anderen im unbekleideten Zustand zeigen dürfe.

Als Leo zehn Jahre alt war, bekam seine Mutter Angst vor der bevorstehenden Pubertät. Sie überlegte gemeinsam mit ihrem Mann, was sie ihm dann sagen sollten und sie kamen zu dem Schluss, dass Leo ab sofort mit Hormonspritzen behandelt würde, die seine natürliche körperliche Wandlung unterdrückten.

Auch den Privatlehrer, den sie für Leo engagierten, verboten sie, über Sexualität zu sprechen. Er sollte ihm alles beibringen, was ein Kind wissen müssen, außer dem Fach Biologie. Da der Lehrer auch in Afrika als Missionar tätig war und sie ihm über die Umstände von Leos Geburt unterrichteten, war es für ihn kein Problem.

Die ganzen Jahre ging es ganz gut, sie hörten nichts von Daleira, so dass sie schon glaubten, die Gefahr wäre vorüber. Als Leo siebzehn war (laut Geburtsurkunde, also real erst fünfzehn) ertappte ihn seine Mutter eines Morgens am Fenster stehend. Leo hatte das Fenster weit geöffnet und schaute hinaus. Auf die Frage seiner Mutter, was er da mache, antwortete er, er wolle nur mal sehen, was hinter den Mauern seines Zimmers wäre. Daraufhin beschlossen seine Eltern, ihn täglich für ein paar Stunden hinaus zu lassen. Sie kauften ihm Jeans und dicke, weite Pullover. So gekleidet, durfte Leo dann täglich auf die Terrasse, mit der Auflage, mit niemandem zu sprechen. Er hielt sich auch daran, bis er Wanja kennenlernte. Von nun an ging er täglich mit Wanja durch den riesigen Park. Seine Eltern beobachteten dies mit großer Sorge und sie riefen Wanja zu sich. In dem Arbeitszimmer von Leos Vater bekam er dann die Anweisung, Leo nicht zu viel über das Leben außerhalb der Schlossmauern zu erzählen und vor allem nicht mit ihm über sexuelle Dinge zu reden. Wanja, der das ganze nicht verstand, stimmte dem allen zu.

Kurz vor Leos Geburtstag begannen dann die Anrufe. Eine verzerrte Stimme sagte jedes Mal, wenn Leos Vater sich meldete, es sei bald so weit und es hätte keinen Sinn, zu flüchten, man würde sie immer und überall finden.

Leos Mutter machte sich die größten Vorwürfe, dass die sich auf die Sache mit Daleira eingelassen hatte. Sie bereute zutiefst, dass sie in ihrem Wunsch nach einem Kind sich mit ihr eingelassen zu haben, aber Leos Vater tröstete sie und versprach, nach einem Ausweg zu suchen. Als der nächste Anruf kam, vereinbarte Leos Vater ein Treffen mit der Person, welchem diese auch zustimmte. Auf dem Weg dorthin geschah dann der Unfall, wobei Beide ihr Leben verloren.

Draco hatte mit steigendem Entsetzen das ganze Buch gelesen. Er warf es zurück auf den Tisch und lief im Zimmer auf und ab.

„Mein armer Teppich.“ hörte er plötzlich seine Mutter sagen, die von ihm unbemerkt den Raum betreten hatte.

Draco drehte sich zu ihr um und sah, dass sie nicht alleine war. Neben ihr stand ein großer Mann. Allerdings war er nicht wirklich in körperlicher Form dort, sondern er schien durchsichtig zu sein, so wie ein Geist.

„Das also ist der Mörder meines Sohnes.“ sagte er mit ruhiger Stimme zu Lumina.

„Ich musste es tun.“ verteidigte Draco sich. „Anders hätten wir ihn nicht aufhalten können.“

„Das weiß ich doch.“ erwiderte der Mann sanft. „Ich bin Euch ja auch dankbar dafür.“

„Du….Sie…Du bist nicht wütend auf mich?“ stotterte Draco.

„Wütend? Nein.“ sagte er mit Blick auf Lumina. „Deine Mutter kann es Dir erklären. Ich muss jetzt gehen. Danke für die schöne Stunde“ wandte er sich an Lumina und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn, was sie erröten ließ.

Lumina sah ihn an. „Ich danke Dir für alles. Das Einzige, was ich bedaure, ist, dass es nur einmalig war.“

„Das muss es nicht bleiben,“ grinste er. „Wir können es jederzeit wiederholen.“

„Aber Du gehst doch jetzt ganz hinüber, Du verlässt die Zwischenwelt.“ murmelte Lumina.

„Aber Du vergisst, wer ich bin. Ich kann jederzeit hierher zurückkehren, nur für immer bleiben, dass kann ich nicht.“ erklärte er.

Nach diesen Worten wurde seine Gestalt immer durchscheinender, bis sie ganz verschwand.

Draco hatte dem allen nur staunend zugehört und zugesehen, jetzt wandte er sich an seine Mutter. „Wer war denn das?“

„Das war Lieu, unser Gott.“ seufzte sie sehnsüchtig. „Aber nun zu Dir. Was treibt Dich mitten in der Nach hierher?“

„Ich wollte mich von Dir verabschieden.“ erwiderte Draco. „Ich werde von hier fortgehen.“

„Aha, Du wolltest Dich heimlich fortschleichen.“ vermutete seine Muter richtig. „Doch bevor Du gehst, muss ich Dir erzählen, was in dieser Nacht geschehen ist.“
„Das brauchst Du nicht.“ wehrte Draco mit erhobenen Händen ab. „Dein Sexleben geht mich nun wirklich nichts an. Und ich will es auch gar nicht wissen.“

„Dummkopf, darum geht es nicht.“ lachte Lumina. „Darüber würde ich auch gar nicht mit Dir reden. Es geht um etwas ganz anderes.“ Dann berichtete sich von dem Gespräch, welches sie mit Lieu in Leos Zimmer geführt hatte und bat Draco, noch ein paar Tage zu bleiben. „Du kannst es Leo jetzt nicht antun, so einfach zu verschwinden, gerade jetzt nicht.“

„Wieso? Sie hat doch Wanja.“ widersprach Draco.

„Ja, sie hat Wanja“ stimmte seine Mutter zögernd zu. „Aber Du bist derjenige, der ihr Leben gerettet hat. Schon aus diesem Grund solltest Du Dich von ihr verabschieden.

„Na gut, wenn Du meinst, werde ich ihr morgen auf wiedersehen sagen.“ seufzte Draco.

„Aus welchem Grund möchtest Du uns denn verlassen?“ wollte seine Mutter wissen.

„Ich möchte mal wieder frisches, warmes Blut trinken.“ erwiderte Draco. „Und ich würde gerne mal wieder einen Menschen dabei im Arm halten.“

„Das ist eine Lüge.“ sagte seine Mutter schnell. „Aber nun gut, wenn Du mir den Grund nicht nennen möchtest, dann belassen wir es dabei.“

„Es gibt keinen anderen.“ knurrte Draco.

„Ach, mein kleiner Drache.“ lächelte seine Mutter und streichelte seine Wange.

„Übrigens, ich habe das Buch von Leos Vater gelesen. Wie kann man als Eltern nur so handeln?“ wechselte Draco das Thema. „Leo wurde von dem Tag an, als sie wieder in Deutschland waren, mit einem Medikamentencocktail ruhig gestellt. Und später bekam sie noch Hormone, damit sie in ihrer Entwicklung gestoppt wurde. Und das alles in der Hoffnung, von Daleira nicht gefunden zu werden.“

„Was ja wohl daneben ging.“ sagte Lumina.

„Drei Monate vor Leos richtigem Geburtstag begann jemand anzurufen. Der Text war im Wesentlichen immer der Gleiche, so in der Art: Wir wissen, wo ihr seid und: Wir werden sie bekommen, egal wo ihr euch versteckt. Beim letzten Anruf vereinbarten Leos Eltern ein Treffen, zu dem es aber nie kam, weil sie auf dem Weg dorthin den tödlichen Unfall hatten.“ berichtete Draco weiter.

„Der mit hoher Wahrscheinlichkeit auch auf Daleiras Konto geht.“ meinte Lumina.

Draco verließ seine Mutter mit dem Versprechen, nicht heimlich zu verschwinden. Lumina ging duschen und begab sich dann in Leos Zimmer.


Als Leo wieder alleine war, dachte sie an ihre Eltern. Nicht, dass sie sie sehr vermissen würde, dafür waren sie ihr immer zu fremd geblieben. Bei ihr zu Hause gab es keine zärtliche Berührung oder ein Kuss, auch wenn er nur auf die Stirn gehaucht gewesen wäre. Sie hatte bei ihren Eltern auch nie etwas von Gefühlen gespürt, so dass sie selber auch keine entwickeln konnte. Im Nachhinein erschien ihr ihr Zuhause kalt und herzlos. Ganz im Gegensatz zu hier. Lumina war so ganz anders, sie zeigte ihre Freude offen genau wie ihre Trauer oder Wut. Auch Wanja war hier ganz anders zu ihr, er berührte sie immer wieder mal an der Wange oder streichelte ihren Arm. Nur Draco war so wie immer, kalt und abweisend. Er hatte ihren Körper noch nie berührt.

Es klopfte in ihre Gedanken hinein an die Tür. Froh über eine Abwechslung rief Leo den Besucher herein. Es war Wanja, der mit einem fröhlichen Lächeln das Zimmer betrat.

„Hey, Kleines.“ grüßte er fröhlich. „Du hast auch keine anderen Hobbys, als ständig im Bett zu liegen.“

„Ha, ha.“ machte Leo und schnitt eine Grimasse. „Deine Mutter hat mich dazu verdonnert.“

„Ich weiß, ich habe heute morgen schon mit ihr gesprochen.“ sagte Wanja.

„Dann….dann weißt Du Bescheid?“ fragte Leo und blickte beschämt zu Boden.

„Hm.“ machte Wanja. „Aber deshalb bin ich nicht hier. Ich wollte Dir etwas anderes erzählen und hoffe, Du freust Dich für mich und bist nicht sauer auf mich.“

„Nun mach es nicht so spannend, erzähl schon.“ drängte Leo.

„Du weißt doch, dieses andere Mädchen, welches auch dort oben dabei war.“ begann Wanja zögernd. Leo nickte. „Nun ja, ich habe sie gestern noch besucht Wir haben uns lange unterhalten und dabei sind wir uns näher gekommen.“

„Wie? Näher gekommen?“ fragte Leo irritiert.

„Sie mag mich und ich mag sie.“ erklärte Wanja. „Vielleicht wird ja mehr daraus. Und nein, ich habe sie nicht gebissen und werde es auch nicht tun.“

„Du meinst, Du und sie? Ihr werdet zusammen sein, so mit….Sex?“ staunte Leo.

„Wenn sie will, ja. Und je nachdem wie sie sich entscheidet, ob sie hier bleibt oder wieder nach oben will, ich werde bei ihr bleiben.“ strahlte Wanja.

„Das ist schön, ich freue mich.“ strahlte Leo und umarmte Wanja herzlich.

In diesem Moment betrat Draco den Raum. Er sah nur Leo in Wanjas Arm und ihr strahlendes Gesicht.

„Na, endlich vereint?“ fragte er zynisch. „Jetzt, da alle wissen, dass Leo ein Mädchen ist, kannst Du Dich endlich zu ihr bekennen.“

Nachdem er das gesagt hatte, drehte er sich um und wollte den Raum verlassen. „Ach so, ich wollte mich eigentlich nur verabschieden. Macht es gut, ihr Zwei, aber rechnet nicht damit, dass ich zu Eurer Hochzeit komme.“

Dann ging er. Leo sah ihm mit Tränen in den Augen hinterher. Wanja sah es und dann verstand er.

„Mein Bruder ist ein Idiot.“ zischte er und lief aus dem Zimmer.

Er rannte hinter seinem Bruder her, als er ihn eingeholt hatte, hielt er ihn an der Schulter fest und drehte ihn zu sich um.

„Was ist?“ fauchte Draco wütend. „Hab ich etwa vergessen, Euch zu gratulieren?“

„Du bist ein Vollidiot.“ fuhr Wanja ihn an.

„Ich? Wieso? Was willst Du eigentlich von mir?“ entgegnete Draco.

„Dir die Augen öffnen.“ erwiderte Wanja. „Ich weiß ja nicht, was Du glaubst, gesehen zu haben, aber Leo hat sich nur für mich gefreut.“

„Ja, ja, gefreut.“ nickte Draco ironisch. „Weil Du ihr jetzt endlich Deine Liebe gestanden hast.“

„Blödmann.“ lachte Wanja. „Ja, ich habe ihr meine Liebe gestanden, aber nicht zu ihr, sondern zu Zerafina. Jetzt endlich, nach zweihundert Jahren. Ich habe mich damals schon auf den ersten Blick in sie verliebt, als ich weder wusste, was sie ist noch was wir sind.“

„Das ist sehr schön für Dich.“ meinte Draco. „Und was hat das mit mir zu tun?“

„Du bist wirklich ein Idiot.“ sagte Wanja kopfschüttelnd. „Leo liegt in ihrem Bett und heult sich Deinetwegen die Augen aus und Du Trottel hast bis jetzt noch nicht bemerkt, dass sie in Dich verliebt ist. Ich an Deiner Stelle würde jetzt zu ihr gehen und ihr sagen, dass es Dir genauso geht.“

„Ich? In sie verliebt? Wie kommst Du denn auf so eine irre Idee?“ lachte Draco kurz auf.

„Weil ich es schon gespürt habe, als ihr mich aus diesem Keller befreit habt.“ erklärte Wanja. „Du tust immer so cool, dabei stand Dir die Eifersucht in den Augen. Und jetzt mach, dass Du zu Leo kommst.“

Wanja ließ seinen total verwirrten Bruder einfach stehen und ging zu Zerafina.

Nach einigem Zögern ging Draco zurück zu Leos Zimmer und klopfte leise an die Tür.

„Lass mich in Ruhe, ich will heute niemanden mehr sehen!“ kam es von innen. Draco ignorierte einfach Leos Wunsch und öffnete die Tür. Leise ging er zu Leos Bett, wo diese auf dem Bauch lag, den Kopf im Kissen vergraben hatte und leise vor sich hin schluchzte. Draco legte ihr seine Hand auf die Schulter.

„Ich hab doch gesagt, Du sollst mich in Ruhe lassen.“ kam es undeutlich aus dem Kissen.

„Soll ich wirklich?“ fragte Draco leise.

Beim Klang der Stimme drehte Leo sich abrupt um und sah Draco aus tränennassen Augen an.

„Ja, Du sowieso.“ fauchte sie. „Was willst Du noch hier? Ich dachte, Du wolltest gehen? Dann geh auch endlich.“

„Ich wollte nur sehen, ob mein Bruder Recht hat, mit dem was er mir vorhin sagte.“ lächelte Draco zärtlich.

„Schön, jetzt hast Du gesehen, dass ich heule, nun kannst Du gehen.“ zischte Leo.

„Aber ich seh auch noch etwas anderes.“ sagte Draco, legte seine Hand unter Leos Kinn und hob ihren Kopf leicht an. Leo hatte die Augen geschlossen und unter ihren Wimpern quollen Tränen hervor. „Ich sehe das,“ Draco küsste eine der Tränen weg. „Und ich seh das:“ Er küsste ihr eine weitere Träne weg.

„Lass das.“ protestierte Leo schwach und versuchte seine Hand wegzuschieben.

„Nein, erst öffnest Du Deine Augen und siehst mich an.“ befahl Draco sanft. „Und wenn Du mir dann sagst, ich soll gehen, werde ich gehen.“

„Wenn Dich das glücklich macht.“ seufzte Leo und hob ihre Augen. Sie blickte direkt in Dracos Augen, die mit einem zärtlichen Ausdruck auf ihr ruhten.

„Ich…ich will….ich will nicht, dass Du gehst.“ weinte Leo. „Ich…ich…ich…“

Draco lachte leise über ihr Gestottere und zog sie an sich.

„Willst Du lieber das?“ Er küsste sich leicht auf die Stirn. „Oder lieber das?“ Einen Kuss auf die Wange. „Oder das?“ Er küsste sanft ihren Mundwinkel.

„Ja, all das“ wisperte Leo und sah Draco an. In ihren Augen glitzernden noch die Tränen.

„Wie wäre es damit?“ Draco legte leicht seine Lippen auf Leos. Sie versteifte sich in seinen Armen, aber sie wich nicht zurück. Draco fuhr mit seiner Zunge leicht über Leos fest verschlossene Lippen.

„Ich kann das nicht.“ Leo stieß ihn weg und wieder liefen Tränen über ihre Wangen.
„Was kannst Du nicht?“ wollte Draco wissen. „Soll ich doch gehen?“

„Nein.“ Leo legte ihre Arme um seinen Hals. „Das sollst Du nicht. Ich meinte, ich….ich kann nicht küssen.“

„Ach, Du Dummerchen.“ lachte Draco. „Das wirst Du schnell lernen.“

„Hm.“ meinte Leo verschmitzt. „Dann wäre es das Beste, wir üben weiter. Aber Du musst mir sagen, wenn ich etwas falsch mache.“

„Versprochen.“ sagte Draco gespielt ernst. Wieder legte er seine Lippen leicht auf Leos und fuhr spielerisch mit der Zunge darüber. Anfangs waren Leos Lippen noch hart aufeinander gepresst, aber nun wurden sie weich und nachgiebig. Draco ließ seine Zunge zwischen sie gleiten und stieß auf den Widerstand ihrer Zähne. Aber auch dieser Widerstand hielt nicht lange an, Leo gewährte seiner Zunge Einlass. Als Draco mit seiner Zunge Leos berührte, versteifte diese sich wieder. Draco sah ihr tief in die Augen und murmelte: „Vertrau mir.“ Er spürte, wie Leo sich entspannte und ihm nun keinen Widerstand mehr leistete. Draco spielte vorsichtig mit Leos Zunge und merkte, dass sie auf sein Spiel einging. Ihr Kuss wurde immer heftiger und leidenschaftlicher.

Als Draco sich nach einiger Zeit zurückziehen wollte, zog Leo ihn wieder zu sich heran und presste nun ihrerseits ihre Lippen auf seine.

„Mehr,“ flüsterte sie an seinem Mund. „Ich will mehr.“

„Ganz schön gierig.“ lachte Draco, aber er erfüllte ihren Wunsch. Nun überließ er Leo die Regie.

Als Leo ihn nach geraumer Zeit atemlos freigab, sah er sie mit zärtlichem Blick an.

„Für heute ist es erst mal genug, denke ich.“ sagte er liebevoll.

„Das denke ich nicht.“ protestierte Leo. „Ich muss nur mal schnell ins Bad und wenn ich zurückkomme, machen wir dort weiter, wo wir aufgehört haben.“ Sie stieg aus dem Bett und verschwand im Bad. Draco sah ihr lächelnd hinterher. ‚Ich muss mich bei meinem Bruder bedanken’ dachte er.

Lumina betrat das Zimmer und sah erstaunt auf ihren Sohn, der lässig auf Leos Bett lag.

„Schön, dass Du meinen Rat befolgt hast und nun doch persönlich Abschied nimmst.“ lächelte sie.

„Naja, Abschied nehmen kann man das jetzt nicht nennen.“ gestand Draco.

„Aha.“ schmunzelte Lumina. „Ich hoffe, dass es kein Spiel für Dich ist“ fügte sie dann ernst hinzu.

„Ist es nicht.“ erwiderte Draco ernst. „Schon als sie in mein Auto stieg, wusste ich, dass ich mein Herz verloren hatte. Allerdings glaubte ich da noch, sie wäre ein Junge, aber das war mir egal und wäre es jetzt auch noch.“

Leo kehrte aus dem Bad zurück. „Wir können weiter….“ Ihr Blick fiel auf Lumina, die auf einem kleinen Sessel saß.

„Womit?“ fragte Lumina schelmisch.

„Äh, Draco bringt mir Rumänisch bei.“ erfand Leo schnell.

„Ach so. Ja, das ist eine schwere Sprache, dafür braucht man ganz schön viel Zungenakrobatik.“ erwiderte Lumina ernst. „Aber keine Sorge, ich werde Euren Unterricht nicht allzu lange unterbrechen. Ich bin auch nur hier, um Dir zu sagen, dass Dein richtiger Name Leonie lautet. Nun kannst Du entscheiden, ob Du in Zukunft so genannt werden möchtest.“

„Leonie.“ wiederholte Leo und legte die Betonung auf die letzte Silbe. „Das hört sich so an wie Leo nie, niemals, nicht. Nein, ich bleibe, glaub ich, lieber bei Leo. Oder?“ Sie sah fragend zu Draco.

„Es ist Deine Entscheidung.“ antwortete dieser. „Für mich bist und bleibst Du immer Leo.“

„Ich habe in den letzten fünfzehn Jahren nur den Namen Leo gehört, ich glaube, ich könnte mich nicht an den anderen gewöhnen. Also bleiben wir bei Leo.“ beschloss sie.

„Wie Du möchtest.“ nicke Lumina und erhob sich. „Und nun werde ich Euch wieder allein lassen, damit Ihr schön weiterüben könnt.“

„Oh, Mann, war das unangenehm.“ stöhnte Leo, als sie mit Draco wieder alleine war. Sie setzte sich zu ihm auf das Bett.

„Ach, es ist Dir unangenehm, mit mir zusammen zu sein?“ fragte Draco und unterdrückte ein Lächeln.

„Nein, so meinte ich das nicht. Nur wenn Deine Mutter früher erschienen wäre und uns….und das gesehen hätte….stotterte Leo.

„Was wäre denn daran so schlimm gewesen?“ wollte Draco wissen. „Dann hätte sie nur gesehen, wie wir uns geküsst hätten.“

„Ja, eben,“ sagte Leo. „Und das wäre mir peinlich gewesen.“

Draco lachte, zog Leo in seine Arme und murmelte dicht an ihrem Mund: „Daran ist nichts peinlich.“ Er drückte seinen Mund fest auf ihren und sie fielen in einen langen, leidenschaftlichen Kuss.



10. Kapitel


Leo war in Dracos Armen eingeschlafen, ihr Kopf ruhte auf seiner Brust. Auch Draco war in einen leichten Schlaf gefallen. Mitten in der Nacht erwachte er durch ein raschelndes Geräusch. Als er seine Augen öffnete, dachte er erst, er würde träumen, denn vor dem Bett stand eine ganz in Weiß gekleidete Frau. Auf ihrem Rücken hatte sie zwei große, perlmuttfarbene Flügel, die in allen Farben des Regenbogens schillerten. Ihre Augen ruhten liebevoll auf Leo.

„Wer bist Du und was willst Du?“ fragte Draco leise, um Leo nicht aufzuwecken.

„Mein Name ist Candle und ich bin hier, um nach meinem Kind zu sehen.“ erwiderte die Frau sanft.

„Leo ist Deine Tochter?“ erkundigte sich Draco.

„Ja, so ist es.“ nickte die Frau.

Draco musterte sie von oben bis unten. „So, wie Du an Deiner Tochter gesündigt hast, hättest Du keine Flügel verdient.“ sagte er hart. „Und für ein schlechtes Gewissen ist es jetzt zu spät, Du hättest es lieber mal eher sprechen lassen.“

„Ich weiß, dass ich vieles falsch gemacht habe.“ gab sie zu.

„Vieles? Alles.“ höhnte Draco.

„Bevor Du mich verurteilst, solltest Du wissen, warum ich so handelte.“ sagte Candle mit weicher Stimme. „Und wer ich bin.“

„Das interessiert mich aber gar nicht.“ wehrte Draco unsanft ab. „Ich sehe doch, was Du aus ihr gemacht hast. Einen Menschen, der nichts über das Leben weiß, der sich nicht traut, mehr Haut als sein Gesicht zu zeigen und der nicht weiß, was Gefühle sind. Und jetzt kommst Du und meinst, mit einer Entschuldigung wäre alles wieder in Ordnung.“

„Ich verstehe, warum Du mir Vorwürfe machst.“ nickte Candle. „Du liebst sie, das sehe ich. Und ich spüre Deine Wut und Deinen Hass auf ihren Vater und mich. Lass mich Dir bitte trotzdem erklären, wie alles kam.“

„Nun gut, um Leos Willen werde ich Dir zuhören.“ stimmte Draco zu.

„Du weißt, was Deine Mutter ist?“ fragte Candle.

„Ja, die Hüterin der Kristalle und Hohepriesterin.“ erwiderte Draco, der den Zusammenhang nicht verstand.

„Hüterin der Kristalle ist nicht so ganz richtig.“ sagte Candle. „Hohepriesterin stimmt. Aber sie ist eigentlich die Hüterin des Kristalls der Dunkelheit. Die andere Hüterin ist Darkness für den Kristall der Vampire. Fehlt also noch die Dritte, die Hüterin des Lichts. Und, auch wenn es schwer zu verstehen ist, bin ich diese. Ich wuchs, genau wie Deine Mutter und Darkness oben auf bei einer ganz normalen Familie auf, die vor unserer Geburt von den Göttern dazu erwählt wurde. Wir alle drei sind Kinder der Götter, die sich mit einer Erdenfrau fortpflanzten, ohne dass diese es wusste. Als ich achtzehn wurde, erschien mein Gottvater und teilte mir mit, dass es nun an der Zeit wäre, mich meiner wahren Bestimmung hinzugeben und hierher zu kommen. Aber ich wollte nicht, ich wollte nicht unter der Erde leben müssen, sondern ich wollte dort oben bleiben, wo die Sonne schien. Also ich rebellierte. Schließlich gab mein Gottvater nach und ließ mich dort, aber er nahm mir die Erinnerung. Ich vergaß, wer ich eigentlich war. Deine Mutter und Darkness nahmen ihre Aufgabe an, nur dass Darkness auch lieber dort oben blieb. Aber bei den Vampirhüterinnen war es sogar besser so, weil sie dann die Vampire besser unter Kontrolle halten konnten. Naja, ich lernte dann Leos Vater kennen und lieben, wir heirateten und gingen hierher nach Afrika. Da ich ja nun als Mensch lebte und fühlte, erwachte in mir der Wunsch, Mutter zu werden. Auch mein Mann hegte diesen Wunsch. Und da kommt Daleira ins Spiel. Daleira entstammt einer alten Hexenfamilie, die immer schon uns schaden wollte. Ich weiß nicht, wie, aber sie fand heraus, als was ich geboren wurde. Dieses Wissen und den Wunsch nach einem Kind nutzte sie für ihre Zwecke. Ich wurde durch Zauberei schwanger, was ich da allerdings noch nicht wusste.

Ich wusste auch nicht, dass sie einen Pakt mit dem damaligen Löwengott geschlossen hatte, dem sie eine Frau besorgen wollte, damit er mit dieser einen Sohn zeugen konnte. Für ihre eigene Tochter hatte sie als Schicksal bestimmt, diesem Gott nach der Zeugung als Objekt seiner Begierde zur Verfügung zu stehen. Und sie wusste auch, dass ihre Tochter dies nicht überleben würde. Denn auch wenn er bei der Zeugung Zurückhaltung üben würde, so würde er es danach nicht mehr. Immerhin hatte er seit tausend Jahren keine Frau besessen. Und eben diese Tochter, ich glaub, Zerafina war ihr Name, erzählte mir von dem Vorhaben ihrer Mutter. Sie hatte ihre Gespräche mit dem Gott belauscht und wusste daher, dass Daleira mir ein Mädchen in den Bauch gehext hatte, oder wie immer man das auch nennen wollte, welches halt als Mutter des Sohnes bestimmt sei. Meinem Mann gegenüber verschwieg ich es erstmal, aber als unsere Tochter dann zur Welt kam und ich das Mal auf ihrer Schulter sah, beichtete ich ihm alles. Gemeinsam überlegten wir, wie wir unsere Tochter vor ihrem Schicksal schützen könnten, welches ihren sicheren Tod bedeutet hätte. Bisher hatte noch keine Frau die Geburt eines neuen Gottes überlebt. Und zu welchem Ergebnis wir kamen, ist Dir ja bekannt.“ Erschöpft hielt sie inne. Draco sah, dass sich Tränen aus ihren Augen lösten und langsam ihre weiße Wange hinunterrollten.

„Das erklärt einiges,“ sagte Draco nachdenklich. „Aber es hat wenig genutzt. Daleira hat Leo am Ende ja doch gefunden. Und wären mein Bruder und ich nicht dazwischen gegangen, wäre es anders ausgegangen.“

„Erst nach meinem Tod und meiner Aufnahme als ein niedriger Engel bei den Göttern erfuhr ich, dass es Lumina zugewiesen war, zwei Söhne zu gebären, die es verhindern sollten, dass es einen weiteren Göttersohn gäbe. Und auch dass sie als Hüterin der Kristalle eingesetzt wurde, erfuhr ich erst dort. Ich habe, mit meiner Weigerung, mein Recht verwirkt, als Hüterin des Lichts hierher zu kommen. Ich werde für immer ein niedriger Engel bleiben ohne Chance auf einen Aufstieg. Und dort, neben Dir,“ sie zeigte auf Leo, „liegt meine Nachfolgerin, wenn sie es annimmt.“

„Um das zu entscheiden, müsste Leo es aber wissen. Und ich habe nicht den Eindruck.“ erwiderte Draco.

„Sie weiß es auch noch nicht.“ bestätigte Candle. „Aber Lieu, unser letzter Gott, war deshalb hier bei Lumina und hat mit ihr darüber geredet. Lumina ist beauftragt worden, es Leo mitzuteilen und sie um ihre Entscheidung zu bitten. Auch wenn Lumina dann das Amt der alleinigen Hüterin verlieren würde.“

‚Leo als Hüterin des Kristalls des Lichts’ dachte Draco.

„Ich hoffe, sie lehnt ab.“ sagte er spontan. „Wie Du schon bemerkt hast, liebe ich Leo und ich möchte es nicht nur platonisch.“

Candle schaute Draco fragend an, sie verstand erst nicht, was er meinte, doch dann dämmerte es ihr.

„Ach so, jetzt weiß ich was Du meinst.“ lachte sie leise. Ihr Lachen klang wie das Rieseln eines Baches. „Wenn sie Hüterin wird, heißt das nicht, dass sie keinen Sex haben darf. Sie lebt dann wie eine richtige Frau, nur sie wird nicht mehr altern, selbst oben auf der Erde nicht.“

„Aber bis sie eine richtige Frau sein wird, dauert es noch.“ meinte Draco. „Und das ist Eure Schuld.“

„Du wirst sehen, es dauert nicht lange.“ erwiderte Candle. „Den ersten Schritt hat sie schon gemacht, dank Lieu, der ein sehr mächtiger, aber gütiger Gott ist. Im Gegensatz zu seinem Sohn, der sich leicht beeinflussen ließ und sich Daleira anschloss. Lieu hat Leo in der letzten Nacht die ganzen schädlichen Stoffe durch seine Hände aus ihren Körper geholt. Bald beginnt ihre Brust zu wachsen, glaube mir. Und Du wirst feststellen, dass Lieu auch ihre Emotionen geweckt hat.“

„Das alles wäre nicht nötig gewesen, wenn ihr sie anders behandelt hätte.“ sagte Draco. „Aber das ist ja jetzt egal, nun hat sie ja meine Mutter und mich.“

„Ich versteh schon, dass Du alles noch nicht verstehst und mir Vorwürfe machst.“ erwiderte Candle leise. „Ich hoffe, Du wirst es eines Tages können. Ich wünsche Leo und Dir alles Gute und habe nur eine Bitte an Dich: Mach sie glücklich.“

Nach diesen Worten verschwand Candle im Nichts. Nur eine einzelne Feder aus ihren Flügeln lag auf dem Boden und zeugte von ihrer Anwesenheit. Draco beschloss, erst mit seiner Mutter darüber zu reden, bevor er Leo davon erzählen wollte. Leo hatte von all dem nichts mitbekommen, sie hatte tief und fest geschlafen. Jetzt wachte sie langsam auf, reckte sich und sah Draco zuerst erstaunt an, dann streckte sie ihm ihren Mund entgegen.

„Guten Morgen, Kleines.“ sagte Draco leise. „Gut geschlafen?“

„Hm.“ machte Leo. „Nicht reden, küssen.“

Nur allzu gerne kam Draco dieser Aufforderung nach, er senkte seinen Mund auf ihren und sie versanken in einem langen Kuss.

„So möchte ich jeden Morgen aufwachen.“ seufzte Leo, als Draco sie freigab. „Bis an mein Lebensende.“ Abrupt setzte sich nach den letzten Worten auf. „Aber das wird wohl nicht gehen. Wenn ich alt und grau bin, wirst Du mich nicht mehr lieben und mich verlassen.“ sagte sie traurig.

„Nein, das werde ich nicht.“ sagte Draco und nahm Leo zärtlich in den Arm. „Ich werde Dich immer lieben.“

„Für immer und ewig?“ fragte Leo. „Dann verwandle mich und ich bleibe auch auf ewig jung.“ Ihre Stimme war voller Begeisterung.

„Verwandeln? Das geht nicht so einfach.“ erwiderte Draco.

„Wenn Du mich wirklich liebst, würdest Du es machen.“ schmollte Leo.

„Das hat mit Liebe nichts zu tun.“ erklärte Draco. „Und weil ich Dich liebe, werde ich es nicht tun, Du weißt nicht, was da auf Dich zukommt.“

„Dann frag ich halt Wanja.“ sagte Leo schnippisch.

„Von ihm wirst Du die gleiche Antwort bekommen.“ lachte Draco.

„Wir werden sehen.“ gab Leo zurück und sah Draco triumphierend an.

Statt ihr darauf zu antworten, küsste Draco sie.

„So, und nun verschwinde ich mal kurz.“ sagte er. „Du kannst in der Zeit duschen, frühstücken oder was auch immer.“

„Wohin gehst Du?“ fragte Leo.

„Frühstücken.“ antwortete Draco.

„Das kannst Du doch auch hier.“ erwiderte Leo.

„Hm, nein, nicht wirklich.“ entgegnete Draco. „Mein Frühstück steht drüben im Haus. Und außerdem muss ich kurz mit Wanja reden.“

„Ach, willst Du ihm sagen, dass er nein sagen soll?“ meinte Leo patzig.

„Das brauch ich nicht, dass weiß ich auch so.“ lachte Draco. Er beugte sich zu Leo und gab ihr einen Kuss auf den Mund. „Bis später, Kleines.“ Nach diesen Worten verschwand er.

Leo ließ sich nach hinten fallen und sah zur Decke hoch. Sie lächelte glücklich vor sich hin. Dann sprang sie aus dem Bett, ging ins Bad und duschte. Mit einem Handtuch bekleidet, kehrte sie ins Zimmer zurück und öffnete den Kleiderschrank. Sie suchte sich eine Jeans und ein Shirt heraus. Diesmal nahm sie ein Shirt, welches ihr nicht drei Nummern zu groß war, sondern eng an ihrem Körper lag und es hatte schmale Träger, es ließ viel von ihrer Haut frei, aber es störte sie nicht mehr so sonderlich. Als Leo fertig angezogen war, klopfte es kurz an die Tür und Lumina kam herein.

„Oh.“ sagte sie. „Das sieht aber gut aus, besser als die Schlabbersachen, die Du sonst trägst.“

„Meinst Du, ich zeige zuviel Haut?“ fragte Leo skeptisch.

„Nein, es sieht wirklich gut aus. Und seinen Körper zu zeigen, ist keine Schande.“ beruhigte Lumina sie. „Niemand wird daran Anstoß nehmen.“

Leo ließ sich seufzend auf die Bettkante sinken, dabei fiel ihr Blick auf das kleine Tischchen, welches direkt neben ihrem Bett stand, und sie entdeckte die Feder, die darauf lag. Überrascht nahm sie sie in die Finger und drehte sie hin und her.

„Wo kommt die denn her?“ dachte sie laut. „Gibt es hier unten etwa auch Vögel?“

„Nein, die gibt es hier nicht. Darf ich mal sehen?“ bat Lumina. Leo reichte ihr die Feder und Lumina schaute sie sich kurz an. „Du weißt nicht, woher sie stammt?“ fragte sie dann nach.

„Keine Ahnung.“ erwiderte Leo. „Sie lag auf einmal dort.“

„Wo ist denn mein Sohn? Ich müsste kurz mit ihm sprechen.“ sagte Lumina.

„Er ist in seinem Haus“ antwortete Leo. „Er wollte mit Wanja reden und was essen, glaub ich.“

„Okay, ich werde kurz mal rüber gehen.“ erwiderte Lumina abwesend und verließ das Zimmer. Die Feder nahm sie mit.

Lumina traf Draco und Wanja in deren Wohnzimmer an, wo die Brüder sich unterhielten.

„Guten Morgen, Mutter.“ begrüßten die Beiden wie aus einem Mund. „Was können wir für Dich tun?“

„Hast Du die Nacht bei Leo verbracht?“ steuerte Lumina gleich auf das Ziel zu.

„Ja.“ gab Draco leicht verlegen zu.

„Weißt Du, woher dieses hier stammt?“ fragte Lumina weiter und hielt die Feder hoch.

„Ja, dass weiß ich, Leos Mutter muss sie verloren haben.“ antwortete Draco.

„Sie war da? Hat sie mit Leo gesprochen?“ bohrte Lumina weiter.

„Nein, hat sie nicht. Leo hat nichts davon mitbekommen, aber ich habe mit ihr geredet.“ erklärte Draco und umriss kurz das Gespräch, welches er mit Candle geführt hatte.

„Gut, dann weiß Leo also noch nichts von ihrer Bestimmung.“ meinte Lumina, als Draco geendet hatte.

„Hast Du Angst, Dein Amt als Hüterin sämtlicher Kristalle zu verlieren? Oder warum erscheinst Du mir froh darüber zu sein?“ fragte Draco misstrauisch.

„Ach, nein, dass ist mir egal.“ winkte Lumina ab. „Es ist nur so, dass Lieu und ich eigentlich entschieden haben, Leo langsam und vorsichtig darauf vorzubereiten. Sie sollte erst mal alles andere verkraften. Wir waren der Meinung, dass das, was sie in den letzten Tagen erfahren hat, eigentlich genug für den Anfang wäre. Leo sollte erst mal in aller Ruhe zur Frau heranreifen und dann hätten wir ihr es schonend beigebracht.“

„Wer ist wir?“ wollte Draco wissen.

„Lieu, Darkness und ich.“ antwortete Lumina. „Und eventuell auch Candle.“

„Das würde für Leo also bedeuten, dass sie für immer hier bleiben müsste und auf ewig jung bliebe, wenn ich das alles richtig verstanden habe.“ fasste Draco zusammen.

„Ganz so ist es nicht. Natürlich könnte sie auch dort oben leben, dass bleibt ganz ihr überlassen. Das mit dem Älterwerden stimmt allerdings. Sobald sie ihr Amt übernimmt, ist der Alterungsprozess aufgehoben.“ stimmte Lumina zu.

„Aber Du und Darkness, ihr seid doch, hm, sagen wir mal, im besten Alter.“ meinte Draco.

„Stimmt.“ nickte Lumina. „Aber das liegt daran, dass wir uns anfangs auch geweigert haben, dieses Amt zu übernehmen. Und ich habe immerhin einundzwanzig Jahre dort oben verbracht, nachdem ich Euch geboren hatte. Erst nachdem ich gestorben bin, war ich bereit, als Hüterin hier zu bleiben.“

„Boah, das ist mir alles zu kompliziert.“ stöhnte Wanja, der die ganze Zeit nur schweigend dabei gesessen hatte. „Ich geh lieber zu Zerafina. Aber vorher werde ich noch bei Leo reinschauen.“

„Sag ihr aber nichts von unserem Gespräch.“ bat Lumina.

„Bestimmt nicht, dass überlass ich alles Euch.“ erwiderte Wanja und ging.

„Was sagen wir denn nun Leo, woher diese Feder stammt?“ fragte Draco seine Mutter.

„Antworte ihr einfach, Du weißt es nicht. Du hättest sie gefunden.“ riet Lumina. „Und jetzt begleite ich Dich zurück zu Leo, ich würde sie gerne fragen, ob sie bei uns bleiben wird oder ob sie lieber wieder nach Hause möchte. Niemand sollte gegen seinen Willen hier bleiben.“

Lumina und Draco kehrten gemeinsam zu Leo zurück, die sich gerade mit Wanja unterhielt. Wanja hatte ihr gerade erzählt, dass Zerafina und er wohl hier unten bleiben würden. Die Blutversorgung wäre gewährleistet und wenn er mal Lust auf frisches, warmes Blut hätte, dürfe er von Zerafina trinken, dass hätte sie ihm angeboten.

„Sie will Dir freiwillig ihr Blut geben?“ fragte Leo gerade erstaunt, als Draco uns Lumina den Raum betraten. „Tut das denn nicht weh?“

„Nicht, wenn es freiwillig geschieht.“ erklärte Wanja.

„Ich glaube, das reicht als Erklärung.“ ging Draco dazwischen, der den weiteren Satz in Wanjas Gedanken gelesen hatte. Wanja sah Draco grinsend an und dachte in seine Richtung: ‚Den Rest sagst oder zeigst Du ihr wohl lieber selber?’, dabei grinste er seinen Bruder an.

‚Idiot’ schickte Draco zurück und grinste ebenfalls.

„Schön, dass ihr zwei euch so wortlos versteht.“ sagte Lumina.

„Wir sind halt Zwillinge.“ erwiderten beide wie aus einem Mund.

Wanja verließ lachend das Zimmer. Lumina sah ihm liebevoll lächelnd hinterher.

Draco musterte Leo von oben bis unten, die sich unter seinem Blick ziemlich unwohl fühlte.

„Was ist?“ fragte sie unsicher. „Soll ich was anderes anziehen?“

„Nein, nein, nur nicht.“ antwortete Draco. „Es ist nur das erste Mal, dass ich Dich so sehe. Bisher kannte ich nur schwarze, weite Jeans und einen riesigen, schwarzen Pulli an Dir.“

„Aber diese Sachen liegen immer noch an der Mission“ sagte Leo. „Deshalb muss ich das anziehen, was ich hier im Schrank finde.“ Sie verzog ihren Mund zu einem schiefen Lächeln.

„Wenn es Dir nicht gefällt, dann lass ich was anderes kommen.“ bot Lumina an. „Du kannst auch gerne ein Gewand anziehen, wie ich es trage.“

„Nein, danke.“ lehnte Leo ab. „Von so langen, weißen Nachthemden hab ich erst Mal die Nase voll.“

„Du hast einen schönen Körper und Du solltest ihn auch zeigen.“ meinte Draco.

„Dann muss ich mir wohl neue Sachen kaufen, wenn ich wieder zu Hause bin, denn da hab ich den ganzen Schrank voll mit Pullis und Jeans.“ sagte Leo.

„Du möchtest also wieder nach Hause?“ fragte Lumina leicht enttäuscht.

„Ja, eigentlich schon.“ antwortete Leo. „Ich war solange von der Außenwelt abgeschlossen und würde gerne mal den Rest der Welt sehen, von der Wanja mir so viel erzählt hat.“

„Willst Du uns denn schon bald verlassen?“ wollte Lumina wissen.

„Ich weiß nich.t“ erwiderte Leo. „Es ist ja nicht so, dass es mir hier nicht gefällt, aber ich kannte bisher nur mein Zimmer und unseren Schlosspark.“

„Du kannst natürlich jederzeit gehen, niemand wird hier gegen seinen Willen festgehalten.“ sagte Lumina. „Ich finde es nur sehr schade, denn ich dachte, ich hätte zu meinen Söhnen noch zwei Töchter gefunden.“

Leo ging auf Lumina zu und umarmte sie. „Sei nicht traurig.“ murmelte sie. „Ich werde ja nicht gleich verschwinden. Es gibt so vieles, was ich noch von Dir lernen möchte. All diese Dinge, die eine Mutter einem eigentlich beibringen sollte.“

„Vermisst Du Deine Mutter sehr?“ fragte Lumina einfühlsam.

„Nein, nicht wirklich.“ entgegnete Leo. „Sie war im Grunde ja nie wirklich da. Sie brachte mir mein Essen, sprach aber kaum mit mir. Nie hat sie mich in den Arm genommen oder einfach nur mal so gestreichelt. Und einen Kuss gab sie mir auch nie. Und mein Vater war nicht anders. Er kam jeden Morgen und jeden Abend, gab mir entweder eine Spritze oder Tabletten und verschwand meistens wortlos wieder. Geredet hat eigentlich nur mein Lehrer mit mir und auch nur über Lehrstoff. Das erste richtige Gespräch hatte ich mit Wanja.“

„Aber wie Du jetzt weißt, hatten Deine Eltern ihre Gründe für ihr Verhalten.“ sagte Lumina. „Es war eigentlich alles nur zu Deinem Schutz.“

„Und was hat es gebracht? Nichts! Sie hätten mich im Grunde genommen genauso gut töten können, als ich zur Welt kam.“ begehrte Leo auf.

„Ich verstehe, dass Du im Moment wütend auf sie bist.“ äußerte Lumina. „Aber irgendwann wirst Du ihnen verzeihen können.“

„Ja, vielleicht.“ nickte Leo.

„Na, ich lass Euch zwei mal wieder alleine.“ sagte Lumina. „Ich muss mich mal ein wenig um Darkness kümmern.“

Dann waren Draco und Leo wieder alleine. Leo sah Draco verschmitzt an und sagte: „Du, ich hab schon wieder vergessen, wie man küsst. Zeigst Du es mir noch mal?“

„Wir müssen unseren Unterricht wohl intensivieren, wenn Du so vergesslich bist.“ grinste Draco und zog Leo in seine Arme. Bereitwillig hob sie ihm ihren Mund entgegen. Draco ließ sich nicht lange bitten und sie versanken in einem langen, intensiven Kuss. Als Draco sie nach einer Weile freigab, fiel Leo atemlos auf das Bett. Einladend klopfte sie neben sich und Draco legte sich zu ihr. Leo legte ihren Kopf auf seine Brust und sah ihn an.

„Würdest Du gerne mein Blut trinken?“ fragte sie.

„Was? Wie kommst Du denn jetzt darauf?“ wollte Draco wissen.

„Naja, weil Wanja gesagt hat, dass Zerafina ihm angeboten hat, ihr Blut zu trinken. Und ich dachte, es würde Dich glücklich machen, wenn Du meins trinks.t“ murmelte Leo.

„Es würde mich sogar sehr glücklich machen.“ erwiderte Draco. „Aber damit lassen wir uns noch Zeit.“

„Weißt Du, was ich noch möchte? Ich würde gerne die Sonne sehen und spüren.“ sagte Leo.

„Dann lass uns nach oben gehen.“ meinte Draco.

„Meinst Du, dass geht so einfach?“ zweifelte Leo. „Wir müssen doch bestimmt um Erlaubnis fragen.“

Draco zog Leo hoch und verließ mit ihr den Raum. Sie trafen Lumina in der großen Halle an, wo sie mit den Priestern redete.

Draco ging direkt auf sie zu und sagte: „Entschuldige, dass wir stören, aber könnte ich Dich kurz sprechen?“

„Aber ja, für Dich habe ich immer Zeit. Was möchtest Du denn?“ sagte Lumina.

„Wir möchten gerne nach oben, nur für ein paar Stunden.“ antwortete Draco.

„Ist gut. Habt Ihr etwas dagegen, wenn ich Euch begleiten würde?“ fragte Lumina.

„Nein, natürlich nicht.“ erwiderte Draco.

Die Drei gingen unter Begleitung einiger Wachen, die mit Fackeln bewaffnet waren, die Treppe hinauf und standen kurz darauf in der Halle des alten Tempels. Als Leos Blick auf den Altar fiel, auf dem sie angebunden war, griff sie nach Dracos Hand. Dieser drückte ihre Hand beruhigend und sie verließen gemeinsam den Raum. Langsam gingen sie zwischen den Ruinen herum und Lumina erzählte ihnen, wie es früher einmal war.

Als sie zurück in die Halle kamen, wo sich der Einstieg nach unten befand, blieb Draco vor dem Altar stehen und fragte: „Wofür war er eigentlich gedacht? Wurden hier Opfer dargebracht?“

„Nein, wir haben nie Menschenopfer dargebracht.“ erwiderte Lumina. „Er diente als Empfängnisstätte. Ihr müsst wissen, unsere Götter lebten in der Zeit, die sie hier auf Erden verbrachten, als Löwen. Und wenn sie menschliche Gestalt annahmen, waren sie über zwei Meter groß und wogen so um die fünfhundert Kilo. Und wenn die Zeit gekommen war, sich fort zu pflanzen, dann konnten sie es schlecht auf herkömmliche Weise tun. Das hätte wohl keine Frau überlebt, deshalb legten sich die auserwählten Frauen hier auf diesen Tisch und konnten so den Sohn empfangen.“

„Und wurden sie auch angebunden?“ wollte Leo wissen, in Erinnerung an das, was mit ihr passierte.

„Nein, diese Frauen haben es freiwillig gemacht. Sie wurden von Geburt an darauf vorbereitet. Alle tausend Jahre wurde ein Mädchen geboren, welches das Zeichen auf ihrer linken Schulter trug. Es waren meistens die Kinder unserer Priester und Priesterinnen.“ erklärte Lumina.

„Und wieso dann ich?“ fragte Leo. „Meine Eltern waren doch keine Priester, sie waren ganz normale Menschen.“

„Du wurdest durch Zauberei geboren.“ erläuterte Lumina. „Anders hätte Daleira kein Mädchen gefunden. Sie hätte niemals unsere unterirdische Stadt betreten können. Aber für ihren Plan brauchten sie jemanden, der den Sohn gebären würde. Und Deine Mutter war halt zur falschen Zeit am falschen Ort.“

„Also hätte es jeden treffen können.“ äußerte Leo.

„So gesehen, ja. Aber jetzt mach Dir keine Gedanken mehr darüber, es ist vorbei.“ sagte Lumina. „Und nun lass ich Euch allein. Bei Einbruch der Dunkelheit werden Euch die Wachen dort am Einstieg erwarten.“

„Was möchtest Du jetzt machen?“ fragte Draco, als sie alleine waren.

„Irgendwo einen Platz suchen, wo die Sonne scheint und mich dort hinsetzen.“ erwiderte Leo.

Schnell fanden sie so einen Ort, wo das Gras weich und trocken war. Leo ließ sich fallen, legte sich mit unter dem Kopf verschränkten Armen auf den Rücken und schaute in den blauen Himmel. Draco setzte sich neben sie und schaute sie an. Leos Haare erschienen im Sonnenlicht noch roter und ihre Augen schimmerten wie durchscheinender Bernstein. Als Leo seinen Blick bemerkte, sah sie ihn an und lächelte. Draco lächelte zurück und sagte zum ersten Mal in seinem Leben: „Ich liebe Dich.“ Er beugte sich zu Leo hinunter und küsste sie. Leo legte ihre Arme um seinen Nacken, murmelte leise: „Mein Held“ und gab sich dann ganz dem Kuss hin, der nicht enden wollte.

Nachdem Draco sie wieder freigab und Leo etwas atemlos an seiner Schulter lag, fuhr er mit seinem Zeigefinger langsam die Konturen ihres Gesichtes nach.

„Wir sollten nicht zu lange in der Sonne bleiben, Deine Haut wird sonst verbrennen.“ sagte er leise.

„Nur noch ein paar Minuten.“ murmelte Leo schläfrig. „Es ist so schön, die Sonne und den Wind zu spüren.“

„Kann ich mir denken, nach dem Du so lange eingesperrt wars.t“ erwiderte Draco.

„Ja, und deshalb möchte ich auch nicht hierbleiben. Ich möchte die Welt sehen.“ sagte Leo. „Es ist nicht so, dass ich nicht gerne hier bin und ich bin Deiner Mutter auch sehr dankbar für alles, was sie für mich getan hat. Aber ich kann mir nicht vorstellen, mein Leben dort unten zu verbringen. Und es besteht ja auch keine Veranlassung mehr, mich zu verstecken, oder?“

„Nein, mit dem Tod der Beiden endete die Bedrohung.“ antwortete Draco.

„Und die Erinnerung daran wird auch irgendwann verblassen.“ meinte Leo. „Irgendwann werden bestimmt darüber lachen können.“

„Na, so lustig war das Ganze ja nicht.“ entgegnete Draco.

„Lass uns nicht mehr darüber reden, lass uns lieber was anderes machen.“ lächelte Leo und legte ihre Lippen auf seine.

Als die Dämmerung einsetzte, gingen sie Hand in Hand zurück zu dem Einstieg. Dort wurden sie schon von zwei Wachen erwartet, die sie mit Fackeln nach unten begleiteten.

„Komm, ich zeig Dir, wo wir wohnen.“ sagte Draco, als sie unten angekommen waren. Er brachte Leo in das Haus, wo er und sein Bruder zurzeit wohnten. Wanja war nicht anwesend. Draco ging mit Leo in das Wohnzimmer und setzte sich neben sie auf die Couch.

„Am liebsten würde ich Dich hierbehalten und Dich nie mehr gehen lassen.“ murmelte er an ihrem Ohr. „Wir würden jeden Abend gemeinsam zu Bett gehen und am Morgen würdest Du neben mir aufwachen.“

„Und was würden wir dann machen?“ fragte Leo verschmitzt.

„Das hier.“ Draco küsste sie leicht auf den Mund.

„Den ganzen Tag?“ entgegnete Leo lächelnd.

„Nicht den ganzen Tag, immerhin müssen wir zwischendurch auch mal was essen.“ erwiderte Draco.

Wanja betrat das Zimmer und er war nicht allein. Zerafina war in seiner Begleitung. Leo sah sie aufmerksam an. Zerafina war ungefähr in ihrem Alter, sie hatte lange, pechschwarze Haare und azurblaue Augen. Sie trug, wie Leo, eine Jeans und ein Tanktopp, welches einen großen Ausschnitt besaß, der den Blick auf den Ansatz ihrer Brust freiließ. Sie hatte einen sehr schönen Busen. Auf diesen blickte Leo leicht neidisch.

„Es freut mich, Dich endlich kennenzulernen.“ sagte Zerafina mit warmer Stimme. „Und ich hoffe, Du trägst mir das Verhalten meiner Mutter nicht nach.“

„Du kannst doch nichts dafür, dass Deine Mutter so war.“ erwiderte Leo. „Du hast sie Dir ja nicht ausgesucht. Und mit Dir hatte sie auch nichts Tolles vor. Wenn ich da an die Worte denke, die sie dem Typen gesagt hat.“

„Das stimmt.“ bestätigte Zerafina. „Aber wie alle Kinder liebte ich sie und vertraute ihr, zumindest bis zu meinem siebzehnten Lebensjahr. Da erfuhr ich von ihren Plänen, allerdings nur durch Zufall.“

„Wie das?“ wollte Leo wissen.

„Seit ich neun oder zehn Jahre alt war, schickte mich meine Mutter öfter los, Besorgungen für sie zu machen. Meistens dauerten diese über Nacht. Anfangs dachte ich mir nichts dabei, aber als ich älter wurde, merkte ich, dass es regelmäßig einmal im Monat war, immer bei Vollmond. Als ich siebzehn war, und sie mich wieder fortschickte, tat ich so, als würde ich das Haus verlassen, so wie immer ohne Fragen zu stellen. Nur dieses Mal hatte ich einen Jungen bestochen, mir diesen Weg abzunehmen. Ich verbarg mich, so dass ich das Haus im Auge hatte. Es dauerte bis es dunkel war, dann sah ich wie ein Mann von meiner Mutter ins Haus gelassen wurde. Nun war meine Neugierde erst recht geweckt und ich schlich mich leise ins Haus. Die Stimmen des Mannes und meiner Mutter kamen aus ihrem Schlafzimmer. Vorsichtig, um kein Geräusch zu machen, schlich ich mich an die Tür und sah durch das Schlüsselloch. Ich sah meine Mutter mit dem Aussehen und dem Körper einer Dreißigjährigen nackt auf dem Schoß des ebenfalls nackten Mannes sitzen. Da sie glaubten, allein im Haus zu sein, sprachen sie mit normal lauter Stimme und ich verstand jedes Wort. Der Mann fragte: ‚Wie weit bist Du mit Deinen Vorbereitungen?’ ‚Fast alles abgeschlossen’ erwiderte meine Mutter. ‚Die hiesigen Vampire sind auf unserer Seite, halten sich aber noch zurück. Sie wissen, dass es erst in zweihundert Jahren soweit ist.’ ‚Und Luminas Kinder? Was ist damit?’ kam es von dem Mann. ‚Auch in diese Richtung habe ich gut vorgearbeitet. Beim nächsten Karneval ist es soweit. Wenn sie dann verwandelt sind und nicht wissen, was mit ihnen los ist, haben wir sie in der Hand’ antwortete meine Mutter. ‚Und Zerafina?’ fragte der Mann. ‚Oh, sie wird von Tag zu Tag schöner, sie wird ein richtiger Leckerbissen für ihn sein’ strahlte meine Mutter. ‚Aber nun genug geredet, mein Engel. Jetzt zeige mir Deine Zufriedenheit.’ Als sie es dann miteinander trieben, konnte ich mich wegschleichen. Von diesem Tag an suchte ich mir immer jemanden, der für mich die Besorgungen erledigte und belauschte meine Mutter. So erfuhr ich nach und nach, was die Beiden mit Draco und Wanja vorhatten. Als meine Mutter sie dann fand und in unser Haus brachte, wo sie ihnen als erstes ihr Blut gab, schrieb ich heimlich in der Küche einen Brief, den ich ihnen heimlich gab mit der Bitte, ihn erst im Hotel zu öffnen. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie wütend meine Mutter war, als die Beiden am nächsten Tag nicht wiederkamen und auch in den nächsten Tagen nicht. Dieser Mann tauchte plötzlich bei uns auf und wollte wissen, was da schief gelaufen wäre. Meine Mutter war so außer sich vor Wut, dass sie, obwohl ich zu Hause war, ihm mit lauter Stimme sagte, die Schlampe von Darkness hätte sich wohl die Beiden gekrallt. Sie hätte ihren Stecher auf die Beiden angesetzt und nun wären sie bei ihr in Frankreich. Es gäbe keine Möglichkeit, sie von da weg zu holen. ‚Das wird ihm gar nicht gefallen’ sagte der Mann. Das war dann für lange Zeit, das letzte Mal, dass ich ihn sah. Erst als wir hier in Afrika waren, kam er wieder. Er fragte meine Mutter, ob sie schon ein geeignetes Opfer gefunden hätte. Als meine Mutter verneinte, wurde er wütend und schrie meine Mutter an, sie solle sich gefälligst irgendeine Schlampe suchen und ihr ein Kind in den Bauch hexen. Und sie solle darauf achten, dass ich Jungfrau bliebe. Er würde sich schon darauf freuen. Kurz nach diesem Gespräch trafen wir dann Deine Mutter. Naja, und den Rest kennst Du ja.“

Aufmerksam hatten alle zugehört, niemand sagte ein Wort, als Zerafina geendet hatte.

„Jetzt ist ja alles vorbei.“ Wanja war der Erste, der wieder sprach. Er nahm Zerafina in den Arm. „Deine Mutter ist tot und kann Dir nichts mehr anhaben, genau wie der Möchtegern-Gott. Hier bei uns bist Du in Sicherheit.“

„Aber warum hast Du Deine Mutter nicht verlassen, nachdem Du das alles gehört hattest?“ fragte Leo.

„Weil ich sie, wie schon gesagt, trotzdem geliebt habe.“ antwortete Zerafina. „Und ehrlich gesagt, obwohl sie abgrundtief böse war, vermisse ich sie doch etwas. Vermisst Du denn Deine Eltern nicht?“

„Hm, nein, eigentlich nicht. Um etwas zu vermissen, muss man eine tiefere Beziehung zu demjenigen haben und das konnte nicht aufgebaut werden. Ich sah meine Mutter dreimal am Tag, morgens, wenn sie kam, um mir mein Frühstück zu bringen und mir zu helfen, ins Bad zu kommen. Mittags, wenn sie mir Essen brachte und abends, wo sie mir half, mich für die Nacht zurecht zu machen. Bei all diesen Gelegenheiten sprach sie kaum mehr als drei Worte mit mir, nahm mich nie in den Arm oder zeigte mir auf andere Weise ihre Zuneigung. Ebenso war es mit meinem Vater, der allerdings nur morgens und abends zu mir kam, um mir Medikamente zu verabreichen. Er sprach so gut wie nie mit mir.“

„Und wie hast Du dann Wanja kennengelernt?“ wollte Zerafina wissen.

Aber bevor Leo antworten konnte, sagte Draco: „Darüber könnt ihr ein andermal reden. Jetzt ist es schon spät, ich werde Leo rüber bringen.“

‚Lass Dir Zeit’ forderte Wanja ihn grinsend telepatisch auf.

„Ach, schon?“ widersprach Leo. „Bleibst Du dann noch bei mir?“

„Ja, ein wenig.“ versprach Draco.

Als sie in Leos Zimmer angekommen waren, sagte Draco: „Während Du duschen gehst, werde ich kurz mit meiner Mutter reden. Danach komme ich direkt wieder zu Dir, versprochen, es dauert nicht lange.“ Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

„Du kannst doch hierbleiben.“ schmollte Leo.

„Ich bin ganz schnell zurück.“ versprach Draco. „Und jetzt ab mit Dir unter die Dusche oder ich stell Dich darunter.“ Er gab ihr einen kleinen Klaps auf den Po und schob sie ins Bad.

Draco eilte zu seiner Mutter, er musste dringend mit ihr über diesen nächtlichen Besucher bei Zerafinas Mutter reden. Vielleicht hatte seine Mutter ja eine Ahnung, wer er sein könnte.

Nach kurzem Klopfen betrat Draco das Zimmer seiner Mutter und blickte erstaunt auf die Gesellschaft, die sich dort befand.

„Ach, Draco, schön, dass Du hier bist. Ich wollte Dich gleich holen lassen.“ sagte seine Mutter. „Es gibt da nämlich etwas, was wir dringend besprechen müssen.“

„Das hat aber nichts mit einem Mann zu tun?“ fragte Draco verwirrt.

„Mit einem Mann? Mit welchem Mann?“ wollte seine Mutter wissen.

„Zerafina hat uns gerade erzählt, dass ihre Mutter immer bei Vollmond einen nächtlichen Besucher hatte, der wohl auch mit der ganzen Sache zu tun hatte.“ antwortete Draco.

„Hatte er vielleicht Flügel? Schwarze Flügel?“ fragte Lieu, der sich auch dort befand.

„Flügel? Nein, davon hat Zerafina nichts gesagt.“ antwortete Draco. „Wieso? Was ist denn los? Es scheint ja was Wichtiges zu sein, dass sogar Darkness, Verzeihung, Madame LeNoire und Leos Mutter hier sind.“

„Sag ruhig Darkness, Madame bin ich nur dort oben.“ warf Darkness ein.

„Wo ist Leo?“ erkundigte sich seine Mutter.

„In ihrem Zimmer, unter der Dusche, denke ich.“ sagte Draco.

„Es ist so,“ begann Lumina. „Dieser nächtliche Besucher ist, oder besser, war ein Engel, der sich auf die Seite des Bösen geschlagen hat. Er und Daleira haben die ganze Zeit zusammen gearbeitet, damit es einen Nachfolger gibt. Wofür brauch ich Dir ja nicht mehr zu erklären. Und jetzt, da der Plan schief gegangen ist, will er Rache nehmen, an Dir, Wanja, Zerafina und Leo. Deshalb hat Lieu beschlossen, dass es an der Zeit ist, Leo über ihre wahre Bestimmung aufzuklären. Eigentlich wollten wir damit ja noch warten.“

„Hört das denn nie auf? Kann sie denn nie leben wie ein normaler Mensch?“ stöhnte Draco gequält auf.

„Doch, das wird sie.“ erwiderte Lieu und legte Draco beruhigend die Hand auf die Schulter. „Nur im Moment ist sie hier unten einfach sicher. Wir sollten gemeinsam zu ihr gehen und ihr alles erklären.“

Gemeinsam machten sie sich auf zu Leos Zimmer. Leo schien noch im Bad zu sein, denn das Zimmer war leer.







11. Kapitel


Leo stand im Bad und betrachtete ihren nackten Körper im Spiegel. ‚Ob ich hier wohl auch mal so aussehe wie Zerafina?’ dachte sie und legte ihre Hände auf ihre Brust, die sich leicht zu wölben begann. Sie überlegte, wie wohl ein nackter Mann aussehen würde. Nachdem Leo sich eine Panty und ein langes Shirt angezogen hatte, verließ sie das Bad und sah erstaunt auf die Besuchergruppe, die sich mittlerweile in ihrem Zimmer eingefunden hatte. Ihre Augen suchten Draco und sahen ihn hilflos an.

Draco verstand ihren Blick und ging zu ihr. Er legte einen Arm um ihre Schulter und zog sie an sich. „Keine Angst, sie wollen nur mit Dir reden.“ flüsterte er ihr zu.

„Entschuldige den Überfal.l“ begann Lumina. „Wenn es nicht wichtig wäre, wären wir nicht zu so später Stunde noch zu Dir gekommen.“

Leo sah von einem zum anderen. „Ist etwas passiert?“ richtete sie sich fragend an Lumina.

„Ja und nein.“ antwortete diese. „Aber zuerst möchte ich Dir meine Begleiter vorstellen. Darkness kennst Du ja bereits. Und dies hier ist Lieu, unser letzter Gott und hier haben wir noch Candle. Zu ihr später mehr. Jetzt geht es erstmal um Dich, Draco, Wanja und Zerafina.“

Lieu übernahm das Wort. „Leo, als erstes möchte ich mich für meinen missratenen Sohn entschuldigen und das, was er mit Dir vorhatte. Es tut mir furchtbar leid, dass Du in diese Situation geraten bist.“

Leo sah zu ihm auf, er war mindestens zwei Köpfe größer als sie.

„Es ist doch nicht Ihre Schuld, dass Ihr Sohn sich mit dieser Hexe verbündet hat.“ erwiderte sie.

„Doch, in gewisser Weise schon.“ bekannte Lieu. „Ich hätte mich besser um ihn kümmern sollen, nach dem Tod seiner Mutter, aber ich war zu sehr mit meiner Trauer beschäftigt. Eigentlich hätte ich ihn gleich in die Obhut der Priester geben müssen. Aber dann war es zu spät, Daleira hatte ihn schon zu sich genommen und fütterte ihn mit ihrem Gift. Ich sandte ihm zu seinem Schutz einen meiner Engel, der aber auch in die Fänge von Daleira geriet.“

„Sie?“ Leo nickte fragend in Richtung Candle.

„Nein, nicht sie. Es war ein männlicher Engel. Wie ich hörte, hat Zerafina Euch heute einiges von dem berichtet, was sie als junges Mädchen mitbekommen hat. Unter anderem auch von einem nächtlichen Besucher, der ihre Mutter einmal im Monat bei Vollmond aufsuchte. Dieses war besagter Engel. Die Drei hatten vor, den Kristall der Dunkelheit, dessen Hüterin Lumina ist, in ihre Finger zu bekommen und wenn dann das Kind geboren wäre, mit seiner Hilfe die Welt in Dunkelheit zu hüllen. Das hätte bedeutet, dass die Vampire die Herrschaft übernommen hätten, die alle erst unter dem Befehl von Daleira und später von Deinem Sohn gestanden hätten. Das Gleichgewicht zwischen gut und böse wäre nicht mehr gegeben gewesen. Aber soweit ist es ja zum Glück nicht gekommen. Allerdings ist das nicht der Grund unseres Hierseins. Es geht vielmehr um diesen Engel, der immer noch da ist. Nachdem ihr die Pläne der Drei vereitelt habt, hat er geschworen, an Euch dafür Rache zu nehmen. Deshalb sah ich es an der Zeit, Dir etwas Wichtiges mitzuteilen. Wie schon gesagt, Lumina ist die Hüterin des Kristalls der Dunkelheit und wie Du vielleicht weißt, ist Darkness die Hüterin des Kristalls der Vampire. Fehlt also nur noch die Hüterin des Kristalls des Lichtes. Eigentlich sollte es Candle hier sein, aber sie weigerte sich in ihrer Jugend dieses Amt anzunehmen und auszuführen. Deshalb geht es jetzt an ihre Tochter.“

„Und was habe ich damit zu tun?“ unterbrach Leo die Rede von Lieu.

„Weil Du diese Tochter bist.“ warf Candle leise ein.

„Was bedeuten würde, dass Du meine Mutter wärst.“ erwiderte Leo und sah Candle an. Diese hob ihren Kopf, den sie die ganze Zeit gesenkt hatte und sah Leo direkt in die Augen.

„So ist es. Erkennst Du mich denn nicht?“ fragte sie leise.

Leo verschränkte ihre Arme vor ihrer Brust und musterte Candle.

„Naja, das Gesicht sieht meiner Mutter ähnlich, aber ihre Haare waren kürzer.“ Leo ließ den Blick weiter nach unten wandern. „Und einen Busen hatte sie auch nicht, jedenfalls kann ich mich an keinen erinnern.“

„Ich weiß, wir haben vieles falsch gemacht.“ gab Candle zu. „Aber wir handelten nur zu Deinem Besten. Wir wollten Dir dies hier alles ersparen. Leides hat es nichts gebracht. Und da jetzt alles so gekommen ist, möchte ich Dich von Herzen bitten, dieses Amt anzunehmen und nicht wie ich es dummerweise tat, abzulehnen. Von nun an werde ich immer für Dich da sein, wenn Du mich brauchst.“

„Ach ja.“ brach es aus Leo heraus. „Wo warst Du, als ich Dich brauchte? Und Vater, wo war er? Ihr wart nie wirklich für mich da in all den Jahren, die ich in einem stickigen, kleinen Zimmer eingesperrt war. Nie habt Ihr Euch wirklich um mich gekümmert. Und jetzt, jetzt brauch ich Euch nicht mehr.“

Als Draco beruhigend auf Leo einreden wollte, flüsterte ihm seine Mutter zu: „Lass, es muss heraus.“

Candle senkte traurig den Kopf. „Aber vermisst Du uns denn nicht? Empfindest Du keine Trauer über unseren Tod?“

„Vermissen? Trauer? Wie sollte ich. Woher sollte ich wissen, wie man trauert. Ihr habt mich nie gelehrt, was Gefühle sind. Ich kannte zwar die Bezeichnungen für Freude oder Trauer, aber ich wusste nicht, wie man es empfindet. Und wie sollte ich etwas vermissen, was nie da war? Und jetzt erscheinst Du in dieser Gestalt, sagst, es tut mir leid und alles ist gut, oder wie? Ihr wisst doch gar nicht, was Ihr mir mit Eurem Verhalten angetan habt. Bis vor wenigen Tagen wusste ich ja noch nicht einmal, dass es zwei verschiedene Arten von Menschen gibt. Für mich waren alle gleich, es gab kein Mann oder Frau. Es wäre Deine Aufgabe gewesen, es mir zu erklären. Aber nein, es war Lumina, die es mir sagte. Und auch noch einige andere Dinge, die für ein Mädchen wichtig sind. Ihr habt mich ja lieber mit Medikamenten vollgestopft, um unangenehmen Fragen aus dem Weg zu gehen. Und es gab weder eine zärtliche Berührung noch einen Kuss von Euch. Wenn Du es von meiner Geburt an gewusst hast, was Daleira mit mir vorhatte, hättest Du mich lieber töten sollen.“ beendete Leo ihren Ausbruch, drehte sich zu Draco und verbarg ihr Gesicht an seiner Brust.

„Leo!“ riefen die anderen Vier wie aus einem Mund.

„Ja, was denn? Das hätte ihnen viel erspart.“ murmelte Leo an Dracos Brust.

„Wir sollten später weiterreden.“ sagte Lieu mit sanfter, weicher Stimme, die so gar nicht zu seinem Körper passte. „Lasst uns gehen.“

Leo hob den Kopf, schaute Lumina an, nahm deren Hand und bat leise: „Bleib bitte.“

Den traurigen Blick ihrer Mutter übersah sie dabei beflissentlich. Diese ging mit gesenktem Kopf hinter Lieu und Darkness her. An der Tür drehte sie sich noch mal um und sah Leo weinend an der Brust von Lumina.

Leo weinte zum ersten Mal in ihrem Leben richtig. Lumina ließ sie weinen und bedeutete Draco mit den Augen, Leo fern zu bleiben, als dieser sich nähern wollte. Hilflos stand er mit hängenden Armen da und sah der Szene zu.

Als Leo sich langsam beruhigte, führte Lumina sie zu dem Bett. Leo hob den Kopf, sah, dass Luminas Gewand ganz nass war und murmelte: „Tut mir leid.“
„Das braucht es nicht.“ erwiderte Lumina sanft. „Das alles musste mal raus. Wie fühlst Du Dich jetzt?“

„Ich weiß nicht, irgendwie komisch.“ überlegte Leo. „So, als ob etwas, was mich eingeengt hat, zersprungen wäre. Als ob ein Ring, der um meine Brust lag, abgefallen wäre und ich besser atmen könnte.“

„Du hast Dir jetzt alle Wut von der Seele gesprochen, dass war auch mal nötig. Und all die ungeweinten Tränen der letzten Jahre geweint.“ sagte Lumina. „Dadurch wird der Hass auf Deine Eltern geringer.“

„Ich hasse sie nicht.“ entgegnete Leo.

„Was empfindest Du denn, wenn Du an sie denkst?“ fragte Lumina.

„Nichts.“ antwortete Leo schulterzuckend. „Sie waren meine Eltern, sie waren da und nun sind sie weg, das ist alles.“

„Arme Candle.“ seufzte Lumina und erhob sich. Sie beugte sich zu Leo, küsste ihr auf das Haar und sagte: „Ich werde jetzt gehen, Lieu und Darkness erwarten mich bestimmt schon. Wir werden uns morgen weiter unterhalten. Schlaf gut.“

„Danke, Du auch.“ erwiderte Leo und sah Lumina lächelnd an.

„Du bleibst über Nacht?“ wandte sich Lumina fragend an Draco.

„Denke, dass es besser ist.“ nickte dieser bejahend.



Als Lumina ihr Zimmer betrat, saß dort Candle niedergeschlagen in einem Sessel. Darkness und Lieu saßen ihr gegenüber auf der Couch und beobachteten sie. Candle hob den Kopf, als Lumina näher kam und fragte: „Wie geht es ihr?“

„Jetzt wohl besser.“ antwortete Lumina. „Jetzt, wo alles raus ist, was ihr auf der Seele lag. Entschuldigt mich bitte kurz, ich möchte mir nur schnell was anderes anziehen.“

„Was kann ich nur machen?“ murmelte Candle fragend.

„Im Moment nichts.“ erwiderte Lieu. „Lass ihr erst mal Zeit. Ich weiß, dass Leo nach außen hin wirkt, als wäre sie völlig gefühllos, aber in ihrem Inneren brodelt es. Sie weiß nur noch nicht, wie sie ihre Empfindungen zuordnen soll. Und das mache ich Euch zum Vorwurf, dass ihr nicht gezeigt habt, was man wie und wann fühlt. Alles andere ist verzeihlich, das habt ihr nur zu ihrem Schutz getan, aber das nicht.“

Lumina war zurückgekehrt und hatte die letzten Worte vernommen. Sie legte ihre Hand auf Lieus Arm und sagte beruhigend: „Lass gut sein. Es bringt nichts, Candle mit Vorwürfen zu überhäufen, sie macht sich schon selbst genug. Dadurch helfen wir Leo nicht. Wir können ihr nur zeigen, was Freude, Trauer, Glück und Leid ist. Was Liebe ist, wird ihr Draco wohl zeigen.“ fügte sie lächelnd hinzu.

„Am liebsten würde ich die Zeit zurückdrehen.“ seufzte Candle.

„Das geht aber nicht.“ warf Lieu hart ein. „Und deshalb wirst Du mit uns den bitteren Weg zu Ende gehen. Deine Aufgabe wird es sein, Leo in allem zu unterrichten, was eine Hüterin wissen muss. Du wirst hierbleiben bis zum Ende, ich werde Dir solange Deine Flügel nehmen. Lumina wird Dir ein Zimmer zuteilen und Du wirst an allem teilnehmen. Und Du wirst Dich nicht in das Leben Deiner Tochter einmischen. Alles, was sie über sich, ihren Körper und der Beziehung, auch der körperlichen, zu einem Mann wissen muss, wird ihr Lumina erklären. Für Dich bleibt nur die Unterweisung in die Aufgaben einer Hüterin. Solltest Du Deine Sache zu meiner Zufriedenheit erledigen, wirst Du am Ende Deine Flügel und vielleicht auch Deinen Mann zurückbekommen. Du weißt ja, dass er als Dein Angehöriger das Recht hat, zu uns zukommen.“

Darkness, die bisher still zugehört hatte, meldete sich zu Wort. „Was ist mit mir? Wird meine Hilfe hier noch benötigt? Falls nicht, würde ich gerne nach oben gehen und meine besten Vampire auf die Suche nach dem schwarzen Engel schicken.“

„Dem steht eigentlich nichts im Wege.“ erwiderte Lieu. „Ich werde in den nächsten Tagen mal bei Dir vorbeischauen, dann können wir alles genau besprechen. Wann möchtest Du denn los?“
„Am liebsten sofort.“ gestand Darkness. „Ich vermisse mein Leben dort oben.“
„Oder vermisst Du eher Deine jungen Spielgefährten?“ grinste Lieu.

„Auch.“ gab Darkness grinsend zu.

„Ich werde morgen alleine mit Leo reden.“ sagte Lieu. „Also von mir aus kannst Du sofort verschwinden.“

„Dann mach ich mich gleich auf den Weg.“ beschloss Darkness. „Ich werde alles für Deinen Besuch vorbereiten. Ich freue mich schon darauf.“

Schnell wie der Blitz verließ Darkness das Zimmer.

„Schläfst Du etwa auch mit ihr?“ wollte Lumina mit leicht eifersüchtigem Unterton wissen.

„Nein, nein.“ wehrte Lieu ab. „Sie ist nicht mein Typ, das bist schon eher Du. Und ich freu mich schon auf den Rest der Nacht, auf Deinen weichen, anschmiegsamen Körper.“

Dann drehte er sich zu Candle, die verlegen da stand, strich ihr mit der Hand kurz über den Rücken und ihre Flügel verschwanden. Lumina hatte in der Zwischenzeit jemand gebeten, Candle in ihr Zimmer zu begleiten.

Als Leo mit Draco alleine war, sah sie ihn mit tränennassen Augen an.

„Was hat sie sich nur dabei gedacht? Denkt, sie kommt hierher, sagt, es tut ihr leid und alles ist in Ordnung? Hat sie etwa erwartet, dass ich ihr um den Hals falle?“

„Immerhin ist sie Deine Mutter.“ versuchte Draco einzulenken. „Sie und Dein Vater werden Dich geliebt haben. Aus diesem Grund handelten sie so.“

„Warum haben sie dann nicht mit mir darüber geredet, als ich alt genug war? Wäre ich Wanja nicht nachgereist, hätte ich nie davon erfahren, säße immer noch zu Hause und wüsste über nichts Bescheid.“ sagte Leo. „Und das allerschlimmste, ich hätte Dich nie kennengelernt.“

Sie schmiegte sich an Draco und hielt ihm ihren Mund einladend entgegen. Draco nahm diese Einladung sehr gerne an und küsste sie, erst behutsam, dann immer leidenschaftlicher. Als sie sich voneinander lösten, verlangte Leo: „Zieh Dich aus.“

„Was?“ fragte Draco erstaunt.

„Na, alles.“ erwiderte Leo, die seine Frage falsch verstanden hatte.

„Und warum sollte ich das tun?“ wollte Draco wissen.

„Weil ich sehen möchte, wie Du nackt aussiehs.t“ meinte Leo gelassen.

„Ach, Kleines, das wirst Du noch früh genug sehen, nur nicht heute.“ entgegnete Draco und küsste sie auf die Nasenspitze.

„Immer alles später.“ maulte Leo. „Was wohl Zerafina und Wanja jetzt machen?“ überlegte sie laut.

„Schlafen. Und das sollten wir jetzt auch machen.“ antwortete Draco.

Als sie im Bett lagen, drehte Leo sich um, so dass sie mit ihrem Oberkörper auf Dracos Brust lag. Sie stütze ihren Kopf auf ihre Hand und sah ihn an.

„Was ist?“ fragte Draco.

„Nichts.“ erwiderte Leo. „Ich seh Dich nur an.“

„Und was siehst Du?“ wollte Draco wissen und lächelte.

„Hm, das schönste Gesicht der Wel.t“ entgegnete Leo. „Vor dem ich allerdings bei unserer ersten Begegnung Angst?, ja ich glaube so nennt man das, hatte. An Dir war alles so dunkel, Deine Haare, Deine Augen, Deine Kleidung, einfach alles. Deshalb hab ich auch die Geschichte erfunden, dass ich Karate könne.“

„Aha, Du hattest also Angst vor mir.“ lachte Draco leise. „Und jetzt?“
„Jetzt hab ich auch Angst, aber nicht vor Dir, sondern davor, dass Du mich wieder verlässt.“ bekannte Leo leise. „Das wäre schlimmer für mich, als der Tod meiner Eltern.“

„Ich werde bei Dir bleiben, solange Du es wills.t“ versprach Draco.

„Für immer, bis in alle Ewigkeit.“ murmelte Leo schon im Halbschlaf.

Am nächsten Morgen, Leo kam gerade aus dem Bad, klopfte es an ihre Tür. Ohne auf eine Aufforderung zu warten, betrat Lieu das Zimmer. Draco und Leo sahen ihn erstaunt an.

„Guten Morgen, ihr Zwei.“ grüßte er freundlich. „Ich hoffe, Ihr habt gut geschlafen, besonders Du, Leo, nachdem was gestern war.“

„Ja, danke, haben wir.“ antwortete Leo. „Was verschafft mir Dein früher Besuch? Noch mehr Neuigkeiten?“

„Nein.“ erwiderte Lieu. Er wandte sich an Draco. „Ich hoffe, Du bist mir nicht allzu böse, aber ich würde gerne alleine mit Leo reden.“

„Geht schon klar.“ nickte Draco. „Ich wollte sowieso gerade frühstücken.“

„Ich gebe Dir Bescheid, wenn wir fertig sind.“ versprach Lieu.

Draco ging zu Leo, die immer noch ziemlich sprachlos mitten im Zimmer stand, gab ihr einen Kuss und sagte: „Bis später, Kleines.“, dann verließ er das Zimmer.

„Und um was geht es diesmal?“ fragte Leo Lieu genervt. „Ist mein Vater vielleicht ein Zauberer oder ein Magier? Vielleicht auch ein Troll oder ein zu klein geratener Riese?“

„Nichts von alle dem.“ entgegnete Lieu lächelnd. „Aber lass uns nach oben gehen. Oder möchtest Du nicht?“

„Mir egal, wo wir reden.“ sagte Leo schulterzuckend.

Lieu trat ganz dicht vor Leo, legte seine Arme um ihre Hüften und sagte mit fast hypnotischer Stimme: „Hab keine Angst, schließe einfach Deine Augen.“

Leo tat, was er ihr sagte.

„So, jetzt kannst Du Deine Augen wieder öffnen.“ lachte Lieu kurze Zeit später.

Als Leo ihre Augen öffnete, sah sie, dass sie sich in den alten Tempelruinen befanden, ganz in der Nähe des Ausgangs.

„Ich weiß, dass in den letzten Tagen viel auf Dich eingestürmt ist.“ begann Lieu. „Erst der Tod Deiner Eltern, auf den ich jetzt gar nicht näher eingehen will, dann Deine Reise hierher und die Erkenntnis, dass Draco und sein Bruder Vampire sind. Die Entführung Wanjas und die Entdeckung der unterirdischen Tempelanlage. Und zum Schluss Deine eigene Entführung, die fast in einer Vergewaltigung geendet hätte, nur damit mein missratener Sohn einen Nachfolger oder Mitstreiter bekommt. So genau weiß man das nicht und es lässt sich auch nicht mehr feststellen, da alle Beteiligten tot sind. Naja, fast alle, nur dieser schwarze Engel noch nicht. Dazu kommt noch die Erkenntnis, dass Du eigentlich ein Mädchen bist. Ich kann mir denken, dass das alles ein bisschen viel für Dich war und Du Dich jetzt eigentlich nur nach Ruhe und Frieden sehnst. Deshalb habe ich beschlossen, Dir Zeit zu lassen, mit Deiner Entscheidung, ob Du das Amt der Hüterin des Lichts annehmen wirst.“

Bei seiner Rede waren er und Leo von dem Tempel weiter in den Busch gegangen, ohne dass Leo darauf geachtet hatte, wohin sie gingen. Erst als Lieu geendet hatte, sah Leo sich um und stellte fest, dass sie sich in der Mission befanden.

„Was wollen wir denn jetzt hier?“ fragte sie erstaunt.

„Ich möchte Dir etwas zeigen.“ antwortete Lieu. „Sieh Dich um, was siehst Du?“

„Ein zerfallendes Gebäude.“ erwiderte Leo.

Sie standen mitten im Innenhof. Hier hatte sich nicht viel verändert seit dem Tag, als Leo es verlassen hatte.

„Sieh genauer hin.“ forderte Lieu und legte eine Hand auf ihre Schulter. „Was siehst Du?“

Vor Leos Augen entstanden Schatten, die sich bewegten, und aus diesen Schatten wurden Menschen. Sie sah eine Frau die Veranda betreten, die einen Bauch so rund wie eine Kugel hatte. Diese Frau hatte lange, schwarze Haare. Aus der Tür des ehemaligen Ärztezimmers trat ein Mann, der rasch auf die Frau zu ging und sie in den Arm nahm. Eine Hand legte er auf ihren Bauch und streichelte ihn.

„Deine Eltern.“ flüsterte Lieu.

Vor Leos Augen veränderte sich das Geschehen. Es wurde Nacht und ein Gewitter zog herauf. Die Frau lief immer noch auf der Veranda auf und ab, sie hatte ihre Hände in den Rücken gestützt. Ab und zu blieb sie stehen und es schien, als würde sie sich vor Schmerzen krümmen. Der Mann kam hinzu und sprach beruhigend auf sie ein. Leo verstand nichts von dem, was gesprochen wurde, aber sie spürte eine Wärme von den Beiden ausgehen, die sie langsam berührte.

Wieder entstand eine andere Szene vor ihrem Auge. Jetzt befand sie sich im Inneren der Mission. Die Frau lag auf einem Bett und schien sehr starke Schmerzen zu haben. Ihr Mann stand am Fußende des Bettes und machte irgendetwas mit seinen Händen zwischen ihren gespreizten Beinen. Plötzlich hielt er ein Kind in den Händen und legte es der Frau in den Arm. Beide sahen es an und Leo spürte wieder diese Wärme.

Wie im Schnelldurchgang war das Kind ein Jahr alt geworden. Jeden Abend trat die Frau mit dem Kind auf dem Arm auf die Veranda und kurze Zeit später verließ der Mann das Ärztezimmer. Sobald das Kind ihn sah, streckte es ihm seine Arme entgegen und er nahm es auf seinen Arm. Er küsste es und drückte es an sich. Die Gesichter der Drei strahlten und Leo wurde es bei diesem Anblick richtig warm.

„Liebe.“ sagte Lieu leise. „Was Du spürst, ist Liebe.“

‚So also fühlt sich die Liebe an’ dachte Leo und sah Lieu an.

„Sieh weiter hin.“ forderte dieser leise.

