(Gefahr von der anderen Seite)
Der erste Band des Moíra-Zyklus
Unzensierter Director's Cut des Debutromans »Gefahr von der anderen Seite«
Erstauflage © 06.2018 by Mike Gorden
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet unter http://dnb.dnb.de abrufbar.
1. Auflage
© 09.2022 von Mike Gorden
© Cover & Satz: Endless Creative –
Verlags- & Agenturdienstleistungen, Leipzig
Herstellung und Verlag: HML Verlag, Inhaber D. Moller,
Neukirchstraße 18, 28215 Bremen, Deutschland
www.hml-verlag.de
veröffenlicht über tolino media
ISBN: 978-3-96851-025-5
»Es ist absolut erstaunlich, wie jung Sie sind«, sagte sein Gegenüber. »Würde ich es nicht besser wissen, hätte ich Probleme zu glauben, daß Sie schon volljährig sind.«
»Ich bin Zweiunddreißig«, antwortete Leblanc. »Und es ist mir egal, ob Sie mir das glauben. Sie sind schließlich nicht hier, weil Sie einen Lustknaben suchen. Oder habe ich Ihr Angebot da falsch verstanden?«
Der Mann machte eine heftige Armbewegung, behielt aber die Fassung. »Werden Sie nicht frech, oder ich nehme Sie beim Wort.«
Mit einem »Schon gut. Meine Qualitäten befinden sich zwischen den Ohren und nicht zwischen den Beinen«, überspielte Leblanc seine Unsicherheit.
»Das weiß ich. Meine Frage ist: Können Sie auch liefern, bevor die Wahlkämpfe für 2017 beginnen? Der 'Boulevard Atlantique' benötigt etwas Vorlauf, um die Daten auszuwerten.«
»Lassen Sie Ihre Leute schon mal die Auswertungen schreiben.«
Sein Verhandlungspartner wirkte nicht wie ein Sympathieträger, aber da konnte er mithalten. Soziale Interaktionen hatten dem eigenen Vorteil untergeordnet zu sein. Er konnte schon als Kind nicht den Sinn von Konzepten wie 'Freundschaft' oder gar 'Liebe' erfassen und verhielt sich in jeder Situation rein opportunistisch. Damit hatte er zwar alle seine selbst gesteckten Ziele erreicht, entwickelte sich aber zu einem sehr einsamen Menschen. Nicht, daß ihn das gestört hätte. Leblanc tat eben, was getan werden mußte, um Leblanc auf seinem Weg voranzubringen. Ohne Rücksicht und ohne Skrupel.
»Die Auswertung meiner Daten wird einige Zeit in Anspruch nehmen«, fuhr er fort. »In einigen Monaten erhalten Sie die ersten Lieferungen und können damit beginnen, die Social Media in Frankreich nach den Vorstellungen Ihrer Auftraggeber zu beeinflussen. Der Front National wird begeistert sein.«
»Wie kommen Sie auf die Idee, der 'Boulevard Atlantique' würde Aufträge vom Front National entgegennehmen? Das ist eine absurde Unterstellung.«
Die Entgegnung kam ein wenig zu schnell und scharf, wie ein oft einstudierter Reflex.
»Wie Sie meinen. Das spielt auch keine Rolle, solange Ihre Bezahlung stimmt.«
»Sie werden zufrieden sein, wenn wir es sind.« Die Diktion des anderen klang monoton, so als hätte er als Kind an einem Sprachfehler gelitten, den er nur mit therapeutischer Hilfe bewältigen konnte. »Die besprochene Anzahlung wird Ihnen noch heute in Bitcoin zugehen. Hoffentlich sind Ihre Daten seriöser als diese neue 'Währung'.«
»Sie werden finden, daß Ihre Investitionen bei mir gut angelegt sind. Niemand anderes besitzt Zugang zu solchen Daten und ist gewillt, diesen mit Ihnen zu teilen.«
»Ich darf aber im übrigen davon ausgehen, daß Sie dieses einmalige Angebot nur uns machen. Mein Auftraggeber liebt keine Überraschungen und neigt dann zu unüberlegten Reaktionen.«
»Ich verstehe. Diese fetten Kaufleute in den Chefetagen wissen gar nicht, auf was für einem Schatz sie sitzen.«
»Und sie werden es auch nie erfahren, wenn es nach uns geht. Wie ich sehe, haben wir uns verstanden. Noch etwas: sollte bei Ihren 'Ausarbeitungen' etwas schieflaufen, werden wir jede Verbindung zu Ihnen abstreiten.«
»Ich weiß mich schon meiner Haut zu wehren.« Leblanc lächelte kalt. Er hatte – und der andere wußte das – keine Hemmungen, anderen weh zu tun. Seelisch und körperlich. Hauptsache, es brachte ihn selbst voran.
»Ihr Ruf ist Ihnen bereits vorausgeeilt.«
»Dann sind wir uns einig?«
»Lassen Sie sich nicht zu viel Zeit mit der ersten Lieferung. Der 'Boulevard Atlantique' wartet nicht gerne.«
Der Mann zahlte seine Schokolade mit behandschuhten Händen und verschwand wortlos aus dem kleinen Bistro in der Seitenstraße. Leblanc tat dasselbe. Er zog aus seiner Tasche einen Streifen Kaugummi, wickelte ihn aus, warf das Papier achtlos weg und schob ihn sich zwischen die schmalen Lippen. Dann schlenderte er kauend die Champs-Élysées in entgegengesetzter Richtung hinunter und lächelte dabei, als hätte er sich soeben mit einem guten Freund getroffen.
Doktor Jürg Sellmann hatte heute das Gefühl, außerhalb seines Körpers zu stehen. Eine seltsame Spannung lag in der Luft, wie er sie seit seinem Arbeitsantritt vor acht Jahren noch nicht erlebt hatte. Dabei lief doch alles nach Plan.
Vielleicht kam dieses komische Gefühl daher, daß er in der vergangenen Nacht so furchtbar geträumt hatte. Er befand sich im ATLAS Detektor des LHC. Es war furchtbar heiß. Der riesige Zylinder der Detektorkammer pulsierte hypnotisch im Rhythmus der Maschinen. Er betrachtete fasziniert dieses Pulsieren, das ihm vorher noch nie aufgefallen war. Die Luft um die Kammer herum flirrte vor Hitze und die Oberfläche der Detektorkammer spiegelte wie eine Landstraße in der Mittagssonne. Das Pulsieren wurde stärker und stärker. Fast, als wäre die Kammer ein Lebewesen. Dann wurde sie plötzlich durchscheinend in der Hitze. Er konnte durch die massive Wand in ihr Inneres sehen. Dieses war leer, nicht von zahllosen Schichten von Kühlschlangen, Leitungen und Detektoren erfüllt, wie es eigentlich sein sollte. In der Mitte schwebte eine kleine, silberne Kugel, deren Oberfläche ebenfalls im Rhythmus des Ganzen mit pulsierte. Sie sah aus wie ein einziger, übergroßer Tropfen Quecksilber und schien wie von selbst zu wachsen. Die Wände des Detektors verschwanden ganz und er befand sich allein in der Halle mit dieser metallisch glänzenden Flüssigkeit. Ihre Form veränderte sich, während das Pulsieren gleichzeitig immer langsamer wurde. Die Kugel wandelte sich zu einer furchterregenden Fratze. Sie verließ das ehemalige Zentrum der Kammer und schnappte nach ihm. Er wollte weglaufen, kam aber nicht von der Stelle. Die Umgebung um ihn herum fühlte sich an wie Treibsand. Die Fratze kam immer näher. Er schrie laut auf in Panik. Danach wachte er schweißgebadet auf.
Ein Albtraum. Das passierte einfach von Zeit zu Zeit. Er schälte sich aus den Decken und spürte, daß ihm der Schweiß in einer kleinen Pfütze auf der Brust stand. Nachdem er sich aus dem katatonischen Zustand gelöst hatte, in dem der Traum ihn zurückließ, sah er durch die Vorhänge, daß die Sonne schon aufgegangen war und beschloß aufzustehen. So traf er heute schon um sieben Uhr im Büro ein.
Das Protonen-Kollisions-Experiment lief seit über einer Woche genau im Rahmen seiner Parameter. Er selbst hatte sie mit berechnet. Tag für Tag pumpten sie Energie in das Synchrotron. Kollisionen von Atomkernen im Höchstenergiebereich erwiesen sich als Jungbrunnen für die physikalische Grundlagenforschung. Erst vor wenigen Jahren wurde genau hier das Higgs-Teilchen nachgewiesen und das Standardmodell so glänzend bestätigt.