Leo richtete ihren Blick wieder auf das Gebäude. Nun war dort noch eine Person, die sich um das Kind kümmerte. Es war eine Einheimische. Leo sah ihren Blick, als sie das Kind badete und das Mal auf seinem Rücken entdeckte. Sie sah, wie die Nanny, die sie wohl war, mit der Mutter des Kindes sprach und sie spürte, wie ihr eine Gänsehaut über die Arme lief. Die Mutter sprach eindringlich auf die junge Nanny ein und später kam auch noch der Vater hinzu. Beide redeten lange mit der Nanny, die später mit gesenktem Kopf nickte.

Das Kind war wohl jetzt ungefähr drei Jahre alt, als eine neue Person auftauchte. Leo erkannte in ihr Daleira, die von ihrer Tochter begleitet wurde.

Als Leo etwas sagen wollte, legte Lieu ihr den Finger auf den Mund und bedeutete ihr, weiter hinzuschauen.

Das Gefühl von Wärme wich und es bereitete sich Dunkelheit aus, die alles im diffusen Licht erscheinen ließ. Immer, wenn Daleira versuchte, des Kindes habhaft zu werden, wehte ein kühler Wind zu Leo hinüber, der ihr eine Gänsehaut verschaffte. Die Wesen der Eltern hatte sich verändert, sie, die vorher von einer strahlenden Helligkeit umgeben waren, wurden jetzt von einer Art Nebel eingehüllt. Leo sah, wie Zerafina mit den Eltern sprach und ihr liefen unbemerkt Tränen die Wangen hinab.

Plötzlich war alles wieder verschwunden und Leo sah nur die halbverfallenen Gebäude vor sich. Mit tränenverschleierten Augen sah sie Lieu an.

„Angst und Verzweiflung.“ sagte er. „Das war das Letzte, was Du gespürt hast.“

„So also fühlen sie Liebe, Angst und Verzweiflung an.“ flüsterte Leo.

„Ja.“ nickte Lieu. „Und es waren Deine Eltern, die so empfanden.“

„Soll das heißen, meine Eltern hätten mich mal geliebt? Das hat sich aber schnell gelegt.“ begehrte Leo auf.

„Das hat sich nie geändert.“ widersprach Lieu. „Sie taten es aus Angst und Verzweiflung, Dich zu verlieren. Ich kann Dir nur die Zeit zeigen, die Du hier verbracht hast. Dein Leben in Deutschland liegt außerhalb meiner Fähigkeit.“

Sie kehrten zurück zu den Tempelruinen, Leo war immer noch überwältig von den Gefühlen, die auf sie eingestürmt waren.

Lieu blieb vor dem Altar stehen, auf dem Leo angebunden war. Sein Blick ruhte darauf und Leo spürte, wie Lieus Aura sich schwarz färbte. Seine goldenen Augen färbten sich in ein dunkles Braun.

„Trauer.“ sagte er auf Leos unausgesprochene Frage. „Ich empfinde Trauer.“

„Ich habe sie gelieb.t“ sprach er wie zu sich selbst. „Obwohl es ungewöhnlich ist, dass sich ein Gott in eine Menschenfrau verliebt. Aber als ich sie das erste Mal sah, geschah es. Und ihr erging es ebenso, obwohl sie wusste, dass sie die Auserwählte war, die nur zur Aufgabe hatte, meinen Sohn auf die Welt zu bringen und ihn die ersten Jahre seines Lebens zu versorgen. Und da sie rein menschlich war, bestand auch keine Möglichkeit, sie mit mir in die andere Welt zu nehmen. Und uns Göttern ist es untersagt zu heiraten. Denn das wäre eine Möglichkeit gewesen, sie mit mir zu nehmen. Uns blieb nur dieses eine Mal, als wir unseren Sohn zeugten, denn bei der Empfängnis musste sie Jungfrau sein. Und danach, als sie schwanger war, war sie für mich tabu. Nach der Geburt hätte ich sie so oft besuchen können, wie ich wollte. Aber dazu kam es ja leider nicht, sie starb bei der Geburt. Darüber fiel ich in ein tiefes, schwarzes Loch, so dass ich mich nicht um meinen Sohn kümmerte. Als ich ihn dann zu Lumina bringen wollte, hieß es, auch er wäre gestorben. Ich glaubte es, dabei hatte Daleira ihn zu sich geholt und lebte irgendwo im Verborgenen mit ihm und zog ihn heran. Sie sagte ihm schon früh, dass er der nächste Löwengott werden würde und impfte ihm alles Böse ein. Später, als meine Trauer verflogen war und ich Nachforschungen über seinen angeblichen Tod anstellte, kam dann heraus, was wirklich geschah. Einer der Helfer von Daleira konnte nicht schweigen, er erzählte mir alles, auch von den Plänen, die die Zwei nun hatten. Daraufhin befahl ich meinen Anhängern, diesen Ort hier zu verlassen und sich unter die Erde zurückzuziehen. Ich hoffte, mit der Zerstörung dieser Anlage alle Spuren zu verwischen.“

Wie erwachend sah Lieu sich um. „Und nun ist die Zeit gekommen, diesen Stein hier zu zerstören.“ sagte er. Lieu trat dicht vor den Empfängnisaltar, hob beide Arme, faltete seine Hände und ließ sie auf den Stein fallen, der daraufhin in tausend Stücke zerbrach.

„Das hätte ich schon vor tausend Jahren machen sollen.“ meinte er.

„So.“ sagte er fröhlicher zu Leo. „Jetzt bring ich Dich wieder zu Deinem Liebsten, der sich bestimmt schon große Sorgen um Dich macht. Also, schließe Deine Augen.“

Wieder legte Lieu seine Arme um Leos Körper und kurze Zeit später standen sie wieder in ihrem Zimmer, wo sie bereits von Draco, Lumina und Candle erwartet wurden.

„Was will sie hier?“ fragte Leo barsch, als sie ihre Mutter entdeckte.

„Sie ist immerhin Deine Mutter.“ erwiderte Lieu sanft. „Und Du hast gesehen, was sie für Dich empfand.“

„Ja, in den ersten Jahren, aber das hat sich ja später schnell geleg.t“ sagte Leo hart. „Ha, ha, und Deine Flügel hast Du auch verloren.“ richtete sie sich hämisch an Candle.

„Erinnere Dich, was Du dort oben gefühlt has.t“ bat Lieu. „Ich weiß, dass Du Gefühle spüren kannst. Sieh Deine Mutter an und sag mir, was Du spürst.“

„Nein, ich will nicht.“ erwiderte Leo trotzig und drehte sich mit verschränkten Armen weg.

„Gut, niemand kann Dich zwingen, es zu tun.“ entgegnete Lieu sanft. „Vielleicht wirst Du Dich später mal nicht mehr dem entziehen können, was von ihr ausgeht.“

Leo sagte nichts dazu, aber sie spürte die Wärme, die sie ausgehend von Candle umgab.

„Ich werde gehen, es ist das Beste.“ sagte Candle leise.

„Ich möchte Euch bitten, mich für ein paar Minuten mit Leo allein zu lassen.“ sagte Lieu. „Ich möchte ihr noch etwas geben.“

Draco, Lumina und Candle verließen das Zimmer. Leo sah Lieu fragend an, als sie mit ihm alleine war.

„Du hast heute gelernt, wie sich manche Emotionen anfühlen.“ begann er. „Es war zwar nur ein Bruchteil dessen, was es gibt, aber es war ein Anfang. Und nun werde ich versuchen, noch einiges gutzumachen, was Deine Eltern verbockt haben. Ich kann Dir aber nicht versprechen, dass sich der Erfolg schnell einstellt. Und ich möchte Dir einen Wunsch erfüllen.“

Lieu trat dicht vor Leo und bat sie, ihr Shirt auszuziehen.

Ängstlich sah Leo ihn nach dieser Aufforderung an.

„Keine Angst, ich will nichts Sexuelles von Dir.“ beruhigte er sie. „Daran habe ich keinerlei Interesse.“

Zögernd kam Leo seiner Bitte nach und zog sich das Shirt über den Kopf. Lieu legte seine Hände auf ihre Brust und schloss seine Augen. Leo spürte, wie eine Hitzewelle durch ihren Körper fuhr. Dort, wo Lieus Hände lagen, brannte es besonders arg. Als Leo schon glaubte, sie würde dort verbrennen, nahm Lieu seine Hände fort und sah Leo lächelnd an.

„So, nun sind alle männlichen Hormone aus Deinem Körper, jetzt steht dem Erwachen Deines Körpers nichts mehr im Wege. Und nun sag mir, was Du Dir am meisten wünscht.“

„Ich würde gerne nach Hause.“ gestand Leo leise. „Nur für ein paar Wochen. Ich bin ja gerne hier, aber ich vermisse meine Heimat.“

„Gut, ich verstehe. Aber da dieser schwarze Engel noch nicht gefasst wurde, werde ich Dich nicht allein gehen lassen. Ich werde Dir zu Deinem Schutz am Besten Wanja mitgeben.“ sagte Lieu nachdenklich.

„Wanja?“ fragte Leo entsetzt. „Warum ihn? Das wird Zerafina aber nicht gefallen.“

„Das war auch nur ein Scherz.“ lachte Lieu. „Natürlich schicke ich Draco mit dorthin. Und es werden noch einige Vampire und einige meiner Engel zu Eurem Schutz da sein. Ich denke, ich werde auch Candle mitschicken.“

„Nein, sie nicht.“ widersprach Leo hart. „Oder war das auch wieder nur ein Scherz?“

„Eigentlich nicht.“ erwiderte Lieu. „Aber gut, sie wird hierbleiben. Und Leo, tust Du mir bitte den Gefallen und denkst dort oben darüber nach, ob Du das Amt der Hüterin nicht doch annehmen willst?“

„Ich werde darüber nachdenken, versprochen.“ sagte Leo und sah Lieu fest in die Augen. „Wirst Du hier sein, wenn ich zurückkomme? Denn ich komme zurück, auch das verspreche ich.“

„Ich werde hier sein.“ versprach Lieu. „Solange Du mich brauchst, werde ich für Dich da sein. Und nun wollen wir die Anderen nicht mehr warten lassen. Wer weiß, was sie sonst denken.“

Er öffnete die Tür und sagte, dass sie nun wieder hereinkommen könnten.

„Darf ich auch?“ fragte Candle bescheiden, die mit vor der Tür gewartet hatte.

„Von mir aus.“ zuckte Leo mit den Schultern.

Lieu teilte ihnen mit, dass Leo und Draco sie für einige Zeit verlassen würden.

„Und wann?“ fragte Lumina. „Schon heute?“

„Nein.“ antwortete Lieu. „Es gibt noch einige Vorbereitungen zu treffen, dass wird ein, zwei Tage in Anspruch nehmen.“

„Wo wollt Ihr denn hin?“ wandte sich Lumina an Leo.

„Ich möchte gerne für einige Zeit nach Hause.“ erwiderte Leo und sah Draco bittend an.

„Wo immer Du hingehst, ich werde Dich begleiten.“ versprach er.

„Aber ist es denn nicht zu gefährlich, solange der schwarze Engel noch nicht gefasst wurde?“ fragte Candle schüchtern.

„Doch, schon, aber für diesen Fall habe ich Vorsorge getroffen, ich werde einige Engel und Vampire zu ihrem Schutz abstellen.“ antwortete Lieu. „Ich werde mich sofort darum kümmern. Du, Lumina, solltest vor ihrer Abreise noch mal mit Leo reden, unter vier Augen. Es gibt da bestimmt noch einiges, was sie wissen sollte.“

Lumina verstand, was er damit sagen wollte und stimmte zu.

„Gut, da jetzt alles geklärt ist, lassen wir die Beiden alleine, damit sie ihre Abreise vorbereiten können.“ meinte Lieu.

„So, Du möchtest also nach Hause.“ sagte Draco, als er mit Leo alleine war.

„Ja, ich muss über einiges nachdenken und das möchte ich dort machen. Weit weg von alle dem hier.“ erwiderte Leo.

Draco nahm Leo in den Arm. „Was hat Lieu gesagt oder getan dort oben? Irgendetwas beschäftigt Dich seit Du wieder hier bist, ich spüre es.“ fragte er besorgt.

„Nichts, er hat nichts getan.“ entgegnete Leo. „Er hat mich nur die Vergangenheit sehen lassen.“

„Wessen? Deine?“ wollte Draco wissen.

„Meine ersten Lebensjahre.“ nickte Leo.

„Willst Du mir erzählen, was Du gesehen hast?“ fragte Draco leise.

„Nein, noch nicht. Ich muss mir erst selber darüber klar werden. Vielleicht später, wenn etwas Abstand dazwischen liegt.“ lehnte Leo ab.

Es klopfte, Wanja und Zerafina betraten den Raum.

„Wir haben gehört, Ihr wollt uns verlassen?“ fragte Wanja direkt.

„Neuigkeiten sprechen sich hier ja schnell herum.“ lachte Leo.

„Wir waren gerade bei Mutte.r“ erklärte Wanja. „Da hat sie es uns erzählt. Und Du willst wirklich zurück in Dein Elternhaus?“

„Ja, nur für ein paar Wochen.“ bestätigte Leo. „Es gibt einige Entscheidungen für mich zu treffen und ich denke, dass ich es dort oben am Besten kann.“

„Hast Du Deiner Mutter zwischenzeitlich verziehen?“ wollte Zerafina wissen.

„Nein.“ erwiderte Leo hart. „Und ich weiß nicht, ob ich das jemals kann.“

„Und was habt Ihr so für die Zukunft geplant?“ fragte Draco, um vom Thema abzulenken.

„Wir werden hier bleiben.“ erwiderte Wanja. „Und ab und zu, wenn wir Lust verspüren, werden wir nach oben gehen. Aber erst, wenn dieser schwarze Engel keine Gefahr mehr bedeutet. Vor ihm solltet Ihr euch auch in Acht nehmen.“

„Das ist alles schon geregelt.“ winkte Leo ab. „Können wir das Thema nicht mal vergessen?“

„Wie kommt Ihr denn dorthin?“ wollte Wanja wissen. „Fliegt Ihr?“

„Darüber hab ich mir noch keine Gedanken gemacht.“ entgegnete Leo. „Und Du, Draco? Weißt Du, wie wir zu mir nach Haue kommen?“

„Nein, habe ich auch noch nicht drüber nachgedacht.“ sagte er. „Auf keinen Fall werden wir fliegen.“

„Warum nicht? Sag nur nicht, dass Du Flugangst hast.“ lachte Wanja.

„Doch, genau die habe ich.“ gab Draco zu. „Ich weiß, das hört sich für einen Vampir blöd an, aber dennoch ist es so.“

„Meinst Du, das Auto steht noch da, wo wir ihn verlassen haben?“ fragte Leo.

„Ich denke nicht.“ antwortete Draco. „Und selbst wenn, würde es uns nicht viel nutzen, denn es ist nicht mehr genügend Benzin darin, um bis zur nächsten Tankstelle zu kommen.“

„Also müssen wir laufen.“ grinste Leo.

„Na, dann viel Spaß.“ wünschte Wanja lachend.

„Aber ich denke, dass sich Lieu da schon etwas einfallen lässt.“ warf Zerafina ein.

Es klopfte erneut an die Tür, eine junge Priesterin stand davor.

„Eure Mutter bittet Euch, zu ihr zum Abendessen zu kommen.“ richtete sie aus.

Die Vier folgten ihr und waren erstaunt, dass sie nicht in das Zimmer ihrer Mutter gebracht wurden, sondern in einen großen Saal, wo an einem langen Tisch die Priester und Priesterinnen saßen. Am Kopfende des Tisches saß Lumina und neben ihr hatte Lieu Platz genommen. Jeweils zu ihrer rechten und linken Seite waren zwei Plätze frei. Zu diesen brachte die Priesterin sie.

Ganz am anderen Ende des Tisches sah Leo Candle sitzen, die sich mit traurigen Augen betrachtete. Um ihrem Blick auszuweichen, wandte sich Leo Lumina zu.

Nach dem Essen, welches schweigend verlief, flüsterte Lumina Leo zu: „Komm mit, ich möchte Dir etwas zeigen.“

Unbemerkt von den Anderen, die mittlerweile in Gespräche vertieft waren, verließen Lumina und Leo den Raum.

Lumina führte Leo zu der Kammer der Kristalle. Als sie die Tür hinter sich wieder verschlossen hatte, drehte sie sich zu Leo um.

„So.“ sagte sie lächelnd. „Hier wird uns keiner stören. Keine Angst, ich will Dich nicht überreden, das Amt der Hüterin anzunehmen. Diese Entscheidung musst Du selber treffen und sie muss aus Deinem Herzen kommen. Ich möchte mit Dir über etwas ganz anderes reden. Es ist etwas, was Dich und Draco betrifft.“

Bevor Leo fragen konnte, was Lumina meinte, fuhr diese fort und versuchte so schonend wie möglich, Leo zu erklären, welche Dinge so zwischen Mann und Frau geschahen.

Leo hatte aufmerksam zugehört. „Und wie weiß ich, dass es soweit ist?“ fragte sie Lumina, als diese geendet hatte.

„Das spürst Du dann schon.“ erklärte Lumina. „Es kommt ganz von selbst. Lass es einfach auf Dich zukommen, ganz entspannt.“

„Lumina, darf ich Dich Mutter nennen?“ fragte Leo zaghaft. „Du bist mir in der kurzen Zeit, sie wir uns kennen, mehr Mutter gewesen als meine eigene in all den Jahren.“

„Aber es würde Deine richtige Mutter bestimmt sehr kränken.“ meinte Lumina vorsichtig.

„Also möchtest Du es nicht?“ wollte Leo enttäuscht wissen.

„Doch, es wäre mir eine Ehre, aber ich denke da an die Gefühle Deiner richtigen Mutter.“ erklärte Lumina. „Lass uns einen Kompromiss schließen, nenn mich einfach Mutter Lumina.“

„Danke.“ sagte Leo und umarmte Lumina herzlich.

„So, und nun lass uns zurück zu den Anderen gehen.“ forderte Lumina lächelnd.

Als sie zurückkehrten, bemerkte Leo den fragenden Blick Candles in Richtung Lumina, die fast unmerklich den Kopf schüttelte.

„Wie kommt Ihr eigentlich in Leos Heimat?“ erkundigte sich Lieu gerade bei Draco.

„Wissen wir noch nicht.“ erwiderte Draco. „Das Auto, mit dem wir hierher gekommen sind, werden wir nicht nehmen können. Und das Flugzeug kommt für mich nicht in Frage.“

„War es Dein Auto?“ wollte Lieu wissen.

„Nun ja, eigentlich schon. Ich habe es in Algeciras gekauft, weil es afrikatauglicher war als mein Ferrari, der übrigens noch dort in einer Garage steht.“ antwortete Draco.

„Das heißt, Ihr müsstet nur nach Algeciras, Von da aus kämt Ihr dann mit dem Auto weiter.“ überlegte Lieu.

„So ist es.“ nickte Draco.

„Gu.t“ sagte Lieu und erhob sich.

Als die Priester und Priesterinnen sahen, dass er aufgestanden war, standen auch sie auf und fielen auf die Knie.

Lieu sah es mit erstauntem Blick, er hob die Hände und sagte: „Steht auf, Ihr braucht vor mir nicht auf die Knie zu fallen, ich bin nicht mehr Euer Gott. Das war ich eintausend Jahre lang und es endete mit dem einundzwanzigsten Geburtstag meines Sohnes.“

Als er den Raum verlassen hatte, wandten sich die Priester an Lumina.

„Was sollen wir denn jetzt machen? Wenn er nicht mehr unser Gott ist, wem sollen wir denn dann dienen?“

„Es gibt immerhin noch die Kristalle, die es zu beschützen gibt.“ antwortete Lumina. „Und das kann ich nicht allein, Ihr müsst mir dabei helfen.“

Mit dieser Antwort gaben sie sich zufrieden und verließen einer nach dem anderen den Raum.

Auch Wanja, Zerafina, Leo und Draco kehrten in ihre Räume zurück.

„Ich hoffe, wir sehen uns vor Eurer Abreise noch.“ meinte Wanja.

„Sicher, ich werde mich doch von Dir verabschieden.“ erwiderte Leo. „Ich kann doch meinen besten Freund nicht ohne Abschied verlassen.“








12. Kapitel


Am nächsten Tag ließ Lieu Draco und Leo zu sich kommen.

„Ich habe heute Nacht einiges für Eure Fahrt organisiert.“ erklärte er. „Ich werde Euch bis zur nächsten Stadt bringen, dort werdet Ihr von einem meiner Engel erwartet, der Euch bis Tanger fährt. Er wird bei Euch bleiben, bis Ihr die Fähre betretet. Dort wird Euch wiederum ein anderer meiner Leute erwarten, diesmal in Gestalt eines Vampirs. Bei Eurer Weiterfahrt wird Euch immer jemand anderes folgen. Keine Angst, niemand wird bei Euch mitfahren oder, solltet Ihr unterwegs übernachten, in Eurem Zimmer schlafen“ setzte er grinsend hinzu. „Auch in Leos Haus werdet Ihr kaum die Anwesenheit Eurer, hm, soll ich sagen: Wächter? bemerken.“

„Wir danken Dir dafür.“ sagte Draco. „Aber warum tust Du das für uns?“

„Weil ich nicht zulassen kann, dass der eventuellen Hüterin des Lichts etwas geschieht.“ antwortete Lieu. „Oder dem Sohn meiner Geliebten. Sie würde mir das nie verzeihen.“

„Das stimmt.“ erklang plötzlich die Stimme seiner Mutter, die nur in ein Laken gehüllt, in der Tür zu Lieus Schlafzimmer stand. „Deshalb haben wir uns die halbe Nacht den Kopf darüber zerbrochen, wie wir Euch heil und gesund zu Leo nach Hause bringen können.“

„Aha.“ grinste Draco anzüglich. „Und in der anderen Hälfte habt Ihr Eure Idee gefeiert, wie man sieht.“

„Was Du gleich denks.t“ schüttelte seine Mutter lachend den Kopf.

„Nur das Beste.“ beteuerte Draco lachend. „Nur das Beste.“

Leo hatte bisher nur schweigend zugehört. Als sie Lumina aus Lieus Schlafzimmer kommen sah, dachte sie: ‚Ob die Beiden das machten, was Lumina mir gestern erzählte? Hm, falls ja, scheint es ja nicht so unangenehm zu sein, wie es sich anhörte. Sie sieht jedenfalls sehr strahlend aus.’

„Leo?“ hörte sie Lumina fragen. Wie erwachend sah sie Lumina an.

„Ja?“ fragte sie zurück.

„Wir wollten eigentlich wissen, wann Ihr los wollt, aber Du schienst mit Deinen Gedanken gerade nicht bei der Sache gewesen zu sein.“ sprach Lumina.

„Entschuldigung, ich habe wirklich nicht zugehört.“ gab Leo zu. „Was meinst Du denn, Draco? Wann wollen wir denn los?“

„Ich würde vorschlagen, morgen.“ erwiderte er. „Dann können wir uns heute noch in aller Ruhe von allen verabschieden.“

Im Anschluss an diese Unterhaltung gingen Draco und Leo zu Wanja.

Sie berichteten ihm und Zerafina, was sie mit Lieu besprochen hatten und dass sie morgen diesen Ort hier verlassen würden.

„So schnell schon?“ bedauerte Zerafina.

„Ja, aber um so schneller sind wir wieder da.“ meinte Leo. „Ich glaube nämlich nicht, dass ich für immer da bleiben möchte. Dafür hängen zu viele dunkle Erinnerungen an diesem Haus.“

„Aber auch lustige.“ warf Wanja ein. „Ich erinnere mich noch an ein Gespräch, welches wir am Anfang im Garten führten. Worüber wir uns unterhielten, weiß ich nicht mehr, aber Du machtest irgendwann eine Bemerkung, über die ich lachen musste und fragtest mich mit ernster Miene, ob ich das traurig fände. Woraufhin ich noch mehr lachen musste.“

„Ja.“ lachte Leo. „Und dann hast Du mir den Unterschied zwischen traurig und lustig zu erklären versucht. Darüber verging der ganze Nachmittag und am Ende hatte ich es immer noch nicht verstanden.“

„Oder die Sache mit dem Handy.“ erinnerte Wanja. „Welches ich Dir nach dem Tod Deiner Eltern gab. Du hast es angesehen, als würde es sich jeden Moment in ein Ungeheuer verwandeln.“

„Mann, schließlich hatte ich nie zuvor ein Handy oder Telefon gesehen.“ maulte Leo.

„Aber Dein Gesichtsausdruck war genial, als es das erste Mal klingelte, weil ich Dich anrief, um Dir die Funktion zu zeigen.“ lachte Wanja. „Du hast es vor Schreck einfach fallen lassen. Zum Glück warst Du sehr lernfähig und hast schnell verstanden, wie es geht.“

„Danke, wenigstens eine gute Eigenschaft an mir.“ grinste Leo.

„Gibt es noch mehr Sachen, die Wanja Dir gezeigt hat?“ fragte Draco mit leicht eifersüchtigem Unterton.

„Oh ja.“ strahlte Leo. „Zum Beispiel, wie man einen Fernseher bedient oder einen Computer. All diese Dinge wurden von meinen Eltern ja vor mir unter Verschluss gehalten. Aber das mit dem Computer war nicht so mein Ding und fernsehen wollte ich auch nicht unbedingt. Meine Welt waren eher Bücher.“

„Insbesondere Märchenbücher,“ erinnerte sich Wanja. „Und Fantasyromane.“

„Daher Dein Wissen über Vampire.“ stellte Draco fest.

„Ja, aber dort wurden sie als blutrünstige, jungfrauenblutschlürfende Monster beschrieben, die sich nachts in die Schlafzimmer schleichen. Nur, dass davon nichts zu stimmen scheint.“ meinte Leo.

„Hm, einiges schon.“ grinste Wanja. „Zum Beispiel, dass wir blutrünstig sind, immerhin brauchen wir Blut zum Leben. Das mit den Jungfrauen war vielleicht vor hundert Jahren so, aber finde jetzt mal eine. Aber alles andere, was dort steht, stimmt nicht so ganz.“

„Nachdem Du das alles gelesen hast, hattest Du keine Angst vor Wanja oder Draco?“ fragte Zerafina.

„Ich wusste doch gar nicht, dass sie Vampire waren. Laut diesen Büchern sollen sich Vampire nicht im Sonnenlicht aufhalten können, aber Wanja lief tagsüber durch unseren Garten. Und Draco hat auch nicht gesagt, als er mich mitnahm: ‚Hey, ich heiße Draco und bin ein Vampir’“ erwiderte Leo. „Sie beiden waren für mich ganz normal, bis wir Wanja in diesem Keller fanden und Draco mir die Hand aufschnitt, damit Wanja mein Blut trinken konnte“

„Und das Einzige, was Du dazu gesagt hast, war: Seid Ihr Vampire?“ erinnerte sich Wanja. „Statt schreiend vor Angst wegzulaufen.“

„Woher sollte ich auch wissen, was Angst ist? Ich hatte noch nie welche.“ sagte Leo.

„Aber später, als Du auf diesem Altar lagst und dieses Monster vor Dir stand, da hast Du doch vor Angst geschrien.“ meinte Zerafina.

„Vor Angst, nein. Aber ich war nackt und das war ein absolutes NoGo. Schließlich wurde mir seit Jahren erzählt, dass niemand mehr Haut als Gesicht und Hände sehen durfte. Alles andere war tabu für andere Leute.“ erwiderte Leo empört.

„Dieses Tabu scheint ja nun gebrochen zu sein.“ sagte Zerafina und sah Leo an, die eine lange Jeans und dazu ein Tank-Topp trug.

„Ich muss so was anziehen, weil lange, dicke Pullis gibt es hier nich.t“ lachte Leo.

„Zum Glück.“ murmelte Draco und grinste Leo an.

Wanja und Draco gingen in die Küche um Blut zu trinken. Zerafina und Leo blieben alleine zurück. Leo starrte Zerafinas Brust an und fragte: „Wie lange hat es gedauert, bis sie so waren?“

„Was?“ schrak Zerafina auf, die mit ihren Gedanken anscheinend wo anders war.

„Wie lange es gedauert hat, bis sie so groß waren, wollte ich wissen.“ Leo zeigte auf Zerafinas Busen.

„Ich weiß nicht, ein paar Monate.“ zuckte Zerafina mit den Schultern.

„Monate?“ stöhnte Leo. „So lange?“

„Ich weiß es wirklich nicht mehr. Aber warum willst Du das wissen?“ fragte Zerafina und schaute nun ihrerseits auf Leos Busen. „Deine beginnen ja auch zu wachsen.“

„Ja, schon.“ murmelte Leo.

Ihr Gespräch wurde durch die Rückkehr der beiden Männer unterbrochen.

„Wir sollten langsam gehen.“ meinte Draco. „Es ist schon spät und morgen sollten wir ausgeschlafen sein. Wir haben eine lange Reise vor uns.“

„Wir wünschen Euch alles Gute und bleibt nicht zu lange for.t“ sagte Wanja und Zerafina schloss sich diesen Wünschen an.

Als Leo und Draco in Leos Zimmer waren, stellte sich Leo dicht vor Draco hin, legte ihre Arme um seinen Hals und zog seinen Kopf zu sich hinunter, damit sie ihn küssen konnte. Erstaunt hielt Draco still, denn es war das erste Mal, dass die Initiative von Leo ausging. Leo spürte seine Reglosigkeit und ließ ihn los.

„Hab ich was falsch gemacht?“ fragte sie enttäuscht.

„Nicht im geringsten.“ antwortete Draco leise und nahm sie in den Arm. „Ich war nur etwas erstaunt.“

„Ach so.“ sagte Leo. Sie legte ihre Arme wieder um seinen Hals. „Du bist so furchtbar groß, ich muss mich auf Zehenspitzen stellen, damit ich Dich küssen kann.“ maulte sie lächelnd.

„Geht’s jetzt besser?“ lachte Draco und nahm sie kurzerhand auf die Arme.

„Hm, mal sehen.“ murmelte Leo und legte ihre Lippen auf seine. „Viel besser“ murmelte sie an Dracos Lippen und dann küsste sie ihn heftig.

Bevor der Kuss ihn zu sehr erregte, stellte Draco Leo wieder auf die Füße. Er legte seine Hände um ihr Gesicht und hauchte ihr einen Kuss auf das Haar. Er wollte mit ihr schlafen, liebend gern sogar, aber nicht hier und nicht jetzt. Leo sollte auch bereit dafür sein und Draco spürte, dass sie es noch nicht war. Ihr erstes Mal sollte unvergesslich für sie sein.

„Ich werde duschen gehen.“ meinte Leo leicht enttäuscht und ging ins Bad.

Draco sah ihr nach und seufzte. ‚Oh Mann’ dachte er. ‚Liebe verändert einen ganz schön. Früher war ich nicht so rücksichtsvoll, da hab ich mir genommen, was ich wollte, selbst wenn die Frau nicht dazu bereit war.’

Leo duschte, wickelte sich in ein Handtuch ein, stellte sich vor den Spiegel und sah hinein. „Nichts kann ich.“ sagte sie zu ihrem Spiegelbild. „Ich hasse meine Eltern für das, was sie taten.“ Sie griff nach einem langen T-Shirt und zog es sich über, dann verließ sie das Bad. Wortlos ging sie an Draco vorbei, legte sich ins Bett und zog die Decke hoch bis zum Kinn.

Draco sah sie erstaunt an, dann legte er sich neben sie, stütze seinen Kopf auf seinen Arm und sah Leo an.

„Was ist los? Was hast Du?“ fragte er leise.

„Nichts.“ sagte Leo und drehte ihren Kopf auf die andere Seite. Sie hatte nicht mit Dracos Hartnäckigkeit gerechnet. Er nahm ihr Kinn und drehte ihr Gesicht zu sich.

„Schwindel mich nicht an.“ befahl er sanft. „Ich sehe und spüre, dass Dich etwas bedrückt. Sag mir, was es ist.“

Leo drückte ihr Gesicht an seine Brust. „Ich mach alles falsch.“ schluchzte sie. „Ich kann nicht küssen und ich kann nicht fühlen.“

„Ach, Kleines.“ tröstete Draco sie. „Natürlich kannst Du küssen und fühlen kannst Du auch. Zum Beispiel jetzt, jetzt fühlst Du Dich enttäuscht. Aber das musst Du nicht. Schließlich liebe ich Dich so, wie Du bist.“ Bei diesen Worten streichelte er ihr sanft über das Haar.

„Siehst Du, Du weißt, dass Du mich liebst, aber ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, ob ich Dich liebe. Ich weiß nur, wenn Du nicht bei mir bist, ist es so, als wäre es kalt um mich herum. Nur in Deiner Nähe ist es warm.“ sagte Leo immer noch unter Tränen.

„Dann werde ich dafür sorgen, dass Dir immer warm ist, ich werde immer bei Dir sein.“ versprach Draco und besiegelte sein Versprechen mit einem Kuss.

Anfangs zögerte Leo, sich dem Kuss hinzugeben, aber dann gab sie nach und erwiderte ihn mit ungewohnter Leidenschaft.

Später, als Leo schlafend in seinen Armen lag, sah Draco sie an. In der Zeit, die sie nun hier unten waren, hatte Leo sich verändert, ihr Gesicht war weicher, weiblicher geworden. Auch ihr Körper hatte sich verändert, er hatte mehr weibliche Konturen angenommen. Ihre Aversion gegen zu viel nackte Haut schien sich auch zu legen, sie trug jetzt nur ein langes Shirt zum Schlafen, was vor wenigen Tagen noch unmöglich gewesen wäre.

Vorsichtig zog Draco seinen Arm unter Leos Kopf hervor, dann stand er leise auf und verließ das Zimmer. Er wollte noch mal rüber zu dem Haus und Blut trinken. Er musste genug für die nächsten Tage trinken, denn es würde sich kaum die Gelegenheit bieten, unterwegs frisches zu bekommen.

Im Haus war alles still, Wanja und Zerafina schienen zu schlafen. Leise ging Draco in die Küche, nahm sich ein Glas, öffnete den Kühlschrank und goss es voll. Er trank den ganzen Krug aus, dann ging er in sein Schlafzimmer, nahm sich frische Sachen aus dem Schrank und ging duschen. Nur mit einer Jogginghose bekleidet, kehrte er in Leos Zimmer zurück.

Kaum hatte er sich neben Leo gelegt, rutschte diese auch schon ganz nah an ihn heran, legte einen Arm über ihn und ihren Kopf auf seine Brust.

„Du warst weg.“ murmelte sie. „Wo warst Du?“

Mit kurzem Blick stellte Draco fest, dass Leo schlief, also antwortete er nicht, um sie nicht aufzuwecken.

Es war noch nicht hell, als es am Morgen an die Tür klopfte und Lieu das Zimmer betrat.

„Tut mir leid, Euch so früh zu stören.“ entschuldigte er sich. „Aber es wird Zeit, Euch bereit zu machen. Ich würde Euch lieber in der Dunkelheit dorthin bringen, damit wir unentdeckt bleiben.“

„Ist okay, wir werden uns beeilen.“ versprach Draco und sprang aus dem Bett.

Auch Leo war sofort hellwach und verschwand schon im Bad.

Als sie nach kurzer Zeit fertig angezogen wieder herauskam, stand Lumina auch im Zimmer.

„Ich wollte mich von Euch verabschieden und Euch eine gute Reise wünschen.“ sagte sie und nahm erst Draco, dann Leo in den Arm.

„Ich soll Dir auch von Deiner Mutter alles Gute wünschen.“ flüsterte sie Leo zu.

„Darauf kann ich verzichten.“ zischte diese. „Sie sollte sich lieber Gedanken darüber machen, wie sie etwas von dem, was sie getan hat, wieder gutmachen kann.“

„Das macht sie, glaub mir.“ erwiderte Lumina.

„Schön, dann wird ihr ja nicht langweilig.“ meinte Leo lapidar.

Lieu unterbrach das Gespräch und forderte Leo und Draco auf, sich eng aneinander zu stellen. Er legte seine Arme um die Beiden und sagte, sie sollten die Augen schließen.

Nach wenigen Minuten sagte er: „So, jetzt könnt Ihr Eure Augen wieder öffnen, wir sind da.“

Draco und Leo sahen sich um, sie standen an einer gut ausgebauten Straße, wo bereits eine Limousine auf sie wartete. Daneben stand ein großer Mann, der wohl ihr Fahrer war.

„Das ist Asmodeus, er wird Euch nach Tanger zur Fähre bringen.“ sagte Lieu. Er verabschiedete sich von den Beiden und sah dem Auto noch eine Weile hinterher. Als sie außer Sichtweite waren, kehrte Lieu zum unterirdischen Tempel zurück.

Dort sagte er zu Lumina: „Ich hoffe, dort oben verschwindet der Zorn von Leo auf ihre Eltern, sonst sehe ich schwarz für ihre Ausbildung. Sie wird niemals akzeptieren, dass Candle ihre Lehrerin ist.“

„Ich hoffe, wir haben da keinen Fehler gemacht, als wir das beschlossen haben.“ überlegte Lumina.

„Wir müssen abwarten, wie es sich entwickelt.“ erwiderte Lieu. Er nahm Lumina in seine Arme und schaute über ihren Kopf hinweg ins Leere.


Draco und Leo hatten es sich auf der Rückbank des Autos bequem gemacht. Asmodeus drehte sich zu ihnen um und sagte: „Erfrischungen sind dort in dem kleinen Kühlschrank, auch für Sie, Sir.“

„Danke.“ erwiderte Draco.

„Ich dachte mir, wir fahren bis Tanger durch, halten nur, wenn es unbedingt nötig ist, zum Beispiel zum Tanken oder wenn die Lady ein Bedürfnis verspürt.“ sprach Asmodeus weiter.

„Ist in Ordnung.“ antwortete Draco. „Aber es sind einige Tage und Nächte, die wir unterwegs sein werden. Brauchen Sie denn keinen Schlaf?“

„Nein, ich muss weder schlafen noch essen noch auf die Toilette.“ entgegnete Asmodeus. „Ich bin ein Engel der höchsten Stufe, das heißt, ich kann wochenlang, monatelang, wenn es sein muss, ohne das alles auskommen.“

„Oh, da wurde uns also von Lieu die Elite geschickt.“ sagte Draco. „Er muss ja eine Menge zu sagen haben, dass er das kann.“

Ohne darauf einzugehen, sagte Asmodeus: „Ich schließe jetzt die Trennscheibe, wenn Sie einen Wunsch haben, dort vor Ihnen ist die Gegensprechanlage, teile sie mir Ihre Wünsche einfach mit.“

„In Ordnung, machen wir.“ gab Draco zurück.

Mit einem leisen Summen fuhr die dunkle Scheibe nach oben, nun waren Leo und Draco unter sich.

„Alles okay bei Dir?“ fragte Draco zärtlich.

„Hm, ja.“ antwortete Leo schläfrig. „Nur noch ein wenig müde.“

„Dann schlaf noch etwas.“ sagte Draco, rutschte ganz nach außen, damit Leo ihren Kopf auf seinen Schoss legen konnte und ihre Beine auf den Sitz.

„Bequem so?“ erkundigte er sich.

„Hm.“ machte Leo, schon im Halbschlaf.

Draco sah aus dem getönten Fenster. Draußen war es noch dunkel, die Morgendämmerung zog gerade herauf. Asmodeus fuhr ziemlich schnell, aber sehr sicher.

Nach drei Tagen erreichten sie Tanger. Asmodeus fuhr sie direkt zum Hafen. Er stieg aus dem Auto und öffnete die hintere Tür.

„Auf der nächsten Fähre nach Algeciras ist ein Platz für Sie gebucht.“ informierte er Draco und Leo. „Ich werde hier warten, bis Sie von Ihrer nächsten Begleitung abgeholt werden und sicher an Bord sind.“

„Unsere nächste Begleitung?“ fragte Draco. „Wieso das?“

„Weil es so gewünscht wurde.“ erwiderte Asmodeus steif. „Uns wurde der Auftrag erteilt, Sie nicht aus den Augen zu lassen, bis Sie sicher angekommen sind.“

„Soll das heißen, wir werden in Algeciras auch wieder von einer Limousine mit Fahrer erwartet?“ wollte Draco wissen.

„Nein, von dort können Sie Ihr eigenes Auto nehmen, es wird nur jemand hinter Ihnen herfahren.“ gab Asmodeus Auskunft.

„Oh, Mann, der Typ muss ja gefährlich sein, dass Lieu so einen Aufwand betreibt.“ stöhnte Draco.

„Das Problem ist, wir wissen nicht, ob er noch mehr Anhänger um sich gescharrt hat, oder ob er alleine is.t“ erwiderte Asmodeus. „Und wir wissen weder seinen Aufenthaltsort noch kennen wir genau seine Absichten. Alle verfügbaren Kräfte befinden sich auf der Suche nach ihm.“

„Also wären wir dort im unterirdischen Tempel sicherer gewesen.“ stellte Draco fest und sah Leo an.

„Ja, dass schon.“ entgegnete Asmodeus. „Aber niemand macht Ihnen einen Vorwurf, dass Leo, wenn ich Sie so nennen darf, nach Hause möchte. Jeder von uns kennt das Gefühl von Heimweh. Und Lieu würde ihr jeden Wunsch erfüllen, selbst, wenn es sein Leben kosten würde.“

„Und alles nur, weil sein Sohn mir das antun wollte?“ fragte Leo erstaunt.

Darauf gab Asmodeus keine Antwort, er zuckte lediglich mit den Schultern.

„Ah, da kommt meine Ablösung.“ wechselte er das Thema und zeigte auf einen großen, jungen Mann, der auf sie zukam.

„Das ist Belziel, seines Zeichens ein Vampir, einer der ältesten Vampire überhaupt. Bei ihm werden Sie sicher sein, er hat die beste Nase und die besten Augen der Welt.“ erklärte Asmodeus.

„Heuchler.“ sagte Belziel lachend, der jedes Wort verstanden hatte.

„So, das ist also der Schatz, auf den es zu achten gilt.“ Belziel sah Leo an.

„Dann wollen wir mal dafür sorgen, dass sie heil und gesund dort ankommt, wo sie hin möchte.“

„Gibt es etwas Neues vom schwarzen Engel?“ wollte Asmodeus wissen.

„Nein, bisher nicht.“ erwiderte Belziel. „Keine Spur von ihm. Es scheint, als jagten wir ein Phantom.“

„So, jetzt aber ab zur Fähre, sie wartet nicht.“ befahl er fröhlich. Er wandte sich noch mal an Asmodeus: „Wir sollten uns mal wieder treffen, sobald alles vorbei ist. Unser letzter Herrenabend ist schon einige Zeit vorbei.“ Er lachte zu seinen Worten.

„Machen wir.“ versprach Asmodeus und verabschiedete sich von allen.

„Auf geht’s, kommt Leute.“ lachte Belziel.

Er schien lockerer zu sein als Asmodeus, dachte Leo. Und sein Aussehen passte auch dazu, er hatte wirres, halblanges, blondes Haar und seine Augen waren himmelblau. Er trug eine hellblaue Jeans, ein weißes T-Shirt und weiße Turnschuhe. Natürlich waren es alles Markensachen, nichts billiges.

Als sie die Fähre erreichten und sich eincheckten, übernahm Belziel das.

Er zeigte dem Kontrolleur die Fahrscheine und sagte, als dieser die Ausweise sehen wollte, mit einem tiefen Blick in dessen Augen: „Das geht in Ordnung, sie gehören zu mir. Ihre Ausweise sind okay.“

Daraufhin konnten sie ohne Probleme die Fähre betreten.

„Was hat er gemacht?“ flüsterte Leo Draco zu.

„Er hat ihn beeinflusst.“ erwiderte Draco. „Es soll wohl niemand unsere Spur verfolgen können.“

„Kommt, Leute, ich gebe einen Kaffee aus.“ rief Belziel fröhlich.

Später, als sie mit ihrem Kaffee oben an Deck an einem Tisch saßen, sah Leo ihn an und fragte: „Wie lange bist Du schon ein Vampir?“

„Zehnmal länger als er.“ erwiderte Belziel und zeigte auf Draco.

„Schon so lange?“ staunte Leo. „Und wie wurdest Du dazu?“

„Durch Geburt.“ antwortete Belziel. „Genau wie die Menschheit sich entwickelt, entwickelten auch wir Vampire uns. Frag mich nicht, aus welcher Laune der Natur heraus. Naja, jedenfalls gibt es seit jeher Urvampire, die in der Lage sind, sich zu vermehren. Das heißt, eigentlich können sich alle Vampire vermehren, nicht nur durch die Verwandlung, aber das wissen die wenigsten. Meine Eltern waren jedenfalls beide Vampire.“

„Das heißt, Deine Eltern leben auch noch?“ wollte Leo wissen.

„Ähm, nein.“ erwiderte Belziel. „Es gab vor etlichen Jahrhunderten mal so eine Zeit, da wurde Jagd auf uns gemacht, dabei sind sie umgekommen. Das war, bevor Lieu die Herrschaft übernahm. Unter ihm wurde die Jagd eingestellt und er sorgte dafür, dass Menschen und Vampire miteinander leben konnten. Er untersagte uns, Menschen für ihr Blut zu töten. Wir durften nur noch soviel nehmen, wie wir zum Überleben brauchten. Jeder, der sich dem widersetzte, wurde hart bestraft, manchmal sogar mit dem Tod.“

„Scheint ja ein toller Gott gewesen zu sein.“ meinte Leo.

„Oh ja, das war er.“ stimmte Belziel zu.

„Betreibt er deshalb diesen Aufwand hier?“ fragte Leo.

„Ihr wisst den wahren Grund dafür nicht?“ war Belziel erstaunt. „Na, dann werde ich ihn Euch auch nicht verraten, dass muss Lieu schon selber machen.“

Sie näherten sich Algeciras. Als sie die Fähre verließen und durch die Passkontrolle mussten, beeinflusste Belziel wieder die Beamten und sie kamen ohne Probleme an Land. Dort stand auf dem Parkplatz schon Dracos Ferrari, an dem eine junge Frau lehnte. Sie trug ein schwarzes Minikleid, welches hervorragend zu ihrem tizianroten Haar passte.

„Darf ich vorstellen, Marie, meine Gefährtin seit Ewigkeiten und Eure nächste Leibwache, zusammen mit mir.“ sagte Belziel.

Nachdem sie sich begrüßt hatten, wandte Belziel sich an Marie: „Wie oft habe ich Dir schon gesagt, Du sollst Dich nicht so aufreizend anziehen? Wir müssen einen Auftrag erledigen. So, wie Du wieder aussiehst, kann ich mich wohl nur schwer darauf konzentrieren.“

„Freut mich auch, Dich zu sehen.“ erwiderte Marie lachend und gab Belziel einen flüchtigen Kuss.

„So, hier, Deine Schlüssel.“ wandte sie sich dann an Draco. „Unser Auto steht dort hinten.“ sie zeigte auf einen roten Maserati. „Wer von uns fährt?“

„Ich.“ bestimmte Belziel lachend und nahm ihr die Schlüssel aus der Hand.

„Boah, endlich allein.“ sagte Draco, als sie in seinem Ferrari saßen. Er nahm Leos Kopf in seine Hände und gab ihr einen langen Kuss. Dann startete er das Auto und fuhr los, ohne darauf zu achten, ob Belziel und Marie folgten.

Dieses Mal nahmen sie die Küstenstraße. Es war immer noch Urlaubszeit und die Straßen waren dementsprechend voll.

„Und wie wäre es diesmal mit einem Bad im Meer?“ fragte Draco, der die Blicke bemerkt hatte, die Leo immer mal wieder aus dem Fenster warf.

„Solange Du nicht wieder vorschlägst, wir sollen nackt baden.“ grinste Leo.

„Dafür ist hier überall zuviel lo.s“ erwiderte Draco.

„Das wäre schon toll, aber ich habe immer noch keinen Badeanzug.“ bedauerte Leo.

„Dann werden wir halt einen kaufen.“ meinte Draco schulterzuckend.

Er hielt in dem nächsten Ort, der nicht so von Touristen überlaufen war.

„Mein Geld.“ fiel es Leo heiß ein. „Es liegt noch immer in der Mission, genau wie meine anderen Sachen.“

Draco überlegte, was er antworten sollte. Wenn er Leo vorschlug, für sie zu zahlen, würde sie es wieder nicht ohne weiteres annehmen. Er entschloss sich zu einer kleinen Schwindelei.

„Ich habe es geholt.“ sagte er Draco und hoffte, Leo würde nicht merken, dass es nicht stimmte.

Bevor Leo etwas darauf sagen konnte, klopfte es an die Scheibe. Als Draco sie öffnete, steckte Belziel seinen Kopf hindurch und fragte: „Was ist los? Etwas passiert? Oder warum fahrt Ihr nicht weiter?“

„Alles in Ordnung.“ beruhigte Draco ihn. „Wir würden nur gerne eine Runde im Meer schwimmen, Leo hat so etwas noch nie gemacht.“

„Ach so, alles klar.“ erwiderte Belziel, der anscheinend Leos Geschichte kannte. „Dann mal los, Marie und ich werden uns Euch anschließen.“

„Wir müssen nur noch kurz was einkaufen.“ teilte Draco ihm mit. „Wir treffen uns dann am Strand.“

Leo und Draco fanden schnell einen Laden, in dem es Badekleidung gab. Leo griff nach dem ersten Teil, welches ihr in die Finger kam. Sie verschwand in einer der Umkleidekabinen und kam kurze Zeit später wieder heraus, um Draco zu zeigen, was sie ausgesucht hatte. Es war ein schwarzer Badeanzug, der ziemlich viel von ihrem Körper frei ließ.

„Geht das? Oder bin ich zu nackt?“ fragte sie scheu. Draco, der ziemlich überrascht war, dass Leo sich so ein Teil ausgesucht hatte, erwiderte mit belegter Stimme: „Nein, der ist hervorragend. Er steht Dir ziemlich gut, Du siehst super aus.“

„Wirklich?“ sagte Leo zweifelnd und sah in einen Spiegel. Eigentlich bestand der Anzug nur aus einer Hose, von wo aus vorne eine Stoffbahn über Bauch und Brust zum Nacken ging und von dort aus auf der anderen Seite wieder hinunter.

„Ja, wirklich.“ bestätigte Draco und schlug vor, sie solle ihn gleich anbehalten.

Nachdem sie noch zwei Handtücher gekauft hatten, gingen sie Hand in Hand zum Strand hinunter.

Belziel und Marie waren schon im Wasser und tollten dort herum. Belziel trug eine Badeshort und Marie einen sehr knappen schwarzen Bikini, dessen Oberteil gerade ihre Brust verdeckte. Neidvoll sah Leo zu ihr hinüber.

Als Marie und Belziel bemerkten, dass Draco und Leo auch da waren, kamen sie aus dem Wasser und liefen zu ihnen.

Lachend ließen sie sich in den warmen Sand fallen. „Los, ihr Zwei, stürzen wir uns gemeinsam in die Fluten.“ forderte Marie sie auf.

„Besser nicht stürzen.“ erwiderte Leo und senkte beschämt ihren Kopf. „Ich kann doch gar nicht schwimmen.“

„Oh.“ machte Marie. „Nicht schlimm, es ist hier ziemlich flach. Und außerdem sind wir alle bei Dir, Du wirst schon nicht ertrinken.“

Draco nahm Leos Hand und gemeinsam gingen sie ins Wasser, welches herrlich warm war. Belziel und Marie blieben zurück und Belziel sprach auf Marie ein. Anscheinend wusste sie nichts von Leos Vergangenheit und er klärte sie gerade darüber auf, vermutete Draco, der die Beiden aus den Augenwinkeln beobachtete.

Kurze Zeit später kamen Belziel und Marie Hand in Hand ins Wasser gelaufen und stürzten sich kopfüber in die Fluten. Sie schwammen weit hinaus. Leo sah ihnen hinterher. „Das möchte ich auch mal können.“ seufzte sie.

„Keine Sorge, Schatz, ich werde es Dir beibringen.“ versprach Draco.

Marie und Belziel kehrten zurück. Sie stellten sich zu Draco und Leo.

„Wenn Du schwimmen möchtest, geh ruhig, ich bleibe solange bei Leo.“ bot Marie an.

Leo spürte, dass Draco gerne etwas schwimmen würde und sagte: „Geh ruhig, es macht mir nichts aus.“

Sie sah den beiden Männern hinterher, wie sie mit kraftvollen Stößen den Abstand zu ihr vergrößerten.

„Ähm, tut mir leid wegen vorhin.“ begann Marie. „Ich wusste nicht, dass Du nicht schwimmen kannst. Und ich wusste auch sonst nichts von Dir. Belziel hat es mir gerade in Kurzform erzählt.“

„Ist schon in Ordnung.“ erwiderte Leo. Sie kehrte an den Strand zurück und setzte sich auf das Handtuch. Marie folgte ihr und setzte sich neben sie. Sie blickte auf das Meer hinaus.

„Wenn Du auch gehen möchtest, geh ruhig.“ sagte Leo. „Ich komme schon alleine klar.“

„Ne, lass mal, für heute habe ich genug vom Wasse.r“ winkte Marie ab.

Leo sah aus den Augenwinkeln zu Marie hinüber, die ihren Blick trotzdem bemerkte. Sie lächelte Leo an. „Darf ich Dich was fragen?“

„Ja.“ antwortete Leo.

„Warum fahrt Ihr zu Dir nach Hause? Ihr wärt doch bei Lumina sicherer gewesen.“

„Das sagt jeder.“ antwortete Leo. „Aber ich wollte plötzlich dorthin, keine Ahnung, warum.“

„Hattest Du Heimweh?“ wollte Marie wissen.

„Kann schon sein.“ erwiderte Leo. „Ich kann das, was mir so plötzlich in den Sinn kommt, nicht so genau zuordnen, das heißt, ich weiß nicht, wie welches Gefühl heißt. Hört sich zwar blöd an, ist aber so.“

Marie wusste darauf nicht zu antworten.

„Darf ich Dich auch was fragen?“ nahm Leo das Gespräch wieder auf.

„Ja, klar, was immer Du willst.“ erwiderte Marie.

„Wie hast Du eigentlich gemerkt, dass Du in Belziel verliebt bist?“ wollte Leo verlegen wissen.

„Tja, wie merkt man so was?“ entgegnete Marie gedehnt. „Das ist schwer zu beschreiben.“

„Ach so, okay.“ nickte Leo. „Wie lange seid ihr denn schon ein Paar?“

„Oh, das ist schon sehr lang, so etwa seit tausend Jahren. Als ich ihn das erste Mal sah, dachte ich: ‚Wow, was für ein Mann.’ Ihm schien es nicht anders zu gehen, denn er sprach mich direkt an. Es war in der Zeit, als Lieu gerade die Herrschaft übernommen hatte und uns verboten war, Menschen zu töten. Wir Ur-Vampire waren dazu auserkoren, darauf zu achten, dass sich jeder daran hielt. Belziel und ich lebten damals in der gleichen Stadt und begegneten uns auf einer der Kontrollgänge. Von da an blieben wir zusammen und machten Jagd auf die Vampire, die sich nicht daran hielten. Und seit dem sind wir ein Paar und ich habe noch keine Minute davon bereut.“

„Dann bist Du auch ein geborener Vampir? Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Ur-Vampir und jemanden, der verwandelt wurde?“ fragte Leo interessiert.

„Der Unterschied? Hm, so gesehen gibt es keinen. Wir alle brauchen Blut zum Überleben, nur wir Ur-Vampire kamen schon so auf die Welt. Als Baby wurden wir statt mit Muttermilch mit Blut ernährt. Und die verwandelten Vampire müssen Vampirblut getrunken haben und solange es sich in ihrem Kreislauf befindet, sterben, damit sie als Vampir wieder aufwachen. Wir alle, auch die verwandelten, sind in der Lage, Kinder zu zeugen und Kinder zu bekommen. Nur im Gegensatz zu Normalsterblichen können wir das kontrollieren, auch ohne chemische Hilfsmittel.“ antwortete Marie.

„Aber wieso altert Ihr nicht?“

„Oh, doch, das tun wir.“ entgegnete Marie. „Nur nicht in dem Maße, wie die Menschen. Unser Alterungsprozeß ist sehr verlangsamt, frag mich aber nicht, warum, das weiß ich auch nicht. Ich zum Beispiel kenne Vampire, die schon zehntausend Jahre leben und aussehen, als wären sie gerade mal siebzig Jahre alt.“

„Ist das bei allen so, oder nur bei Euch Ur-Vampiren?“ fragte Leo weiter.

„Das ist bei allen so.“ erwiderte Marie.

Ihr Gespräch wurde durch die Rückkehr der beiden Männer unterbrochen, die sich lachend neben sie in den Sand fallen ließen.

„So, Leute.“ sagte Belziel. „Lasst uns mal unsere Zelte hier abbrechen, ich würde heute gerne noch bis Toulouse fahren. Wir könnten Madame LeNoire noch einen Besuch abstatten und dann morgen bis in Leos Heimat durchfahren.“

„Du willst ernsthaft Leo mit zu Madame nehmen?“ fragte Marie entrüstet.

„Äh, ach so, nein, sie und Draco können in der Stadt übernachten.“ erwiderte Belziel verlegen. „Es sei denn, er möchte auch…“

„Nein, lass mal, ich nicht.“ winkte Draco ab.

„Aber warum nicht? Ich würde Darkness auch gern wiedersehen.“ wandte Leo ein.

„Ähm, ja, aber nicht heute.“ lehnte Draco ab. „Nicht so….so unangemeldet.“

„Versteh ich nicht.“ hakte Leo nach. „Ich würde gerne sehen, wie und wo sie lebt.“

„Glaub mir, das willst Du bestimmt nicht sehen.“ warf Marie ein. „Um ehrlich zu sein, sie betreibt so eine Art Bordell, wo Männer und Frauen miteinander Sex haben und das nicht nur in verschlossenen Zimmern.“

„Oh, okay, ich verstehe.“ nickte Leo. Sie dachte einen Moment nach. „Aber vielleicht kann ich da noch was lernen.“

„Später vielleicht, aber nicht jetzt.“ sagte Draco bestimmt. „Und jetzt Ende der Diskussion, wir werden nicht dort hin fahren.“

‚Offiziell?’ fragte Belziel per Gedanken.

‚Wir fahren gar nicht dorthin’ erwiderte Draco bestimmt. ‚Ihr könnt ja dort einen Zwischenstopp machen, aber ich werde weiterfahren.’

‚Hört auf zu diskutieren’ mischte Marie sich ein. ‚Wir werden auf dem Rückweg dort hin fahren.’

Leo, die von alledem nichts mitbekam, saß neben Draco und sah zu zwei Mädchen, die die ganze Zeit zu ihnen hinüber sahen. Besonders Draco und Belziel schienen ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Immer wieder sahen die Beiden hinüber und lachten überlaut, in der Hoffnung, die beiden Männer würden zu ihnen hinüber sehen. In Leo keimte der Wunsch auf, zu den Mädchen zu gehen und ihnen die Augen auszukratzen. Demonstrativ legte Leo ihren Kopf auf Dracos Oberschenkel, was ihr einen spöttischen Blick der Mädchen einbrachte.

‚Ich glaube, wir sollten aufbrechen’ sandte Marie den beiden Männern. ‚Sonst geschieht hier noch ein Mord.’
‚Was? Wieso?’ fragten Beide erstaunt.

‚Weil es nicht mehr lange dauert und Leo den Beiden da hinten die Augen auskratzt’ sandte Marie lachend.

Belziel und Draco folgten dem Blick Maries und sahen, was sie meinte.

‚Nun lernt sie das Gefühl der Eifersucht’ stellte Belziel grinsend fest.

Sie packten ihre Sachen, zogen sich an und gingen zu ihren Autos.

Leo saß schweigend neben Draco und sah aus dem Fenster.

„Wärst Du gerne noch geblieben?“ fragte Draco, der dachte, Leo fiele der Abschied von dem Meer schwer.

„Nein, obwohl ich es sehr schön dort fand.“ erwiderte Leo.

„Wir werden dort mal Urlaub machen, wenn alles vorbei ist.“ versprach Draco.

„Ja, damit Du Dir Frauen ansehen kannst, die mehr hier oben haben als ich.“ brummte Leo.

„Was?“ wollte Draco erstaunt wissen. „Welche Frauen denn? Ich habe nirgendwo anders hingesehen. Es ist mir egal, wie andere Frauen aussehen, ich liebe Dich so wie Du bist.“

„Wir werden sehen.“ murmelte Leo.

Draco war versucht, in ihre Gedanken zu dringen, aber er hatte versprochen, es nicht mehr zu tun, deshalb ließ er es.

Leo spürte die Wärme, die bei seinen Worten von Draco ausging und hüllte sich darin ein. Sie setzte sich schräg zu ihm und legte ihren Kopf an die Kopfstütze. Schweigend sah sie ihn an. Draco warf ihr einen lächelnden Blick zu, dann konzentrierte er sich wieder ganz der Straße. Marie und Belziel fuhren jetzt vor ihnen, da Belziel sich besser darauf verstand, Menschen zu beeinflussen. Da weder Draco noch Leo einen Ausweis dabei hatten, war es an den Grenzen ganz praktisch, ihn dabei zu haben, besonders, da sich in den Kofferräumen der beiden Autos je eine Kühlbox mit Blutkonserven befanden.

Nach zwei Nächten und einem Tag erreichten sie Deutschland.

„Heute Abend sind wir zu Hause.“ sagte Draco, als sie kurz hinter der Grenze einen Stopp einlegten. „Werdet Ihr bei uns bleiben oder müsst Ihr gleich wieder los?“ wandte er sich an Belziel und Marie.

„Unser Auftrag lautet, Euch nur nach Hause zu bringen.“ erwiderte Belziel.

„Und dann werden wir uns wieder unserer eigentlichen Aufgabe widmen. Aber erst werden wir Madame LeNoire einen Besuch abstatten. Mir steht der Sinn nach warmen, frischen Blut. Diese Konserven gehen ja mal einige Zeit, aber dann muss mal wieder was Frisches her.“

„Hör auf, davon zu reden.“ warf Marie ein. „Sonst müssen wir unsere Pause verlängern, denn ich freue mich am meisten auf das, was danach kommt.“

Sie warf Belziel einen Blick zu, der ein ganz anderes Verlangen ausdrückte.

„Du denkst auch nur an Sex.“ schüttelte Belziel lachend den Kopf.

„Du etwa nicht?“ fragte Marie provozierend.

Leo kam von der Toilette zurück, die sie zwischenzeitlich aufgesucht hatte und die Drei wechselten das Thema.

„Wisst Ihr, worauf ich mich am meisten freue, wenn wir heute Abend zu Hause sind?“ fragte sie. „Auf ein schönes langes warmes Bad.“

„Na, dann lasst uns weiterfahren, damit Du nicht so lange warten musst.“ lachte Belziel.

‚Und Ihr auch nicht’ sandte Draco den Beiden lachend.

‚Vermisst Du das nicht?’ wollte Marie wissen.

‚Was?’ fragte Draco.

‚Das Blut und den Sex’ erwiderte Marie.

‚Ein bisschen schon’ gab Draco zu. ‚Aber ich liebe Leo und ich werde warten, bis sie bereit dazu ist.’

‚Willensstark wie eh und je’ kam es bewundernd von Belziel.

‚Ich habe mir noch nie genommen, was mir nicht freiwillig gegeben wurde’ stellte Draco klar.

‚Das wissen wir’ entgegnete Belziel.

Sie fuhren weiter und am Abend erreichten sie das Zuhause von Leo. Als das Schloss in Sichtweite kam, setzte Leo sich aufrecht hin und starrte aus dem Fenster.

„Keine Angst, ich bin bei Di.r“ sagte Draco beruhigend und nahm ihre Hand.

Langsam fuhren sie die Auffahrt hinauf und als sie vor der Eingangstür hielten, wurde diese von innen geöffnet.


13. Kapitel


„Willkommen zu Hause.“ begrüßte der Mann sie, der ihnen die Tür geöffnet hatte.

„Danke.“ murmelte Leo beklommen und griff nach Dracos Hand.

„Jean-Baptiste, was machst Du denn hier?“ fragte dieser erfreut und erstaunt.

„Ihr kennt Euch?“ wollte Leo wissen.

„Ja, schon sehr lange.“ erwiderte Draco. „Jean-Baptiste ist der Mann, der uns nach unserer Verwandlung in Venedig fand und uns zu Madame brachte, wo wir dann alles lernten, was ein Vampir wissen muss.“

Belziel und Marie waren inzwischen auch näher getreten und wurden von Jean-Baptiste begrüßt.

„Werdet Ihr über Nacht bleiben?“ fragte er sie.

Bevor sie eine Antwort geben konnten, klingelte Belziels Handy.

„Entschuldig.t“ sagte er, bevor er abnahm. Nachdem er sich gemeldet hatte, lauschte er dem Anrufer aufmerksam. Nach Beendigung des Gespräches sagte er: „Wir wären ja gerne geblieben, aber wir haben einen neuen Auftrag.“ Er wandte sich an Marie: „Irgendwo in Alaska sind mal wieder Vampire unterwegs, die sich nicht an die Regeln halten. Madame LeNoire hat genauere Informationen für uns. Wir sollten uns gleich auf den Weg dorthin machen.“

„Schade.“ bedauerte Leo. „Da kann man nichts machen. Bestellt Darkness viele Grüße von mir.“

„Werden wir ausrichten.“ versprach Marie. Sie verabschiedeten sich von allen, stiegen in ihr Auto und fuhren los.

„Darf ich Ihnen jetzt Ihr Zimmer zeigen?“ bat Jean-Baptiste.

Er führte sie in ein großes helles Zimmer, dessen Flügeltürenfenster zum Garten hinaus gingen. An der gegenüberliegenden Wand stand ein großes Bett.

„Ist das das Schlafzimmer meiner Eltern?“ wollte Leo wissen.

„Nein, dieser Raum wurde extra für Sie hergerichtet. Ihre Eltern schliefen im oberen Bereich des Hauses.“ erklärte Jean-Baptiste. „Ich werde Sie jetzt alleine lassen und Ihr Gepäck holen.“

„Ähm, wir haben kein Gepäck.“ sagte Draco.

„Oh, ich verstehe.“ nickte Jean-Baptiste und verließ das Zimmer mit dem Hinweis, dass in etwa zwei Stunden das Abendessen serviert würde.

„Ist der immer so?“ fragte Leo.

„Ja, er ist ein Diener der alten Schule, der sehr alten Schule.“ antwortete Draco.

Leo sah sich in dem Raum um. Die Wand zum Garten bestand nur aus Fenstern, die alle bis zum Boden gingen und sich öffnen ließen. Sie gaben den Blick auf den Garten frei. Man konnte direkt auf eine kleine Terrasse gelangen. Der Rasen sah gepflegt aus, die Bäume und Büsche schienen frisch geschnitten und überall blühten bunte Blumen.

„Was ist das?“ staunte Leo, ging durch eine Tür nach draußen auf eine niedrige Hecke zu, durch die man das blaue Wasser eines Pools schimmern sah.

„Seit wann haben wir denn so was hier?“ fragte sie erstaunt, als sie vor einem relativ großen Pool stand.

„Da fragst Du am besten Jean nach.“ erwiderte Draco.

„Hey, aber das ist toll, jetzt kannst Du mir schwimmen beibringen.“ freute sich Leo.

„Jetzt sofort?“ wollte Draco lachend wissen.

„Nein, jetzt möchte ich erst mal duschen oder baden, damit ich aus diesen Klamotten heraus komme.“ sagte Leo und ging zurück ins Zimmer. Gerade, als sie es betrat, kam eine junge Frau durch eine der Schranktüren und sagte: „Ihr Bad wäre dann fertig.“

Leo sah erstaunt auf den riesigen Einbauschrank, der eine ganze Wand einnahm. Die Tür, die zum Bad führte, war perfekt darin eingelassen. Niemals hätte Leo dort ein Badezimmer vermutet.

„Danke.“ murmelte sie.

Die junge Frau hielt ihr die Tür auf und Leo betrat das Bad. Es hatte zwei genauso große Fenster wie das Schlafzimmer, nur waren hier Vorhänge, die nun zugezogen waren. Es befand sich außer einer Dusche und einer Toilette eine riesige Badewanne darin, in der bequem zwei Leute Platz hatten.

„Kann ich Ihnen noch behilflich sein?“ wollte die junge Frau wissen.

„Nein, nein, danke, ich komme alleine klar.“ wehrte Leo ab.

Nachdem Leo alleine war, kleidete sie sich aus und ließ sich in das warme Wasser mit dem herrlich duftenden Schaum gleiten. Sie rief nach Draco.

Als er bei ihr war und sich auf den Wannenrand gesetzt hatte, sah Leo ihn an und sagte: „Ich glaub, ich kann das nicht, mit den ganzen Leuten hier im Haus. Es ist so…so…“

„Ungewohnt?“ half Draco aus.

„Ja“ stimmte Leo zu und schloss die Augen.

„Weißt Du eigentlich, dass ich Dich schon mal in der Wanne gesehen habe?“ sagte Draco nachdenklich. „Du wirst mich nicht bemerkt haben, denn Wanja war bei Dir und ihr habt geredet und gelacht. In diesem Moment hätte ich ihn in Stücke reißen können.“

„Du wolltest Deinen Bruder töten? Aber warum?“ fragte Leo irritiert.

„Weil ich eifersüchtig auf ihn war.“ gab Draco zu. „Ich glaubte, Du und er, ihr wäret ein Paar.“
„Wanja und ich, ein Paar? Niemals.“ lachte Leo. „Er war der erste Mensch, wie ich damals glaubte, den ich kennenlernte, nachdem ich endlich aus meinem Zimmer konnte. Er war der erste, der mit mir normal sprach und nicht nur über Krankheiten und Pillen. Und er war für mich da, als meine Eltern starben und ich alleine war. Wanja war wie ein Bruder für mich, nicht mehr und nicht weniger.“

„Das weiß ich ja jetzt.“ sagte Draco. „Aber als wir ihn da in diesem Loch fanden, wart ihr so vertraut miteinander. Und ich war das erste Mal verliebt in meinem Leben, so verliebt, dass es mir sogar egal war, dass es ein Junge war, in den ich mich verliebt hatte, wie ich da noch glaubte.“

„Ist es denn schlimm, einen Jungen zu lieben?“ wollte Leo wissen.

„Nein, schlimm ist es nicht.“ erklärte Draco. „Nur ungewöhnlich, wenn jemand wie ich jahrelang nur Frauen hatte.“

„Hm, das Wasser wird langsam kalt.“ sagte Leo. „Würdest Du bitte…?“

„Ja, klar.“ erwiderte Draco und verließ das Bad.

Leo stieg aus der Wanne und sah sich suchend nach Kleidung um. Das einzige, was sie fand, war ein weicher Frotteebademantel, in den sie sich einwickelte und das Band fest mit einem Knoten verschloss.

Sie ging in das Schlafzimmer, setzte sich an das Fußende des Bettes und ließ sich nach hinten fallen.

„Ich hab nichts anzuziehen.“ jammerte sie.

Draco, der sich neben sie gesetzt hatte, lächelte auf sie hinunter: „Den Satz sagen wohl alle Frauen.“

„Du musst es ja wissen.“ murrte Leo grimmig.

Draco lachte, beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie leicht auf den Mund. Blitzschnell schlang Leo ihre Arme um seinen Nacken und hielt ihn fest. Heftig presste sie ihre Lippen auf seine. Sie versanken in einen leidenschaftlichen Kuss. Dracos freie Hand begann ein Eigenleben zu führen und fand einen Weg in Leos Bademantel. Seine Hand auf ihrer nackten Haut steigerte Leos Leidenschaft und sie legte sie in ihren Kuss. Dracos Hand wanderte wie auf der Suche weiter nach oben. Als sie fand, was sie suchte, hielt Draco erschreckt inne. Leo bemerkte es und löste sich von seinen Lippen.

„Entschuldigung.“ murmelte sie.

„Wofür entschuldigst Du Dich?“ Draco sah sie fragend an. „Ich muss mich entschuldigen, weil ich mich nicht unter Kontrolle hatte und nicht Du.“

„Es ist nur, weil da nicht so viel ist, wie Du gerne hättest.“ sagte Leo leise und drehte den Kopf von ihm weg.

Draco nahm sanft ihr Kinn und drehte sie wieder zu sich. „Du redest Unsinn.“ lächelte er leise. „Es geht nicht darum, wie groß oder wie klein Dein Busen ist, weil ich Dich liebe und nicht Deinen Körper.“

„Aber ich habe doch gesehen, wie Du bei anderen Frauen dorthin gestarrt hast.“ entgegnete Leo.

„Dummerchen.“ lachte Draco. „Ich habe keiner anderen Frau auf den Busen gestarrt, wie Du es nennst. Wenn ich dorthin gesehen habe, geschah es unbewusst. Ich werde meine Hände ab sofort besser unter Kontrolle halten.“
„Das musst Du nicht, denn es war….schön, sie zu spüren.“ murmelte Leo.

Es klopfte und Jean-Baptiste sagte durch die geschlossene Tür, dass das Abendessen bereit sei.

Draco sprang auf und zog Leo hoch.

„Ich kann doch nicht so gehen.“ protestierte sie.

„Ach, mich stört es nicht.“ winkte Draco ab. „Und Jean wird es gar nicht sehen. Morgen werden wir dann für Dich einkaufen gehen.“

Als Leo am nächsten Morgen aufwachte, war der Platz neben ihr leer. Durch die geöffneten Fenster schien die Sonne und es wehte eine leichte Brise hinein. Leo stand auf und schlich sich leise aus dem Schlafzimmer zur Treppe, die nach oben führte. Schnell huschte sie diese hinauf und ging zu ihrem alten Zimmer. ‚Hoffentlich find ich da noch was zum Anziehen’ dachte sie, als sie vor dessen Tür stand. Unbehaglich öffnete sie die Tür und schlüpfte schnell hinein. Alles war noch so wie vor ihrer Abreise. Das Bett, in dem sie so lange Zeit verbracht hatte, war immer noch schneeweiß bezogen. Leo ging zu dem eingebauten Kleiderschrank und öffnete ihn. Darin befanden sich ihre mittlerweile gehassten schwarzen Sachen. Sie zog sich eine Jeans und einen der weiten Pullis an, dann ging sie wieder hinunter. Am Fuß der Treppe stand Draco und sah ihr entgegen.

„Nicht schon wieder dieses schwarze Zeug.“ stöhnte er.

„Aber ich hab nichts anderes.“ entgegnete Leo. „Mir gefällt es auch nicht so sehr. Aber besser, als nackt herum zu laufen.“

„Das heißt, wir müssen dringend einkaufen.“ meinte Draco. „Lass uns erst mal frühstücken, danach werden wir dann in die Stadt fahren.“

„Apropos, einkaufen.“ sagte Leo. „Ich müsste mich mal so langsam um das Finanzielle kümmern. Schließlich kannst Du nicht immer alles für mich bezahlen.“

In diesem Moment erschien Jean-Baptiste und meldete, dass der Anwalt ihres Vaters da wäre und sie zu sprechen wünschte.

Leo sah hilfesuchend zu Draco.

„Wir lassen bitten.“ sagte dieser zu Jean-Baptiste.

„Guten Morgen, Leo.“ begrüßte der Anwalt sie. „Ich hoffe, ich darf Dich noch so nennen?“

„Ja, sicher.“ erwiderte Leo. „Immerhin kennen wir uns schon lange. Was führt Dich her?“

„Jetzt, da Du achtzehn und somit volljährig bist, kannst Du als Alleinerbin Deiner Eltern über deren Vermögen verfügen.“ erklärte er. „Ich habe hier alles für Dich vorbereitet. Meine Vormundschaft endete an Deinem Geburtstag. Und ich habe hier noch Deine korrekte Geburtsurkunde, in der alle Daten richtig eingetragen sind, damit Du einen Ausweis bekommst. Ich möchte mich bei Dir entschuldigen, dass ich das Spiel Deiner Eltern mitgemacht habe, aber Dein Vater war ein alter Studienfreund von mir und ich schuldete ihm noch einen Gefallen. Ich hoffe, Du kannst mir verzeihen und Dich bei rechtlichen Fragen weiterhin an mich wenden.“

„Das werde ich, sobald ich weiß, was ich weiterhin vorhabe.“ versprach Leo. „Denn ob ich hier leben werde, weiß ich noch nicht, vielleicht werde ich das Schloss verkaufen.“

„Oh, das wäre aber schade.“ erwiderte der Anwalt. „Immerhin ist es seit dreihundert Jahren in Familienbesitz. Aber ich verstehe schon, dass die Erinnerungen für Dich schwer sind.“

Er legte Leo einige Papiere vor, die sie unterschreiben musste. Anschließend überreichte er ihr eine Kontokarte und sagte: „So, nun bist Du ein reiches Mädchen. Ich wünsche Dir für die Zukunft alles Gute.“

Er stand auf und verabschiedete sich von Draco und Leo.

Als er fort war, sah Draco Leo an. „So, Du willst also das Schloss verkaufen?“

„Ich weiß nicht. Lass uns jetzt nicht darüber reden, jetzt fahren wir erst Mal einkaufen, schließlich kann ich es mir jetzt leisten.“ grinste sie.

Draco informierte Jean-Baptiste darüber, dass er und Leo das Haus verlassen würden.

„Ich werde sofort veranlassen, dass Sie jemand begleitet.“ erwiderte Jean-Baptiste.

Draco und Leo fuhren in die nächste größere Stadt. Nachdem sie einen Parkplatz gefunden hatten, schlenderten sie Hand in Hand durch die Einkaufsstraße.

„Lass uns in ein Kaufhaus gehen.“ bat Leo. „Dort werde ich nicht so auffallen wie in einem der kleinen Läden hier.“

„Wie Madame wünschen.“ sagte Draco mit einer übertriebenen Verbeugung.

„Spinner.“ grinste Leo und gab Draco einen Kuss.

Leo hatte Recht, niemand beachtete sie, als sie das Kaufhaus betraten. Als erstes suchte Leo sich eine helle Jeans heraus und ein Topp.

„Mal schauen, ob ich die richtige Größe habe.“ sagte sie und verschwand in einer der Umkleidekabinen. Kurze Zeit später kam sie heraus und posierte sich vor Draco.

„Na, wie sieht das aus?“ fragte sie.

„Gut.“ antwortete Draco. „Auf jeden Fall besser als das schwarze Zeug.“

Ohne sich umzuziehen, suchte Leo noch einige weiteren Jeans, verschiedene Topps, T-Shirts und Pullis heraus. Bei jedem Teil fragte sie Draco nach seiner Meinung. Geduldig gab er jedes Mal seinen Kommentar dazu ab. Wenn dieser negativ ausfiel, legte Leo das Teil wieder zurück. Als sie etwa zehn Jeans und zwanzig Oberteile hatte, sagte sie: „So, das reicht erst Mal. Jetzt können wir zahlen und dann wieder nach Hause fahren.“

„Hm, nur Hosen? Wie wär’s mit einem Rock oder Kleid?“ schlug Draco vor.

„Ich weiß nicht. Bisher habe ich so etwas noch nie getragen, ich weiß nicht, ob ich mich darin wohl fühlen werde.“ erwiderte Leo zweifelnd.

Sie ging zurück in die Umkleidekabine um sich umzuziehen. Draco nutzte die Zeit und nahm ein zweiteiliges Kleid von einem der Kleiderständer. Es war cremefarben und bestand aus einem langen, fast durchsichtigen Rock und einem trägerlosen Oberteil, welches wie ein Mieder geschnürt wurde. Er gab es einem ihrer Begleiter, die sich dezent im Hintergrund hielten und bat diesen, es für ihn zu bezahlen, damit Leo es nicht mitbekam.

Leo kam vollgepackt zu ihm, dann gingen sie gemeinsam zur Kasse. Als sie bezahlt hatte, meinte sie: „So, jetzt auf nach Hause, ich will dieses schwarze Zeug loswerden. Ich glaube, ich werde Jean bitten, alles wegzuwerfen. Ich kann es nicht mehr sehen.“

„Das ist eine gute Idee.“ erwiderte Draco.

Als sie mit Tüten bewaffnet im Schloss ankamen, nahm Jean-Baptiste ihnen diese gleich ab und brachte sie ins Schlafzimmer.

„Ich werde mich gleich umziehen.“ beschloss Leo und wollte ihm folgen.

„Es ist heute schön warm.“ hielt Draco sie auf. „Und es ist noch früher Nachmittag. Wie wäre es, wenn wir mit dem Schwimmunterricht beginnen würden?“

„Gute Idee.“ stimmte Leo begeistert zu. „Dann werde ich schnell meinen Badeanzug anziehen. Wir treffen uns dann am Pool.“

Lächelnd sah Draco ihr nach. Er folgte ihr ins Schlafzimmer und holte seine Badeshorts.

Kurze Zeit später saß er am Beckenrand und ließ die Beine ins Wasser baumeln. Das Wasser im Pool war angenehm warm.

„Hier bin ich.“ erklang es hinter ihm. Leo stand in dem schwarzen Badeanzug vor ihm, den sie in Spanien gekauft hatte.

„Dann kann es ja losgehen.“ erwiderte Draco und ließ sich ins Wasser gleiten. Der Pool war etwa ein Meter fünfzig tief, er konnte bequem darin stehen.

Auffordernd hielt er Leo die Hände entgegen. Sie ergriff sie und ließ sich ebenfalls ins Wasser gleiten, ohne jedoch Dracos Hände los zu lassen.

„Keine Angst.“ sagte er und umfasste ihre Hüften. Leo war, als würde ein Blitz durch ihren Körper fahren, als sie seine Hände auf ihrer Haut spürte. Ihr ganzer Körper kribbelte. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und sah ihm in die Augen.

„So wird das nichts mit Schwimmen lernen.“ lächelte Draco.

„Küss mich noch mal, bevor ich ertrinke.“ murmelte Leo und hielt ihm ihren Mund erwartungsvoll hin.

„Ich werde Dich doch nicht ertrinken lassen.“ empörte sich Draco, kam ihrer Aufforderung trotzdem nach. Leo, deren Zehenspitzen eben den Boden berührten, schlang ihr Beine um Dracos Hüften. ‚Sie weiß nicht, was sie mir antut’ dachte Draco und unterdrückte seine Erregung, was ihm sichtlich schwer fiel. Er umfasste ihre Hüften fester und setzte sie mit einem Ruck auf den Beckenrand. Erstaunt löste Leo sich von seinen Lippen und sah ihn an.

„Was ist los? Ich dachte, Du willst mir schwimmen beibringen?“ fragte sie unschuldig.

„Ich….ich kann nicht, jetzt nicht.“ erwiderte Draco, wandte sich um und durchschwamm mit kräftigen Zügen den Pool. Als er zu Leo zurückkam, sah er Tränen in ihren Augen.

„Was habe ich jetzt wieder falsch gemacht?“ schluchzte sie.

Draco schwang sich neben sie, legte seinen Arm um ihre Schulter und zog sie an sich.

„Nichts.“ flüsterte er beruhigend in ihr Haar. „Du hast nichts falsch gemacht.“

‚Nur ich hab meinen Körper nicht unter Kontrolle’ fügte er in Gedanken hinzu.

Leo sah mit tränennassen Augen zu ihm auf. „Was ist es dann? Sag mir doch, was los ist“ bat sie..

„Was los ist?“ fuhr er auf. „Verdammt, ich liebe Dich und ich will Dich, will Dich ganz besitzen.“

Leo spürte, wie die Wärme, die sie sonst umgab, wenn Draco sie im Arm hielt oder sie küsste, sich in Hitze entwickelte. Sie hatte das Gefühl, als würde sein Körper von Flammen umgeben sein.

„Aber Du hast mich doch.“ erwiderte sie irritiert.

„Wenn Du mehr Erfahrung hättest, wüsstest Du, dass ich mit Dir schlafen will.“ entgegnete er wütend. Draco war wütend, wütend auf sich selbst. Nach diesen Worten sprang er auf und lief ins Haus.

Leo saß starr vor Schreck am Beckenrand und starrte in das Wasser. Sie dachte an das, was Lumina ihr darüber erzählt hatte. Leo hatte sich nicht vorstellen können, dass das so wichtig wäre, aber nachdem, was gerade passierte, schien es doch wichtig zu sein. Leo holte tief Luft und stand auf. Wenn es für Draco so wichtig war, es zu tun, dann sollte er es tun, fasste sie den Entschluss. Es würde sie schon nicht umbringen.

Leo ging durch die geöffneten Türen direkt ins Schlafzimmer, in der Hoffnung, Draco dort anzutreffen. Aber das Zimmer war leer, wie sie enttäuscht feststellte. Sie ging ins Bad, zog ihren nassen Badeanzug aus und duschte kurz. Danach wickelte sie sich in ein Handtuch und legte sich auf das Bett. Irgendwann würde Draco schon auftauchen und dann würde sie ihm ihren Entschluss mitteilen, nahm sie sich vor. Irgendwann fielen ihr die Augen zu und sie schlief ein.

Draco war, nachdem den Pool verlassen hatte, ins Haus gestürmt und Jean-Baptiste in die Arme gelaufen.

„Was ist passiert?“ fragte dieser ihn, wohl merkend, dass etwas nicht stimmte.

„Nichts.“ knurrte Draco und wollte an ihm vorbei.

Aber Jean hielt ihn am Arm fest und sah ihm fest in die Augen. Draco wusste von Jeans Fähigkeit, in der Erinnerung zu lesen und wollte seine Augen abwenden, was aber nicht gelang.

„Du warst sehr hart zu ihr.“ sagte Jean. „Das hat ihr sehr weh getan. Ich weiß, dass Du das nicht wolltest. Hör auf, Dir Vorwürfe zu machen. Geh in die Küche, dort ist heute frisches Blut eingetroffen. Trink etwas, dass wird Dich beruhigen.“

„Danke.“ murmelte Draco. „Und danach werde ich mich bei Leo entschuldigen.“

Draco ging, wie ihm geraten, in die Küche, wo er etliche Gläser Blut trank. Es war wirklich frisch und nicht, wie sonst, eine Konserve. Nachdem er sich beruhigt hatte, ging er zum Pool zurück, in der Hoffnung, Leo dort noch anzutreffen, um sich zu entschuldigen. Aber der Pool war leer, auch sonst war Leo nirgends zu sehen .Draco lief durch den Park, in der Hoffnung, sie dort zu finden, aber im ganzen Park war niemand zu sehen, noch nicht einmal die Wächter. Was sehr seltsam war. Normalerweise waren immer zwei, drei von ihnen dort. Draco begann sich Sorgen zu machen. ‚Sollte etwa dieser schwarze Engel hier eingedrungen sein?’ schoss es ihm durch den Kopf.

Rasch rannte er zum Schloss zurück, um sich anzukleiden, denn er trug noch immer seine Schwimmshorts.

Er stürmte in das Schlafzimmer und blieb abrupt stehen. Denn auf dem Bett sah er Leo liegen und schlafen. Das Handtuch, welches sie sich nach der Dusche umgebunden hatte, hatte sich gelöst, so dass sie nun vollkommen nackt dort lag. Draco sah lächelnd auf sie nieder, dann nahm er seine Decke und deckte sie zu. Danach schloss er leise die Fenster und zog die Vorhänge zu, so dass das Zimmer in rotes Dämmerlicht getaucht war. Leise zog er sich eine Jogginghose an und ging mit nacktem Oberkörper und barfuss auf die Suche nach Jean-Baptiste. Er wollte ihn fragen, wo die Wächter waren.

Er fand ihn schließlich in der Küche, wo er mit den zwei anderen Vampiren am Tisch saß und sich unterhielt.