Jetzt wollten sie darüber hinaus. Irgendwo dort draußen lauerten Bestätigungen für verschiedene Theorien. Oder eben nicht, wenn sie nichts fanden. Seit Jahren untersuchte eine der am CERN beteiligten Organisationen das Verhalten der Atome bei hohen und höchsten Energien. In diesem Jahr hatten sie Meßzeit auf dem Large Hadron Collider bekommen und die durften sie nicht vergeuden. Seit dem Neustart des Systems nach der Winterpause beschossen sie eine nur 100 µm dicke Folie aus Platin mit Protonen ständig wachsender Energie. Traf solch ein fast lichtschneller Wasserstoffkern auf einen Atomkern der Platinfolie, zerplatzte dieser und es entstanden große Mengen exotischer Teilchen, deren Zerfallsreaktionen sie emsig studierten.
In den Daten des Vorjahres fanden Sie Hinweise auf eine Anomalie bei einer Teilchenmasse von 750 GeV. Falls sich dahinter ein neues, bisher unentdecktes, Elementarteilchen verbarg, so galt es das jetzt zu verifizieren.
Jürg schrieb an einem Artikel, den er in einigen Wochen zur Veröffentlichung einreichen wollte und sah nebenher die Tabellen durch, die das Netzwerk auf seinen Bildschirm im Büro lieferte. Nichts Auffälliges. Ein bißchen weniger Energieausstoß als sein sollte, aber alles noch im Rahmen der Meßgenauigkeit. Das passierte öfter. Alles im Plan. Auch, daß der Bildschirm zwischendurch kurz schwarz wurde, gehörte dazu. Seine neue USB-Maus meldete sich von Zeit zu Zeit ab und wollte dann vom Betriebssystem wiedergefunden werden.
So früh am Tag brachte er bis auf einen oder zwei Kaffee nichts herunter. Vor allem heute nicht, wo die Nacht solche Spuren hinterlassen hatte. Der Appetit kam erst nach zwei bis drei Stunden. Genau jetzt. Jürg spazierte gemächlich in die Institutskantine und steckte seine Mitarbeiterkarte in den Heißgetränkeautomaten, der mit all seinem blitzenden Chrom ziemlich protzig aussah. Er wählte eine heiße Schokolade, nahm sich einige Stücke Gebäck vom Buffet und setzte sich damit in den fast leeren Pausenraum. Beate, seine Frau, brachte jetzt wohl gerade die Kinder zur Schule. Danach machte sie Homeoffice. Telefonieren mit der Zentrale und mit den Kunden der Bank, für die sie arbeitete.
Sparverträge liefen derzeit wegen der niedrigen Zinsen nicht gut. Aber Immobilien konnte sie gut verkaufen. Wenn ihre Bank denn an welche herankam. Im Großraum Genf gab es nur wenige freie Objekte. Ein komplizierter Markt, den er nie richtig verstanden hatte. Er liebte seine Frau gerade, weil ihr immer wacher Verstand darin aufging.
Heute hatten sie sich zum Mittagessen verabredet. Am Nachmittag gab es nichts für ihn zu tun. Sie würden die Kinder zusammen aus der Schule holen und über die Grenze ins Vitam nach Neydens fahren. Eine Geburtstagsüberraschung für die Jüngste. Ein ruhiger Tag in einer ruhigen Woche. Jürg ließ sich Zeit beim Frühstück und beeilte sich auch auf seinem Rückweg in sein Büro nicht sonderlich.
Ein Fehler, wie sich sofort herausstellte. Als er das Zimmer betrat, sah er schon aus der Entfernung, daß etwas nicht in Ordnung war. Er eilte an die Bildschirme. Die Energiezufuhr durch hochbeschleunigte Protonen war online und befand sich auf stabilem, immer leicht steigendem Niveau. So hatten sie das Experiment geplant. Sie suchten nach ungewöhnlichen Ereignissen in den Myriaden von Kollisionen, die in jeder Sekunde in der Detektorkammer stattfanden.
Er klickte sich durch die Menüs und kontrollierte die Detektoren, die diese Zerfallsereignisse maßen und protokollierten. Die meisten zeigten nicht mehr das übliche Gewimmel verschiedenster Peaks, sondern Nullinien! Der Energieausstoß des Systems hatte sich stark verringert und sank weiter. Nur einige sehr hochenergetische Zerfallsereignisse wurden noch angezeigt.
Wo blieb diese Energie? Die Daten, die ihm der Bildschirm anzeigte, standen in krassem Widerspruch zum Energieerhaltungssatz. Ein Meßfehler? Er wagte sich nicht vorzustellen, was im Speicherring passieren konnte, wenn weiter Energie in ein System gepumpt wurde, das sie nicht vollständig wieder abgab.