Als Draco die Küche betrat, sprang er beflissen auf und fragte: „Kann ich etwas für Euch tun?“

„Nein, nein, danke.“ erwiderte Draco. „Ich wollte nur fragen, ob Du weißt, wo die Wächter hin sind. Ich habe im ganzen Park nicht einen von ihnen gesehen.“

„Sie sind alle dort draußen.“ sagte Jean-Baptiste. „Nur unsichtbar. Schließlich sollen sie ja nicht gleich auffallen. Denn wer hat schon zehn Gärtner für den relativ kleinen Park?“

„Gut, mehr wollte ich nicht.“ nickte Draco. „Ach so, da ist doch noch etwas, wir werden heute kein Abendessen brauchen. Leo schläft und ich habe keinen Hunger. Ihr habt also jetzt frei. Ich wünsche noch einen schönen Abend.“

„Danke.“ sagten alle drei wie aus einem Mund.

Draco kehrte zurück ins Schlafzimmer und legte sich neben Leo auf das Bett. Er stützte seinen Kopf in die Hand und betrachtete Leo. Ihre Augen waren noch vom Weinen gerötet und ab und zu kullerte noch eine Träne über ihre Wange. Zu gerne hätte Draco gewusst, was in ihrem Innern vorging, aber er hatte versprochen, nicht mehr in ihren Kopf zu dringen ohne ihre Erlaubnis. Er bemerkte,, dass Leos Aura, die sonst perlmuttfarben war und in der Regenbogenfarben schillerten, sich ständig veränderte. Sie leuchtete mal in Rot, Blau, Grün und Schwarz. Auch schien Leo nicht wirklich zu schlafen, es schien eher so, als wäre sie in so eine Art Koma gefallen. Draco konnte der Versuchung nicht widerstehen und sandte seinen Geist aus, um ihren zu berühren. Was er dann sah, erschreckte ihn. In Leo tobte ein Sturm der Gefühle, es war, als wäre eine Flasche geöffnet worden und nun strömten alle Gefühle auf einmal aus ihr heraus. Draco zog sich aus ihrem Geist zurück und zog Leo an sich heran.

Leo schien es gespürt zu haben, denn sie rutschte ganz nah zu ihm, öffnete kurz die Augen, sah ihn mit verschleiertem Blick an und murmelte: „Ich liebe Dich.“ Danach schloss sie ihre Augen wieder.

„Ich liebe Dich auch.“ flüsterte Draco und küsste sie leicht auf die Stirn. Der Sturm in ihrem Innern schien vorbei zu sein, denn nun nahm ihre Aura wieder die gewohnte Farbe an.

Es war noch früher Morgen, als Leo erwachte, es begann gerade erst zu dämmern. Leo, deren Kopf an Dracos Brust lag, schielte nach oben und sah, dass Draco noch schlief. Leise und vorsichtig rutschte sie von ihm weg und ging ins Bad. Sie nahm sich aus dem Kleiderschrank, der von beiden Räumen aus geöffnet werden konnte, eine Panty und ein langes Shirt heraus. Aus den Augenwinkeln heraus sah sie eine Bewegung hinter sich und drehte sich erschrocken um. Aber da war nur ihr eigenes Spiegelbild. Erstaunt musterte sie sich. Ihr Körper schien sich über Nacht verändert zu haben, ihre Taille war schmaler und ihre Hüften waren breiter geworden. Auch ihre Oberweite hatte sich vergrößert, nun hatte ihr Busen die Größe eines Apfels. Schnell zog Leo sich an und ging leise zurück zum Bett. Dort setzte sie sich im Schneidersitz mitten auf die Matratze und sah sich im Zimmer um. Alles war hier in schwarz-rot gehalten. Das Bett bestand aus schwarzem Metall und war mit schwarz-roter Satinbettwäsche bezogen. Die Vorhänge vor den großen Fenstern waren aus rotem Musselin und an den Seiten waren schwarze Schals aus Satin. Auf dem Parkettboden lag ein Teppich, der rot-schwarz gemustert war. Einzig die Wände waren weiß.

‚Schwarz und rot’ dachte Leo, ‚sind bestimmt die Farben der Vampire. Schwarz für die Nacht und Rot für das Blut.’

Sie sah Draco an, der immer noch schlafend neben ihr lag, allerdings lag er nun auf dem Bauch. Er hatte seinen Kopf auf seine verschränkten Arme gelegt. Da er Leo seine Decke gegeben hatte, lag er nur mit einer Jogginghose und nacktem Oberkörper dort.

Leicht strich sie mit ihren Fingern seine Wirbelsäule entlang, was ihm anscheinend gefiel, denn er schnurrte wie ein Kätzchen. Leo küsste ihn leicht auf die Schulter.

„Komm her.“ murmelte Draco schlaftrunken und streckte seinen Arm nach ihr aus.

„Nein.“ widersprach Leo lachend. „Fang mich doch, wenn Du kannst.“

Sie rutschte aus der Reichweite seines Armes und drückte sich ein Kopfkissen vor den Bauch, welches Draco als erstes zu fassen bekam, als er versuchte, Leo zu fassen.

„Na, warte.“ drohte er scherzhaft und griff erneut nach Leo. Sie aber drehte sich blitzschnell zur Seite und warf ein weiteres Kissen nach Draco, welches er aber auffing.

„Du willst also eine Kissenschlacht?“ fragte er und warf das Kissen zurück.

So ging es eine Weile hin und her, bis Leo sich lachend auf den Rücken fallen ließ.

„Ergibst Du Dich?“ fragte Draco, der über ihr kniete.

„Ja.“ lachte Leo atemlos.

„Dann sag es.“ befahl Draco streng mit lachenden Augen.

„Okay, ich ergebe mich.“ erwiderte Leo und sah Draco an.

„Gut.“ sagte Draco knapp und sah in ihr Gesicht, welches von der Toberei gerötet war. „Und welche Belohnung bekomme ich, da ich gewonnen habe?“

„Hm, keine.“ antwortete Leo und sah ihn spitzbübisch an.

„Dann werd ich mir einfach nehmen, was mir zusteht.“ Draco senkte langsam seinen Kopf und legte seine Lippen auf ihre. Bereitwillig öffnete Leo ihre Lippen und gewährte seiner Zunge Einlass. Sie versanken in einen langen Kuss. Leos Hände, die erst um seinen Hals gelegen hatten, begannen über seinen Rücken zu streicheln. Erst ganz leicht und sacht, um dann verstärkte sich ihr Druck. Liebend gerne hätte auch Draco ihre nackte Haut berührt, aber er beherrschte sich.

Später beim Frühstück fragte er Leo, was sie heute unternehmen wolle.

„Keine Ahnung.“ antwortete sie und schaute aus dem Fenster. Draußen hatte sich der Himmel zugezogen und es regnete.

„Kennst Du eigentlich das Schloss?“ wollte Draco wissen. „Ich meine, kennst Du alle Räume, die es hat?“

„Hm, nein. Nur mein Zimmer und ein paar Räume hier unten.“ erwiderte Leo.

„Wie wäre es dann mit einer Schlossbesichtigung?“ schlug Draco vor.

„Können wir machen.“ stimmte Leo zu.

„Wo fangen wir an?“ fragte Draco, als sie in der großen Eingangshalle standen, von welcher rechts und links zwei geschwungene Treppen nach oben führten.

„Lass uns oben beginnen.“ meinte Leo und lief die Treppe hinauf. Oben wandte sie sich nach rechts, wo auch ihr Zimmer lag.

Sie öffneten die erste Tür, die an der Treppe lag. Dahinter befand sich ein Schlafzimmer, welches bis vor kurzem noch benutzt worden war. Es schien das Zimmer ihrer Eltern zu sein. An der einen Wand stand ein massives Holzbett, welches mit Schnitzereien verziert war. Dem gegenüber war ein riesiger Schrank, ähnlich wie in dem Zimmer, welches Draco und Leo nun bewohnten.

Auch die nächsten drei Räume waren Schlafzimmer, aber hier waren alle Möbel mit weißen Tüchern abgedeckt. Vor dem fünften und letzten Zimmer blieb Leo zögernd stehen, denn dahinter befand sich ihr altes Zimmer.

„Wenn Du nicht möchtest, gehen wir dort nicht hinein“ meinte Draco, der ihr Zögern bemerkt hatte.

Leo schüttelte den Kopf und sie gingen langsam den Gang entlang zurück. Draco fiel auf, dass zwischen den Fenstern wohl mal große Bilder hingen, aber nun waren die Plätze leer.

Auf der anderen Seite der Treppe öffneten sie gleich die erste Tür und befanden sich in einem Raum, der ziemlich viel Weiblichkeit ausstrahlte. Die Möbel waren weiß lackiert mit einigen Goldakzenten. An der linken Wand stand ein kleines Sofa, welches mit rotem Samt bezogen war. Davor stand ein kleiner ovaler Tisch, vor dem sich zwei, ebenfalls rot bezogene Sessel befanden. Zwischen Sofa und Fenster stand ein Schreibschrank. Auf der anderen Seite des Zimmers stand neben dem Fenster eine Eckvitrine, hinter deren Glastüren sich einige sehr wertvoll aussehende Porzellanfiguren befanden. Außerdem gab es dort noch eine Tür, die zu einem ebenfalls weiblich wirkenden Schlafzimmer führte. Auch dieser Raum war in weiß-rot gehalten. Leo sah sich erstaunt um.

„Es scheint fast so, als ob meine Eltern getrennt geschlafen hätten.“ meinte sie.

Langsam durchschritt sie den Wohnraum. Am Schreibtisch blieb sie stehen und öffnete ihn. Aus irgendeinem ihr unerfindlichem Grund fuhr sie mit der Hand am oberen Rand des Schreibfaches entlang und fand auf diese Weise ein kleines Geheimfach. Es öffnete sich mit einem Klick und heraus fiel ein kleines, schwarzes Buch. Leo schlug es auf.

„Es ist das Tagebuch meiner Mutter.“ wandte sie sich an Draco. „Ich werde es mit hinunter nehmen und lesen.“

Die nächsten beiden Räume waren leer.

„Und wohin jetzt?“ fragte Draco.

„Lass uns nach unten gehen.“ antwortete Leo.

Als sie an der Treppe standen, sah Leo auf das recht breite Geländer. Mit einem Grinsen schwang sie sich darauf und sagte: „Mal sehen, wer eher unten ist.“ Dann rutschte sie los. Draco, der erst ziemlich perplex dastand, lief in Sekundenschnelle nach unten und kam gerade rechtzeitig an, um Leo aufzufangen.

„Das war gemein.“ schmollte sie, als sie auf Dracos Armen lag.

„Und Du bist verrückt.“ erwiderte er. „Weißt Du, wo Du gelandet wärst, wenn ich Dich nicht aufgefangen hätte?“

Schuldbewusst sah Leo von unten zu ihm herauf.

„Versprich mir, dass Du das nie wieder machst.“ bat Draco ernst.

„Nie wieder? Aber es hat Spaß gemacht.“ widersprach Leo.

„Aber es ist gefährlich, Du kannst Dir sämtliche Knochen brechen.“ entgegnete Draco.

„Und?“ zuckte Leo mit den Schultern. „Dann gibt’s Du mir Dein Blut und alles ist wieder gut.“

Kopfschüttelnd stellte Draco sie wieder auf die Füße. „Komm, sehen wir uns hier unten um.“

„Ich hab jetzt keine Lust mehr dazu.“ wehrte Leo ab. „Du kannst es gerne machen, aber ich wäre jetzt gerne alleine.“

„Okay, wir sehen uns dann später.“ sagte Draco und küsste sie leicht auf die Stirn.

Leo ging durch ein kleines Wohnzimmer in den Wintergarten. Dort setzte sie sich auf einen der Liegestühle und nahm das Tagebuch ihrer Mutter zur Hand. Unschlüssig drehte sie es hin und her. Sollte sie es wirklich lesen? War es nicht ein Eindringen in die Privatsphäre ihrer Mutter? Eigentlich ja nicht, da ihre Mutter ja offiziell tot war und sie die Erbin. Leo lehnte sich nach hinten und schloss die Augen. Das gleichmäßige Trommeln des Regens auf dem Glasdach ließ sie schläfrig werden. ‚Ich werde es später lesen’ dachte sie, bevor sie in einen leichten Schlaf versank. Vor ihren Augen erschienen Bilder, sie träumte: Sie trug das Gewand der Priesterinnen und lief durch den Dschungel. Hinter ihr waren Schritte und das Lachen eines Mannes zu hören. Es war Draco, der sie versuchte zu fangen. Eigentlich wäre es für ihn kein Problem, sie einzufangen, aber er hatte seinen Schritt dem ihren angepasst. Leo lief ohne Rücksicht durch dichtes Unterholz, als sie die Stimme von Draco hörte: „Sei vorsichtiger, denk an unser Kind!“ ‚Unser Kind?‘ dachte sie und sah an sich hinunter. Unter ihrem weiten, weißen Kleid wölbte sich ein Babybauch, wie sie feststellte. Lachend lief sie weiter. „Ihm passiert schon nichts.“ rief sie über die Schulter zurück. Wieder nach vorn sehend, veränderte sich ihr Umfeld. Der Dschungel, der vorher im Sonnenlicht lag, verdunkelte sich plötzlich. Hinter ihr erklangen immer noch Schritte, aber die Stimme, die jetzt zu ihr sprach, war nicht mehr die Dracos. „Bleib stehen und gib mir jetzt endlich das Kind“ wurde ihr befohlen. Leo sah über die Schulter nach hinten und stellte fest, dass sie von einem ganz in Schwarz gekleideten Mann verfolgt wurde. Das Auffälligste an ihm waren die riesigen schwarzen Flügel.

Fest presste sie den kleinen Körper, den sie plötzlich im Arm hielt, an sich.

„Nein, niemals, Du bekommst es nicht.“ schrie sie wütend zurück.

„Denk an Dein Versprechen.“ kam es von hinten. „Du hast mir versprochen, mir Deinen Sohn zu überlassen und ich fordere dieses Versprechen jetzt ein.“

„Ich….es….es ist aber kein Sohn, den ich habe, sondern ein Mädchen.“ erwiderte Leo, blieb stehen und sah hoch aufgerichtet dem Mann entgegen, der wutschnaubend auf sie zukam.

„Ein Mädchen?“ fragte er entgeistert. „Damit kann ich nichts anfangen. Aber sollte ich je erfahren, dass Du mich angeschwindelt hast, dann wird meine Rache fürchterlich sein.“

Er warf einen letzten wütenden Blick auf sie und das Kind in ihren Armen, breitete seine Flügel aus und flog davon. Weinend fiel Leo auf die Knie.

„Leo, Leo, wach auf!“ hörte sie Dracos Stimme aus weiter Ferne.

Langsam öffnete sie die Augen und sah sich suchend um. Immer noch in ihrem Traum gefangen, fragte sie:“Wo ist das Kind?“

„Welches Kind?“ wollte Draco perplex wissen.

„Wie? Was? Ach, ich habe wohl geträumt.“ antwortete Leo.

„Von einem Kind?“ hakte Draco nach. „Und wessen Kind war es?“

„Weiß ich nicht.“ wich Leo aus. „Ich kann mich nicht mehr richtig an den Traum erinnern, nur das ich ein Kind hab weinen hören.“

„Du hast geweint, deshalb hab ich Dich geweckt.“ erklärte Draco.

„Bist Du schon lange hier?“ lenkte Leo ab.

„Nein. Ich habe mich noch etwas umgesehen und wollte dann zu Dir. Und fand Dich im Schlaf weinend vor.“ erwiderte Draco. „So, wie es aussieht, hast Du noch nicht angefangen, das Tagebuch Deiner Mutter zu lesen.“

„Ich wollte ja, aber ich war so früh wach und dann der Regen, der so gleichmäßig auf das Dach trommelt haben mich wohl einschlafen lassen.“ bekannte sie schuldbewusst.

„Und jetzt hab ich Hunger.“ erklärte sie und sprang auf.

Als ob Jean gehört hätte, was Leo gesagt hat, fanden sie einen reich gedeckten Tisch vor, als sie das Esszimmer betraten.

„Kann er Gedanken lesen oder hört er alles, was wir sagen?“ fragte Leo leise.

„Beides.“ erwiderte Draco ernst.

„Oh.“ machte Leo leicht erschrocken. „Dann müssen wir ja aufpassen, über was wir reden.“

„Das brauchen Sie nicht.“ entgegnete Jean, der gerade den Raum betrat. „Alles, was ich höre, bleibt bei mir. Ich würde es niemals jemandem erzählen. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort.“

Scheu sah Leo ihn an. „Sie haben bestimmt schon eine Menge gehört?“ Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.

„Oh ja, Miss, mehr als Sie sich vorstellen können.“ antwortete Jean.

„Bitte, nennen Sie mich nicht Miss, mein Name ist Leo.“ bat sie.

„Wie Sie wünschen.“ sagte Jean und verließ den Raum.

Nach dem Essen zog Leo sich mit dem Buch in das Schlafzimmer zurück. Draco sagte, er habe etwas mit Jean zu besprechen und käme später nach.

Als Draco ohne Leo weiter durch das Schloss gestreift war, hatte ihn sein Weg auch in den Keller geführt. Dort hatte er eine Entdeckung gemacht, über die er dringend mit Jean reden musste. Er fand ihn in der Küche. Draco bat ihn, ihn in den Keller zu begleiten.

Dort führte er ihn zu einer grauen Metalltür. Draco öffnete diese und wies Jean den Raum, der sich dahinter befand. Es war ein komplett eingerichteter Operationssaal.

„Hat der Doktor etwa seine Experimente hier weitergeführt?“ fragte Jean nachdenklich, als er den Raum erblickte.

„Das glaube ich kaum.“ antwortete Draco. „Ich habe da eine ganz andere Vermutung.“ Er ging durch den Raum zu einem großen Schreibtisch und hob einige Bücher hoch.

„Siehst Du, hier, das sind medizinische Bücher über eine Geschlechtsumwandlung.“ sagte Draco. „Ich habe die starke Vermutung, dass er Leo auch körperlich in einen Jungen umwandeln wollte.“

Wütend knallte Draco die Bücher zurück auf den Tisch. „Was ist oder war das bloß für ein skrupelloser Mann.“

„Hm.“ machte Jean nachdenklich. „Irgendwie kann ich ihn verstehen, er wollte alles tun, um sein Kind zu schützen und zu behalten, obwohl ich seine Taten nicht nachvollziehen kann.“

„Nimmst Du ihn etwa in Schutz?“ fauchte Draco wütend.

„Nein, natürlich nich.t“ erwiderte Jean ruhig. „Aber sieh es doch mal von seiner Seite: Er und seine Frau haben jahrelang auf Nachwuchs gewartet, dann endlich bekamen sie ihn, auf welche Weise auch immer, mit dem Hintergrundwissen, dass sie ihn mit achtzehn verlieren würden.“

„Hm, ja, okay.“ sagte Draco schon ruhiger. „Aber trotzdem darf man nicht solche Entscheidungen treffen.“

„Er wollte nur sein Kind nicht verlieren, er wusste ja nicht, dass Lieu es schon vor einigen Jahrhunderten gesehen hat, was geschehen würde und Vorkehrungen getroffen hatte für Leos Rettung.“ erklärte Jean. „Nichts von alledem ist ja nach außen gedrungen bis zu jenem Tag.“

„Von dieser Seite habe ich es noch nicht betrachtet.“ gab Draco zu.

Sie verließen den Keller und Draco ging nachdenklich in das Schlafzimmer, wo er Leo lesend auf dem Bett liegend vorfand. Sie war so in das Buch vertieft, dass sie sein Eintreten gar nicht bemerkte. Draco sah lächelnd auf sie hinab, nahm sich seine Schwimmshorts und verließ durch eine der Glastüren das Zimmer.

Leo hatte, nachdem sie das Esszimmer verlassen hatte, sich vorgenommen, mit dem Buch anzufangen, obwohl sie Zweifel hatte, das Richtige zu tun. Zögernd hatte sie die erste Seite aufgeschlagen und zu lesen begonnen. Es begann mit dem Tag der Hochzeit ihrer Eltern….





14. Kapitel





Heute ist es endlich so weit, endlich werde ich Jo’s, eigentlich Johannes Freiherr vom Rotenstein, Frau. Trotz des Widerstandes seiner Eltern werden wir heiraten. Seine Eltern waren nie mit seiner Wahl einverstanden, sie hatte sich eine standesgemäßere Frau für ihren einzigen Sohn gewünscht, aber Jo hatte sich nicht beirren lassen.

Unsere Hochzeit war still und einfach, nur wir beide und unsere Trauzeugen, von denen der Eine Jo’s alter Professor war. Wir gaben uns nur vor dem Standesamt das Ja-Wort und feierten dann mit einigen unserer besten Freunde in einer Studentenkneipe.

Als Jo mich in das Schloss seiner Eltern brachte, wehte mir eisige Ablehnung entgegen. Seine Mutter, die aus altem Adel stammte, akzeptierte mich nicht als ihre Schwiegertochter. Jo’s Vater hingegen begegnete mir mit zurückhaltender Freundlichkeit.

Warte ab, wenn sie ihr erstes Enkelkind in Armen halten, wird sich alles ändern“ versuchte Jo mich zu trösten.

Tagsüber, wenn Jo in der Klinik war, blieb ich allein in unserem Zimmer. Nur, wenn er abends bei mir war, gingen wir hinunter um gemeinsam zu Essen.

Nachdem wir etwa ein Jahr verheiratet waren, bemerkte ich die prüfende Blicke seiner Mutter. Als ich Jo darauf ansprach, erklärte er mir verlegen, dass sie darauf wartete, dass ich endlich schwanger würde.

Und Du? Wartest Du auch darauf?“ wollte ich wissen.

Es wäre schön, so einen kleinen Wurm sein Eigen nennen zu können, aber wir sind noch jung und haben noch alle Zeit der Welt“ erklärte er mir.

Aber von da an beherrschte mich nur noch der Gedanke, endlich schwanger zu werden. Aber jeden Monat musste ich enttäuscht feststellen, dass es wieder nicht geklappt hat. Meine Enttäuschung darüber wurde immer größer und die Blicke meiner Schwiegermutter immer eisiger und höhnischer.

Ich begann, von einem Arzt zum anderen zu laufen, aber alle bescheinigten mir, dass ich durchaus in der Lage wäre, ein Kind zu empfangen. Einige rieten mir, ich solle meinem Mann mal eine Untersuchung empfehlen. Aber ich traute mich nie, dieses Thema zu erwähnen.

Es folgten etliche Seiten, auf denen nur die Worte: Schon wieder nicht standen. Dieses zog sich so über zwei Jahre hin. Danach gab es nur noch einen Eintrag.

Ich gebe es auf. Es soll wohl nicht sein, dass Jo und ich Eltern werden. Mittlerweile nennt mich seine Mutter nur die taube Nuss, wenn sie von mir spricht und mich ignoriert sie vollständig. Ich merke, wie Jo unter der Situation leidet, aber er hält weiter zu mir und er liebt mich noch so wie am ersten Tag. In meiner Verzweiflung habe ich ihm angeboten, sich scheiden zu lassen und eine Frau nach den Wünschen seiner Mutter zu nehmen, aber davon will er nichts hören.

Ich beende hier meine Einträge und werde dieses Buch wegschließen.

‚Da steht aber wenig drin’ dachte Leo und blätterte gedankenverloren einige Seiten um. Nach etwa fünf leeren Seiten begannen die Einträge erneut, nur waren mittlerweile zwanzig Jahre vergangen. Der erste Eintrag geschah etwa fünf Jahre vor ihrer Geburt.

Heute war mal wieder so ein Tag, den ich am liebsten nie erlebt hätte. Es begann damit, dass ich mich mit einem Liegestuhl hinter die kleine Hecke, die die Terrasse umgab, zurück zog. Meine Schwiegermutter empfing ihr Damenkränzchen, allesamt von Adel. Da das Wetter nach langer Zeit mal wieder schön war, hörte ich, wie die Angestellten den Tisch auf der Terrasse deckten.

Gerade, als ich mich in mein Zimmer zurückziehen wollte, betraten die Damen die Terrasse und ich konnte mich nicht mehr ungesehen davonschleichen. Also blieb ich, wo ich war und wurde so Ohrenzeuge über die wahren Gefühle, die Jo’s Mutter für mich hegte.

Sie erzählte, dass ihr ach so armer Sohn sich in eine Ehe gestürzt hätte, in der todunglücklich wäre. Er wäre seit zwanzig Jahren an eine Frau gebunden, die noch nicht mal in der Lage wäre, ihm den ersehnten Erben zu bringen. Und auch sonst wäre ich zu nichts nutze, man könne mich noch nicht einmal der Öffentlichkeit zeigen. Ich wäre ja so eine graue, unscheinbare Maus. Selbst Jo würde sich schämen, sich mit mir zu zeigen. Seit er mit mir verheiratet wäre, hätte noch nie ein Fest besucht. Sie verstünde nicht, warum er sich nicht scheiden ließe, obwohl es in ihrer Familie nicht üblich sei.

Die anderen Frauen bedauerten sie und schlugen vor, Jo solle sich doch eine Geliebte nehmen. Vielleicht hätte er ja damit mehr Glück und ihm würde endlich ein Sohn geboren. Es könnte ja sein, dass ich dann das Feld freiwillig räumen würde. Daraufhin begannen sie aufzuzählen, bei wem ihrer Bekannten das alles so sei,

Etwas später kam Jo nach Hause und begrüßte die Damen. Seine Mutter forderte ihn auf, sich zu ihnen zu gesellen, aber er lehnte dankend ab.

Ich habe mit meiner Frau etwas zu besprechen“ sagte er und wollte die Terrasse verlassen.

Ach, das hat doch bestimmt Zeit“ versuchte seine Mutter ihn umzustimmen. „Oder willst Du Dich jetzt endlich von ihr trennen?“

Und wenn es so wäre, würde ich es nicht mit Dir zuerst besprechen“ erwiderte er.

Vielleicht hat er ja längst eine andere Frau’ schoss es mir durch Kopf. ‚Und vielleicht erfüllt sich ja sein sehnlichster Wunsch.’

Ich blieb in meinem Versteck, bis die Damen sich verabschiedeten und ich sicher sein konnte, niemandem mehr zu begegnen. Leise ging ich die Treppe hinauf in mein Zimmer. Lange sah ich mich darin um, dann holte ich einen Koffer hervor und begann meine Sachen zu packen. Ich wollte Jo die Peinlichkeit ersparen, mir zu sagen, dass es aus zwischen uns sei.

Mitten in der Packerei betrat Jo das Zimmer.

Wieso packst Du schon?“ fragte er erstaunt. „Du weißt doch noch gar nichts von unserer Abreise. Ich habe mich doch erst heute dazu entschlossen.“

Ich will Dir nicht länger im Weg stehen“ erwiderte ich traurig. „Du kannst Dir dann endlich jemanden suchen, der in der Lage ist, Dir Kinder zu schenken.“

Wovon redest Du bitte? Ich will aber niemand anderen außer Dich“ sagte er und nahm mich in die Arme. „Und es ist mir so was von egal, ob wir nun Kinder haben oder nicht. Ich habe Dich geheiratet, weil ich Dich liebe und nicht als Gebärmaschine.“

Aber Deine Mutter…“ begann ich.

Ich weiß, dass meine Mutter Dich nie mochte und kein gutes Haar an Dir lässt“ unterbrach er mich. „Und aus diesem Grund werden wir von hier weggehen. Ich habe heute die Einladung meines Professors angenommen, ihn in Afrika bei seinem Projekt zu unterstützen. Nächste Woche werden wir diesem Land hier den Rücken kehren, wir beide, denn ich will Dich an meiner Seite.“

Jo leitete alles in die Wege für unsere Abreise. Nur seinen Eltern gegenüber erwähnte er sie mit keinem Wort. So wurden sie vor vollendete Tatsachen gestellt, als uns das Taxi abholte und zum Flughafen brachte.

Am Flughafen in Afrika erwartete uns Jo’s Professor und brachte uns zu der Mission, in der Jo ab sofort tätig sein sollte. Sie lag abseits jeder Ortschaft versteckt mitten im Busch.

Das wäre so, weil die Patienten alle an Lepra erkrankt seien, erklärte der Professor. Niemand wolle sie in seiner Nähe haben.

Wir kamen völlig erschöpft und verschwitzt an der Mission an. Da der Professor einen alten Jeep hatte, dem unwegsames Gelände nichts ausmachte, blieb uns ein längerer Fußmarsch erspart, denn die nächste Ortschaft war einen halben Tagesmarsch entfernt.

Die Mission lag wirklich mitten im Urwald auf einer Lichtung. Rundherum war nur der Busch. Sie war auf etwa fünfzig cm hohen Pfählen wie ein Quadrat gebaut. Wir folgten dem Professor, der uns unsere Räume zeigen wollte. Es ging durch eine Eingangstür in einen Raum, der wie ein Empfangsraum wirkte. Dort standen ein Schreibtisch, hinter dem eine junge dunkelhäutige Frau saß, die uns freundlich lächelnd begrüßte. Von dort aus führte eine Tür in den Innenhof, den wir durchquerten. Der hintere Teil des Gebäudes war dann unsere Wohnung. Sie bestand aus einem Schlafzimmer, einem Wohnraum, einer primitiven Küche und einem noch primitiveren Bad.

Außerdem gab es dort noch ein Zimmer, welches der Professor bewohnte.

Nachdem wir uns frisch gemacht hatten, zeigte uns der Professor den Rest des Gebäudes. Auf der linken und rechten Seite befanden sich zwei Krankensäle mit etwa je 15 Betten. Auf der linken Gebäudeseite war außerdem noch das Ärztezimmer und ein kleines, einfaches Labor. Den Raum auf der rechten Seite, der sich an den Krankensaal anschloss, zeigte uns der Professor nicht. Er hatte eine massive Eisentür und seine Fenster waren vergittert.

Jo stürzte sich mit Feuereifer in seine neue Aufgabe und auch ich fühlte mich immer wohler. Nur die Langeweile plagte mich etwas. So begann ich jeden Tag einen Spaziergang zu unternehmen. Von Tag zu Tag dehnte ich diese aus. Bei einem dieser Spaziergänge kam ich an eine alte verfallene Tempelanlage. Ein Teil des Hauptgebäudes war noch erhalten. Es standen noch drei Wände und das halbe Dach. Alles andere lag verstreut in der Gegend herum und der Busch hatte schon begonnen, sich das Gelände zurück zu erobern. Langsam ging ich herum, ich hatte dabei das Gefühl, diesen Ort zu kennen. Aber ich konnte mich nicht erinnern, schon mal hier gewesen zu sein. In dem Hauptgebäude standen ein steinerner rechteckiger Altar und ein aus Steinen zusammengefügtes X.

Von jenem Tag an hatte dieser Ort eine magische Anziehungskraft auf mich. Hier fühlte ich mich wohl und es überkam mich eine wohltuende Ruhe.

Nach etwa einem halben Jahr gab der Professor bekannt, dass er sich in Deutschland zur Ruhe setzen wolle und übertrug Jo die Mission. Er ließ uns seinen alten Jeep da, damit Jo die Medikamentenlieferungen abholen konnte. Ab und zu begleitete ich ihn bei diesen Fahrten, um einige für mich notwendigen Utensilien einzukaufen.

Alles lief wunderbar, bis die Unruhen im Land begannen. Das hatte zur Folge, dass wir keine Lieferungen mehr erhielten und unsere Patienten nur notdürftig versorgen konnten. Jo widmete sich in dieser Zeit verstärkt seinen Forschungen nach einem Heilmittel. Dafür zog er sich in das verschlossene Labor zurück und niemand durfte ihn dort stören. Ich verbrachte nun fast jeden Tag bei den alten Ruinen.

Und dann begannen die nächtlichen Schreie. Sie klangen, als ob ein Mensch sie in höchster Todesangst ausstoßen würde. Als ich Jo darauf ansprach, erklärte er mir, dass das seine Patienten seien, die ohne Schmerzmittel nicht schlafen könnten. Ich gab mich mit dieser Erklärung zufrieden und versuchte, die Schreie zu gut wie möglich zu überhören.

Als die Unruhen nach etwa zwei Jahren vorbei waren, trafen auch die Lieferungen wieder ein. Froh, mal wieder etwas anderes zu sehen, fuhr ich mit. Ich tätigte meine Einkäufe, danach schlenderte ich einfach so die Straße entlang. Plötzlich sprach mich diese alte Frau, sie fragte, ob ich vielleicht ein paar ihrer Kräuter kaufen wolle. Sie hätte Kräuter für alles Mögliche, von Magenproblemen bis hin zu Schlafstörungen.

Dankend lehnte ich ab, aber sie ließ nicht locker. Sie meinte, ich sähe so traurig aus und ich solle ihr den Grund dafür nennen, bestimmt hätte sie ein Kraut dafür. Dafür bestimmt nicht, erklärte ich und wollte weitergehen.

Es gäbe für alles ein Mittel, beharrptete sie, dann fragte sie, wo ich denn herkäme.

Ich stamme aus Deutschland, aber lebe zurzeit hier, erwiderte ich genervt.

Ob ich hier in diesem Ort leben würde, wollte sie wissen.

Ich erklärte ihr, dass ich mit meinem Mann in der Mission leben würde und dass ich jetzt dorthin zurück müsse. Daraufhin nickte sie nur und verschwand.

Froh, sie endlich losgeworden zu sein, ging ich zu unserem alten Jeep und wartete auf Jo, der kurze Zeit später erschien.

Mit der Zeit dachte ich nicht mehr an die alte Kräuterfrau und nahm meine Spaziergänge zu der alten Ruine wieder auf. Umso erstaunter war ich, als ich sie eines Tages dort antraf. In ihrer Begleitung befand sich jetzt allerdings ein junges Mädchen so etwa im Alter von achtzehn, neunzehn Jahren, die sie mir als ihre Tochter vorstellte. Ich konnte es kaum glauben, denn diese alte Frau war bestimmt schon jenseits der sechzig.

Als ob sie meine Gedanken lesen konnte, begann sie zu kichern. Ja, sie wäre sehr spät Mutter geworden, erzählte sie mir. Und das nur dank einiger Kräuter, aus denen sie sich einen Tee zubereitet hätte. Dann fragte sie, ob ich denn auch Kinder hätte. Als ich es traurig verneinte, kicherte sie und meinte, sie könne mir die Kräuter für diesen Tee besorgen. Ich solle auch meinem Mann davon geben und uns würde bald Nachwuchs ins Haus stehen.

Aber wir wären doch schon sehr alt, wandte ich ein. Immerhin wäre ich schon Mitte vierzig und mein Mann nahe der fünfzig.

Das wäre kein Problem, erwiderte sie, ich solle morgen um die gleiche Zeit wieder dort sein und sie würde mir einen Beutel der Kräuter geben.

Große Hoffnung, doch noch Mutter zu werden, hatte ich allerdings nicht, aber so ein Kräutertee könne ja auch nicht schaden, dachte ich, als ich mich auf den Heimweg machte.

Jo war noch im Labor beschäftigt und kam ziemlich erschöpft spät in der Nacht nach Hause. Ich erzählte ihm nichts von der Begegnung.

Am nächsten Tag machte ich mich früh auf den Weg zu den Ruinen und wartete auf die Frau. Sie übergab mir einen Beutel und sagte, ich solle jeden Morgen und jeden Abend eine Tasse davon trinken und auch meinem Mann solle ich ihn geben. Er würde für einen Monat reichen. Wir würden uns dann wieder hier treffen, egal ob es geklappt hätte oder nicht.

Ich befolgte ihre Anweisungen. Jo und ich tranken also jeden Tag zwei Tassen von diesem Tee, der übrigens sehr gut schmeckte. Um unser nächtliches Eheleben brauchte ich mir keine Sorgen machen, denn seit wir hier lebten, schliefen wir fast in jeder Nacht miteinander.

Als der Monat um war, hatte sich der gewünschte Erfolg noch nicht eingestellt. Enttäuscht ging ich zu der Verabredung mit Daleira, wie sich vorgestellt hatte.

Sie sah mir gleich an, dass es keinen Erfolg gebracht hatte.

Wie sehr ich mir denn ein Kind wünschen würde, wollte sie wissen.

Sehr, erwiderte ich, mehr als alles andere auf der Welt.

Was ich denn bereit wäre, dafür zu tun, fragte sie dann.

Alles, antwortete ich, alles, was möglich wäre.

Was ich denn bereit wäre, dafür zu opfern, wollte sie listig wissen.

Ich hätte nichts, was ich opfern könne, entgegnete ich leise.

Sie könne mir ja helfen, aber dafür müsste ich eine Gegenleistung erbringen, fuhr sie fort.

Sag mir, welche, und ich bin bereit, alles zu tun, was Du von mir verlangst, bettelte sie.

Alles? Wirklich alles? Fragte sie listig.

Ich würde alles opfern, außer das Leben meines Mannes, erwiderte ich.

Dein Mann interessiert mich nicht, winkte sie ab. Aber wärst Du bereit, mir Dein Kind zu geben, wenn es ein Mädchen wird? Nicht sofort, erst wenn sie achtzehn wird.

In meiner Not stimmte ich zu.

Gut, kicherte sie. Dann befahl sie mir, ich solle beim nächsten Vollmond Punkt Mitternacht wieder hier erscheinen.

Bis dahin sollten wir ruhig weiterhin den Tee trinken.

Beim nächsten Vollmond ging ich wie befohlen zu der Ruine. Jo bekam davon nichts mit, denn er arbeitete jetzt des Öfteren auch in der Nacht in seinem Labor.

Punkt Mitternacht betrat ich den Teil der Ruine, wo die Altäre standen. Daleira erwartete mich schon. Sie war, wie bei unserem letzten Treffen, wieder alleine, ohne ihre Tochter, erschienen.

Lass uns das Ritual beginnen, meinte sie und befahl mir, mich nackt auf das steinerne X zu legen.

Gehorsam tat ich, was sie sagte. Daleira nahm aus ihrer Tasche, die sie dabei hatte, vier Lederbänder heraus und band mir Arme und Beine fest. Keine Angst, murmelte sie, es tut nicht weh.

Sie fuhr mit ihren knöchernen Fingern über meinen Körper.

Entspann Dich, flüsterte sie und umschloss mit ihren Händen meine Brüste.

Was…was tust Du da? Wollte ich wissen.

Sei ganz ruhig, dass gehört alles zum Ritual, erwiderte sie.

Aus ihrer Tasche holte sie nun ein Fläschchen mit einer öligen Flüssigkeit. Sie begann, diese auf meinem Körper zu verteilen und leicht ein zu massieren. Besonders intensiv massierte sie mir die Brüste und die Innenseiten meiner Oberschenkel damit ein. Das Ganze hatte eine erregende Wirkung auf mich und ich stöhnte leise vor mich hin.

So ist es gut, flüsterte Daleira. So bist Du gleich bereit, wenn Dein Mann erscheint.

Mein Mann? Fragte ich erstaunt. Aber er weiß doch gar nicht, wo ich bin.

Meine Tochter holt ihn gerade hierher, erwiderte sie. Sie müssten jeden Moment hier eintreffen.

Sie fuhr weiter mit ihren öligen Fingern meine Oberschenkel auf und ab. Ein Geräusch hinter ihr ließ sie innehalten.

Ach, da seid ihr ja, wandte sie sich an ihre Tochter.

Ich hob meinen Kopf an und sah, dass man Jo die Augen verbunden hatte. Nun schritt Daleira auf ihn zu und zog ihm seine Hose hinunter. Sie holte ein anderes Fläschchen aus ihrer Tasche und begann mit geschickten Fingern Jo’s Intimbereich zu massieren. Er wäre kein Mann gewesen, wenn ihn das nicht erregt hätte.

Als Daleira mit ihrem Ergebnis zufrieden war, führte sie ihn zu mir und stellte ihn mit verbundenen Augen genau zwischen meine Beine.

Sie nahm ihm die Augenbinde ab und sagte, so, nun treibt es miteinander und euer Wunsch wird in Erfüllung gehen. Danach verschwanden sie und ihre Tochter im Dunklen des Busches.

Ein paar Wochen später stellte ich fest, dass es erfolgreich war. Aber noch wollte ich Jo nichts davon sagen, denn es konnte ja auch, wie schon der Öfteren in der Vergangenheit, ein Fehlalarm sein.

Als vier Monate vergangen waren, bat ich Jo dann doch mal um eine Untersuchung.

Wir werden Eltern, stellt er erstaunt fest, um dann in Jubel auszubrechen. Er nahm mich in die Arme und wirbelte mich herum.

Wir werden endlich, nach so langen Jahren, doch noch Eltern, freute er sich. Dann stellt er mich vorsichtig wieder auf die Füße. Ab sofort sind Deine langen Spaziergänge tabu. Ich möchte nicht, dass Du so lange alleine durch den Busch streifst, bat er. Und ich werde einen Assistenzen einstellen, damit ich mehr Zeit mit Dir verbringen kann, beschloss er.

In meiner Freude vergaß ich Daleira voll und ganz. Aber sie hatte uns nicht vergessen, eines Tages stand sie in der Mission.

Na, wunderbar, sagte sie und strich über meinen nun kugelrunden Bauch. Wie ich sehe, hat es ja geklappt und Euch geht es gut. Ich werde in einigen Wochen wiederkommen, kurz bevor das Kind geboren wird. Ich hoffe, Du hältst Dein Versprechen.

Aber auch das hatte ich vergessen oder vielmehr verdrängt. Nun hoffte ich, dass unser Kind ein Junge würde. Mit der Zeit wurde ich immer niedergeschlagener. Jo bemerkte es und wollte wissen, was denn los sei, Anfangs redete ich mich heraus, dass es wohl an den Hormonen läge, aber kurz vor der Geburt hielt ich es nicht mehr aus und berichtete ihm alles.

Wir werden eine Lösung finden, versprach er.

Es war Regenzeit und ein heftiges Gewitter tobte, als meine Wehen einsetzten. Daleira war noch nicht eingetroffen, vielleicht hielt das Wetter sie ab.

Die Geburt verlief recht schnell. Als Jo unser Kind in den Armen hielt, sah er mich an und sagte, wir haben eine kleine Tochter.

Mir liefen die Tränen über die Wangen, all mein Beten und Hoffen auf einen Sohn war vergebens. Nun würde ich mein Kind in achtzehn Jahren an eine fremde Frau abgeben müssen.

Jo versorgte erst das Kind, dann kümmerte er sich um mich.

Niemand weiß, was Du geboren hast, begann er vorsichtig. Wir werden es Leonie nennen, aber nur Leo sagen. So können wir allen erzählen, es wäre ein kleiner Junge.

So geschah es dann auch.

Jo schickte mir für die erste Zeit eine seiner Schwestern als Hilfe. Er zahlte ihr eine großzügige Summe, damit sie über das Geschlecht des Kindes Stillschweigen bewahren würde.

Allerdings werde ich nie ihr Gesicht vergessen, dass sie machte, als sie unsere kleine Leonie das erste Mal badete und das Mal auf ihrer Schulter erblickte. Entsetzt starrte sie darauf und redete aufgeregt in ihrer Landessprache. Als sie fragte, was denn los sei, sah sie mich mit großen, erschrockenen Augen an. Ungläubig fragte sie mich, ob ich wirklich nicht wisse, was dieses Zeichen zu bedeuten hätte. Als ich verneinte, erzählte sie mir die Geschichte von einem Gott, dem Löwengott, der mal in Gestalt eines riesigen Löwen, mal in Menschengestalt erscheinen würde. Und alle tausend Jahre würde eine Frau erwählt, die ihm seinen Nachfolgen, einen Sohn gebären solle. Es gäbe immer nur ein Mädchen, welches bei der Geburt dieses Mal auf der Schulter hätte. Der Wille des Gottes sähe vor, dass das Mädchen nicht jünger oder älter als achtzehn sein dürfe, wenn sie seinen Sohn empfangen würde.

Anfangs dachte ich, es würde sich um eine alte Sage handeln. Auch Jo dachte in diese Richtung, als ich ihm davon erzählte. Wir wurden eines Besseren belehrt, als nach einigen Tage Daleira auftauchte.

Ihre erste Reaktion, als sie sah, dass das Kind schon geboren wurde, erschreckte mich sehr. Sie hätte doch bei der Geburt dabei sein wollen, erklärte sie wütend. Dann verlangte sie das Kind zu sehen.

Das ginge jetzt nicht, erklärte Jo ihr. Es habe sehr hohes Fieber und noch wisse er den Grund nicht dafür.

Was es denn sei, wollte sie wissen.

Ein Junge, erwiderte Jo fest. Zum Glück übernahm er das Reden, denn ich hätte mich bestimmt verraten.

Daraufhin bekam Daleira einen Tobsuchtsanfall. Sie hätte alles dafür getan, dass es ein Mädchen würde, tobte sie. Jetzt wäre es zu spät, um noch ein Kind zu erzeugen, welches dann hoffentlich ein Mädchen würde. Immerhin passe ein Junge nicht in ihre Pläne und er würde sich darauf verlassen, dass alles so klappen würde, wie sie es sich vorgenommen hätten.

Verständnislos schauten wir sie an, woraufhin sie uns wütend erklärte, sollten wir uns erdreisten, sie angelogen zu haben, würde das uns nicht gut bekommen. Wir sollten uns vor ihrer Rache in Acht nehmen.

Beim Fortgehen drohte sie uns, dass sie wiederkommen würde und dann würde sie höchstpersönlich das Geschlecht des Kindes überprüfen.

Nach diesem Erlebnis hatte ich Angst, ich konnte nachts nicht mehr schlafen und bei jedem Geräusch zuckte ich zusammen.

Ich wurde immer dünner und nervöser, Jo sah es mit Besorgnis. Er beschloss, einen Assistenten einzustellen, damit er mehr Zeit mit mir verbringen konnte. So geschah es dann, nach ein paar Tagen erschien ein junger Arzt bei uns.

Ich nahm meine Spaziergänge wieder auf und ging jeden Tag zu der Tempelruine. Dort fühlte ich mich wohl und es kam eine große Ruhe über mich. Als Leo alt genug war, nahm ich ihn hin und wieder mit. Die Schwester, die sich um ihn gekümmert hatte, begleitete uns sehr oft und erzählte Geschichten, wie es früher dort gewesen sei.

Drei Jahre vergingen, ohne das wir etwas von Daleira hörten, bis sie auf einmal in Begleitung ihrer Tochter vor uns stand. Leo spielte zu der Zeit im Hof. Argwöhnisch beäugte Daleira ihn und rief ihn zu sich. Aber Leo war ein scheues Kind und versteckte sich hinter mir.

Süß lächelnd erklärte Daleira mir dann, dass sie der Meinung sei, wir hätten sie über das Geschlecht des Kindes belogen und sie würde keine Ruhe geben, bis sie selber davon überzeugt hätte.

Als Jo erschien, funkelte Daleira ihn böse an und sagte, so sehe also seine Dankbarkeit aus. Immerhin hätte er es ihr zu verdanken, dass immer genügend Forschungsmaterial zur Verfügung stehe.

Als sie sich zum Gehen wandte und ihrer Tochter befahl, ihr zu folgen, blieb diese bei mir stehen und drückte mir einen Zettel in die Hand.

Darauf stand: Ihr solltet von hier verschwinden. Meine Mutter ahnt nicht nur, sondern sie weiß, dass ihr sie belogen habt. Sie wird keine Ruhe geben. Im schlimmsten Fall wird sie euer Kind entführen.

Wir werden von hier fortgehen, beschloss Jo. Er müsse nur noch seine Arbeit an seinen Assistenten weitergeben. Es würde so ein, zwei Tage dauern.

In dieser Nacht hörte ich nach langer Zeit wieder die Schreie eines Menschen. Beunruhigt setzte ich mich im Bett auf und wollte Jo wecken, aber der Platz neben mir war leer. Also stand ich auf und ging den Schreien nach. Mein Weg führte mich zu jenem Labor, in welchem der Zutritt strengstens verboten war. Leise schlich ich mich ans das Fenster, welches mit Gittern verschlossen war. Als ich die Stäbe berührte, merkte ich, dass diese nicht aus Eisen sondern aus einem Edelstein waren. Das Labor war hellerleuchtet, so dass ich im Inneren alles gut erkennen konnte. Und was ich sah, ließ mir den Atem stocken.

Dort saß, auf einem Stuhl gefesselt, ein Mensch. Die Fesseln schienen ihm große Schmerzen zu bereiten. Jo und sein Gehilfe entnahmen ihm jeweils eine große Menge Blut. Je mehr sie ihm entnahmen, desto leiser wurden seine Schreie, bis er ganz verstummte.

Ich glaubte schon, er wäre tot, aber dann hielt Jo ihm ein Glas mit einer roten Flüssigkeit hin und er trank es gierig leer.

Auf seine Bitte, er bräuchte mehr von dem Blut, schüttelte Jo nur den Kopf und befahl seinem Assistenten, ihn wieder hinunter in den Keller zu bringen.

Dann nahmen sie das Blut des Mannes und injizierten es einem der Kranken, der wohl im Nebenraum gelegen hatte. Jo beauftragte den jungen Arzt, die Nacht dort zubleiben und genau zu notieren, was geschehen würde. Er machte Anstalten, das Labor zu verlassen.

Schnell und leise huschte ich zurück in unser Schlafzimmer. Kaum lag ich unter der Decke, als Jo schon den Raum betrat. Ich stellte mich schlafend.

In der nächsten Nacht verließen wir das Land. Jo hatte einige Männer engagiert, die uns quer durch den Dschungel in ein anderes Land brachten, von wo aus wir den Flieger nach Deutschland nahmen.

Um Leo ruhig zu stellen, hatte Jo ihm eine kleine Dosis Schlafmittel gegeben.


15. Kapitel


Leo war so vertieft in ihre Lektüre, dass sie gar nicht bemerkte, wie Draco eintrat. Er sah lächelnd auf sie hinunter, ihre Wangen waren gerötet und ihre Augen flogen nur so über das Papier. Draco war eigentlich in der Absicht erschienen, Leo an das Abendessen zu erinnern.

Draco hatte in der Zwischenzeit mit Jean über seine Entdeckung in den Kellerräumen geredet.

„Wozu, glaubst Du, hat er diesen OP eingerichtet?“ fragte Jean, als Draco geendet hatte. „Meinst Du, er wollte hier im Haus weiterpraktizieren?“

„Ich weiß nicht, es könnte sein.“ überlegte Draco. „Aber ich habe den Verdacht, dass er die Absicht hatte, Leo auch optisch in einen Jungen zu verwandeln. Ich habe dort nämlich jede Menge Bücher über Geschlechtsumwandlungen gefunden.“

„Denkst Du wirklich, ein Vater wäre zu so einer Tat fähig?“ wollte Jean entsetzt wissen. „Und die Mutter? Ich glaube kaum, dass sie so etwas zugelassen hätte.“
„Wenn sie davon überhaupt gewusst hat.“ meinte Draco nachdenklich. „Ich weiß nicht, wie weit Elternliebe gehen kann.“

„Du solltest Lumina und Lieu über Deine Entdeckung informieren.“ riet Jean. „Wenn Du willst, lasse ich ihnen Bescheid geben, damit sie herkommen.“

„Lass mich darüber nachdenken.“ bat Draco. „Und ich weiß auch noch nicht, ob ich Leo davon berichten soll.“

„Ich würde Dir davon abraten. Rede erst mal mit Lieu und dann entscheide, ob Leo davon Kenntnis erhalten soll.“ meinte Jean.

„So werde ich es machen.“ erwiderte Draco. „Jetzt sehe ich erst mal nach Leo. Und außerdem wird es Zeit für das Abendessen.“

„Jawohl, Sir.“ sagte Jean unterwürfig mit einer übertriebenen Verbeugung.

Leo saß währenddessen im Wintergarten und las angespannt das Tagebuch ihrer Mutter.

Wir kamen unbeschadet in Deutschland an. Leo hat die ganze Zeit geschlafen, auf Grund des Schlafmittels. Als wir hier im Schloss ankamen, erwartete uns niemand. Jo’s Eltern waren während unseres Aufenthaltes in Afrika verstorben und hatten ihm alles, was sie besaßen, hinterlassen. Geldsorgen hatten wir also keine, so dass Jo keinen neuen Job annehmen musste.

Ich freute mich auf ein normales Leben mit Mann und Kind, aber Jo meinte, es wäre besser, wir würden Leo im Haus verstecken. Niemand solle ihn jemals zu Gesicht bekommen. Und auch die Angestellten, die wir zu jener Zeit noch hatten, durften ihn nicht sehen.

Jo überzeugte mich, das Gerücht zu verbreiten, unser Kind wäre krank und niemand wüsste, um welche Krankheit es sich handelte, deshalb dürfe ihm niemand zu nahe kommen. Dann begann er, Leo jeden Tag eine kleine Dosis Schlafmittel zu verabreichen, damit er den ganzen Tag im Bett verbrachte. So verbrachte unser Kind die nächsten Jahre in so einer Art Dämmerzustand, bis sein Körper und seine Muskeln so schwach waren, dass es nicht mehr alleine aufstehen konnte.

Als Leo alt genug war, um zur Schule zu gehen, erfand Jo immer wieder eine neue Geschichte, warum er es nicht konnte. Schließlich engagierte er einen Privatlehrer, dem er ausdrücklich untersagte, irgendetwas über Sexualität zu unterrichten. Wir ließen Leo in dem Glauben aufwachsen, dass alle Menschen gleich wären. Damit er keinen Unterschied feststellen konnte, kleideten wir uns gleich und nahmen ihn auch nie in den Arm.

Als Leo in das Alter kam, wo normalerweise die Pubertät einsetzte, begann Jo ihm männliche Hormone zu spritzen, damit die weiblichen Geschlechtsorgane nicht ausgebildet würden. Und auch die Periode wurde so unterbunden.

Ich akzeptierte alles, was Jo vorschlug, nur um mein Kind zu schützen. Wir hörten jahrelang nichts von Daleira und dachten schon, wir hätten Ruhe vor ihr. Aber wir hatten uns getäuscht. Eines Tages, Leo war gerade siebzehn, stand sie auf einmal vor unserer Tür. Sie beschuldigte uns wieder, sie belogen zu haben und verlangte, das Kind zu sehen.

Aber Jo erklärte ihr, dass das unmöglich wäre, da Leo an einer hoch ansteckenden Krankheit leide und er nicht wisse, was es sei.

Ihr mache das nichts aus, erwiderte Daleira. Immerhin wäre sie eine uralte Hexe und würde sich schon zu helfen wissen, wenn sie sich anstecken würde.

Aber Jo verweigerte ihr den Zutritt, woraufhin Daleira wilde Verwünschungen ausstoßend das Haus verließ.

Wir werden nie Ruhe vor ihr haben, sagte ich zu Jo. Nicht bevor sie sieht, dass Leo ein Junge ist.

Ich weiß, sagte Jo und nahm mich in den Arm. Wir sollten ihn auch optisch zu einem Jungen machen.

Wie er sich das vorstelle, wollte ich wissen. Er erklärte mir, dass er sich schon seit längerem Gedanken darüber gemacht hätte, an Leo eine Operation vorzunehmen.

Eine Geschlechtsumwandlung? Wollte ich entsetzt wissen. Aber dazu wäre er doch gar nicht in der Lage. Und außerdem gäbe es da bestimmt große Risiken.

Jo berichtete mir, dass er schon mit einem seiner alten Studienkollegen Kontakt aufgenommen hätte, der ihm bei dieser Operation zur Seite stehen würde. In den nächsten Tagen würden wir uns mit ihm treffen, damit Leo noch vor seinem achtzehnten Geburtstag umgewandelt werden könnte.

Mit gemischten Gefühlen stimmt ich zu. Einerseits hatte ich Angst, dass meinem Kind bei der Operation etwas geschehen könnte, andererseits wollte ich es auch beschützen.

Hier endeten die Aufzeichnungen ihrer Mutter. Leo schlug das Buch zu und dachte über das Gelesene nach. Also waren ihre Eltern auf dem Weg zu einem anderen Arzt gewesen, als sie den Unfall hatten. Wenn er nicht geschehen wäre, würde sie, Leo, jetzt auch äußerlich männlich sein. Ob jemand bei diesem Unfall wohl seine Hände im Spiel hatte? Vielleicht Daleira? Diese Fragen würde Leo wohl niemand beantworten können.

Mittlerweile war es dunkel geworden und jemand hatte das Licht angezündet, aber davon hatte Leo nichts mitbekommen. Der Regen hatte auch aufgehört und der Himmel, den man durch das Glasdach sehen konnte, war wieder sternenklar. Leo stand auf und reckte sich. Sie ging in das Schlafzimmer, in der Hoffnung, sie würde Draco dort antreffen, um ihm zu erzählen, was in dem Tagebuch ihrer Mutter stand. Aber das Zimmer war leer, er war nicht da.

‚Na, er wird schon gleich erscheinen’ dachte Leo und betrat das Bad.

Nachdem sie geduscht hatte, legte sie sich auf das Bett. Erst jetzt bemerkte sie, wie müde sie eigentlich war. Obwohl sie sich krampfhaft bemühte, nicht einzuschlafen, fielen ihr immer wieder die Augen zu und schließlich schlief sie doch ein.

Draco war währenddessen zum Arbeitszimmer von Leos Vater gegangen, welches aber verschlossen war. Er hatte Jean gefragt, ob er einen Schlüssel davon hätte, was dieser aber verneinte. Dies wäre das einzige Zimmer, zu dem es keinen Schlüssel gäbe, erwiderte Jean.

Gemeinsam hatten Draco und Jean dann die Tür mit einem Dietrich geöffnet. Hier lag alles unter einer dicken Staubschicht. Drei Wände des Zimmers waren mit Bücherregalen voll gestellt. Langsam ging Draco an den Buchreihen vorbei, als Jean ihn allein gelassen hatte. Die meisten der Bücher handelten von medizinischen Dingen. Auf dem Schreibtisch lagen Unmengen von Papieren. Draco nahm einige davon in die Hand und überflog sie. Sein Verdacht schien sich zu bestätigen, Leos Vater hatte wohl wirklich die Absicht gehabt, eine Geschlechtsumwandlung vorzunehmen. Angewidert verzog Draco das Gesicht. Er legte die Papiere wieder zurück, dabei fiel sein Blick auf einen geöffneten Umschlag, aus dem die Ecke eines Briefes hervorschaute.

Neugierig nahm er den Brief heraus und las ihn. Daleira hatte ihn kurz vor dem Tod von Leos Eltern geschrieben und er klang wie eine Drohung.

Ihr entkommt mir nicht’ stand da in steiler Schrift. ‚Ich weiß, dass Ihr mich all die Jahre versucht habt, zu täuschen und Euch nicht an unsere Abmachung halten wollt, aber ich wusste von Anfang an, dass es ein Mädchen war, welches Euch geboren wurde. Eure Flucht und Eure Versuche, das Kind zu verstecken oder als unheilbar krank hinzustellen, nützen Euch nichts. Das Schicksal Eurer Tochter wird sich erfüllen. Ich werde sie mir holen kommen, auch gegen Euren Willen. Sie ist nun mal dazu bestimmt, die Mutter des künftigen Löwengottes zu sein.’

Dieser Brief war wohl ausschlaggebend dafür gewesen, dass sich Leos Eltern zu dem Schritt entschieden hatten, was für Draco allerdings nicht als Entschuldigung galt.

Wenn die Reise nach Afrika nicht so lange dauern würde, hätte sich Draco am liebsten gleich auf den Weg dorthin gemacht, um mit seiner Mutter und Lieu über das Ganze zu reden. Aber er wollte und konnte Leo nicht so lang alleine lassen, nicht so lange dieser schwarze Engel noch frei herumlief.

Draco machte sich auf den Weg zur Küche und hoffte, dort Jean anzutreffen. Außerdem wollte er ein paar Blutkonserven leeren und versuchen, mit seinem Bruder Kontakt aufzunehmen. Ohne Anzuklopfen betrat er die Küche, wo die drei im Haus tätigen Vampire gerade menschlichen Besuch hatten. Bei Jean und dem Vampir, der für das Kochen zuständig war, saß jeweils ein hübsches, junges Mädchen auf dem Schoss und die Vampirin, die das Haus sauber hielt, saß auf dem Schoss eines jungen Mannes. Auf den ersten Blick erkannte Draco, dass es sich bei den Menschen nicht um Neulinge handelte, sie alle schienen dies des Öfteren zu machen.

Bei seinem Eintritt sprang Jean sofort auf, ohne auf das Mädchen auf seinem Schoss zu achten, welche unsanft auf dem Boden landete. Auch die beiden anderen Vampire wollten aufspringen.

„Bleibt ruhig sitzen.“ sagte Draco. „Ich wollte Euch nicht stören. Immerhin könnt Ihr in Eurer Freizeit tun und lassen, was Ihr wollt. Ich wollte mir auch nur etwas zu Trinken aus dem Kühlschrank nehmen.“

Jean hatte inzwischen dem Mädchen aufgeholfen und hielt es nun am Arm fest. Er wandte sich Draco zu.

„Du kannst gerne von ihr etwas abhaben, sie ist besser, als dieses kalte Zeug.“

‚Hm, so warmes, frisches Blut wäre nicht zu verachten’ dachte Draco.

Aber das kam ihn wie Verrat an Leo vor, deshalb lehnte er das Angebot dankend ab. Er nahm sich einige Konserven und verließ die Küche wieder. An der Tür drehte er sich noch mal um, sah alle an und sagte: „Noch mal Entschuldigung für die Störung. Ich wünsche Euch allen eine gute Nacht.“

Bevor er trank, wollte Draco noch nach Leo sehen, aber im Wintergarten war sie nicht mehr. Er ging Richtung Schlafzimmer, öffnete leise die Tür und sah hinein. Aber auch hier war alles leer. Draco sah auf das Bett und konnte erkennen, dass dort bis vor kurzem noch jemand lag. Er trat näher und berührte die Stelle, sie war noch warm.

‚Vielleicht ist sie im Bad’ dachte er und rief leise: „Leo, bist Du da?“ Aber es kam keine Antwort. Also betrat er das Bad, welches ebenfalls leer war. Draco stellte die Konserven ab und machte sich auf die Suche nach Leo. Er lief durch das ganze Schloss, aber nirgends war eine Spur von ihr. Danach suchte er den ganzen Garten ab, aber auch hier war sie nicht zu finden. Auch die Engel, die nachts Wache hielten, hatten Leo nicht gesehen, selbst der Engel nicht, der vor der Eingangstür stand. Leo war weg, einfach verschwunden.

Aufgeregt rannte Draco wieder in die Küche.

„Verdammt, sie ist weg.“ schrie er aufgebracht. „Einfach verschwunden.“

„Wer?“ fragte Jean.

„Na, Leo.“ erwiderte Draco. „Sie ist nirgendwo im Haus oder draußen zu finden und niemand hat sie gesehen.“

„Ganz ruhig, erzähl mal der Reihe nach.“ versuchte Jean ihn zu beruhigen.

„Da gibt es nichts zu erzählen.“ brauste Draco auf. „Ich habe sie im Wintergarten das letzte Mal gesehen und nun ist sie fort, weg, einfach verschwunden.“

Jean war zu Draco getreten, nahm ihn bei den Schultern und drückte ihn auf einen Stuhl.

„Hier, jetzt trink erst mal etwas und dann versuche, deinen Bruder zu erreichen.“ sagte Jean ruhig und drückte das Mädchen auf Dracos Schoss.

„Wir werden in der Zwischenzeit noch mal das Schloss durchsuchen.“

Draco sah das Mädchen auf seinem Schoss an und sein Blick fiel auf dessen Hals, wo aus zwei kleinen Wunden Blut sickerte. Er konnte der Versuchung nicht mehr widerstehen und presste seinen Mund darauf. Nachdem er einige kräftige Schlucke getrunken hatte, wurde er ruhiger und er konnte wieder logisch denken. Als erstes versuchte Draco nun, seinen Bruder zu erreichen, was ihm auch relativ schnell gelang. Er erzählte ihm, was vorgefallen war und bat ihn, Lumina und Lieu darüber zu informieren, danach solle er sich bei ihm melden. Wanja versprach es und beendete die Verbindung.

Draco sah das Mädchen an und stellte fest, dass es schon ziemlich blass war.

„Entschuldige, aber ich brauche noch etwas Blut von Dir.“ sagte er.

„Nimm soviel Du brauchs.t“ antwortete sie mit schwacher Stimme. „Ich werde es schon überstehen.“

Draco trank noch drei, vier Schlucke, dann biss er sich ins Handgelenk, presste es dem Mädchen auf den Mund und zwang sie so, von ihm zu trinken.

„Danke.“ sagte er und küsste sie auf die Stirn. Er setzte sie in einen bequemen Stuhl und wollte die Küche verlassen, um weiter nach Leo zu suchen. Aber sein Vorhaben wurde durch das plötzliche Erscheinen von Lumina und Lieu unterbrochen.

„Wo…wo kommt Ihr denn so plötzlich her?“ wollte er erstaunt wissen.

„Dein Bruder hat uns berichtet, was vorgefallen ist.“ erwiderte Lieu. „Da haben wir uns schnellstens auf den Weg gemacht, um zu sehen, ob wir irgendwie helfen können.“

„Aber das war erst vor ein paar Minuten.“ meinte Draco immer noch erstaunt.

„Wir sind durch die Zwischenwelt gereist.“ erklärte Lieu. „Da dauert so eine Reise nur Sekunden.“

„Jetzt erzähl uns mal in aller Ruhe, was eigentlich los ist.“ bat Lumina mit sanfter Stimme.

Draco kam ihrem Wunsch nach. Als er geendet hatte, kam Jean mit den beiden anderen Vampiren zurück. Er begrüßte Lieu und Lumina, als sei es das selbstverständlichste auf der Welt, sie hier zu sehen.

„Wir haben noch mal das ganze Schloss abgesucht.“ berichtete er dann. „Sogar auf dem Dach waren wir, aber nirgends eine Spur von Leo. Das Beste wird sein, der Spur ihres Geruches zu folgen.“

Dies übernahm Draco, da er ihren Geruch am besten kannte. Da er vermutete, dass Leo zuletzt im Schlafzimmer war, begann er mit seiner Suche dort. Lumina und Lieu folgten ihm. Draco folgte dem Geruch, der noch frisch und warm war. Er führte ihn in die Eingangshalle. Dort befand sich neben dem linken Treppenaufgang die Tür, die zum Keller führte. Leo war allem Anschein nach in den Keller gegangen. Draco war so darauf konzentriert, der Spur zu folgen, dass er darüber seine kurz vorher gemachte Entdeckung vergaß. Am Fuß der Kellertreppe führte die Spur nach links, dorthin, wo der Weinkeller war. Dort endete sie plötzlich vor einer Wand.

„Es muss hier eine Geheimtür geben.“ mutmaßte Lieu, als Draco stoppte.

Die Beiden tasteten die Wand ab, um einen verborgenen Hebel oder ähnliches zu finden. Schließlich stießen sie auf einen losen Stein. Als sie diesen ein Stück herauszogen, öffnete sich tatsächlich ein Stück Mauer und sie konnten hindurchgehen. Dahinter befand sich ein Gang, der wohl als Fluchttunnel gedacht war. Hier ging die Spur von Leo weiter. Nach etwa hundert Metern endete der Tunnel in einem Wald und hier endete auch die spur von Leo.

„Super, von hier aus ist sie wohl geflogen.“ brauste Draco auf.

„So in etwa.“ erwiderte Lieu, der sich suchend am Boden umgesehen hatte. Er hielt eine schwarze Feder hoch. „Ich vermute, dieser schwarze Engel hat sie. Dies ist eine Feder von einem Flügel. Und hier,“ er hielt ein Tuch hoch, „mit Äther getränkt, um sie zu betäuben.“

„Was will er mit Leo? Und wo ist er mit ihr hin?“ fragte Draco, dem die Wut in der Stimme anzumerken war.

„Ich kann nur vermuten, dass er das vollenden will, was Daleira nicht geschafft hat.“ erwiderte Lieu. Er sah zum Himmel auf, der mittlerweile wieder klar war. „Morgen Nacht ist Vollmond. Er wird Leo dorthin gebracht haben, wo das Ritual vollzogen werden muss.“

„Das heißt, er ist mit ihr nach Afrika?“ wollte Draco wissen. „Und wie soll ich so schnell dorthin kommen?“

„Lass uns erst mal zurückgehen, um den Anderen zu sagen, dass wir ahnen, was mit Leo geschehen ist.“ meinte Lumina. „Dann werden wir uns eine Lösung überlegen.“

„Viel Zeit bleibt uns aber nicht.“ wies Draco hin.

Sie kehrten ins Schloss zurück, wo Lieu alle, auch die Engel aus dem Garten zusammenrief und ihnen mitteilte, was sie herausgefunden hatten. Danach beauftragte er die Engel, nach Afrika zu fliegen.

Als die Engel sich auf den Weg gemacht hatten, sah Lieu die drei verbliebenen Vampire an.

„Euch möchte ich bitten, hier zu bleiben. Lumina, Draco und ich werden uns auch gleich auf den Weg dorthin machen.“

„Ich würde Euch sehr gerne begleiten.“ sagte Jean und sah Lieu bittend an.

„Und wie sollen wir nun dahin kommen?“ fragte Draco.

„Wir werden den Weg nehmen, auf dem wir hierher gekommen sind.“ erklärte Lieu lächelnd. „Vertraut ihr uns?“

Als Jean und Draco zustimmend nickten, bat Lieu, dass sie sich bei den Händen fassten und die Augen schlössen.

„So, jetzt könnt Ihr Eure Augen wieder öffnen.“ sagte Lieu Sekunden später.

Erstaunt sah Draco, dass sie sich in der alten Tempelanlage befanden. Dort hatten sich schon etliche Vampire, Engel und Bewohner der unterirdischen Stadt versammelt. Auch Wanja, sein Bruder stand dort. Er kam auf Draco zu, umarmte ihn und sagte: „Schön Dich wiederzusehen, nur hätte ich mir andere Umstände gewünscht.“

Lieu hatte sich währenddessen informieren lassen.

„Er ist hier.“ wandte er sich nun an Jean und Draco. „Aber da der Altar hier zerstört ist und dadurch das Ritual nicht durchgeführt werden kann, hat er sich in der alten Mission versteckt. Wir werden uns morgen Abend bei Einbruch der Dunkelheit dorthin auf den Weg machen.“

Lieu ließ einige Wachen dort und die Anderen begaben sich nach unten in die Kristallstadt. Dort wurden sie von Candle erwartet, die sich aufgeregt erkundigte, ob man Leo gefunden hätte. An ihrer Seite stand ein Mann, der wohl der Vater von Leo war. Bei seinem Anblick fiel Draco wieder seine Entdeckung ein. Wütend wollte er sich auf ihn stürzen, aber Lieu hielt ihn im letzten Moment zurück.

Er nahm ihn fest beim Arm und zog ihn in das Nebenzimmer.

„Ich kann ja verstehen, dass Du sauer auf die Beiden bis.t“ sagte er zu Draco. „Aber, was bitte, sollte das gerade?“

„Sauer?“ fuhr Draco auf. „Sauer? Ich bin stinkwütend.“ Dann berichtete er Lieu von dem, was er im Schloss entdeckt hatte.

„Weiß Leo davon?“ wollte Lieu wissen.

„Nein, ich wollte das erst mit Euch besprechen.“ antwortete Draco, nun schon etwas ruhiger. „Aber dann kam Leos Verschwinden und ich habe es ganz vergessen bis zu dem Moment, als ich ihn erblickte.“

„Ich kann Dich verstehen, wahrscheinlich hätte ich genauso reagiert. Aber im Moment ist es wichtiger, Leo zu finden und vor dem zu Bewahren, was ihr angetan werden soll.“ sagte Lieu und sah Draco eindringlich an. „Danach werden wir uns um Candle und ihren Mann kümmern.“

„Du hast Recht.“ stimmte Draco zu. „Aber halte ihre Eltern bitte fern von mir.“

Nachdem Lieu den Raum verlassen hatte, kam Wanja herein.

„Hey, Brüderchen, so hab ich Dich ja noch nie erlebt.“ lachte er Draco an. „Hier, trink erst mal etwas zur Beruhigung..“ Er reichte Draco ein großes Glas.

„Nebenan beratschlagen sie gerade, wie wir morgen vorgehen wollen.“ berichtete er weiter. „Wir sollten uns dazu gesellen. Keine Panik, Leos Eltern sind aus dem Raum verbannt worden.“

„Wieso ist eigentlich Leos Vater hier?“ wollte Draco wissen.

„Hm, Lieu hatte wohl seinen sozialen Tag, als er ihn herholte. Oder ihm tat Candle einfach nur leid. Die Tochter will nichts von ihr wissen und der Mann lebt in der Zwischenwelt, das hat sie schon sehr deprimier.t“ antwortete Wanja.



Leo war, nachdem sie verzweifelt gegen ihre Müdigkeit angekämpft hatte, dann doch eingeschlafen.

„Leo, Leo, wo bist Du? Komm mal her, ich möchte Dir etwas zeigen.“ hörte sie Draco rufen. Sie stand auf und folgte der Stimme, die aus der Eingangshalle zu kommen schien. Aber dort war niemand.

„Ich bin hier unten im Keller.“ erklang Dracos Stimme.

Leo stieg die Stufen hinab und blieb am Fuß der Treppe ratlos stehen.

„Geh nach links.“ wurde sie aufgefordert.

Leo folgte dem Gang, bis sie in einem Keller stand, wo es nach Wein roch und sich Weinfässer befanden.

„Siehst Du die Tür in der Wand? Geh hindurch und folge dem Gang. Am Ende erwartet Dich eine Überraschung.“ versprach Draco.

Ohne eine Spur von Angst befolgte Leo die Anweisung. Was sollte ihr schon geschehen? Immerhin wartete Draco dort irgendwo in der Dunkelheit auf sie.

Ihr kam der Gang endlos lang vor, aber schließlich sah sie ein helleres Viereck, auf das sie zusteuerte. Leo trat durch die Öffnung ins Freie. Kaum hatte sie einen Schritt nach draußen getan, presste ihr jemand ein übelriechendes Tuch auf Mund und Nase und ihr wurde schwarz vor Augen. Das Letzte, was sie hörte, war ein hämisches Lachen….

Langsam kam Leo wieder zu sich, ihr Kopf schmerzte und ihr Mund war trocken. Sie öffnete die Augen, nur um sie gleich wieder zu schließen, denn das Sonnenlicht tat ihr weh.

‚Tolle Überraschung’ dachte sie und wollte ihr Arme ausstrecken, da ihre Schultern schmerzten. Aber es ging nicht, sie waren auf dem Rücken gefesselt. Bei jeder Bewegung schnitten ihr die Fesseln tiefer ins Fleisch.

Vorsichtig blinzelte sie durch die halbgeschlossenen Lider, um zu sehen, wo sie sich befand. Das Sonnenlicht schien rötlich durch das gegenüberliegende Fenster, welches vergittert war. War es das Morgen- oder das Abendrot? Leo hatte jegliches Zeitgefühl verloren.

Langsam gewöhnten sich ihre Augen an das Licht und sie konnte sich nun genau umsehen. Irgendwie kam es hier bekannt vor. In diesem Raum war sie vor nicht allzu langer Zeit schon einmal gewesen. Schlagartig erkannte sie, wo sie sich befand, es war das Labor, in dem Wanja gefangen gehalten worden war. Wie kam sie hierher? Und wer brachte sie hierhin? All diese Fragen schossen ihr durch den Kopf.

„Es wird Zeit, die Sonne geht gleich unter.“ hörte sie eine männliche Stimme sagen. ‚Also war es Abend’ dachte Leo und lauschte den Schritten, die sich nun näherten.

„Holt sie und bringt sie hierher.“ sagte die Stimme. „Ich will sie vorbereiten, solange es noch hell ist.“

„Ja, Meister.“ erwiderte eine andere männliche Stimme unterwürfig. „Wie Du befiehlst.“

Die Schritte kamen näher, es hörte sich so an, als wären es zwei oder drei Männer, die sich dem Labor näherten.

Aus einem Impuls heraus schloss Leo ihre Augen. Sie spürte, wie sich zwei Arme unter sie schoben, sie hochhoben und nach draußen trugen.

„Legt sie dorthin.“ erklang es wie ein Befehl.

Leo spürte, wie sie auf etwas Kaltes, Hartes gelegt wurde.

„Hm, sie schläft noch.“ sagte der Mann, der wohl das Sagen hier hatte.

Leo kämpfte gegen die Versuchung an, ihre Augen zu öffnen. Sie spürte, wie ihr die Fesseln an den Händen durchtrennt wurden.

Ihr wurde die Kleidung ausgezogen, es mussten also mehr als zwei Mann sein. Ihre Arme wurden nach oben gebogen und in gespreizter Stellung wieder festgebunden, das gleiche machte man mit ihren Beinen.

„Holt schon mal die Kerzen und stellt sie auf, ich werde in der Zwischenzeit die Beschwörung aufmalen.“ befahl der Mann.

Leo spürte, wie er ihren Körper bemalte und dabei in so einer Art Singsang eine Beschwörung murmelte. Vorsichtig spähte sie zwischen ihren Lidern hindurch und sah, dass dieser Mann die gleichen komischen Zeichen auf ihren Körper malt, wie damals Daleira.

‚Nicht schon wieder dieses blöde Henna’ dachte sie genervt. Jetzt würde sie wieder tagelang diese komischen Dinger auf ihrem Körper haben.

In der Zwischenzeit hatten seine Helfer die Kerzen geholt und stellten sie nun an ihren Armen und Beinen auf. Mittlerweile war es schon dunkel geworden, so dass sie die Kerzen anzündeten.

„Ihr könnt Euch jetzt zurückziehen, den Rest mach ich alleine.“ erklang die befehlende Stimme des Mannes. Danach war alles still.

„Du bist wunderschön.“ flüsterte die Stimme an ihrem Ohr. „Schade, dass Du noch schläfst, ich hätte Dir gerne dabei in die Augen gesehen.“

Etwas raschelte leise und Leo hatte das Gefühl, als würde eine Feder über ihren Körper streichen. Diese Berührung ließ ihr einen Schauer über den Rücken laufen.

Sie öffnete ihre Augen nun ganz und sah den Mann, der vor ihr stand an. Was sie sah, verschlug ihr für einen kurzen Moment den Atem. Dieser Mann war von atemberaubender Schönheit. Sein nackter Oberkörper glänzte im Schein der Kerzen, aber am schönsten waren seine schwarzen, riesigen Flügel, von denen einer sanft über ihren Körper strich.

„Du bist also dieser schwarze Engel, der Helfer von Daleira.“ stellte Leo fest.

„Oh, Du bist ja wach.“ erwiderte er sichtlich erfreut. „Ja, Du hast Recht, der bin ich.“

„Und Du hast mich hierher gebracht. Darf ich wissen, aus welchem Grund?“ fragte Leo.

„Aus dem gleichen Grund, aus dem Daleira Dich herbrachte.“ antwortete er und lächelte.

„Aber der Sohn Lieus ist tot, was also soll ich hier?“ hakte Leo nach.

„Ja, er ist tot.“ bestätigte er. „Aber nun werden wir zwei einen neuen Gott zeugen. Und er wird alles Böse dieser Welt in sich tragen.“

Bei diesen Worten entledigte er sich seiner schwarzen Jeans und stand nun völlig nackt vor Leo.

„Und wieso ausgerechnet ich?“ wollte Leo wissen.

„Weil Du das Mal der Auserwählten auf Deiner Schulter trägst.“ erwiderte er.

„Und wer hat mich dazu ausgewählt?“ fragte sie.

„Eigentlich machen das die Götter“ begann er. „Aber Lieu wollte keinen Nachfolger mehr, deshalb hat Daleira das in die Hand genommen. Sie als uralte Hexe hatte die Macht dazu. Und jetzt hör auf zu fragen.“

Er trat näher zu ihr.

„Nur eins noch.“ sagte Leo schnell, denn sie spürte, dass Draco in der Nähe war. Sie fühlte die Wärme, die von ihm ausging. „Verrat mir wenigstens Deinen Namen. Schließlich möchte ich wissen, wie der Vater meines Kindes heißt.“

„Wenn es denn sein muss.“ stöhnte er auf. „Mein Name lautet Asmodee.“

Nun trat er ganz dicht an Leo heran, so dass sich ihre Körper berührten. Und dann ging alles sehr schnell. Leo spürte nur, wie er von ihr fortgerissen wurde und sie sah, wie Draco und Wanja mit ihm kämpften. Asmodee wehrte sich verzweifelt, hatte aber gegen die Beiden keinerlei Chance.

„Halt, ich will ihn lebend.“ hörte Leo Lieu rufen.

Wanja und Draco gehorchten und bogen die Arme Asmodees nach hinten. Lieu trat zu ihnen und blieb genau vor Asmodee stehen. Er sah ihn streng an und meinte: „Du also.“

Dann wandte er sich um und rief: „Bringt die anderen her.“

Aus der Dunkelheit kam eine ganze Schar von Vampiren und Leuten aus der Kristallstadt. Sie führten sechs an Händen und Füßen gefesselte Vampire mit sich. Als sie vor Lieu ankamen, zwangen sie ihre Gefangenen auf die Knie. Lieu sah stumm von einem zum anderen, dann wandte er sich wieder Asmodee zu.

„Sag mir, warum.“ befahl er knapp.

„Warum?“ erwiderte Asmodee. „Sieh Dich doch um, was Du gemacht hast. Du hast die Vampire dazu gebracht, keine Jagd mehr auf Menschen zu machen. Du hast dafür gesorgt, dass die Werwölfe und die Vampire keine Feinde mehr sind, kurz gesagt, Du hast alles verändert. Meinst Du, es wären alle damit einverstanden gewesen? Und das aller Schlimmste war, als Du sie“ er zeigte mit dem Kinn auf Lumina, die etwas abseits stand, „zur Göttin gemacht hast und ihr die Kristalle übergeben hast.“

„Und das hat Dich zum Verräter werden lassen?“ fragte Lieu kopfschüttelnd. „Es hat unter der Herrschaft der vergangenen Götter genug Streit und Blutvergießen gegeben, es musste ein Ende haben. Du hast gesehen, was die Menschen mit unserem Tempel gemacht haben und uns gezwungen haben, unter der Erde zu leben. Willst Du, dass es wieder so wird? Das jeder, der anders ist als der Mensch gnadenlos gejagt und getötet wird? Selbst vor Euch Engel haben sie keinen Halt gemacht.“

Beschämt senkte Asmodee seinen Kopf.

„Ich habe mich von Daleira und Eurem Sohn blenden lassen.“ bekannte er reumütig. „Ich glaubte ihren Worten, dass alles besser würde, wenn Ihr erst mal fort wäret und Euer Sohn Euren Platz eingenommen hätte.“

„Mit dem Ziel, die Welt in Dunkelheit versinken zu lassen.“ fügte Lieu hinzu.

„Deine Reue kommt zu spät, Du weißt, dass ich Dich bestrafen muss.“

Er nickte Wanja und Draco zu, worauf diese Asmodee auf die Knie zwangen.

Leo, die zwischenzeitlich von jemandem losgebunden wurde, saß auf den Steinen und hatte dem Ganzen schweigend zugesehen. Als sie sah, dass Lieu sich anschickte, Asmodee mit einem Schwert den Kopf abzuschlagen, sprang sie auf, wickelte sich in das Tuch, welches ihr gereicht worden war und rief: „Nicht! Töte ihn nicht. Sieh seine Augen, sie werden blau. Er stand wohl unter so einer Art Bann.“

Bei ihren Worten war sie zu Lieu getreten und hielt seinen Arm mit dem Schwert fest. Unwirsch wollte er sie abschütteln, aber dann sah er Asmodee an.

„Aber ich muss ihn bestrafen.“ widersprach Lieu.

„Bestrafen ja, aber nicht töten.“ bat Leo leise und eindringlich.

Lieu sah sie erstaunt an.

„Du bittest um sein Leben, obwohl er Dich entführt und hierher gebracht hat, um das dunkle Werk zu vollenden?“ fragte er.

„Ja“ erwiderte Leo mit gesenktem Kopf. „Er tat es nicht freiwillig, Daleira hat ihn mit einem Zauber belegt, so dass er glaubte, er würde das Richtige machen. Dafür kannst Du ihn nicht so hart bestrafen.“

Nachdenklich sah Lieu auf Asmodee, der mit gesenktem Kopf vor ihm kniete, immer noch von Wanja und Draco gehalten, dann sah er zu Lumina hinüber, die unmerklich mit dem Kopf nickte und ihn anlächelte.

„Nun gut“ seufzte Lieu ergeben. „Ich lass Dich leben, aber Strafe muss sein.“

Schnell hob er sein Schwert und schlug mit einem Hieb Asmodees Flügel ab.

Asmodee verzog schmerzhaft das Gesicht, aber kein Laut kam über seine Lippen.

„Bedank Dich bei ihr.“ knurrte Lieu.

„Lasst ihn los.“ wandte sich Lieu an Wanja und Draco. „Er ist seiner Kraft beraubt und jetzt so schwach wie ein Mensch. Ich glaube kaum, dass er versuchen wird, fortzulaufen.“

„Und nun zu Euch.“ wandte er sich an die sechs Vampire, die ihn angstvoll ansahen. „Euch werde ich nach Venedig zurückschicken. Dort wird sich Madame LeNoire um Euch kümmern. Euer Clan befindet sich bereits in ihren Händen. Ich werde es ihr überlassen, was mit Euch geschieht.“

Draco hatte Leo zwischenzeitlich zurück zu den Steinen geführt. Er hatte sich daraufgesetzt und Leo an sich gezogen. Sie schmiegte sich eng an ihn und sah ihn an.

„Bring mich bitte nach Hause.“ bat sie leise.

„Damit müsst Ihr noch etwas warten.“ hörte Leo eine bekannte weibliche Stimme sagen.

„Marie.“ rief sie erfreut. „Ihr seid auch hier? Wo ist Belziel?“

„Dort.“ sagte Marie und zeigte auf die Gruppe Männer, die die Vampire gefangen hatten. „Wir werden sie mit einigen Anderen nach Venedig begleiten.“

„Und worauf müssen wir noch warten?“ wollte Leo wissen. „Ich möchte so schnell als möglich fort von hier.“

„Das kann ich verstehen, aber Lieu möchte, dass Ihr dabei seid, wenn dieser Ort hier vernichtet wird.“ erwiderte Marie.

„Schade, dass Du uns schon so schnell wieder verläss.t“ bedauerte Leo.

„Ach, so schnell ist das nun auch nicht.“ lachte Marie. „Wir werden erst bei Tagesanbruch aufbrechen. Es müssen noch einige Vorbereitungen getroffen werden.“

Den gefangenen Vampiren wurden die Augen verbunden, dann wurden sie weggeführt.

„Wo bringt man sie hin?“ wollte Leo wissen.

„Nach unten, in eine sichere Zelle.“ antwortete Marie.

„Und ihn? Was ist mit ihm?“ fragte Leo und deutete mit dem Kinn auf Asmodee.

„Er kommt auch erst mal nach unten.“ entgegnete Marie. „Und dann wird man sehen.“

Fast alle waren fort, als Lieu mit Lumina zu ihnen kam.

„Dieser Ort hat genug Schmerz und Leid gebracht.“ sagte Lieu. „Damit das ein Ende hat, werden wir ihn vernichten.“

Er forderte Draco, Marie und Leo auf, ihm zu folgen. Nachdem sie einige Meter von der Mission entfernt waren, blieb er stehen und drehte sich um. Die anderen taten es ihm nach und sahen, dass die Gebäude in Flammen standen.