Plötzlich poppten Fehlermeldungen auf seinem Bildschirm auf. Die Verbindung in die Kammer schien gestört zu sein. Die Detektoren gingen nacheinander vom Netz. Jürg löste Alarm aus und initiierte eine Notabschaltung.
Der Alarm ging los, aber das System reagierte nicht. Sein Bildschirm wurde wieder schwarz und meldete sich nach einigen Sekunden mit einem Netzwerkfehler. Eigentlich hätte das Beam Protection System bereits ohne sein Zutun vollautomatisch den Protonenstrahl unterbrechen und ihn in den Strahlstopper umleiten müssen, wenn etwas nicht ordnungsgemäß lief. Warum zur Hölle geschah das nicht? Er eilte in den großen Kontrollraum, der einige Zimmer weiter lag. Dort herrschte ebenfalls Unruhe.
»Die Verbindung in die Kammer ist gerade zusammengebrochen. Wir müssen notabschalten! Hat jemand von euch noch Verbindung nach unten? Irgend jemand?«
Er blickte in ratlose Gesichter. Die anderen schienen ebenso überrascht zu sein wie er. Jürg faßte sich als erster. Er mußte nach unten in den Technik-Kontrollraum und das Experiment von Hand beenden. Hoffentlich sah dort jemand die Entwicklung und zog die richtigen Schlüsse daraus. Scheiß Routine. Draußen startete gerade der Frühling durch. Das System lief seit über einer Woche absolut stabil. Sie machten Dienst in ihren oberirdischen Büros, in denen sie freien Blick nach draußen hatten. Kaum einer der Mitarbeiter verbrachte seine Zeit noch tief unter der Erde in der Kammer.
Jürg rannte zu den Fahrstühlen, deren Türen sich gerade öffneten. Ein Schwall von Technikern ergoß sich in den Eingangsraum. Es war Zeit für die allgemeine Frühstückspause.
»Ist noch jemand unten?«, rief er in die Gruppe.
»Ich glaub' nicht«, antwortete jemand. »Harry«, er deutete auf einen in der Gruppe »hat Geburtstag und wir haben eine kleine Überraschung für ihn organisiert.«
»Wo ist Stefano?«
»Der hat heute frei.«
»Eine Notbesetzung wird doch wenigstens unten sein?« Er sah einige Gesichter, die erröteten. Eine Antwort bekam er nicht.
»Wir reden später darüber«, schnappte er nach einem Moment der Fassungslosigkeit. »Wir haben soeben die Verbindung in die Kammer verloren. Anscheinend wartet dort auch eine Überraschung, und nicht nur auf Harry. Ich gehe jetzt runter.«
Er zögerte einen Moment und wandte sich dann zum Treppenhaus. Der Fahrstuhl erschien ihm zu riskant, wenn dort unten jeden Moment etwas hochgehen konnte. »Seien Sie froh, wenn Doktor Lies davon nichts erfährt! Ach ja, und falls einer von Ihnen es schafft, von hier oben die Notabschaltung zu initiieren, bevor ich es von unten mache, gebe ich eine Kiste Moët aus.«
Jürg ließ eine Reihe entgeisterter Gesichter hinter sich zurück, als er in das Not-Treppenhaus hechtete, das wie ein Schlot in die Tiefe führte. Wer weiß, was passieren konnte, wenn in der Detektorkammer dort unten etwas schieflief. Die Energie des Strahles kam der eines vollbeladenen, fahrenden Güterzuges gleich. Sein Magen rebellierte bei der Vorstellung, daß unten in der Halle vielleicht gerade eine Feder gespannt wurde, die diesen virtuellen Güterzug in die Apparaturen donnern lassen würde.
Schon nach der Hälfte der Strecke kam er völlig außer Atem. Er fühlte sich eindeutig zu unsportlich für 100 Meter Höhenunterschied und nahm sich vor, sofort mit Ausdauertraining anzufangen, sobald diese Geschichte überstanden war. Schwitzend und keuchend kam er nach einigen Minuten unten in der Kaverne an.
Tatsächlich schien er der einzige hier unten zu sein. In der großen Halle mit all den Pumpen, Kühlanlagen und heliumgekühlten Magneten befand sich kein Mensch. Er eilte mit letzter Kraft an die Kontrollen eines der Hauptrechner und löste die Notabschaltung manuell aus.