Erst als alles komplett niedergebrannt war, wandte sich Lieu zum Gehen.

Als sie unten in der Kristallstadt ankamen, sagte Marie an Leo und Draco gewandt: „Kommt, ich bring Euch zu Eurem Zimmer. Ihr werdet diese Nacht noch hier verbringen und könnt Euch morgen auf die Heimreise machen.“

Als sie in dem Zimmer ankamen, welches ganz oben in einem Turm lag und von wo aus man einen herrlichen Blick über die ganze Stadt hatte, sagte Marie an Leo gewandt: „So, Du lässt Dir jetzt erst mal ein Bad ein. Ich bring Dir gleich was, womit Du dieses Hennazeug ab bekommst.“ Dann ließ sie die Beiden allein.

Leo drehte sich zu Draco und bat flüsternd: „Nimm mich bitte in den Arm und versprich mir, mich nie wieder alleine zu lassen.“
Gerne kam Draco dieser Aufforderung nach und schloss Leo fest in seine Arme. Sie hob den Kopf, sah ihm in die Augen, schlang ihre Arme um seinen Hals, zog ihn zu sich hinunter und küsste ihn.

Draco nahm ihre Arme von seinem Hals, schob Leo ein Stück von sich und sagte lachend: „Du hast gehört, was Marie gesagt hat. Also ab ins Bad mit Dir. Wir haben nachher noch genügend Zeit.“

Schmollend gehorchte Leo und verschwand. Als sie das Bad betrat, stockte ihr der Atem. Eine riesige, in den Boden eingelassene Badewanne füllte fast den ganzen Raum aus. Leo ließ sich Wasser ein und stieg hinein. Kurz darauf erschien Marie und schüttete aus einer Flasche eine wohlriechende Flüssigkeit hinein.

„So, dass wird den Großteil des Hennas entfernen. Eine minimale Färbung wird wohl noch einige Zeit bleiben, aber die wird auch verblassen.“

„Danke.“ murmelte Leo.

Marie hockte sich auf den Boden und sah Leo an.

„Darf ich Dich mal was fragen?“ begann sie vorsichtig.

„Sicher.“ erwiderte Leo.

„Aber Du darfst das nicht falsch verstehen.“ bat Marie. „Und wenn Du der Meinung bist, es geht mich nichts an, dann sag es.“

„Hmm.“ machte Leo und nickte.

„Es ist nur so.“ sagte Marie. „Diese Sache konnte nur geschehen, weil Du noch Jungfrau bist. Ich frage mich, wieso hast Du noch nicht mit Draco geschlafen?“

„Ich weiß nicht.“ antwortete Leo. „Vielleicht mag er meinen Körper nicht. Sieh mich doch an, da ist alles flach.“

„So ein Quatsch.“ widersprach Marie. „Da ist alles so, wie es sein sollte. Aber nun werde ich Dich alleine lassen.“

Sie ging zur Tür, dort wandte sie sich noch mal zu Leo um.

„Ich werde Dir Draco herein schicken, mach was draus.“ grinste sie und verschwand.

„Du möchtest zu Leo kommen, sie will jetzt nicht allein sein.“ sagte Marie, als sie das Zimmer betrat zu Draco.

„Dann bleib Du doch bei ihr.“ meinte er.

„Äh, ne, das geht nicht, ich muss Vorbereitungen für morgen treffen.“ entgegnete sie und verließ den Raum.

Verwirrt sah Draco ihr hinterher, dann ging er zur Badezimmertür und klopfte leise an.



16. Kapitel


„Darf ich?“ fragte Draco, nachdem er die Tür ein Stückgeöffnet hatte.

„Klar, komm rein.“ erwiderte Leo.

Langsam betrat Draco das Bad und ging zu Leo. Er nahm sich einen Hocker und setzte sich neben die im Boden eingelassene Wanne.

„Wie fühlst Du Dich?“ wollte er wissen.

„Eigentlich ganz gut.“ erwiderte Leo lächelnd. „Aber ich würde mich besser fühlen, wenn ich nicht so zu Dir aufsehen müsste. Davon schmerzt mein Nacken.“

„Und was soll ich dagegen tun?“ erkundigte sich Draco.

„Hm, ausziehen und zu mir in die Wanne kommen.“ schlug Leo vor.

„Das wäre eine Möglichkeit.“ stimmte Draco zu. „Oder aber Du kommst heraus.“

„Nö, ich will nicht. Komm Du zu mir.“ entgegnete Leo.

„Na gut.“ seufzte Draco, stand auf, zog sich seine Schuhe, T-Shirt und Jeans aus und wollte in Boxershorts in die Wanne steigen.

„So etwa?“ fragte diese erstaunt. „Ne, zieh ruhig alles aus. Und keine Sorge, ich weiß mittlerweile, wie ein nackter Mann aussieht.“ fügte sie grinsend hinzu.

Nachdenklich sah Draco auf Leo hinab. Irgendwie war sie verändert, aber es waren nicht ihre Haare, die sich in der Feuchtigkeit kräuselten, es war nichts Äußerliches. Auch ihre Aura schimmerte wieder immer perlmuttfarben.

Kaum saß Draco in der Wanne, rutschte Leo ganz dicht an ihn heran, legte ihren Kopf auf seine Schulter und malte mit ihrem Zeigefinger Kringel auf seine Brust.

Draco legte seinen Arm um Leos Schulter und hauchte ihr einen Kuss auf das Haar.

„Warum wolltest Du eigentlich nicht, dass Asmodee getötet wurde?“ fragte er vorsichtig. „Er hätte für das, was er tat, doch den Tod verdient.“

„Weil ich, als er so nah bei mir stand, gespürt habe, dass er das alles nur machte, weil er unter einem Bann stand. Nichts von dem tat er von sich aus.“ antwortete Leo.

„Wie konntest Du das spüren?“ wollte Draco wissen.

„Ich weiß nicht.“ erwiderte Leo. „Wenn Du in meiner Nähe bist, fühle ich das auch. Dann ist es so, als würde ich von einer Wärme eingehüllt, so, als säße man an einem kalten Winterabend vor einem brennenden Kamin“ versuchte sie zu erklären.

„Und das spürst Du bei jedem Anderen auch?“ fragte Draco weiter.

„Ja.“ entgegnete Leo knapp. „Aber ich möchte jetzt nicht mehr darüber reden, ich würde lieber etwas anderes tun.“

Sie drehte ihren Kopf zu Draco und küsste ihn. Draco erwiderte ihren Kuss, der von Leos Seite immer leidenschaftlicher wurde.

Leo, die sich sonst eher passiv verhielt, ließ ihre Hand über Dracos Brust hinunter zu seinem Bauch gleiten. Sie streichelte über seine Hüften hinunter bis zu seinem Oberschenkel.

„Lass das besser.“ murmelte Draco mit zusammen gebissenen Zähnen.

„Warum? Gefällt es Dir nicht?“ hauchte Leo fragend und schaute ihn mit unschuldigem Blick an.

„Doch, viel zu sehr.“ presste Draco hervor.

Leo tastete nach seiner freien Hand und legte sie auf ihren Bauch.

„Du kannst mir helfen, dieses blöde Henna abzuwaschen.“ forderte sie ihn verführerisch auf. „Marie hat zwar gesagt, durch das Zeug, welches sie hier reingekippt hat, würde das abgehen, aber naja.“

„Und was hat Marie hier hineingetan?“ fragte Draco

„Keine Ahnung. Es war eine ziemlich alte Flasche, in der dieses Zeug wa.r“ erwiderte Leo. „Ich glaub, es war irgendwas Ägyptisches oder so. Aber es riecht sehr gut.“

Leo fuhr mit ihrer Hand seinen Arm hinauf bis zu seiner Wange, dann griff sie in sein Haar und zog seinen Kopf zu sich.

„Küss mich.“ hauchte sie dicht an seinem Mund.

Nur zu gerne kam Draco dieser Aufforderung nach. Sie versanken in einen langen, leidenschaftlichen Kuss. Ihre Hände streichelten dabei jeweils über den Körper des Anderen. Draco spürte, das Leos Erregung wuchs. Sie schob ihr Bein über seine Oberschenkel und presste sich ganz dicht an ihn. Er hatte auch nicht die Möglichkeit, sich von ihren Lippen zu lösen. Jedes Mal, wenn er es versuchte, biss Leo ihn leicht in die Unterlippe und zwang ihn so, den Kuss fortzusetzen.

Stück für Stück schob Leo ihren Körper über seinen. Draco war viel zu überrascht, um zu reagieren. Er umfasste ihre Hüften und hielt sie fest. Ihr ganzer Körper signalisierte Bereitschaft, aber Draco wollte es nicht hier, nicht so. Ihr erstes Mal sollte nicht in einer Wanne stattfinden. Sie festhaltend, immer noch mit einem Kuss verbunden, setzte er sich langsam auf, schob eine Hand unter ihre Knie und umfasste mit der anderen ihren Oberkörper. Leo hatte ihre Arme um seinen Nacken geschlungen und hielt sich so an ihm fest. Draco stieg aus der Wanne und trug Leo hinüber zum Schlafzimmer. Als er es betrat, sah er mit einem Blick, dass jemand das Bett vorbereitet hatte. Auf schwarzem Satin waren rote Rosenblätter gestreut. Und überall im Raum standen brennende Kerzen.

‚Marie’ dachte Draco und grinste innerlich.

Langsam ließ er Leo auf das Bett sinken, wo sie sich gleich wohlig reckte. Ihr ganzer Körper war noch mit Schaum bedeckt. Draco legte sich auf die Seite neben Leo, stütze den Kopf auf seinen Arm und sah sie an. Er sah die Schlagader an ihrem Hals heftig pulsieren. In ihm keimte der Wunsch auf, dort hinein zu beißen. Aber er unterdrückte ihn. Nein, so sollte ihr erstes Mal auch nicht sein. Stattdessen beugte er sich zu ihrem Hals und küsste sie auf die pochende Ader. Langsam ließ er seinen Mund weiter wandern bis hinunter zu ihrem Bauch und von dort wieder zurück zu ihrem Hals. Er sah Leo in die Augen, welche ihn mit leicht verschleiertem Blick erwiderte. Er senkte seine Lippen auf die ihren und hielt dabei ihren Blick gefangen. In ihren Augen konnte er ein Lächeln erkennen. Langsam schob er seinen Körper auf ihren. Leo legte ihre Hände auf seinen Rücken und streichelte ihn leicht bis hinunter zu seinen Lenden. Als Draco vorsichtig in sie drang, versteifte sich ihr Körper und in ihren Augen zuckte kurz der Schmerz. Es dauerte nur eine Sekunde, dann wurde ihr Körper wieder weich und nachgiebig und ihre Augen strahlten wie Bernstein, durch den die Sonne schien.

Draco stand auf dem winzigen Balkon und rauchte eine seiner seltenen Zigaretten. Er sah auf die Stadt hinunter, die noch schlief. Jeder, der sie aus Zufall entdecken würde, käme niemals auf die Idee, dass hier Leute wohnten, denn es sah aus wie ein riesiger, milchigblauer Kristall. Auch die Form entsprach dem. Sie musste schon lange bevor die Tempelbewohner, aus welchem Grund auch immer, gezwungen waren hier unten zu leben, entstanden sein, denn es hatte bestimmt eine ziemlich lange Zeit gedauert, das Innere so herzurichten, wie es jetzt war. Draco dachte über die Geschehnisse der letzten Zeit nach, seit er Leo begegnet war. Zuerst hatte er geglaubt, er würde sich in einen Jungen verlieben und hat sich dagegen gewehrt. Später dann, als er feststellte, dass Leo doch ein Mädchen war, hatte er eifersüchtig auf seinen Bruder reagiert, weil er glaubte, er und Leo wären mehr als nur Freunde. Als er dann mit Leo in ihrem Schloss wohnte, hatte er mehr als einmal der Versuchung widerstanden, mit ihr zu schlafen, weil er glaubte, die Zeit dafür wäre noch nicht gekommen. Und nun, in dieser Nacht, war sie dann seine Frau geworden. Er lächelte, als seine Gedanken dort angekommen waren. Draco drückte seine Zigarette aus und wollte zurück ins Bett, als sich zwei Arme von hinten um ihn schoben und auf seinem Bauch liegen blieben. Er spürte, wie sich Leos nackte Brust an seinen Rücken presste. Ihre Hände streichelten über seinen Bauch.

„Ich dachte, Du hättest mich allein gelassen.“ murmelte sie und begann, seinen Rücken mit Küssen zu bedecken.

„Ich werde Dich nie mehr alleine lassen. Nicht so lange, Du es nicht willst.“ erwiderte Draco und drehte sich zu ihr um.

Leo sah zu ihm auf. „Das wird niemals geschehen. Ich will nur Dich, bis an mein Lebensende.“

Sie legte ihre Arme um seinen Hals, zog seinen Kopf zu sich und küsste ihn.

Draco trug sie zurück zum Bett.

„Du hast überall Rosenblätter.“ lachte er leise und sah an ihr hinunter.

„Dann mach sie ab.“ forderte Leo ihn verführerisch auf.

Draco ließ sich nicht zweimal bitten und begann, Blatt für Blatt von ihrem Körper abzuzupfen.

Leo lag auf dem Bauch und hatte ihren Kopf auf die verschränkten Arme gelegt, während Draco auf der Seite neben ihr lag und die Blätter von ihrem Rücken sammelte.

„Ich weiß jetzt, warum Du am Pool so reagiert hast.“ begann Leo.

„Es tut mir leid, dass ich verletzt habe.“ warf Draco ein.

„Naja, direkt verletzt war ich nich.t“ sprach Leo weiter. „Ich war eher verwirrt. Als Du so wütend davon gerannt bist, saß ich erst noch eine Zeitlang am Beckenrand und habe darüber nachgedacht, was ich nun schon wieder falsch gemacht hatte. Später, als ich unter der Dusche stand, dachte ich daran, was Lumina mit über die Sache zwischen Mann und Frau gesagt hatte und kam zu dem Schluss, dass es das war, was Du wolltest. Also wickelte ich mir nur ein Handtuch um und legte mich auf das Bett. Aber Du kamst nicht zurück. Dabei hatte ich den Entschluss gefasst, Dir zu sagen, dass Du es tun könntest, wenn Du wolltest.“

Sie drehte sich auf den Rücken und sah Draco in die Augen.

„Und wenn ich gewusst hätte, wie schön es ist, wäre ich nicht eingeschlafen.“ sagte sie leise und legte ihre Arme um seinen Hals.

„Und Du denkst, ich hätte Dein Angebot angenommen?“ fragte Draco lächelnd.

„Hättest Du nicht?“ grinste Leo und ließ ihre Hände über seinen Rücken gleiten.

„Nein.“ erwiderte Draco ernst. „Nicht zu diesem Zeitpunkt. Du hattest vorher in kurzer Zeit eine Menge Dinge über Dich und Deine Eltern erfahren. Das solltest Du erst einmal verarbeiten. Ich weiß, dass ich mich blöd verhalten habe am Pool und es tut mir leid.“ Er beugte sich zu ihr und küsste sie sanft auf den Mund.

„Und jetzt? Nimmst Du es jetzt an?“ flüsterte Leo nahe an seinem Mund.

„Was?“ fragte Draco irritiert.

„Na, mein Angebot.“ lächelte Leo.

„Aber das hab ich doch schon.“ lächelte Draco zurück.

„Hm, ja, das war vorhin“ erwiderte Leo immer noch lächelnd. „Aber ich mein jetzt.“

Bevor Draco antworten konnte, klopfte es an die Tür.

„Stör ich?“ fragte Marie von außen.

„Nein.“ antwortete Draco, während Leo zur gleichen Zeit „Ja“ rief.

„Also gut, ich höre dann mal auf die Stimme der Frau.“ sagte Marie lachend. „Ich wollte Euch auch nur ausrichten, dass Ihr bitte nach unten kommen sollt. Aber ich werde Bescheid sagen, dass es noch etwas dauern kann.“

„Mach das.“ entgegnete Leo und hielt Draco mit einer Hand den Mund zu, damit er nicht widersprechen konnte.

„Wir sollten nach unten gehen.“ sagte Draco, als Leo ihre Hand von seinem Mund fortzog.

„Später.“ erwiderte Leo und zog seinen Kopf zu sich. Sie sah ihm tief in die Augen und flüsterte: „Erst wenn ich eine Antwort auf meine Frage bekommen habe.“

Draco wusste gleich, wovon sie sprach, trotzdem fragte er mit gespieltem Ernst: „Du meinst jetzt?“

„Ja.“ erwiderte Leo und begann mit ihrer Hand über seine Hüfte zu streicheln.

„Hm, ich weiß nich.t“ meinte Draco grinsend und sah an ihrem Körper hinab.

„Dann helf ich Dir bei der Entscheidung.“ murmelte Leo und ließ ihre Hände über seinen Körper wandern, wobei sie keine Stelle ausließ.

Als Leo einige Zeit später frisch geduscht und angezogen aus dem Bad kam, sah sie Draco sie von oben bis unten an.

„Willst Du Dir nicht lieber etwas anders anziehen?“ stöhnte er. „Wie soll ich meine Hände von Dir lassen, wenn Du so angezogen bist.“

„Gefällt es Dir nicht?“ fragte Leo und drehte sich kokett vor ihm. Sie trug eine sehr knappe Hotpants und einen Hauch von einem Oberteil, welches gerade ihre Brust bedeckte.

„Doch, gefallen tut es mir schon.“ erwiderte Draco. „Aber mir gefällt nicht, dass Andere Dich so sehen.“

Aber Leo ließ sich nicht umstimmen und gemeinsam gingen sie nach unten, wo in der großen Halle alle versammelt waren. Man hatte dort lange Tischreihen aufgestellt. Leo und Draco nahmen an einem der Tische Platz.

Lieu und Lumina saßen am Kopfende. Als Draco und Leo Platz genommen hatten, erhob sich Lieu und sagte: „Nun, da die Hauptperson eingetroffen ist und wir somit vollzählig sind, lasst uns den Sieg über das Böse feiern.“

Einige der jüngeren Priester servierten Getränke und Speisen.

Leo verspürte großen Hunger und nahm das in eine Serviette gerollte Besteck. Als sie es auswickelte, fiel ein kleiner, zusammengefalteter Zettel heraus. Leo nahm ihn in die Hand und sah sich um. Aber niemand achtete auf sie. Draco unterhielt sich gerade mit seinem Bruder, der neben ihm saß.

Leo faltete den Zettel auseinander und las die wenigen Worte, die darauf standen.

Asmodee soll heute hingerichtet werden. Er befindet sich zurzeit unten in einem Verliess.“

Es gab keine Unterschrift oder sonst ein Hinweis, von wem dieser Zettel stammen könnte. Niemand beachtete Leo, als diese aufstand und den Raum verließ. Sie machte sich auf den Weg in die unteren Räume. Zielsicher steuerte sie einen Raum an und öffnete dessen Tür. Auf Anhieb hatte sie das Gefängnis von Asmodee gefunden, obwohl sie noch niemals hier unten war.

Asmodee war mit Ketten, die in der Decke verankert waren, an den Händen gefesselt. Sie ließen ihm gerade so viel Raum, dass er sich auf die Knie niederlassen konnte. Er war mit dem Rücken zur Tür angebunden, so dass er nicht sehen konnte, wer den Raum betrat.

„Seid Ihr gekommen, um mich endlich von meinem Leid zu erlösen?“ fragte er matt. „Oder wollt Ihr mich noch länger quälen?“

Leo ging um ihn herum, damit sie ihn von vorne sehen konnte. Was sie sah, erschreckte sie zutiefst. Seine Brust und sein Gesicht waren von Schlägen gezeichnet. Aus seiner Nase und seinem Mund lief Blut, seine Augen waren blau und zugeschwollen.

„Was hat man mit Dir gemacht?“ flüsterte sie entsetzt. „Ich dachte, man hätte Dich in die Zwischenwelt verbannt.“

„Ha, das wäre zu gefährlich gewesen.“ stieß Asmodee höhnisch hervor. „Nicht, bei dem, was ich alles weiß.“


Draco hatte seine Unterhaltung mit Wanja beendet und wollte sich Leo zuwenden. Erstaunt sah er, dass der Platz neben ihm leer war. Suchend sah er sich in dem Raum um, konnte sie aber nirgendwo entdecken. Sein Blick traf den von Lumina, seiner Mutter. Vielleicht hatte sie ja bemerkt, wohin Leo gegangen war, dachte er und ging zu ihr. Seine Mutter sah ihm lächelnd entgegen. Kurz bevor Draco sie erreichte, bemerkte er, wie jemand Lieu etwas ins Ohr flüsterte, woraufhin sich sein Gesichtsausdruck veränderte. War es vorher noch freundlich gewesen, verzog es sich vor Wut. Lieu sprang so heftig auf, dass sein Stuhl nach hinten fiel. Als Lumina ihn fragend ansah, nahm er ihren Arm und zog sie hoch. Mit eiligen Schritten verließen sie den Raum.

‚Da stimmt etwas nicht’ dachte Draco, als er den erstaunten Blick seiner Mutter sah. Alle waren so beschäftigt, dass niemand etwas bemerkt hatte. Auch Draco konnte unbemerkt den Raum verlassen und folgte den Beiden vorsichtig, um nicht entdeckt zu werden.

Lieu zog Lumina hinter sich in den Keller hinunter her. Auf ihre Frage, was das solle, bekam sie keine Antwort. Als sie das Verließ betraten, war Lumina genauso erstaunt wie Leo, dass Asmodee dort gefesselt war. Mit einem Blick erkannte sie, dass er anscheinend auch misshandelt wurde.

„Was machst Du hier?“ herrschte Lieu Leo an.

„Was habt ihr mit ihm gemacht?“ fragte Leo anstelle einer Antwort. „Und was habt ihr mit ihm vor? Ich dachte, Du wolltest ihn in die Zwischenwelt schicken.“

„Ich sagte doch schon, dass er das nicht kann, nicht bei dem, was ich weiß.“ warf Asmodee dazwischen.

„Schweig.“ schrie Lieu aufgebracht und schlug Asmodee ins Gesicht. „Und Du,“ fuhr er Leo an, „halte Dich da raus und mach, dass Du von hier verschwindest.“

Unbemerkt hatte Draco den Raum betreten. „Was ist denn hier los?“ wollte er wissen. „Und warum schreist Du meine Frau so an?“

„Deine Frau?“ fuhr Lieu entsetzt herum. „Soll das heißen, Ihr habt…….Ihr habt miteinander geschlafen? Leo ist keine Jungfrau mehr?“

„Was ist denn so schlimm daran?“ wagte Lumina einzuwerfen.

„Was schlimm daran ist?“ schrie Lieu aufgebracht. „Ihr habt meine ganzen Pläne zunichte gemacht, Ihr habt alles zerstört.“

Verständnislos sahen die Drei ihn an, nur von Asmodee war ein leises Lachen zu hören.

„Ihr seid wirklich alle unwissend.“ stieß er hervor.

„Du sollst still sein.“ Lieu sprang auf Asmodee zu und wollte ihn erneut schlagen, aber Draco hielt seinen Arm fest.

„Lass ihn reden.“ verlangte er in gefährlich leisem Ton.

„Lieu ist nicht der, für den ihr ihn haltet.“ begann Asmodee. „Nicht er ist der Löwengott, sondern sein Zwillingsbruder war es. Er hat ihn getötet und seinen Platz eingenommen und seinen Namen. Er verhielt sich auch wie sein Bruder, so dass niemand anfangs bemerkte, dass er nicht Lieu war sondern Devon. Aber er hat nicht gewusst, dass Lieus Körper zwar nicht mehr lebte, dafür aber sein Geist. Lieu beobachtete ihn die ganze Zeit. Als er bemerkte, dass Lumina den Irrtum auch nicht bemerkte, begab er sich zu den anderen Göttern und sie beratschlagten, was zu tun sei. Sie beschlossen, mich zur Erde zu schicken, um Lieus Sohn, den er mit Lumina hatte, zu schützen, Es war zu befürchten, dass Devon beide töten würde, da er nicht wusste, welcher Lieus war.“

Asmodee sah zu Lumina, die ihn entgeistert anstarrte.

„Deinem Blick entnehme ich, dass Du bis heute selber nicht wusstest, dass einer Deiner Söhne der Sohn Lieus ist.“ sagte er mit einem Lächeln im Gesicht. „Und jetzt fragst Du Dich, welcher er sei und wie es geschehen konnte.“

„Ja.“ stimmte Lumina leise zu. „Ich habe, bevor ich als Wächterin hierher kam, niemals mit ihm geschlafen. Wie also sollte ich einen Sohn von ihm haben?“

„Du vergisst, dass Lieu ein Gott ist und sein Geist den Mord überlebte. In jener Nacht also, als Deine Söhne gezeugt wurden, nahm er Besitz vom Körper Deines Mannes, der allerdings davon nichts merkte, und schlief so mit Dir.“

Erschöpft hielt Asmodee inne und sein Kopf fiel nach vorn auf seine Brust. Die Wunden auf seinem Rücken, dort wo ihm die Flügel abgeschnitten wurden, hatten zu bluten begonnen, was Leo mit Entsetzen sah.

„Kann man ihn nicht erst einmal losbinden?“ fragte sie. „Und ihm etwas zu trinken geben?“

Draco, der immer noch Devon im Griff hatte, sah sich suchend um.

„Den Schlüssel für die Fesseln werdet ihr nie finden.“ gab Devon höhnisch von sich.

„Den brauchen wir auch nicht.“ erklang Jeans Stimme, der unbemerkt zu ihnen getreten war. Er ging zu Asmodee und bog dessen Fesseln auseinander, als ob sie aus Papier wären. Danach reichte er ihm ein Glas mit einer roten Flüssigkeit.

„Trink.“ forderte ihn auf.

Gierig goss Asmodee die Flüssigkeit hinunter, danach schien es ihm besser zu gehen. Die Wunden hörten auf zu bluten.

Draco sah Jean fragend an. Dieser nickte nur und legte den Finger auf den Mund.

„Bringen wir ihn erst einmal fort von hier.“ sagte Jean und legte sich Asmodees Arm um die Schulter, um ihn so beim Gehen zu unterstützen.

Asmodee wurde in das Zimmer gebracht, in welchem Leo vor ein paar Wochen untergebracht war. Jean ließ Asmodee auf das Bett sinken, wobei Asmodee ihm etwas zuflüsterte. Jean nickte und verließ das Zimmer.

Leo ging ins Bad und kam mit einem nassen Waschlappen und einem Handtuch zurück. Sie begann, Asmodee das Blut abzuwaschen.

Draco hielt immer noch Lieus Arm fest, der sich dagegen wehrte, aber Dracos Griff war zu fest, als dass er sich hätte befreien können.

Lumina, die das eben Gehörte wohl noch nicht ganz begreifen konnte, stand wie abwesend dabei und sah stumm auf Asmodee nieder.

„Hast Du Dich nie gefragt, wo der alte Seher abgeblieben ist, der Dir Deine Zukunft und die Deiner Söhne voraussagte?“ wandte sich Asmodee an sie. „Er hat ihn getötet, so wie viele andere, die ihn hätten entlarven können, auch. Mir wurde die Rolle als Spion zugewiesen und ich sollte mich an Daleira, die alte Hexe heran machen, um so in Erfahrung zu bringen, was die Beiden planten. Denn er, Devon“ Asmodee zeigte mit dem Kinn auf ihn, „hatte sich mit ihr zusammengetan. Die Beiden hatten die Absicht, Draco und Wanja von Vampiren töten zu lassen, aber ich konnte sie davon überzeugen, es nicht zu tun. Ich redete ihnen ein, die Zwei würden ihnen später sehr nützlich sein, um an den Kristall der Dunkelheit zu kommen.“

„Was ja auch gelang.“ warf Lumina ein.

„Aber womit niemand der Beiden gerechnet hatte, war, das Draco sich in Leo verlieben würde.“ fuhr Asmodee fort. „Sie hatten nicht damit gerechnet, dass er Leo zur Hilfe kommen würde, als Devons Sohn mit ihr einen Nachfolger zeugen sollte. Denn Devon hatte nicht nur Lieu getötet, sondern auch die Mutter seines Sohnes und das Kind. Er zeugte im gleichen Jahr mit Daleira ebenfalls einen Sohn. Dieser sollte nun mit Leo, die man für die Auserwählte hielt, einen Sohn zeugen, der ganz im Sinne des Bösen erzogen werden sollte. Natürlich bestand nicht die Absicht, Leo nach der Geburt am Leben zu lassen.“

„Wieso für die Auserwählte hielt?“ fragte Devon dazwischen. „Sie ist es, sie hat das Mal auf ihrer Schulter.“

„Hast Du Dir das Mal richtig angesehen?“ entgegnete Asmodee. „Es stimmt schon, dass Leo das Mal trägt, aber es ist das Mal der Götter. Sie ist die Tochter von Lieu und somit das letzte Glied in der Kette. Nach ihr wird es keine Götter mehr geben.“

Alle sahen Leo an.

„Aber wie…?“ wollte diese erstaunt wissen. „Ich habe doch im Tagebuch meiner Mutter gelesen, wie Daleira ihr und meinem Vater zu einem Kind verhalf.“
„Ja, schon.“ erwiderte Asmodee sanft. „Allerdings mit dem Geist Lieus im Körper Deines Vaters, was von Daleira unbemerkt blieb. Und später sorgte Lieu mit Gedankenmanupulation dafür, dass Du so aufwuchst.“

„Also ist er dafür verantwortlich, dass ich die ersten sechzehn Jahre meines Lebens im Bett verbrachte? Und aufwuchs in dem Glauben, es gebe nur eine Sorte Mensch?“ brachte Leo wütend hervor.

„Er wollte Dich schützen.“ versuchte Asmodee sie zu beruhigen.

„Mich schützen?“ rief Leo aufgebracht. „Und warum ließ er dann zu, dass meine Eltern starben?“

„Das gehörte alles mit zu seinem Plan.“ versuchte Asmodee zu erklären. „Als erstes schickte er Wanja zu Dir, damit er auf Dich achtete. Aber auf Grund der Tatsache, dass Dracos und Wanjas erste Nahrung als Vampir aus Daleiras Blut bestanden, wusste diese immer, wo sie sich befanden. So fand sie dann heraus, wo sich Deine Eltern mit Dir versteckt hatten und sie ergriff die erstbeste Möglichkeit, sie zu töten. Später dann, als sich Wanja dummerweise nach hier begab, schickte Lieu Draco genau zum richtigen Zeitpunkt zu dem Ort, wo er Dich aufgelesen hat.“

„Schöne Geschichte.“ höhnte Devon. „Aber wie konnte er sicher sein, dass Leo hierher kommen würde? Und das Draco und Wanja sie retten würden?“

„Er ist ein Gott.“ antwortete Asmodee einfach.

„Aber eins würde mich noch interessieren.“ warf Leo ein. „Wieso hast Du dann versucht, ebenfalls mit mir das Ritual auf dem Stein zu machen?“

„Ganz einfach.“ lächelte Asmodee. „Ich wusste, dass Draco Dich retten würde und dass ihr danach mit einander schlafen würdet. Glaubst Du, ich hätte es vollzogen? Wenn ich es wirklich gewollt hätte, hätte ich es getan und nicht so lange mit Dir geredet. Ich musste sicher sein, dass alle rechtzeitig erscheinen würden.“

Alle wandten sich zu Devon, der wie irre angefangen hatte zu lachen.

„Du warst also niemals auf unserer Seite?“ stieß er unter Lachen hervor. „Ich hätte es wissen müssen und Dich schon vor langer Zeit töten müssen.“

Er riss am seinem Arm, um sich Dracos Griff zu entwinden. Fast hätte er es geschafft, aber da waren Jean und Belziel da und nahmen ihn in Gewahrsam.

Bevor sie mit ihm den Raum verließen, drehte sich Devon um und rief: „Es gibt noch andere wie mich, glaubt nur nicht, ihr wäret jetzt in Sicherheit.“

„Wie konnte ich mich nur in ihm täuschen?“ fragte Lumina leise und sah zur Tür.

„Mach Dir keinen Vorwurf.“ versuchte Asmodee zu trösten. „Er hat auch andere lange getäuscht. Er hat seine Rolle perfekt gespielt.“

„Zu perfekt.“ murmelte Lumina. „Ich hab mit ihm geschlafen, dass werde ich mir nie verzeihen. Und ich habe ihm vertraut. Wirst Du mich dafür bestrafen?“ wandte sie sich fragend an Leo.

„Ich? Wieso ich? Warum sollte ich Dich bestrafen?“ fragte diese erstaunt.

„Na, immerhin bist Du unsere Göttin.“ meinte Lumina.

„Aber ich will das nicht, ich…..ich muss darüber nachdenken, allein.“ stammelte Leo, wandte sich um und stürzte zur Tür hinaus, wo sie fast mit Marie zusammenstieß.

Mit tränenverschleiertem Blick rannte Leo die Gänge und Treppen entlang, bis sie in ihr Zimmer kam. Dort warf sie sich auf das Bett, vergrub den Kopf im Kissen und weinte hemmungslos. Ihr ganzes Leben hatte sich innerhalb weniger Wochen total verändert. Von einem kranken, schwachen Kind hatte sie sich zur Göttin entwickelt.

Jemand berührte leicht ihre Schulter. Leo hob den Kopf leicht an und sah, dass Marie neben ihr auf dem Bett saß.

„Ich wollte nur mal sehen, wie es Dir geht.“ sagte sie leise. Sie hielt Leo einen Becher hin und forderte sie auf: „Hier, trink das.“

„Danke.“ murmelte Leo und trank gehorsam den Becher aus.

„Ganz schön viel Aufregung heute.“ meinte Marie. „Woher wusstest Du eigentlich, dass Asmodee im Keller gefangen gehalten wurde? Das wusste nämlich niemand von uns.“

„Ich fand einen Zettel in der Serviette.“ berichtete Leo. „Keine Ahnung wo er herkam und wer ihn geschrieben hat.“

„Unten herrscht ganz schöne Aufregung.“ erzählte Marie weiter. „Lumina hat gerade den Anderen alles erzählt und jetzt beraten sie, was mit Lieu, vielmehr Devon, wie er ja richtig heißt, geschehen soll. Sie haben ihn erstmal in die Zelle gesperrt, wo Asmodee war. Und er wird streng bewacht. Nun hoffen alle, dass der richtige Lieu durch Dich sagen lässt, was sie mit ihm machen sollen.“

„Wieso durch mich?“ fragte Leo erstaunt.

„Na, weil Du seine reguläre Nachfolgerin bist.“ antwortete Marie. „Und alle warten, wie es hier unten weiter gehen soll.“

„Soll das doch jemand anderes entscheiden.“ entgegnete Leo. „Ich weiß nur, dass ich so schnell als möglich von hier fort will. Und ich werde diesen Ort auch nie wieder aufsuchen. Ich möchte nur irgendwo in Ruhe mit Draco leben. Alles andere ist mir egal. Außerdem hat er ja noch ein Kind. Weiß man eigentlich schon, wer es ist?“

„Nein.“ erwiderte Marie. „Bisher weiß man nur, dass es einer der Söhne von Lumina ist. Im Moment kann man Asmodee auch nicht danach befragen, weil sich gerade die Heiler um ihn kümmern. Er hat doch etliches an Verletzungen erlitten.“

Es klopfte an die Tür und Draco kam herein. Langsam, mit ernstem Gesicht, kam er auf Leo zu.

„Ich werde Euch dann mal alleine lassen.“ sagte Marie, stand auf und verließ das Zimmer.

Draco setzte sich auf die Bettkante. Leo wollte sich an ihn schmiegen, aber Draco hielt sich auf Armlänge von sich.

„Was ist los?“ wollte sie verwirrt wissen.

„Solange wir nicht wissen, wer der andere Sohn von Lieu ist, sollten wir das lassen.“ erklärte Draco ernst. „Sollte ich es sein, wärst Du meine Schwester und wir könnten nicht mehr als Paar zusammen sein. Und bin ich es nicht, weiß ich nicht, ob ich mit einer Göttin zusammen sein kann.“
„Was….was soll das heißen?“ flüsterte Leo. „Was ändert sich denn dann? Ich bleibe doch so wie ich vorher war.“ Ihr traten wieder Tränen in die Augen.

„Es tut mir leid.“ sagte Draco leise und vergrub sein Gesicht in seinen Händen.

„Geh!“ sagte Leo. „Geh und lass mich allein.“

Widerstandslos gehorchte Draco und ging zur Tür. Dort drehte er sich noch mal zu Leo um, sah ihr tief in die Augen.

„Ich liebe Dich“ formte er tonlos mit den Lippen, dann verließ er das Zimmer.

Leo starrte mit brennenden Augen auf die geschlossene Tür. Sie stand auf und trat an das riesige, bis zum Boden reichende Fenster. Sie starrte auf die unter ihr liegende Stadt und wünschte sich, sie hätte diesen Ort niemals betreten.

Wie lange sie dort stand, wusste sie nicht, sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Hinter ihr erklang ein Geräusch. Leo glaubte, Marie hätte den Raum wieder betreten, um nach ihr zu sehen.

„Ich will alleine sein.“ sagte Leo, ohne sich umzudrehen. Aber statt einer Antwort bekam sie einen Stoß in den Rücken, der so heftig war, dass sie durch die geschlossene Fensterscheibe stürzte und nach unten fiel.

‚Das ist die beste Lösung’ dachte sie, bevor sie auf dem Boden aufschlug und alles schwarz um sie herum wurde.



Draco war, nachdem Leo ihn gebeten hatte, sie allein zu lassen, bedrückt nach unten gegangen. Er traf seine Mutter und seinen Bruder, die sich auf dem Weg in Luminas Räume befanden.

„Gibt es schon etwas Neues?“ fragte er die Beiden.

„Nein.“ erwiderte Lumina. „Asmodee befindet sich immer noch bei den Heilern. Es tut mir leid. Aber begleite uns doch.“

In Luminas Zimmer angekommen, ließ Draco sich schwer in einen der Sessel fallen. Er vergrub seinen Kopf in seinen Händen.

„Bruder, was ist los?“ fragte Wanja. „Wieso bist Du hier und nicht oben bei Leo? Sie könnte doch bestimmt Deine Unterstützung brauchen, nachdem, was heute alles war.“

„Ich war ja bei ihr.“ antwortete Draco. „Aber ich konnte es nicht, nicht so lange ich nicht weiß, ob ich ihr Bruder bin. Und falls ich es nicht sein sollte, weiß ich nicht, ob ich mit einer Göttin zusammen sein will.“

„Aber nur weil sie eine Göttin ist, ändert sie sich doch nicht.“ meinte Wanja. „Und wer weiß, vielleicht hat Lieu sie ja nur gezeugt, ohne ihr besondere Gaben der Götter mitzugeben.“

Lumina, die bisher schweigend zugehört hatte, sah Draco nun an.

„Wanja hat recht.“ sagte sie. „Bisher gab es bei Leo noch keine Anzeichen dafür, dass sie irgendwelche göttliche Gaben besitzt. Du solltest wirklich zu ihr geben und Beistand leisten. Immerhin hat sie eine Menge zu verkraften. Ihr ganzes bisheriges Leben wurde auf den Kopf gestellt. Und es spielt keine Rolle, ob Du sie als ihren Bruder unterstützt oder als ihr Freund.“

„Aber sie hat gesagt, ich solle gehen.“ widersprach Draco.

„Was eine Frau sagt und meint, sind zwei verschiedene Dinge.“ sagte Wanja.

Es klopfte an die Tür und ein immer noch leicht lädierter Asmodee betrat den Raum. Die Heiler hatte seine Wunden versorgt und verbunden.

„Gut, dass ich Euch alle Drei hier antreffe.“ sagte er. „So brauch ich nur einmal zu sagen, was ich noch zu sagen habe, bevor ich mich auf den Weg mache.“

„Auf den Weg machen? Wo willst Du denn hin?“ fragte Lumina und bedeutete ihm, er möge sich setzen.

„In die Zwischenwelt, ich muss dort Bericht erstatten.“ erwiderte Asmodee, nachdem er Platz genommen hatte. Aufmerksam sah er von einem zum anderen.

„Ihr brennt darauf, zu erfahren, wer Lieus Sohn ist, nicht wahr?“ lächelte er. „Ich kann es an Euren Gesichtern ablesen. Aber wo ist Leo?“ Suchend sah er sich um. „Sollte sie nicht auch hier sein, um es zu erfahren?“

„Sie ist oben und möchte alleine sein.“ erklärte Draco.

„Na, dann kannst Du ihr ja gleich die Nachricht überbringen, dass Du es nicht bist.“ lächelte Asmodee in Dracos Richtung. „Du bist der leibhaftige Sohn des Drachenritters.“

Erleichtert atmete Draco auf, er war also nicht Leos Bruder. Nun konnte er mit ihr zusammen sein.

„Also bin ich e.s“ flüsterte Wanja.

„Ja, und das erklärt auch Deinen Namen.“ nickte Asmodee. „Immerhin bedeutet Wanja: Der von Gott geschenkte oder Gottesgeschenk. Und das bist Du nun mal. Allerdings ohne göttliche Fähigkeiten. Das gleiche gilt übrigens auch für Leo. Auch sie wurde nur von Lieu gezeugt, ohne Fähigkeiten zu erhalten. Ihr seid also eigentlich ganz normale Menschen.“

„Ich muss sofort zu Leo und es ihr sagen.“ rief Draco aufgeregt und sprang auf.

„Nein, warte noch.“ bat Asmodee. „Ich wollte Euch noch bitten, später in die große Halle zu kommen. Auch alle anderen Bewohner sollen sich dort einfinden.“

„Gut.“ erwiderte Draco und erhob sich. „Ich werde Leo mitbringen.“

Als er sich zum Gehen wandte, erklangen auf dem Flur eilige Schritte, die sich der Tür näherten. Ohne anzuklopfen, stürzte einer der jüngeren Priester herein.

„Ihr müsst schnell kommen, es ist etwas Schreckliches passiert.“ rief er aufgeregt. Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich um und rannte wieder hinaus.

Verstört sahen sich die Vier an. Als erstes fing sich Asmodee.

„Lasst uns nachsehen, wovon er geredet hat.“ meinte er und ging ebenfalls nach draußen. Die Anderen folgten ihm. Auf dem Flur kam ihnen Marie mit Tränen in den Augen entgegen. Sie ging auf Draco zu und hielt ihn am Arm fest.

„Es tut mir so leid für Dich.“ sagte sie mit tränenerstickter Stimme. „Aber Leo….Leo ist aus dem Fenster gestürzt…“

„Was sagst Du da?“ schrie Draco sie an. „Wo ist sie? Und was ist mit ihr?“

„Du kannst jetzt nicht zu ihr.“ erwiderte Marie, schon ruhiger geworden. „Sie ist bei den Heilern, sie kümmern sich um sie.“

„Ich will sie sehen.“ beharrte Draco und versuchte sich aus Maries Griff zu befreien. Aber es gelang ihm nicht, Marie war, obwohl sie eine Frau war, stärker als er.

„Was genau ist geschehen?“ erkundigte sich Lumina leise. „Weiß man das schon?“

„Nun ja.“ sagte Marie. „Dazu gibt es verschiedene Aussagen. Die einen sagen, sie wäre gestürzt, die anderen meinen, sie wäre gesprungen und wieder andere sind der Meinung, ist wurde gestoßen. Genau wird man es wohl nicht mehr erfahren.“

„Das wird man wohl nicht.“ warf Asmodee ein, der die ganze Zeit wie abwesend daneben gestanden hatte. Er hatte den Eindruck gemacht, als würde er einer Stimme lauschen, die nur er hören konnte. „Wir sollten trotz allem in die Halle gehen, dort warten schon alle. Wenn es etwas Neues zu Leo gibt, wird man uns schon Bescheid geben.“

„Du auch“. zischte Marie, als sie merkte, dass Draco lieber einen anderen Weg einschlagen wollte.

Die langen Tischreihen, die vorher noch in der Halle standen, hatte man weggeräumt und es drängten sich jetzt alle Bewohner der Stadt in ihr. Die Halle war proppenvoll. Asmodee ging langsam durch die Menge, bis er ganz vorne stand. Dort gab es so eine Art Bühne, auf die er sich nun stellte. Erwartungsvoll waren alle Augen auf ihn gerichtet. Plötzlich ging ein Raunen durch die Menge, denn neben Asmodee tauchte plötzlich die durchsichtige Gestalt Lieus auf.

„Ich werde durch ihn sprechen.“ begann Asmodee mit veränderter Stimme zu sprechen. „Man hat mir außer meinem Leben auch meine Stimme genommen.

Aber Asmodee, mein treuester Diener, leiht mir für das, was ich zu sagen habe, solange die seine. Wir, das heißt, die anderen Götter und ich, haben beschlossen, diesen Ort hier aufzulösen. Alle, die ihn verlassen möchten, können dieses tun. Es ist zu viel geschehen in der letzten Zeit. Wir haben auch darüber nachgedacht, ihn zu zerstören, aber dann hätten wir keinen Ort mehr, wo die Kristalle in Sicherheit wären. Die Einzigen, die ich bitte, hierzubleiben, sind die Wächterinnen, also Dich, Lumina und Candle. Das heißt, Dich, Candle, bitte ich nicht darum, ich befehle es Dir. Du und Dein Mann werdet für immer hier bleiben.“

„Aber was ist mit Darkness?“ wagte Lumina einzuwerfen. „Kommt sie auch hierher?“

„Nein.“ antwortete Asmodee und lächelte sie dabei an. „Darkness wird dort oben bleiben und sich weiter um die Vampire kümmern, damit diese friedlich bleiben. Aber es gibt schon einen Ersatz für sie. Ich möchte Euch die neue Wächterin des roten Kristalls vorstellen.“ Er drehte sich nach hinten um. „Ihr kennt sie bereits, es ist Zerafina.“

Schüchtern trat diese zu Asmodee und lächelte verlegen in die Menge.

Jean betrat durch eine Hintertür die Halle, ging zu Asmodee und flüsterte ihm etwas zu. Daraufhin sah Asmodee ernst in die Runde und sagte mit schwerer Stimme: „Es gibt schlechte Neuigkeiten. Leo hat den Sturz leider nicht überlebt. Die Heiler haben zwar ihr Bestes gegeben, aber es nutzte nichts. Ihr könnt, wenn ihr wollt, Abschied von ihr nehmen. Sie wird in der kleinen Kapelle aufgebahrt.“

Nach diesen Worten verflüchtigte sich der Geist von Lieu. Niemand sprach ein Wort, nur Dracos Schrei: “Nein“ hallte durch die Halle. Er riss sich gewaltsam von Marie los und stürzte hinaus. Er rannte zu der Kapelle, wo Leo in einem weißen Sarg lag. Rechts und links neben ihrem Kopf standen Jean und Belziel.

Leo trug ein langes, weißes Kleid, ihre Hände waren vor der Brust über Kreuz gelegt worden. Das Innere des Sarges war mit weißem Satin ausgeschlagen. Nur ihre roten Haare leuchteten daraus hervor.

Draco ging zu ihr, beugte sich über sie und küsste ihren geschlossenen Mund, der nie wieder einen seiner Küsse erwidern würde. Dann tat er etwas, was seit Jahrhunderten nicht mehr gemacht hatte: er kniete neben ihr nieder, legte seine Stirn an die Kante des Sarges, faltete seine Hände und betete leise für sich.

Alle Bewohner der Stadt gingen an dem Sarg vorbei, einige schluchzten, andere sahen nur schweigend kurz hinein. Als sich Leos Eltern näherten, beide leise weinend, wollte Draco wütend aufspringen, aber Jean, der neben ihm stand, legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter.

Später, als die Kapelle sich geleert hatte, bat Draco Jean und Belziel, ihn mit Leo alleine zu lassen.

„Wir sind vor der Tür, falls Du uns brauchst.“ sagte Jean, bevor sie die Kapelle verließen.






17. Kapitel



Wie lange Draco neben dem Sarg kniete, wusste er nicht, er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Jemand legte ihm die Hand auf die Schulter. Als Draco hochsah, bemerkte er Jean.

„Es tut mir leid, Dich in Deiner Trauer zu stören,“ sagte er mitfühlend. „Aber ich muss Dich bitten, in die Räume Deiner Mutter zu kommen, es gibt da noch einiges zu besprechen.“

Widerstrebend folgte Draco ihm. Im Wohnraum seiner Mutter fand er Asmodee, Marie, Belziel, Wanja, Zerafina und Leos Eltern vor.

„So, jetzt da alle anwesend sind, können wir ja beginnen.“ ergriff Asmodee das Wort. „Ich werde mich jetzt von Euch verabschieden und meinen Körper Lieu überlassen, der alles weitere mit Euch besprechen wird.“

Nach diesen Worten schloss er die Augen und ein Ruck ging durch seinen Körper.

„Danke, Asmodee, mein Freund.“ waren die ersten Worte, die Lieu im fremden Körper sprach. Dann blickte er die Anwesenden einen nach dem anderen an, am längsten ruhte sein Blick auf Lumina.

„Es tut mir leid.“ murmelte diese mit gesenktem Blick.

„Du brauchst Dich nicht entschuldigen.“ erwiderte Lieu sanft. „Ich weiß, wie ähnlich mein Bruder mir sieht. Nur in seinem Wesen ist er halt anders, was er aber sehr gut verbergen konnte. Dich, vielmehr Euch, trifft an allem keine Schuld.“

„Aber nun zu dem, was ich vorhin in der großen Halle schon gesagt habe. Wir, das heißt, die anderen Götter und ich, haben beschlossen, die Orden aufzulösen, da sie nicht mehr in die heutige Zeit passen. Alle, die von hier fort möchten, können dieses tun. Allerdings wird ihnen beim Durchschreiten des Tores jegliche Erinnerung an diesen Ort genommen. Allerdings möchte ich Dich, Lumina und Dich, Zerafina bitten, hier zu bleiben. Candle und ihr Mann müssen sowieso hier bleiben.“

„Und was ist mit Darkness?“ fragte Lumina dazwischen. „Immerhin ist sie die Hüterin des roten Kristalls.“

„Darkness wird sich, wie bisher, um die Vampire kümmern, mit Unterstützung von Jean-Baptiste.“ antwortete Lieu. „Und ab sofort ist Zerafina die Hüterin des roten Kristalls. Candle bleibt die Hüterin des weißen Kristalls und den Kristall der Dunkelheit weiß ich bei Dir in besten Händen.“

Sein Blick fiel auf Leos Eltern.

„Das, was Ihr getan habt, habt Ihr nur getan, um Leo zu schützen. Aus diesem Grund werde ich Euch nicht dafür bestrafen.“ sagte er. „Aber für das, was in der Mission passierte, ist eine Strafe notwendig. Du, Jo, wirst das, was Du den Vampiren angetan hast, ab sofort selbst am eigenen Leib spüren. Du wirst Dein Blut meinem Sohn Wanja zur Verfügung stellen, und das immer dann, wenn er es braucht.“

Ergebungsvoll senkten Leos Eltern den Kopf. „So sei es.“ murmelte Leos Vater.

„Und nun zu Leo.“ sprach Lieu weiter und sah Draco an. „Ich weiß, wie schwer Dir ihr Verlust fällt. Und ich möchte Dich nicht zwingen, Dein Leben ebenfalls hier unten zu verbringen und auch glaube ich, dass es Leo nicht Recht wäre, für immer hier zu bleiben, wo sie so wenig Gutes erlebt hat. Aus diesem Grund wird sie in ihre Heimat gebracht. Jean, Marie und Belziel werden sie dorthin begleiten. Und ich vermute, Du wirst Dich ihnen anschließen. Ihr könnt gleich aufbrechen, das Auto mit ihrem Sarg steht bereit.“

„Und was ist mit meinen Erinnerungen? Werde ich sie auch verlieren und somit meine Mutter und meinen Bruder nie wiedersehen?“ fragte Draco.

„Du wirst sie behalten, so dass Du jederzeit wieder hierher kommen kannst.“ erwiderte Lieu.

„Ich danke Dir, danke für alles.“ sagte Draco, ging auf Lieu zu und drückte ihm die Hand.

„Und uns.“ wandte sich Lieu an diejenigen, die hier blieben. „Uns steht jetzt die Aufgabe zu, die restlichen Anhänger meines Bruders zu finden und zur Rechenschaft zu ziehen.“

„Und wenn diese Aufgabe erledigt ist, wirst Du uns verlassen?“ wollte Lumina leise wissen.

Lieu ging zu ihr und sah ihr tief in die Augen.

„Wenn Du mich trotz eines fremden Körpers noch magst, dann bleibe ich.“ lächelte er.

Lumina erwiderte seinen Blick und ihre Augen strahlten ihn an. Langsam hob sie ihre Arme und legte sie um seinen Hals.

„Es ist mir egal, in welchem Körper Du steckst. Hauptsache, Du verzeihst mir meinen Fehler.“ sagte sie ernst. „Denn ich liebe nicht den Körper, sondern das, was in ihm steckt.“

Statt einer Antwort beugte sich Lieu zu ihr hinunter und küsste sie.

Jean berührte Draco an der Schulter. „Komm“ flüsterte er ihm zu. Auch die Anderen hatten sich schon diskret zurückgezogen. Vor der Tür wartete Wanja auf ihn. Er umarmte ihn und sagte: „Lass den Kopf nicht hängen. Du wirst sehen, alles wird gut.“

„Du hast gut reden.“ erwiderte Draco. „Du hast Deine Frau noch an Deiner Seite.“

Daraufhin lächelte Wanja nur geheimnisvoll. „Lass Dich bald mal wieder hier sehen.“ bat er. „Warte nicht hundert Jahre oder noch länger.“

Nachdem Draco das versprochen hatte, ging er hinter Jean her. Im Weggehen meinte er noch, seinen Bruder flüstern zu hören: „Sein Gesicht würde ich zu gerne sehen.“ Aber diese Worte bezog er nicht auf sich.



Das Auto, in dem sich Leos Sarg befand, stand am Rand des Dschungels.

„Wir werden quer durch die Wüste fahren.“ erklärte Jean. „Damit wir unangenehmen Fragen ausweichen. Belziel und ich werden uns mit dem Fahren abwechseln und Du kannst Dich nach hinten zu Leo setzen.“

Der Sarg stand offen im hinteren Teil. Draco setzte sich neben ihn und sah Leo an. Es schien, als würde sie schlafen. Ihm traten Tränen in die Augen und die Wut kam ihm hoch. Am liebsten wäre er zur Kristallstadt zurück gekehrt und hätte geholfen, ihren Mörder zu finden. Und dann hätte er darum gebeten, mit diesem alleine zu sein. In seinem Kopf entstanden Bilder, was er mit ihm gemacht hätte. Mit Freude würde er ihm seine Zähne ins Fleisch bohren und langsam so viel von seinem Blut trinken, bis ihm fast die Sinne schwanden. Dann würde er aufhören und warten, bis sich das Blut erneuert hätte. Und dieses würde er immer wieder und wieder tun, bis der Mörder um seinen Tod betteln würde.

Beruhigend legte Marie ihre Hand auf seine, als hätte sie geahnt, was in ihm vorging.

„Er wird seine gerechte Strafe erhalten.“ flüsterte sie ihm zu. „Lieu hat genügend Ur-Vampire gerufen, die ihm helfen, diesen Mann zu finden.“

Dankbar sah Draco sie aus tränennassen Augen an.

Von der weiteren Fahrt bekam Draco so gut wie nichts mehr mit. Vor seinen Augen hatte er immer wieder die Bilder von Leo. Wie sie sich kennenlernten, die Tränen in ihren Augen, als er noch glaubte, sie würde Wanja lieben und sie deswegen verlassen wollte. Den glücklichen Ausdruck, als er sie das erste Mal küsste. Und ihre leuchtenden Augen, als sie das erste Mal miteinander schliefen. Es würde nie mehr so sein. Draco vergrub sein Gesicht in seinen Händen und lautlos liefen ihm die Tränen aus den Augen.

Wie erwachend fuhr er auf, als das Motorengeräusch verstummt und das Auto nicht mehr fuhr. Jean und Belziel hatten das Fahrzeug bereits verlassen, nur Marie saß noch neben ihm. Die Hecktür wurde geöffnet und Jean und Belziel zogen den Sarg hinaus.

„Sind wir etwa schon da?“ wollte Draco erstaunt wissen.

„Hm, nicht ganz.“ erwiderte Jean. „Wir legen nur einen Zwischenstopp bei Darkness ein. Der Hunger zwingt uns dazu.“

Als Marie und Draco ebenfalls ausgestiegen waren, meinte Jean: „Geht doch schon mal hinein und begrüßt Darkness. Belziel und ich kümmern uns derweil um Leo.“

„Aber ich will sie nicht alleine lassen.“ widersprach Draco und wollte ihnen folgen, aber Marie hielt ihn am Arm fest.

„Komm erst mal mit, später kannst Du dann wieder zu Leo. Du wirst bestimmt auch ein wenig hungrig sein.“

Jetzt, wo sie es ansprach, merkte Draco seinen Hunger.

Wie immer war Madams Salon gut besucht. Darkness saß wie jeden Abend in ihrem großen Sessel, umgeben von drei jungen Männern, und sah dem Ganzen zu. Als Marie mit Draco den Raum betrat, sprang sie erfreut auf, ging auf die Beiden zu, umarmte einen nach dem anderen und sagte: „Oh, Ihr seid schon da. So früh hätte ich Euch nicht erwartet.“

Suchend sah sie sich um. „Wo sind Jean und Belziel?“

„Sie werden gleich erscheinen.“ versprach Marie. „Sie bringen nur Leo nach oben.“

„Kommt, setzt Euch zu mir.“ forderte Darkness sie auf. „Und erzählt mir, wie war Eure Fahrt? Ging alles gut?“

„Das darfst Du Draco nicht fragen.“ lachte Marie. „Er hat davon gar nichts mitbekommen. Aber lass uns später darüber reden, jetzt brauch ich erstmal einen Drink.“

Marie mischte sich unter das Volk und suchte sich einen jungen Mann aus. Kurze Zeit später saß sie auf seinem Schoss und hatte ihren Mund an seinen Hals gepresst.

Draco stand etwas verloren herum, als sich ihm eine junge Frau näherte. Sie trug wie alle Frauen hier ein weit ausgeschnittenes Oberteil, welches viel von ihrem Hals und ihrem Dekollete freiließ.

„Hallo“ begrüßte sie ihn. „Kennst Du mich noch?“

Draco sah sie an. „Kann schon sein.“ erwiderte er knapp.

„Dir habe es zu verdanken, dass ich das größte Vergnügen, welches es gibt, kennengelernt habe.“ sprach sie weiter. „Du warst es, der als erster mein Blut trank und mir zeigte, welche Leidenschaft es in einem entfacht. Seitdem bin ich jeden Abend hier. Und ich freue mich, Dich wiederzusehen.“

Draco sah sie genauer an. „Ach, die kleine Jungfrau, die ich durch das Labyrinth gejagt habe.“ grinste er sich erinnernd. „Die, die mir nicht glauben wollte, dass sie danach süchtig wird und sich jeden Abend jedem Vampir an den Hals wirft.“

Sehr nett waren seine Worte nicht, aber das schien ihr nichts auszumachen, denn sie lächelte ihn weiterhin an.

‚Komm’ lockte ihr ganzer Körper. ‚Komm und bohr mir Deine Zähne ins Fleisch.’

Draco griff nach ihrem Arm und zog sie mit sich in eine dunkle Ecke des Raumes. Dort presste er sie gegen die Wand und bohrte heftig seine Zähne in ihren Hals. Aber seine Heftigkeit schien ihr nichts auszumachen, im Gegenteil, es schien sie stark zu erregen. Sie drückte ihren Unterleib gegen seinen und begann ihre Hände unter sein Shirt zu schieben.

Als Dracos Hunger gestillt war, stieß er sie von sich.

„Dafür such Dir jemand anderen.“ sagte er hart zu ihr. „Mich verlangte es nur nach Blut und nicht nach Deinem Körper.“

Dieses Vergnügen konnte er Leo nicht geben und nun sollte es auch keine andere mehr haben. Er ging zurück zu Darkness, die sich gerade freudig in Jeans Arme schmiegte und mit ihm Blut tauschte.

„Wo find ich Leo?“ verlangte Draco zu wissen.

„Keinen Spaß heute?“ fragte Darkness erstaunt. „So kenn ich Dich ja gar nicht. Sonst hast Du vier bis fünf Frauen pro Nacht vernascht.“

„Ich hatte Spaß genug. Also, wo befindet sich Leo?“ beharrte er.

Jean sagte ihm, in welchem Zimmer sie untergebracht war und Draco machte sich gleich auf den Weg dorthin.

Leo war in einem der oberen Räume untergebracht. Es war ein großes Schlafzimmer mit einem riesigen Bett. Darauf hatte Jean und Belziel Leo gelegt. Der Sarg war nirgendwo zu sehen.

Draco legte sich neben sie auf das Bett und berührte sanft mit seinen Fingern ihr Gesicht. Es fühlte sich weich an.

„Warum hast Du mich verlassen?“ flüsterte er. „Ich weiß nicht, wie ich ohne Dich weiterleben soll. Am liebsten würde ich hier und jetzt neben Dir sterben.“

Er drehte sich auf den Rücken und starrte zur Decke. So langsam machten sich die zwei Tage und Nächte ohne Schlaf bemerkbar und auch das frische Blut tat sein Übriges dazu. Ihm fielen die Augen zu und er versank in einen tiefen Schlaf.

Eine Hand glitt leicht wie ein Schmetterling seine Brust hinauf bis zu seinem Gesicht und eine Stimme wisperte leise: „Durst.“ Draco wagte nicht, sich zu bewegen, um seinen Traum nicht zu zerstören.

Die Hand, die leicht auf seiner Wange lag, strich nun langsam mit den Fingerspitzen hinunter zu seiner Halsschlagader. Dort blieb sie liegen und wieder flüsterte die Stimme: „Durst.“

Langsam schob sich ein Körper auf seinen und er spürte leichten Atem an seinem Hals. Immer noch glaubte Draco zu träumen und blieb still liegen. Er rührte sich auch nicht, als er zwei weiche Lippen an seinem Hals spürte.

Erst als sich zwei spitze Zähne in sein Fleisch bohrten, öffnete er die Augen.

Was er dann sah, konnte er nicht glauben und hielt es immer noch für einen Traum. Trotzdem hob er einen Arm und legte seine Hand auf den Kopf, der nun an seinem Hals saugte.

„Ach Leo.“ seufzte er leise. „Wie gerne würde ich glauben, dieses wäre wahr und nicht nur ein Traum.“

In diesem Moment öffnete sich die Tür und Marie kam herein, im Schlepptau einen jungen Mann.

„Oh, sie ist wach.“ sagte sie, als sie das Bild sah, welches sich ihr bot.

„Ja.“ erwiderte Draco glücklich lächelnd. „Und es ist ein wunderschöner Traum. Aber was hast Du darin zu suchen?“

Mit wenigen Schritten stand Marie neben dem Bett und nahm Leo an den Schultern.

„Komm, Du hast genug von ihm getrunken, er redet schon wirres Zeug.“ sagte sie und zog Leo von Draco fort.

„Nein.“ rief Draco heftig. „Lass sie, zerstör mir nicht meinen Traum.“

„Das ist kein Traum.“ entgegnete Marie fest. „Ich bin real in diesem Zimmer und Du bist wach. Aber nun lass mich Leo von Dir fortnehmen, bevor sie Dich leertrinkt. Ich habe ihr jemanden mitgebracht. Und Du geh mal lieber wieder nach unten und trink noch etwas. Ich bleibe hier und passe auf, dass sie nicht zu viel nimmt.“

„Du meinst, ich….sie….“ stotterte Draco. „Aber wieso?“

„Erklären wir Dir alles später und jetzt geh.“ forderte sie ihn nochmals auf.

„Durst“ wimmerte Leo und wollte sich an Draco klammern.

„Ja, ich weiß.“ sprach Marie beruhigend auf sie ein. „Komm her, sieh mal, ich habe Dir was mitgebracht.“

Sie stieß den jungen Mann auf das Bett, so dass er direkt neben Leo lag. Dann biss Marie ihn in den Hals, so dass er zu bluten begann. Der Geruch ließ Leo sich von Draco abwenden und sie presste begierig ihren Mund auf die kleine Wunde.

„Verschwinde.“ zischte Marie Draco zu.

„Aber nur trinken“. sagte Draco heiser. „Sie soll nur von ihm trinken, nichts anderes.“

„Ja, ja, ist gut.“ erwiderte Marie lachend. „Sein Blut gehört ihr und ihr Körper gehört Dir. Und nun verschwinde, sonst bist Du zu schwach. Immerhin ist sie ein Frischling. Und Du weißt, wie die sind. Also trink reichlich.“

Oh ja, Draco wusste nur zu gut, wie junge Vampire waren, er war ja auch mal einer. Und zu seinem Glück war es Darkness, die seine Leidenschaft auffing und ihm zeigte, wie er sie zügeln konnte, wenn er mit einer Frau schlief, die menschlich war. Denn die wilde, ungezügelte Leidenschaft eines Vampirs würde kaum eine Frau überleben.

Als Draco den Raum betrat, war er immer noch gut gefüllt. Er blickte lächelnd zu Darkness hinüber, die nun wieder in ihrem Sessel saß, allerdings ohne ihre üblichen Jünglinge, sondern Jean saß neben ihr auf der Lehne. Die Beiden sahen Draco an und nickten ihm wissend zu.

„Du hast mir einiges zu erklären.“ wandte sich Draco an Jean.

„Ich weiß.“ nickte dieser. „Aber nicht nur ich, Belziel und Marie ebenso. Aber das werden wir auf später verlegen. Jetzt geh Dich erstmal stärken. Und trink reichlich, Du wirst es brauchen. Leo wird sich noch öfter bei Dir bedienen.“

Auch das war Draco noch in guter Erinnerung. Als Wanja und er damals verwandelt waren, hatten sie in den ersten Tagen auch ständig Durst, so dass sie sich sogar am hellen Tag ihre Opfer suchten.

Draco schlenderte lässig durch den Raum. Bei jeder Frau, die alleine war, ließ er sich nieder und trank von ihrem Blut. Als sich sein Körper so anfühlte, als würde er beim nächsten Schluck platzen, wandte er sich der Hintertür zu, die nach oben führte. Kurz bevor er sie hinter sich schloss, hörte er, wie Darkness in die Hände klatschte und rief: „Schluss für heute. Morgen öffnen wir dafür eine Stunde früher.“

Unter den Gästen begann ein leises Murren, welches aber schnell wieder verstummte.

Beschwingt lief Draco die Treppe hinauf und öffnete schwungvoll die Tür zu Leos Schlafzimmer. Marie saß auf der Bettkante und ließ den jungen Mann gerade aus ihrem Handgelenk trinken. Leo saß auf dem Bett und griff ständig nach dem Mann, was Marie abwehrte.

„Gut, dass Du da bist.“ sagte sie bei Dracos Eintritt. „Sie hätte ihn fast ausgetrunken. Und sie ist verdammt stark. Ich hatte Mühe, ihn ihr fortzunehmen. Kümmere Dich bitte um sie, während ich ihn von hier fortbringe, ihm noch von meinem Blut gebe und danach seine Erinnerung lösche.“

Mit schnellem Schritt war Draco am Bett, setzte sich schräg hinter Leo und umfing sie mit beiden Armen, so dass sie ihre Hände nicht mehr bewegen konnte.

„Durst“ jammerte Leo. „Ich habe Durst.“

„Ich weiß, Kleines.“ sagte Draco beruhigend und nickte Marie zu, die sich daraufhin erhob und mit dem jungen Mann das Zimmer verließ. „Du bekommst gleich noch mehr.“

Leo versuchte ihren Kopf zu drehen, um Draco in den Hals zu beißen.

„Nein, mein Schatz.“ lächelte Draco. Er biss sich in das Handgelenk und hielt es vor ihren Mund. „Hier, und nun trink, soviel Du möchtest.“

Gierig presste Leo ihren Mund darauf und begann hastig zu saugen. Nach zwei, drei Schlucken wurde sie ruhiger und nun trank sie langsamer. Draco hielt sie dabei die ganze Zeit im Arm und sah ihr lächelnd zu. Das Saugen wurde schwächer und Leo schlief ein, den Mund immer noch an Dracos Handgelenk. Vorsichtig, um sie nicht zu wecken, legte Draco sich mit Leo im Arm hin.

Leise öffnete sich wieder die Tür und Marie betrat erneut den Raum. Sie kam auf Zehenspitzen zu dem Bett, stellte einen Krug auf den Nachtschrank und sah lächelnd auf die schlafende Leo.

„Nachschub für Dich.“ flüsterte sie Draco zu und verließ leise den Raum.

Mit seiner freien Hand angelte sich Draco den Krug und trank gierig in großen Schlucken. Noch mehr hätte Leo nicht trinken dürfen, denn dann hätte er keinen Tropfen mehr in seinen Adern gehabt.

Abrupt wachte Leo auf. Ihr Kopf lag auf Dracos Brust und sein Arm hielt sie umfangen. Irgendetwas war anders. Leo dachte angestrengt nach. Ihre letzte Erinnerung war, dass sie und Draco miteinander geschlafen hatten und sie nackt in seinen Armen eingeschlafen war. Auch er war nackt gewesen, aber wieso trug er jetzt ein schwarzes T-Shirt? Und wer hatte ihr dieses lange, weiße, schreckliche Kleid angezogen? Sie blickte zur Decke hoch. Aber statt des milchig-blauen Kristalls war dort eine stuckverzierte Decke zu sehen. Ihr Blick wanderte weiter Richtung Fenster. Auch diese waren anders, sie reichten vom Boden bis zur Decke und bestanden aus vielen kleinen Scheiben. Es war auch nicht das Bett, in dem sie eingeschlafen war. Dieses hier war massig und aus braunem Holz und hatte am Kopfende geschnitzte Verzierungen. Leo legte ihren Kopf wieder auf Dracos Brust und sah zu seinem Gesicht. Plötzlich erreichte ein Geruch ihre Nase und aus ihrer Kehle drang ein leises Knurren. Schnuppernd wie ein Hund folgte sie ihm und ihre Hand fand auf dem Nachttisch einen großen Krug, dem dieser köstliche Geruch entstieg. Sie nahm ihn und führte in mit beiden Händen zu ihrem Mund. Gierig trank sie seinen Inhalt aus. Nachdem sie den Krug wieder zurückgestellt hatte, legte sie sich wieder neben Draco.

‚Wer ist nur auf die Idee gekommen, mir dieses blöde Kleid anzuziehen?’ dachte sie. Es war bis zum Hals hochgeschlossen und hatte enge, lange Ärmel. Leo beschloss, es auszuziehen. Sie zerrte am Kragen und mit einem Ruck zerriss das Kleid. Befreit schleuderte sie es zu Boden. Aber warum lag Draco angezogen neben ihr? Leo schob ihre Hand unter sein T-Shirt und streichelte über seinen Bauch. Allein diese Berührung erweckte in ihr das Verlangen, ihn ganz zu spüren. Sie schob sein Shirt hoch und begann mit ihren Lippen seinen Bauch zu streicheln. Mit der nun freien Hand fuhr sie ungeniert in seine Jeans. Langsam schob sie ihren Körper auf Draco und bedeckte sein Gesicht mit Küssen. Draco reagierte nicht auf ihre Zärtlichkeiten, aber das störte Leo nicht. Erst als ihre Lippen die seinen berührten, kam Leben in ihn. Erst zaghaft, dann immer leidenschaftlicher, erwiderte er ihren Kuss. Seine Arme umfassten ihren Körper und blitzschnell hatte er sich mit ihr umgedreht, so dass sie nun unter ihm lag.

„Dein Shirt stört.“ murmelte Leo an seinem Mund. Sie griff mit beiden Händen danach und zog es mit einem Ruck von seinem Körper, was das Shirt aber nicht überlebte. Seine Jeans erlitt das gleiche Schicksal.

Stunden später, mittlerweile war es Vormittag, klopfte es an ihre Tür. Auf Dracos „herein“ betrat Marie das Zimmer, in jeder Hand einen Krug.

„Kleine Stärkung gefällig?“ grinste sie in Richtung Bett.

„Ja, ich.“ rief Leo aufgeregt. „Ich bin so durstig, ich könnte ein ganzes Fass austrinken.“

Sie griff mit beiden Händen einen der Krüge und setzte in an ihre Lippen. Marie und Draco sahen ihr lächelnd zu.

„Ihr möchtet dann gleich in Darkness Zimmer kommen.“ wandte sich Marie an Draco. „Aber ich glaube, ich besorge Euch erst einmal etwas zum Anziehen.“ fügte sie mit Blick auf den Boden hinzu.

Wenig später kehrte sie mit einer Jeans und einem T-Shirt für Draco und Leo zurück.

„Beeilt Euch, alle warten nur auf Euch.“ ermahnte sie die Beiden.

„Müssen wir wirklich?“ maulte Leo, als sie mit Draco alleine war. „Ich würde viel lieber mit Dir hier bleiben, hier im Bett.“

„Ja, wir müssen.“ lachte Draco. „Also komm, Du Frischling, zieh Dich an.“

„Wieso nennst Du mich Frischling?“ fragte Leo, als sie sich widerstrebend anzog.

„Hm, das wirst Du gleich erfahren.“ erwiderte Draco geheimnisvoll.

„Wieso eigentlich Darkness?“ wollte Leo verwirrt wissen. „Wo sind wir eigentlich? Und wie kommen wir hierher?“

„Gleich“ tröstete Draco sie. „Gleich bekommst Du auf alles eine Antwort.“

„Und ich hoffentlich auch.“ fügte er leise hinzu.

Sie erreichten Darkness Zimmer und nach kurzem Anklopfen traten sie ein. Es war ein gemütlich eingerichtetes Wohnzimmer, in dem U-förmig eine Couch aufgestellt war. Auf dieser saßen bereits Belziel, Marie, Jean und Darkness.

Nachdem Leo und Draco Platz genommen hatten, sah Jean zu Beiden hin.

„Ich glaube, es ist Zeit für eine Erklärung.“ meinte er.

„Das glaub ich auch.“ knurrte Draco. „Alle außer mir scheinen ja Bescheid zu wissen.“

„Hm, ja, aber dafür muss ich die ganze Geschichte erzählen.“ begann Jean. „Es ist so: Als Lieu damals von seinem Bruder ermordet wurde, fiel das zunächst niemandem auf. Kurz nach seinem Tod war sein Geist noch nicht so schwach und er konnte noch mit einigen Leuten kommunizieren, das heißt, eigentlich nur mit uns Ur-Vampiren. Sieh mich nicht so an, Draco, es stimmt, auch ich bin einer, also ein geborener Vampir. Naja, jedenfalls erschien mir eines Tages Lieus Geist und berichtete mir von seinem gewaltsamen Tod und das es sein Bruder war. Devon war schon immer neidisch gewesen, nicht der Erstgeborene zu sein. Und Lieu hatte gleich den Verdacht, dass Devon mehr der dunklen Seite der Macht zustrebte. Also bat Lieu mich und Belziel, ihn im Auge zu behalten. Später dann kam Asmodee hinzu, der uns als Bindeglied diente, den Lieus Geist war mittlerweile so schwach, dass er jemanden brauchte, der für ihn sprach. Allerdings hatte Asmodee auch die Aufgabe, sich der anderen Seite anzuschließen. So waren wir immer über deren Schritte unterrichtet, bis, ja, bis zu dem Tag, als Daleira ihn unter einen Bann stellte. Aber im Tempel, der sich zu jener Zeit noch überirdisch befand, gab es einen alten blinden Mann, der die Zukunft sehen konnte. Einige unserer Ur-Vampire hatte sich dort als Priester eingeschlichen und erfuhren so von der Prophezeiung, dass Lumina zwei Söhne gebären würde, die dazu bestimmt wären, Devon und seinen Helfern das Handwerk zu legen. Leider waren aber auch einige von Devons Anhänger im Tempel, was wir aber nicht wussten. So erfuhr auch er und Daleira davon. Seit Eurer Geburt wachte immer einer der Ur-Vampire über Euch, so auch, als ihr in Venedig wart, wo ihr eigentlich den Tod finden solltet. Aber auch das konnte zum Glück von uns vereitelt werden. Was wir aber nicht verhindern konnten, war, dass ihr als erste Nahrung das Blut Daleiras zu Euch nahmt. Selbst Zerafina, die glücklicherweise auf unserer Seite war, konnte es nicht verhindern. Daleira hatte die Absicht, da ihr ja noch lebtet, euch auf ihre Seite zu ziehen. Aber Zerafina ließ mir eine Nachricht zukommen, so dass ich Euch von dort wegholen konnte. Da Asmodee nicht mehr vertrauenswürdig war, erschien Lieu Deiner Mutter im Traum, als sie noch unter den Menschen lebte und veranlasste sie so, den Tempel unter die Erde zu legen.“

Hier unterbrach Jean seine Geschichte und griff nach einem Glas, welches von ihm auf dem Tisch stand. Keiner der Anwesenden sprach ein Wort, alle schienen gespannt auf den Rest der Geschichte zuwarten. Alle, außer Leo. Sie hatte ihren Kopf auf Dracos Schoß gelegt und sah gelangweilt zur Decke hoch.

„Ich glaub, Du solltest den Rest überspringen und zur Gegenwart kommen.“ riet Darkness lächelnd. „Sonst schläft unser Frischling noch ein.“

„Wieso nennt Ihr mich ständig Frischling?“ wollte Leo wissen.

„Also gut.“ stimmte Jean Darkness zu. „Kommen wir nun zu Leo. Wir ihr alle wisst, wird gegen Ende eines Jahrtausend immer jemand geboren, der die Ehre hat, den Sohn des Löwengottes zu gebären. Nur diesmal war es anders. Lieu hatte den Entschluss gefasst, dass mit ihm die Ära der Götter zu Ende sein sollte. Aber damit dies Devon nicht auffiel, wurde Leo gezeugt. Allerdings von Lieu selber, was aber niemand bemerkte. Und er wachte über sie. Er war es, der ihren Eltern den Gedanken in den Kopf setzte, sie als Jungen aufwachsen zu lassen. Und er war es, der sie veranlasste, Afrika zu verlassen, als Daleira nahe dran war, zu entdecken, dass Leo doch ein Mädchen war. Später, als Leo älter war und nicht mehr länger krank sein wollte, schickte er Wanja zu ihr. Was sich im Nachhinein als Fehler herausstellte, denn durch Daleiras Blut wusste diese immer, wo ihr euch befandet. So entdeckte sie den Aufenthaltsort von Leo. Sie war es auch, die Leos Eltern tödlich verunglücken ließ. Aber nicht nur sie war in der Lage, einen Bann auszusprechen, auch Lieu war es und er legte einen Bannkreis um das Schloss, in dem Leo damals lebte. Allerdings hat er nicht damit gerechnet, dass Wanja sich auf Spurensuche nach Afrika begeben würde und Leo ihm einige Wochen später folgen würde. Aus diesem Grund schickte er dann Dich, Draco.“

„Das heißt, es war von ihm beabsichtig, dass ich Leo an jenem Abend dort an der Autobahn auflas?“ fragte Draco dazwischen. „Und mit ihr nach Afrika fuhr?“

„Ja, das alles war Absicht.“ antwortete Jean. „Aber alles andere geschah ohne sein Zutun. Er ist nicht dafür verantwortlich, dass Du Dich in sie verliebt hast. Er kann nicht alles lenken.“

„Aber das alles erklärt noch nicht, warum sie jetzt eine von uns ist.“ meinte Draco.

„Nun ja.“ erwiderte Jean. „Als wir sie von Asmodee befreiten, der im Übrigen nie die Absicht hatte, ihr etwas zu tun, konnte Marie Devons Gedanken hören. Er kochte innerlich vor Wut, was er sich äußerlich nicht anmerken ließ. Marie kümmerte sich dann um Leo und gab ihr von ihrem Blut zu trinken. Und auch am nächsten Tag war in jedem Getränk, welches Leo zu sich nahm, etwas von Maries Blut. Wie sich herausstellte, war es richtig, das zu tun. Allerdings mussten wir alle glauben lassen, Leo hätte den Sturz aus dem Fenster nicht überlebt, selbst Dich. Es mussten erst alle Anhänger Devons gefasst werden. Das Problem war nur, sie solange schlafen zu lassen, bis wir hier in Sicherheit waren. Aber dank Belziels Fähigkeit haben wir auch das geschafft.“

„Wie, ich bin aus dem Fenster gefallen?“ meldete sich Leo zu Wort. „Wann und wo soll das denn gewesen sein?“

„Erinnerst Du Dich nicht daran?“ fragte Darkness.

„Nein.“ erwiderte Leo. „Ich erinnere mich nur an die Nacht, die schönste Nacht meines Lebens. Und das wir Asmodee aus dem Kerker geholt haben.“ Leo dachte angestrengt nach. „Ach ja, und das Draco dann erst überlegen musste, ob er mit einer Halbgöttin zusammensein wollte. Und das ist alles.“

Sie lächelte in seine Richtung. „Aber er will, dass hat er mir heute Nacht gezeigt.“

Darkness stand auf und setzte sich neben Leo, die nun zwischen ihr und Draco saß. Darkness legte ihren Arm um Leos Schulter.

„Du musst jetzt ganz tapfer sein.“ sprach sie beruhigend. „Was wir Dir jetzt zu sagen haben, könnte ein großer Schock für Dich sein. Als Draco Dich alleine ließ und Du am Fenster standest, kam jemand in das Zimmer und stieß Dich hinaus, in der Absicht, Dich zu töten. Aber Maries Blut hat das verhindert, allerdings mit der Konsequenz, dass Du Dich verändert hast. Du hast Dich dadurch in einen Vampir verwandelt.“

„Aha.“ machte Leo nur. Sie sah Draco an. „Das heißt, wir können für immer und ewig zusammen sein, ohne dass ich älter werde.“ strahlte sie ihn an.

„Ja, das heißt e.s“ stimmt er ihr zu.

„Und dafür müssen wir nicht in dieser grässlichen unterirdischen Stadt leben.“ meinte Leo erfreut. „Sondern dort, wo es uns gefällt.“

„Aber nicht sofort.“ dämpfte Jean ihren Enthusiasmus. „Erst einmal müsst Ihr hierbleiben.“

„Und wie lange?“ wollte Leo wissen.

„Ein paar Monate, ein Jahr, das kann keiner so genau wissen.“ antwortete Jean.

„Was? Ein Jahr H I E R?“ fragte Draco entsetzt.

„Du hast doch Dein erstes Jahr auch hier verbracht.“ meinte Darkness erstaunt und fügte grinsend hinzu: „Und es hat Dir gefallen.“

„Ja, aber das war was anderes.“ wiegelte Draco ab. „Aber ich….ich will nicht, dass sie….“

„Beruhige Dich.“ beruhigend legte Marie ihre Hand auf seinen Arm. „Leo muss nicht unbedingt nach unten. Du kannst ihr geben, was sie braucht.“ Dann sah sie ihn ernst an. „Eins muss ich Euch aber noch sagen, bevor ich es vergesse. Dadurch, dass Leo von meinem Blut getrunken hat und dazu noch das Kind eines Gottes ist, ist sie stärker als wir. Ihr müsst ihr helfen, damit umzugehen.“

„Und was ist mit Euch? Bleibt Ihr nicht hier?“ fragte Draco.

„Nein.“ meldete sich Belziel das erste Mal zu Wort. „Wir reisen morgen wieder ab, wir können nicht ein Jahr hierbleiben, dass würde zu sehr auffallen. Außerdem haben wir unsere Hilfe versprochen bei der Jagd nach den restlichen Anhängern.“

„Nach unten? Was ist unten?“ wollte Leo neugierig wissen. „Und warum soll ich da nicht hin?“

Alle sahen sich fragend an. „Wir sollten es ihr sagen.“ bestimmte Darkness. „Sonst wird sie es selber herausfinden wollen.“

Sie wandte sich Leo zu. „Also, hier im Untergeschoss befindet sich so eine Art Nachtclub, eine Art Treffpunkt für Menschen und Vampire. Die Menschen kommen freiwillig hierher und geben den Vampiren etwas von ihrem Blut. Dafür bekommen sie, hm, tja, wie soll ich sagen…..?“
„Sex?“ warf Leo ein.

„Ja.“ stimmte Darkness zu.

„Darf ich mir das mal ansehen?“ fragte Leo aufgeregt.

„Aber nur in meiner Begleitung.“ knurrte Draco.

„Natürlich, mein Schatz.“ erwiderte Leo sanft. „Ich glaube kaum, dass sonst jemand so gut riecht, wie Du.“ Sie bohrte ihre Nase an seinen Hals. “Komm, lass uns gehen.“ flüsterte sie heiß.

Trotzdem hatten es alle gehört und grinsten vielsagend. Marie erhob sich und kam kurze Zeit mit einem großen Keramikkrug zurück.

„Hier, das wirst Du brauchen.“ mit diesen Worten drückt sie ihn Draco in die Hand.

In ihrem Zimmer angekommen, stellte Draco den Krug auf den Nachttisch. Leo hob schnuppernd ihre Nase.

„Hm, riecht gut.“ sagte sie. „Aber Du riechst besser.“ Sie schmiegte sich an ihn.

„Und so soll es auch bleiben.“ knurrte Draco. „Ich will nicht, dass Du das mit einem Anderen teilst, denn Du gehörst nur mir.“

Er hob sie hoch und legte sie auf das Bett. Lächelnd sah er auf sie hinunter und sah, dass ihre kleinen, spitzen Reißzähne länger geworden waren. Draco zog sich das Shirt aus und legte sich neben Leo, die gleich ihren Kopf in seine Richtung drehte.

„Sofort, Miss Ungeduld.“ lächelte er und bog seinen Kopf so, dass Leo seine Schlagader gut erreichen konnte. „Aber lass mich leben.“ bat er, als sie ihre Zähne in sein Fleisch bohrte.

„Das werde ich, ich brauch Dich doch.“ murmelte Leo zwischen zwei Schlucken. Sie trank dieses Mal nicht so gierig wie beim ersten Mal und mit jedem Schluck, den sie nahm, steigerte sich Dracos Erregung. Leo bemerkte es und ließ von seinem Hals ab. Sie ließ ihren Mund nun über seinen Oberkörper wandern und bedeckte ihn mit Küssen. Draco schob seine Hände unter Leos T-Shirt und zog es ihr mit einem Ruck vom Körper. Blitzschnell drehte er sich mit Leo um, so dass sie nun unter ihm lag. Nun begann er seinerseits, ihren nackten Oberkörper mit seinen Lippen zu streicheln.

„Es wird von Mal zu Mal schöner.“ sagte Leo, als sie einige Zeit später in Dracos Armen lag. „Aber jetzt habe ich Hunger.“

Draco angelte nach dem Krug, der auf dem Nachttisch stand und hielt ihn Leo hin.

„Hier, möchtest Du?“ fragte er liebevoll.

„Nein, danke.“ wehrte Leo ab. „Ich hab Hunger, richtigen Hunger, ich möchte etwas essen.“

„Dann lass uns mal schauen, ob wir was finden.“ Draco angelte nach seiner Boxershorts.

„Ich muss so gehen, ich hab nichts anzuziehen.“ jammerte Leo, die immer noch nackt auf dem Bett lag.

„Hm, ich mach Dir einen Vorschlag.“ sagte Draco und sah sie mit blitzenden Augen an. „Du bleibst hier und ich suche uns etwas zu Essen. Nicht, dass Dich einer der anderen Männer so sieht.“

„In Ordnung, Othello.“ grinste Leo. „Ich werde auf Dich warten, beeil Dich. Und komm nicht ohne etwas zu Essen wieder, sonst muss ich Dich essen.“

In der Küche fand Draco einige gebratene Hähnchenschenkel im Kühlschrank. Er legte sie auf einen Teller, nahm noch einige Scheiben Brot und wollte die Küche verlassen, als Marie und Belziel eintraten.

„Na, da hat aber jemand großen Hunger.“ grinste Belziel.

„Ja, Leo.“ erwiderte Draco. „Wieso eigentlich? Ich weiß, dass wir essen, aber seit meiner Verwandlung habe ich eigentlich nie mehr das Gefühl des Hungers verspürt.“

„Ihr verwandelten Vampire verspürt das auch nicht mehr, keine Ahnung, warum.“ antwortete Belziel. „Aber wir Ur-Vampire haben Hunger, Durst sowie die normale Menschen, auch deren anderen Bedürfnisse. Ich weiß auch nicht, warum das so ist.“

„Wir werden mal einen der Ältesten danach fragen.“ meinte Marie.

Als Draco wenig später das Zimmer betrat, saß Leo im Schneidersitz auf dem Bett. Er stellte den Teller vor sie und sie griff hungrig nach einem der Schenkel. Lächelnd sah Draco ihr zu, wie sie ihre Zähne in das Fleisch bohrte.

„Du auch?“ fragte sie mit vollem Mund kauend.

„Nein, danke, iss Du nu.r“ antwortete er lächelnd und legte sich neben sie. Mit einer Hand zeichnete er Ornamente auf ihren Rücken, aber Leo ließ sich beim Essen nicht stören.

„Duuu.“ sagte sie nach einer Weile und schaute auf den Teller, wo die abgenagten Knochen lagen. „Ich bin doch jetzt auch ein Vampir.“

„Ja?“ erwiderte Draco fragend.

„Aber wieso fühl ich mich dann nicht anders? Es hat sich nichts verändert, außer das ich besser riechen kann.“

„Naja, das Einzige, was sich stark verändert, sind Deine Sinne.“ antwortete Draco. „Du empfindest Gerüche stärker und Du hörst selbst das kleinste Geräusch. Auch kannst Du in der Nacht genau so sehen, wie am Tag.“

„Aha“ nickte Leo und sprang auf. „Ich muss mal wohin“ rief sie und lief Richtung Bad. Sie drückte die Türklinke hinunter und zog die Tür auf, welche mit einem Krachen aus den Angeln flog.

„Oh.“ machte Leo.

„Und Du bist stärker.“ lachte Draco.

„Was wird Darkness dazu sagen?“ fragte Leo, als sie wieder aus dem Bad zurück war, mit Blick auf die zerstörte Tür.

„Das Du lernen musst, Deine Kraft unter Kontrolle zu bekommen.“ erwiderte Draco. „Und Dich bitten, vorläufig keine Türen mehr zu öffnen.“

„Dann müssen wir uns eine Bleibe suchen, wo es keine Türen gibt.“ meinte Leo schulterzuckend. „Bis dahin werde ich hier in diesem Zimmer bleiben. Und Du musst mir alles bringen, was ich möchte.“

„Nein, wir werden üben, damit Du Deine Kräfte unter Kontrolle bekommst.“ sagte Draco. „Ich bin doch nicht Dein persönlicher Diener.“ Er lachte bei diesen Worten.





18. Kapitel


In den nächsten Tagen gingen noch einige Türen zu Bruch.

„Ich lern das nie.“ sagte Leo deprimiert. Sie lag auf dem Bett und starrte zur Decke. „Ich werde für immer hier liegen bleiben, so kann ich wenigstens nichts kaputt machen.“

„Ach, komm.“ meinte Draco aufmunternd. „Nicht so schnell aufgeben, wir schaffen das schon.“

„Ja, nachdem das Schloss in Schutt und Asche liegt.“ murrte Leo. Sie blickte Draco an, der sie grinsend betrachtete.

„Was ist?“ fauchte sie ihn aggressiv an.

„Nichts.“ erwiderte er unschuldig. „Ich musste nur gerade daran denken, wie Du am Anfang unserer Bekanntschaft reagiert hast, wenn das Thema ‚Nacktsein’ zur Sprache kam und nun sehe ich Dich seit Tagen nackt.“

„Wenn es Dir nicht passt, guck woanders hin.“ murrte Leo.

„Dass es mir nicht gefällt, habe ich nicht gesagt.“ lächelte Draco. Er legte sich neben sie und fuhr mit seinen Fingern über ihren Bauch. „Erzähl mir, was Dich bedrückt.“ bat er sanft. „Es sind doch nicht nur die Türen oder die anderen Dinge, die kaputt gehen.“

Es klopfte und Darkness trat herein. Mit einem Blick erfasste sie die Situation.

„Na, da komm ich ja gerade richtig.“ meinte sie. „Du lässt uns jetzt mal bitte allein“ wandte sie sich an Draco. Und als dieser zögernd den Raum verlassen hatte, drehte sie sich zu Leo.

„Und Du ziehst Dir jetzt erstmal was an.“ forderte sie diese auf.

„Ich habe nichts.“ widersprach Leo mürrisch.

„Oh doch, Du hast.“ erwiderte Darkness fest und wandte sich dem Kleiderschrank zu. Sie öffnete dessen Türen. „Hier, Marie hat vor ihrer Abreise alles nötige besorgt. Los, steh auf und zieh Dich an.“

Widerstrebend gehorchte Leo. Sie nahm sich eine schwarze Jogginghose und ein pinkes, enganliegendes Topp heraus. Nachdem sie es übergestreift hatte, klopfte Darkness auf die Bettkante, wo sie in der Zwischenzeit Platz genommen hatte.

„Setz Dich.“

Als Leo neben ihr saß, nahm Darkness ihre Hand und meinte: „Jetzt raus mit der Sprache. Was ist los?“

„Nichts.“ murmelte Leo. Aber Darkness ließ sich nicht beirren. Sie fasste Leos Kinn und zwang sie so, sie anzusehen.

„Lüg mich nicht an.“ sagte sie sanft, aber fest. „Ich habe gleich bei meinem Eintritt gemerkt, dass Dich irgendetwas bedrückt und ich will jetzt wissen, was es ist.“

Leos Augen füllten sich mit Tränen.

„Ich habe es satt, eingesperrt zu sein.“ brach es aus ihr heraus. „Vierzehn Jahre war ich in meinem Bett und in meinem Zimmer gefangen. Erst als Wanja bei uns erschien, habe ich dieses verlassen, selbst gegen den Widerstand meiner Eltern. Aber ich war immer noch nicht wirklich frei, ich war eingesperrt in unserem Garten, durfte das Grundstück nicht verlassen. Das habe ich erst, als Wanja verschwand und ich nichts mehr vom ihm hörte, nachdem meine Eltern tot waren. Aber statt in die Freiheit geriet ich in die nächste Gefangenschaft. Nach meiner ersten Fast-Vergewaltigung wurde ich unter der Erde in die Kristallstadt gesperrt. Auch als ich diese dann mit Draco verließ, war ich nicht wirklich frei. Wir lebten zwar in unserem Schloss, aber unter Bewachung bis zu meiner Entführung. Und jetzt, jetzt werde ich schon wieder gezwungen, im Verborgenen zu leben. Wenn das mein Leben sein soll, dann wäre ich besser gestorben, als ich aus dem Fenster gestoßen wurde.“

„Das also ist es, was Dich bedrückt.“ murmelte Darkness. „Aber wir tun das doch alles nur, um Dich zu beschützen.“

„Und wenn ich gar nicht beschützt werden will?“ fragte Leo. „Nie hat jemand gefragt, was ich möchte. Immer wurde einfach entschieden.“

„Und was möchtest Du?“ fragte Darkness. „Als Zielscheibe dort draußen herumlaufen?“

„Ja, warum nicht?“ erwiderte Leo. „Dann kämen sie wenigstens aus ihren Löchern und man könnte sie leichter erwischen.“

„Das wäre ein Argument.“ antwortete Darkness. „Aber was würdest Du damit Draco antun? Er würde in ständiger Angst um Dich leben. Willst Du das?“

„Nein, natürlich nicht, dafür liebe ich ihn zu sehr.“ sagte Leo.

„Na siehst Du.“ lächelte Darkness. „Er ist so froh, Dich wieder zu haben, dass er alles für Dich tun würde, sogar in einer Höhle würde er mit Dir leben, wenn Du das wolltest. Ihn belastet das hier auch, aber er lässt es Dich nicht merken. Hast Du schon mal daran gedacht? Er ist Tag und Nacht für Dich da und erträgt Deine Launen.“ Sie erhob sich. „So, ich lasse Dich jetzt alleine. Denk mal über meine Worte nach.“

Nachdenklich saß Leo auf dem Bett, als Darkness gegangen war. ‚Sie hat ja Recht’ dachte sie. ‚Aber ich hasse es, eingesperrt zu sein. Nur sollte ich das nicht immer an Draco auslassen.’

Sie sah auf die Badezimmertür, die mal wieder erneuert worden war. ‚Du blöde Tür’ dachte sie, ‚kannst Du nicht mal aufgehen, ohne gleich kaputt zu gehen?’ Wie durch Geisterhand öffnete sich die Tür. ‚Jetzt brauchst Du auch nicht aufgehen’ dachte Leo und schon schloss sich die Tür wieder.

‚Hihi, das ist ja krass’ dachte Leo und blickte weiter auf die Tür, dabei dachte sie ständig ‚auf’ ‚zu’ und jedes Mal, öffnete und schloss sich die Tür wieder. ‚Ob das bei der anderen Tür wohl auch geht?’ überlegte sie und blickte zur Zimmertür. ‚Auf’ dachte sie und die Tür öffnete sich gerade in dem Moment, als Draco sie von außen öffnen wollte.

„Komm, sieh mal, was ich kann.“ rief Leo aufgeregt. Er setzte sich neben sie und lächelte.

„Das muss ja was aufregendes sein.“ meinte er.

„Ist es auch.“ sagte Leo glücklich lachend. Sie öffnete und schloss ein paar Mal per Gedanken die Türen.

„Siehst Du, nun geht keine Tür mehr zu Bruch, wenn ich sie öffnen will.l“ lachte sie fröhlich und warf sich in Dracos Arme. Er schloss seine Arme um sie und küsste sie auf die Stirn.

„Das also ist Deine Gabe.“ murmelte er in ihr Haar. „Wir sollten feststellen, ob Du auch andere Dinge bewegen kannst.“

„Och, Mann, ich dachte, Du freust Dich für mich, stattdessen denkst Du an etwas anderes.“ maulte Leo.

„Natürlich freu ich mich für Dich.“ lächelte Draco. „Aber noch mehr freut es mich für die Türen.“

„Du bist gemein.“ schmollte Leo. „Aber dafür musst Du büßen.“

Sie warf Draco nach hinten auf das Bett und setzte sich auf seine Oberschenkel. Dann nahm sie seine Arme und drückte sie nach hinten über seinen Kopf. Sie sah ihn grinsend an und begann, mit ihrer Zunge seinen Hals zu streicheln. Leo wusste genau, dass ihn das erregen würde.

„Hör auf.“ bettelte er lachend.

„Hm, nein, noch nicht.“ murmelte Leo an seinem Hals. Langsam bewegte sie sich Richtung seinem Ohr. Als Draco ihren Atem dort spürte, warf er seinen Kopf hin und her. Er versuchte, seine Hände zu befreien, aber da Leo stärker war als er, gelang es ihm nicht.

„Bitte nicht.“ wimmerte er lachend, als Leo begann, an seinem Ohrläppchen zu knabbern. „Ich entschuldige mich für alles, aber hör bitte auf. Oder lass wenigstens meine Hände los.“

„Entschuldigung angenommen, aber Hände loslassen ist nicht.“ sagte Leo. „Erst wenn Du um Gnade bettelst.“

„Niemals.“ erwiderte Draco mit dem Versuch, ernst zu bleiben.

„Oh, doch, Du wirst mich anflehen, Dich loszulassen.“ drohte Leo lächelnd. Sie ließ von seinem Ohr ab und glitt mit ihrem Mund hinunter zu seiner Schlagader. Dort ließ sie ihre Lippen einen Moment ruhen, bevor sie ihre kleinen, spitzen Zähne hineinbohrte. Sie begann in kleinen Schlucken sein Blut zu trinken, was Draco aufstöhnen ließ. Leo spürte seine zunehmende Erregung und unterbrach ihr Spiel. Auffordernd blickte sie an, aber es kam Kein ‚Gnade’ von ihm, also machte Leo weiter. Dracos Erregung wuchs und sein Stöhnen wurde lauter.

„Hör auf, bitte.“ brachte er stöhnend hervor. „Bitte, ich flehe Dich an, lass Gnade walten.“

Leo ließ von seinem Hals ab und setzte sich auf. Triumphierend sah sie ihm in die Augen.

„Na, geht doch.“ grinste sie.

„Lässt Du jetzt bitte meine Hände los?“ fragte Draco etwas atemlos.

„Sonst kann ich Dir nicht zeigen, was Darkness mir für Dich mitgegeben hat.“

„Ist das ein Trick?“ fragte Leo misstrauisch.

„Nein, Ehrenwort, es ist kein Trick.“ versprach Draco und sah sie offen an.

„Und was ist es?“ wollte Leo wissen, nachdem sie seine Hände freigegeben hatte.

Draco griff neben sich und hielt ihr ein Stück Stoff hin. Leo nahm es und sah es sich an, es war ein schwarzer Umhang mit rotem Innenfutter und riesiger Kapuze.

„Toll, ein Umhang.“ stellte sie trocken fest. „Und was soll ich damit? Als Schlossgespenst die Leute erschrecken?“

„Nein, ihn umlegen, wenn wir heute Abend das Schloss verlassen.“ erwiderte Draco.

„Wir gehen von hier weg? Wann und wohin?“ fragte Leo aufgeregt.

„Hm, nein, wir werden noch nicht von hier fortgehen.“ stellte Draco richtig. „Aber Darkness war der Meinung, dass Du für ein paar Stunden mal dieses Zimmer und dieses Schloss verlassen solltest. Und damit Dich niemand an Deinen roten Haaren und Deinen leuchtenden bernsteinfarbenen Augen erkennt, solltest Du diesen Umhang tragen. Und außerdem soll ich Dir ausrichten, dass Dich niemand zwingt, den ganzen Tag hier im Zimmer zu verbringen, Du kannst Dich frei im Schloss bewegen, nur dem Ballsaal sollst Du Dich fernhalten.“

„Im Ballsaal befindet sich also der Club?“ erkundigte sich Leo.

Draco nickte zustimmend.

„Und was machen wir heute Abend?“ wollte Leo wissen.

„Wir fahren in die Berge. Dort hat Darkness ein tief im Wald versteckte Hütte, wo wir ein paar Tage bleiben werden.“ berichtete Draco. „Jean wird uns um acht Uhr dorthin fahren.“

Pünktlich um acht Uhr stand Leo fertig angekleidet vor Draco. Sie hatte ein paar Sachen, die sie dank ihrer Fähigkeit problemlos aus dem Schrank holen konnte, in eine Tasche gepackt.

„Jetzt noch den Umhang und wir können los.“ sagte Draco und legte ihn Leo um. Er setzte ihr die Kapuze auf, die ihr Gesicht im Dunklen ließ.

„Dann komm.“ Er nahm ihre Hand und aufgeregt wie ein Kind folgte sie ihm. Draco führte sie zum Hintereingang, vor dem eine dunkle Limousine mit getönten Scheiben stand. Jean hielt ihr die hintere Tür auf und Leo stieg schnell ein. Draco nahm neben ihr Platz.

Nach etwa zwei Stunden erreichten sie ihr Ziel. Jean hielt vor einem großen, schmiedeeisernen Tor.

„Den Rest müsst ihr zu Fuß zurücklegen.“ sagte er nach hinten gewandt. „Ihr folgt einfach dem schmalen Weg. Die Hütte liegt ziemlich versteckt an einer Felswand. Direkt daneben befindet sich ein Wasserfall, ihr könnt sie also nicht verfehlen. In fünf Tagen werde ich Euch hier wieder abholen, genau um Mitternacht. Tut mir leid, dass es nur so kurz ist, aber wir haben diese Woche Neumond, da sind die Nächte dunkler. Und seid bitte vorsichtig.“

„Werden wir.“ versprach Leo und beugte sich zu Jean. Sie drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Danke.“ flüsterte sie.

Nachdem Jean ihnen das Tor mittels Fernbedienung geöffnet hatte, gingen Leo und Draco Hand in Hand den Weg entlang, der wirklich sehr schmal war. Je höher sie kamen, desto dichter standen die Bäume. Ein normaler Mensch hätte ohne Licht den Weg gar nicht gefunden, aber Draco und Leo konnten auch im Dunklen sehr gut sehen.

Plötzlich, wie aus dem Nichts, tauchte die Hütte vor ihnen auf. Sie schmiegte sie an den hinter ihr liegenden Felsen und war aus dem gleichen Stein gebaut. Allerdings verdiente sie den Namen Hütte gar nicht, denn es war eher ein kleines Haus.

„Ob es hier Strom gibt?“ fragte Leo.

„Ich glaube eher nich.t“ antwortete Draco. „Lass uns erstmal das Schlafzimmer suchen und morgen, wenn es hell ist, schauen wir uns dann alles an.“ schlug er vor.

„Na, Du hast es aber eilig, mich ins Bett zu bekommen.“ flachste Leo.

„Ja, denn Du bist mir noch was schuldig von heute Nachmittag.“ erwiderte Draco.

„Ich wüsste nicht, was.“ sagte Leo unschuldig.

Während ihres Gespräches hatten sie den Schlafraum erreicht.

„Du weißt nicht, was. Dann muss ich Dir auf die Sprünge helfen.“ lachte Draco und schubste sie auf das Bett. Er setzte sich, so wie Leo am Nachmittag, auf ihre Oberschenkel, nahm ihre Hände und drückte ihre Arme nach oben. Allerdings benötigte er dafür nur eine Hand, mit der anderen öffnete er den Knopf von ihrem Umhang und schob die Kapuze von ihrem Kopf. Er beugte sich hinunter und liebkoste ihren Hals mit seinen Lippen. Aufseufzend bog Leo ihren Kopf weiter nach hinten. Mit seiner freien Hand fuhr Draco unter ihr T-Shirt und streichelte über ihre Brust. Langsam schob er ihr Shirt Stück für Stück nach oben, bis ihr gesamter Oberkörper freilag. Aufreizend langsam umkreiste er mit einem Finger ihre Brust, dessen empfindliche Spitze hart wurde. Aus Leos Kehle drang ein leises Stöhnen, welches er mit einem Lächeln quittierte. Er küsste ihren Mund, bevor er seine Lippen auf Wanderschaft nach weiter unten schickte. Nun übernahm seine Zunge die Arbeit seines Fingers. Leos Oberkörper bäumte sich ihm entgegen und ihr Stöhnen wurde lauter. Draco rutschte von ihren Oberschenkeln hinunter und legte sich seitwärts neben sie, aber er hielt immer noch ihre Arme fest. Abwechselnd küsste er nun ihre Brust. Seine nun freie Hand suchte sich einen Weg weiter nach unten.

„Bitte.“ stöhnte Leo.

„Bitte was?“ murmelte Draco an ihrer Brust.

„Bitte hör auf, mich zu quälen.“ presste sie hervor.

„Aber das mach ich doch gar nicht.“ sagte Draco unschuldig.

„Du hast Deine Rache gehabt.“ stieß Leo atemlos hervor. „Jetzt bring zu Ende, was Du angefangen hast.“

Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als Leo aufwachte. Ihr Kopf lag auf Dracos Schulter, der noch tief zu schlafen schien.

Leise stand sie auf und ging zu den großen Fenstern, die eine Wand des Raumes einnahmen. Von hier aus blickte man direkt auf den Wasserfall, dessen Wasser sich in einem kleinen Teich sammelte. Leo wickelte sich in ihren Umhang und schob leise eins der großen Fenster auf. Mit Blick über die Schulter stellte sie fest, dass Draco davon wohl nichts mitbekam. Über die Terrasse, die um das ganze Haus herum ging, erreichte Leo eine Wiese. Sie ging zu dem kleinen Teich und hielt ihren Zeh ins Wasser. Es war gar nicht kalt, sondern angenehm. Leo ließ ihren Umhang fallen und ging Schritt für Schritt weiter hinein. Der Teich war nicht sehr tief, als sie in der Mitte stand, reichte ihr das Wasser gerade bis zu den Hüften. Sie stellte sich unter den Wasserfall und ließ das Wasser auf ihren Körper niederprasseln. Es fühlte sich angenehm prickelnd auf ihrer Haut an. Leo blickte sich um. Der Teich und die Wiese waren die Einzigen, die frei von Bäumen waren, sonst war rundherum nur Wald. Das Haus bestand hauptsächlich aus Fenstern, die vom Boden bis zur Decke reichten und es war aus Felsstein gebaut. Es schien aus dem Felsen hinter ihm herausgewachsen zu sein, selbst auf dem Dach lagen Steine.

Leo hielt ihr Gesicht in das herabfallende Wasser und schloss die Augen. Hier könnte sie für ewig leben, ging es ihr durch den Sinn. Niemand würde sie hier stören. Aber es ging leider nicht, denn hier würde Draco kein Blut finden. Seufzend öffnete sie die Augen und sah zum Haus.

Draco war mittlerweile aufgewacht und stand nun mit einer Tasse in der Hand auf der Terrasse und sah zu ihr hinüber. Leo verließ das Wasser, wickelte sich in ihren Umhang und setzte die Kapuze auf. Sie ging zu Draco hinüber.

„Guten Morgen.“ sagte sie und bot ihm ihren Mund zum Kuss.

„Guten Morgen.“ erwiderte er und küsste sie. „Gut geschlafen?“

„Ja, tief und fest.“ antwortete Leo. „Aber kein Wunder, nach so einer Nacht“ fügte sie grinsend hinzu.

„Hm.“ nickte Draco zustimmend. „Du bist ganz schön anstrengend.“

„Ach, jetzt sag bloß, es macht Dir nicht genauso viel Spaß.“ sagte sie provozierend.

Draco grinste sie nur vielsagend an und hielt ihr seine Tasse unter die Nase.

„Auch einen Schluck?“ fragte er.

„Hm, ja, gerne, aber ein ordentliches Frühstück wäre mir jetzt lieber.“ antwortete Leo.

„Als ob ich es geahnte hätte. Komm mit.“ forderte Draco. „Aber vielleicht solltest Du Dir vorher etwas anderes anziehen, hier im Haus brauchst Du diesen Umhang nicht.“

Leo nahm aus ihrer Tasche eine Panty und ein langes T-Shirt, welches sie sich schnell überstreifte, dann folgte sie Draco in die Küche. Auch hier waren die Wände aus unbehauenem Felsgestein und eine Wand bestand nur aus Glas. Sie gab den Blick ins Tal frei. Direkt davor stand ein rechteckiger Tisch mit jeweils zwei Stühlen an den langen Seiten.

Draco hatte schon den Tisch für das Frühstück gedeckt und goss Leo nun einen Kaffee ein.

„Es scheint ja doch Strom hier zu geben.“ meinte Leo. „Sonst hättest Du ja keinen Kaffee machen können.“

„Nein, es gibt hier keinen Strom.“ erwiderte Draco. „Sondern nur einen schönen alten Küchenherd, der mit Holz befeuert wird. Und einer Kessel, den man mit Wasser füllt.“

„Aber wo hast Du das ganze Essen her? Ich habe gar nicht gesehen, dass Du irgendetwas mitgenommen hast.“ wollte Leo wissen.

„Das hat Jean schon vorher hierher bringen lassen.“ antwortete Draco. „In der Nähe gibt es eine kleine Stadt, dort hat er oder Darkness alles bestellt und liefern lassen.“

„Aha.“ machte Leo und begann zu Essen. „Hast Du keinen Hunger?“ fragte sie kauend und sah Draco an, der ihr lächelnd zusah.

„Ich schau Dir lieber zu.“ lächelte er.

„Na gu.t“ meinte Leo schulterzuckend. „Bleibt mehr für mich.“

„Und was machen wir jetzt?“ wollte Leo wissen, als sie ihr Frühstück beendet hatte.

„Was Du möchtest.“ antwortete Draco.

Sie verbrachten die nächsten Tage mit Spaziergängen durch den Wald oder lagen einfach auf der Wiese in der Sonne. Draco kümmerte sich um das Essen und Leo sah ihm dabei zu.

„Wieso kannst Du eigentlich so gut mit so einem alten Herd umgehen?“ wollte sie von ihm wissen. „Und woher kannst Du so gut kochen?“

„Erstens bin ich schon über zweihundert Jahre alt.“ erwiderte Draco. „Als ich geboren wurde, gab es noch keinen Strom, da wurde immer so gekocht und zweitens ergab es sich mit der Zeit so. Ich verspüre zwar seit meiner Verwandlung keinen Hunger mehr, aber Darkness hat uns damals gelehrt, dass wir Essen sollen, um nicht aufzufallen. Genau wie wir lernen mussten, unsere Kraft in den Griff zu kriegen und unsere Geschwindigkeit.“

„Komisch.“ sagte Leo. „Ich habe aber immer richtigen Hunger, so wie vorher auch. Und ich konnte mich auch ganz normal fortbewegen, damit hatte ich keine Probleme, nur mit meiner Stärke. Ich habe immer Angst, Dich zu verletzen, wenn wir…na, du weißt schon.“

„Ach, ich steh drauf, wenn Du mir dabei weh tust.“ lachte Draco.

„Wirklich?“ fragte Leo geschockt.

„Das war ein Scherz.“ beruhigte er sie. „Du tust mir nicht weh. Es ist schön, so wie es ist.“

Trotzdem verhielt sich Leo in der Nacht eher passiv, so dass Draco sie besorgt anschaute und fragte: „Ist alles in Ordnung mit Dir? Brauchst Du vielleicht Blut? Dann trink ruhig.“

Aber Leo schüttelte nur den Kopf und erwiderte: „Nein, ist alles okay.“

Der letzte Tag brach an. Leo erwachte schon früh, sie blickte zu Draco hinüber, der auf dem Bauch liegend schlief. Leise verließ sie das Bett und ging nach draußen, nachdem sie sich einfach nur ein Longshirt übergestreift hatte. Das Gras war noch taunass, als sie mit nackten Füßen darüber lief. So wie am ersten Tag stellte sie sich unter den Wasserfall.

‚Schade’ dachte sie, ‚heute müssen wir zurück.’ Sie legte den Kopf in den Nacken und ließ das Wasser auf ihr Gesicht prasseln.

„Hier steckst Du also“ hörte sie Dracos Stimme an ihrem Ohr. Er legte seine Arme von hinten um sie. Leo drehte ihren Kopf leicht, so dass sie ihm in die Augen sehen konnte. Sie lächelte ihn auffordernd an und er beugte sich zu ihr und küsste sie.

„Hungrig?“ fragte Draco.

„Ja, hungrig nach Dir.“ murmelte Leo, drehte sich in seinen Arm und zog seinen Kopf wieder zu sich. Sie versanken in einem langen, immer leidenschaftlich werdenden Kuss. Draco hob sie auf seine Arme und trug sie zum Ufer, wo er sich mit ihr langsam niederließ, immer noch mit einem Kuss verbunden. Ein Geräusch ließ ihn innehalten. Er löste sich von Leo und fragte: „Was war das? Hast Du es auch gehört?“

„Ja.“ kicherte sie. „Das war mein Magen, ich hab Hunger.“

„Doch nicht nur nach mir?“ lächelte Draco. „Aber wir sollten Deinem Magen etwas zu tun geben, sonst stört er uns nur.“

„Hm, wird wohl besser sein.“ erwiderte Leo.

Draco sprang auf und hielt Leo helfend seine Hand hin. Gemeinsam gingen sie Richtung Haus.

„Du solltest Dir lieber etwas trockenes anziehen.“ bemerkte Draco und sah auf ihr nasses Shirt, welches am Körper klebte. „Ich mach inzwischen Frühstück.“

„Hast Du Angst, ich könnte mich erkälten?“ fragte Leo provozierend.

„Nein, das nicht, aber Dein Anblick lässt mich nur auf dumme Gedanken kommen.“ erwiderte Draco.

„Dann gehorche ich lieber, bevor ich heute gar nichts mehr zu Essen bekomme.“ seufzte Leo und verschwand im Bad. Nachdem sie geduscht hatte, zog sie ein Bikinihöschen an und ein kurzes, enges Topp. Als sie so auf der Terrasse erschien, wo Draco heute den Tisch gedeckt hatte, stöhnte dieser bei ihrem Anblick: „Na, viel besser ist das Outfit auch nicht, um mich an dummen Gedanken zu hindern. Aber ich werde mir Mühe geben. Jetzt lass uns erst mal etwas essen.“

Leo sah ihn an und dachte: ‚Irgendwie ist er heute anders als sonst.’ Draco wirkte unruhig. ‚Ob ihm der Abschied von hier auch schwer fällt?’ ging es Leo durch den Kopf.

„Können wir heute den ganzen Tag draußen verbringen?“ fragte Leo aus diesen Gedanken heraus. „Morgen ist es mit meiner Freiheit ja schon wieder vorbei und ich muss Tag und Nacht im Schloss verbringen.“

„Wie? Was?“ schreckte Draco auf. „Alles, was Du wünscht.“

„Alles?“ gurrte Leo. „Wirklich alles?“

„Kommt drauf an, was es ist.“ schränkte Draco ein.

„Ach, nichts Schlimmes, nur ein bisschen auf der Wiese liegen, etwas im Wasser planschen und solche Dinge.“ meinte Leo.

„Mehr nicht?“ fragte Draco lächelnd.

„Vielleicht, vielleicht auch nicht, mal schauen.“ erwiderte Leo.

Leo ging ins Schlafzimmer und holte eine Decke, die sie nahe am Wasserfall auf der Wiese ausbreitete, während Draco den Tisch abräumte.

Sie zog sich das Oberteil aus und legte sich bäuchlings auf die Decke.

„Solltest Du die Absicht haben, Dich zu bräunen, muss ich Dich enttäuschen, dass klappt bei uns nicht.“ sagte Draco, als er sich zu ihr gesellte. Er trug jetzt nur eine Badeshorts, setzte sich auf die Decke, zog seine Knie an und umschlang sie mit seinen Armen.

„Ach, schade.“ murmelte Leo. Sie kniete sich hin und sah Draco an, dessen Augen abwesend in die Ferne blickten. Auf Knien rutschte sie hinter ihn, legte ihre Arme um seinen Bauch und ihren Kopf zwischen seine Schulterblätter. Draco zuckte bei ihrer Berührung nur leicht zusammen, blieb aber so sitzen.

Als Leo ihren Kopf an Draco lehnte, stieg ihr sein wundervoller Geruch in die Nase und sie merkte, dass sie langsam Durst bekam.

„Gibt es hier Blut?“ fragte sie Draco leise.

„Nein.“ erwiderte er. „Warum fragst Du? Wenn Du Durst hast, trink ruhig.“

„Und Du? Du hast auch Durst, nicht wahr?“ erkundigte sie sich. „Deshalb bist Du auch heute so anders als sonst.“

„Ein wenig schon.“ gab er zu. „Aber ich werde es schon aushalten, wenn Du von mir trinkst.“

„Ich kann es noch aushalten.“ sagte Leo und küsste seinen Nacken.

Er löste ihre Hände von seinem Bauch, sprang auf und lief ins Wasser. Irritiert schaute Leo ihm hinterher, dann stand sie auf und ging zu ihm.

„Ach, übrigens, Du bist mir noch was schuldig.“ sagte sie.

„Und was sollte das sein?“ fragte Draco verwirrt.

„Du musst mir noch das Schwimmen beibringen, Du hast es mir versprochen.“ antwortete Leo.

„Ja, stimmt.“ erwiderte er. „Aber das werden wir machen, wenn wir wieder zurück im Schloss sind, dort gibt es einen großen Pool unten im Keller.“

„Und Du wirst auch nicht weglaufen, wenn ich so mache?“ neckte sie ihn, legte ihre Arme um seinen Hals und umklammerte seine Hüften mit ihren Beinen.

Draco legte seine Hände unter ihren Po. „Nein, diesmal nicht.“ versprach er leise und lächelte dabei. „Aber wenn Du Dich jedes Mal so an mich klammerst, wirst Du bestimmt nie schwimmen lernen.“

„Warum nicht?“ fragte Leo unschuldig.

„Weil ich dann jedes Mal das machen werde.“ erwiderte Draco, verließ mit ihr das Wasser und trug sie zur Decke. Dort ließ er sich mit ihr nieder und begann sie zu küssen. Von ihrem Mund glitten seine Lippen langsam hinunter zu ihrer nackten Brust, welche sofort auf seine zärtliche Berührung reagierte. Leos Beine, die immer noch um seine Hüften lagen, verstärkten ihren Druck. Draco vergrub sein Gesicht an Leos Hals. Seine Lippen lagen auf ihrer Schlagader, die heftig pulsierte. Plötzlich sprang er auf, murmelte: „Ich kann nicht.“ und rannte in den Wald.

Leo setzte sich auf und sah ihm erstaunt nach. ‚Er ist wohl doch durstiger, als er zugibt’ dachte sie und lächelte. Sie stand auf, schüttelte die Decke aus und faltete sie zusammen. Nachdem sie die Decke im Schlafzimmer abgelegt hatte, ging sie ins Bad und duschte. Anschließend reinigte sie das Bad und ging in die Küche. Dort räumte sie alle verderblichen Lebensmittel in eine Tüte und schaffte Ordnung in der Küche. Sie kehrte zurück ins Schlafzimmer, zog sich eine Panty und ein T-Shirt an, packte ihre restlichen Sachen, bis auf eine Jeans und den Umhang, schon mal in ihre Tasche. Ihre nassen Sachen hängte sie nach draußen zum Trocknen. Als alles fertig war, setzte sie sich im Schneidersitz mitten auf das Bett.

Kurze Zeit später kehrte Draco zurück und setzte sich mit dem Rücken zu ihr auf die Bettkante. Er stützte seine Arme auf seine Knie und vergrub sein Gesicht in seinen Händen.

„Was ist los?“ fragte Leo und rutschte näher zu ihm.

„Nichts, alles okay.“ murmelte er durch seine Finger.

„Das glaube ich nicht.“ sagte Leo und rutschte auf seinen Schoß. Sie nahm seine Hände von seinem Gesicht und befahl ihm: „Sieh mich an.“

Widerwillig hob er seinen Blick und sah ihr in die Augen. Leo umfasste sein Gesicht, sah ihm ebenfalls in die Augen und sagte leise: „Wenn Du so durstig bist, warum trinkst Du dann nicht von mir?“

„Von Dir? Niemals.“ widersprach er heftig. „Ich hätte es nicht getan, wenn Du noch menschlich wärst und ich werde es jetzt nicht tun.“

„Oh, doch, Du wirst.“ entgegnete Leo fest, griff unter die Decke und zog ein Messer hervor, welches sie aus einem Impuls heraus dort versteckt hatte und legte es an ihren Hals.

„Was machst Du da?“ rief Draco entsetzt und hielt ihre Hand fest, bevor sie sich schneiden konnte.

„Dann machst Du es also freiwillig?“ fragte Leo.

„Du bist verrückt.“ murmelte er. Er sah an ihren Augen, dass sie es ernst meinte. Leo würde nicht eher Ruhe geben, bis er von ihrem Blut trank.

„Gib mir das Messer“ forderte er sie auf. Leo legte es in seine ausgestreckte Hand und lächelte ihn triumphierend an. Mit einer schwungvollen Bewegung warf Draco das Messer Richtung Tür, wo es zitternd im Holz stecken blieb.

„Okay, machen wir einen Deal“ sagte er zu Leo. „Ich werde von Dir trinken, wenn Du auch von mir trinkst. Sonst wird da nichts draus.“

„Gebongt.“ erwiderte Leo und legte ihren Kopf schräg, so dass er gut an ihren Hals kam. „Du zuerst.“ forderte sie.

Sein Mund näherte sich langsam ihrer Schlagader und als er seine Zähne in sie hineinstieß, stöhnte Leo leise auf. Von ihren Gefühlen überwältig, bohrte auch sie ihre Zähne in seinen Hals.

„Und war es so schlimm?“ fragte Leo einige Zeit später. Ihr Kopf lag auf seiner Brust und mit einer Hand malte sie Ornamente auf seinem Körper.

„Schlimm? Es war furchtbar.“ erwiderte Draco lachend.

„Was?“ fuhr Leo auf. „Es war also furchtbar.“

„Furchtbar schön.“ lachte Draco. „Du musst mich auch ausreden lassen.“

Dann fügte er ernst werdend hinzu: „Aber es war eine einmalige Sache. Das wird nie wieder geschehen.“

Es wurde Zeit, Abschied von der Hütte zu nehmen. Seufzend sah Leo sich nochmals zu ihr um, als Draco alles verschlossen hatte und sie sich auf den Weg nach unten zu dem Tor machten. Hand in Hand gingen sie den Weg hinunter zum Tor, wo schon die große, schwarze Limousine auf sie wartete.

Als sie einstiegen, stellten sie fest, dass es nicht Jean war, der sie abholte, sondern jemand anderes.

„Hallo, Henry.“ begrüßte Draco den Fahrer freundlich. „Wieso holst Du uns ab? Ist etwas mit Jean?“

„Nein, nein, mit ihm ist alles in Ordnung.“ erwiderte Henry. „Aber heute ist Freitag und Du weißt ja, am Wochenende ist immer viel los, da würde es eher auffallen, wenn Jean das Haus verlassen würde.“

Leo legte ihren Kopf auf Dracos Schoß, es interessierte sie nicht sonderlich, wer sie zurück in ihr Gefängnis fuhr. Das eintönige Brummen des Motors ließ sie schläfrig werden.

„Aussteigen, wir sind da.“ holte Dracos Stimme sie aus ihren Träumen.

„Nein, ich will nich.t“ murmelte Leo. „Ich will nicht aufstehen und laufen. Lass mich hier weiterschlafen.“

Aber Draco kannte kein Erbarmen. Er zog sie aus dem Auto und stellte sie auf die Füße. Als Leo keine Anstalten machte, sich zu bewegen, warf er sie kurzerhand über seine Schulter und trug sie nach oben in ihr Schlafzimmer. Dort legte er sie auf das Bett und zog ihr den Umhang aus.

Er küsste sie auf das Haar und murmelte: „Schlaf gut.“

„Bleib.“ nuschelte Leo und hielt seinen Arm fest.

Eigentlich wollte Draco in die Küche, um seinen Durst zu stillen, aber auf ein paar Stunden mehr kam es jetzt auch nicht mehr an.

Am nächsten Morgen klopfte es leicht an die Tür. Eine junge Vampirin, die Leo noch nie gesehen hatte, betrat den Raum.

„Madame LeNoire lässt Euch bitten, sie in ihren Salon aufzusuchen.“ sagte sie und verschwand wieder.

„Aus welchem Jahrhundert stammt die denn?“ fragte Leo belustigt.

„Aus meinem.“ erwiderte Draco lachend. „Damals redete man halt so.“

„Gut, dass Du nicht mehr so redest, sonst würde ich mich jedes Mal vor Lachen auf dem Boden wälzen.“ sagte Leo.

„Frechdachs.“ rügte Draco lachend und fügte dann ernster hinzu: „Na, dann komm, wir sollten Darkness nicht warten lassen.“

„Ihr habt Euren Urlaub genossen, dass sieht man.“ sagte Darkness, als sie den Raum betraten. „Setzt Euch, ich möchte mit Euch etwas besprechen.“

Als Leo und Draco Platz genommen hatten, schob Darkness ein Tablett zu Draco. Sie zwinkerte ihm zu.

„So.“ begann sie, nachdem Draco hastig zwei Gläser hinuntergeschüttet hatte. „Es tut mir leid, dass Du Dich hier eingesperrt fühlst“ wandte sie sich an Leo. „Wir haben nicht darüber nachgedacht, als beschlossen wurde, Dich vorläufig hier zu verstecken. Aber dass Du jetzt hier leben musst, heißt nicht, dass Du Tag und Nacht in Deinem Zimmer verbringen musst. Du kannst Dich frei hier im Schloss bewegen, außer natürlich in unserem Nachtclub. Da wäre die Gefahr zu groß, dass Dich jemand entdeckt. Du kannst auch in den Park gehen, allerdings möchte ich Dich bitten, dieses nur in der Nacht zu machen und nur mit Umhang. Ansonsten gibt es keine Einschränkungen. Ich hoffe, Du verstehst es.“

„Ja, schon.“ erwiderte Leo zögernd. „Aber warum können wir denn nicht in dem Haus in den Bergen bleiben, bis alles vorbei ist?“

„Weil es dort ein Problem mit Dracos Versorgung geben würde.“ erklärte Darkness. „Es gibt dort keine Möglichkeit, Blutkonserven kühl zu lagern. Und wenn alle paar Tage jemand von hier Nachschub bringen würde, fiele es irgendwann unseren Feinden auf und sie würden Euch finden. Es wäre dann niemand in der Nähe, um Euch beizustehen. Dieses Risiko ist zu groß.“

Das sah Leo ein und fragte nicht weiter nach.

„Und nun noch etwas Erfreulicheres.“ sagte Darkness. „Wie wir von Lieu gehört haben, wurde die Zahl den Anhänger Devons schon stark dezimiert. Wenn es so weiter geht, ist in ein paar Wochen alles vorbei.“

„Ein paar Wochen noch.“ murmelte Leo. „Und danach kann ich hingehen, wo ich will? Beziehungsweise, können wir hingehen, wo wir wollen?“

„Ja, das könnt ihr.“ bestätigte Darkness. „Obwohl es mir leid tut, Euch nicht mehr hier zu haben.“

Abwesend griff Leo nach dem Glas, welches auf dem Tisch stand und trank einen Schluck.

„Bah, das schmeckt ja widerlich.“ schüttelte sie sich.

„Das liegt daran, dass Deine erste Nahrung Vampirblut war.“ erklärte Darkness. „Dein erster Schluck Blut war Dracos Blut, als Du aufgewacht bist. Marie fand Dich an seinem Hals vor, als sie nachsehen wollte, ob Du aufgewacht bist. Sie hatte Dir einen jungen Mann mitgebracht, den Du fast ausgetrunken hast.“

„Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern.“ meinte Leo. „Ich weiß nur, dass ich aufgewacht bin und mich gewundert habe, dass ich nicht in meinem Bett in der Kristallstadt lag. Und mich gefragt habe, wer mich wohl in dieses hässliche, enge, weiße Kleid gestopft hat, welches beim Ausziehen leider kaputtging. Ja, dann war da noch der fürchterliche Durst, der mich zu dem Krug greifen ließ, der auf dem Nachttisch stand. Der Durst war so groß, dass ich gar nicht merkte, was ich da trank.“

„Von meinem Shirt ganz zu schweigen.“ erinnerte Draco lachend. „Oder meiner Jeans.“

‚Gleich erzählt er Darkness noch, wie unser Sex ist’ dachte Leo.

„Nein, werd ich nicht.“ sagte Draco, worauf Darkness und Leo ihn erstaunt ansahen.

„Was wirst Du nicht?“ wollte Darkness wissen.

„Na, dass, was Leo gerade gesagt hat.“ erwiderte Draco verwirrt.

„Aber sie hat nichts gesagt.“ entgegnete Darkness und sah von einem zum anderen. Sie begann zu lachen. „Ihr habt Euer Blut getauscht, nicht wahr?“

„Hm, ja, haben wir“ gab Draco zu.

Leo sah beschämt zu Boden. „Ich habe ihn dazu gedrängt.“ bekannte sie mit leiser, zerknirschter Stimme. ‚Und ich würde es immer wieder tun, denn danach war unser Sex noch schöner, noch intensiver’ fügte sie in Gedanken hinzu. Draco, der sie die ganze Zeit ansah, hörte sie das zwar sagen, aber ihre Lippen hatten sich nicht bewegt.

„Es ist nichts Schlimmes, wenn ihr ab und zu Euer Blut tauscht.“ erklärte Darkness. „Es hat den Vorteil, dass Ihr jetzt jeder die Gedanken des Anderen hören könnt.“

„Cool.“ meinte Leo. „Dann brauchen wir ja nicht mehr miteinander reden.“

„Eigentlich nicht.“ lachte Darkness. „Aber das würde ich mir noch mal überlegen, das würde auf Dauer langweilig. Es ist praktisch, wenn Ihr Euch etwas zu sagen habt, was andere nicht hören sollen oder wenn Ihr von einander entfernt seid.“

Jean betrat den Raum. Er ging zu der Couch, auf welcher Darkness saß, schwang seine Beine über die Rückenlehne und rutschte neben Darkness.

„Morgen zusammen.“ grinste er in die Runde. Mit seinen zersausten Haaren und nur mit einer schwarzen Jogginghose bekleidet sah er anders aus als sonst. Er stellte die Tasse, die er in der Hand hielt, auf den Tisch und Leos Nase erreichte der verlockende Duft von heißem Kaffee.

„Frühstück kommt gleich.“ sagte Jean, beugte sich zu Darkness und küsste sich leicht auf die Wange.

„Na, wie es scheint, war die Woche mit unserem Neuling ja ganz gu.t“ wandte sich Jean an Draco. „Du scheinst es gut gemeistert zu haben, dafür, dass es sonst meine Aufgabe ist.“

„Wie? Was ist sonst Deine Aufgabe?“ wollte Leo wissen.

„Na, mit den Neuen dort in die Hütte zu fahren und sie in ihr neues Leben einzuweisen.“ grinste Jean. Darkness ist für die männlichen Neuankömmlinge zuständig und ich für die weiblichen.“

„Aber das kommt nur noch äußerst selten vor.“ sagte Darkness. „Es werden kaum noch Menschen verwandelt. Das ist in der heutigen Zeit auch ziemlich schwierig geworden. Denn um Vampir zu werden, muss ein anderer Vampir Dein Blut trinken und Du musst im Gegenzug Vampirblut trinken. Aber damit es funktioniert, musst Du innerhalb der nächsten sechs Stunden sterben.“

„Das heißt, ich war nach meinem Fenstersturz tot, so richtig tot?“ fragte Leo.

„Ja.“ bestätigte Jean. „Normalerweise beträgt die Aufwachzeit nicht länger als ein paar Stunden, nur bei Dir mussten wir dafür sorgen, dass sie länger dauerte, damit niemand merkte, dass Du noch am Leben warst, noch nicht einmal Lumina wusste es.“

„Also glauben alle, ich wäre gestorben.“ sagte Leo nachdenklich. „Das bedeutet, ich werde nie mehr dorthin können. Für meine Eltern tut es mir ja nicht leid, nur Lumina hätte ich gerne wiedergesehen.“

„Abwarten.“ meinte Jean. „Lass uns erst einmal alle Anhänger Devons fassen, dann werden wir sehen.“



„Wie geht’s eigentlich unseren Türen?“ fragte Jean, als sie einige Zeit später beim Frühstück saßen und sah Leo fragend an.

„Ähm – gu.t“ antwortete diese verwirrt. „Wieso?“

„Schön.“ nickte Jean. „Dann siehst Du sie jetzt nicht mehr als Deine Feinde an?“

„Feinde? Wieso Feinde?“ Leo war sichtlich verwirrt.

„Nun ja.“ begann Jean zu erklären. „Alle anderen Gegenstände hast Du ja heil gelassen, nur die armen Türen mussten ständig ihr Leben lassen. Das lag daran, dass Du sie im Unterbewusstsein als feindlich gesehen hast. Immerhin warst Du ja jahrelang eingesperrt und den Weg nach draußen versperrten halt Türen. Als Du dann gewandelt erwacht bist und wieder eingesperrt wurdest, hat Dein Unterbewusstsein halt mit Zerstörung dieser Barrieren reagiert.“

„Dann bleiben sie also jetzt heil? Gut so, es wurde langsam etwas teuer.“ seufzte Darkness theatralisch und alle lachten.





19. Kapitel


Draco hielt sein Versprechen, er wollte Leo das Schwimmen beibringen.

Am Abend, als alle im Club beschäftigt waren, kam er zu ihr und sagte, sie solle sich umziehen.

Sie gingen hinunter in das Untergeschoß, wo sich der Pool befand. Der Raum, in welchem er sich befand, lag ebenerdig und hatte zum Park hin eine Wand, die komplett aus Glas war. Der Boden war mit einem sandfarbenen Teppich belegt und es gab etliche Palmen, die in großen Töpfen standen, unter denen einige Liegen standen. Der ganze Raum war in ein warmes Licht getaucht, so dass man fast vergaß, dass man sich in einem Haus befand.

Draco zog sein T-Shirt aus, glitt ins Wasser und forderte Leo auf, zu ihm zu kommen. Als sie ihren Bademantel fallen ließ und in einem knappen, roten Bikini, der die gleiche Farbe wie ihr Haar hatte, vor ihm stand, zog er scharf die Luft ein und murmelte: „Wie soll man sich da aufs Schwimmen konzentrieren?“

Aber es ging besser als gedacht und Leo lernte sehr schnell. Schon nach knapp einer Stunde schwamm sie ihre ersten Bahnen alleine.

„Genug für heute?“ fragte Draco, als Leo nach ihrer zehnten Runde zu ihm kam.

„Hm, ja.“ nickte sie.

Draco schwang sich auf den Beckenrand, richtete sich auf und hielt Leo seine Hand hin.

„Komm, ich helf Dir hinaus.“ bot er an.

Leo griff nach seiner Hand und mit einem Ruck zog sie ihn zurück ins Wasser. Als Draco wieder auftauchte, saß Leo lachend auf dem Beckenrand.

„Na warte, dass gibt Rache.“ schwor Draco lachend und schwamm auf sie zu. Als er vor ihr stand, umfasste er ihre Hüften und ließ sich nach hinten fallen. Sie tollten noch eine ganze Weile herum.

„Weißt Du, was ich heute vermisst habe?“ fragte Draco, als er Leo in eine Ecke gedrängt hatte.

„Nein, was denn?“ erwiderte Leo.

„Das.“ sagte Draco, nahm ihre Beine und legte sie um seine Hüften. Er trat einen Schritt zurück, so dass Leo den Rand losließ und ihre Arme um seinen Hals schlang.

„Ich hatte Angst, Du würdest wieder davonlaufen, so wie beim ersten Mal.“ grinste sie ihn an.

„Nein, dieses Mal hätte ich das gemacht.“ flüsterte er heiser und küsste sie, dabei ihr Oberteil lösend.

„Und was noch?“ hauchte Leo an seinem Mund und sah ihn auffordernd an.

„Das.“ grinste Draco, fasste sie um die Hüften und warf sie rückwärts ins Wasser. Danach verließ er fluchtartig den Pool und setzte sich auf eine der Liegen.

„Das wirst Du mir büßen.“ drohte Leo, als sie scheinbar wütend mit ihrem Oberteil in der Hand angestampft kam. Sie setzte sich auf Dracos Schoß, schubste ihn nach hinten und legte ihre Lippen an seinen Hals. Blitzschnell biss sie zu und trank in kleinen Schlucken sein Blut, bis sie spürte, dass er erregt war.

„So, und jetzt geh ich schlafen.“ sagte sie und erhob sich. Bevor Draco reagieren konnte, hatte sich Leo schon ihre Sachen geschnappt und den Raum verlassen.

„So eine kleine Hexe.“ murmelte Draco lachend vor sich hin und folgte ihr.

Draco machte noch einen Abstecher zur Küche, er wollte sich aus dem Kühlschrank noch eine Blutkonserve nehmen. Zu seinem Erstaunen traf er dort Darkness und Jean an, die bereits für den Abend umgezogen waren.

"Öffnet ihr heute später?" fragte Draco.

"Nein, wir haben schon geöffnet." erwiderte Darkness. "Aber es gab noch eine Kleinigkeit zu besprechen. Und was führt Dich hierher? Wir dachten, Du wärst mit Leo im Schwimmbad."

"Da waren wir auch." entgegnete Draco.

"Habt Ihr Euch etwa gestritten?" wollte Jean wissen. "Sonst sieht man doch nie einen ohne den anderen."

"Streit kann man das nicht nennen." antwortete Draco. "Es ist eher so, dass ich manchmal das Gefühl habe, Leo muss einiges aus ihrer Kindheit nachholen. Nicht, dass sie kindisch wäre, aber so ab und an spielt sie halt gerne kleine Spielchen."

"Tja, sie war ja auch jahrelang eingesperrt." sagte Jean. "Irgendwie verständlich, dass sie da einiges nachholen muss. Alles das, was Du und Dein Bruder als Kinder gemacht haben, ist ihr entgangen."

"Versteh ich ja." nickte Draco. Er sah die Beiden an. "So, lasst Euch nicht länger von mir aufhalten, ich werde jetzt verschwinden. Viel Spaß Euch beiden."

Er verließ die Küche und trank auf dem Weg zum Zimmer die Konserve aus. Als er den Raum betrat, lag Leo bereits im Bett, die Decke bis zum Kinn hochgezogen und tat, als ob sie schon schliefe. Lächelnd sah Draco zu ihr hin, ging leise ins Bad und entledigte sich seiner nassen Badeshorts. Nur mit einem Handtuch um die Hüften ging er zu dem Bett und legte sich mit dem Rücken zu Leo hin. Er warf das Handtuch zu Boden und zog die Decke über sich. Es dauerte nicht lange, bis er spürte, wie Leos Hand sich langsam über seine Brust schob und sie näher an ihn heran rutschte. Er drehte sich auf den Rücken, legte seinen Arm unter ihre Schulter und zog sie zu sich heran. Auch Leo war unter der Decke nackt.


In den nächsten Tagen durchstreiften sie gemeinsam das Schloss. Die meisten Zimmer standen leer, nur im Hauptflügel waren einige bewohnt. Alle Vampire, die hier im Schloss tätig waren, wohnten auch hier. Es gab einen Gärtner und ein Hausmädchen. Außerdem waren da noch die Vampire, die für den Club tätig waren. Insgesamt hatten Darkness und Jean zehn Angestellte. Deren Zimmer waren allerdings für Leo und Draco tabu.

Bei einem ihrer Streifzüge kamen sie in den Seitenteil, wo in dem alten Ballsaal der Club untergebracht war. Dieser Raum erstreckte sich über drei Stockwerke und in den oberen Bereich waren kleine Nischen. Zum Flur hin wurden sie durch eine Tür vor neugierigen Blicken geschützt und zum Saal hin durch einen Vorhang.

"Können wir nicht von hier aus mal zusehen, wenn der Club geöffnet hat?" fragte Leo begeistert. "Ich würde das gerne mal sehen."

"Nein." erwiderte Draco. "Ich möchte Dich nicht der Gefahr aussetzen, entdeckt zu werden. Schlag Dir diese Idee gleich mal wieder aus Deinem hübschen Köpfchen."

"Na gut." gab Leo scheinbar nach, aber diese Idee hatte sich in ihr festgesetzt und sie würde nicht locker lassen, bis Draco nachgab.

Leo beschloss, mit Darkness darüber zu reden. Vielleicht war sie ja nicht so streng und ließ sie wenigstens einmal sehen, was dort unten im Club so alles geschah. Sie musste Darkness nur mal alleine antreffen. Schon am nächsten Tag war Leo das Glück hold. Als sie morgens in die Küche ging, weil sie mal wieder großen Hunger hatte, traf sie Darkness dort alleine an.

"Guten Morgen." begrüßte Darkness sie. "So früh schon auf?"

"Guten Morgen." erwiderte Leo lächelnd. "Der Hunger treibt mich her. Aber was machst Du um diese Uhrzeit hier?"

"Ich wollte nach unseren Blutvorräten sehe.n" erklärte Darkness. "Heute Abend erscheint, wie jeden Freitag, ein hochangesehener Arzt, der uns zum Dank und als so eine Art Schweigegeld mit Konserven versorgt. Die meisten unserer Gäste möchten nicht, dass ihr Treiben hier bekannt wird."

"Ach so." nickte Leo.

"Ja, viele von ihnen sind verheiratet und ihre Partner wissen nichts von dem, was hier geschieht. Es geht unseren Gästen ja nicht nur darum dass sie den Vampiren ihr Blut geben, sondern es geht ihnen mehr darum was sie dafür bekommen." sprach Darkness weiter.

"Ich würde nur zu gerne mal dabei zusehen." seufzte Leo. "Aber das geht ja wohl nicht."

"Zusehen ginge schon." überlegte Darkness. "Nur direkt dabei sein ist zu riskant."

Darkness sah Leo nachdenklich an. "Es gäbe da eine Möglichkeit."

"Ja? Und welche?" fragte Leo vorsichtig, um nicht zu verraten, dass sie ihr Ziel erreicht hatte.

"In den beiden oberen Stockwerken befinden sich kleine, verschwiegene Nischen, die man vor neugierigen Blicken schützen kann. Bisher hat noch keiner unserer Gästen deren Anwesenheit bemerkt. Dort könnte man halb hinter dem Vorhang verborgen schon mal einen Blick riskieren."

"Aber Draco wäre damit bestimmt nicht einverstanden." wandte Leo listig ein.

"Das überlass ruhig mir." beruhigte Darkness sie. "Er wird natürlich bei Dir sein."

"Ich danke Dir." sagte Leo überschwänglich und umarmte Darkness spontan.

"Bedank Dich nicht zu früh, noch habe ich Deinen Leibwächter nicht davon überzeugt." lachte Darkness.

"Du schaffst das schon." lächelte Leo. "Obwohl es etwas schwierig werden dürfte, denn Draco würde mich am liebsten vom Rest der Welt fernhalten. Ich hoffe nur, dass die restlichen Anhänger Devons bald gefunden werden und dieser Spuk ein Ende hat."

"Das hoffe ich auch." seufzte Darkness. "Obwohl das auch bedeuten würde, dass Du und Draco uns dann verlasst."

"Eigentlich gefällt es mir hier ganz gu.t" erwiderte Leo. "Aber ich würde gerne mal reisen, ohne ständig über die Schulter sehen zu müssen, ob mir jemand folgt. Einfach mal irgendwo Urlaub machen wie jeder normale Mensch auch, am Strand liegen und im Meer baden"

"Das alles wirst Du auch können, Du hast ja alle Zeit der Welt dafür." sagte Darkness.

"Ja, das stimmt." meinte Leo. "Und das ich das noch alles erleben darf, habe ich nur der weisen Voraussicht von Marie und Jean zu verdanken. Ohne die Beiden wäre ich jetzt nicht mehr hier."

"Was ist mit mir?" wollte Jean wissen, der unbemerkt von den Beiden die Küche betreten hatte.

"Nichts. Ich habe nur gerade zu Darkness gesagt, dass ich es Dir und Marie zu verdanken habe, noch am Leben zu sein." antwortete Leo.

"Aber hauptsächlich Marie." stellte Jean klar. "Von ihr kam die Idee, Dir unser Blut zu geben. Belziel und ich haben es auf ihren Wunsch hin getan. Nachdem Devon enttarnt worden war, hatten wir eigentlich damit gerechnet, dass die Gefahr für Dich vorbei wäre, aber Marie war anderer Meinung. Und wie sich herausstellte, lag sie damit ja auch richtig. Auch der Vorschlag, niemanden wissen zu lassen, dass Du den Sturz überlebt hast, stammte von ihr. Sie wollte auch, dass es vor Draco geheim gehalten wurde."

"Wissen Lumina, Lieu und die Anderen denn jetzt Bescheid darüber, dass ich noch am Leben bin?" fragte Leo.

"Nein, bisher noch nicht." erwiderte Jean. "Wir werden, sobald alles vorbei ist, sie besuchen und ihnen alles erklären."

"Hoffentlich hat das alles bald ein Ende." seufzte Leo.

"Soviel ich weiß, gibt es nur noch eine Handvoll Anhänger Devons." meinte Jean. "Ich habe gestern mit Belziel telefoniert und er meinte, es wäre bald ausgestanden."

"Dann kannst Du die paar Tage ja auch warten und dann ganz offiziell den Club besuchen." sagte Darkness.

"Wie kommst Du denn jetzt darauf?" wollte Jean wissen.

"Weil Leo gerade den Wunsch geäußert hat, sich das Geschehen mal aus einer der Logen anzusehen." erklärte Darkness ihm. "Aber Draco ist wohl dagegen."

"Aha" nickte Jean. "Noch einen Kaffee?" wandte er sich an Leo, das Thema wechselnd.

"Ja, bitte." nickte diese. Gedankenverloren rührte sie in ihrer Tasse herum. "Schade, dass ihr nicht meine Eltern seid." murmelte sie, um dann etwas lauter zu fragen: "Wieso habt ihr eigentlich keine Kinder? Soviel ich weiß, könntet ihr doch auch Eltern werden."

"Ja, könnten wir." bestätigte Jean und sah Darkness liebevoll an. "Aber in dieser Umgebung ein Kind aufziehen? Ich glaube kaum, dass das richtig wäre. Vielleicht später mal, wenn wir uns zur Ruhe setzen."

"Wie wurdest Du eigentlich zu einem Vampir?" wandte sich Leo fragend an Darkness.

"Ach, das ist eine lange Geschichte." erwiderte sie.

"Darf ich auch zuhören?" fragte Draco von der Tür her und setzte sich neben Leo.

Nachdem Darkness sie alle mit Kaffee versorgt hatte, setzte sie sich ebenfalls an den Tisch und griff nach Jeans Hand.

"Also, wie ihr wisst, war ich die Hüterin des roten Kristalls, der für die Vampire, Werwölfe und Dämonen steht." begann sie. "Ich war gerade in mein Amt als Hüterin eingeführt worden, als es zwischen den drei Rassen zu Unruhen kam. Um nachzusehen, was da los war, wurde ich von Lieu dorthin geschickt. Als erstes suchte ich den Ältestenrat der Vampire auf und ließ mir erklären, was Sache war. Danach wollte ich dann zu den Werwölfen und mir ihre Sicht anzuhören. Der Rat der Vampire befürchtete, dass mir etwas zustoßen könne und gab mir Jean als Beschützer mit. Damals war er nicht viel älter als ich. Und ich muss gestehen, dass ich mich gleich in ihn verliebt hatte. Gemeinsam gingen wir zu den Werwölfen. Diese berichteten mir dann, dass die Vampire sich wohl nicht mehr an die Abmachung hielten, keine Menschen mehr zu töten. Es seien in letzter Zeit sehr viele von ihnen getötet worden. Jean, der damals auch schon zum Rat gehörte, widersprach dem heftigst. Daraufhin vermittelte ich ein Treffen zwischen dem Rat der Vampire und dem der Werwölfe. Sie sollten sich an einem neutralen Ort treffen, wo ich als Vermittler dabei sein würde. Beide Seiten erklärten sich damit einverstanden. Bei dem Treffen stellte sich dann heraus, dass eine Handvoll abtrünniger Vampire dafür verantwortlich waren. Gemeinsam machten nun die Werwölfe und die Vampire Jagd auf die Gruppe und töteten sie. Nachdem meine Mission nun erledigt war, wollte ich zurück in den Tempel, der sich zu dieser Zeit noch überirdisch befand. Jean, der sich auch in mich verliebt hatte, wollte mich nicht gehen lassen. Er hatte sich vom Rat schon die Einwilligung für meine Verwandlung geholt, aber ich wollte das nicht. So brachte er mich schweren Herzens zurück in den Tempel. Beim Abschied sagte er mir, dass er die Hoffnung nicht aufgeben würde. Auch mir fiel der Abschied nicht leicht, aber ich konnte doch mein Amt nicht im Stich lassen. Es war schon schlimm genug, dass Candle sich weigerte, ihr Amt anzutreten. Sie verrichtete ihren Job nur widerwillig und brach immer wieder aus. Lieu bemerkte meine Traurigkeit und wollte wissen, was los sei. Anfangs wollte ich nicht mit der Sprache raus, aber er ließ nicht locker und so erzählte ich es ihm. Er zeigte Verständnis für meine Lage und versprach mir zu helfen. Aber dann begannen die Menschen immer tiefer in den Dschungel vorzudringen und es bestand die Gefahr, dass unser Tempel entdeckt würde, woraufhin mit dem Bau der unterirdischen Anlage begonnen wurde. Es galt, die Kristalle in Sicherheit zu bringen, denn in den falschen Händen würden sie großen Schaden anrichten können. Nachdem der Umzug vollzogen war, verschwand Lieu, um Jean aufzusuchen. Er wollte wissen, ob er genauso für mich empfand, wie ich für ihn. Als Jean ihm das bestätigte, schickte er ihn zu uns. Allerdings wurde Lieu bei dieser Reise von seinem Zwillingsbruder getötet, was zu dem Zeitpunkt niemand wusste. Vorher hatte er Jean noch die Erlaubnis erteilt, mich zu verwandeln, wenn ich es denn wünschen würde. Aber ich weigerte mich immer noch, denn es würde bedeuten, dass ich die Stadt verlassen müsste. Erst als einer unserer Priester, ein sehr alter und blinder Mann, diese Vision hatte. Er rief uns drei Wächterinnen zu sich und teilte uns mit, das er gesehen hätte, dass mit Lieu etwas Schlimmes geschehen wäre. Das Luminas Söhne dafür Rache üben würden, allerdings nicht als Mensch oder Priester, sondern als Vampire. Und das es jemanden geben müsse, der sie nach ihrer Wandlung

leitete. Und dieser Jemand wäre ich. Allerdings müsse ich, um junge Vampire leiten zu können und ihnen alles zu lehren, selber zu einem Vampir werden. Wir drei Wächterinnen würde alle den unterirdischen Tempel verlassen, aber nach und nach zurückkehren, um unser Amt auszuüben. Jean nahm diese Nachricht natürlich mit Begeisterung auf. Er nahm mich mit in dieses Schloss hier, welches damals schon ihm gehörte und bereitete mich auf die Wandlung vor. Er erklärte mir, dass ich mit seinem Blut in meinem Körper sterben müsse, um als Vampir wieder zu erwachen, was mich damals sehr erschreckte. Aber Jean verstand es, mir die Angst zu nehmen. Jeden Tag ließ er mich nun von seinem Blut trinken, was mich anfangs einige Überwindung kostete. Als er dann der Meinung war, es befände sich genügend Vampirblut in meinem Organismus, wandte er eine List an, um mich zu töten. Es war Winter und er sagte mir, von den oberen Balkons hätte man jetzt eine besonders schöne Aussicht. Vertrauensvoll folgte ich ihm und er stieß mich dann von dort hinunter. Als ich erwachte, lag ich in seinen Armen in seinem Bett. Er hatte sich sein Handgelenk aufgerissen und hielt es an meinen Mund. Gierig, wie junge Vampire nun mal sind, trank ich sein Blut. Bisher hatten wir noch keinen körperlichen Kontakt zu einander gehabt. Und wie ihr ja nun aus eigener Erfahrung wisst, stillt das Blut nicht nur unseren Hunger, sondern es erweckt auch unser Verlangen. Sobald Jean das bemerkte, zog er sich zurück. So ging es eine ganze Zeit lang und ich verstand es nicht. Den Grund dafür erfuhr ich erst später, als wir zu den Ältesten reisten. Dort wurde mir gesagt, dass ich Jungfrau sein müsse, damit sie mich zu einer von ihnen machen könne. Auf meine Frage, ob es denn nicht reiche, nur ein ‚normaler’ Vampir zu sein, antworteten sie, nein, es reiche nicht und außerdem sei es einer Hüterin nicht würdig. In einer Art Ritual tauschten sie dann mein komplettes Blut aus. Ich lag dabei auf einer Art Altar und einer nach dem anderen der Ältesten hielt mir sein Handgelenk hin, damit ich trinken konnte. Währenddessen trank ein anderer aus meinem Handgelenk mein Blut. Diese ganze Zeremonie dauerte fünf Tage, dann besaß ich keinen Tropfen eigenes Blut mehr und war somit zu einer Ältesten geworden. Und als wir wieder hierher zurückkehrten, verließen wir drei Tage unser Bett nicht mehr“ fügte sie lachend an Schluss hinzu und sah Jean liebevoll an.

„Bist Du eigentlich nie eifersüchtig, wenn Darkness sich einen der jungen Männer nimmt?“ richtete sich Leo fragend an Jean.

„Nein, warum sollte ich?“ erwiderte Jean. „Sie benutzt sie nur, um ihren Hunger nach Blut zu stillen, für alles andere bin ich zuständig.“

„Aber so wie ich gehört habe, erregt es die Spender doch auch?“ wollte Leo weiter wissen.

„Ja, das stimmt.“ antwortete Darkness. „Aber da auch Jean trinken muss, lassen wir unsere Spender nachher aufeinander los oder wir bringen sie zu einem unserer jüngeren Vampire.“

„Gibt es noch viele Verwandlungen?“ fragte Leo.

„Nein, nicht mehr sehr viele. Die meisten geschehen unabsichtlich.“ erklärte Jean. „Du musst wissen, dass wir jedem unserer Gäste zum Abschied ein Weinglas mit unserem Blut geben, damit ihre Wunden schneller heilen. Nun kann es schon mal geschehen, dass jemand einen Unfall erleidet, während sich noch genügend Vampirblut in seinen Adern befindet. Und so entstehen heutzutage die meisten neuen Vampire.“

„Also so zusagen eher unfreiwillig.“ meinte Leo.

„Aber es gibt auch Menschen, die sich in einen von uns verlieben und darum betteln, für immer mit ihm zusammen zu sein.“ warf Darkness ein. „Die betreffenden werden dann zu uns gebracht und wir entscheiden dann, ob er verwandelt wird oder nicht. Dadurch, dass wir das Blut der Ältesten in uns haben, können wir erkennen, ob der Mensch ein guter oder ein schlechter Vampir wird. Und schlechte verwandeln wir erst gar nicht.“

„Jetzt haben wir soviel von Blut geredet, dass ich Hunger bekommen habe.“ meldete sich Draco das erste Mal zu Wort, seit Darkness ihnen ihre Geschichte erzählt hatte. Er stand auf und holte sich eine Konserve aus den dafür eigenen Kühlschrank.

„Du solltest mal wieder richtiges, warmes Blut zu Dir nehmen.“ riet Darkness und zwinkerte Leo dabei zu. „Immer nur dieses kalte Zeug ist doch auf Dauer nichts. Es macht Dich zwar satt, aber es nimmt Dir früher oder später auch Deine Kräfte.“

„Ich stimme Darkness zu.“ fügte Leo ernsthaft hinzu. „Ich merke auch schon, dass Du schwächer wirst.“

„Was?“ fuhr Draco auf. „Was soll das heißen? Bin ich Dir nicht mehr gut genug?“

„Doch.“ sagte Leo zögernd und lächelte Draco an. „Aber es ist nicht mehr so, wie es zu Anfang war.“

Draco sah von einem zum anderen.

„Ihr habt Euch gegen mich verschworen.“ sagte er dann verstehend. „Aber ich werde Leo auf keinen Fall mit in die Bar nehmen.“

„Also erstens weiß ich gar nicht, um was es hier geht.“ warf Jean ein. „Und zweitens musst Du sie ja auch gar nicht mit dorthin nehmen. Ich würde auch davon abraten. Wenn Leo unbedingt sehen möchte, was dort vor sich geht, kann sie es von der oberen Balustrade ungesehen beobachten. Sie geht dann halt in eine der kleinen Nische und schaut sich das Ganze von dort an. Allerdings muss sie sich ruhig verhalten, damit niemand, auch unsere Vampire nicht, sie bemerkt.“

„Ich weiß nicht.“ war Draco immer noch skeptisch. „Ich muss darüber nachdenken.“

„Mach das.“ ermunterte Jean ihn und klopfte ihm leicht auf die Schulter. „Es stimmt nämlich, dass Du von den Konserven schwächer wirst. Sie sind eigentlich auch nur als Notration gedacht. Wir brauchen das warme, eisenhaltige Blut unserer Spender. Und Du hast, seit Ihr hier seid, nicht einmal davon Gebrauch gemacht.“

Damit hatte Jean Recht, Draco spürte selber, dass seine Kräfte nachließen und er würde gerne mal wieder den Geschmack menschlichen Blutes schmecken. Nachdenklich sah er aus dem Fenster.

„So, Ihr Lieben.“ drang Darkness Stimme in seine Gedanken. „Ich möchte nicht unhöflich sein, aber für uns wird es langsam Zeit.“

Mit einem Blick auf die Uhr stellte Draco fest, dass es schon bald Abend war. Er sah von Jean zu Darkness und nickte verstehend.

„Falls Ihr nichts dagegen habt, werde ich mich gleich mal auf dem Balkon umsehen.“ sagte er. „Vielleicht werde ich heute Abend gemeinsam mit Leo von dort mal zuschauen.“
„Das ist eine gute Idee.“ stimmte Darkness zu. Sie öffnete eine Tür im hinteren Bereich der Küche und holte einen langen, schwarzen Umhang mit großer Kapuze hervor.

„Den kann Leo anziehen, dann bemerkt sie bestimmt niemand.“

Mit glänzenden, strahlenden Augen sah Leo von einem zum anderen, sie hatte ihr Ziel erreicht.

„Ich verspreche, ganz brav und leise zu sein.“ sagte sie lächelnd und stand auf. Auffordernd sah sie Draco an. „Kommst Du mit? Damit die Beiden sich fertig machen können.“

Gemeinsam gingen Leo und Draco zu ihrem Zimmer.

„Du kleine Hexe.“ sagte er liebevoll zu ihr und nahm sie in den Arm. „Hast Du mal wieder Deinen Willen durchgesetzt.“

„Ich hab doch gar nichts gemacht.“ klagte Leo. „Das war doch die Idee von Jean und Darkness, ich bin unschuldig.“

Sie legte ihre Arme um Dracos Hals und sah ihn mit unschuldigem Augenaufschlag an.

„Und noch etwas: Ich bin also schwach.“ meinte Draco und hob sie auf die Arme. „Ich werde Dir zeigen, wie schwach ich bin“ drohte er scherzhaft und warf sie auf das Bett, um sich gleich neben sie fallen zu lassen. Er setzte sich auf ihre Oberschenkel, nahm mit einer Hand ihre beiden Arme an den Handgelenken und drückte nach oben über ihren Kopf. Dann beugte er sich langsam zu ihr hinunter und begann ihr Gesicht mit seinen Lippen zu streicheln. Dabei übersah er das listige Lächeln in Leos Gesicht. Sie gab sich seinen Zärtlichkeiten hin und ihr Körper war ganz entspannt. Draco lockerte seinen Griff um ihre Handgelenke. Darauf hatte Leo nur gewartet, blitzschnell entzog sie ihm ihre Hände, griff nun ihrerseits nach seinen Händen und drehte sich blitzschnell mit ihm um. Nun saß sie auf seinen Oberschenkel und grinste ihn frech an.

„Wie war das: ich bin nicht schwach?“ fragte sie provozierend und lachte.

„Ist ja gut, Du hast gewonnen.“ gab Draco lachend zu. „Ihr habt ja alle Recht, meine Kräfte lassen wirklich etwas nach. Aber ich werde Dich trotzdem nicht mit in die Bar nehmen, das ist nichts für Dich.“

„Ich will ja auch gar nicht dort hinein, ich möchte nur mal sehen, was da so abgeht“ erwiderte Leo.

„Also gut, wir werden heute Abend kurz vom Balkon aus zu sehen“ versprach Draco und küsste Leo auf den Mund. „Du solltest Dir dafür aber etwas Dunkles anziehen, nicht so was Grelles wie jetzt zum Beispiel.“

Leo trug heute ein neonpinkes Topp und eine sehr knappe Jeansshort und wie immer keine Schuhe.

„Alles, was Du wills.t“ sagte Leo und zog sich das Topp über den Kopf.

„Besser so?“ fragte sie provokant und sah Draco herausfordernd an.

„Du Biest.“ grinste er und zog sie zu sich hinunter.

„Zeig mir, wie schwach Du bist.“ flüsterte Leo dicht an seinem Mund, bevor sie ihn küsste.

Nur zu gerne kam Draco dieser Aufforderung nach.

Später zog Leo eine schwarze, lange Jeans und ein ebenfalls schwarzes T-Shirt an. Ihre auffallend roten Haare würde sie unter der Kapuze des Capes verstecken.

„Gut so?“ fragte sie, als sie aus dem Bad kam und drehte sich vor Draco.

„Ja, allerdings solltest Du Dir Schuhe anziehen, sonst fallen Deine nackten Füße auf.“ riet er ihr.

Unwillig zog Leo sich ebenfalls schwarze Turnschuhe an und hängte sich das Cape um.

„Na gut, kleine Nervensäge.“ seufzte Draco. „Gehen wir also.“

Er trat vor sie, zog ihr die Kapuze tief ins Gesicht und gab ihr noch einen Kuss.

Aufgeregt wie ein kleines Kind ging Leo mit Draco ein Stockwerk höher und dort auf einen der kleinen Balkone. Halb verdeckt durch einen Vorhang, der vor neugierigen Blicke schützte, stand Leo an der Balustrade und sah nach unten.

In der Bar war es relativ dunkel. Dort gab es eine Bar, an der einige Besucher saßen. Dann gab es etliche Tische und kleine, diskrete Nischen. Es waren sehr viele Besucher da. Schnell hatte Leo herausgefunden, wer Mensch und wer Vampir war. Sie beobachtete eine Frau, die mit zwei männlichen Vampiren in einer der Nischen war. Die Frau, welche etwa Mitte zwanzig war, saß mit entblößtem Oberkörper zwischen den beiden Männern, welche abwechselnd ihr Blut tranken. Während einer der beiden trank, streichelte der andere ihre Brust. Nach wenigen Minuten reichten ihr diese Zärtlichkeiten nicht mehr und sie nahm die Hand des Vampirs und legte sie zwischen ihre Oberschenkel. Leo sah, wie ihre Erregung wuchs. Sie drehte sich zu Draco und flüsterte: „Sind die Menschen immer so?“

„Ja.“ gab er ebenso leise zurück. „Es erregt sie ungemein, wenn wir ihr Blut trinken.“

Leo sah Draco aufmerksam an, was er aber nicht mitbekam, da die Kapuze einen Großteil ihres Gesichtes verdeckte. Leo bemerkte, dass Draco sehnsüchtig auf die Menschen sah und sie wusste instinktiv, das er sehr gerne warmes Blut zu sich nehmen würde.

Leo nahm Dracos Hand und zog ihn von der Balustrade fort.

„Geh und trink.“ forderte sie ihn leise auf. „Aber da,s“ sie legte ihre Hand in seinen Schritt, „gehört nur mir.“

„Ich kann Dich doch nicht alleine hier lassen.“ wehrte sich Draco.

„Doch, Du kannst.“ erwiderte Leo fest. „Ich verspreche Dir, mich ruhig zu verhalten und nur zusehen. Geh nur und trink. Trink reichlich, ich werde bestimmt auch später durstig sein.“

„Ich weiß nicht.“ zierte sich Draco immer noch. „Mir ist nicht ganz wohl bei dem Gedanken daran, Dich hier oben zu lassen.“

„Ach, Schatz, mach Dir keine Gedanken.“ beruhigte Leo ihn. „Ich werde schon nicht hinunter springen, weil mich der Durst überwältigt. Außerdem mag ich nur Dein Blut. Also, jetzt geh und vergiß nicht, ich behalte Dich im Auge.“

„Na gut.“ gab Draco nach. „Ich werde schnell etwas trinken und bin dann ganz schnell wieder bei Dir.“

Er drückte Leo an sich und küsste sie.

Leo sah ihm nach, als er den Gang entlang zur Treppe ging, dann kehrte sie an ihren Platz zurück und beobachtete das Geschehen dort unten weiter. Die Frau mit den zwei Vampiren war mittlerweile fast nackt. Und während einer der Vampire trank, schlief der andere mit ihr, immer im Wechsel.

Leos Blick ging nun zu Darkness, welche auf so einer Art Thron mitten im Raum saß. Um sie herum waren drei junge Männer mit nackten Oberkörpern, aus denen sie abwechselnd trank. Darkness trug ein weißes, durchsichtiges langes Kleid, welches ihre Brüste freiließ. Diese waren das Einzige, was die jungen Männer berühren durften. Näherte sich einer ihrem Schoß, stieß sie ihn gleich weg. Auch Jean hatte eine junge Frau auf seinem Schoß. Aber auch er trank nur ihr Blut, obwohl man der Frau anmerkte, dass sie gerne mehr hätte.

Immer wieder kamen neue Gäste, die erst Darkness begrüßten, bevor sie sich in das Getümmel stürzten. Männer und Frauen hielten sich die Waage.

Leos Augen suchten nun Draco. Er stand neben Darkness und redete mit ihr, das hieß, er flüsterte ihr etwas ins Ohr. Ein junges Mädchen kam auf ihn zu. Sie war etwa so alt wie Leo. Leo konzentrierte sich auf Draco, um seine Gedanken zu hören.

‚Die hat mir gerade noch gefehlt’ dachte er in diesem Moment genervt und verdrehte die Augen. Er spürte, dass Leo seine Gedanken hören konnte. ‚Ich liebe Dich’ sandte er ihr.

‚Ich Dich auch’ schickte sie ihm zurück.

„Hallo, kennst Du mich noch?“ fragte das Mädchen ihn.

„Ja.“ erwiderte Draco knapp und wollte sich abwenden, aber sie hatte ihre Hand auf seinen Arm gelegt.

„Ich hab Dich lange hier nicht gesehen.“ plapperte sie weiter. „Mein Name ist übrigens Vanessa.“

„War viel unterwegs.“ erwiderte Draco knapp.

„Bist Du jetzt öfter hier?“ wollte Vanessa wissen.

„Nein, bin nur auf der Durchreise.“ antwortete Draco unfreundlich.

Darkness zog Draco zu sich und flüsterte ihm ins Ohr: „Sei doch nicht so unfreundlich. Nimm sie und trink.“

‚Ja, mach das’ sandte Leo ihm, welche das Gespräch ebenfalls mitgehört hatte.

Seufzend drehte Draco sich zu Vanessa um und sah sie an. Er sah ihre glücklich strahlenden Augen und stöhnte innerlich auf. Dann nahm er ihre Hand und ging mit ihr in eine Ecke, wo es etwas ruhiger war.

„Ich hätte nach unserem ersten Mal nicht gedacht, dass es mir soviel Spaß macht, jeden Abend hierher zu kommen.“ erzählte Vanessa und sah Draco verliebt an. „Als Du mir damals das Geld auf das Bett geworfen hast und sagtest, ich würde nicht mehr davon loskommen, hielt ich es für unwahr. Aber schon am nächsten Abend überkam mich das Verlangen danach. Es ist das Schönste, was ich je erlebt habe. Ich habe versucht, mit normalen Männern Sex zu haben, aber sie gaben mir nicht das, was ich hier bekomme.“

Draco, den das eigentlich gar nicht interessierte, drückte sie wortlos an die Wand, drehte ihren Kopf zu Seite, so dass ihre Halsschlagader gut erreichbar war und biss hinein. Langsam lief das warme Blut in seinen Mund. Es war doch etwas anderes, als die kalten Konserven. Bedächtig und genussvoll trank er Schluck für Schluck. Normalerweise hätte es ihn erregt, aber er dachte dabei nur an Leo. Seine Hände lagen auf Vanessas Schultern und er spürte ihre wachsende Erregung unter seinen Fingern. Vanessas Hände begannen über seinen Rücken zu wandern und ihr Unterleib presste sich gegen seinen. Ihr Atem wurde immer heftiger.

„Nimm mich.“ flüsterte sie heiser.

Draco ließ von ihrem Hals ab und sah sie an. Ihr Blick war verschleiert und ihre Lippen leicht geöffnet.

„Bitte, mach es mit mir.“ bettelte sie. „So wie beim ersten Mal. Ich liebe Dich doch.“

„Vergiss es.“ sagte Draco hart und sah sich um. Ein junger Vampir ging gerade in seiner Nähe vorbei. Draco packte ihn am Arm und stieß ihn zu Vanessa.

„Hier, für Dich.“ sagte er. „Sie hat es gerade sehr nötig.“

Mit diesen Worten wandte er sich ab.

Leo hatte gesehen, wie Draco sich mit dem Mädchen zurück gezogen hatte, als sie plötzlich ein Geräusch hinter sich vernahm. Sie drehte sich um. In der Tür standen drei Vampire, welche völlig zerlumpt aussahen. Auch der Geruch, den sie verströmten, war ekelerregend.

„Haben wir Dich.“ sagte der Mittlere von ihnen und grinste sie frech an.

„Hast Du gedacht, Du würdest der Rache von Devon entgehen können?“

Langsam schoben die Drei sich näher an Leo heran….


Leos Augen suchten den ganzen Saal nach Draco ab, aber sie fand ihn nicht.

‚Ich werde ihn umbringen’ dachte sie, weil sie glaubte, er hätte sich mit einer der Frauen zurückgezogen, um sich bei ihr für die Blutspende zu bedanken.

„Warum? Reichen drei Leichen nicht?“ hörte Leo ihn lachend hinter sich fragen. Sie drehte sich um und sah erstaunt auf drei tote Vampire zu seinen Füßen.

„Wer sind die? Und warum hast Du sie getötet?“ fragte sie Draco erstaunt.

„Erstens weiß ich nicht, wer sie sind und zweitens hab nicht ich sie getötet“ antwortete Draco.

Die drei Vampire waren übel zugerichtet, dem rechten und dem linken war die Kehle durchgebissen worden und ihre Herzen waren herausgerissen. Der Mittlere sah aus, als ob ihn ein Raubtier zerrissen hätte, sein Körper war übersät mit Wunden, welche aussahen, als stammten sie von den scharfen Krallen einer Raubkatze.

„Aber wer war es dann?“ wollte Leo wissen und schob ihre Kapuze leicht zurück. Ihr Mund und ihr Kinn waren blutverschmiert und auch von ihren Händen tropfte Blut. Draco sah Leo nachdenklich an.

„Du wirst es wohl gewesen sein.“ meinte er leise.

„Ich?“ fuhr Leo entsetzt auf. „Hm, das würde den ekeligen Geschmack erklären, den ich habe. Aber ich kann mich nicht daran erinnern, sie getötet zu haben.“

„Oh.“ erklang plötzlich die Stimme von Marie. „Ihr habt das Problem schon selbst gelöst.“

Erfreut schaute Leo auf.

„Wo kommt Ihr denn her?“ wollte sie wissen und begrüßte Marie und Belziel.

„Das erzählen wir Euch später.“ meinte Belziel. „Jetzt sollten wir hier erst mal aufräumen.“

„Können wir bitte gehen?“ wandte sich Leo fragend an Draco. „Ich möchte den Gestank und den ekeligen Geschmack loswerden.“

Draco sah Marie und Belziel an, die ihm zustimmend zunickten. Daraufhin nahm er Leos Hand, zog ihr die Kapuze tiefer ins Gesicht und kehrte mit ihr in ihr Zimmer zurück. Dort verschwand Leo gleich im Bad und riss sich die Sachen vom Körper. Dann nahm sie ihre Zahnbürste und stellte sich unter die Dusche.

„Alles in Ordnung?“ fragte Draco nach einer Weile.

„Nein.“ jammerte Leo. „Ich werde einfach den blöden Geschmack nicht los.“

Niedergeschlagen kam Leo aus dem Bad, nur in ein Handtuch gewickelt.

Sie setzte sich auf die Bettkante, stützte ihr Kinn auf ihre Hände und starrte zu Boden.

Es klopfte und Marie betrat das Zimmer.