Dann verließ das Universum endgültig den Bereich, in dem das Standardmodell Gültigkeit besaß. Mit seinem Ende kam der Lichtblitz. Er explodierte einfach in seinem Gehirn und brannte es aus.
Das matschig graue Licht, das durch die Fenster des Verlagsbüros drang, verkündete den baldigen Morgen und die Gebäude änderten ihre Farbe von schwarz zu verschiedenen Grau- und Rosatönen. Wenn die Sonne sich von unten dem Horizont näherte, fingen sie an, in leuchtendem Orange und Gelb zu erstrahlen. Das Laub der Bäume wurde erst bräunlich rot und dann später grün leuchten. Jetzt kurz vor Sonnenaufgang wurden alle Farben neu geboren.
Es hatte sich gelohnt, die Nacht durchzuarbeiten. Mike Peters saß am Freitagmorgen allein in der Redaktion und platzte fast vor Stolz. Die Recherche brachte endlich Ergebnisse. Er hatte ein Phantom aufgespürt! Vor ihm auf dem Bildschirm erschien eine E-Mail mit Registrierungsinformationen. Registrierungen in einem Hotel. Einem besonderen Hotel, das offiziell nicht existierte und 'Die Kolonie' hieß.
Dort stand der Name: 'W. Stein'. Er folgte seinen Spuren seit über einer Woche. Nun ja, nicht er allein, sondern zusammen mit Sébastien Giroud, einem engen Freund von der Uni. Dieser arbeitete jetzt in der IT der Générale Parisienne Assurances (GPA), Frankreichs größter Krankenversicherung. Er ließ regelmäßig verlauten, daß die Netzwerkadministration, die er dort machen mußte, zwar gut bezahlt wurde, ihn aber zu Tode langweilte. Daher kümmerte er sich mit Freude in einem Teil seiner Freizeit auch um Mikes Projekte, die er wesentlich spannender fand. Zusammen bildeten sie ein gutes Team und hatten 'W. Stein' jetzt aufgespürt.
Ein anonymer Tipgeber wies ihn vor einigen Wochen per Mail darauf hin, daß an der Geschichte 'Wissenschaftler begeht Selbstmord und sein Professor verschwindet spurlos' mehr dran sein könnte als das, was die Pariser Polizei in ihren spärlichen Untersuchungsberichten herausrückte. Der Professor untersuchte laut Mikes Quelle eine große Sache, die die Welt der Wissenschaft ordentlich durcheinanderwirbeln würde. Da die Mail interne Informationen aus dem Fachbereich des Professors enthielt, die die Polizei offensichtlich nicht besaß, konnten die beiden seine Spur aufzunehmen und ihr ein Stück voraus sein.
Investigative Arbeit gehörte normalerweise nicht zu seinem Tätigkeitsbereich. Sie bereitete ihm aber viel Spaß und er empfand die Herausforderung als willkommene Abwechslung vom täglichen Sichten von Pressemitteilungen und wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Ein Wissenschaftler von Weltruf, der einfach so von der Bildfläche verschwindet, verlockt natürlich zu wildesten Spekulationen. Er lehnte es ab, auf der Basis von Mutmaßungen einen Artikel zu verfassen. Das entsprach auch der Politik der Verlagsleitung, die um die Seriosität des 'Magazine de la Science' fürchtete.
Sébastien folgte Kreditkartendaten und checkte Passagierlisten. Mike redete mit Hotlines und besuchte Leute im ganzen Land. Als Redakteur des führenden Wissenschaftsmagazins Frankreichs hatte er seine Freiheiten. Außerdem gingen viele Leute, die ihre Informationen mit ihm teilten, in dieselben Kneipen und Clubs wie er. Er hatte sich gut vernetzt und wo seine Beziehungen nicht hinreichten, ließ er seinen Charme spielen. Und wo auch das nicht reichte, sprang Sébastien ein und hackte sich in fremde Systeme, bis sie zusammen das nächste Puzzlestück aufspürten. Jetzt – ganz langsam – ergaben die Teile ein stimmiges Bild.