„Wer waren sie?“ überfiel Draco sie gleich fragend. „Und was wollten sie hier?“

„Drei der letzten Anhänger Devons.“ erwiderte Marie. „Belziel, Jean und einige andere sind jetzt auf der Suche nach dem Rest. Sie vermuten sie in der Kanalisation der Stadt ihrem Geruch nach zu urteilen. Es war die letzte Gruppe und wir sind ihrer Spur bis hierher gefolgt. Nur konnten wir bisher ihren Unterschlupf nicht ausfindig machen.“

Sie setzte sich neben Leo und legte ihren Arm um deren Schulter.

„Ich weiß, die ersten Tötungen sind die schwersten.“ sagte sie tröstend.

„Aber ich war das nicht.“ fuhr Leo auf. „Sie standen plötzlich hinter mir und im nächsten Augenblick waren sie tot. Ich weiß nicht, wer sie getötet hat, ich war es jedenfalls nicht.“

„Du meinst, Du kannst Dich nicht erinnern.“ meinte Marie beschwichtigend. „Denn Du warst voller Blut, als wir eintrafen.“

„Keine Ahnung, wo das herkam.“ erwiderte Leo, stand auf und verschwand wieder im Bad.

Marie sah ihr nach, Draco ebenfalls.

„Wieso hat sie keine Erinnerung daran?“ wollte er dann von Marie wissen.

„Ich weiß es nicht.“ antwortete Marie. „Hast Du die Leichen gesehen? Man könnte fast denken, irgendeine Raubkatze hätte sie zerrissen. Der Biss, der ihnen die Kehle zerfetzte, war auch größer als von einem Vampir. Und die Kratzspuren wiesen auch die Größe einer Raubtierkralle auf. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, sie sind in die Fänge eines Löwen geraten.“

Aus dem Bad waren Würgegeräusche zu hören. Marie ging, um nachzusehen. Leo stand am Waschbecken und würgte gerade einen Schwall fast schwarzen Blutes hervor.

„Es ist so ekelig.“ jammerte Leo. „Ich glaube, ich werde diesen Geschmack nie mehr los.“

„Das kommt, weil sie sich nur von Ratten ernährt haben.“ erklärte Marie. „Tierblut hat einen anderen Geschmack als Menschenblut und das von Ratten sowieso. Diese Tiere ernähren sich ja von allem, sogar von Fäkalien. Aber mach Dir keine Sorgen, Du wirst diesen Geschmack schon wieder los, spätestens dann, wenn Du Dracos Blut getrunken hast.“

„Meinst Du?“ Leo sah sie jammervoll an.

„Ich weiß es.“ lächelte Marie. Sie ging mit Leo zurück ins Schlafzimmer, wo Draco niedergeschlagen auf dem Bett saß. Er hatte soviel menschliches Blut getrunken, dass er nun das Gefühl hatte, seine Adern würden platzen und er hatte sich darauf gefreut, Leo trinken zu lassen.

„So, Ihr Zwei.“ sagte Marie fröhlich. „Ich werde Euch nun mal wieder verlassen. Mal schauen, ob die Männer schon zurück sind und ob es unten noch jemanden gibt, der noch genügend Blut hat.“

Sie ging zur Tür, dort wandte sie sich noch mal um, zwinkerte den Beiden zu und grinste: „Schließt hinter mir ab, damit Euch niemand mehr stört.“

Draco ging zur Tür und verschloss sie, dann kehrte zum Bett zurück, auf welchem Leo mittlerweile lag, und setzte sich wieder auf die Kante. Er spürte Leos Hände unter seinem Shirt. Langsam schob sie es Stück für Stück nach oben und zog es letztendlich ganz über seinen Kopf. Sie legte ihre Arme um seinen Oberkörper und Draco spürte ihre kleinen festen Brüste auf seinem Rücken. Leo hatte sich des Handtuches entledigt und kniete nackt hinter ihm. Sie legte ihren Kopf auf seine Schulter und küsste sanft seinen Hals, dort wo sich die Schlagader befand. Draco neigte leicht seinen Kopf zur Seite, damit sie die Ader besser erreichen konnte.

„Ich will Dich dabei ansehen.“ murmelte Leo und rutschte auf seinen Schoß. Draco legte seine Hände um ihre Hüften, um sie zu halten. Leo lächelte und zeigte dabei ihre kleinen spitzen Eckzähne, welche sie sanft in seine Ader bohrte. Langsam trank sie genussvoll in kleinen Schlucken. Draco stöhnte leicht auf, er merkte, wie der Druck in seinen Adern langsam nachließ.

„Deine Hose stört.“ murmelte Leo zwischen zwei Schlucken und schielte zu Draco hoch.





20. Kapitel

Am nächsten Morgen, das heißt, es war schon fast Mittag, wachte Leo in Dracos Armen auf. Marie hatte Recht gehabt, stellte Leo fest, der widerliche Geschmack war wirklich durch Dracos Blut verschwunden. Zärtlich blickte Leo auf den noch schlafenden Draco, der auf dem Bauch liegend neben ihr lag. Leo konnte nicht widerstehen und küsste seinen Nacken. Obwohl es nur eine leichte Berührung war, hatte Draco sie gespürt. Er drehte sich halb um und zog Leo an sich. Mit einer Hand fasste er ihren Nacken und zog ihren Kopf an seinen Hals.

„Trink.“ murmelte er im Halbschlaf.

„Nein.“ widersprach Leo lachend. „Wir haben fast Mittag, ich glaube, wir sollten mal aufstehen.“

„Willst Du wirklich?“ fragte Draco verführerisch leise und küsste sie, dabei ließ er seine andere Hand langsam über ihren Körper wandern.

„Ja.“ erwiderte Leo. „Man wird bestimmt schon auf uns warten.“

„Mir egal.“ sagte Draco und setzte seinen Weg über ihren Körper fort, jetzt allerdings mit seinen Lippen.

„Aber ich habe Hunger.“ beharrte Leo, obwohl seine Berührungen sie nicht kalt ließen.

„Ich auch, aber nach Dir.“ entgegnete Draco.

„Immer noch? Nach dieser Nacht?“ lachte Leo.

„Wieso? Was war diese Nacht?“ tat Draco unschuldig.

„Sie war anstrengend und jetzt habe ich Riesenhunger.“ sagte Leo und schob seine Hand weg.

„Na gut.“ seufzte Draco ergeben. „Dann stehen wir halt auf, damit Du etwas zu Essen bekommst. Aber danach kehren wir gleich hierher zurück.“

„Ich glaube, warmes Menschenblut bekommt Dir doch nicht so gut.“ überlegte Leo.

„Doch, eigentlich schon. Nur war es gestern sehr viel.“ erwiderte Draco. „Ich habe immer noch das Gefühl, meine Adern wären zu voll. Du hast zuwenig getrunken. Aber dafür war ja keine Zeit mehr.“ Er grinste Leo frech an.

„Spinner.“ sagte Leo liebevoll und verschwand im Bad. Als sie die Dusche anstellte, kam Draco herein und stellte sich zu ihr.

Als Draco und Leo wenig später die Küche betraten, fanden sie dort Marie, Belziel, Jean und Darkness vor. Sie saßen am Tisch, jeder mit einer Tasse heißen Kaffee vor sich und unterhielten sich wohl gerade über die Vorkommnisse der letzten Nacht. Beim Eintritt von Leo und Draco brach ihr Gespräch ab.

„Na, gut geschlafen?“ wandte sich Darkness an die Beiden.

„Ja, danke.“ antwortete Leo.

Draco hatte währenddessen zwei Tassen aus dem Schrank geholt und sie mit Kaffee gefüllt. Er setzte sich neben Belziel an den Tisch.

„Ich nicht.“ sagte er zu Darkness. „Leo hat mich nicht schlafen lassen.“ fügte er ernsthaft hinzu, woraufhin alle lachten.

Leo hatte sich derweil dem Kühlschrank zugewandt und einen Teller mit allem Essbaren voll gepackt. Damit ließ sie sich nun ebenfalls am Tisch nieder und begann zu Essen.

„Wie kann man nur solchen Mengen in sich hinein stopfen?“ schüttelte Belziel erstaunt mit dem Kopf. „Und das als Vampir, die normalerweise gar nichts essen.“ Er sah Leo skeptisch an. „Du weißt schon, dass Du auch einer bist?“

„Ja, weiß ich mittlerweile.“ erwiderte Leo mit vollem Mund. „Aber ich kann doch nichts dafür, dass ich immer so hungrig bin. Vielleicht bin ich ja doch kein Vampir, jedenfalls kein richtiger.“ Sie ließ sich nicht beim Essen stören.

„Wenn Du kein richtiger Vampir bist, dann frag ich mich, wer sonst.“ warf Draco ein. „Wenn ich da an vergangene Nacht denke……“

„Klappe.“ forderte Leo ihn drohend auf, was wieder allgemeines Gelächter hervor rief.

„Apropos, letzte Nacht.“ meldete sich Beziel zu Wort. „Es gibt erfreuliche Nachrichten. Wir haben die letzte Zelle der Anhänger Devons eliminieren können. Nun besteht keine Gefahr mehr und Leo kann gehen, wohin sie will.“

„Echt jetzt?“ fragte Leo erfreut und sah strahlend von einem zum anderen.

„Ja, Süße, echt jetzt.“ bestätigte Darkness lächelnd, welches eher traurig wirkte.

„Das heißt, ich, vielmehr wir, können jetzt durch die Welt reisen, ohne ständig über die Schulter sehen zu müssen?“ vergewisserte Leo sich nochmals.

„Genau das heißt es.“ erwiderte Darkness.

„Bevor Du aber jetzt losrennst und die Koffer packst, würde ich vorschlagen, Ihr besucht zuerst mal Lumina und Lieu.“ meldete sich Jean das erste Mal zu Wort.

„Muss das sein?“ maulte Leo.

„Ich denke schon.“ entgegnete Jean. „Sie sollten nun endlich auch erfahren, dass Du damals nicht wirklich gestorben bist, auch wenn es anfangs ein großer Schock für sie sein wird. Immerhin ist Lieu Dein Vater.“

„Und Candle meine Mutter.“ seufzte Leo. „Dann ist da noch dieser Mensch, den ich jahrelang für meinen Vater hielt.“

„Sie alle werden sich nach dem anfänglichen Schock riesig freuen, Dich zu sehen.“ erwähnte Darkness.

„Hm, Candles Mann ist ja ein Mensch. Vielleicht trifft ihn ja der Schlag, wenn er mich sieht.“ überlegte Leo.

Sie stand auf und stellte ihren mittlerweile leeren Teller in die Spülmaschine. Dann reckte sie sich und sah Darkness an. „Wenn ich jetzt frei bin, darf ich dann in den Park gehen?“

„Selbstverständlich.“ nickte Darkness.

Auffordernd sah Leo Draco an. „Ich komme später nach“ versprach dieser.

Kaum hatte Leo den Raum verlassen, wandte sich Draco an Jean. „Wisst Ihr denn nun, wer diese drei getötet hat?“

„Es kann nur Leo gewesen sein, denn es gab keine Spuren, die darauf hinwiesen, dass sich noch jemand dort aufgehalten hat.“ erwiderte Jean.

„Wieso kann sie sich dann nicht daran erinnern?“ wollte Draco wissen. „Und wie kann eine so, hm, sagen wir mal, zarte Person drei Vampire so zurichten?“

„Das können wir uns auch nicht erklären.“ antwortete Jean. „Aus diesem Grund wollen wir Lieu befragen und Leo sollte dabei sein.“


Leo war währenddessen durch den riesigen Park geschlendert. Sie genoss es, an der Luft zu sein und Wind und Sonne auf der Haut zu spüren. Sie näherte sich dem Teil des Parkes, in welchem sich das Labyrinth befand, als sie ein leises Stöhnen vernahm. Vorsichtig näherte sie sich dem Geräusch und sah eine junge Frau am Boden liegen, die heftig blutete. Der Geruch des warmen Blutes ließ Leos Reißzähne wachsen. Bevor sie etwas Unüberlegtes tat, wandte sich Leo ab und rannte zurück ins Haus. Sie stürmte in die Küche und sagte: „Im Park liegt jemand, der heftig blutet. Dem Geruch nach ist es ein Mensch.“

„Hast Du…..?“ fragte Darkness schnell.

„Nein, nein.“ erwiderte Leo und schüttelte den Kopf.

„Geh mit ihr auf Euer Zimmer.“ forderte Jean Draco auf. „Wir kümmern uns um den Menschen.“

In ihrem Zimmer angekommen, sah Leo Draco an. „Sie werden sie doch nicht……töten?“ fragte sie ängstlich.

„Was? Nein, bestimmt nich.t“ beruhigte Draco sie. „Das würde den Tod für Jean und Darkness bedeuten.“

Er nahm Leo schützend in den Arm und drückte sie fest an sich.

„Das Blut…..es roch so gut…….ich wollte…..“ stammelte Leo.

„Ich weiß, Kleines, ich weiß.“ sagte Draco tröstend. „Das ergeht jedem von uns so. Es riecht so verlockend, wenn es so warm aus einem Menschen fließt.“

Draco hielt ihr sein Handgelenk hin. „Komm, trink ein wenig, das beruhigt“ forderte er sie auf. Leo, deren Reißzähne immer noch lang und spitz waren, ließ sich nicht zweimal bitten.

„Danke, es geht mir besser, viel besser.“ sagte sie und sah Draco verführerisch an. Sie legte ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn. Ihr Kuss wurde immer heftiger, bis er durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen wurde.

„Oh Mann.“ stöhnte Darkness, als sie den Raum betrat. „Also, erst Mal, es war keiner von uns, der sie so zugerichtet hat. Sie hat sich ihre Wunden selbst zugefügt, weil sie sterben wollte, um als Vampir aufzuwachen.“

„Weiß man, wer sie ist?“ wollte Draco wissen.

„Ja.“ seufzte Darkness und ließ sich auf das Bett sinken. „Es ist diese Vanessa. Du weißt schon, die aus dem Labyrinth.“

Darkness sah Draco an und ihre Augen fragten, ob sie weiterreden könne. Draco nickte unmerklich und Darkness fuhr fort: „Soviel wir aus ihr herausbekamen, wollte sie eine von uns werden wegen Dir. Du hast sie damals entjungfert in zweierlei Hinsicht und sie hat sich dabei unsterblich in Dich verliebt. In ihrem Kopf hatte sich der Gedanke festgesetzt, dass Du sie auch liebst und wenn sie ein Vampir würde, könntet ihr für ewig zusammen sein. Hätte Leo sie nicht gefunden, wäre sie allerdings verblutet ohne wieder zu erwachen. Manche Menschen haben echt verrückte Ideen.“

„Sie hat es wegen Dir getan?“ wollte Leo schockiert wissen.

„Scheint so, aber ich will gar nichts von ihr, für mich war sie damals nur Mittel zum Zweck.“ erwiderte Draco. „Als wir auf dem Weg nach Afrika waren, um meinen Bruder zu suchen, habe ich hier einen Zwischenstopp eingelegt, woran Du Dich allerdings nicht erinnerst, weil ich Dich einschlafen ließ. Ich brauchte frisches, warmes Blut, um Kontakt mit Wanja aufzunehmen. Vanessa war an diesem Tag zum ersten Mal hier und hatte keine Ahnung, was sich hier abspielte. Ihre Freundin hatte sie mitgebracht, welche allerdings schon Stammgast hier war. Und Darkness wusste genau, was ich brauchte und ließ Vanessa in das Labyrinth bringen. Dort jagte ich sie und je länger die Jagd dauerte, desto höher wurde das Adrenalin in ihrem Blut. Unsere Jagd endete, wie alle Jagden, in einem kleinen Gartenhaus, wo es nur einen Eingang gab. Sie hatte also keine Möglichkeit zur Flucht. In dem Raum stand nichts außer einem riesigen Bett, auf welches ich sie dann stieß. Und, naja, ich trank von ihrem Blut und schlief gleichzeitig mir ihr. Und wie Darkness schon sagte, war sie Jungfrau.“

Leo hatte schweigend zugehört. Als Draco endete, legte sie ihre Hände auf seine Wangen. „Das war vor unserer Zeit.“ sagte sie sanft. „Aber solltest Du jetzt so etwas machen, werde ich Dich töten.“ fügte sie hart hinzu und sah ihm fest in die Augen.

„Ähm, klärt das mal unter Euch.“ meinte Darkness. „Ich schau mal nach unserer Patientin.“

Sie zog sich zurück und Draco war mit Leo wieder alleine. Draco ging zur Tür und schloss sie ab. Er wandte sich Leo zu. „Und nun zu Dir.“ Langsam schlenderte er auf sie zu.

„Glaubst Du ernsthaft, ich würde eine andere Frau in mein Bett zerren? Wo ich Dich habe? Ich würde niemals die Liebe meines Lebens aufs Spiel setzen für ein kurzes Vergnügen. Ihr Blut trinken, ja, okay, aber ihren Körper besitzen? Nein, niemals. Bei Dir finde ich alles, was ich brauche, um glücklich zu sein. Das schönste Gefühl, welches ich jemals hatte, war das an jenem Abend, als ich zum ersten Mal Deine Lippen an meinem Hals spürte. Und jedes Mal, wenn Du aus mir trinkst, kommt diese Erinnerung zurück. Und das alles sollte ich aufs Spiel setzen?“

Leo hatte atemlos seiner Erklärung zugehört und sah ihm in die Augen, aus denen die ganze Liebe zu ihr sprach.

„Ich……….ich………..ich“ stotterte sie völlig überwältigt.

„Pst.“ machte Draco, hob sie auf die Arme und trug sie zum Bett. Dort ließ er sich sanft mit ihr nieder und küsste sie sanft auf die Lippen.

„Ich liebe Dich mehr als mein Leben.“ flüsterte Leo leise an seinem Mund.

Draco legte ihr seinen Finger auf den Mund. „Nicht reden.“ Er verschloss ihren Mund mit seinem. Seine Hände schoben ihr Shirt langsam nach oben bis zu ihrem Hals. Danach öffnete er ihre Jeans und ließ seine Hand darin verschwinden. Als Leo ihre Hände unter sein Shirt schieben wollte, hielt er sie fest und drückte sie über ihren Kopf. Er löste sich von ihren Lippen und sein Mund wanderte ihren Hals hinunter bis zu ihrer Brust, welche er abwechselnd küsste. Von dort führte sein Weg über ihren Bauch immer weiter nach unten. Leo wandt sich unter seinen Berührungen und sie versuchte verzweifelt, ihre Hände zu befreien. Draco hielt inne, aber nur, um ihr das Shirt auszuziehen und es als Fessel für ihre Hände zu benutzen.

„Was…?“ setzte Leo an, aber Draco erstickte ihre Frage mit einem Kuss. Dann ließ er seinen Mund wieder über ihren Körper wandern bis zum Rand ihrer Jeans. Er begann ein V mit seinen Lippen auf ihren Körper zu zeichnen, während er ihre Jeans abstreifte.

Es war bereits dunkle Nacht, als sie neben einander lagen. Draco hatte seinen Arm unter ihre Schulter geschoben und Leo hatte einen Arm und ein Bein über Draco gelegt. Mit seiner freien Hand streichelte Draco leicht über Leos Arm.

„Wie es ihr wohl geht?“ äußerte Leo leise. „Ob sie es geschafft hat?“

„Sie ist bei Darkness und Jean in guten Händen“ erwiderte Draco.

„Bist Du auch dafür, dass wir Lumina besuchen sollten?“ sprang Leo zum nächsten Thema über.

„Wenn Du es nicht möchtest, dann lassen wir es, obwohl ich meine Mutter und meinen Bruder gerne wieder sehen würde.“ antwortete Draco.

„Ich auch.“ gab Leo zu. „Aber der Gedanke daran, wieder unter der Erde eingesperrt zu sein, verursacht mir Unbehagen.“

„Es ist dieses Mal aber ander.s“ meinte Draco. „Wenn Du gehen willst, kannst Du es tun.“

„Na gut, dann lass es uns tun.“ seufzte Leo ergeben.

„Was? Schon wieder? Wir haben doch gerade erst“ fuhr Draco im gespielten Entsetzen auf.

„Das doch nicht, Du Spinner.“ lachte Leo und warf ein Kissen nach ihm. Er fing es lachend auf und warf es zurück. Und schon hatte die Kissenschlacht begonnen.

Wenig später war das ganze Zimmer voller Federn. Leo und Draco lagen auf dem Bett und sahen sich die Bescherung lachend an.

„Darkness ist bestimmt froh, wenn sie uns los ist.“ meinte Leo.

„Warum?“ wollte Draco wissen. „Sie hat uns aber doch gerne hier.“

„Ja, schon, aber ohne uns bleibt wenigstens ihr Inventar heil.“ äußerte Leo.

„Ach.“ winkte Draco ab. „Das ist noch harmlos. Du glaubst gar nicht, was alles zu Bruch gehen kann, wenn Neugeborene im Haus sind.“

Als Leo am Morgen die Küche betrat, traf sie dort Darkness an.

„Wie geht es dem Mädchen?“ fragte Leo, als sie sich begrüßt hatten.

„Schon viel besser.“ berichtete Darkness. „Dank unserem Blut haben sich ihre Wunden schnell geschlossen. Und sobald wieder komplett geheilt ist, wird Jean ihr die Erinnerung nehmen. Er wird mit ihr in die Stadt fahren und dort alles, was mit hier zu tun hat, aus ihrem Gedächtnis löschen.“

„Sie wird dann nicht mehr wissen, dass sie jemals hier war?“ erkundigte sich Leo.

„So ist es.“ bestätigte Darkness. „Für manche Menschen wäre es besser, niemals hierher zu kommen.“

Darkness sah Leo aufmerksam an, als sie sich am Tisch gegenüber saßen. Sie griff in Leos Haar und zog eine Feder heraus.

„Was habt Ihr gemacht? Ein Huhn gerupft?“ wollte sie lachend wissen.

„Ich glaube, es war mehr als eins.“ erwiderte Leo zerknirscht. „Wir haben die Kissen zerlegt.“

„Ah ja.“ nickte Darkness. „Das bedeutet, Ihr braucht neue. Ich werde es gleich veranlassen.“

„Tut mir leid, das ich soviel kaputt mache.“ sagte Leo niedergeschlagen. „Aber bald hast Du Ruhe vor mir.“

„So schnell willst Du uns also verlassen?“ fragte Darkness traurig.

„Naja, erst einmal wollen wir Lumina besuchen und was danach ist, weiß ich noch nicht.“ antwortete Leo. „Und noch sind wir ja hier und können noch mehr Eurer Einrichtung zerstören.“

„Wann wollt Ihr denn zu Lumina?“ erkundigte sich Darkness.

„Weiß ich noch nicht so genau.“ erwiderte Leo. „Eigentlich bin ich nicht so scharf darauf, unter die Erde zu gehen, aber ich habe gemerkt, dass Draco Sehnsucht nach seiner Familie hat. Und ehrlich gesagt, würde ich Lumina, Wanja, Zerafina und Lieu auch gerne wieder sehen.“

„Wir würden Euch gerne begleiten, können aber nicht so schnell von hier weg. Es gibt da vorher noch eine Menge zu regeln, denn entweder brauchen wir jemanden, der uns in der Zeit vertritt oder wir schließen für einige Zeit.“ sagte Darkness. „Marie und Belziel kämen auch mit. Es gibt da nämlich einige Fragen, die mit Lieu geklärt werden müssen.“

Als Leo später ihr Schlafzimmer betrat, war das Chaos der Nacht schon beseitigt worden. Draco stand anscheinend unter der Dusche, denn sie hörte Wasser laufen. Leise betrat Leo das Bad, streifte ihre Sachen ab und trat hinter Draco unter die Dusche. Sie legte ihre Arme um ihn und schmiegte sich an seinen Rücken.

„Wo warst Du solange?“ fragte Draco.

„Bei Darkness, beichten.“ erwiderte Leo. „Und um ihr zu sagen, dass wir demnächst zu Lumina fahren werden. Sie und Jean wollen mit dorthin, Marie und Belziel auch, aber vorher müssen noch einige Dinge geregelt werden.“

„Aha.“ sagte Draco und stellte das Wasser ab. Er nahm sich ein Handtuch, schlang es sich um die Hüften und verließ das Bad. Leo folgte ihm. Draco saß auf der Bettkante und hatte seinen Kopf in seine Hände gestützt.

„Sie müssen einiges mit Lieu klären, hat Darkness gesagt.“ erzählte Leo weiter. „Und dieser Vanessa geht es auch wieder besser. Jean fährt sie später in die Stadt und dort löscht er ihre Erinnerungen an das alles hier, auch an Dich.“

„Okay“. meinte Draco nur.

„Ist etwas? Hab ich schon wieder etwas falsch gemacht?“ wollte Leo wissen, der das Verhalten von Draco seltsam vorkam.

„Nein, hast Du nicht.“ antwortete Draco und sah sie an. „Es ist nur…..ich dachte, Du wärst durstiger gewesen. Ich habe noch soviel Blut in meinen Adern, dass ich das Gefühl habe, sie platzen gleich.“

„Hm, eigentlich könnte ich schon noch einen Schluck vertragen.“ gab Leo zu. „Aber ich will doch auch nicht zuviel von Dir trinken, ich habe immer Angst, ich könnte Dich töten, wenn ich zu unbeherrscht bin.“

„Ich pass schon auf, dass das nicht passiert.“ beruhigte Draco sie.

Leo kniete sich hinter ihn und legte ihre Arme um seine Brust. Bevor sie sich seinem Hals näherte, flüsterte sie ihm ins Ohr: „Ich verschaff Dir Erleichterung.“ Dann bohrte sie ihre Zähne in seine Ader, was bei Draco ein zufriedenes Stöhnen hervorrief.

„Danke.“ murmelte Draco, als Leo von ihm abließ.


Nach einer Woche hatten Darkness und Jean alles geregelt und der Abreise stand nichts mehr im Wege. Jean hatte einem vertrauenswürdigen Paar die Vertretung übergeben und sie den Gästen vorgestellt. Am Abend vor ihrer Abreise hatten alle noch mal reichlich getrunken, auch Draco war in der Bar. Leo hatte, wie beim ersten Mal, wieder vom Balkon aus zugesehen. Sie konnte in der Nacht auch davon profitieren. Am Morgen hatte Jean und Belziel das Gepäck und etliche Kühltaschen mit Blut ins Auto gepackt. Darkness hatte außerdem noch einen großen Korb mit Lebensmittel dazu gestellt. Auf die fragenden Blicke der Anderen hatte sie gesagt: „Wir wollen doch nicht, dass Leo uns unterwegs verhungert.“

Sie fuhren die gleiche Strecke wie damals Draco und Leo. Je näher sie dem Ort kamen, wo sich die Kristallstadt befand, desto ruhiger wurde Leo. Sie saß wie ein Häufchen Elend neben Draco und hielt seine Hand.

„Hast Du Durst?“ flüsterte er ihr ins Ohr. Leo schüttelte verneinend ihren Kopf.

Soweit es ging, fuhr Jean in den Dschungel hinein, den Rest legten sie zu Fuß zurück. Als sie den Eingang erreichten, nahm Darkness einen langen, weißen Umhang mit großer Kapuze aus einem Korb und legte ihn Leo um.

„Wir wollen ja nicht gleich beim Betreten der Stadt, dass einige tot umfallen.“ meinte sie dazu.

Ohne Probleme ließen die Wachen sie passieren und versuchten auch nicht herauszufinden, wer die Gestalt in Weiß war.

„Hm, viel Wert auf Sicherheit legen sie hier aber nicht“ meinte Darkness.

Wie sehr sie sich geirrt hatte, merkten sie kurze Zeit später, als sie vor einer Wand standen, auf welche die Silouhette der Stadt täuschend echt aufgemalt war.

„Und wo ist jetzt der Eingang?“ fragte Darkness etwas ratlos und sah die Anderen an.

In diesem Moment öffnete sich eine Tür in der Mauer und sie wurden von Wachen umringt.

„Wer seid Ihr? Und was wollt Ihr hier?“ wurden sie von Jemandem gefragt, der anscheinend der Hauptmann der Wache war.

„Also, ich bin Darkness, die Schwester Luminas.“ erwiderte Darkness. „In meiner Begleitung befinden sich mein Mann Jean, Luminas Sohn Draco und zwei Urvampire, die mit Lieu etwas zu bereden haben.“

„Und wer ist das?“ fragte der Hauptmann und deutete auf Leo.

„Das kann ich leider nicht sagen, es ist eine Überraschung.“ antwortete Darkness.

„Werdet Ihr erwartet?“ wollte der Hauptmann noch wissen.

„Nein, es ist ein spontaner Überraschungsbesuch.“ sagte Darkness.

„Gut, dann folgt mir bitte.“ forderte der Hauptmann sie auf.

Umringt von den Wachen folgten sie dem Hauptmann, welcher sie ins Haus brachte. Dort führte er sie in einen großen Raum und bat sie, dort zu warten.

Kurze Zeit später kam er in Begleitung von Lumina zurück.

„Kennst Du diese Leute?“ wollte er wissen.

„Ja, natürlich, es ist meine Schwester mit ihrer Familie.“ entgegnete Lumina. „Du kannst mich unbesorgt mit ihnen alleine lassen.“

Der Hauptmann verneigte sich, gab seinen Leuten einen Wink und zog sich mit ihnen zurück.

Lumina umarmte Darkness erfreut.

„Was führt Euch hierher?“

„Darf ich Dich nicht einfach mal überraschend besuchen?“ erwiderte Darkness lachend.

„Doch, natürlich. Ich freu mich doch immer, wenn Du und Jean den Weg hierher findet.“ lachte Lumina. „Und Draco, das ist schön, dass Du sie begleitet hast. Ich habe nicht damit gerechnet, Dich hier noch mal zu sehen.“ Sie nahm auch ihn in den Arm.

Dann sah sie Marie und Belziel an. „Ich hoffe, Ihr bringt gute Nachrichten mit.“

„Könnte man sagen.“ sagte Belziel. „Aber sollten wir das nicht berichten, wenn alle zusammen sind?“

„Ja sicher. Ich werde gleich veranlassen, dass Wanja benachrichtigt wird. Lieu ist sowieso in unseren Privaträumen und Candle wird mit ihrem Mann auch dazu stoßen.“ Lumina sah zu Leo, welche unter ihrer großen Kapuze nicht zu erkennen war. „Verratet Ihr mir, wer sich unter diesem Umhang versteckt?“

„Ähm, nein.“ schüttelte Darkness den Kopf. „Dieses Geheimnis wird erst gelüftet, wenn alle zusammen sind. Solange musst Du Deine Neugierde noch zügeln.“

Lumina bedeutete der Gruppe, ihr zu folgen. Sie brachte sie in ihr privates Wohnzimmer und bat sie, Platz zu nehmen.

„Kann ich Euch etwas anbieten?“

„Im Moment nicht, danke.“ lehnten alle, außer Leo, ab.

Kurze Zeit später erschien auch Lieu. Auch er sah Darkness und die Anderen erstaunt an.

„Ich hoffe, Ihr bringt gute Neuigkeiten mit.“ meinte er.

„Das tun wir.“ antwortete Belziel.

„Und einen geheimnisvollen Gast habt Ihr auch dabei.“ stellte Lieu fest.

„Ja.“ stimmte Darkness zu. „Und dieses Geheimnis wird erst gelüftet, wenn alle hier sind.“

Wanja und Zerafina erschienen nach kurzer Zeit und einige Minuten später erschienen auch Candle und Jo, ihr Mann. Alle blickten neugierig zu der in weiß verhüllten Gestalt.

„Als erstes möchten wir Euch berichten, dass es gelungen ist, die letzten Anhänger Devons zu eliminieren.“ ergriff Belziel das Wort. „Somit ist die Gefahr gebannt.“

„Wie und wo habt Ihr sie aufgetrieben?“ erkundigte Lieu sich.

„Sie lebten in der Kanalisation der Stadt.“ erklärte Belziel. „Allerdings waren drei von ihnen so dumm und haben sich ins Schloss gewagt.“

„Ins Schloss?“ fragte Lieu erstaunt. „Was hat sie denn dazu veranlasst? Wollten sie etwa Darkness töten?“

„Nein, eher nicht.“ antwortete Belziel und sah Darkness, Jean, Marie und Draco an. „Sie kamen zwar in der Absicht zu töten, aber weder Darkness noch Jean war ihr Ziel. Auch auf Draco hatten sie es nicht abgesehen.“

„Auf wen denn sonst? Jetzt mach es doch nicht so spannend.“ sagte Lieu ungeduldig.

Belziel sah lächelnd in die Runde, stand auf, ging zu Leo, nahm ihre Hand und zog sie hoch.

„Auf sie hatten sie es abgesehen.“ grinste Belziel und zog Leo die Kapuze vom Kopf.

Sprachlos schauten Lumina, Lieu und der Rest Leo an.

„Du lebst.“ hauchte Candle, die als erstes ihrer Sprache wieder fand. Sie stand auf und wollte Leo umarmen, aber diese hob abwehrend ihre Hände.

„Ja, ich lebe und das ist nicht Euer Verdienst.“ sagte sie hart und sah ihre Mutter und deren Mann kalt an.

„Aber wie…..? Wir glaubten alle, Du wärst gestorben nach dem Sturz aus dem Fenster?“ fragte Lumina entgeistert.

„Das war auch unsere Absicht.“ erklärte Marie. „Nachdem Devon außer Gefecht gesetzt war, glaubte ich nicht daran, dass Leo außer Gefahr war. Ich sprach mit Belziel und Jean darüber, die meinem Instinkt in dieser Hinsicht vertrauten. Gemeinsam beschlossen wir, Leo von unserem Blut zu geben, allerdings ohne das sie es bemerkte. Jean und ich wechselten uns ab. Und wie recht ich hatte, haben wir kurze Zeit später ja gesehen. Die Einzigen, die zu diesem Zeitpunkt wussten, dass Leo nicht wirklich gestorben war, waren Darkness, Jean, Belziel und ich. Noch nicht mal Draco hatten wir eingeweiht. Er fand es erst heraus, als Leo erwachte und ihn in den Hals biss“ fügte Marie lachend hinzu.

„Dann ist sie jetzt also ein Vampir?“ Diese Frage kam von Jo, der bisher recht still war.

Bevor jemand anders antworten konnte, sagte Leo kalt: „Ja, das bin ich. Und was würdest Du jetzt gerne tun? Mein Blut untersuchen, um heraus zu finden, warum wir auf ewig jung bleiben? So wie Du es an den anderen armen Vampiren gemacht hast?“

„Nein, ich würde Dir doch niemals etwas antun.“ widersprach Jo leise.

„Was würdest Du nicht?“ fragte Leo gefährlich leise. „Mir nie etwas antun? Und was war all die Jahre, als Du mich mit Medikamenten ans Bett gefesselt hast? Mir meine Kindheit gestohlen hast?“

„Das war doch nur zu Deinem Besten“ verteidigte Jo sich.

„Zu meinem Besten.“ höhnte Leo. „Habt Ihr auch nur eine Sekunde darüber nachgedacht, was Ihr mir damit angetan habt? Ist Euch je in den Sinn gekommen, mit mir darüber zu reden, als ich alt genug war, um es zu verstehen? Nein, Ihr habt mir lieber weiterhin krankmachende Medikamente gegeben. Und wäre Wanja nicht erschienen, als ich sechzehn war und eines Nachts in meinem Zimmer aufgetaucht wäre, um mir zu raten, die Pillen nicht mehr zu schlucken, wäre es weitergegangen. Selbst vor einem Eingriff wärt Ihr nicht zurückgescheut. Und nun, da ich durch wundersame Weise nicht tot bin, besitzt Ihr die Schamlosigkeit zu sagen, dass Ihr mir nie etwas antun würdet.“

Während sie sprach, wollte Draco aufstehen und Leo davon abhalten, aber Lieu legte seine Hand auf seinen Arm und flüsterte: „Lass sie, sie muss sich alles von der Seele reden.“

Niemand sprach ein Wort, als Leo geendet hatte. Ihre Eltern saßen mit gesenktem Kopf da und hielten sich an den Händen. Leo zog nun den Umhang aus und setzte sich auf Dracos Schoss. Sie bemerkte, wie ihre Eltern scharf die Luft einzogen. Wie immer, trug Leo eine kurze, knappe, engsitzende Jeans und ein ebenfalls enges Oberteil.

„Aber das war nicht der einzige Grund, warum wir hier sind.“ ergriff nach einer Weile Jean das Wort. „Es gibt da was, was wir gerne mit Lieu besprechen würden. Aber das hat Zeit, es muss nicht gleich sein.“

„Ich hab Hunger.“ meldete sich Leo und erntete erstaunte Blicke.

„Ich hoffe, Ihr habt reichlich Essen da.“ lachte Belziel. „Leo isst Unmengen.“

„Aber ich dachte bisher, Vampire müssten nicht essen und würden auch das Hungergefühl nicht kennen.“ meinte Lumina erstaunt.

„Richtig gedacht.“ erwiderte Belziel. „Essen müssten wir nicht, aber wir haben es uns im Laufe der Jahre angewöhnt, um nicht aufzufallen. Nur unsere Leo hat ständig Hunger.“

Lumina veranlasste, dass der Tisch im Esszimmer gedeckt wurde und alle nahmen daran Platz.

Als Draco und Leo abends in ihrem Zimmer waren, sagte Leo: „So, nun wissen alle, dass ich lebe. Können wir wieder gehen?“

„Möchtest Du nicht noch ein paar Tage hier bleiben?“ fragte Draco und umarmte sie.

„Aber nicht länger, als nötig.“ gab Leo nach.

„Ach, ich dachte so an zwei- dreihundert Jahre.“ zog Draco sie auf.

„So lange? Dann muss ich ja damit sparsam sein.“ grinste Leo und küsste Draco auf die Halsschlagader.

„Hm, ja, gibt es nur noch einmal im Monat.“ erwiderte Draco ernst.

„Einmal im Monat?“ war Leo entsetzt, um dann listig zu fragen: „Und ab wann zählt das dann?“

„Wie wäre es mit heute?“ antwortete Draco und lächelte sie an.

Es klopfte kurz und Wanja trat ein.

„Störe ich Euch gerade bei irgendwas?“ fragte er grinsend.

„Nein, Du störst nicht.“ beruhigte Draco ihn. „Leo und ich hatten nur gerade eine Diskussion darüber, wie lange wir hier bleiben werden.“

„Ich hoffe doch, Ihr reist nicht allzu schnell wieder ab.“ entgegnete Wanja. „Ich lebe zwar gerne hier, aber so ab und zu überwältigt mich doch die Sehnsucht nach Tageslicht und frischem, warmen Menschenblut.“

„Saug doch einfach den Mann meiner Mutter aus.“ erwiderte Leo schulterzuckend. „Um ihn ist es nicht schade.“

„Du bist sehr hart.“ sagte Wanja. „Meinst Du nicht, Du solltest ihm so langsam mal verzeihen?“

„Nein, niemals.“ meinte Leo hart und wandte sich zum Fenster.

„Lass sie.“ flüsterte Draco. „Eigentlich verstehe ich ihre Haltung.“

„Ich ja auch.“ gab Wanja zu. „Nur sehe ich jeden Tag, wie das schlechte Gewissen ihre Eltern quält.“

„Bist Du deshalb hergekommen?“ fragte Leo vom Fenster her. „Falls ja, dann kannst Du gleich wieder gehen, ich will nicht über sie reden.“

„Nein, deshalb bin ich nicht hie.r“ antwortete Wanja. „Zerafina und ich haben beschlossen, Euch für eine Weile zu begleiten, wenn Ihr zurückkehrt. Wisst Ihr schon, wo Ihr leben werdet?“

„Noch nicht.“ erwiderte Leo. „Wir könnten zwar in meinem Schloss wohnen, aber ich bin mir noch nicht sicher, ob ich das will. Jetzt, wo alles vorbei ist, können wir auf Reisen gehen und uns die Welt anschauen.“

„Also bleibt Ihr erstmal bei Darkness und Jean?“ wollte Wanja wissen.

„Fürs Erste ja.“ stimmte Draco zu.

„Falls sie uns lässt.“ warf Leo lachend ein.

„Warum sollte sie nicht?“ fragte Wanja irritiert.

„Weil sie Angst um ihr Schloss und dessen Einrichtung bekommt, sollten wir noch länger dort bleiben.“ erklärte Leo.

Auf Wanjas verwirrten Blick erläuterte Draco: „Leo hatte anfangs so ihre Probleme mit Türen. Jede Tür, die sie anfasste, zerfiel in ihre Einzelteile. Naja, und es wurde noch so einiges zerstört.“

„Ja, ja, die jungen Wilden.“ lachte Wanja. „Bei uns war es wohl nicht besser.“

„Na gut, dann werde ich Euch mal wieder alleine lassen.“ sagte Wanja. „Wir können ja später noch reden.“

„Wo waren wir stehen geblieben?“ fragte Draco lächelnd, als sie wieder allein waren.

„Hm, weiß ich nicht mehr so genau.“ grinste Leo ihn an.

„Ach, jetzt fällt es mir wieder ein, ich wollte schlafen gehen. Nach der langen Fahrt bin ich ziemlich müde.“ erwiderte Draco ernst und begann, sich auszuziehen.

„Okay, und ich muss erst mal duschen, den Reisestaub abwaschen.“ gab Leo zurück und ging ins Bad. Kaum stand sie unter der Dusche, hörte sie, wie sich leise die Tür öffnete und Draco sich zu ihr gesellte.


Am nächsten Morgen klopfte es leise an ihre Tür. Draco öffnete und vor ihm stand eine junge Frau, welche schüchtern sagte: „Ich soll von Lumina fragen, ob Ihr auch zum Frühstück erscheint. Alle haben sie bereits im Esszimmer versammelt.“

„Ja, danke, wir kommen gleich.“ antwortete Draco.

Wenig später betraten er und Leo den Raum, wo alle schon am Tisch saßen. Darkness, Jean, Belziel und Marie hatte jeweils nur eine Tasse Kaffee vor sich stehen. Auch Wanja, welcher ebenfalls mit Zerafina anwesend war, trank nur Kaffee.

Als Leo und Draco Platz genommen hatten, fragte Lumina: „Und was darf ich Euch bringen lassen? Auch nur Kaffee?“

„Für mich ja, danke.“ antwortete Draco.

„Hm, ja, Kaffee möchte ich auch.“ meldete sich Leo. „Und etwas zu Essen, ich sterbe vor Hunger.“

„Sag mal, bist Du schwanger?“ fragte Zerafina und sah auf Leos Teller.

„Öhm, nein.“ antwortete Leo zögernd. „Wie kommst Du denn darauf?“

„Naja, diese Menge, die Du isst, reicht für zwei, wenn nicht für drei.“ erwiderte Zerafina lachend.

„Vielleicht bin ich ja doch schwanger.“ überlegte Leo. „Immerhin haben wir ja jede Nacht Sex.“

Aus den Augenwinkeln beobachtete sie ihre Eltern, welche nicht gerade begeistert aussahen, als Leo das sagte.

„Was habt Ihr eigentlich mit Devon gemacht?“ fragte Draco schnell, um vom Thema abzulenken.

„Er sitzt immer noch unter in der Zelle.“ erwiderte Lieu. „Es wurde noch nicht entschieden, was mit ihm geschehen soll.“

„Weiß er schon, dass seine Anhänger alle eliminiert wurden?“ erkundigte sich Belziel. „Falls nicht, wäre es mir eine große Freude, das zu übernehmen.“

„Nein, er weiß noch nichts davon. Seit dem er dort unten eingesperrt wurde, habe ich ihn nicht mehr gesehen.“ sagte Lieu. „Und ehrlich gesagt, habe ich auch keine große Lust, ihn zu sehen.“

„Irgendwie verständlich.“ meinte Marie.

Nach dem Frühstück bat Lieu Jean, Belziel und Marie, ihm in sein Arbeitszimmer zu folgen, weil es noch einige Dinge zu besprechen gäbe. Auch Wanja und Draco bat er mitzukommen, da es sie auch interessieren könnte.

„Keine Angst.“ wandte sich Lieu an Leo, „Du bekommst ihn schnell wieder.“ Er lächelte sie dabei an.

„Na gut.“ seufzte Leo, „wenn es schnell geht.“ Sie grinste Lieu an.

Leo blickte der Gruppe hinterher, als sie in Lieus Arbeitszimmer verschwanden.

„Mich würde ja mal interessieren, was sich hier alles verändert hat.“ sagte Darkness an Lumina gewandt.

„Ich wollte Dich sowieso fragen, ob Du Lust hast, uns zu begleiten.“ erwiderte Lumina. „Wir gehen jeden Tag um diese Zeit zu den Kristallen, wo unsere Priester seit Devons gefangennahme ihr Ritual abhalten.“

Außer Lumina und Darkness gingen auch Zerafina und Darkness mit. Leo war also jetzt alleine mit Jo, welcher ihr mit gesenktem Kopf gegenüber saß.

„Na, ist ein tolles Gefühl, wenn man von allen allein gelassen wird.“ sagte Leo bissig.

Jo hob den Kopf und sah sie nachdenklich an.

„Und? Was würdest Du jetzt am liebsten machen?“ fragte Leo höhnisch. „Mich mit Eisen fesseln und mein Blut abzapfen? So wie Du es jahrelang bei all den anderen Vampiren gemacht hast?“

Jo schüttelte den Kopf. „Ich würde Dir niemals weh tun.“ murmelte er leise.

„Stimmt, dass würdest Du niemals.“ spottete Leo und erhob sich. „Aber ich könnte Dir wehtun, ohne das Du Dich dagegen wehren könntest.“

Langsam ging sie auf ihn zu und fuhr dabei ihre Eckzähne heraus. Jo sah sie an und als sie nur noch ein paar Schritte von ihm entfernt war, neigte er seinen Kopf zu Seite.

„Nein.“ sagte Leo und zog ihre Zähne zurück. „Das wäre zu einfach für das, was ihr mir angetan habt.“

Sie wandte sich Tür, um das Zimmer zu verlassen, als sie Jo sagen hörte: „Bleib.“

Etwas am Tonfall seiner Stimme ließ sie innehalten und sie wandte sich zu ihm um. Er saß wieder mit gesenktem Kopf da.

„Warum?“ wollte Leo wissen.

„Weil ich mit Dir reden möchte.“ antwortete er.

„Zwischen uns gibt es nichts mehr zu reden.“ wiegelte Leo ab.

„Setz Dich und hör mir zu.“ bat er mit leiser Stimme.




21. Kapitel


Widerstrebend gehorchte Leo und setzte sich Jo gegenüber und sah ihn abwartend an.

„Ich wusste von Anfang an, dass ich nicht Dein Vater sein konnte.“ begann er ohne Einleitung zu sprechen. „Denn ich war derjenige, der Deiner Mutter ihren größten Wunsch nicht erfüllen konnte.“

„Und Du hast geschwiegen und zugelassen, dass sie von Deiner Mutter niedergemacht wurde vor aller Welt?“ fuhr Leo zornig auf. „Ich habe in ihrem Tagebuch gelesen, wie sie von Deiner Mutter gedemütigt und beschimpft wurde und Du hast geschwiegen.“

„Ja, ich weiß, dass es ein Fehler war, nicht zu sagen, dass ich nicht in Lage war, Kinder zu zeugen.“ gab er zu. „Aber ich liebte Deine Mutter und liebe sie noch. Ich wollte sie nicht verlieren. Nur deshalb hab ich das Angebot meines Professors angenommen, nach Afrika zu gehen und ihm in seiner Leprastation zu helfen. Das, was sich dahinter verbarg, hab ich erst erfahren, als wir hier ankamen. Anfangs hab ich mich geweigert, an seinen Experimenten teilzunehmen. Ich wollte nur den Kranken helfen, aber er erklärte mir, dass es ein Durchbruch gegen jede Krankheit wäre, wenn wir herausfänden, was die Vampire jung bleiben lässt und sie nie krank werden.

Also begann ich, ihm bei seiner Arbeit zu unterstützen. Allerdings merkte er, dass es mir nicht behagte, die Vampire so leiden zu sehen, deshalb holte er sich einen anderen, dem gegenüber aufgeschlossernen jungen Wissenschaftler. Ich half dann nur noch hin und wieder. Deiner Mutter erzählte ich nichts von alle dem und die Schreie in der Nacht erklärte ich damit, dass die Patienten unter unsäglichen Schmerzen litten.

Nun ja, Deiner Mutter gefiel es hier und sie blühte auf. Ich dachte, sie hätten ihren Kinderwunsch vergessen, bis…..ja bis zu dem Tag, als sie Daleira kennen lernte. Das sie eine Hexe war, wussten wir zu diesem Zeitpunkt nicht. Jedenfalls gab Daleira Deiner Mutter Kräuter, um Tee zu machen, der ihr helfen würde, schwanger zu werden. Und wieder konnte ich ihr nicht sagen, dass es an mir lag. Stattdessen versuchte ich sie zu trösten und sagte ihr, dass Gott es wohl nicht wolle, dass wir Eltern würden. Aber auch das konnte sie nicht trösten. Immer häufiger ging sie nun zu Daleira und klagte dort ihr Leid. Auch Daleira schien mir zunehmend ungeduldiger zu werden, obwohl sie ja aus meiner Sicht keinen Grund dazu hatte. Dann schlug sie vor, wir sollten uns in einer Vollmondnacht mit ihr treffen. Sie würde zu uns zu einem Ort führen, dort ein Ritual durchführen und dann sollten wir auf einem steinernen Altar miteinander schlafen, dann würde es schon klappen mit der Schwangerschaft. Um Deiner Mutter willen stimmte ich dem Ganzen zu. Als wir an dem besagten Ort ankamen, hieß Daleira Deiner Mutter sich auszuziehen und auf den Altar zu legen. Dann massierte sie Deine Mutter mit irgendwelchen Ölen. Anschließend befahl sie mir, mich auszuziehen und als ich nackt vor ihr stand, nahm sie meinen Penis und massierte auch ihn mit dem Öl. Als sie feststellte, dass ich bereit war, um mit Deiner Mutter zu schlafen, spreizte sie deren Beine und schob mich dazwischen. Während ich nun mit Deiner Mutter schlief, merkte ich, dass sich etwas in meinem Körper veränderte. Es war so, als ob sich jemand anderes darin befinden würde. Ich schob es allerdings auf dieses Kräuteröl, welches Daleira verwendet hatte.

Ich glaubte nicht daran, dass diese Zeremonie etwas bewirkt hätte, als mir Deine Mutter nach einigen Wochen sagte, sie fühle sich schwanger. Erst konnte und wollte ich es nicht glauben, aber als ich sie dann auf ihr Drängen untersuchte, stellte ich fest, dass es tatsächlich der Fall war. Die Nachricht ließ Deine Mutter aufblühen. Freudestrahlende teilte sie es Daleira mit, welche nun jeden Tag vorbei kam, um nach ihr zu sehen und ihr spezielle Kräuter mitzubringen. Kurz vor Deiner Geburt musste Daleira allerdings weg und so konnte sie nicht, wie sie es eigentlich gerne wollte, dabei sein. Allerdings kamst Du auch einige Tage zu früh. Ich will jetzt nicht sagen, dass es die Schuld Deiner Mutter und mir war, aber an dem Morgen wollte sie unbedingt noch mal mit mir schlafen, wie so häufig in letzter Zeit. Und, nun ja, wir hatten relativ wilden Sex. Naja, und am Abend setzten dann ihre Wehen ein und kurze Zeit später kamst Du zur Welt. Als Deine Mutter Dich das erste Mal im Arm hatte und Dich betrachtet, erschrak sie fürchterlich, als sie das Mal auf Deiner Schulter sah. Sie erzählte mir in dieser Nacht zum ersten Mal ihre Geschichte und ich erfuhr, dass sie eigentlich eine Wächterin sei. Sie erklärte mir auch, dass mit dem Mal, welches Du hattest, nur Mädchen geboren würden, die dazu auserkoren seien, den Sohn des Löwengottes zu empfangen. Allerdings sei ihr nicht bekannt, dass diese Frauen deren Geburt je überlebt hätten. So beschlossen wir, zu verschweigen, dass wir ein Mädchen hätten und nannten Dich Leonie, welches wir aber nie aussprachen und Leo daraus machten. Als Daleira erfuhr, dass unser Kind ein Junge wäre, rastete sie vor Wut aus und beschimpfte uns auf Übelste, bevor sie verschwand. Uns war klar, dass wir es hier auf Dauer nicht verheimlichen konnten, dass Du kein Junge warst und so entschlossen wir uns, zurück nach Deutschland zu gehen, um in unserem Schloss zu wohnen. Meine Eltern waren mittlerweile verstorben und so gehörte das Schloss nun uns allein. Den Leuten erzählten wir, Du wärst in Afrika an einer unbekannten Krankheit erkrankt. So kam uns dann keiner unserer alten Freunde oder der Familie besuchen aus Angst vor Ansteckung. Wir hielten Dich versteckt. Eines Tages stand allerdings Daleira vor unserer Tür und verlangte Dich zu sehen. Auch ihr erzählten wir, dass Du erkrankt seiest und es hoch ansteckend wäre. Widerstrebend zog Daleira ab und sagte drohend, sie käme immer wieder, weil sie es nicht glaube, dass wir einen Sohn hätten.

Bis zu Beginn Deiner Pubertät hatten wir Ruhe vor ihr, aber dann stand sie plötzlich wieder vor unserer Tür. Wiederum konnten wir sie vertrösten und davon abhalten, Dich zu sehen. In dieser Nacht kam uns der Gedanke, Dir Hormonpräparate zu verabreichen und Dich zu einem Jungen zu machen.

Aber dann tauchte Wanja auf. Er ließ sich als Gärtner bei uns einstellen. Wir hatten keine Ahnung, dass er sich nachts heimlich in Dein Zimmer schlich und Dir, als Du schliefst, zuzuflüstern, dass Du die Pillen, die ich Dir gab, nicht mehr zu nehmen. Wir merkten es erst, als Du eines Tages unten im Wohnzimmer vor uns standest und erklärtest, Du seiest nun gesund und wolltest in den Garten. Und den Rest kennst Du ja soweit.“

Nachdem Jo geendet hatte, sank er wieder auf seinen Stuhl zurück und senkte den Kopf.

„Warum habt ihr nicht mit mir darüber geredet? Vielleicht hätte ich es ja verstanden“ fragte Leo.

„Und was hätten wir Dir sagen sollen?“ wollte Jo wissen.

„Vielleicht die Wahrheit?“ fuhr Leo auf. „Aber nein, es war ja einfacher, mich mit Medikamenten voll zu pumpen und einzusperren.“

„Die Wahrheit.“ erwiderte Jo und sah Leo an. „Sollten wir Dir sagen. Hör zu, Du wurdest gezeugt um zu sterben? Oder welche Wahrheit?“

„Ach, ist ja jetzt auch egal.“ winkte Leo ab und erhob sich. „Ich will jetzt alleine sein.“

Leo verließ das Zimmer und ging langsam durch die Gänge in Richtung ihres und Dracos Zimmer. Dort angekommen, stellte sie sich ans Fenster und schaute nachdenklich hinaus. Sie verstand zwar jetzt so einigermaßen das Handeln von Candle und Jo, aber verzeihen konnte sie ihnen trotzdem noch nicht. Leo legte eine Hand auf ihren Bauch und dachte: ‚Wie würde ich wohl handeln, wenn mein Kind in Gefahr wäre?’ Sie hat nicht bemerkt, dass Draco das Zimmer betreten hatte und hinter ihr stand. Erst als er sie leise fragte, ob alles in Ordnung sei, bemerkte sie ihn.

„Ja, alles okay.“ erwiderte Leo und drehte sich zu ihm um. Sie lächelte schwach.

„Ist wirklich nichts?“ hakte Draco nach und nahm sie in den Arm. „Du siehst irgendwie bedrückt aus.“

„Ach, weißt Du, Jo hat mir gerade seine Sicht der Geschichte erzählt. Und obwohl ich jetzt so einigermaßen ihr Handeln verstehe, kann ich ihnen immer noch nicht verzeihen, was sie mir antaten. Ich dachte dann darüber nach, wie ich wohl handeln würde, wenn es meinem Kind passieren würde.“ erwiderte Leo.

„Deinem….Deinem Kind? Bist Du etwa doch schwanger?“ fragte Draco etwas perplex.

„Nein, bin ich nicht.“ antwortete Leo.

„Möchtest Du denn ein Kind?“ wollte Draco wissen und sah sie fragend an.

„Vielleicht irgendwann, aber jetzt noch nicht.“ entgegnete Leo. „Für die nächsten hundert Jahre möchte ich Dich mit niemandem teilen.“

Besitzergreifend schob sie ihre Hände unter seinem T-Shirt auf seinen Rücken und schob es langsam nach oben.

„Ich möchte das.“ sie küsste ihn auf seine Brust, „und das“ sie küsste seine andere Brust, „machen, wann immer ich will ohne von einem schreienden Kind gestört zu werden.“

„Lass das.“ stöhnte Draco auf und wollte sie von sich schieben.

„Warum?“ hauchte Leo. „Gefällt es Dir nicht mehr?“
„Doch.“ stieß Draco hervor.

„Na siehst Du.“ flüsterte Leo und zog seinen Kopf zu sich hinunter, um ihn auf den Mund zu küssen.

Nach anfänglichem Zögern erwiderte Draco ihren Kuss, hob sie kurzerhand auf seine Arme und trug sie zum Bett. Ohne sich von ihren Lippen zu lösen, legte er sich mit ihr auf das Bett.

„Warte.“ murmelte Draco, stand auf und ging zur Tür, um sie zu verschließen. Dann kehrte er zum Bett zurück und legte sich neben Leo.

Er wollte sich über sie beugen, um sie wieder zu küssen, aber Leo schubste ihn zurück, so dass er auf dem Rücken lag. Dann setzte sie sich auf ihn. Langsam schob sie sein T-Shirt über seinen Kopf und begann seinen Oberkörper mit Küssen zu bedecken. Als Draco seine Hände unter ihr Shirt schieben wollte, hielt Leo sie fest und murmelte: „Halt still, heute bin ich dran.“

Sie hielt Dracos Hände über seinem Kopf fest und fuhr fort, seinen Oberkörper mit ihren Lippen zu streicheln. Als sich ihr Mund seinem Hals näherte, drehte Draco seinen Kopf zur Seite, damit sie seine Schlagader besser erreichen konnte.

„Heute nich.t“ flüsterte Leo und küsste ihn nur darauf. Danach ließ sie ihre Lippen wieder nach unten wandern bis zum Rand seiner Jeans. Als sie ihre Lippen über den Stoff gleiten ließ, stöhnte Draco auf. Leo sah ihn von unter herauf an, aber Draco hatte seine Augen geschlossen. Sie ließ seine Hände los und öffnete den Verschluss seiner Hose. Was sie dann mit ihrem Mund machte, ließ Draco erst scharf die Luft einziehen, bevor er sich ihr ganz überließ.

„Du solltest öfter mit Jo reden.“ neckte er Leo, als sie später in seinem Arm lag.

„Werd nicht frech, sonst beiß ich Dich.“ warnte Leo lächelnd.

„Bitte nicht.“ flehte Draco lachend. „Nachdem, was Du vorhin gemacht hast, bin ich erledigt. Ich brauch erstmal Ruhe.“

„Und ich etwas zu Essen.“ sagte Leo ernst und setzte sich auf.

„Meinst Du jetzt richtiges Essen oder möchtest Du trinken?“ wollte Draco wissen.

„Nein, ich mein richtiges Essen. Ich bin wirklich hungrig. Ob das irgendwann mal aufhört?“ erwiderte Leo. Sie stand auf, ohne eine Antwort abzuwarten und ging ins Bad. Nachdem sie geduscht hatte, zog sie sich eine lange Jeans und ein normales T-Shirt an.

Nachdem Draco auch geduscht und angezogen war, gingen sie gemeinsam zur Küche. Dort trafen sie Lumina an, welche lächelnd beobachtet, wie Leo sich aus dem Kühlschrank einen Teller füllte. Sie setzte sich zu den Beiden an den Tisch und sah fasziniert zu, wie Leo den Riesenberg aufaß.

„Ich kenne einige Vampire.“ sagte Lumina. „Aber so etwas hab ich bei keinem gesehen.“

„Tut mir leid.“ erwiderte Leo beschämt und senkte den Kopf.

„Das braucht Dir doch nicht leid zu tun.“ beruhigte Lumina sie. „Es ist nur so ungewöhnlich. Selbst bei meinen Söhnen hab ich solche Mengen an normalem Essen nie gesehen, seit sie Vampire sind.“

Lumina blickte Draco liebevoll an. „Eigentlich sollte ich Dir ja böse sein.“ meinte sie zu ihm.

„Warum?“ fragte Draco irritiert.

„Na, weil Du uns verheimlicht hast, dass Leo noch lebt.“ antwortete Lumina. „Uns hättest Du es doch sagen können.“

„Weißt Du eigentlich, wie sehr wir um Dich getrauert haben?“ wandte sich Lumina an Leo, ohne vorwurfsvoll zu klingen. „Als wir erfuhren, dass Du aus dem Fenster gestürzt warst, vielmehr wurdest, und an den Folgen gestorben bist, war es furchtbar für uns. Deine Eltern…“
„Nenn sie nicht so.“ fiel Leo ihr ins Wort.

„Na gut, Candle und Jo haben tagelang geweint und meinten, deshalb hätten sie Dich nicht jahrelang geschützt, damit Du dann hier stirbst. Zerafina und Wanja waren fassungslos und haben sich in ihrem Haus verkrochen. Sogar Lieu war nicht mehr er selbst. Er wollte, als Jean Dich von hier weggebracht hat, gleich zu Devon und ihn dafür zur Rechenschaft ziehen. Das hätte für Devon den Tod bedeutet. Trotz meiner eigenen Trauer und Wut konnte ich ihn davon abhalten. Und ein Jahr später tauchst Du hier auf und uns wird fröhlich lächelnd erklärt, dass Du nun ein Vampir seist.“

„Es durfte niemand wissen, dass Leo noch lebt.“ erklärte Draco. „Selbst ich habe es erst erfahren, als sie erwachte und mich biss. Anfangs hielt ich es für einen Traum, bis Marie hereinkam und Leo ihre erste Nahrung mitbrachte. Von dem Moment bin ich nicht mehr von ihrer Seite gewichen.“

Voller Liebe blickte er Leo an, die seinen Blick ebenso erwiderte.

„Es war eine schreckliche Zeit.“ sagte Leo verschmitzt, um dann ernsthaft hinzuzufügen: „Es war wirklich furchtbar für mich, schon wieder eingesperrt zu sein, nachdem ich gerade erst meinem Gefängnis entkommen war. Nur diesmal war meine Gefangenschaft erträglicher, ich hatte ja Draco an meiner Seite. Er hat mir alles beigebracht, was ich als Vampir wissen musste. Allerdings ging anfangs etliches im Schloss entzwei, was Darkness mir aber nie vorwarf. Sie sagte immer, bei Neugeborenen sei das halt so. Dafür bin ich ihr sehr dankbar.“
„Oh ja, mit neugeborenen Vampiren hat Darkness viel Erfahrung.“ bestätigte Lumina. „Es ist ja, seit sie uns verließ, ihre und Jeans Aufgabe dort oben.“

Die Tür öffnete sich und Marie kam herein. „Ach, hier bist Du.“ sagte sie zu Draco. „Ich habe Dich schon gesucht. Jean, Belziel und ich wollten etwas…..“ Verlegen blickte sie Lumina hinüber. „………trinken gehen. Ich wollte fragen, ob Du mitkommst? Dich, Leo, brauch ich ja gar nicht fragen, Du hast ja Deine Quelle neben Dir. Oder möchtest Du mit?“

„Nein, nein, geht ruhig.“ schüttelte Leo den Kopf und sah Draco an. „Geh ruhig mit, wenn Du möchtest, ich bleib hier und warte auf Dich.“

„Oh, oh.“ machte Marie und lachte.

„Macht es Dir wirklich nichts aus?“ wollte Draco von Leo wissen.

„Nein, geh nu.r“ erwiderte sie.

Draco umarmte sie und gab ihr einen Kuss auf ihr Haar.

„Trink reichlich.“ flüsterte Leo ihm verheißungsvoll ins Ohr.

Als Draco und Marie die Küche verlassen hatten, wandte sie Lumina fragend an Leo: „Du gehst nicht mit ihnen? Brauchst Du nicht auch nach der langen Fahrt frisches Blut?“

Leo schüttelte den Kopf. „Ich trinke kein Menschenblut, ich nähre mich von Draco.“

„Aha.“ nickte Lumina und sah dabei verständnislos aus.

„Es war sein Blut, welches ich als erstes zu mir nahm.“ erklärte Leo. „Marie brachte mir zwar kurz nach meinem Erwachen einen jungen Mann, von dem ich auch trank, aber sein Blut schmeckte mir nicht so gut wie Dracos. Er trinkt jetzt immer etwas mehr, als er wirklich braucht.“
„Aber hast Du keine Angst, dass Du ihm mal etwas zuviel nehmen könntest?“ fragte Lumina.

„Nein, darauf achte ich schon.“ antwortete Leo. „Und meistens nach den ersten Schlucken habe ich etwas anderes im Sinn.“ fügte sie lachend hinzu.

„Oh, mein armer Junge.“ lachte Lumina.

„Dein armer Junge ist in diesen Dingen unersättlich.“ erwiderte Leo ebenfalls lachend.

„So, nun muss ich Dich leider verlassen.“ sagte Lumina und erhob sich.

„Ich werde dann mal auf unser Zimmer gehen“ meinte Leo. „Vielleicht nehme ich ein Bad, solange Draco fort ist.“

Im Zimmer angekommen, stellte sich Leo ans Fenster und sah hinaus. Unter ihr war der gleiche Platz, auf dem sie vor einem Jahr gelandet war, als sie jemand aus dem Fenster gestoßen hatte. Ihr lief ein kalter Schauer über den Rücken und sie wandte sich vom Fenster ab.

Gerade, als sie ins Bad gehen wollte, klopfte es an die Tür und Wanja kam herein.

„Ist Draco da?“ wollte er wissen.

„Nein.“ erwiderte Leo, „er ist mit Marie und den anderen nach draußen gegangen, etwas trinken.“
„Hm, achso.“ meinte Wanja und man hörte die Enttäuschung in seiner Stimme.

„Wieso? Was ist denn? Vielleicht kann ich Dir ja helfen?“ fragte Leo.

„Es ist nur so, Zerafina ist verschwunden…“ begann Wanja.

„Wie verschwunden?“ unterbrach Leo ihn. „Du meinst, sie ist weggegangen, ohne Dir Bescheid zu sagen?“

„Nicht ganz so.“ entgegnete Wanja. „Sie ist weg. Jemand muss sie nach draußen gelockt und entführt haben.“
„Aber wer sollte so etwas machen?“ fragte Leo irritiert. „Wer könnte ihr etwas antun wollen?“
„Nicht ihr, sondern Draco und mir.“ antwortete Wanja. „Uns will man damit strafen für das, was wir Daleira antaten. Du erinnerst Dich? Wir rissen ihr den Kopf ab, damals.“
„Ja, ja, ich erinnere mich.“ nickte Leo. „Und nun will man Rache nehmen. Aber wer?“
„Anhänger von Devon und Daleira, denk ich ma.l“ sagte Wanja. „Solange Devon noch hier bei uns ist, wird es immer jemanden geben, der an ihn glaubt und solange wird es keine Ruhe geben.“

„Weißt Du denn, wo Du nach Zerafina suchen musst?“ erkundigte sich Leo.

„Das weiß ich ganz genau, ich weiß, wo man sie hingebracht hat.“ bestätigte Wanja. „Aber um sie zu befreien, brauche ich Hilfe.“
„Und woher weißt Du, wo sie steckt?“ fragte Leo weiter.

„Es gibt da etwas, was noch niemand weiß.“ erwiderte Wanja. „Du wirst die Erste sein, die es erfährt. Und ich möchte, dass Du es vorläufig für Dich behältst.“
„Versprochen.“ sagte Leo ernst und hob zur Bestätigung die Hand wie zum Schwur.

„Zerafina erwartet ein Kind.“ murmelte Wanja leise. „Seitdem es in ihr wächst, benötigt sie täglich mein Blut, um es zu nähren. Dadurch bin ich mit dem Kind verbunden und merke, ob es ihm gut geht oder nicht. Und im Moment geht es ihm und Zerafina sehr schlecht.“

„Ach, Wanja, das tut mir so leid.“ versuchte Leo zu trösten. „Es muss schlimm sein, die Schmerzen einer geliebten Person zu fühlen.“

„Ja.“ bestätigte Wanja. „Ich glaube, ich höre ihn weinen, obwohl das ja nicht sein kann. Und ich spüre seinen Schmerz, weil er dringend Nahrung braucht.“

„Weißt Du was, ich komme mit Dir.“ beschloss Leo. „Ich hoffe, dass wir nicht zu spät kommen. Ich werde Draco einen Zettel hinterlassen, damit er uns später folgen kann.“

„Sie sind in der alten Mission.“ sagte Wanja und sah zu, wie Leo schnell etwas auf ein Blatt schrieb.

„So, fertig, von mir aus können wir los.“ meinte Leo. „Damit Eurer Trennung nicht zu lange dauert.“

„Ich danke Dir.“ murmelte Wanja und nahm Leo in den Arm. „Keine Sorge, wir werden bald wieder zusammen sein.“
„Ich freu mich.“ lächelte Leo und erwiderte seine Umarmung.


Draco war inzwischen zurück von seinem Ausflug und eilte gleich zu seinem und Leos Zimmer. Dort öffnete er leise die Tür. Sein Blick fiel auf Wanja und Leo, die sich mitten im Zimmer in den Armen lagen und er hörte die letzten beiden Sätze der Beiden. So leise, wie er sie geöffnet hatte, schloss er die Tür wieder.

‚Sie freut sich, bald wieder mit Wanja zusammen zu sein’ schoss es ihm durch den Kopf. ‚Die ganze Zeit ging es ihr nur um ihn und mir hat sie nur etwas vorgespielt.’

Wie in Trance verließ er das Haus seiner Mutter und ging durch das Tor nach oben. Der Gedanke, dass Leo ihm nur etwas vorgespielt hatte, ging ihm nicht mehr aus dem Kopf und seine anfängliche Enttäuschung schlug in Wut um. Darunter litten nun die Bäume, welche in seiner Nähe standen. Er schlug mit der Faust gegen sie und manche hielten der Wucht seines Schlages nicht stand und knickten um.

Wie blind lief er immer weiter in den Urwald hinein. Als er Stimmen hörte, kletterte Draco auf einen Baum, um zu sehen, wer sich außer ihm noch im Busch herumtrieb.

Es waren Wanja und Leo, die sich auf dem Weg zur alten Mission befanden. Der Anblick der Beiden machte Draco fast rasend. Als sie ganz nah an seinem Baum vorbeikamen, warf er sich mit einem Schrei auf seinen Bruder und riss ihn somit zu Boden.

Wie wahnsinnig schlug er auf Wanja ein und schrie dabei: „Warum sie? Ausgerechnet sie! Du hast Zerafina, ist Dir das nicht genug?“

Wanja war so überrascht, dass er sich nicht wehrte. Auch Leo stand wie erstarrt daneben. Keiner der Beiden wusste, warum Draco so wütend war.

Immer wieder schlug er wie besessen auf Wanja ein, der kaum eine Chance hatte, sich zu wehren. Als Draco sein Vampiraussehen annahm und versuchte, Wanja in den Hals zu beißen, kam Leben in Leo. Sie stürzte sich auf Draco und stieß ihn von Wanja hinunter. Wütend über diesen Angriff richtete Draco sich auf und starrte Leo an. Sie hielt seinem Blick stand und schaute ihm fest in die Augen. Etwas in ihrem Blick ließ Draco ruhiger werden und sein Aussehen veränderte sich wieder.

Wanja war währenddessen auf die Füße gesprungen und wollte nun seinerseits auf Draco los.

„Hört auf, Ihr Blödmänner.“ schrie Leo beide an. „Erstens weiß keiner, um was es eigentlich geht und zweitens müssen wir Zerafina retten.“

Bei der Erwähnung des Namens hielt Wanja inne und drehte sich zu Leo um.

„Du hast Recht, Zera geht erstmal vor.“ er drehte sich zu Draco, „und wir zwei regeln das später.“
„Zerafina? Was ist mit ihr?“ wollte Draco wissen, jetzt wieder ganz normal.

„Sie wird im Keller der alten Mission gefangen gehalten und wir waren auf dem Weg, sie dort heraus zu holen“ erklärte Wanja. „Da Du gerade nicht da warst, als ich bei Euch im Zimmer war, hat sich Leo angeboten, mir zu helfen.“

Nach dem letzten Wort krümmte er sich, als ob er Schmerzen hätte.

„Wir müssen uns beeilen.“ stieß Wanja mit zusammen gebissenen Zähnen hervor.

„Hat er so starke Schmerzen?“ erkundigte sich Leo.

Wanja nickte nur.

„Schmerzen? Wer hat Schmerzen? Ich versteh im Moment gar nichts mehr.“ war Draco erstaunt.

„Ist jetzt auch nicht wichtig.“ winkte Leo ab. „Kommst Du nun mit, um uns zu helfen oder nicht?“
„Klar komm ich mit.“ beeilte Draco sich zu sagen.

Die Drei rannten so schnell es ging zu der alten Mission, wo Wanja gleich zielstrebig auf die Falltür zuging, die nach unten in das Gefängnis führte. Obwohl diese Tür auch aus Eisen war, schafften sie es, sie anzuheben und zu öffnen. Wanja stürmte als Erster hinunter bis zu dem Gitter der Zelle, aus welcher er damals von Draco und Leo befreit wurde.

Auf der Pritsche, die dort im Inneren stand, lag Zerafina. Ihr Haar war strähnig und grau. Ihre Hände hatte sie wie zum Schutz auf ihren Bauch gelegt.

Wanja sah sich suchend um. „Mist, kein Schlüssel da.“ brummte er.

Zu Dritt versuchten sie nun, die Stäbe auseinander zu ziehen, aber sie schafften es nicht.

„Verdammtes Eisen.“ schimpfte Draco. „Es nimmt uns zu viel unserer Kraft, wir werden es nicht schaffen.“

„Wir müssen.“ knurrte Wanja, „sonst stirbt er.“

„Wer zum Teufel?“ wollte Draco wissen.

„Mein Sohn.“ erwiderte Wanja. „Und nicht nur er, Zerafina wird ebenfalls sterben. Denn in seinem Todeskampf wird er ihr ganzes Blut nehmen.“

Leo hatte still zugehört und dabei auf die Stäbe geschaut. In ihr stieg Hass und Wut auf, auf den Professor, ihren Vater und den letzten Wissenschaftler, den sie damals hier vorfanden. Vor ihren Augen erschien ein roter Schleier, der ihr die Sicht nahm.


„Wie habt Ihr es geschafft, die Stangen zu verbiegen?“ fragte Leo und sah auf Draco und Wanja, welcher Zerafina in seinem Arm hielt, während sie aus seinem Handgelenk Blut trank.

„Wir?“ Wanja sah sie erstaunt an. Doch bevor er weitersprechen konnte, fiel Draco ihm ins Wort. „Naja, die Angst um Zerafina und die Wut auf denjenigen, der hierfür verantwortlich ist, hat uns die Kraft dafür gegeben.“

Als Wanja etwas darauf erwidern wollte, hielt ihn der Blick von Draco davon ab.

Leo kniete sich neben Wanja und sah Zerafina an. „Dann hat Dich Dein Gefühl ja nicht betrogen, als Du mir vorhin sagtest, dass Ihr bald wieder zusammen seid. Ich freu mich so für Euch. Geht’s dem Baby jetzt wieder gut?“

Zerafina nickte. „Ihm geht es schon besser. Noch nicht wirklich gut, aber nun hat er keine Schmerzen mehr.“

„Ich bin so ein Idiot.“ erklärte Draco und schlug sich mit der Hand vor die Stirn. „Darüber habt Ihr gerade geredet, als ich ins Zimmer kam. Und ich dachte, es ging um Leo und Dich, Wanja. Dass Ihr bald wieder zusammen wärt.“
„Du bist wirklich ein Idiot, Bruder.“ bestätigte Wanja und lachte. „Schon mal daran gedacht, dass Leo eigentlich meine Schwester ist? Ich wollte und will nichts von ihr, genauso wie sie von mir.“

Wanja erhob sich mit Zerafina auf seinen Armen und sagte: „Ich bring sie erstmal zurück und zu den Heilern.“

„Warte.“ bat Leo. „Könnt Ihr mir sagen, wer das getan hat? Und warum?“

„Wer? Es werden wohl Anhänger von Devon gewesen sein.“ antwortete Wanja. „So lange er lebt, wird es sie geben.“

Als Leo sich Wanja und Zerafina anschließen wollte, hielt Draco sie auf. „Bleib bitte noch ein paar Minuten hier.“

Unsicher blickte Leo Wanja an, der ihr lächelnd kaum merklich zunickte.


Als die Beiden außer Sicht und Hörweite waren, setzte sich Draco auf einen Baumstumpf und wollte nach Leos Hand greifen, um sie zu sich zu ziehen.

„Lass mich.“ wehrte Leo ab und entzog ihm ihre Hand. Seufzend akzeptierte Draco ihre Entscheidung.

„Ich bin wirklich ein Riesenidiot.“ begann er zu sprechen. „Ich verstehe, dass Du jetzt sauer auf mich bist. Aber als ich zurückkam und die Tür zu unserem Zimmer öffnete, war das Erste was ich sah, dass Du in Wanjas Armen lagst und ich hörte Eure letzten Worte. Anstatt mich bemerkbar zu machen, rannte ich blind vor Eifersucht davon. Ich möchte mich in aller Form für mein Verhalten entschuldigen und ich hoffe, Du nimmst meine Entschuldigung an.“

Leo hatte schweigend zugehört und sah ihn nun an.

„Erstens bin ich nicht nur sauer auf Dich, sondern stinkwütend und zweitens: Was passiert beim nächsten Mal? Wenn Du wieder siehst, wie ein anderer Mann mich, aus welchen Gründen auch immer, umarmt? Hälst Du mich für so flatterhaft, dass ich mich jedem Mann hingebe? Wir haben ein Jahr lang zusammen in einem Zimmer gelebt und ich habe Dir jede Nacht gezeigt, wie sehr ich Dich liebe, selbst heute morgen noch. Aber kaum berührt mich ein Anderer, denkst Du gleich das Schlimmste. Meinst Du wirklich, ich will den Rest meines Lebens damit zu bringen, irgendwo eingesperrt zu sein, nur damit ich keinen Kontakt zu fremden Männern habe? Wenn das Dein Wunsch sein sollte, dann werde ich Dich jetzt und hier verlassen, ich werde sofort gehen.“

„Nein, natürlich will ich Dich nicht einsperren.“ sagte Draco. „Es ist nur so: Als ich Dich kennen lernte, warst Du nach hierher unterwegs, um Wanja zu suchen. Und immer, wenn du seinen Namen sagtest, leuchteten Deine Augen. Anfangs war ich mir sicher, dass du und er, nunja, dass ihr Zwei ein Paar wäret, obwohl ich Dich ja für einen Jungen hielt. Aber je näher wir Afrika kamen, desto größer wurde da schon meine Eifersucht auf ihn. Denn auch ich hatte mich in Dich verliebt und es war mir egal, dass Du keine Frau warst. Ich hätte nie geglaubt, dass mir je so etwas passieren würde. Aber ich war bereit, auf Dich zu verzichten, um Dich Wanja nicht wegzunehmen. Ich wollte ja sogar weggehen, aber dann hat Wanja mir die Augen geöffnet und gesagt, dass Du mich liebst und nicht ihn.“

„Ich habe für Wanja nie so empfunden wie für Dich.“ erklärte Leo leise. „Als er damals zu uns ins Schloss kam, gut, da fühlte ich mich zu ihm hingezogen. Ich fühlte mich wohl in seiner Nähe, irgendwie beschützt. Aber es war nie das gleiche Gefühl, welches ich bei Dir hatte. Vom ersten Augenblick schlug mein Herz höher und ich hatte so ein Kribbeln im Bauch. Wenn Du mich berührtest, hatte ich das Gefühl, als würde glühende Lava durch meine Adern fließen. Es war von der ersten Sekunde unserer Begegnung so und es ist bis heute so geblieben.“

Draco war während Leos Rede aufgestanden und stand nun direkt vor ihr. Versöhnlich streckte er die Hand aus. „Bitte.“ sagte er, „lass uns vergessen, was vorhin war und uns so weiterleben, wie bisher.“

Leo verschränkte ihre Arme vor der Brust und sah ihn an. „Vergessen? Einfach aus dem Gedächtnis streichen? Denkst Du, dass wäre so einfach?“

„Was soll ich noch sagen oder tun, damit Du mir verzeihst?“ stöhnte Draco gequält auf.

Leos Blick wanderte von seinem Gesicht zu seinem Hals, um dort auf seiner Halsschlagader hängen zu bleiben. Sie bekam plötzlich Heißhunger auf sein Blut.

„Ich wüsste da schon was.“ flüsterte sie heiß und näherte ihr Gesicht seinem Hals. Draco erkannte ihre Absicht und neigte seinen Hals weiter zur Seite.

Anstatt wie sonst ihre Zähne vorsichtig in Dracos Ader zu drücken, stieß Leo dieses Mal heftig zu, obwohl ihre Reißzähne noch nicht komplett heraus gefahren waren. Draco zuckte nur leicht zusammen, ohne einen Ton von sich zu geben. Als Leo begann zu saugen, stöhnte Draco leicht auf und Leo spürte seine Erregung. Ihr erging es nicht anders, aber er sollte seine Strafe bekommen. Abrupt löste sie sich von ihm und wandte sich dem Dschungel zu, um in die unterirdische Stadt zurück zu kehren. Wortlos schloss Draco sich ihr an.


Als sie dort ankamen, fanden sie Lumina und den Rest der Familie aufgeregt im Wohnzimmer vor.

„……es wird so weitergehen, solange Devon lebt.“ hörte Leo bei ihrem Eintritt Lumina besorgt sagen. „Und nicht immer werden wir Glück haben, denjenigen zu befreien.“

Nun wandten sich alle Draco und ihr zu. „Wir haben gehört, was Ihr getan habt.“ sagte Marie. „Kommt, setzt Euch zu uns und erzählt.“
„Das kann Draco machen.“ erwiderte Leo abweisend. „Ich würde viel lieber duschen gehen.“

Ohne auf eine Reaktion der Anderen zu warten, drehte sie sich um und verließ das Zimmer. In ihrem Kopf wiederholten sich ständig die Worte: ‚Solange Devon lebt.’ Kurz entschlossen nahm sie den Gang, der sie zur Treppe nach unten führte.

Hier unten waren die Wände aus Lehm und nicht wie im Rest der Stadt aus Kristall. Auch gab es keine Lampen oder Kerzenleuchter hier unten, das einzige, was hier ein wenig Licht brachte, war die Decke aus Kristall. Zielstrebig ging Leo auf die Zelle zu, in welcher Devon gefangen war. Die Wache davor würdigte sie keines Blickes und ging einfach an ihm vorbei.

Etwas in ihrem Auftreten veranlasste die Wache, sie ohne Aufhalten passieren zu lassen.

Wie erwartet, war die Zellentür nicht verschlossen. Mit einem Ruck öffnete Leo diese und trat hinein. Devon war an Händen und Füßen angekettet und befand sich mitten im Raum. Er hob den Blick bei ihrem Eintritt und starrte sie einen Moment erstaunt an.

Nachdem Leo einfach an der Wache vorbeigegangen war, lief diese nach oben und stürmte in das Wohnzimmer.

„Tut mir leid, Herr, für die Störung, aber Eure Tochter befindet sich unten bei Devon in der Zelle. Ich wollte Euch nur davon in Kenntnis setzen.“ berichtete er atemlos.

„Was?“ Lieu war bei den Worten der Wache aufgesprungen. „Warum hast Du sie nicht aufgehalten?“

„Entschuldigt, Herr, aber etwas in ihren Augen hielt mich davon ab.“ erklärte die Wache.

„Ich werde sofort nach unten gehen.“ beschloss Lieu und wandte sich zur Tür.

„Warte, ich komme mit.“ sagte Draco und auch Marie, Belziel, Jean, Darkness und Lumina folgten Lieu.


„Ach, sieh mal an.“ sagte Devon höhnisch. „Du lebst also noch. Haben meine Männer schlechte Arbeit geleistet.“

„So sieht es wohl aus.“ erwiderte Leo ruhig und trat näher an ihn heran. Devon schnupperte und meinte dann grinsend: „Es scheint, als hätte jemand geahnt, dass ich Dich töten wollte und hat mit seinem Blut dafür gesorgt, dass Du zum Vampir wirst. Aber es wird Dir nichts nutzen, ich werde Dich trotzdem töten. Ich finde es aber nett von Dir, hierher zu kommen, damit wir es gleich erledigen können.“ Er lachte fies nach seinen Worten.

„Hm.“ machte Leo und zuckte mit den Schultern. „In einer Sache irrst Du Dich. Ich bin nicht hier um zu sterben, sondern ich werde Dich töten.“

„Du?“ lachte Devon und sah sie von oben bis unten an. „Wie willst Du Winzling das denn schaffen?“

Devon war einen Kopf größer als Leo und doppelt so breit, aber davon unbeeindruckt ging Leo näher an ihn heran und griff nach seinen Fesseln. Mit einem Ruck riss sie die Ketten entzwei, so dass er sich frei bewegen konnte.

„Damit es ein fairer Kampf wird.“ meinte sie auf seinen fragenden Blick hin.

Beide hatten nicht mitbekommen, dass sich die Anderen mittlerweile vor der Zellentür befanden. Als Leo Devons Ketten löste wollte Draco hineingehen, aber Lieu hielt ihn zurück.

„Fair?“ höhnte Devon. „Was soll daran fair sein, wenn ich Dich wie eine Wanze zerdrücke?“

Gelassen blieb Leo stehen, als er langsam auf sie zukam. Sie blickte ihm fest in die Augen und lächelte leicht.

„Nein.“ stammelte Devon plötzlich. „Es kann nicht sein. Bisher gab es nur männliche Nachkommen der Götter.“

Auch Lieu und die Anderen starrten auf Leo, deren Gestalt sich zu verändern begann. Ihre Fingernägel wuchsen zu riesigen Krallen und ihre Zähne formten sich zu einem Raubtiergebiss. Aus ihren Händen wurden nun Pranken. Nach wenigen Sekunden hatte sie die Gestalt einer riesigen Löwin angekommen.

Mit gewaltigem Fauchen stürzte sie sich auf Devon, riss ihn zu Boden und stand nun über ihn. Ein gewaltiger Hieb riss ihm die rechte Seite auf, ein weiterer zerfetzte seinen Bauch. Das aus den Wunden heraustretende Blut leckte sie genüsslich ab. Sie legte sich dann auf Devon und sah ihm in die Augen. Devon drehte sein Gesicht weg und sah, dass Lieu in der Tür stand.