Schnell fanden sie heraus, daß es sich nicht um eine Entführung handelte. Der Professor lebte noch und war wohl aus freien Stücken untergetaucht. Sie rekonstruierten seine letzten Tage und folgten seinen Spuren durch Frankreich, in die USA und wieder zurück, bis sie sich am Ende eines Flugtickets nach Santiago de Chile zunächst verloren. Sébastiens Einsatz verdankten sie es, daß ihre Nachforschungen an dieser Stelle nicht endeten. Mit der Geduld einer Katze, die einen Vogel belauert, suchte er in der näheren und weiteren Umgebung der chilenischen Hauptstadt nach Objekten und Einrichtungen, die die Möglichkeit besaßen, einem Wissenschaftler von Weltrang Zuflucht zu gewähren. Wovor auch immer.
Über die Facebook-Freunde von Alberto Anvar, eines Wissenschaftlers der Universidad de Chile, der wiederum mit Professor Stein befreundet war, fand er einige Hinweise auf die 'Kolonie'. Der Name erinnerte zwar an ein schlimmes Kapitel der jüngeren chilenischen Geschichte. Offiziell handelte es sich aber nur um ein Hotel. Ein Hotel in einem schwer zugänglichen Flußtal in den Anden ohne jegliche Sehenswürdigkeit weit und breit. Ein Hotel fernab aller Straßen und ohne Internet.
Ein kurzer Check über die gängigen Satelliten-Karten zeigte Mike, daß sich an diesem Ort unmöglich nur ein Hotel befinden konnte. Auf einer natürlichen Halbinsel zwischen den beiden Armen eines kleinen, gewundenen Flüßchens befanden sich eine ganze Reihe größerer Gebäude und ein weitläufiges, parkähnliches Grundstück mit einigen Bungalows zog sich die Hänge hinauf. Die Auflösung der Aufnahmen lag an der untersten Grenze dessen, was man für solches Kartenmaterial verwendete. Dennoch konnte man mit etwas Fantasie sogar technische Anlagen sowie Absperrungen und Zäune erahnen.
Die Sicherheitsvorkehrungen ließen auf etwas Größeres schließen, militärisch möglicherweise. Die Unmöglichkeit, auf anderen Wegen herauszufinden, was sich dort wirklich befand, ebenso. Auch die Verbindungen nach außen mußte Sébastien mit der Lupe suchen. Schließlich fand er eine Art Treuhänder oder Steuerberater in Santiago, der in regelmäßiger Verbindung mit dieser Anlage stand. Auf einer seiner Festplatten entdeckte Sébastien schließlich die entscheidenden Informationen. Demnach handelte es sich um eine Art wissenschaftlicher Stiftung mit unklarem Zweck und unbekannten Eigentümern. Neben anderen Unterlagen lud Sébastien auch eine Liste der Besucher der letzten Monate herunter und genau die lag jetzt vor ihm.
Marie Bouesnard, seine Assistentin, traf gerade ein und kam mit Café au lait und Croissant herein. »Hallo Michel, Du siehst aus wie eine Katze, die einen Vogel gefangen und gefressen hat. Dann hat sich die Nachtschicht wohl gelohnt.«
Mike sah sie gequält an. »Nenn mich nicht immer Michel. Du weißt, daß ich das nicht mag.«
»Ja, Michel.« Mike verdrehte die Augen, aber Marie konnte sich das herausnehmen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Dafür arbeitete sie zu gut und außerdem waren sie auch privat befreundet. Sie kümmerte sich um das Team in der Zeit, in der er seinen Spuren folgte. Sie hielt ihm den Rücken frei und delegierte die Recherche an die Redaktionspraktikanten, arme Studenten, die hier für einen Hungerlohn und die Aussicht, vielleicht irgendwann einmal fest eingestellt zu werden, die Zuarbeiten für die Redakteure machten.
Er liebte diese Zustände nicht, aber er hatte sie nicht gemacht und er wußte genügend um die Finanzen des Verlags, um zu verstehen, daß es heutzutage nicht mehr anders ging, wenn man ein Printmagazin am Leben halten wollte.
»Ja, ich hatte Erfolg. Ich kenne jetzt den Aufenthaltsort von Professor Stein.« Er nahm genußvoll einen Schluck von seinem Milchkaffee. Seine Hitze und die leichte Karamelnote im Abgang regten seine Sinne an und verscheuchten die Müdigkeit für eine Weile. »Und ich bin ihm buchstäblich ans Ende der Welt gefolgt.«
»Heißt das, ich kann jetzt wieder meiner normalen Arbeit nachgehen?« Marie sammelte systematisch die Kaffeebecher ein, die im ganzen Zimmer herumstanden. Mike hatte die Angewohnheit, sie zu vergessen, wenn er konzentriert arbeitete. Er holte sich dann einfach einen neuen Kaffee und die alten Becher standen irgendwo herum und ihr Inhalt wurde kalt.
»Noch nicht ganz. Ich muß den Professor zunächst besuchen und seine Version der Geschichte erfahren. Das könnte sogar der schwierigere Teil der Geschichte werden.«
Die Betreiber des Hotels, das offiziell nicht existierte, schirmten es streng nach außen ab. Seine Abgelegenheit schützte es zusätzlich. Dort hinein- und vor allem gesund wieder herauszukommen, würde noch einiges an Vorbereitung erfordern. Das sagte er ihr aber nicht. Sie würde sich Sorgen machen. Zu Recht.
Marie war ein kleines, drahtiges Persönchen. Ihre grünen Augen harmonierten gut zu der Stupsnase in ihrem Gesicht, um die sich ein paar einsame Sommersprossen tummelten, die sie ebenso regelmäßig wie erfolglos zu überpudern versuchte. Die Haare trug sie braun gefärbt mit einzelnen, blonden Strähnchen. Alles in allem verbrachte sie sicherlich jeden Tag einige Zeit damit, sich für die Welt da draußen zurechtzumachen. Der Aufwand, den sie trieb, lohnte sich, denn die meisten Männer ließen sich von ihr problemlos um den Finger wickeln. Eine Fähigkeit, die sie als Mikes Assistentin geschickt einzusetzen wußte.
»Du mußt aber sehr bald wieder mit Deiner normalen Arbeit fortfahren. Am besten gestern!« Sie goß mittlerweile die mehr oder weniger spärlichen Inhalte der Becher zusammen und stapelte danach die leeren Becher alle säuberlich ineinander. »Ich weiß mir zwar zu helfen. Aber auf ewig kann ich Dir die Chefetage nicht vom Leibe halten, wenn Du nicht bald Ergebnisse lieferst.«
»Ich werde im Verlauf des Wochenendes hoffentlich in Erfahrung bringen können, wie ich zu Professor Stein und wieder zurückkomme. Sollte ich bis Sonntag noch keinen Plan haben, werde ich in den nächsten Wochen business-as-usual machen. Versprochen.«
Marie verließ den Raum und er rief ihr noch scherzhaft hinterher: »Ich hoffe, daß Du damit nicht den Automaten neu bestückst. Zumindest würde das erklären, warum sein Kaffee so schmeckt, wie er eben schmeckt.«
Er lächelte in sich hinein und nippte weiter an seinem Getränk, während er die Nachrichten durchsah, die jetzt von den Agenturen hereintröpfelten. Die Welt geriet zwar immer mehr aus den Fugen, aber sie ließ sich genug Zeit damit, daß einen die Entwicklungen nicht überrollten. Er konnte dabei froh sein, daß nicht schon wieder ein neues Attentat die Schlagzeilen beherrschte. So drangen genügend wissenschaftliche Nachrichten an die Oberfläche, damit seine Redaktion ihre Arbeit machen konnte.
Ein Kongreß von Physikern in Paris wurde verschoben, weil gleich mehrere der Hauptredner sich krank gemeldet hatten. Eine halbwissenschaftliche Fanseite berichtete von einer neuen Variante der M-Theorie, die angeblich alle Naturkräfte inklusive der Gravitation widerspruchsfrei unter einem Dach vereinigte. Er hatte zwar davon schon gehört, aber die mathematischen Details überstiegen seinen Horizont deutlich. Außerdem erschien ihm die Quelle nicht seriös genug. Sollte etwas an dieser Theorie dran sein, würde sie nicht auf einer Webseite veröffentlicht werden, die in einem Atemzug über den angeblichen Beweis referierte, daß Mikrowellen krebserregend seien und Massenimpfungen futuristisches Teufelszeug zur Kontrolle der Bevölkerung.
Im südlichen Jura hatte es ein leichtes Erdbeben gegeben. Das Epizentrum lag an der französischen Grenze in der Nähe von Genf. Das Jahrestreffen der Seniorexperten Chemie der Gesellschaft Deutscher Chemiker würde übernächste Woche stattfinden. Einer seiner Kontakte, 'Lobélia' (nach eigenen Angaben ein wissenschaftlicher Mitarbeiter des MIT), hatte sich gemeldet und um ein Gespräch gebeten. Bei allem handelte es sich um nichts Aufregendes und es würde Marie sicher nicht überfordern.