„Hilf mir“ schrie Devon. „Rette mich vor ihr, schließlich sind wir Brüder.“

Als Leo seinem Blick folgte und sah, dass Lieu sich ihnen nähern wollte, fauchte sie ihn warnend an, so dass er sich zurück zog. Dann drehte Leo ihren Kopf wieder zu Devon. Sie leckte ihm durch das Gesicht, stand auf und entfernte sich einige Schritte von ihm. Dort legte sie sich auf den Boden und hielt ihn im Auge. Mühsam rappelte Devon sich auf und schleppte sich Richtung Tür. Als Lieu ihm helfend die Hand reichen wollte, knurrte Leo, erhob sich, ging auf Devon zu und verpasste ihm einen Hieb mit ihrer Pranke, der ihn durch den halben Raum schleuderte. Sekundenschnell war Leo wieder über ihm. Wieder versetzte sie ihm einen Hieb, der ihm den Arm halb abriss. Devon schrie vor Schmerz auf. Nun sah es so aus, als würde Leo grinsen, bevor sie das Gleiche mit seinem anderen Arm machte.

„Leo, hör auf.“ rief Lieu bittend. „Wenn Du ihn töten willst, dann töte ihn, aber hör auf ihn zu quälen.“

Leo wandte ihren Kopf zu Lieu und gab als Antwort nur ein warnendes Knurren von sich. Sie wandte sich wieder zu Devon, packte seinen Arm mit ihren Fängen und riss ihn komplett ab. Das Gleiche tat sie mit seinem anderen Arm. Mit einem kräftigen Hieb riss sie ihm die Brust auf, so dass sein Herz nun offen lag. Sie packte es mit ihren Zähnen, riss es heraus und schleuderte es vor Lieus Füße. Mit einem lauten Knacken zerbiss sie Devons Kehle und trennte seinen Kopf ab. Danach zog sie sich in eine Ecke der Zelle zurück und legte sich. Nach einigen Sekunden hatte sie ihre normale Gestalt wieder angenommen.

Entsetzt starrte Leo auf den zerrissenen Körper von Devon, der vor ihr lag.

„Was ist hier passiert?“ flüsterte sie und sah zu Lieu.

„Jemand hat Devon getötet.“ sagte Lieu, kam zu ihr und nahm ihre Hand. „Komm, das Beste wird sein, Draco bringt Dich nach oben in Euer Zimmer.“

Widerstandslos ließ sich Leo von Draco an die Hand nehmen und in ihr Zimmer bringen. Dort ließ sie sich auf das Bett fallen und schloss die Augen.


22. Kapitel


„Sie weiß nichts davon.“ sagte Lumina, als sich alle wieder im Wohnzimmer befanden. „Wie kann das sein?“

„Ihr ist nicht bewusst, was in ihr steckt.“ erklärte Lieu. „Sie weiß nicht, dass sie die Fähigkeiten eines Löwengottes hat. Anscheinend wird ihre Verwandlung bisher nur durch Wut ausgelöst. Wenn die Sache dann erledigt ist, verschwindet mit der Rückkehr ihrer normalen Gestalt die Erinnerung daran.“
„So war es auch bei meiner Befreiung.“ warf Zerafina ein und Wanja nickte zustimmend.

„Als ich das sagen wollte, hielt Draco mich davon ab.“ fügte er hinzu. „Dann hat Leo also die drei Vampire im Schloss auch getötet, ohne sich daran zu erinnern?“

„Ja.“ bestätigte Jean. „Wir hatten gleich die Vermutung, dass nur sie es gewesen sein konnte. Deshalb kamen wir hierher und haben mit Lieu darüber gesprochen.“

„Und wie geht es nun weiter?“ wollte Lumina wissen. „Man kann es Leo doch nicht ständig verheimlichen.“

„Nun.“ sagte Lieu. „Ich werde mit ihr darüber reden. Und dann wird sie wohl zum hohen Rat müssen. Immerhin hat sie sämtliche Eigenschaften des Löwengottes.“

„Ich seh mal nach ihr.“ bot Marie an. „Und ich hoffe, sie hat Draco nicht aufgefressen“ fügte sie lachend hinzu.

„Da mach Dir mal keine Sorgen.“ erwiderte Lieu ebenfalls lachend. „Ihn liebt sie und den Menschen, die sie liebt, wird sie niemals etwas antun.“


Leo lag auf dem Bett und hatte die Augen geschlossen. Draco saß neben ihr auf der Bettkante und sah sie an.

„Alles in Ordnung mit Dir?“ fragte er besorgt.

„Ja, nein, ich weiß nicht, ich fühl mich irgendwie seltsam.“ antwortete Leo. „Einerseits könnte ich schlafen, andererseits könnte ich Bäume ausreißen.“

Sie setzte sich auf und sah an sich hinunter. Ihre Kleidung war blutverschmiert. „Wo kommt das ganze Blut her?“ murmelte sie. „Und was ist mit Devon passiert? Wer hat ihn so zugerichtet?“

Bevor Draco etwas erwidern konnte, klopfte es an die Tür und Marie kam herein.

„Na, ihr Zwei. Stör ich bei irgendwas?“ sagte sie fröhlich.

„Nein, Du störst uns nich.t“ erwiderte Draco. „Oder doch?“ wandte er sich an Leo.

„Was? Nein, Marie, Du störst nicht.“ beruhigte Leo sie. „Aber vielleicht kannst Du mir sagen, warum ich voller Blut bin und mich nicht erinnern kann, was mit Devon passiert ist, wieso er auf einmal tot am Boden lag.“

„Ich könnte es schon sagen.“ antwortete Marie. „Aber Du solltest darüber lieber mit Lieu sprechen. Er wird es Dir besser erklären können.“

„Dann werde ich das machen.“ stimmte Leo zu. „Vorher sollte ich aber duschen und mich umziehen.“

„Mach das, ich sage Lieu Bescheid, dass Du gleich zu ihm kommst.“ nickte Marie ihr freundlich zu.

„Nicht gleich, so in einer Stunde etwa.“ entgegnete Leo. „Ich möchte dann doch lieber ein Bad nehmen.“

„Na gut, dann lass ich Euch mal wieder allein.e“ sagte Marie. „Oder kommst Du gleich mit?“ wandte sie sich an Draco.

„Er kommt mit mir später.“ erwiderte Leo bevor Draco antworten konnte.

Als Marie das Zimmer verlassen hatte, drehte sich Leo zu Draco. „Sorry, oder wolltest Du mit ihr gehen?“

„Ist schon okay so, ich bleib lieber bei Dir.“ gab Draco zur Antwort.

Leo stand auf und ging zur Badezimmertür. Dort drehte sie sich um.

„Komm mit.“ forderte sie Draco leise auf, welcher ihrer Bitte nur zu gerne nachkam.

„Weißt Du noch, dass wir schon mal gemeinsam in dieser Wanne saßen?“ wollte Leo wissen. „Ich wollte damals mein erstes Mal mit Dir hier drin haben, aber Du wolltest das nicht.“

Sie drehte sich um, so dass sie auf seinem Bauch lag und sah ihn an.

„Oh ja, daran erinnere ich mich noch allzu gut.“ bestätigte Draco lächelnd. „Als wir dann ins Schlafzimmer kamen, hatte Marie unser Bett mit lauter Rosenblättern bedeckt und wir liebten uns das erste Mal.“

„Ich war ein Mensch und Du ein Vampir.“ fuhr Leo fort. „Du warst so zärtlich und zurückhaltend, als Du mich nahmst. Ich möchte, dass wir es noch mal so machen, so ohne Blut trinken.“

Draco schob seine Arme unter ihre Schultern und Beine und stieg aus der Wanne. Er trug sie zum Bett und legte sie dort sanft nieder. Dann legte er sich neben Leo und streichelte sanft über ihren mit Schaum bedeckten Körper. Draco küsste sie zärtlich und genau wie beim ersten Mal blickte er ihr tief in die Augen, bevor er langsam in sie eindrang.

„Es war wunderschön.“ seufzte Leo einige Zeit später.

„Das war es.“ stimmte Draco zu und fragte besorgt: „Ist Dir es sonst zu wild? Bin ich nicht zärtlich genug? Du musst mir sagen, wenn Dich etwas stört.“

„Nein, nein, es ist alles gut so wie es ist.“ erwiderte Leo und sah verschmitzt zu ihm auf. „Aber hast Du mal einen Blick auf den Kalender geworfen? Heute ist es genau eineinhalb Jahre her, dass wir das erste Mal miteinander schliefen.“

„So lange schon? Mir kommt es vor, als wäre es erst gestern gewesen.“ war Draco erstaunt.

„Bevor wir uns in weiteren Erinnerungen verlieren, sollten wir uns anziehen und zu Lieu gehen.“ schlug Leo vor. „Wir können ja später weitermachen“ hauchte sie verheißungsvoll und warf Draco einen heißen Blick zu, bevor sie sich anzog.


„Lieu erwartet Dich in seinem Arbeitszimme.r“ teilte Lumina Leo mit, als sie das Wohnzimmer betrat.

„Danke.“ murmelte Leo bedrückt und griff nach Dracos Hand.

„Ich glaube, Du solltest erst mal alleine hineingehen.“ meinte Lumina.

Schüchtern, mit gesenktem Kopf betrat Leo das Zimmer von Lieu.

„Ah, da bist Du ja.“ begrüßte er sie und kam auf sie zu. „Komm, setzen wir uns erst einmal.“

Lieu brachte sie zu der gemütlichen Couch und Leo setzte sich scheu auf die Kante.

„Wir haben noch gar nicht richtig miteinander reden können.“ begann Lieu. „Mittlerweile weißt Du ja, dass Du eigentlich meine Tochter bist, Jo hat mir von Eurem Gespräch berichtet.“

„Naja, Gespräch? Er hat geredet und ich hab zugehört.“ stellte Leo richtig.

Lieu war aufgestanden und lief nervös auf und ab.

„Was ich Dir zu sagen habe, ist nicht ganz so einfach und wird für Dich ein Schock sein.“ sprach Lieu weiter und vermied dabei, Leo anzusehen, die ihm mit den Augen verfolgte. „Wie Du weißt, bin oder war ich der Löwengott und alle tausend Jahre wird dieses Amt an einen Nachfolger weitergegeben. Bisher waren unsere Nachkommen alle männlicher Natur. Sie wurden von Geburt an auf das vorbereitet, was auf sie zukam. Das heißt, sie wussten, dass sie sozusagen aus zwei Persönlichkeiten bestanden. Die eine war menschlicher Natur und die andere, nun, die andere war ein Löwe.“

‚Warum erzählt er mir das Alles?’ dachte Leo, unterbrach ihn aber nicht.

„Von Anfang an lernten sie also, das Tier in ihnen zu verstehen und zu lieben. Wenn Gefahr drohte oder wenn sich jemand, der ihnen nahe stand, in Gefahr befand, dann ließen sie ihn hinaus. Dadurch, dass sie den Löwen kannten, wussten sie, was er tat.“ Lieu hielt inne und sah Leo an. „Du weißt überhaupt nicht, was ich von Dir will, oder?“

„N….nein, nicht wirklich.“ antwortete Leo verwirrt.

„Also gut, um auf den Punkt zu kommen, Du scheinst mein rechtmäßiger Nachfolger zu sein.“ stieß Lieu hervor. „Denn Du hast ihn in Dir, den Löwen.“
„Was?“ lachte Leo. „Ich soll einen Löwen in mir haben?“

„Ja.“ bestätigte Lieu. „Und er kam schon zweimal, wenn nicht sogar dreimal zum Vorschein. Aber da Du keine Kenntnis davon hattest, fehlt Dir an diese Zeit jegliche Erinnerung.“

„Und wann soll das gewesen sein?“ fragte Leo zweifelnd.

„Das erste Mal, als ihr Zerafina befreit habt.“ antwortete Lieu. „Es muss die Wut gewesen sein, die ihn frei ließ. Und beim zweiten Mal hast Du Devon getötet.“
„Ich soll ihn so zugerichtet haben?“ flüsterte Leo fassungslos. „Zu so etwas soll ich fähig sein? Das kann ich nicht glauben.“ Tränen stiegen ihr in die Augen.

„Das warst nicht Du, sondern das Tier in Di.r“ versuchte Lieu sie zu beruhigen und legte seinen Arm um ihre Schulter.

„Dann mach es weg, hol es raus.“ schrie Leo auf.

„Ich kann das nicht.“ bedauerte Lieu. „Falls es möglich sein sollte, könnte es nur der Hohe Rat.“

„Es ist in mir und kommt raus, wenn ich wütend bin.“ murmelte Leo immer noch geschockt. „Was ist, wenn ich wütend auf Draco bin? Töte ich ihn dann auch? Und wieso habe ich meine Eltern nicht umgebracht? Auf sie war ich doch auch wütend.“

„Keine Sorge, Du wirst Draco nichts antun, denn ihn liebst Du. Und denjenigen, die man von Herzen liebt, wird man auch in der Verwandlung nichts antun.“ tröstete Lieu sie.

„Ich will zum Hohen Rat.“ verlangte Leo plötzlich.

„Damit habe ich gerechnet.“ nickte Lieu. „Es wird jemand kommen und Dich dorthin bringen.“

„Wann?“ verlangte Leo zu wissen.

„Noch heute.“ versicherte Lieu. „Es bleibt Dir noch genug Zeit, um Dich von Draco zu verabschieden“ fügte er grinsend hinzu. Lieu ging zur Tür, öffnete sie und winkte Draco heran.

„Hier seid ihr ungestört.“ wandte Lieu sich an Leo. „Und die Wände sind schalldicht“ setzte er mit einem schiefen Grinsen hinzu.

Als Lieu den Raum verlassen hatte, setzte sich Draco neben Leo auf die Couch. Leo hatte ihr Gesicht mit ihren Händen bedeckt und hielt den Kopf gesenkt. Als sie spürte, dass Draco seinen Arm um ihre Schultern legte, presste sie hervor: „Wusstest Du es?“

„Ich…..ich….ja, aber erst seit Kurzem.“ rang Draco sich zu einer ehrlichen Antwort durch.

„Du wusstest es und hast mir nichts davon gesagt.“ schluchzte Leo enttäuscht. „Und Wanja wusste es sehr wahrscheinlich auch und all die Anderen auch. Nur ich, ich wusste von nichts. Wolltest Du es mir sagen? Irgendwann mal?“

„Ich konnte, ich durfte nichts sagen.“ gab Draco leise zu. „Wir mussten es Lieu versprechen, es vor Dir geheim zu halten. Erinnerst Du Dich an die drei Vampire im Schloss? Schon da hatten wir den Verdacht.“

„Du wusstest es die ganze Zeit.“ wiederholte Leo fassungslos. „Wir haben jede Nacht miteinander geschlafen und manchmal sogar am Tag, aber Du hast es mir verheimlicht.“

„Was hätte ich sagen sollen? Hey, Du, weißt Du eigentlich, dass ein Löwe in Dir wohnt? Erstens konnte ich es nicht und zweitens hab ich Dir gesagt, dass ich es nicht durfte.“ erklärte Draco und zog sie näher an sich heran.

Er zog ihr die Hände vom Gesicht, umfasste ihr Kinn und drehte ihr Gesicht zu sich. Sanft küsste er die Tränen weg, welche ihr aus den Augen rollten.

„Du wirst gleich für einige Zeit fortgehen“ sagte Draco leise. „Ich glaube nicht, dass es dort Blut für Dich geben wird, deshalb trink bitte.“ Er beugte seinen Kopf zur Seite.

„Bist Du sicher?“ grinste Leo schief. „Du weißt, was dann passiert.“
„Nicht nur ich, Lieu anscheinend auch.“ kicherte Draco und sah zur Tür.


„Danke.“ murmelte Leo später, als sie sich wieder anzog. „Das hat mir gut getan.“

Sie umarmte Draco und küsste ihn fest auf den Mund. „Ich vermisse es jetzt schon.“ sagte sie seufzend. Dann griff sie hart in seinen Schritt. „Und vergiss nicht, er gehört mir, mir alleine.“

„Versprochen, mein Schatz.“ erwiderte Draco mit ernster Stimme. „Wir beiden werden sehnsüchtig auf Dich warten.“

Hand in Hand verließen sie das Zimmer und kehrten zu den Anderen zurück.

„Ach, da seit ihr ja.“ sagte Lieu. „Dann kann es ja bald losgehen. Deine Begleitung ist auch gerade erschienen.“

Er zeigte auf einen Mann, der mit dem Rücken zu ihnen stand.

„Er wird Dich zum Hohen Rat bringen und anschließend wieder hierher zurück.“ sprach Lieu weiter. „Ihm kann ich Dich anvertrauen, das weiß ich.“

Der Mann drehte sich zu ihnen um und lächelte schief.

„Asmodee.“ rief Leo erfreut, lief auf ihn zu und umarmte ihn. „Ich freue mich, Dich wieder zu sehen. Aber wie kommst Du hierher? Ich dachte, Du wärst in der Zwischenwelt gefangen?“

„Das war ich auch.“ erwiderte Asmodee. „Aber Lieu hat darauf bestanden, dass ich Dein Begleiter werde. Und da er ja eigentlich immer noch ein Gott ist, konnte der Rat es ihm nicht verweigern.“

„In ein paar Tagen werde ich dieses Amt los sein, dann müsst ihr Euch an Leo wenden.“ setzte Lieu hinzu.

„An mich? Nein, niemals.“ wehrte Leo ab.

„Ich möchte ja nicht drängen, aber der Rat erwartet un.s“ sagte Asmodee entschuldigend. „Wir sollten uns auf den Weg machen.“

„Na gut.“ seufzte Leo und sah Lieu an. „Kommst Du nicht mit, Vater?“ Sie betonte das letzte Wort extrem.

„Nein, nein, ich werde dabei nicht gebraucht. Sobald der Rat Dich als meinen Nachfolger anerkennt, verliere ich automatisch meine Fähigkeiten.“ antwortete Lieu.

Asmodee stellte sich dicht vor Leo und legte seine Arme um ihre Hüften.

„Bereit?“ wollte er wissen und Leo nickte.


Sekunden später standen sie in einer großen, weißen Halle, an deren einem Ende sich ein langer, ebenfalls weißer Tisch befand, hinter dem sechs ziemlich alte Männer saßen. Sie alle hatten weißes Haar und lange Bärte. Alles hier war weiß und hell.

„Komm näher.“ forderte einer der Männer Leo auf und ein anderer sagte zu Asmodee: „Danke, Du kannst nun gehen.“

„Nein, er bleibt bei mir.“ platzte es aus Leo heraus.

„Gut, wie Du wünscht.“ nickte der Mann.

Langsam ging Leo auf den Tisch zu und zog Asmodee mit sich. Alle Augen blickten sie an. Als direkt davor stand, erhob sich einer und sagte: „So, Du bist also die Tochter von Lieu und damit seine Erbin. Es ist ungewohnt für uns, denn Du bist der erste weibliche Gott. Und wie wir erfahren haben, hattest Du bislang keine Ahnung von Deiner wahren Natur. Es wird einige Zeit dauern, Dir alles beizubringen, was Du wissen musst.“

„Wie lange ist einige Zeit?“ wollte Leo wissen.

„Hm, nun ja, bisher wurde es den Nachkommen in ihren ersten achtzehn Lebensjahren beigebracht.“ erwiderte der Sprecher. „So lange wird es wohl dauern. Du wirst in dieser Zeit wohl hier leben müssen.“
„Was? Ich soll achtzehn Jahre hier bleiben?“ fuhr Leo auf. „Das könnt ihr ganz schnell vergessen. Und außerdem will ich überhaupt kein Gott sein, sucht euch doch jemand anderen.“

„Das ist leider nicht ganz so einfach. Wir können nicht einfach sagen: So, Du bist der Nächste.“ erklärte der Redner. „Nur der rechtmäßige Nachfahre des Löwengottes kann das bestimmen.“

„Das heißt, wenn ich jetzt sagen würde, Asmodee übernimmt das Amt, dann würde das gehen?“ hakte Leo nach.

„Na ja, ganz so einfach ist es dann doch nicht.“ erklärte der Sprecher, welcher wohl der Älteste war. „Zunächst ein mal müssen wir Dich in Dein Amt einführen, aber dazu benötigen wir einige Tests. Sollte sich herausstellen, dass Du eindeutig Lieus Abkomme bist, steht dem nichts im Wege. Aber das wird zwei, drei Tage dauern. Danach kehrst Du in den Kristallpalast zurück, wo Lieu Dir vor Euren Anhängern feierlich sein Amt übergibt. Was Du dann machst, ist alleine Deine Entscheidung. Allerdings muss sich derjenige, den Du auswählst, dessen auch würdig sein.“

„Das ist er.“ murmelte Leo, denn sie hatte ihren Entschluss schon gefasst.


In den nächsten Tagen musste Leo eine Menge Fragen beantworten, etlichen Untersuchungen über sich ergehen lassen und lernen, wie sie den Löwen in sich kontrolliert herauslassen konnte. Die ganze Prozedur dauerte dann doch fünf Tage.

Als Leo danach wieder vor dem Rat stand, betrachtete der Älteste sie zufrieden lächelnd. Auch die anderen fünf des Rates sahen zufrieden aus.

„Von nun an bist Du der rechtmäßige, neue Löwengot.t“ sagte der Älteste und kam auf Leo zu. „Du alleine hast nun die Macht zu bestrafen oder zu belohnen. Alles was Du entscheidest, wird geschehen.“

Leo sah einen nach dem anderen an. „Darf ich wissen, was eigentlich Eure Aufgaben sind?“

„Wir sind für die Ausbildung der Nachfolger zuständig.“ erklärte der Älteste. „Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass der neue Gott mit seinen Kräften und seinen Gaben vernünftig umzugehen lernt. Wir haben keinerlei Macht, in seine Entscheidungen einzugreifen.“

„Dann ist es egal, was ich jetzt mache, Ihr müsst es akzeptieren?“ fragte Leo nach.

„So ist es.“ bestätigte der Älteste

„Gut“ nickte Leo. „Dann wird meine erste und einzige Amtshandlung sein, dass Asmodee seine Flügel zurück bekommt und zwar sofort.“

Kaum hatte sie ihre Worte ausgesprochen, erschienen auf Asmodees Rücken große, schwarze, schimmernde Flügel. Sie ragten mindestens dreißig Zentimeter über seinen Kopf hinaus und die Spitzen am unteren Ende lagen auf dem Boden. Bewundernd sah Leo sie an und strich vorsichtig mit der Hand darüber.

„Ich danke Dir.“ murmelte Asmodee ergriffen.

„Noch eine letzte Frage, bevor ich geh.“ wandte Leo sich noch einmal an den Rat. „Was muss ich tun, um einen anderen zum Löwengott zu machen? Und verschwindet dann der Löwe aus mir?“

Der Rat tauschte erstaunte Blicke. „Du willst Dein Amt also weitergeben? Du bist Dir da ganz sicher? Denn es kann nicht rückgängig gemacht werden.“

„Ich bin mir ganz sicher“ erklärte Leo mit fester Stimme.

„Nun gut“ gab der Rat bei. „Du wirst es nur im Beisein Deines Vaters und der Wächterinnen machen können und im Beisein Eurer Priester und Priesterinnen auf der Erde. Eigentlich ist es keine große Sache, Du musst einfach sagen, wem Du es übergeben willst und der Jenige muss es annehmen. Damit er auch den Löwen erhält, wirst Du ihn zum Abschluss küssen müssen. Danach bist Du all Deine Macht und Deine Fähigkeiten los.“

„Ich danke Euch für Eure Mühe und die Auskunft, aber nun möchte ich zurück.“ sagte Leo. „Ihr wisst ja bestimmt, dass ich außerdem noch ein Vampir bin und ich benötige so langsam Blut.“

„Da alles gesagt ist, kannst Du zur Kristallstadt zurückkehren.“ nickte der Älteste. „Schließe einfach Deine Augen und wünsche Dich dorthin.“

„Ich möchte, dass Asmodee mich dorthin zurückbringt.“ verlangte Leo. Und da dem Rat nichts anderes übrig blieb, als ihren Wünschen zu gehorchen, kehrte Asmodee mit Leo zurück.


Alles war still, als Leo mit Asmodee den Palast erreichte. Hier war es anscheinend tiefe Nacht.

„Ich bring Dich zu Deinem Zimmer und dann verschwinde ich wiede.r“ sagte Asmodee.

„Oh nein, Du bleibst.“ erwiderte Leo und lächelte ihn an. „Wir werden uns jetzt in die Küche schleichen und nachsehen, was wir zu Essen finden, ich habe nämlich einen Riesenhunger. Da gab es ja nichts.“

Erstaunt sah Asmodee sie an. „Du hast Hunger? Du isst, ähm, richtiges Essen?“ wollte er wissen.

„Ja, ja, ich weiß, völlig untypisch für einen Vampir.“ winkte Leo ab. „Vielleicht hört es ja auf, wenn erst das Ding aus mir raus ist.“

„Sag mal, willst Du Dein Amt wirklich weitergeben?“ fragte Asmodee, als er mit Leo in der Küche saß und ihr zusah, wie sie aß.
„Ja, ich bin mir hundertprozentig sicher.“ antwortete Leo. „Und ich weiß auch schon ganz genau, an wen.“

„Aber damit gibt’s Du eine Menge auf“. meinte Asmodee. „Denk doch mal an die Fähigkeiten, die Du jetzt besitzt.“

„Na und? Ist mir egal, ich will einfach nur mit Draco glücklich sein“. zuckte Leo mit den Schultern. „Er ist alles, was ich will.“

Eine junge Priesterin betrat die Küche.

„Oh, ihr seit schon zurück?“ sagte sie erstaunt. „Die Herrschaften sind alle bei der Morgenandacht. Ich wollte das Frühstück vorbereiten.“

„Sind alle dort?“ wollte Leo wissen. „Auch die Vampire?“

„Ja.“ erwiderte die Priesterin. „Seitdem feststeht, dass Sie die Nachfolgerin von Lieu sind, hat Lumina veranlasst, dass alle sich jeden Morgen in dem großen Saal versammeln. Ich werde gleich dorthin gehen und sie von Eurer Rückkehr zu informieren.“

„Nein, mach das nicht.“ bat Leo. „Wir wollen sie überraschen. Gibt es eigentlich einen anderen Eingang?“

„Den gibt es.“ erklärte die Priesterin. „Allerdings kommt ihr dann direkt beim Altar heraus.“

Sie erklärte Leo und Asmodee den Weg und machte sich dann daran, das Frühstück vorzubereiten.

Leo und Asmodee machten sich auf den Weg. Niemand bemerkte ihre Anwesenheit, alle knieten mit gesenkten Köpfen auf dem Boden.

„Wen beten sie wohl an?“ flüsterte Leo Asmodee zu.

„Vielleicht Dich.“ gab er flüsternd zurück.

„Quatsch.“ erwiderte Leo leise. Sie zwinkerte Asmodee zu und reckte sich.

„Guten Morgen.“ sagte sie dann laut. Alle erhoben die Köpfe und sahen zu ihr hin. Einige blickten erstaunt auf ihre Begleitung.

Lieu erhob sich und kam auf sie zu.

„Da bist Du ja wieder.“ lächelte er Leo an und nickte Asmodee kurz zu. „Das bedeutet, dass ich Dir jetzt mein Amt übertragen kann.“

Er nahm Leos Hände und trat einen Schritt zurück.

„Hiermit übergebe ich mein Amt und alles was dazu gehört an meine rechtmäßige Nachfolgerin.“ sagte er feierlich.

Leo spürte, wie eine große Macht durch ihre Hände floss und sich in ihrem Körper verbreitete. Lieu ließ sie los und trat weiter zurück.

„Nun ist sie ab sofort Eure neue Herrscherin.“ wandte er sich an die Priester und Priesterinnen. Als diese beginnen wollten, Leo zu gratulieren und zu feiern, erhob diese die Hände.

„Moment.“ rief sie laut. „Ich wollte und will dieses Amt nicht. Aus diesem Grund werde ich es sofort weitergeben.“ Sie drehte sich zu Asmodee um, ergriff dessen Hand und zog ihn zu sich. „Ich habe entschieden, dass Asmodee es bekommen soll. Wir alle wissen von seiner Vergangenheit. Aber er war trotzdem immer loyal zu Lieu. Bei ihm weiß ich das Amt in besten Händen, er würde es niemals missbrauchen.“

„Bist Du verrückt?“ zischte Asmodee ihr zu. „Warum ausgerechnet ich?“

„Halt den Mund.“ befahl Leo leise.

Bei Leos Worten war ein Raunen durch die Menge gegangen.

„Ich weiß, dass es Euch schwer fällt, meine Entscheidung zu verstehen.“ fuhr Leo fort. „Aber ich habe ihm zu verdanken, dass ich der Liebe meines Lebens begegnet bin. Er war derjenige, der es ermöglicht hat, dass Wanja und Draco noch am Leben sind. Ich bin zwar noch nicht so lange ein Vampir, aber ich weiß, das ein kleines Glas voll Vampirblut nicht reicht, um jemanden zu einem Vampir werden zu lassen. Und Asmodee wusste genau, aus welchem Grund Luminas Söhne geboren wurden und er wusste, was Daleira mit ihnen vorhatte. Deshalb hat er damals in Venedig dafür gesorgt, dass die Beiden seit ihrer Ankunft täglich Vampirblut bekamen. Ich weiß auch, dass Asmodee von Anfang an nur so getan hat, als würde er auf Seiten von Devon und Daleira stehen. In Wirklichkeit hat er nur für den Hohen Rat gearbeitet. Und aus diesem Grund habe ich ihn für würdig befunden.“

Sie wandte sich zu Asmodee, ergriff seine Hände und sandte ihm die Macht.

„So, nun bleibt nur noch ein letztes zu tun, damit er vollständig zum Löwengott wird.“ sagte Leo und nahm sein Gesicht in ihre Hände. Sie warf einen suchenden Blick über die Menschen. Ihre Augen fanden schnell den, den sie suchten. Sie blickte Draco fest in die Augen und dachte: ‚Es muss sein.’ Dann presste sie ihren Mund fest auf den von Asmodee und spürte, wie etwas sie aus ihrem Inneren verließ. „Pass gut auf ihn auf.“ flüsterte sie ihm ins Ohr. Als Asmodee etwas sagen wollte, legte Leo ihm ihren Zeigefinger auf den Mund. Danach verließ sie zielstrebig den Altar, ging durch den Gang, bis sie Draco erreichte. Schweigend nahm sie seine Hand und zog ihn hinter sich her bis zu ihrem Zimmer. Dort verschloss sie immer noch schweigend die Tür und zog Draco zum Bett, worauf sie ihn schubste.

Leo kniete sich über ihn und sah ihm in die Augen. Sie trug noch immer das lange, weiße Gewand, welches ihr der Rat gegeben hatte, aber nun zog sie es mit einem Ruck über ihren Kopf. Darunter war sie nackt. Ohne ein Wort zu sagen riss sie Dracos T-Shirt entzwei, so dass er nun mit nacktem Oberkörper vor ihr lag. Langsam beugte sich Leo zu ihm hinunter und bedeckte ihn mit Küssen, dabei hielt sie ihren Blick auf seinen Hals gerichtet. Draco schien zu spüren, worauf ihr Blick gerichtet war, denn seine Halsschlagader schwoll an und trat deutlich hervor. Schon der Gedanke an das, was Leo gleich machen würde, erregte Draco. Leo nahm es mit einem Lächeln wahr. Sie rutschte langsam nach unten, packte seine Jeans am Bund und zerriss auch sie. Dann setzte sie sich wieder auf Dracos Schoss und fuhr fort, seine Brust zu küssen. Als Draco nach ihr greifen wollte, hielt sie seine Hände fest.

Leo hatte ihre Reißzähne wachsen lassen und ritzte bei jedem Kuss Dracos Haut auf, Sie saugte ein wenig an den entstandenen Wunden, bevor sie mit der Zunge darüber fuhr und sie somit wieder verschloss.

„Du machst mich wahnsinnig.“ stöhnte Draco auf, als Leo sich so auf ihn setzte, so dass er in sie gleiten konnte. Immer wieder fügte sie ihm weitere kleine Wunden zu, aus denen sie trank. Draco stöhnte und keuchte, Leo fühlte, wie er in ihr wuchs.

„Du bist ein Biest.“ sagte Draco, als Leo eng an ihn gekuschelt in seinem Arm lag. „Ich sollte Dich…“
„Was?“ unterbrach Leo. „Mich ewig lieben und glücklich machen, wie gerade eben?“

„Nein.“ erwiderte Draco ernst. „Dir mein Blut verweigern und Dich hungern lassen.“

„Versuchs doch mal..“ Blitzschnell hatte Leo ihren Kopf gedreht und in Dracos Schlagader gebissen, wo sie nun einen großen Schluck trank. Sofort reagierte Dracos Körper darauf und dieses Mal überließ Leo ihm die Führung.

Jemand klopfte energisch an ihre Tür. „Moment.“ rief Draco und sah Leo an. „Wir sollten die Tür öffnen, es scheint wichtig zu sein“

„Mach Du, ich will nicht.“ murmelte Leo und löste sich aus seinem Arm. Draco stand auf, schlang sich ein Laken um die Hüften, ging zur Tür und öffnete diese.

„Ich dachte schon, ihr würdet nicht mehr leben.“ sagte Marie, als sie vor Draco stand. „Immerhin seid ihr schon seit vierundzwanzig Stunden hier drin.“
„Was? So lange schon?“ fragte Draco erstaunt und kehrte zum Bett zurück, wo Leo völlig unbedeckt lag. Marie war ihm gefolgt und sah lächelnd auf Leo hinab.

„Du musst ja völlig ausgehungert gewesen sein.“ stellte Marie fest. „Wir hatten schon Sorge, dass Du Draco völlig ausgesaugt hast.“

„Quatsch.“ erwiderte Leo. „Ich werde doch nicht meine Quelle töten. Ein wenig hab ich noch drin gelassen. Und jetzt, da Du gesehen hast, dass es uns gut geht, kannst Du wieder gehen und die Anderen beruhigen.“

„Eigentlich bin ich aus einem anderen Grund hier.“ erklärte Marie. „Asmodee möchte uns verlassen und er wollte sich gern von Euch verabschieden.“

„Asmodee will weg?“ Leo war aufgesprungen und sah Marie entsetzt an. Diese nickte zur Bestätigung. Blitzschnell war Leo aus dem Bett gehüpft und zog sich in Windeseile etwas an. Dann stürmte sie aus der Tür ohne darauf zu achten, ob Marie und Draco ihr folgten.

„Wo ist er?“ rief Leo, als sie in Luminas Wohnzimmer stürmte. Erschreckt zeigte Lumina auf die Tür zu Lieus Arbeitszimmer. Leo riss die Tür auf und sah erstaunt auf Asmodee.

„Wo sind Deine Flügel?“ fragte sie verwirrt. „Wer hat sie Dir wieder genommen? Und wer schickt Dich von hier fort? Ich will nicht, dass Du gehst, ich will, dass Du bleibst.“

Asmodee kam lächelnd auf sie zu und nahm sie in den Arm.

„Jetzt beruhige Dich erstmal.“ meinte er beruhigend. „Erstens, niemand nahm mir meine Flügel. Ich kann, dank Dir, sie verschwinden lassen und sie wieder zum Vorschein bringen. Und zweitens hat mich auch niemand fortgeschickt, ich gehe freiwillig.“
„Aber warum? Und wohin?“ wollte Leo wissen.

„Es gibt dort oben einige Leute, denen ich einen Besuch abstatten muss, nun, nachdem Du mich zum Gott gemacht hast.“ erklärte Asmodee. „Außerdem gibt es bestimmt immer noch einige, die an Devon glauben. Denen wird bei meinem Anblick klar werden, dass es vorbei ist. Und dann möchte ich einmal die Freiheit genießen und als Löwe durch die Welt laufen. Aber keine Sorge, ich werde sofort da sein, wenn Du meine Hilfe brauchst.“

„Also verlässt Du uns nicht für immer?“ hakte Leo noch mal nach.

„Nein, ich werde immer wieder hierher zurückkehren.“ versprach Asmodee.

„Gut.“ stieß Leo erleichtert hervor.

Lieu hatte die ganze Zeit schweigend dabei gestanden. Nun wandte er sich an Leo. „Mach Dir keine Sorgen, Asmodee hat jetzt hier sein Zuhause. Aber mit dem Amt hat er auch eine Menge Verpflichtungen. Ich war gerade dabei, ihm einige Dinge zu erklären, die nun auf ihn zu kommen.“

„Entschuldige, Vater.“ murmelte Leo. „Ich hätte nicht so hier herein platzen sollen.“

Bei dem Wort ‚Vater’ hob Lieu erstaunt die Augenbrauen. Leo hatte es gesehen und fragte ihn: „Stört es Dich, dass ich Dich Vater nenne? Aber das bist ja nun mal und den Mann meiner Mutter kann ich nicht mehr so nennen, nicht nachdem, was er getan hat.“

„Nein, es stört mich nicht.“ lächelte Lieu. „Es ist nur ungewohnt für mich.“

„Gut.“ sagte Leo und lächelte Beide an. „Ich werde Euch dann wieder alleine lassen, damit Ihr alles in Ruhe besprechen könnt und mal nachschauen, ob es etwas zu Essen für mich gibt.“

Die beiden Männer sahen ihr nach. „Sie hat immer noch Hunger.“ stellte Asmodee erstaunt fest. „Also lag es nicht an dem Löwen.“

„Ja, sie ist schon ein seltsamer Vampir.“ bestätigte Lieu. „In all den Jahrhunderten, die ich schon auf der Erde bin, ist mir so etwas noch nicht begegnet. Ich weiß zwar, dass die Vampire aus Gründen der Anpassung menschliche Nahrung zu sich nehmen, aber sie machen das nicht aus Hunger, so wie die Menschen ihn kennen. Du kannst ja mal die Ältesten der Vampire fragen, warum Leo so ist. Vielleicht wissen sie ja den Grund.“


Leo war ins Wohnzimmer zurück gekehrt, wo sich mittlerweile auch Marie und Draco eingefunden hatten.

„Entschuldige, dass ich gerade einfach so hier herein geplatzt bin.“ entschuldigte Leo sich bei Lumina.

„Ist schon in Ordnung.“ winkte diese ab. „Komm her, setz Dich. Ich habe in weiser Voraussicht schon mal etwas zu Essen für Dich bestellt.“

„Danke.“ sagte Leo und setzte sich neben Lumina auf die Couch. „Aber woher wusstest Du…?“

„Ich habe es geahnt.“ erwiderte Lumina.

„Wo sind all die Anderen?“ erkundigte Leo sich später, als eine junge Priesterin ihr das Essen gebracht hatte.

„Darkness, Jean und Belziel sind unterwegs.“ erstattete Lumina Bericht. „Candle und ihr Mann sind wohl in ihrem Zimmer. Wanja und Zerafina sind in ihrem Haus.“

„Wie geht es Zerafina? Hat sie alles gut überstanden?“ wollte Leo wissen.

„Geh doch nachher mit Draco zu ihnen und sieh selbst.“ schlug Lumina vor.

„Vorher würde ich aber gerne in unseren speziellen Kühlschrank schauen und etwas daraus zu mir nehmen.“ sagte Draco.

„Hm, geh doch zu Jo.“ zuckte Leo mit den Schultern. „Da bekommst Du frisches, warmes Blut und er tut ein gutes Werk.“

„Leo!“ rief Lumina entsetzt. „Wie kannst Du so etwas nur vorschlagen?“

„Was denn?“ tat Leo erstaunt. „Soll er ruhig merken, wie es ist, wenn einem Blut genommen wird, auch gegen seinen Willen. Immerhin hat er es jahrelang mit den Vampiren so gemacht.“

Wie aufs Stichwort klopfte es und Candle und Jo betraten den Raum.

„Siehst Du, Dein Spender kommt freiwillig zu Dir.“ sagte Leo zu Draco.

„Ich kann ihn doch nicht beißen.“ war Draco entsetzt.

„Und warum nicht? Ich würde es ja selber machen, aber ich mag nun mal kein menschliches Blut“ erklärte Leo lapidar.

„Lumina.“ sagte Candle. „Ich habe gehört, dass Asmodee uns heute verlassen will. Die Priester sind gerade dabei, das Abschiedszeremonell vorzubereiten. Ich hoffe, dass es noch nicht zu spät ist.“
„Nein.“ erwiderte Lumina. „Noch ist er hier. Ich werde ihn gleich davon in Kenntnis setzen.“

Zerafina und Wanja waren anscheinend auch davon in Kenntnis gesetzt worden, denn sie betraten auch das Wohnzimmer. Zerafina war von der Entführung nichts mehr anzusehen.

„Geht’s Dir wieder gut?“ fragte Leo dennoch.

„Naja, so ganz gut noch nich.t“ erwiderte Zerafina. „Es war doch schlimmer, als ich anfangs dachte und es wird noch ein paar Tage dauern.“

Lumina kehrte mit Lieu und Asmodee zurück.

„Ihr seid ja auch da.“ meinte sie erstaunt. „Schaffst Du das denn schon kräftemäßig?“ wandte sie sich an Zerafina.

„Ach, es wird schon gehen.“ meinte diese und sah Wanja an. „Es gibt da nämlich noch etwas, um das wir Asmodee bitten möchten, bevor er uns verlässt. Und wir würden es gerne hier im Kreis der Familie machen.“

„Ja.“ fuhr Wanja fort. „Es ist so, wir möchten Dich, Asmodee, bitten, in etwa sechs Monaten zu uns zu kommen.“

Alle sahen fragend Wanja und Zerafina an, die Beiden ein wenig verlegen auf den Boden schauten.

„Das mache ich sehr gerne.“ erwiderte Asmodee. „Gibt es einen besonderen Grund für Eure Bitte?“

„Den gibt es.“ sagte Wanja tief einatmend, nahm Zerafinas Hand und sah alle an. „Wir werden zu dieser Zeit etwa unser erstes Kind bekommen und hätten gerne, dass Asmodee ihm gleich nach der Geburt seinen Segen gibt.“

Nun gratulierten alle aufgeregt den Beiden, nur Leo nicht, sie aß seelenruhig weiter.

„Freust Du Dich denn gar nicht?“ wollte Lumina erstaunt wissen.

„Doch, natürlich, aber ich wusste das schon.“ antwortete Leo gelassen.

„Aber woher?“ war Lumina verwirrt.

„Wanja hat es mir gesagt, als er mich bat, Zerafina zu befreien.“ gab Leo Auskunft. „Und er hat mich gebeten, es für mich zu behalten. Draco weiß es übrigens auch seit dem.“

„Lieu, wir werden Großeltern.“ sagte Lumina. „Kannst Du Dir das vorstellen?“

„Schwer.“ grinste Lieu. „Das bedeutet ja, dass ich mit einer Großmutter ins Bett gehe.“

„Und ich mit einem Großvater.“ konterte Lumina.

„Ihr habt Sorgen.“ lachte Wanja, um dann ernster hinzuzufügen: „Es ist schön, dass Ihr Euch alle so darüber freut. Aber die Schwangerschaft bringt auch einige Probleme mit sich. Der Kleine braucht jetzt schon täglich Blut und damit er Zerafina nicht austrinkt, gebe ich ihr meins. Dadurch benötige ich aber mehr als bisher und ich würde gerne frisches trinken, weil es mehr Kraft gibt. Aus diesem Grund wollten wir eigentlich Darkness bitten, ein paar Monate bei ihnen zu leben. Und vielleicht kann sie uns auch jemand besorgen, der den Kleinen nach seiner Geburt versorgt.“

„Das heißt, Ihr wollt uns also verlassen?“ erkundigte Lumina sich. „Dann komme ich mit, ich möchte meinen ersten Enkel heran wachsen sehen. Ich möchte, wenn ich es kann und darf, Zerafina gerne durch ihre Schwangerschaft begleiten.“

„Sicher darfst Du das.“ sagte Zerafina und umarmte Lumina. „Ich würde mich sehr darüber freuen. Mir war sowieso nicht ganz wohl bei dem Gedanken, ohne Dich dort oben zu sein.“

„Dann komm ich auch mit.“ meldete sich Lieu zu Wort. „Ein halbes Jahr ohne Dich halte ich nicht aus.“

„Du wirst Dich dann hier um alles kümmern müssen.“ wandte er sich an Candle. „Da kannst Du zeigen, ob Du bereit bist, Verantwortung zu übernehmen und man kann über Deine Strafe neu verhandeln.“

„Ähm, bevor ihr weiter Pläne macht, sollten wir nicht erst Darkness und Jean fragen, ob es in Ordnung ist?“ warf Wanja ein.

„Ob was in Ordnung ist?“ kam es von der Tür her. Darkness, Jean und Belziel waren herein gekommen und hatten die letzten Worte gehört.

„Das Zerafina und ich ein paar Monate bei Euch leben.“ erwiderte Wanja. „Wir werden nämlich in etwa einem halben Jahr Eltern und würden gerne bis zur Geburt bei Euch leben.“

Selbstverständlich waren Jean und Darkness einverstanden, auch das Lumina und Lieu mitkamen.

„Wir haben ja Platz genug.“ meinte Darkness.

Nun wurde es Zeit, Asmodee zu verabschieden und alle begaben sich in den großen Saal, wo schon alles vorbereitet war.

Nach der Zeremonie verabschiedete sich Asmodee von allen.

„Machs gut, alter Freund.“ sagte Lieu gerührt, zog Asmodee an sich und klopfte ihm auf die Schulter.

„Ich danke Dir für Dein Vertrauen, das Du all die Jahre in mich hattest.“ erwiderte Asmodee.

Zum Schluss wandte er sich an Leo. Er zog sie in seine Arme, sah ihr tief in die Augen und sagte: „Ich verspreche Dir, dass ich Dich nicht enttäuschen werde und das Amt gut ausführe.“

„Das weiß ich.“ entgegnete Leo. „Ich hätte es niemand anderem gegeben.“

„Pass auf Dich auf, Kleines.“ flüsterte er ihr ins Ohr und hauchte ihr einen Kuss aufs Haar. Dann warf er einen letzten Blick auf alle Anwesenden und verschwand.


23. Kapitel


„Müssen wir mit den Anderen gleich zurück?“ fragte Leo Draco in ihrem Zimmer.

„Eigentlich nicht.“ erwiderte er und sah sie lächelnd an. „Möchtest Du lieber noch hier bleiben?“

„Nein.“ rief Leo entsetzt. „Ich bin froh, von hier wegzukommen. Versteh das jetzt bitte nicht falsch, ich mag Lumina und Lieu, aber ich hasse es, unter der Erde zu sein.“

„Und was würdest Du gerne machen?“ wollte Draco wissen. Er lag auf dem Bett, hatte einen Arm unter seinen Kopf gelegt und beobachtete Leo.

„Am Strand liegen, im Meer baden, so was halt.“ antwortete Leo und setzte sich zu ihm auf die Bettkante. „Ich dachte mir, jetzt, wo ich frei bin, könnten wir beide die Strecke zurück fahren, die wir letztes Jahr hierher genommen haben. Ich würde gerne mit Dir zum Beispiel durch Tanger bummeln.“

„Hm, ja, das könnten wir machen.“ erwiderte Draco. „Allerdings bräuchten wir dafür ein Auto. Das bedeutet, wir müssten mit den Anderen zumindest bis Tanger fahren.“
„Aber das passt doch alles gar nich.t“ überlegte Leo. „Wenn Wanja, Zerafina, Lumina und Lieu noch mitkommen, ist Jeans Auto doch voll.“

„Wanja hat sein eigenes Auto hier irgendwo versteckt.“ erklärte Draco. „Das wäre also kein Problem. Ich denke, Lieu und Lumina werden mit ihm fahren.“

„Dann wäre ja alles geklärt.“ freute sich Leo und gab Draco einen Kuss.

„Eine Sache noch.“ grinste Draco. „Wir müssten dann aber in Hotels übernachten und dort sind die Wände meistens sehr hellhörig.“

„Oh, dann müssen wir halt leise sein.“ erwiderte Leo und sah ihn verschmitzt an.

„Leo.“ sagte Draco ernst und richtete sich auf, so dass er neben ihr saß.

„Ja?“ gab sie halb fragend zurück.

„Ich liebe Dich und ich würde gerne unsere Verbindung legalisieren.“ fuhr Draco fort, nahm ihre Hand und sah ihr tief in die Augen.

„Du….Du….Du willst….das wir heiraten?“ stotterte Leo perplex.

„Ja.“ nickte Draco verlegen. „Ich möchte, dass unsere Kinder, falls wir welche bekommen, legitim zur Welt kommen.“

„Ich habe noch nie darüber nachgedacht.“ bekannte Leo. „Bisher ging ich davon aus, dass unsere Liebe ewig dauert, egal, ob verheiratet oder nicht. Und über Kinder habe ich auch noch nie nachgedacht.“

„Unsere Liebe wird auch ewig sein. Wenn Vampire sich verlieben, dann ist es für imme.r“ sagte Draco.

„Aber als ich mich in Dich verliebt habe, war ich noch kein Vampir und ich wusste, dass ich Dich bis ans Ende meiner Tage lieben würde.“ erklärte Leo. „Mir war es egal, ob wir nun verheiratet sind oder nicht. Ich wollte und will Dich mit jeder Faser meines Herzens.“

„Ich Dich auch.“ murmelte Draco und verbarg sein Gesicht in ihrem Haar.

Leo seufzte und ließ sich nach hinten fallen. Draco beugte sich über sie und streichelte mit seinen Lippen ihr Gesicht. Leo genoss es mit geschlossenen Augen. Langsam wanderte Draco weiter zu ihrem Hals und sie bog ihren Kopf nach hinten. Da Leo kurz zuvor geduscht hatte, war sie nur in ein Handtuch gewickelt, dessen Knoten Draco nun löste, so dass sie nun nackt vor ihm lag. Sanft küsste er nun jeden Zentimeter ihres Körpers. Er rutschte vom Bett und kniete sich zwischen ihre Beine, die er sich über seine Schultern legte. Mit einem tiefen Blick in ihre Augen ließ er seiner Zunge freien Lauf. Aufstöhnend bäumte sich Leo ihm entgegen und krallte ihre Finger in sein Haar. Immer wieder versuchte sie, sich ihm zu entziehen, aber Draco ließ es nicht zu, er kannte kein Erbarmen. Wild warf Leo ihren Kopf hin und her und glaubte, ihr Körper würde explodieren. Draco zeigte sich irgendwann gnädig, hob seinen Kopf, ließ aber ihre Beine auf seinen Schultern. Er zog Leo noch näher an die Bettkante, dann drang er in sie ein, was von Leo mit einem kurzen Aufschrei begrüßt wurde.

Leo war so sehr in Ekstase, dass sie gar nicht merkte, wie sie Draco mit ihren Fingernägeln kleine Verletzungen zufügte, aus denen winzig kleine Blutstropfen austraten. Auch Draco hatte seine Nägel in ihr Fleisch gebohrt, so dass auch Leo leicht blutete. Durch den Geruch des Blutes wurde ihr Liebesspiel immer wilder. Das Bett unter ihnen hielt diesem nicht stand und brach zusammen, von beiden unbemerkt. Dracos Blick hatte sich an Leos Halsschlagader geheftet, die einladend hervor getreten war und ihn überkam der Wunsch, dort hinein zu beißen. Seine Reißzähne wuchsen.

Als Leo das bemerkte, beugte sie ihren Hals so, dass er besser herankam. Ihre Reißzähne wuchsen nun auch und sie wollte Dracos Blut schmecken.

Jeder trank nun von dem Anderen einen großen Schluck. Danach küssten sie sich und dadurch, dass Draco nun vollständig auf ihrem Körper lag, vermischte sich ihr Blut, welches an den kleinen Wunden noch austrat.


Blutverschmiert und erschöpft lagen sie nebeneinander und sahen sich an.

„Ich glaub, wir sollten duschen.“ lachte Draco.

„Ja, und dann ganz schnell verschwinden. Sieh nur, was wir angerichtet haben.“ erwiderte Leo ebenfalls lachend.

Das komplette Bett war zerstört und es fielen noch einzelne Federn von der Decke.

„Oh je, was wird Lumina nur denken?“ war Leo leicht entsetzt.

„Wir müssen es ihr beichten.“ meinte Draco zerknirscht.

„Das braucht ihr nicht, sie hat es schon gesehen.“ erklang Darkness belustigte Stimme von der Tür her.

„Sie hat was?“ fuhr Draco erschrocken hoch.

„Gesehen.“ wiederholte Darkness lachend. „Sie und Candle waren hier und wollten Euch mitteilen, dass alles für unsere Abreise geregelt sei. Aber Ihr wart so in Aktion, dass Ihr es nicht bemerkt habt. Ihr hättet Candles Gesicht sehen sollen, als sie zurück kehrten. Es war zu köstlich.“

Darkness kam näher und sah beide prüfend an.

„Und wie lange bist Du schon hier?“ wollte Draco unsicher wissen.

„Lange genug, um zu sehen, dass Leo nun ein vollwertiger Vampir ist und kein Neugeborener mehr.“ meinte Darkness und sah Leo an. „Eigentlich sollte es erst in ein paar Tagen soweit sein. Jean und ich wollten Euch von hier aus gleich zur Hütte bringen, damit ihre komplette Verwandlung dort statt finden konnte. Dort oben hätte es niemanden gestört. Aber nun ist es zu spät. Naja, Ihr wart ja laut genug.“

„Verdammt.“ murmelte Draco. „Das war nicht meine Absicht.“

„Ich weiß.“ nickte Darkness. „Aber das lässt sich nun mal nicht steuern. Und durch Euren Bluttausch seid ihr nun auf ewig verbunden. Und jetzt ab unter die Dusche mit Euch.“
Leo ließ sich das nicht zweimal sagen. Mit einem Satz sprang sie aus dem Bett, oder was davon noch übrig war und lief ins Bad. Dort stellte sie sich gleich unter die Dusche. Als sie danach in den Spiegel blickte, schrie sie erschrocken auf.

Blitzschnell standen Darkness und Draco neben ihr.

„Was ist passiert?“ wollte Draco wissen.

„Das wüsste ich auch gerne.“ erwiderte Leo und zeigte auf ihr Spiegelbild. Dort war eine junge Frau zu sehen, deren Haar jetzt bis zu den Schultern reichte. Es war lockig und hatte an Fülle zugenommen, so dass es jetzt einer Löwenmähne glich. Die Augen, welche ihnen entgegen blickten, schimmerten golden und das Gesicht war glatt und ebenmäßig und hatte absolut nichts Kindliches mehr. Auch ihr Körper hatte sich verändert, seine Formen waren nun weiblicher geworden.

„Du bist wunderschön.“ hauchte Draco ergriffen und nahm sie in den Arm.

„Ach, war ich das vorher nicht?“ neckte sie ihn.

„Doch.“ beeilte Draco sich zu sagen. „Aber jetzt bist Du anders schön.“

Als sie und Draco geduscht und angezogen waren, folgten sie Darkness zu den Anderen. Alle Augen richteten sich erstaunt und bewundernd auf Leo. Als erstes fasste sich Marie. Sie ging auf Leo zu und umarmte sie herzlich.

„Glückwunsch, Du hast es geschafft. Nun gehörst Du völlig zu uns.“ sagte sie erfreut.

„Danke.“ murmelte Leo. „Aber ist es denn nicht normal, dass man sich völlig verwandelt?“

„Hm, nein, manche schaffen es nicht.“ erwiderte Marie. „Niemand weiß, warum das so ist, aber es gibt immer wieder solche Fälle.“

Auch Jean und Belziel gratulierten Leo herzlich. Als letztes kam Wanja, drückte sie an sich, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und sagte: „Willkommen im Club der richtigen Vampire, kleine Schwägerin.“

„Na, richtiger Vampir? Ich hab da so meine Zweifel.“ lachte Leo und senkte verlegen ihren Kopf.

„Wieso?“ wollte Darkness wissen. „Warum hast Du Zweifel?“

„Erstens.“ antwortete Leo, „ich mag immer noch kein Menschenblut und zweitens“ sie grinste in die Runde, „ich habe Hunger.“

Alle brachen in Gelächter aus, alle, außer Candle und Jo. Die Beiden hatten noch kein Wort dazu gesagt.

Leo sah Jo an. „Willst Du immer noch wissen, was uns von Euch Menschen unterscheidet?“ fragte sie im ganz normalen Ton.

Jo schüttelte den Kopf. „Nicht ich war derjenige, der es unbedingt herausfinden wollte.“ antwortete er. „Es war der Professor und nachher sein neuer Assistent.“

„Aber Dich hat es doch auch interessiert?“ hakte Leo nach.

„Anfangs ja, aber als ich sah, wie die Vampire dafür leiden mussten, nicht mehr.“ entgegnete Jo.

Leo nahm zwei saubere Gläser und stellte sie vor Jo auf den Tisch. Dann griff sie ein Messer, nahm Jo’s Hand und schnitt ihm quer über die Handfläche. Sie hielt seine Hand über eins der Gläser und ließ es halbvoll laufen. Danach leckte sie über die Wunde, die sich so gleich verschloss. Anschließend schnitt sie sich auch die Handfläche auf und ließ das andere Glas halbvoll laufen. Ihre Wunde verschloss sich von alleine.

„Hier.“ sagte sie und schob Jo die Gläser zu. „Jetzt kannst Du erforschen, was an unserem Blut anders ist.“

„Du….Du bist so anders geworden.“ stammelte Candle. „Hast Du uns verziehen?“
„Nein.“ erwiderte Leo. „Ich werde Euch nie verzeihen, was Ihr mir angetan habt.“

Aufmerksam sah sie Candle an. „Hat es Dich geschockt, mich beim Sex zu sehen?“

Als Candle nickte, sagte Leo: „Schön, das freut mich. Hoffentlich war ich auch laut genug.“

„Jede Mutter ist geschockt, wenn sie eins ihrer Kinder beim Sex sieht.“ warf Lumina ein.

„Könnten wir bitte das Thema wechseln?“ meldete sich Lieu zu Wort.

„Ja, natürlich.“ nickte Darkness. „Lasst uns über unsere Heimfahrt reden. Jetzt, da Candle in alles eingewiesen wurde und nun mehr oder weniger das Kommando hier hat, können wir uns auf den Weg machen. Bleibt nur noch die Frage, wie. Wir bekommen ja nicht alle in unser Auto.“

„Wir nehmen meins.“ erklärte Wanja. „Wir könnten Euch mitnehmen, wenn ihr wollt,“ richtete er sich an Draco.

„Allerdings würden Leo und ich nur bis Tanger mitfahren.“ sagte Draco. „Von da aus wollen wir dann alleine weiterfahren, weil Leo ein wenig Urlaub machen möchte. Das heißt, wir werden uns Zeit lassen, die spanische Küste hinauf zu fahren.“

„Ach so, okay.“ nickte Wanja.

„Nimm doch Lumina und Lieu mit.“ schlug Draco vor. „Wir werden mit Jean fahren.“

So wurde es dann beschlossen und die Abreise für den nächsten Tag festgelegt.


In Tanger angekommen, verließen Leo und Draco die Gruppe.

„Lasst Euch nicht zu viel Zeit.“ bat Zerafina beim Abschied.

„Nein, nein, wir werden rechtzeitig da sein.“ versprach Leo und umarmte sie leicht. „Und Du passt auf die Beiden gut auf“ wandte sie sich an Wanja und drohte scherzhaft mit dem Zeigefinger.

Sie sahen ihnen noch nach, bis sie auf der Fähre waren. Als erstes ging Draco mit Leo in ein Autohaus. Zu seiner großen Freude gab es dort einen schwarzen Ferrari, den er gleich kaufte. Anschließend suchten sie sich ein Hotel, denn sie hatten beschlossen, ein paar Tage hier zu bleiben.

Als sie in ihrem Zimmer ankamen, warf Leo sich rücklings auf das Bett.

„Weißt Du eigentlich, dass wir das erste Mal alleine sind, seit wir zusammen sind?“ fragte sie Draco.

„Wieso?“ tat er erstaunt. „Wir hatten doch immer unser Zimmer, wo wir alleine waren. Oder hast Du da jemanden gesehen?“

„Nein, so mein ich das nicht.“ erwiderte Leo und drehte sich auf den Bauch. Sie stütze ihren Kopf in die Hände. „Ich meine damit, niemand ist da, es gibt nur uns zwei.“

„Ich weiß, was Du meinst.“ grinste Draco und legte sich neben sie.

„Ich kann zum ersten Mal gehen, wann und wohin ich will.“ freute sich Leo. „Nein, kannst Du nicht.“ sagte Draco mit unterdrücktem Lachen.

„Was soll das heißen?“ fuhr Leo auf. „Ich bin doch jetzt frei, oder etwa nicht?“

„Nein, bist Du nicht.“ zog Draco sie weiter auf.

„Aber Devon ist nicht mehr und Asmodee ist der neue Got.t“ war Leo verunsichert. „Vor wem sollte ich mich jetzt noch verstecken?“

„Verstecken vor niemandem, aber frei bist Du trotzdem nicht.“ Draco grinste sie an. „Hast Du vergessen, dass Du mir gehörst? Und ich werde Dich nicht gehen lassen.“

„Aber so meinte ich das doch gar nicht.“ startete Leo einen Erklärungsversuch. „Ich will doch nicht gehen, ich meine, weg von Dir, Dich verlassen oder so etwas in der Art.“

Nun konnte Draco das Lachen nicht mehr unterdrücken. Leo warf ihm einen bösen Blick zu. „Musst Du mich immer ärgern?“

„Ja.“ sagte Draco lachend. „Weil dann Deine Augen so schön funkeln und ich liebe das.“ Er wollte sie an sich ziehen.

„Lass da.s“ schmollte Leo.

Draco beugte sich über sie und sah ihr in die Augen. „Nun schmoll doch nicht.“ meinte er. „Ich weiß doch, wie Du es gemeint hast.“

„Pfff“ machte Leo. „Jetzt lass Dir was einfallen, wie Du es wieder gutmachen kannst.“

„Ich wüsste schon wi.e“ grinste Draco frech. „Aber ich denke, wir sollten lieber shoppen gehen. Und heute Abend stürzen wir uns ins Nachtleben. Was hältst Du davon?“

„Dann lass uns gehen. Obwohl die erste Variante mir auch sehr gut gefällt“ erwiderte Leo und sprang auf. „Los, komm, sonst wird das heute nichts mehr.“

Hand in Hand bummelte sie etwas später durch die Stadt. Es war viele Menschen unterwegs aus aller Herrenländer. Leo war fasziniert von den vielen Sprachen, die zu hören waren und von den bunten Farben der Auslagen. Immer wieder blieb sie stehen und sah sich alles an. Sie kauften einige Jeans, Topps und T-Shirts. Außerdem kauften sie noch Schuhe, Strandtücher, zwei Bikinis und Schwimmhosen.

„Und nun ist das Abendkleid dran.“ meinte Draco und ging mit Leo in ein teures Modehaus. Staunend sah Leo sich um, hier gab es alle Formen von eleganten Kleidern. Ihr fiel sie Entscheidung sichtlich schwer, aber Draco steuerte zielsicher auf einen Ständer mit langen Kleidern zu. Dort nahm er ein schwarzes und ein rotgoldenes heraus.

„Hier, probier die mal an.“ Er drückte Leo die Kleider in die Hand und brachte sie zur Umkleidekabine.

Als erstes zog Leo das Schwarze an. Es hatte ein enganliegendes, trägerloses Oberteil und ein leicht schwingendes Unterteil. Als sie es Draco vorführte, pfiff er anerkennend durch die Zähne. Kokett drehte Leo sich vor ihm.

„Und jetzt das Andere.“ bat Draco.

Auch das goldene Kleid hatte ein trägerloses Oberteil und dazu war es noch Rückenfrei. Der Rock war schmal und eng geschnitten und hatte an einer Seite einen Schlitz, der bis zum Oberschenkel reichte. Auch das führte sie Draco vor, der sie nur sprachlos anstarrte.

„Wow.“ stieß er hervor. „Du siehst umwerfend aus. Das Kleid passt hervorragend zu Deinen Augen. Das nehmen wir.“

Allerdings kaufte Draco auch das Schwarze, obwohl beide nicht gerade billig waren.

„Und nun ab zum Frisör.“ sagte Draco. „Ich will heute Abend die schönste Frau an meiner Seite haben.“
„Warum zum Frisör?“ wandte Leo ein. „Gefallen Dir meine Haare nicht so, wie sie sind?“
„Doch, mein Schatz.“ erwiderte Draco und führte sie in einen Frisörsalon. Dort sprach leise er mit einer der Frisörinnen und drückte ihr einen Bündel Geldscheine in die Hand. Sie nickte, lächelte Draco verzückt an, nahm Leo an die Hand und führte sie in einen kleinen Raum. Dort bat sie sie, Platz zu nehmen. Sie klatschte in die Hände und zwei weitere junge Frauen betraten den Raum. Sie unterhielten sich auf französisch und Leo verstand kein Wort. Ihre Haare wurden gewaschen, gekämmt und geföhnt. Während sie die Frisörin sich mit ihren Haaren beschäftigte, begannen die beiden Frauen, Leos Nägel zu behandeln. Sie wurden gefeilt und anschließend lackiert.

Als die Frisörin fertig war, bedeutete sie Leo ihren Kopf nach hinten an die Lehne zu legen und ihre Augen zu schließen. Irgendetwas wurde nun in ihrem Gesicht gemacht. Da Leo noch nie Make-up getragen hatte, wusste sie nicht, was mit ihr gemacht wurde.

„Fertisch.“ sagte die Frisörin im gebrochenen Deutsch und bat Leo, ihr zu folgen.

„Es ist…..es sieht…..wow.“ stammelte Draco überrascht.

„Was ist? Wie seh ich aus?“ wollte Leo und sah sich nach einem Spiegel um, aber es gab hier nirgendwo einen.

„Warte, bis Du es siehst.“ sagte Draco. „Und nun lass uns gehen, wir haben nicht mehr viel Zeit. Ich habe für einundzwanzig Uhr einen Tisch bestellt.“

„Wo willst Du mit mir hin?“ fragte Leo neugierig, als sie neben Draco zurück zum Hotel lief.

„Lass Dich überraschen.“ tat Draco geheimnisvoll.

Im Hotel angekommen, bat Draco sie, sich im Zimmer umzuziehen, wo es auch keinen Spiegel gab. Er verschwand derweil im Bad und kam nach kurzer Zeit wieder heraus. Jetzt trug er einen Smoking und ein weißes Hemd, dessen obere zwei Knöpfe geöffnet waren. Auch Leo hatte sich umgezogen und stand abwartend mitten im Raum.

Draco kam zu ihr, nahm ihre Hände und bat sie, die Augen zu schließen. Dann führte er sie ins Bad, wo es einen von der Decke bis zum Boden reichenden Spiegel gab. Er stellte sie davor und bat, dass Leo ihre Augen noch geschlossen hielt. Sie spürte, wie sich etwas um ihren Hals legt. Als sie danach greifen wollte, hielt Draco sie davon ab. „Noch nicht“ hauchte er ihr ins Ohr. Etwas weiches, leichtes wurde nun um ihre Schulter gelegt und Draco ließ seine Hände auf Leos Schultern ruhen.

„Bereit?“ flüsterte er ihr ins Ohr und hauchte einen leichten Kuss darauf.

Leo nickte, öffnete die Augen und starrte die Frau im Spiegel an. Das konnte unmöglich sie sein. Ihr Haar war kunstvoll hochgesteckt worden und einzelne kleine Locken ringelten sich heraus. Ihr Gesicht war dezent geschminkt, auf ihren Augenlidern glänzte Lidschatten, der die gleiche Farbe wie ihre Augen hatte. Ihre Wimpern waren getuscht worden und umkränzten ihre Augen in einem tiefen Schwarz. Auf ihren Wangen war ein leichtes Rouge aufgetragen worden und ihre Lippen schmückte ein nicht zu auffallender Lippenstift.

Um ihren schlanken Hals lag eine goldene Kette mit roten Steinen und auf ihren Schultern lag ein goldener Seidenschal.

„Es ist……atemberaubend.“ stieß sie hervor. Sie drehte sich zu Draco. „Aber Du siehst auch toll aus. Ich würde mich, wenn ich es nicht schon wäre, glatt in Dich verlieben.“

Sie hob ihre Arme, legte sie um seinen Hals und küsste ihn.

„Danke.“ murmelte sie an seinem Mund. „Danke für alles und vor allem, dass es Dich gibt.“

„Und ich danke Dir dafür, dass Du mich liebs.t“ gab Draco zurück und gab den Kuss zurück. „Aber nun lass uns gehen, unser Taxi wartet.“

Als sie die Hotelhalle durchschritten, bemerkte Draco die bewundernden Blicke der Männer, die sie Leo hinterher warfen und er spürte ihren Neid, dass sie nicht an ihrer Seite sein konnten. Die anwesenden Frauen hingegen blickten eher neidisch.

Als sie im Taxi saßen, gab Draco dem Fahrer die Adresse auf französisch an.

„Verdammt, ich muss unbedingt ein paar Fremdsprachen lernen.“ murmelte Leo.

„Dafür hast Du jetzt alle Zeit der Welt.“ erwiderte Draco. „Und bis dahin hast Du ja mich.“
„Wie viele Sprachen sprichst Du eigentlich?“ wollte Leo wissen.

„Einige.“ antwortete Draco. „Alle europäische und einige asiatische. Und ein paar afrikanische.“

„Dann kannst Du mir ja Unterricht geben.“ beschloss Leo.

Sie hatten die Stadt verlassen und fuhren nun die Küstenstrasse entlang, bis sie an ein großes Haus kamen, dass direkt oberhalb einer Steilküste lag. Draco half Leo beim Aussteigen und führte sie zum Eingang, nachdem er den Fahrer bezahlt hatte.

Draco nannte am Eingang seinen Namen und sie wurden zu ihrem Tisch geführt, der sich auf der Terrasse befand, direkt an der Balustrade. Von hier hatte man einen wundervollen Blick direkt auf das Meer.

„Hier ist es wunderschön.“ flüsterte Leo. „Wo sind wir?“

„In einem Restaurant mit angeschlossenem Club.“ erwiderte Draco. „Wenn Du möchtest, können wir nach dem Essen ein wenig tanzen.“

„Ich kann nicht tanzen.“ sagte Leo und lächelte Draco entschuldigend an.

Eine Kellnerin kam und brachte ihnen die Speisekarten. Leo merkte sofort, dass es sich dabei um einen Vampir handelte. Als sie sich wieder entfernt hatte, beugte sie sich zu Draco: „Ist das hier so etwas wie bei Darkness?“

„Hm, ja.“ gab Draco zögernd zu. „Stört es Dich? Falls ja, gehen wir gleich wieder.“
„Nein, nein, ist schon in Ordnung.“ beruhigte Leo ihn und sah in die Karte.

Als sie bestellt hatten, stand Leo auf und stellte sich an das Geländer und sah auf das Meer hinaus. In der Ferne fuhren einige Schiffe vorbei.

Der Besitzer des Restaurants kam heraus und ging mit ausgestreckten Händen freudestrahlend auf Draco zu.

„Ah, Draco, schön, Dich hier mal wieder zu sehen.“ begrüßte er ihn und umarmte ihn. „Ich habe gehört, Du bist in Begleitung einer sehr schönen Frau. Stellst Du mich ihr vor?“

„Das mach ich gerne, Amos, aber ich warne Dich, lass die Finger von ihr. Sie ist meine Frau.“ antwortete Draco warnend.

Leo, die gehört hatte, dass Draco mit jemandem sprach, drehte sich um und kam zum Tisch zurück.

„Amos, meine Frau Leo.“ stellte Draco vor. „Und das ist Amos, der Besitzer dieses Ladens.“

„Das….das ist…..Deine Frau?“ stotterte Amos erschrocken und trat ein paar Schritte zurück. „Sie? Sie ist wirklich Deine Frau?“

„Ja.“ entgegnete Draco verwirrt. „Wieso? Was ist denn?“

„Ihr wisst es nicht.“ stellte Amos leise fest. „Na, ich werde nicht derjenige sein, der es Euch erklärt, das können andere machen.“

„Du sprichst in Rätseln, mein Freund.“ meinte Draco. „Jetzt sag schon, was los ist.“
Amos hob abwehrend die Hände und schüttelte den Kopf. „Nein, nein, ich werde es nicht sagen. Und nun setzt Euch und lasst es Euch schmecken“ fügte er freundlich hinzu. „Was darf ich Euch zu trinken bringen lassen? Jedem ein großes Glas frisches warmes Blut?“

„Für mich nicht, danke.“ wehrte Leo ab. „Mir wäre, ehrlich gesagt, ein Kaffee lieber.“

„Ich nehme gerne eins.“ sagte Draco. „Ich hoffe nur, dafür muss niemand sterben.“
„Wo denkst Du hin?“ entrüstete sich Amos. „Wir haben einige sehr großzügige Spender.“

Amos nickte den Beiden freundlich lächelnd zu und ging zurück ins Haus.

Nach dem Essen gingen sie hinein. Alle Blicke waren auf sie gerichtet, als Draco Leo zur Bar führte. Leo sah sich neugierig um. Hier sah es anders aus als bei Darkness, aber die Menschen verhielten sich genauso. Sie ließen sich beißen und boten dafür ihre Körper an. Aus den Lautsprechern kam leise Musik, wozu einige auf der Tanzfläche tanzten.

„Möchtest Du?“ fragte Draco und deutete auf die Fläche.

Leo schüttelte den Kopf. „Nein, danke, vielleicht später.“

Sie beobachtete die Leute. Eine Frau ließ sich gleich von zwei Vampiren beißen und verschwand dann mit Beiden durch eine Tür. Eine Andere war anscheinend masochistisch veranlagt, denn sie ließ sich in die Brüste beißen und warf dabei ihren Kopf nach hinten und spreizte ihre Beine.

Leo entdeckte einen Mann, der bestimmt schon siebzig Jahre alt war. Trotz seines Alters ließ er sich von drei Vampirinnen verwöhnen, wovon zwei an seinem Hals saugten und die dritte zwischen seinen Beinen kniete und sich um sein bestes Stück kümmerte.

„Warum prostituieren sich die Menschen eigentlich so?“ wollte Leo von Draco wissen.

„Weil es bei ihnen sehr starke sexuelle Gefühle auslöst, wenn wir ihr Blut trinken. Für sie wird es dann zur Sucht. Sie können auf andere Weise keine Befriedigung mehr finden.“ erklärte Draco.

„Was es auslöst, wenn ich Dein Blut trinke, weiß ich ja.“ grinste Leo. „Aber dass es den Menschen so viel Spaß macht, hätte ich nicht gedacht.“

„Du kannst es ja mal versuchen. Such Dir einen netten jungen Mann und probier es.“ schlug Draco vor.

„Was? Nein“ erwiderte Leo empört. „Schon die Vorstellung daran, dass mich ein anderer berühren würde, verursacht mir Übelkeit. Ich würde nie jemand anderen als Dir erlauben, sein….sein Ding in mich zu stecken.“

Draco lachte leise. „So, so, Ding nennst Du ihn also.“

„Ach, Du weißt, wie es meine.“ gab Leo leicht verärgert zurück. „Können wir jetzt gehen? Ich habe Kopfweh.“

Draco wusste gleich, dass es gelogen war, Vampire bekamen kein Kopfweh, aber er sagte nichts, zahlte und ließ ein Taxi rufen.

Als Leo später im Hotel aus dem Bad kam, fragte er: „Geht es Deinem Kopf jetzt besser?“

„Nein.“ erwiderte Leo, legte sich ins Bett und wickelte sich in die Decke.

Draco ging ebenfalls ins Bad und legte sich dann zu Leo. Sie hatte ihm den Rücken zugewandt und als er sie ihn den Arm nehmen wollte, wehrte sie ihn ab.

Am nächsten Morgen war Leo schon aufgestanden, als Draco aufwachte. Sie stand fertig angezogen am Fenster und sah hinaus.

„Gut geschlafen?“ fragte Draco leise, als er hinter sie trat.

„Nein.“ erwiderte Leo knapp, ohne sich zu ihm umzudrehen.

„Geht es Deinem Kopf besser?“ wollte er wissen.

„Immer noch nicht.“ antwortete Leo. „Ich glaub, das liegt daran, dass es hier in dieser Stadt so laut ist.“

Draco spürte, dass Leo nicht die Wahrheit sagte, denn Vampire bekamen nie Kopfweh und dass es zu laut für Leo war, konnte er auch nicht glauben. Es musste etwas anderes sein, was sie bedrückte, aber er wollte nicht in sie dringen.

„Gut, dann fahren wir weiter, wenn Du möchtest.“ sagte Draco.

Leo wandte sich vom Fenster ab, sah Draco kurz an und meinte: „Ich geh packen.“

„Okay, dann erkundige ich mich nach einem Platz auf der Fähre.“ entgegnete Draco. Sie hatten Glück, am Abend war noch ein Platz frei.

Während der ganzen Überfahrt sprach Leo kaum ein Wort. Als sie in Gibraltar ankamen, fuhr Draco gleich weiter Richtung Spanien. Leo saß still neben ihm und starrte aus dem Fenster. Als Draco seine Hand auf ihren Oberschenkel legte, schob sie diese wortlos fort. Nun hatte Draco genug und er wollte endlich wissen, was mit ihr los war. Er verließ die Autobahn und nahm eine Straße, die in die Berge führte.

Erst als sie anhielten, sah Leo sich um. Draco war derweil ausgestiegen und ging einige Schritte vom Auto weg. Dort tat er etwas, was seit langer Zeit nicht mehr gemacht hatte – er zündete sich eine Zigarette an. Auch Leo stieg nun aus und sah sich um. Sie standen auf einem Plateau, welches steil zum Meer hinab fiel. Von hieraus hatte man einen wundervollen Blick auf das Mittelmeer, welches blau in der Sonne glitzerte. Dagegen zeigte der Blick ins Land, dass es hier nichts gab außer staubtrockener einsamer Landschaft.

„Was wollen wir hier?“ fragte Leo erstaunt.

Draco trat seine Zigarette aus und kam auf Leo zu. Als er direkt vor ihr stand, sah er sie fest an.

„Was wir hier wollen? Ich will endlich wissen, was mit Dir los ist. Ich merke seit Tagen, dass Dich etwas bedrückt.“ sagte er leicht wütend. „Und komm mir nicht wieder mit Kopfweh, dass können Vampire nämlich gar nicht bekommen.“
„Was mit mir los ist?“ fuhr Leo auf. „Mein ganzes Leben habe ich immer gesagt bekommen, was ich zu tun oder zu lassen hatte. Erst bei Dir konnte ich mitbestimmen, was gemacht wurde. Obwohl es im letzten Jahr auch nicht so ganz der Fall war. Und jetzt, da endlich alles vorbei ist, dachte ich, niemand würde mir sagen, was ich tun soll. Aber dann hast Du mir in dem Club diesen ungeheueren Vorschlag gemacht und ich war bitter enttäuscht von Dir. Ich hätte nie gedacht, dass Du so etwas in Erwägung ziehen würdest. Wenn Du mich leid bist und es vermisst, mit Menschen rumzumachen, dann sag es einfach und ich gehe.“

„Was?“ fuhr Draco verwirrt auf. „Du glaubst ernsthaft, dass ich es vermisse, mit Menschenfrauen ins Bett zu gehen? Diese verrückte Idee geistert Dir also die ganze Zeit im Kopf herum?“

„J…ja“ gab Leo zu. „Ich dachte, deshalb hättest Du mir vorgeschlagen, einen jungen Mann zu suchen, damit Du kein schlechtes Gewissen haben müsstest.“

„Es stimmt, ich brauche ihr Blut.“ sagte Draco und kam langsam auf Leo zu, die zurück wich vor dem Ausdruck in seinen Augen. „Aber es ist nur ihr Blut, was ich begehre. Ihre Körper lassen mich kalt, seit ich Dich habe.“
Leo spürte die Motorhaube in ihrem Rücken und wollte ausweichen, aber Draco hob sie kurzerhand hoch und setzte sie auf die Haube. Er drückte ihre Beine auseinander und stellte sich dazwischen. Dann zog er Leo ganz dicht an sich heran, bis sich ihre Unterleiber berührten. Er nahm ihren Kopf zwischen seine Hände und sah ihr tief in die Augen. „Das möchte ich“ murmelte er und küsste sie hart und fordernd. „Und nicht mich beim Sex zurückhalten, aus Angst, ich könnte die Frau verletzten oder gar töten. Und was ich Dir vorschlug, war als Scherz gemeint. Glaubst Du ernsthaft, ich hätte still dagesessen und zugesehen, wie Dich ein anderer berührt? Oder Du mit ihm vielleicht in eines der Hinterzimmer verschwindest? Ich wäre vor Eifersucht rasend geworden.“

„Warum hast Du nicht eher was gesagt, sondern mir meine Ausrede mit dem Kopfweh abgenommen?“ wollte Leo wissen.

„Weil ich wollte, dass Du mir von selber sagtest, was Dich bedrückt.“ erwiderte Draco. „Aber darauf hätte ich bestimmt noch hundert Jahre warten können.“

„Bist Du noch sauer auf mich?“ fragte Leo leise.

„Nein, ich bin und war nicht sauer auf Dich.“ antwortete Draco. „Ich war nur sauer, weil Du die ganze Zeit kein Wort geredet hast.“

Leo sah sich um. „Es ist schön hier. Und so einsam.“

Sie legte ihre Arme um Dracos Hals und sah ihm in die Augen. Draco erwiderte ihren Blick und er sah das Funkeln in ihren goldenen Augen. Langsam beugte er sich zu ihr und küsste sie sanft.

Leo rutschte langsam von der Motorhaube ohne ihre Arme von seinem Hals zu lösen. Als sie auf dem Boden stand, nahm sie ihre Arme runter und griff nach Dracos Hand. Sie zog ihn ein paar Schritte mit sich und ließ sich am Rand der Klippe nieder.

„Ich hätte nie geglaubt, dass das Meer so blau ist.“ sagte sie. „Können wir noch ein wenig hier bleiben?“

„Alles, was Du wünscht.“ gab Draco zurück.

„Alles, was ich wünsche.“ nickte Leo. „Okay, ich wünsche mir ein sieben Gänge Menu, welches Du mir nackt serviers.t“ lachte sie.

„Hm.“ machte Draco. „Das mit dem Nacktsein wäre kein Problem, nur das Menu wird schwierig.“

„Schade.“ seufzte Leo. „Dabei hab ich so einen großen Hunger.“

„Dann lass uns fahren.“ erwiderte Draco.

„Nein, das mit dem Hunger war ein Scherz.“ sagte Leo schnell. „Ich würde lieber noch hier sitzen bleiben, hier ist es so schön still.“

Schweigend saßen sie eine ganze Zeit nebeneinander und schauten auf das Meer hinaus. Erst als die Sonne sich hinter ihnen blutrot färbte, drehte sich Leo zu Draco.

„Danke.“ murmelte sie. „Danke dass Du mir meine Bitte erfüllt hast.“

Draco stand auf und zog sie hoch.

„Hör auf, Dich ständig zu bedanken.“ sagte er. „Oder Dich zu entschuldigen. Sag einfach, was Du gerne möchtest und wir machen es. Und anders herum ist es das Gleiche. Sollten wir mal nicht einer Meinung sein, finden wir schon eine Lösung. Aber bitte, schweige nie wieder so lange. Wenn Dir etwas nicht passt, dann sage es frei heraus.“

„Und wenn ich Dich damit verletze?“ wollte Leo wissen.

„Dann ist das halt so.“ erwiderte Draco schulterzuckend. „Nur durch offenes Reden können Probleme gelöst werden, nicht durch schweigen.

Sie gingen zum Auto und stiegen ein. Draco startete und wendete. Sehnsuchtsvoll blickte Leo noch mal auf das Meer.

„Hm, wir haben keine Bleibe für diese Nacht.“ meinte Draco, als sie auf der Straße Richtung Küste waren.

„Schön.“ kam es schlaftrunken von Leo.

Draco sah sie lächelnd an und fuhr langsam weiter die Küstenstraße entlang. Irgendwann erreichten sie ein kleines Fischerdorf, in welchem es nur ein kleines Hotel gab. Sie hatten Glück, es gab noch genügend freie Zimmer.

Sie blieben ein paar Tage in dem Dorf, dann fuhren sie weiter Richtung Norden. Überall, wo es ihnen gefiel, machten sie ein paar Tage Halt. Leo lernte die Städte wie Malaga und Valencia kennen. In den Orten, wo es viele Touristen gab, suchte sich Draco meistens eine allein stehende Frau, um sein Bedürfnis nach Blut zu stillen. Leo saß währenddessen entweder am Strand oder in einem der vielen Straßencafes. Sie vertraute Draco voll und ganz, dass er nicht mehr als nur das Blut dieser Frauen nahm.

„Sollen wir uns eine Yacht mieten und einige Tage auf das Meer hinaus fahren?“ fragte Draco, als sie in Barcelona Station machten.

„Hm, ja, das wäre schön.“ seufzte Leo und sah auf das Meer hinaus. „Nur wir zwei und um uns herum nur Wasser.“

„Gleich morgen früh suchen wir uns einen Vermiete.r“ sagte Draco.

„Und Du Dir heute Nacht zwei Spenderinnen.“ fügte Leo verheißungsvoll lächelnd hinzu.

„Gleich zwei?“ grinste Draco. „Was hast Du vor?“

„Lass Dich überraschen.“ tat Leo geheimnisvoll und küsste ihn auf die Wange.

„Ich kann ja auch eine Frau entführen. Die schließen wir dann unter Bord ein und ich kann dann immer trinken, wenn ich möchte.“ schlug Draco lachend vor.

„Ähm, nein, lieber nicht.“ schüttelte Leo den Kopf.

Am nächsten Morgen gingen sie zum Hafen und hatten Glück, sie bekamen eine große, hochseetaugliche Yacht. Der Makler gab ihnen eine Seekarte und erklärte ihnen, wo die Schifffahrtslinien verliefen.

„Kannst Du eigentlich damit umgehen?“ erkundigte sich Leo ängstlich, als Draco die Yacht vorsichtig aus dem Hafen manövrierte.

„Ja, kann ich. Mehr als untergehen können wir nicht.“ grinste er sie an.

Als die Küste außer sichtweite war und um sie herum nur das blaue Meer, bat Leo ihn, zu stoppen. Sie hatte sich zwischenzeitlich sämtlicher Kleidung entledigt und lag nun nackt in einem Liegestuhl an Deck.

„Vergiss es, Du wirst nicht braun.“ lachte Draco, als er sich zu ihr gesellte.

„Das will ich auch gar nicht.“ erwiderte Leo und wandte sich ihm zu. Ihre Augen leuchteten rot-golden und als sie lächelte, sah Draco ihre kleinen, spitzen Reißzähne. „Ich will nicht braun werden, ich will Dich.“

Sie stand aus ihrem Liegestuhl auf und ging zu Draco. Sie griff nach seinen Händen und zog ihn hoch. Als er vor ihr stand, griff sie nach dem Verschluss seiner Jeans und öffnete ihn. Langsam ging sie in die Knie, seine Jeans dabei abstreifend. Ihre Lippen schlossen sich um sein bestes Stück und Draco stöhnte auf. Er griff mit beiden Händen in ihr Haar. „Das gibt Rache.“ stöhnte er. Leo warf ihm von unten einen Blick zu, der besagte, dass sie sich darauf freute.

Als sie sich wieder aufrichtete, umschlang Draco sie und küsste sie fordernd. Leo hatte ihre Arme um seinen Hals geschlungen und flüsterte, als er ihren Mund wieder freigab: „Ich möchte von Dir trinken.“

„Jetzt nicht.“ erwiderte Draco, hob sie hoch und setzte sie auf einen Vorsprung. Er spreizte ihre Beine und ließ nun seine Zunge Rache nehmen.