Gegen Mittag machte er Schluß. Er würde das Wochenende sowieso hier verbringen. Da konnte er sich unbesorgt den Rest des Freitags freinehmen. Auf dem Weg nach Hause wäre er auf dem Platz vor dem Hôtel de Ville beinahe in eine Gruppe Touristen gerannt, weil ihm dauernd die Augen zufielen. Sie schossen eifrig Selfies vor der Fassade und nahmen ihn kichernd als Lokalkolorit zur Kenntnis. Dieses Nachtleben bekam ihm nicht mehr so gut, wie früher, fand Mike. Warum konnten sich seine Quellen bloß nicht an die offiziellen Bürozeiten halten, fragte er sich schläfrig, während er die Treppen zu seinem Appartement im vierten Stock hinaufstapfte.
Zu Hause schaltete er als erstes das Radio an. Etwas anspruchslose, ruhige Musik wäre jetzt gut. Er machte sich eine Dose Cassoulet auf. Während der Eintopf auf dem Herd stand, räumte er die Spülmaschine aus, füllte die Waschmaschine mit seinen Anziehsachen und schlüpfte in seinen bequemen, schwarzen Trainingsanzug. Er aß mit Genuß. Französische Fertiggerichte sind generell hochwertiger als deutsche und er wußte, in welchem Supermarkt es die besten davon gab.
Danach zog es ihn mit einem Espresso aufs Sofa. Kaum saß er aber dort, so lag er auch schon und schlief sofort ein. Unruhige Träume quälten ihn. Gegen die Reise, die ihm jetzt bevorstand, war das Dschungelcamp ein Kinderspiel. Stundenlang lief er durch nächtliche Wälder. Professor Stein befand sich irgendwo vor ihm, aber jedes Mal, wenn er glaubte, ihn zu fassen zu bekommen, entschwand dieser wieder zwischen den Büschen und das Dickicht schien undurchdringlich zu sein. Er mußte ihn als erster erreichen, denn er war nicht der einzige Jäger im Dschungel. Hinter sich hörte er Schritte und laute Geräusche, so als ob etwas sehr Schweres durch die Büsche brach. Endlos schien sich diese Jagd hinzuziehen. Über Stock und Stein, durch flache Wasserläufe, über kleine Lichtungen und einen Berg hinauf.
Endlich wachte er auf, ohne den Professor erreicht zu haben. Er hatte sein T-Shirt unter der Trainingsjacke durchgeschwitzt. Das Abenteuer, das ihm bevorstand, ängstigte ihn weitaus mehr, als er anderen gegenüber zugegeben hätte. Selbst Sébastien gegenüber mochte er diese Schwäche nicht eingestehen. Immerhin hatten sie gemeinsam einige Nächte Arbeit in das Projekt gesteckt.
Jetzt, wo sie wußten, wo sich der Professor befand, mußte er ihn auch befragen. Mike hatte einige Ideen, wie er das Risiko für sich minimieren konnte. Unterm Strich blieb es aber ein gewagtes Spiel, sich so weit auf unbekanntes Terrain zu wagen. Außerdem würde er am Schluß improvisieren müssen, denn er konnte erst vor Ort herausfinden, auf welchem Wege er am risikolosesten auf das Gelände kam, um den Professor zu finden.
Trotz allem schien ihn der Schlaf regeneriert zu haben. Er fühlte sich etwas wacher als vorhin auf dem Heimweg. Er schaltete seinen Kaffeevollautomaten wieder ein, setzte sich mit einem Milchkaffee ans Notebook und loggte sich in der Redaktion ein. Die meisten Mails fand er bereits bearbeitet vor. Was würde er nur ohne Marie machen, fragte er sich rhetorisch und lächelte.
Ein Memo hatte sie ihm hinterlassen: 'Cher Michel, eben hat noch jemand angerufen, der sich Lobélia nannte. Er sagt, er kennt Dich. Es schien ihm wichtig zu sein und er bestand darauf, Dich persönlich zu sprechen. Ich habe ihm gesagt, daß Du am Wochenende arbeitest. Er will es dann nochmal versuchen. LG Marie. P.S.: Irgendwas war komisch (außer der unterdrückten Nummer). Er klang irgendwie nervös. So, als ob sein Chi nicht im Gleichklang wäre.'
Er runzelte die Stirn. Er haßte seinen richtigen Vornamen seit seiner Schulzeit und versuchte immer wieder, ihn unter Verschluß zu halten und durch das einfachere 'Mike' zu ersetzen. Leider gelang ihm das nicht bei jedem. Seine