„So, Du Biest.“ sagte er später, als er in sie eindrang. „Nun darfst Du Dir einen kleinen Schluck genehmigen.“

Er neigte seinen Hals so, dass Leo gut an seine Schlagader heran kam. Draco gewährte ihr wirklich nur einen kleinen Schluck, dann entzog er ihr seinen Hals. Leo verlangte es nach mehr. „Später.“ versprach Draco, während er sie auf dem Vorsprung nahm. „Wir haben eine ganze Woche Zeit.“

Sie blieben die ganze Zeit an der gleichen Stelle liegen. Draco gewährte ihr wirklich täglich nur einen kleinen Schluck seines Blutes. Sie kosteten ihr Alleinsein und die Tatsache, dass sie niemand hören konnte, voll aus. Meistens ergriff Leo die Initiative.

„Du bist ja wie ausgehungert.“ meinte Draco, als Leo ihre Hand zwischen seine Schenkel schob.

„Ich habe unsere wilde Hemmungslosigkeit vermisst.“ gab Leo zu. „Nicht, dass der Sex in den Hotels schlecht war, aber er war halt sanft und leise.“

Es war der letzte Tag auf See. Draco sah Leo an und lachte leise.

„So, so, Du magst es also lieber wild statt sanft und zärtlich.“

Leo nickte verlegen. Draco setzte sich auf und zog Leo auf seinen Schoss, ihre Beine um seine Hüften legend. In sie eindringend, flüsterte er heiß: „Lass uns diesen Tag besonders genießen.“ Er schob ihr Haar nach hinten und biss ihr in die Ader, gleichzeitig drückte er ihren Mund auf seinen Hals, damit auch sie trinken konnte.


24. Kapitel


Als sie die Yacht zurück gaben, war der Vermieter erstaunt über den niedrigen Benzinverbrauch. Er sah Beide an und grinste.

„Na, sehr weit seid Ihr ja nicht gekommen.“ meinte er. „Aber so etwas in der Art habe ich mir schon gedacht, als Ihr an Bord gegangen seid.“

Als Draco und Leo ihn verwirrt ansahen, grinste er noch breiter.

„Ihr müsste wissen.“ sagte er und sah sich um, „ich gehöre zur Spezies der Werwölfe und ich weiß, wer Ihr seid. Aber keine Angst, wird sind schon seit Jahrhunderten keine Feinde mehr.“

„Ich weiß.“ nickte Draco. „Es ist nur so, ich habe noch nie jemanden wie Dich kennen gelernt. Und woher wusstest Du, dass wir nicht weit fahren würden?“

„Ich konnte es an ihr riechen.“ er deutete mit dem Kopf auf Leo. „So ist es auch, wenn meine Frau ihre Hitze hat, zweimal im Jahr. Nur bei uns ist es dann so, dass unsere Frauen bereit sind, zu empfangen. Auch wir fahren dann immer auf das Meer hinaus, um uns zu paaren, was wir nur in unserer anderen Gestalt tun.“

„Andere Gestalt?“ fragte Leo verwirrt. „Was bedeutet das?“

„Ich könnte es Dir ja zeigen, aber dann bräche hier wohl Panik aus.“ grinste der Werwolf.

„Das glaube ich auch.“ stimmte Draco zu. „Meine Frau ist noch sehr jung, sie kennt sich noch nicht mit allem aus.“

„Ich weiß, wer sie ist, wir alle wissen es.“ sagte der Werwolf und lächelte Leo zu.

„Nur seine Frau, sonst nichts.“ erwiderte Leo und lehnte sich an Draco.

Als Draco bezahlen wollte, lehnte der Werwolf ab. „Lass mal, nehmt es als Geschenk.“

Draco und Leo fuhren zurück ins Hotel, dort wollte Leo wissen, was Werwölfe seien. Draco erklärte ihr, dass diese Spezies wie normale Menschen aussehen würde, aber die Gestalt eines Wolfes annehmen könnten. Vor einigen Jahrhunderten waren sie und die Vampire verfeindet, die Wölfe machten Jagd auf die Vampire und töteten sie. Aber seit Darkness auf der Erde war, war das vorbei. Sie hatte es irgendwie geschafft, dass es zwar keinen Frieden, aber so eine Art Waffenstillstand zwischen ihnen bestand.

„Gibt es noch andere, hm, Wesen? Oder sind wir und die Wölfe die Einzigen?“ fragte Leo.

„Nun, soviel ich weiß, gibt es noch Hexen, Magier und Dämonen, aber bisher habe ich noch keinen gesehen.“ antwortete Draco. „Bei unserer Rückkehr können wir ja Darkness danach fragen.“


Langsam fuhren sie Richtung Norden, immer dort Station machen, wo es ihnen gefiel. Je näher sie sich allerdings der französischen Grenze näherten, desto stiller wurde Leo.

„Was ist los?“ wollte Draco wissen.

„Ach,“ seufzte Leo. „ich bin ein wenig traurig, dass unsere Zeit zu zweit schon bald um ist. Aber ich weiß ja, dass wir versprochen haben, rechtzeitig zurück zu sein.“

„Lass Zerafina erst mal ihr Kind bekommen, dann überlegen wir uns, was wir in Zukunft machen werden.“ versprach Draco. „Wir suchen uns ein eigenes Zuhause, wenn Du nicht mehr bei Darkness wohnen möchtest. Oder wir reisen um die ganze Welt und behalten unser Zimmer bei ihr.“

„Wir hätten ja ein Zuhause.“ erwiderte Leo. „Wir könnten doch in mein Schloss ziehen.“

„Hm, ja, dass wäre eine gute Möglichkeit.“ grinste Draco. „Nur Du und ich in über zwanzig Zimmern, da hätten wir viel Platz und niemand würde uns stören.“

Leo lehnte ihren Kopf an das Fenster und sah hinaus. In ihrem Kopf entstanden Bilder, wie sie und Draco sich in dem großen, leeren Schloss liebten, wann immer sie wollten.

Draco legte ihr seine Hand auf das Knie, Leo trug heute einen Minirock, sah kurz zu ihr herüber und grinste.

„Ich weiß, an was Du jetzt denkst.“ sagte er und schob seine Hand höher. „Du vergisst immer, dass ich Deine Gedanken lesen kann, also hör bitte auf, daran zu denken, sonst….“
„Ja? Was sonst?“ fragte Leo verführerisch und spreizte leicht ihre Beine. Sie drehte die Lehne ihres Sitzes etwas weiter nach hinten. Draco warf einen kurzen Blick zu ihr hinüber. Leo hatte die Augen geschlossen. Er verstärkte den Druck auf ihren Schenkel und ließ sie einschlafen. Diese Fähigkeit von ihm wirkte bei ihr immer noch.

„Tut mir leid, mein Schatz, aber wir haben es eilig.“ murmelte er. Was Leo nicht wusste, Wanja hatte mit ihm Verbindung aufgenommen und gebeten, dass sie so schnell als möglich zurückkämen, denn das Kind würde nicht mehr lange auf sich warten lassen. Draco und Wanja benötigten zur Kommunikation nicht unbedingt ein Handy, sie konnten sich per Telepathie unterhalten.

Mitten in der Nacht erreichten sie Darkness Schloss. Wie immer war der Parkplatz davor gut gefüllt und zwei Vampire in Dieneruniform standen am Eingang. Draco fuhr allerdings um das Schloss herum und parkte auf dem hinteren, privaten Parkplatz.

„Aufwachen, mein Schatz, wir sind da.“ weckte er Leo.

„Schon?“ murmelte diese verschlafen und enttäuscht. „Wie lange habe ich denn geschlafen?“

„Hm, sehr lange.“ grinste Draco.

Leo starrte ihn an. „Du…..Du hast mich einschlafen lassen?“ fragte sie erbost.

„Ja, habe ich, entschuldige bitte, aber es musste sein.“ gab er zerknirscht zu. „Wanja hat mich gebeten, so schnell als möglich herzukommen.“

„Du hast mit ihm telefoniert?“ wollte Leo wissen. „Wann?“
„Nein, wir haben anders miteinander kommuniziert, so wie wir es schon seit Jahren machen.“ erwiderte Draco.

Sie betraten den Korridor, welcher zu den Privaträumen führte, wo ihnen eine aufgelöste Lumina entgegen kam.

„Gut, dass Ihr da seid.“ sagte sie erleichtert.

„Wieso? Was ist denn los?“ fragte Leo.

„Zerafina. Sie bekommt ihr Kind, aber irgendetwas stimmt da nicht.“ antwortete Lumina und zog Leo mit. „Sie hat große Schmerzen und wir wissen nicht, wie wir ihr helfen können. Wir bräuchten Asmodee hier, aber niemand von uns kann ihn herrufen, außer Dir, Leo.“

Sie waren mittlerweile an einem der Schlafräume angekommen und nach kurzem Anklopfen betraten sie den Raum. Auf dem Bett lag Zerafina mit schmerzverzerrtem Gesicht und war schweißgebadet. Daneben stand Wanja mit hilflosem Gesichtsausdruck und hielt ihre Hand. Auf der anderen Seite des Bettes stand Marie, redete beruhigend auf Zerafina ein und wischte ihr immer wieder den Schweiß von der Stirn.

Darkness stand am Fußende und sah auch ziemlich ratlos aus.

„Endlich seid ihr da.“ sagte sie erleichtert, als sie Leo mit Draco und Lumina bemerkte. „Bitte, ruf so schnell Du kannst Asmodee, Leo.“ bat sie.

Leo schloss die Augen und sagte in Gedanken: ‚Asmodee, wir brauchen Dich. Komm schnell her, bitte.’
Kaum hatte sie die Worte zu Ende gedacht, stand Asmodee schon im Raum. Er war bis auf eine schwarze Hose nackt und trug seine Flügel.

„Hier bin ich.“ sagte er und erfasste mit einem Blick die Situation.

In diesem Moment wurde Zerafina von einer Wehe überrollt. Sie schrie vor Schmerz auf und krallte sich in Wanjas Hand.

„Wie lange geht das schon?“ wollte Asmodee wissen.

„Seit heute morgen.“ antwortete Darkness. „Ihre Wehen sind heftig und sehr schmerzhaft, wie es scheint. Zerafina scheint dadurch immer schwächer zu werden, sie hat kaum noch Kraft zum Pressen.“

„Ich seh schon.“ nickte Asmodee und trat näher an das Bett. Er legte eine Hand auf Zerafinas Stirn und sah dann Wanja an. „Wie voll bist Du?“ wollte er von ihm wissen.

„Das letzte Mal habe ich vorgestern getrunken.“ erwiderte Wanja. „Also nicht sehr voll.“

„Hm, okay.“ meinte Asmodee. „Das ist nicht so gut.“

Er wandte sich an Darkness. „Ist irgendjemand da, der neu bei Euch ist?“

„Ja, Jean hat mir mitteilen lassen, dass heute Jemand Neues hergekommen ist. Soviel ich weiß, ist sie unten an der Bar und schaut sich um. Noch ist sie unberührt.“ erklärte Darkness.

„Das ist gu.t“ sagte Asmodee. „Geh bitte hinunter und veranlasse, dass man sie in das Labyrinth bringt. Du, Wanja, gehst ebenfalls ins Labyrinth und jagst sie ein bisschen. Aber nicht zu lange, nur bis sie genügend Adrenalin entwickelt hat. Sobald Du von ihr getrunken hast, kommst Du wieder her. Und trink ruhig ein wenig mehr als sonst, Du wirst es brauchen. Und dann möchte ich, dass alle, außer Leo und Marie, den Raum verlassen.“

Darkness hatte während Asmodees Worten schon den Raum verlassen und Wanja folgte ihr nun. Draco nahm Luminas Arm, sah Leo lächelnd an und verließ ebenfalls den Raum.

„So.“ sagte Asmodee, als sie alleine waren und sah sich suchend im Zimmer um. Sein Blick fiel auf eine Kommode. „Als erstes sollten wir Zerafina dort drauf legen, das ist besser als dieses Bett. Aber dafür müsste die Kommode frei im Raum stehen. Meint Ihr, Ihr zwei schafft das?“

Marie und Leo nickten und machten sich ans Werk. Asmodee blieb derweil bei Zerafina und hatte seine Hand auf ihrer Stirn, während er die andere Hand auf ihren Bauch gelegt hatte.

Als Marie und Leo die Kommode weit genug von der Wand geschoben hatten, hieß Asmodee ihnen, ein sauberes Laken darüber zu legen, dann hob er Zerafina hoch, als ob sie nicht wiegen würde und legte sie darauf.

Wanja kam zurück und ging gleich wieder zu Zerafina.

„Wann hast Du sie das letzte Mal trinken lassen?“ wollte Asmodee wissen.

„Heute morgen.“ erwiderte Wanja.

„Danach nicht mehr? Hm, das ist schlecht.“ meinte Asmodee. „Das Kind in ihr braucht jetzt viel Blut, es trinkt von ihr, deshalb wird sie immer schwächer und ihre Schmerzen heftiger. Also lass sie jetzt trinken, zwing sie notfalls dazu.“

Wanja biss sich in sein Handgelenk und presste es auf Zerafinas Mund.

„Und ihr zwei.“ wandte sie Asmodee nun an Marie und Leo, „nehmt jeweils eins ihrer Beine, legt es Euch angewinkelt auf die Schulter und spreizt sie, soweit es geht.“

Als die beiden Frauen seinen Worten gefolgt waren, stellte sich Asmodee zwischen Zerafinas Beine und entfaltete seine Flügel, so dass jegliche Sicht, auf das was er tat, genommen war. So konnte niemand sehen, dass aus den Fingernägeln seiner rechten Hand lange, spitze Krallen wurden.

Als die nächste Wehe kam und Zerafina wieder aufschrie, forderte Asmodee Wanja auf, sein Handgelenk auf ihren Mund zu pressen und sie zum Trinken zu zwingen. Währenddessen fuhr er mit seiner rechten Hand in Zerafina hinein und zerstörte mit seinen Krallen die Hülle, die das Kind schützend umgab. Er wies Marie und Leo an, Zerafinas Oberschenkel gegen ihren Bauch zu drücken, so fest sie konnten.

„Gleich ist es geschafft.“ murmelte Asmodee beruhigend zu Zerafina. „Wenn die nächste Wehe kommt, presst Du, so fest Du kannst. Nimm jetzt noch einen ordentlichen Schluck Blut, den wirst Du brauchen.“

Kaum hatte Zerafina dreimal geschluckt, überfiel sie wieder eine heftige Wehe. Sie löste ihren Mund von Wanjas Handgelenk, richtete ihren Oberkörper halb auf und beugte ihn soweit sie konnte nach vorn. Asmodee ergriff ihre Oberschenkel und drückte sie heftig gegen ihren Leib.

„Dein Handgelenk, sie darf nicht schreien.“ ordnete Asmodee an.

Mit einem Schwall aus Fruchtwasser und Blut schlüpfte das Kind heraus und wurde von Asmodee aufgefangen. Zerafina sank erschöpft nach hinten und ihre Augen suchten das Kind auf Asmodees Arm, welches nun heftig zu Schreien begann.

„So, Daddy, Dein Sohn ist hungrig.“ grinste Asmodee in Wanjas Richtung. „Hast Du noch etwas für ihn übrig?“

Mit tränenfeuchten Augen nickte Wanja und nahm den Kleinen auf den Arm.

„Der Mami geht es auch gleich besser.“ sagte Asmodee und wandte sich noch mal Zerafina zu. Ihr Gesicht, welches vor wenigen Minuten noch so weiß wie das Laken war, hatte nun wieder Farbe bekommen.

Als Zerafina wieder im Bett lag, ihren Sohn im Arm, meinte Asmodee, dass man jetzt die Anderen wieder herholen könne, was Marie gerne übernahm.

„Und bringt Zerafina etwas zum Essen.“ bat Asmodee.

Lumina und Lieu waren die Ersten, die den Raum betraten. Vorsichtig näherten sie sich dem Bett.

„Unser erster Enkel.“ flüsterte Lumina ergriffen und nahm Lieus Hand. In ihren Augen schimmerten Tränen.

Leo hielt sich abseits. Als Draco erschien und den Beiden gratuliert hatte, stellte er sich neben sie und legte seinen Arm um ihre Schulter. Leo lehnte ihren Kopf an und sah zu ihm hoch. „Du hast getrunken?“ flüsterte sie ihm fragend zu.

„Ja.“ gab er leise zurück. „Ich habe es für Dich getan. Ich hoffe doch, dass Du es brauchst.“

„Lass uns gehen.“ bat Leo leise.

Asmodee, der ebenfalls abseits stand, sah aus den Augenwinkeln, wie Leo und Draco den Raum verließen.

„Wie soll Euer Sohn denn heißen?“ wollte Marie wissen, die in der Zwischenzeit zurückgekehrt war.

„Leon Maurice Asmodee.“ erwiderte Zerafina schnell und sah zu Wanja, der ihr liebevoll zulächelte.

Auch Darkness und Jean waren eingetroffen und im allgemeinen Rummel entfernte sich Asmodee ungesehen.


Leo hatte geduscht und stand mit Draco, der sie im Arm hielt, am Fenster. Sie sahen einfach nur hinaus in die Dunkelheit. Es klopfte kurz und Asmodee trat herein. Er hatte seine Flügel wieder eingefahren und trug nun ein schwarzes T-Shirt.

„Mutter und Kind sind wohlauf.“ sagte er und sah die Beiden an. „Die Familie ist jetzt bei ihnen.“

„Es war furchteinflössend.“ murmelte Leo.

„Ach, es war nicht so wild.“ winkte Asmodee ab. „Dafür, dass Zerafina kein Vampir ist, hat sie es gut hingekriegt.“

„Was bedeutet das?“ wollte Leo wissen. „Ist es etwa bei Vampiren genau so?“

„Nein, bei Euch geht es leichter.“ erwiderte Asmodee. „Das gerade Erlebte muss Dir keine Angst machen.“

Leo schmiegte sich enger an Draco. „Ich werde trotzdem in nächster Zukunft nicht schwanger werden.“ sagte sie. „Erst möchte ich noch ein wenig von der Welt sehen und das mit Draco alleine, ohne einen Dritten.“

„Naja.“ meinte Asmodee grinsend, „Eure Liebe ist ja noch jung, Ihr habt ja noch alle Zeit der Welt.“

Asmodee kam näher zum Fenster und sah Leo aufmerksam an.

„Wie war Eure Rückreise? Alles gut gegangen ohne Probleme?“ wandte er sich fragend an Draco.

„Alles wunderbar, ohne Zwischenfälle.“ erwiderte er. „Sogar die Hotelbetten sind heil geblieben“ fügte er grinsend hinzu, was ihm einen Stoß in die Rippen von Leo einbrachte.

„Nichts Ungewöhnliches vorgefallen?“ hakte Asmodee nach.

„Nein, eigentlich nicht.“ überlegte Draco. „Nur Amos war etwas komisch, als ich ihm Leo als meine Frau vorstellte. Er wirkte irgendwie erschrocken, aber er hat den Grund dafür nicht genannt.“

„Er hat es also erkannt.“ murmelte Asmodee leise.

„Was erkannt?“ wollte Draco wissen.

„Hm, nun ja.“ begann Asmodee zögernd. „Eigentlich dachten wir, das heißt der Ältesten Rat, wir hätten es noch einige Zeit verhindern können, aber nun muss ich es Euch wohl doch sagen.“ Er wandte sich an Leo: „Tut mir leid. Ich weiß, dass Du in letzter Zeit genug Dinge hattest, die Du verarbeiten und mit denen Du klarkommen musstest. Leider gibt es da noch etwas, was Dich betrifft.“

„Was denn noch?“ stöhnte Leo gequält auf.

„Es ist ein wenig kompliziert.“ sagte Asmodee und sah betreten zu Boden. „Dadurch dass Du die rechtmäßige Nachfolgerin von Lieu bist und dazu noch ein Vampir wurdest, trägst Du außergewöhnliche Kräfte in Dir. Auch die Übertragung Deines Amtes an mich hat daran nichts geändert.“

„Und was heißt das nun genau?“ unterbrach Draco ihn.

„Das heißt, Leo ist der mächtigste Vampir. Sie könnte alle anderen mit nur einer Handbewegung vernichten, wenn sie wollte.“ antwortete Asmodee.

„Und nicht nur die Vampire, sondern alle anderen Wesen auch.“

„So ein Quatsch.“ fuhr Leo auf. „Warum sollte ich so etwas machen? Erstens kenne ich keine anderen Wesen und zweitens sind alle Vampire hier meine Familie. Ich würde doch meine Familie nicht töten.“

Sie stampfte wütend mit den Fuß auf. „Mir reicht es langsam. Jedes Mal kommt was Neues hinzu. Wenn ich gewusst hätte, was mich erwartet, wäre ich lieber gestorben.“

„Nimm es als Dein Schicksa.l“ sagte Asmodee und legte seine Hände auf ihre Schultern.

„Ach, lass mich.“ Leo schüttelte seine Hände ab. „Mein Schicksal“ schnaufte sie. „Das Einzige, was ich wollte, mit Draco zusammen und glücklich sein und sonst nichts. Ich wollte weder eine Göttin noch etwas anderes sein. Kann das denn keiner verstehen? Warum kommt jedes Mal was anderes, wenn ich besonders glücklich bin?“

„Ich weiß, dass Du niemandem etwas antun willst oder würdest.“ versuchte Asmodee sie zu beruhigen. „Nur die anderen Wesen müssen es erfahren, am Besten von Dir selbst.“

„Und was bedeutet das jetzt? Teleportierst Du uns jetzt wieder irgendwo hin, wo Draco wieder nicht mit darf?“ wollte Leo wissen.

„Nein, nichts dergleichen.“ erwiderte Asmodee. „Ihr werdet Euch mit den Oberhäuptern der anderen Gruppen treffen. Draco wird Dich begleiten. Ihr werdet sie in der Hütte von Darkness treffen, oben in den Bergen. Dort seid ihr ungestört.“

„So wie es aussieht, hast Du schon alles geregelt.“ sagte Leo mit leichtem ironischem Unterton. „Und bestimmt hast Du auch den Zeitpunkt schon festgelegt.“

„Die Bestimmung des Zeitpunktes überlasse ich Euch.“ entgegnete Asmodee ruhig.

„Ich denk darüber nach.“ versprach Leo und wandte sich wieder dem Fenster zu.

Asmodee verstand die Geste. „Ich werde Euch dann mal wieder alleine lassen.“

Als er den Raum verlassen hatte, drehte sich Leo zu Draco um und sah ihn an. Tränen liefen über ihre Wangen, die Draco sanft wegküsste. Dann hob er sie auf seine Arme und trug sie zum Bett. Dort ließ er sie sanft nieder und legte sich neben sie.

„Willst Du darüber reden?“ fragte er sie leise.

„Nein, ich will was anderes.“ erwiderte Leo und rollte sich auf ihn. Ihre Hände glitten unter sein T-Shirt und mit einem Ruck zog sie es über seinen Kopf. Dann bedeckte sie seine nackte Brust mit zärtlichen, kleinen Küssen und näherte sich dabei seinem Hals. Draco hatte seine Hände auf ihre Hüften gelegt und streichelte langsam über ihren Rücken. Als er Leos Lippen an seiner Schlagader spürte, stöhnte er kurz auf und drehte seinen Kopf zur Seite. Aber Leo biss nicht zu, sondern ließ ihre Lippen dort ruhig liegen. Sie spürte das heftige Pulsieren seines Blutes. Draco griff mit einer Hand in ihren Nacken und drückte ihren Kopf an seinen Hals.

„Gleich.“ murmelte Leo und zog sich mit einer Hand ihr Shirt aus. Ebenfalls mit einer Hand schob sie ihre Jogginghose nach unten und als sie sich ihrer entledigt hatte, machte sie das Gleiche mit Dracos. Sie setzte sich auf seinen Schoß und ließ ihn in sich gleiten. Als Draco seine Hände auf ihre Hüften legte, nahm sie diese und zog ihn hoch, so dass er ebenfalls saß. Leo legte einen Arm um seine Schultern während sie mit der anderen Hand seinen Arm ergriff und sein Handgelenk an ihren Mund führte. Mit einem tiefen Blick in seine Augen biss sie hinein und begann leicht zu saugen, dabei bewegte sie sich langsam auf ihm auf und ab.

„Du machst mich noch wahnsinnig.“ stöhnte Draco auf.

„Wahnsinnig glücklich machen, das will ich.“ murmelte Leo. „Ich will, dass Du mich liebst, so dass ich alles vergesse.“

Draco ließ sich nicht zweimal bitten. Sie liebten sich die ganze Nacht. Erst im Morgengrauen ließen sie von einander ab.

Diese Nacht hatte Draco viel Kraft gekostet. Er und Leo hatten sich schon öfter nächtelang geliebt, aber in dieser Nacht hatte sie mehr von ihm getrunken als sonst. Er blickte auf Leo, die auf dem Bauch liegend nackt neben ihm schlief. Leise stand Draco auf, schlüpfte in seine Jogginghose und verließ leise den Raum. Im Schloss war noch alles ruhig, als er zur Küche ging. Dort saß zu seinem großen Erstaunen Asmodee mit einem Kaffee vor sich.

„Du siehst aber schlecht aus.“ begrüßte Asmodee ihn. „Anstrengende Nacht gehabt?“

Draco nickte nur und ging zu dem Kühlschrank, in welchem die Blutkonserven aufbewahrt wurden. Er nahm sich gleich drei Stück heraus und trank gierig eine aus.

„Hättest Du jetzt nicht lieber warmes, frisches Blut?“ wollte Asmodee wissen.

„Eigentlich schon.“ gab Draco undeutlich zurück, da er sich gerade über die zweite Konserve hermachte. „Warum? Willst Du Dich zur Verfügung stellen?“

„Ich? Nein.“ lachte Asmodee. „Erstens bin ich ein Mann und zweitens nicht menschlich. Mein Blut würde Dir absolut nicht schmecken und ich vermute, auch nicht sonderlich gut bekommen.“

Draco hatte zwischenzeitlich auch die dritte Konserve geleert, nahm sich nun ebenfalls einen Kaffee und setzte sich zu Asmodee.

„Geht es besser?“ fragte Asmodee teilnahmevoll.

„Jetzt ja.“ erwiderte Draco und trank einen Schluck aus seiner Tasse.

„Du siehst auch besser aus. Als Du gerade hier hereinkamst, dachte ich, Du würdest jeden Moment umfallen. Deine Haut war grau.“ sagte Asmodee. „Ist das immer so, wenn Leo von Dir trinkt?“

„Nein, normalerweise trinkt sie weniger, nur ein paar Schlucke.“ berichtete Draco. „Soviel wie in dieser Nacht hat sie noch nie genommen.“

Draco sah Asmodee nachdenklich an. „Auch ihr sexuelles Verlangen war kaum zu befriedigen. Es war die wildeste Nacht, die wir bisher hatten. Es lag vielleicht an dem, was sie tagsüber erlebt hat. Und an dem, was Du ihr gesagt hast.“

Asmodee rührte nachdenklich in seiner Tasse, obwohl sich dort nur schwarzer Kaffee befand.

„Tut mir leid, aber ich musste es ihr sagen.“ sagte er leise. „Und das mit Zerafina. Ich war der Meinung, als Vampir würde sie das verkraften. Ich konnte ja nicht wissen, dass ihr das so zu schaffen macht. Wenn ich es geahnt hätte, hätte ich Darkness gebeten, mir zu helfen.“

„Erstens.“ begann Draco,. „ist Leo noch nicht so lange ein Vampir und zweitens, überleg mal, was in den letzten zwei Jahren alles auf sie zukam? Sechzehn Jahre lebte sie völlig isoliert von der Außenwelt in ihrem Zimmer. Nichts von außen drang zu ihr hinein. Ihre Eltern brachten ihr zwar Schreiben, Lesen und Mathematik bei, aber das war auch alles. Sie hatte keine Ahnung, dass es außer dem Garten, den sie von ihrem Fenster aus sehen konnte, noch eine ganz andere Welt gab. Erst als mein Bruder dort auftauchte und sie dort herausholte, zugegeben durch nächtliche Manipulation. Als dann ihre Eltern starben, gab es nur noch Wanja für sie, der sie dann aber auch verließ, um in Afrika Nachforschungen anzustellen. Ohne eine Ahnung zu haben, wo dieses Land überhaupt lag, machte sie sich auf den Weg dorthin, um ihn zu suchen. Ich fand sie dann im strömenden Regen an einer Raststätte, von wo aus ich sie mitnahm. Wie ich später erfuhr, war das alles von Lieu so beabsichtigt gewesen, nur das ich mich in sie und sie sich in mich verliebte, nicht.“ Draco lächelte. „Naja, wir fanden Wanja und befreiten ihn. Die Tatsache, dass er und ich Vampire sind, hat Leo völlig gelassen aufgenommen, genau, wie sie völlig emotionslos dem Sterben des Mannes zusah, der Wanja gefangen hielt. Dann erfuhr sie, dass sie dazu auserwählt wäre, die Mutter des nächsten Löwengottes zu werden. Wir hielten ja Devon damals alle für Lieu. Nach dieser Fast-Vergewaltigung wurde sie von den Heilern meiner Mutter behandelt, die nicht nur ihre Weiblichkeit zum Vorschein brachten, sondern auch ihre Gefühle. Als Devon dann von unserer ersten Nacht erfuhr, ließ er Leo töten. Später erwachte sie dann wieder und erfuhr, dass sie nun ein Vampir sei und dazu noch Lieus Tochter und rechtmäßige Nachfolgerin. Und nun kommst Du und sagst ihr noch, dass sie mächtiger, als alle Vampire, Werwölfe, Hexen und so weiter, wäre. Und das alles wollte sie in dieser Nacht vergessen.“

Asmodee hatte aufmerksam zugehört. „Du liebst sie wirklich aufrichtig und würdest jeden, der ihr ein Leid zufügt, ohne mit der Wimper zu zucken, auf der Stelle töten.“

„Ja, das würde ich.“ nickte Draco. „Ich würde alles tun, nur damit sie glücklich ist, selbst meinen letzten Tropfen Blut würde ich geben.“

„Bitte, lass diese Liebe zu ihr nie sterben und bleib bei ihr.“ sagte Asmodee und sah Draco eindringlich an. „Leo braucht Dich, sie braucht einen starken Mann an ihrer Seite. Und solltet ihr mal in Schwierigkeiten stecken, ruft mich, ich werde sofort da sein.“ Asmodee legte seine Hände auf Dracos Schultern. „Unsere Aufgabe ist es, sie zu beschützen.“

Argwöhnisch sah Draco Asmodee an. „Liebst Du sie etwa auch?“

„Ja.“ nickte Asmodee. „Aber ich weiß, dass ich keine Chance bei ihr habe und ich werde auch nicht versuchen, mich zwischen Euch zu drängen, keine Sorge. Ich werde aber immer für sie da sein, wenn sie mich braucht.“

„Sollte mir mal irgendetwas passieren, weiß ich sie bei Dir in guten Händen.“ sagte Draco.

Bevor Asmodee etwas darauf erwidern konnte, öffnete sich die Küchentür und nur in ein Laken gewickelt kam Leo herein.

„Was ist denn hier los?“ fragte sie und fügte sofort hinzu: „Mann, habe ich einen Hunger. Gibt’s hier irgendetwas Essbares?“

Draco drückte sie auf einen Stuhl, holte ihr einen Kaffee und machte dann einige Brote zurecht.

„Was machst Du eigentlich so früh hier?“ wandte sich Leo an Asmodee.

„Ich musste über etwas nachdenken und außerdem hatte ich Lust auf einen Kaffee.“ erwiderte Asmodee. „Und dann erschien Draco und wir haben geredet.“

„Und während Ihr quatscht, liege ich frierend im Bett und verhungere fast.“ sagte Leo.

„Du hast tief und fest geschlafen, als ich gegangen bin.“ lachte Draco. „Jetzt übertreib mal nicht so. Und außerdem können Vampire gar nicht verhungern.“
„Doch, ich schon.“ erwiderte Leo ernsthaft, worauf Draco und Asmodee lachten.

„Ja, ja, lacht ihr nur.“ maulte Leo. „Das wird Euch vergehen, wenn ich irgendwann mal verhungert im Bett liege.“

„Ich sorge schon dafür, dass das nicht geschieht.“ versprach Draco mit lachendem Unterton.

„Pfff, Männer.“ zischte Leo, wickelte sich fester in ihr Laken, nahm den Teller, den Draco ihr hingestellt hatte, ihre Tasse und ging zur Tür.

„Ich geh wieder ins Bett, dann könnt ihr euch weiter über mich lustig machen.“

„Puh, sie ist anstrengend.“ stöhnte Asmodee, als Leo fort war.

„Oh ja.“ stimmte Draco zu. „Manchmal schon. Aber eigentlich ist Leo sehr ruhig. Nur wenn sie hungrig ist, wird sie grantig.“

„Dann geh besser mal zu ich.r“ meinte Asmodee.

Als Draco das Zimmer betrat, saß Leo im Schneidersitz auf dem Bett.

„Du.“ sagte sie und sah Draco an. „Ich habe nachgedacht. Wir sollten das Treffen mit den anderen Wesen so schnell als möglich hinter uns bringen. Und dann hoffe ich, dass endlich Ruhe ist.“

„Wie Du willst.“ erwiderte Draco und setzte sich zu ihr. „Wir sagen Asmodee Bescheid und er kann sie alle informieren. Aber erst später, lass uns jetzt noch ein wenig schlafen.“

Draco legte sich auf den Rücken und zog Leo in seinen Arm. Sie richtete sich halb auf und sah an ihm hinunter.

„So?“ fragte sie und deutete auf seine Jogginghose.

„Ja, zur Sicherhei.t“ grinste Draco sie an.

„Als ob mich dieser Fetzen Stoff stören würde.“ erwiderte Leo und griff nach dem Hosenbund.

„Halt, ich zieh sie freiwillig aus.“ lachte Draco.

„Es tut mir leid.“ murmelte Leo etwas später, als sie in Dracos Arm eng an ihn gekuschelt lag. „Ich war letzte Nacht ziemlich gierig, ich habe zuviel von Dir getrunken. Ich spüre es in meinen Adern. Wenn Du möchtest, kannst Du Dir etwas davon zurückholen.“

„Ja, stimmt, Du hast wirklich etwas viel getrunken.“ gab Draco zu und beugte sich über sie. „Und Dein Angebot klingt sehr verlockend, aber ich weiß, wie es enden wird.“

„Nein, es war wirklich ernsthaft gemeint.“ sagte Leo und legte ihre Arme um seinen Hals. „Meine Adern schmerzen, weil sie so voll sind und ich will wirklich keinen Sex.“ fügte sie hinzu und sah ihm in die Augen.

Draco legte seinen Mund an ihren Hals und biss leicht zu. Leo stieß erleichtert die Luft aus, als Draco zu trinken begann und sie schlief ein.

Draco wunderte sich, dass Leo so ruhig liegen blieb und sah in ihr Gesicht. Als er feststellte, dass sie eingeschlafen war, löste er seinen Mund von ihrem Hals, legte sich neben sie und zog eine Decke über sie beide.

Es war schon später Nachmittag, als Leo aufwachte. Draco lag auf dem Bauch neben ihr, hatte seinen Arm quer über ihren Bauch gelegt und schlief noch. Leo dachte an die Nacht zurück. Sie hatte Draco wirklich stark gefordert und sehr viel von ihm getrunken, aber es hatte ihr geholfen, dass von Asmodee erfahrene besser zu verarbeiten. Wenn sie jetzt daran dachte, klang es schon nicht mehr so erschreckend wie gestern. Sie würde sich mit den Oberhäuptern der anderen Wesen treffen und ihnen klar machen, dass ihr nicht daran gelegen war, irgendjemanden zu vernichten. Sie wollte einfach nur in Ruhe mit Draco irgendwo leben.

„Du bist schon wach?“ murmelte Draco schlaftrunken neben ihr.

„Schon eine ganze Weile.“ erwiderte Leo und küsste ihn auf die Wange.

„Ich habe nachgedacht. Über uns und über alles andere.“

„Über uns? Aha, und zu welchem Schluss bist Du gekommen?“ fragte Draco.

„Dass es besser ist, wenn wir Schluss machen.“ antwortete Leo mit ernster Stimme. „Dann läufst Du nicht mehr Gefahr, zu sterben, weil ich zuviel trinke oder aber auch an Erschöpfung, weil ich zu sexhungrig bin.“

„Was?“ Draco setzte sich auf und sah sie entsetzt an. „Das ist ja wohl nicht Dein Ernst? Dann würde ich erst recht sterben, weil Du mir damit das Herz brechen würdest. Trink mich lieber aus oder liebe mich zu Tode, das wäre wenigstens ein schönerer Tod.“

Misstrauisch sah Draco Leo an. „Das war nicht Dein Ernst, oder?“

„Nein.“ lachte Leo los. „Ich liebe Dich viel zu sehr und ich würde vor Eifersucht rasen, wenn ich daran denke, dass Du andere Frauen lieben würdest.“
„Du Biest.“ Draco warf sich auf sie, nahm ihre Hände und drückte sie über ihren Kopf. „Das wirst Du mir büßen.“

„Können wir das auf später verschieben?“ fragte Leo lachend. „Ich muss mit Asmodee reden. Und außerdem…“ sie senkte verlegen ihren Blick, „…hab ich Hunger.“

„Gut, das ist ein Argument.“ antwortete Draco und ließ sie los.

Als sie wenig später die Küche betraten, saß dort eine strahlende Zerafina und gab ihrem Kind die Flasche, welche mit Blut gefüllt war. Wanja saß daneben und schaute stolz auf seine Frau und seinen Sohn.

„Geht es Dir wieder gut?“ wollte Leo wissen.

„Ja, danke, es geht mir hervorragend.“ erwiderte Zerafina und lächelte Leo an. „Es hat wohl schlimmer ausgesehen, als es war. Aber jetzt ist alles vergessen.“

„Na, Bruder.“ wandte sich Draco an Wanja. „Wie fühlt man sich so als Vater?“

„Sehr gut.“ antwortete Wanja. „Das wirst Du merken, sobald Ihr auch so etwas in Händen haltet.“

„Ne, vorläufig nicht.“ winkte Leo ab. „Aber sagt mal, hat Euer ‚Etwas’ auch einen Namen? Oder heißt er nur Sohn, Baby oder Etwas?“

„Er heißt Leon Maurice Asmodee.“ sagte Zerafina stolz. „Leon nach Dir, Leo, Maurice nach Marie, weil wir ihm keinen weiblichen Namen geben wollten.“
„Wieso nennt Ihr Euer Kind nach mir?“ wollte Leo wissen. „Gebt ihm lieber einen anderen Namen.“

„Hm, nein, Schwesterchen, dass machen wir nich.t“ antwortete Wanja lachend. „Immerhin bist Du und Draco seine Paten. Wir wollten ja noch Marie bitten, aber sie hat abgelehnt.“

„Schwesterchen! Wie sich das anhört.“ sagte Leo. „Da denkt man jahrelang, es gäbe nur eine Handvoll Menschen auf dieser Welt und plötzlich hat man eine große Familie und einen Mann, den man liebt.“ „Wo ist eigentlich Asmodee? Ich muss mit ihm reden“ fragte Leo.

„Ich glaub, er ist in den Garten gegangen.“ gab Wanja Auskunft.

„Danke.“ sagte Leo, „dann schau ich mal, ob ich ihn finde.“

Als Draco Anstalten machte, sie zu begleiten, bat sie ihn: „Bleib bitte hier, ich möchte alleine mit ihm reden.“

Asmodee saß im hinteren Teil des Gartens auf einer Bank. Zu Leos Erstaunen hielt er eine Zigarette in der Hand.

„Du rauchst?“ fragte sie ihn erstaunt.

„Hin und wieder.“ erwiderte Asmodee. „Wenn es Dich stört, sag es ruhig, dann mach ich sie aus.“

„Nein, nein, es stört mich nicht. Draco raucht ja auch hin und wieder.“ winkte Leo ab und setzte sich neben ihn auf die Bank. „Ich möchte mit Dir über das Reden, was Du mir gestern gesagt hast.“ Sie zögerte einen Moment, holte tief Luft und fuhr dann fort. „Also, ich hoffe mal, dass es das Letzte war, was mit mir zu tun hat. Ich habe echt keine Lust mehr auf noch mehr Überraschungen.“

„Keine Sorge, mehr kommt da nicht.“ beruhigte Asmodee sie.

„Gu.t“ seufzte Leo. „Das Gespräch mit den Oberhäuptern würde ich gerne so schnell als möglich hinter mich bringen, damit ich endlich in Ruhe und Frieden leben kann. Außerdem wird es sie auch beruhigen. Wirst Du dabei sein?“

„Wenn Du wünscht, begleite ich Euch selbstverständlich.“ sagte Asmodee. „Ich werde veranlassen, dass das Gespräch in ein paar Tagen stattfinden wird.“

„Danke.“ Leo wollte aufstehen und zurück gehen, aber Asmodee hielt sie zurück.

„Bleib noch.“ bat er und sah ihr in die Augen. Er hob seine Hand und streichelte über ihre Wange. „Weißt Du eigentlich, dass Du wunderschön bist?“

„Was hast Du denn geraucht?“ versuchte Leo zu scherzen, aber Asmodee blieb ernst.

„Du warst als Mensch schon hübsch, aber nach Deiner Verwandlung bist Du noch schöner geworden.“ fuhr er fort, als hätte er ihren Einwurf nicht gehört. „Und genau so ist Dein Wesen. Du würdest nie jemandem etwas antun, es sei denn, er bedroht Dich oder Deine Familie. Deine Augen blicken in die Seele der Leute und Du erkennst, ob sie gut oder böse sind, so wie Du es bei mir damals gemacht hast. Denn nur Dir habe ich es zu verdanken, dass ich noch lebe. Du gabst mir meine Flügel zurück und vertraust mir ein hohes Amt an. Dafür werde ich Dir ewig dankbar sein. Ich hoffe nur, dass das, was ich Dir jetzt sage, sagen muss, unsere Freundschaft nicht zerstört.“ Er legte seine Hand unter Leos Kinn, drehte ihren Kopf zu sich und blickte ihr tief in die Augen. „Seit unserer ersten Begegnung liebe ich Dich.“

Leo starrte ihn an, als ob er den Verstand verloren hätte. Sie war wie erstarrt und konnte nicht mal seine Hand fort schieben.

Als sie den Mund öffnete, um etwas zu erwidern, legte ihr Asmodee seinen Zeigefinger auf den Mund. „Ich weiß, dass ich keine Chance habe. Nie würde ich versuchen, Dich für mich zu erobern. Das habe ich Draco auch schon gesagt. Aber ich musste es Dir sagen, weil Du es früher oder später in mir gelesen hättest.“

„Draco weiß es?“ flüsterte Leo. „Du hast es ihm gesagt?“

„Nein, er fand es heute morgen selbst heraus.“ erwiderte Asmodee. „Und er hat es relativ gelassen hingenommen.“

„Asmodee,“ Leo holte tief Luft, „ich mag Dich, ich mag Dich sogar sehr, aber Du weißt, wem mein Herz gehört. Daran wird sich nie etwas ändern. Ich kann in Dir aber nur einen Freund, meinen besten Freund sehen. Für Dich wünsche ich mir, dass Du eine Frau triffst, die Du ebenso lieben kannst wie ich Draco.“

Leo stand auf und wollte gehen. Asmodee erhob sich ebenfalls und nahm sie in den Arm. Er küsste sie auf die Stirn und murmelte: „Danke,“ und war verschwunden.

Leo setzte sich wieder auf die Bank, vergrub ihr Gesicht in den Händen und war ziemlich durcheinander.

Ein Arm legte sich um ihre Schulter. „Was ist los? Er hat es Dir gesagt?“ fragte Draco leise neben ihr. Leo hatte nicht bemerkt, dass er sich zu ihr gesetzt hatte.

„Ja.“ schluchzte Leo und warf sich an seine Brust. „Er tut mir so leid. Eine unerfüllte Liebe mit sich herumzutragen muss doch die Hölle sein.“

„Ach, Kleines, Du bist so niedlich. Statt Dich darüber aufzuregen, empfindest Du Mitleid mit ihm. Jede Andere hätte ihn davon gejagt und die Freundschaft aufgekündigt.“ sagte Draco. „Aber, Leo, eins musst Du mir versprechen. Wenn mir etwas passieren sollte, geh zu Asmodee. Bei ihm weiß ich Dich in guten Händen. Er wird Dich ebenso mit seinem Leben schützen wie ich es tue.“

Leo hob ihren Kopf, wischte die Tränen ab, nahm Dracos Gesicht in ihre Hände und sagte ernst: „Dir wird nicht passieren, nicht so lange wir zusammen sind. Dafür werde ich sorgen.“ Ihre Worte klangen wie ein Schwur.


25. Kapitel



So plötzlich wie Asmodee verschwunden war, tauchte er wieder auf.

„Ich habe das Treffen für nächste Woche vereinbart.“ berichtete er, „und mit Jeans und Darkness Erlaubnis findet es in ihrem Ferienhaus statt.“

„Gut.“ erwiderte Leo, „dann haben wir es endlich hinter uns und können Pläne für die Zukunft machen. Bleibst Du bis dahin hier?“
„Nein.“ entgegnete Asmodee. „Ich habe noch einige andere Dinge zu erledigen, werde aber pünktlich dort erscheinen.“
„Für Dich ja kein Problem.“ meinte Draco.

„Bevor Du wieder verschwindest.“ warf Wanja ein, „möchten wir, dass Du unseren Sohn segnest.“

Am nächsten Morgen traf sich die ganze Familie in der kleinen Kapelle, welche zum Schloss gehörte. Die Segnung war so eine Art Taufe, nur das dem Kind dabei kein Wasser auf den Kopf geschüttet wurde.

Asmodee trug ein langes, weißes Gewand, aus dem seine schwarzen Flügel heraus ragten. Er bat die Eltern und die Paten zu sich und forderte sie auf, ihre rechte Hand auszustrecken. Mit einem kleinen, scharfen Messer schnitt er jeden in den Zeigefinger und ließ das Blut in einen goldenen Kelch tropfen. Dann zupfte er sich eine Feder aus seinem Flügel, tauchte den Kiel in das Blut und zeichnete seltsame Zeichen auf das Gesicht des Kindes. Dabei murmelte er in einer Sprache die niemand verstand einige Worte. Als er fertig war, überreichte er Wanja die Feder. Anschließend ließ er Wanja, Zerafina, Draco und Leo jeweils einen Schluck aus dem Kelch trinken. Das restliche Blut tropfte er in den Mund des Kindes.

„Durch dieses Blut wirst Du die Stärke Dracos, die Sanftheit Leos, den Mut Wanjas und die Zauberkraft Zerafinas erhalten“ murmelte er dabei.

„Nun seid Ihr alle miteinander vereint und Ihr werdet fühlen, wenn sich einer von Euch in Gefahr befindet. Das gilt besonders für dieses Kind.“ sagte Asmodee zum Abschluss und legte die Hände der Eltern und der Paten ineinander.

Asmodee nahm ein Kästchen, öffnete es, hielt es Wanja hin und forderte ihn auf, die Feder dort hinein zu legen.

„Bewahre sie gut auf.“ sprach er dazu. „Sollte er mich mal brauchen, kann er mich damit rufen.“

Asmodee überreichte Zerafina den Kelch mit den Worten. „Reinige ihn nicht. Sollte sich das Blut in ihm verflüssigen, weißt Du, dass jemand Deine Hilfe braucht und Du wirst sein Gesicht sehen.“

Er hob den Kopf und sah alle Anwesenden an. „Und Ihr? Seid Ihr gewillt, Leon Maurice in Eurer Gemeinschaft aufzunehmen, ihn zu beschützen und gegebenenfalls Euer Blut mit ihm zu teilen?“

„Ja, das sind wi.r“ beschworen alle feierlich und damit war die Zeremonie beendet.

Als alle die Kapelle verließen, bat Asmodee Draco und Leo noch einen Moment zu bleiben.

„Ich mache mich jetzt auf den Weg. Es gibt noch einige Dinge, die regeln muss, bevor wir uns dann in der Hütte treffen.“ sagte er. „In einer Woche werde ich dann da sein, ich komme direkt zu der Hütte. Ihr könnt also alleine dorthin fahren.“

„Okay.“ nickte Draco und Leo fügte hinzu: „Aber sei bitte pünktlich, ich brauche Dich dort.“

Asmodee versprach es und verabschiedete sich von den Beiden.

Hand in Hand gingen Leo und Draco in ihr Zimmer. Leo setzte sich auf das Bett und zog Draco neben sich.

„Wann hast Du eigentlich das letzte Mal frisches, warmes Blut getrunken?“ fragte sie ihn.

„Das ist schon eine Weile he.r“ erwiderte Draco. „Warum fragst Du? Verändern die Konserven mein Blut?“

„Ein wenig schon.“ gab Leo zu. „Aber deshalb habe ich nicht gefragt. Ich wollte Dir vorschlagen, heute Abend mal nach unten zu gehen. Und wenn es Dir nichts ausmacht, würde ich Dich gerne begleiten. Jetzt, wo ich mich nicht mehr verstecken brauche.“

„Aber ich werde meinen Mund an den Hals fremder Frauen legen.“ warnte Draco.

„Solange es nur Dein Mund ist, der sie berührt.“ meinte Leo und sah ihn an. „Und außerdem profitiere ich ja auch davon.“

„Ich wusste doch, dass Du es nicht ohne Hintergedanken vorgeschlagen hast.“ lachte Draco.

„Nicht, was Du denkst.“ sagte Leo. „Ich hab…..ich bin…..Ich bin hungrig.“ stieß sie hervor. „Ich fühl mich, als ob ich wochenlang nichts getrunken hätte. Keine Ahnung, warum das so ist.“

„Warum sagst Du denn nichts? Du kannst doch jederzeit von mir trinken“ fragte Draco mit leichtem Vorwurf.

„Weiß ich doch..“ Leo legte ihren Kopf an seine Schulter. „Aber ich weiß auch, dass die Konserven Dich nicht so gut nähren wie frisches Blut. Und ich brauche nächste Woche einen starken Mann an meiner Seite“ fügte sie grinsend hinzu.

„Und, Draco, ich möchte, wenn alles vorbei ist, zu mir nach Hause. Ich möchte dann einfach mal alleine sein, ohne ständig Leute um mich herum.“ fuhr sie ernster werdend fort.

„Ganz alleine? Ohne mich?“ scherzte Draco.

„Du kommst natürlich mi.t“ erwiderte Leo. „Und jetzt möchte ich ein wenig schlafen, ich fühl mich irgendwie so müde.“

Sie legte sich auf das Bett und war binnen Sekunden eingeschlafen. Draco saß noch auf der Bettkante und sah auf sie hinunter. Als er sicher war, dass tief und fest schlief, stand er auf und ging nach draußen in den Garten. Dort steckte er sich eine Zigarette an und setzte sich auf eine Bank. Er blickte auf das Schloss, welches ihm schon zur zweiten Heimat geworden war. Vermissen würde er es nicht, wenn er mit Leo von hier fort ging. Überall, wo Leo glücklich war, würde er es auch sein. Und zum Glück gab es ja heute Telefone und Handys, so dass er jederzeit mit seiner Familie telefonieren konnte.

Als Draco wieder ins Zimmer zurück kam, war das Bett leer und er hörte die Dusche. Anscheinend machte sich Leo fertig, denn die ersten Gäste trafen schon ein. Draco zog sein schwarzes Shirt aus und streifte sich ein weißes Hemd über. Er trat ans Fenster und sah hinaus. Von hier aus konnte man gut auf den Eingang blicken und er sah, dass heute sehr viele Gäste erschienen. Es würde also nicht allzu schwer werden, eine oder auch mehrere Frauen zu finden, die ihm bereitwillig ihr Blut gaben.

Als er die Badtür hörte, drehte er sich um und erstarrte. Leo hatte das schwarze Kleid an, welches er ihr gekauft hatte. Es schmiegte sich wie eine zweite Haut um ihren Körper und das Oberteil ließ viel nackte Haut sehen. Sie hatte ihre Haare hochgesteckt und ein leichtes Make-up aufgelegt. In Draco kroch die Eifersucht hoch, wenn er an all die Männer dachte, die sie so sehen würden.

„So gehst Du nicht.“ stieß er aus diesem Gefühl heraus hervor und ging rasch zu ihr.

„Warum nicht?“ fragte Leo unschuldig.

„Weil ich nicht will, dass andere Männer Dich so sehen.“ presste Draco hervor. „Ich sehe jetzt schon die Blicke vor mir und wie sie Dich damit ausziehen.“

„Aber Du hast mir dieses Kleid doch gekauft, damit ich es anziehe.“ meinte Leo. „Wann soll ich es denn sonst tragen, wenn nicht heute. Ich werde in nächster Zeit keine Gelegenheit mehr dazu bekommen.“

„Dann zieh wenigstens eine Jacke drüber.“ bat Draco.

„Wenn ich eine hätte, gerne.“ gab Leo leicht genervt zurück.

Draco stellte sich dicht vor sie, griff mit beiden Händen in ihr Haar und löste es, so dass es über ihre Schulter fiel. Er drapierte es vorn über ihr Dekollete.

„So geht es einigermaßen.“ stellte er fest, als er einen Schritt zurück getreten war und sein Werk betrachtete.

„Ich liebe Dich.“ murmelte Leo, zog seinen Kopf zu sich hinunter und küsste ihn.

„Und ich Dich erst.“ sagte Draco und nahm sie fest in seine Arme. „Ich kann mir ein Leben ohne Dich nicht mehr vorstellen und möchte es auch gar nicht.“

„Wir sollten, wenn alles vorbei ist, Asmodee bitten, uns zu trauen. Ich möchte, dass Du vor aller Welt meine Frau wirs.t“ meinte Draco nach einem langen Kuss.

„Wenn es Dein Wunsch ist.“ erwiderte Leo.

„Ja, ich wünsche es mir. Aber, Leo,“ er nahm ihr Kinn und hob ihren Kopf, so dass sie sich in die Augen blicken konnten, „es sollte nicht nur nach meinen Wünschen gehen, Du musst es auch wollen. Und nicht nur ja sagen, weil ich es will.“

„Natürlich will ich.“ bekannte Leo.

„Dann betrachte Dich ab sofort als verlobt.“ lächelte Draco, griff in seine Hosentasche und zog ein kleines, schwarzes Kästchen hervor. Er öffnete es, nahm Leos linke Hand und steckte ihr einen schmalen Weißgoldring mit einem leuchtenden Rubin auf den Finger.

„Und nun.“ er hauchte einen Kuss auf ihre Hand, „lass uns unsere Verlobung feiern gehen.“

„Bitte nicht. Bitte, sag es noch niemand.“ bat Leo. „Lass es noch eine Weile unser Geheimnis sein.“

„Wie Du willst.“ gab Draco nach.

Hand in Hand gingen sie nach unten. Heute nahmen sie nicht die Hintertreppe, sondern den Eingang, den alle Gäste nutzten. Jean stand an der großen Flügeltür, welche er für die Gäste öffnete. Als er die Beiden sah, glitt ein freudiges Lächeln über sein Gesicht. Er pfiff anerkennend durch die Zähne, als er Leo betrachtete.

„Pass bloß gut auf sie auf.“ warnte er Draco scherzhaft.

„Das werde ich bestimmt.“ erwiderte Draco ernst.

Jean öffnete ihnen die Tür und sie betraten den großen Salon, wo Darkness wie jeden Abend in einem weißen, durchsichtigen Kleid etwas erhöht auf einem Sessel mehr lag als saß. Um sie herum wie immer drei junge Männer, aus denen sie abwechselnd trank. Als sie sah, wer dort den Raum betrat, richtete sie sich auf und strahlte beide an.

Wie alle anderen Gäste auch, ging Draco zu ihr, um sie zu begrüßen.

„Ach, mein Engel, da bist Du ja.“ sagte Darkness laut zu Leo. „Ich freue mich, Dich zu Deinem ersten Besuch hier willkommen zu heißen.“

Dann warf sie einen Blick in die Runde, welchen den anwesenden männlichen Vampiren signalisierte, die Finger von Leo zu lassen, denn sie hatte die Begierde gespürt, die beim Eintritt Leos aufkam. Aber nun waren sie gewarnt und wer sich nicht daran hielt, würde von Darkness bestraft werden.

„Ich wünsche Euch einen schönen Abend.“ wandte sich Darkness dann an Draco und Leo und zwinkerte ihnen zu.

Draco führte Leo zur Bar und fragte sie, ob sie etwas trinken wolle.

„Ein Wasser.“ bestellte Leo und sah sich im Raum um. Hier ging es gesitteter zu als bei Amos, obwohl hier auch gemischte Pärchen in kleinen Nischen saßen und der menschliche Part sich genüsslich das Blut aussaugen ließ. Allerdings verschwanden die Paare, denen es nach Sex hungerte, durch eine Tür, hinter welcher sich, wie Leo vermutete, Zimmer befanden, in denen sie es tun konnten. Niemand trieb es hier öffentlich, auch wenn sich einige Frauen sehr freizügig zeigten.

Auch Draco ließ seine Augen über die Anwesenden schweifen. Er suchte nach unerfahrenen Frauen, wovon heute etliche da waren. Es gab welche, die waren erst das zweite oder dritte Mal hier. Draco konnte es an ihrem Verhalten feststellen. Sie standen schüchtern am Tresen oder lehnten an den Wänden. Bei ihnen war das sexuelle Verlangen noch nicht so ausgeprägt, wenn man von ihnen trank.

Leo, die seinen suchenden Blick bemerkte, forderte ihn auf: „Geh nur, ich komm schon klar.“

„Lass Dich nicht von fremden Männern ansprechen.“ grinste Draco, bevor er sie verließ.

Leo folgte ihm mit den Augen und sah, wie er auf ein junges Mädchen zuging, welche ein wenig ängstlich vor ihm zurückwich. Draco redete mit ihr und sie wurde lockerer. Als er ihre Wange berührte, stieg leichte Eifersucht in Leo auf. Sie zwang sich, sich weg zu drehen und schaute auf das Treiben der anderen Gäste. Als sie zu Darkness blickte, lächelte ihr diese beruhigend zu und winkte sie zu sich heran.

„Es ist normal, dass Du Eifersucht spürst.“ erklärte Darkness, „das ist bei den ersten Malen immer so. Bei Jean und mir war es nicht anders. Aber du brauchst Dir um Draco keine Sorgen machen, er liebt Dich viel zu sehr, um das mit einem kurzen Vergnügen aufs Spiel zu setzen.“

„Das sagt mir mein Verstand auch, aber mein Herz reagiert anders.“ bekannte Leo. „Ich weiß ja, dass er es auch für mich macht, aber es ist schwer, ihn jemand anderen berühren zu sehen.“

„Dann denk an das, was nachher hinter verschlossenen Türen passiert.“ grinste Darkness.

Leo ging zurück zum Tresen, wo Draco schon auf sie wartete. Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und küsste sie. Leo schmeckte das warme Blut, welches er gerade getrunken hatte und sie spürte, wie Hunger sie überkam.

„Geh, trink noch mehr.“ forderte sie Draco flüsternd auf.

„Wie Ihr befehlt, My Lady.“ Draco verbeugte sich übertrieben, bevor sich auf die Suche machte.

„Einen Whisky, bitte.“ bestellte jemand neben ihr und Leo blickte hinüber. Ein junger Mann stand dort. Er wirkte ängstlich und nervös. Als er sein Glas nahm, stieß er Leo leicht an.

„Oh, Entschuldigung.“ murmelte er verlegen.

„Nicht schlimm, es ist ja nichts passiert.“ beruhigte Leo ihn.

„Ich bin das erste Mal in so einem Etablissement.“ erklärte er. „Meine Freunde haben mich mit genommen, sie waren schon öfter hier. Ich wusste bisher nicht einmal, dass es so etwas überhaupt gibt. Und du? Bist Du regelmäßig hier?“

„Für mich ist es auch das erste Mal.“ erwiderte Leo.

„Hm, schade. Ich dachte, Du hättest mir sagen können, was genau hier geschieht.“ meinte er.

„Das findest Du schon selbst heraus.“ sagte Leo lächelnd. „Und so, wie ich gehört habe, wird es Dir gefallen und Du wirst ständig hierher kommen. Sieh Dich einfach nur um.“

Aber er blieb neben ihr stehen und begann mit ihr zu plaudern. Er erzählte ihr, dass er eigentlich aus England stamme und dass sein Name John sei. Seine Freunde und er machten hier Urlaub. Er wäre Student und hätte jetzt Semesterferien.

Leo war durch die Plauderei so abgelenkt, dass sie nicht mehr daran dachte, was Draco gerade tat. Sie hörte John zu und hin und wieder lachte sie über seine witzigen Bemerkungen.

Draco hatte mittlerweile reichlich von verschiedenen Frauen getrunken und wollte nun zurück zu Leo. Er sah sie dort am Tresen mit einem jungen Mann stehen, mit dem sie sich lebhaft unterhielt und lachte. Als er sah, wie er seine Hand auf Leos legte, stieg die Wut in ihm auf. Er ging schnell zu ihnen, packte Leo unsanft am Arm und sagte wütend: „Komm, wir gehen.“

Leo war so überrascht, dass sie ihm widerstandslos folgte.

Kaum in ihrem Zimmer angekommen, stieß Draco Leo auf das Bett.

„Hey, was soll das? Was ist denn mit Dir los?“ fragte Leo aufgebracht.

„Ich frage Dich, was das sollte.“ fauchte Draco. „Kaum lass ich Dich aus den Augen, schon lachst Du Dir jemand Anderen an.“

Nun wurde Leo auch wütend. Sie sprang auf und stellte sich vor Draco.

„Ich glaube, Du spinnst.“ fuhr sie ihn an. „Ich habe mich nur unterhalten sonst nichts. Und außerdem hast Du mir selbst noch vor ein paar Wochen vorgeschlagen, mir einen jungen Mann zu suchen. Hast Du das vergessen?“

„Das habe ich nicht ernst gemeint.“ gab Draco zurück.

Ohne eine Erwiderung drehte Leo sich um und ging ins Bad. Als sie zurückkam, lag Draco ausgekleidet auf dem Bett und starrte die Decke an.

Wortlos legte sich Leo ebenfalls hin, zog sich die Decke bis zum Hals und wandte Draco den Rücken zu.

Leo roch das warme, frische Blut, welches durch Dracos Adern floss und es regte ihren Hunger an, der sowieso schon groß war. Aber sie wollte nicht darum bitten, er hatte sie zutiefst verletzt.

Sie spürte, wie Draco sich zu ihr drehte und sich halb aufrichtete.

„Es tut mir leid.“ flüsterte er ihr ins Ohr. „Ich habe mich benommen wie ein Idiot, wie ein Riesenidiot. Aber ich sah Dich dort stehen und lachen, da bin ich durchgedreht. Verzeihst Du mir?“

Leo konnte das frische Blut riechen und es machte ihr Mühe, ihre Zähne zurück zu halten. Sie schloss die Augen und atmete tief durch.

„Komm.“ sagte Draco, fasste ihre Schulter und drehte sie auf den Rücken. „Komm, ich weiß, dass Du hungrig bist.“ flüsterte er verführerisch und kam mit seinem Mund näher an ihr Gesicht, so dass der Geruch noch stärker wurde.

„Lass mich.“ zischte Leo, aber Draco dachte gar nicht daran. Er fuhr mit einer Hand unter die Decke und stieß seine Finger in sie hinein.

„Soll ich wirklich?“ murmelte er, während er seine Finger in ihr bewegte.

„Ja….lass….mich.“ stöhnte Leo gequält auf. Aber ihr Körper sprach eine andere Sprache, ihre Oberschenkel öffneten sich und ihr Unterleib bäumte sich seiner Hand entgegen.

Mit einem Ruck zog Draco die Decke weg, beugte seinen Kopf hinunter und küsste abwechselnd ihre Brustwarzen, welche gleich darauf reagierten und hart und steif wurden.

Immer noch mit seinen Fingern in ihr, richtete sich Draco auf und kniete sich zwischen Leos mittlerweile gespreizte Beine. Langsam drang er nun in sie ein.

„Ich….will….nicht.“ Schweratmend warf Leo ihren Kopf hin und her.

Ohne sich in ihr zu bewegen, lag Draco auf ihr. Er legte seinen Kopf neben ihren auf das Kissen. Leo konnte das heftige Pulsieren seines Blutes hören und sie wusste, er hatte wieder so viel getrunken, dass seine Adern zum Platzen gefüllt waren. Ein hungriges Knurren drang gegen ihren Willen aus ihrer Kehle.

„Ich bin da, ich bin immer für Dich da.“ murmelte Draco. „Komm, still Deinen Hunger.“

„Ich…“ nuschelte Leo, während ihre Zähne wuchsen und ihr das Wasser im Mund zusammen lief. „Ich bin sauer auf Dich.“
„Ja, ich weiß.“ erwiderte Draco, „trink erstmal, wir reden später.“

Leo bohrte vorsichtig ihre Zähne in seine Ader und trank, aber es war anders als sonst. Sie zeigte keinerlei Erregung dabei, blieb ganz ruhig liegen. Als Draco, den es wie immer erregte, wenn Leo von ihm trank, sich langsam in ihr bewegte, nahm Leo ihre Lippen von seinem Hals, sagte kurz: „Nicht.“ und trank weiter. Aber als Draco sich zurückziehen wollte, klammerte sie ihre Beine um seine Oberschenkel und hielt ihn so fest.

Nach einer Weile merkte Draco, dass Leo nichts mehr trank, obwohl ihr Mund noch an seinem Hals lag. Vorsichtig hob er den Kopf und sah, dass sie eingeschlafen war. Seltsam, so etwas war noch nie vorher passiert. Ihre Beine hielten ihn immer noch umklammert und so konnte er sich nicht von ihr lösen.

Draco betrachtete Leos Gesicht. Sie lag dort mit halb geöffnetem Mund, aus dessen Winkel ein wenig Blut herauslief und ihre Zähne waren auch noch nicht zurückgezogen. Sie lächelte leicht. Er hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn und murmelte: „Schlaf schön, mein Engel.“ Dann nahm er sich ein Kissen und stopfte es unter seinen Kopf, so dass er etwas bequemer lag.

Immer, wenn Draco in der Nacht versuchte, sich von Leo zurück zu ziehen, umklammerte sie ihn fester und murmelte im Schlaf: „Nicht.“ So blieb Draco nichts anderes übrig, als in ihr zu bleiben.

Irgendwann im Morgengrauen gelang es ihm dann doch und er stand leise auf. Er schlüpfte in eine Jogginghose, verließ leise das Zimmer und ging in den Garten. Dort zündete er sich eine Zigarette an und ging nachdenklich auf und ab. Er dachte über seine Reaktion von gestern Abend nach, als er Leo dort mit dem jungen Mann gesehen hatte. Er wusste doch genau, dass sie keinerlei Interesse an menschlichem Blut hatte. Er hatte sich einfach nur blöd verhalten. Aber Leo war auch anders gewesen. Normalerweise verlangte sie ihm einiges ab. Das konnte nicht nur an seiner Eifersucht liegen.

Draco beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen, trat seine Kippe aus und ging zurück ins Zimmer.

Leo schlief immer noch, ihre Beine angewinkelt und leicht gespreizt. Vorsichtig legte Draco eine Decke über sie, setzte sich auf die Bettkante und betrachtete ihr Gesicht. Mittlerweile waren ihre Zähne wieder normal.

Ihre Gesichtszüge waren allerdings nicht mehr so ruhig und glatt, sondern es schien, als würde sie sich gegen etwas wehren, als würde sie einen Kampf ausfechten.

„Nein.“ schrie sie plötzlich und setzte sich auf. Sofort nahm Draco sie beruhigend in dem Arm.

„Scht“ machte er, „es ist alles in Ordnung.“

Leo umklammerte seinen Hals und presste ihren Kopf fest an ihn.

„Verlass mich nicht.“ schluchzte sie in seiner Halsbeuge.

„Nein, ich werde immer bei Dir sein.“ sagte Draco beruhigend, „Ich würde Dich nie verlassen.“
„Versprichst Du mir das?“ wollte Leo unter Tränen wissen.

„Ich verspreche es Dir hoch und heilig.“ schwor Draco. „Wie kommst Du nur auf so etwas?“

„Ich….ich weiß nicht….“ murmelte Leo. „Ich wachte auf und Du warst nicht da, da überfiel mich Panik. Keine Ahnung, warum. Vielleicht lag es an meinem Traum.“

„Was hast Du denn Schlimmes geträumt?“ fragte Draco.

„Das ist es ja, ich kann mich nicht erinnern, nur an das Gefühl der Angst, dass Du fort wärst.“ erwiderte Leo und presste sich enger an ihn.

„Das lag bestimmt nur an unserem dummen Streit von gestern.“ versuchte Draco sie zu beruhigen. „Das heißt, eigentlich nur an meinem blöden Verhalten, als ich Dich mit dem jungen Mann an der Theke sah und Dich lachen sah.“

„Du hast Dich wirklich blöd verhalten.“ stimmte Leo zu. „Der Ärmste war

zum ersten Mal da und er war unsicher, was ihm geschehen würde. Deshalb haben wir uns ein wenig unterhalten, ganz harmlos und er hat mir Geschichten von seinem Studium erzählt. Und dann tauchst Du auf wie ein wild gewordener Stier und zerrst mich weg. Was soll der Arme jetzt wohl denken?“

Leo sah Draco an und begann zu lachen. „Und das, obwohl Du mir in Algerien noch vorgeschlagen hast, mir einen Mann zu suchen, um zu sehen, was passiert, wenn ich von ihm trinke.“

Draco nahm ihr Gesicht in die Hände und schaute sie an. „Apropos trinken.“ meinte er. „Du solltest noch etwas trinken, Du siehst noch sehr blass aus. und, sei jetzt nicht böse, Du hast Augenringe.“

„Aber nicht aus Deinem Hals.“ sagte Leo. „Ich möchte Dich dabei ansehen und ich möchte…“, sie zögerte kurz, „ich möchte Dich in mir spüren dabei.“

Wenig später saß Draco ans Kopfende des Bettes gelehnt und Leo saß auf seinem Schoss. Sie hatte sein Handgelenk an ihrem Mund und trank in kleinen Schlucken, dabei sah sie ihn an und bewegte sich leicht auf ihm. Es hatte nichts mehr von der Wildheit ihrer bisherigen Nächte. Nicht, dass es Draco gestört hätte, es wunderte ihn nur.

„Ich liebe es, Dich in mir zu spüren.“ sagte Leo, nachdem sie seine Hand losgelassen hatte und nun still auf ihm saß. Sie ließ sich nach vorn fallen und legte ihren Kopf an seine Schulter. Kurze Zeit später bemerkte Draco an ihren ruhigen Atemzügen, dass sie wohl eingeschlafen war.

Vorsichtig rutschte er nach unten und nahm Leo dabei mit, dann drehte er sich auf die Seite und sah in ihr Gesicht.

Leo schlief fast den ganzen Tag und Draco blieb die ganze Zeit bei ihr. Als sie am späten Nachmittag aufwachte, sah sie ihn an und lächelte schwach.

„Gut geschlafen?“ fragte Draco leise und strich ihr zärtlich über die Wange.

„Ja.“ murmelte Leo und presste ihre Nase an seinen Hals. Tief sog sie den Geruch seines Blutes ein. „Ich würde gerne noch etwas trinken.“ nuschelte sie. „Und danach solltest Du nach unten gehen und für frischen Nachschub sorgen.“

Draco war zwar verwundert über ihre Worte, sagte aber nichts. Er beugte seinen Kopf, so dass sie bequem an seine Ader kam.

Bevor Leo ihre Zähne in ihn hinein bohrte, nahm sie seine Hand und legte sie zwischen ihre Beine. Dann trank sie einige Schlucke.

In den nächsten Tagen änderte sich nichts an Leos seltsamen Verhalten. Sie lag die meiste Zeit im Bett und schlief. Das Zimmer verließ sich gar nicht mehr. Jeden Abend schickte sie Draco nach unten, um frisches Blut zu trinken und ungeduldig erwartete sie seine Rückkehr.

Draco wunderte sich zwar über Leo, sagte aber nichts. Mit Besorgnis stellte er fest, dass Leo, obwohl sie nun täglich trank, immer blasser und anscheinend auch schwächer wurde. Er musste dringend mit Darkness darüber reden. Und es musste schnell sein, denn schon in ein paar Tagen mussten sie zu der Hütte abreisen, in welcher Asmodee sie erwartete.

Die Gelegenheit dazu bekam er schneller, als erwartet.

„Was ist eigentlich mit Leo los?“ fragte Darkness ihn am Abend, als er die Bar betrat. „Wir haben sie schon seit Tagen nicht mehr gesehen.“

„Wenn ich das wüsste.“ seufzte Draco verzweifelt. „Seit ihrem Besuch hier liegt sie nur noch im Bett und schläft sehr viel.“

Darkness richtete sich aus ihrem Sessel auf und verscheuchte die Männer, die sie umgaben.

„Geht, sucht Euch andere Gespielinnen.“ forderte sie diese auf, dann nahm sie Dracos Hand und zog ihn mit sich, die eifersüchtigen Blicke der Männer ignorierend. Sie zog Draco in einen kleinen Raum, dessen Tür unsichtbar in der Wand versteckt war. Es war wohl Darkness Privatzimmer, wenn sie sich mal zurückzog.

„Setz Dich.“ sagte sie und deutete auf die große Couch, die sich hier befand. „Und nun erzähl mir alles ganz genau.“

„Was soll ich groß erzählen?“ meinte Draco nachdenklich. „Das Wesentliche hab ich Dir schon gesagt. Leo ist seit dem Abend hier total verändert. Gut, an dem Abend war sie sauer auf mich wegen meiner blöden Eifersucht. Sie wollte, obwohl sie sehr hungrig war, erst nicht trinken. Ich habe sie dann gewissermaßen dazu gezwungen, indem ich sie einfach nahm.“
„Willst Du damit sagen, Du hast sie vergewaltigt?“ fragte Darkness entsetzt.

„Nein, so war es nicht.“ beruhigte Draco sie. „Ich bin nur in sie eingedrungen, sonst nichts. Leo trank dann von mir, aber sie wollte nicht wie sonst mit mir schlafen. Ich sollte einfach nur ruhig in ihr bleiben. Und seitdem ist es jedes Mal so, sie will mich einfach nur spüren. Nicht einmal, wenn sie schläft, darf ich mich zurückziehen. Aber obwohl sie jeden Abend trinkt, scheint es , als würde sie immer schwächer. Und blasser erscheint sie mir auch.“

„Hm, so etwas habe ich noch nie gehört.“ meinte Darkness. „Ich werde sie mir morgen mal anschauen.“

„Dafür wäre ich Dir sehr dankbar.“ erwiderte Draco erleichtert. „Aber verrat ihr bitte nichts über unser Gespräch, ich glaube, darüber wäre sie nicht sehr erfreut.“

Darkness versprach es ihm und ging mit ihm zurück in die Bar. Draco suchte sich dort schnell jemanden, aus dem er trinken konnte und ging zurück zu Leo, welche ihn schon sehnsüchtig erwartete.

Am nächsten Morgen trat nach kurzem Klopfen Darkness in das Zimmer. Leo lag im Bett und war fast so weiß wie das Laken. Obwohl Darkness darüber sehr erschrocken war, ließ sie sich nichts anmerken.

„Guten Morgen“ wünschte sie fröhlich und setzte sich einfach auf die Bettkante. „Man sieht ja überhaupt keinen mehr von Euch, ich wollte mal schauen, ob alles in Ordnung ist.“ Sie blickte zu Draco. „Hm, Du siehst aus, als ob Du einen Kaffee brauchen könntest. Also ab mit Dir in die Küche.“

Widerstrebend erhob Draco sich und blickte Leo an. „Ist das okay?“

„Ja, geh nur.“ sagte Leo mit schwacher Stimme und sah ihm hinterher, als er den Raum verließ.

„Und nun zu Dir.“ wandte sich Darkness an Leo. „Was ist los mit Dir? Alle machen sich Sorgen.“

„Ich weiß es nicht.“ erwiderte Leo. „Ich könnte ständig schlafen. Und wenn ich schlafe, träume ich seltsames Zeug. Da ist immer so ein schwarzes Loch, welches auf mich zu kommt und ich habe das Gefühl, als würde es versuchen, mich in sich hineinzuziehen. Nur wenn Draco bei und in mir ist, kann ich ihm entkommen. Es wird von Tag zu Tag schlimmer.“ Ihr traten Tränen in die Augen. Sie richtete sich auf und warf sich in Darkness Arme. „Ich habe Angst, große Angst.“ schluchzte sie.

Darkness streichelte Leos Rücken. „Das brauchst Du nicht.“ sagte sie beruhigend. „Wir werden nicht zulassen, dass Dir etwas geschieht und niemand wird Dich von hier fortholen. Hast Du Draco von Deinen Träumen erzählt?“

„Nein, ich will nicht, das er sich Sorgen mach.t“ antwortete Leo. „Es ist schon schlimm genug, dass ich jeden Abend von ihm trinke und ihm nichts dafür zurückgebe. Aber ich kann im Moment nicht wirklich mit ihm schlafen, ich will ihn nur in mir spüren.“

„Du solltest mit ihm über Deine Träume reden.“ empfahl Darkness und grinste Leo an. „Und Du solltest mal wieder richtig mit ihm schlafen. Du wirst sehen, danach ist alles wieder besser.“

„Meinst Du wirklich?“ zweifelte Leo.

„Bestimmt.“ sagte Darkness zuversichtlich. „Ich werde ihn gleich zu Dir schicken und dann lasst ihr es so richtig krachen.“

Als Darkness gegangen war, erhob Leo sich und ging ins Bad. Dort stellte sie sich unter die Dusche. Vielleicht tat ihr das warme Wasser ja gut.

„Leo?“ hörte sie Draco rufen, als er zurück war.

„Ja, hier, unter der Dusche.“ gab sie Antwort. Sie hörte, wie er das Bad betrat.

„Ist alles in Ordnung?“ wollte Draco wissen. Er sah in die Dusche.

„Ja.“ erwiderte Leo, griff seine Hand und zog ihn unter die Dusche. Das sein T-Shirt und seine Hose nass wurde, interessierte sie dabei nicht. Leo schlang ihre Arme um seinen Hals, zog seinen Kopf hinunter und küsste ihn leidenschaftlich. Nach anfänglichem Zögern erwiderte Draco ihren Kuss. Leo löste ihre Arme von seinem Hals und zerriss mit einem Ruck sein T-Shirt, ohne ihre Lippen von seinen zu lösen. Ihre Hände wanderten über seinen Körper nach unten und wenig später erlitt seine Hose das gleiche Schicksal wie das Shirt. Als er nackt war, ließ Leo ihre Lippen über seinen Körper gleiten. Leise stöhnend gab Draco sich ihren Liebkosungen hin und als Leo sein bestes Stück erreicht hatte, entfuhr ihm ein tiefer Seufzer.

Die Angst, welche Leo in den letzten Tagen hatte, schien verflogen. Jetzt gab es nur Draco und sie. Und mit jeder Faser ihres Körpers wollte sie ihn.

Langsam ließ glitt sie wieder nach oben und sah Draco in die Augen. Sie sah das Verlangen darin und lächelte leicht. Draco verstand es als Aufforderung. Als er sie hoch hob, schlang Leo ihre Beine um seine Hüften und er nahm sie gleich unter der Dusche.

Eng an Draco geschmiegt und sichtlich erschöpft lag Leo auf dem Bett, wo sie ihr Liebesspiel fortgesetzt hatten.

„Ich….ich muss Dir was sagen.“ begann Leo zögernd.

„Ja?“ erwiderte Draco vorsichtig.

„Ich liebe Dich..“ Leo wusste nicht, wie sie ihm erzählen sollte, was sie in letzter Zeit bedrückt hatte und so beschloss sie zu schweigen.

„Ich Dich auch.“ erwiderte Draco, der genau spürte, dass es nicht das war, was sie sagen wollte, aber er drängte sie nicht.

Am nächsten Tag erschien Darkness wieder.

„Asmodee hat sich gemeldet.“ berichtete sie. „Das Treffen ist für übermorgen geplant. So gegen Mittag werden alle an der Hütte eintreffen. Wenn ihr wollt, könntet ihr morgen schon dorthin fahren.“

„Danke.“ sagte Draco und erhob sich. Er hatte keinerlei Scheu, sich nackt vor Darkness zu zeigen. „Ich verschwinde mal kurz im Bad.“

„Hast Du es ihm gesagt?“ wollte Darkness von Leo wissen, als sich die Tür hinter Draco geschlossen hatte.

„Ich wollte, aber ich konnte nicht.“ gab Leo zerknirscht zu. „Er war so glücklich und ich wollte es nicht zerstören.“
„Aha, Du hast also meinen Rat befolgt.“ grinste Darkness verstehend. „Und so wie es aussieht, hat es auch Dir gut getan.“

„Das hat es.“ erwiderte Leo. „Es war…..“

„Lass gut sein, ich will keine Einzelheiten wissen.“ unterbrach Darkness lachend.


Am nächsten Tag machten sich Draco und Leo auf den Weg zur Hütte. Am Abend zuvor hatte Leo Draco nach unten geschickt, damit er noch mal richtig trinken konnte. Lächelnd sah sie zu ihm hinüber. Sie spürte, dass er wieder so viel getrunken hatte, dass seine Adern übervoll waren. Sobald sie an der Hütte waren, würde sie ihn erleichtern.

Dieses Mal brauchten sie nicht vor dem Tor stoppen und den Rest zu Fuß zurücklegen. Sie konnten bis zur Hütte fahren.

Leo stieg aus und sah sich um. Hier war alles so still und friedlich. Tief sog sie die Luft ein. Auch Draco war ausgestiegen und blickte sie an. Er lächelte, als er ihr glückliches Gesicht sah.

„Alles in Ordnung?“ fragte er trotzdem.

„Ja.“ erwiderte Leo. „Es ist so schön hier, so ruhig. Ich liebe dieses Fleckchen Erde. Hier konnte ich zum ersten Mal frei sein.“

Draco lachte, ging zu ihr und nahm sie in den Arm.

„Vielleicht sollten wir für immer hier bleiben.“ meinte er.

„Das wäre toll. Aber woher nimmst Du dann das Blut, welches Du brauchst?“ überlegte Leo.

„Hm, wir nehmen uns eine Frau als Sklavin und sperren sie in den Keller. Und immer, wenn ich Durst bekommen, muss sie mir zur Verfügung stehen.“ sagte Draco leichthin.

„Was? Nein! Bist du verrückt? Du kannst doch nicht einfach jemanden einsperren.“ empörte sich Leo und sah ihn strafend an.

„Das war ein Spaß.“ lachte Draco, nahm ihr Kinn hoch und küsste sie auf den Mund.

Sie gingen ins Haus und dort gleich ins Schlafzimmer. Leo warf sich rücklings auf das Bett.

„Komm zu mir.“ forderte sie Draco auf und klopfte neben sich auf die Matratze.

Draco stellte die Tasche mit ihren Sachen ab und legte sich neben sie. Leo richtete sich halb auf und beugte sich über ihn. Sie sah ihm tief in die Augen.

„Wenn das hier vorbei ist, sollten wir Asmodee bitten, uns zu trauen.“ sagte sie ernst. „Ich möchte gerne ganz an Dich gebunden sein, für immer und ewig.“

„Ist das Dein Ernst?“ fragte Draco überrascht.

„Ja, mein voller Ernst.“ erwiderte Leo.

Draco fasste sie an den Schultern und drehte sie auf den Rücken, dann beugte er sich über sie.

„Hast Du Dir das auch gut überlegt?“ wollte er wissen. „Du wirst für immer an mich gebunden sein, es gibt kein Zurück.“

„Es ist das, was ich will.“ sagte Leo schlicht.

Am nächsten Morgen erschien Asmodee, als Leo und Draco gerade in der Küche saßen und einen Kaffee tranken. Asmodee trug wie immer nur eine schwarze Hose und war barfüßig. Seine Flügel hatte er eingefahren, sie wären für den Raum zu groß gewesen.

„Guten Morgen.“ grüßte er fröhlich. „Seid ihr bereit für den Tag?“

„Guten Morgen.“ erwiderten Leo und Draco.

„Bereit bin ich nicht wirklich.“ bekannte Leo. „Ehrlich gesagt, wäre ich froh, wenn das schon alles hinter uns läge.“

„Keine Sorge, Kleines, wir sind ja bei Dir.“ beruhigte Asmodee sie. „Und wie ich sehe, hast Du Dich gestärkt für das Treffen.“
Das hatte Leo tatsächlich, sie hatte in der Nacht reichlich Gebrauch von Dracos Hals gemacht. Und nicht nur von seinem Hals.

Draco informierte ihn, dass Leo und er nach dieser Sache gerne heiraten wollten und er sie trauen solle. Asmodee stimmte freudig zu und meinte: „Gerne. Wenn alles vorbei ist, solltet ihr zurück zu Darkness fahren und alles vorbereiten. Ich werde in drei Tagen erscheinen und die Trauung vornehmen.“

So wurde es dann beschlossen.

Einige Zeit später erschienen die Ältesten der einzelnen Stämme. Asmodee führte sie alle ins Wohnzimmer. Zuvor hatte er Leo gebeten, in der Küche zu warten, bis er sie hole.

Es dauerte nicht lange, bis Asmodee die Küche betrat und sagte: „Es ist soweit. Kommt Ihr bitte.“

Nervös umklammerte Leo Dracos Hand und betrat das Wohnzimmer. Alle Anwesenden starrten sie erwartungsvoll an.

Leo erklärte ihnen, das, egal wie groß ihre Macht wäre, es nie ihre Absicht sei, eine der Spezies auszulöschen. Ihr einziger Wunsch wäre es, mit Draco irgendwo in Ruhe leben zu können. Sie hoffe, dass ihr Wunsch erfüllt würde und alle weiterhin in Frieden leben würden.

Einer nach dem Anderen versprach es ihr und reichte ihr die Hand. Dann war alles vorbei und die Ältesten verließen das Haus, um ihren Leuten davon zu berichten.


Drei Tage später war es dann soweit. Darkness hatte, wer weiß woher, ein traumhaftes, weißes Hochzeitskleid besorgt. Es hatte lange Ärmel und ein hoch geschlossenes Oberteil. Der Rock hingegen war lang und bauschig. Die Trauung sollte in der kleinen, schlosseigenen Kapelle stattfinden.

Lieu führte Leo zum Altar, wo Draco sie erwartete. Er trug einen schwarzen Anzug mit einem weißen Hemd und sah ihr erwartungsvoll entgegen.

Asmodee sprach in einer Sprache, welche Leo nicht verstand, einige Worte. Dann nahm er Dracos rechte und Leos linke Hand, drehte die Handflächen nach oben und schnitt mit einem Messer hinein. Anschließend legte er ihre Hände ineinander und sagte: „Durch Euer Blut seid Ihr nun auf ewig verbunden.“

„Ihr seid meine Zeugen, das alles korrekt vorgenommen wurde.“ wandte er sich dann an die Anwesenden, von denen ein zustimmendes Gemurmel kam.

Er bat Leo und Draco sich zu ihren Gästen umzudrehen. Dann nahm er ein Band und wickelte es um ihre Hände.

Während er das tat, sah Leo Draco an und flüsterte: „Vergiss nie, ich liebe Dich über alles.“

Anschließend blickte sie die Anderen an. Alle waren erschienen. Marie und Belziel, Wanja und Zerafina, Darkness und Jean, Lumina und Lieu, sogar ihre Mutter mit ihrem Mann standen dort mit Tränen in den Augen.

Nun konnte die Ewigkeit beginnen…..















































































































































477

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 16.04.2017

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /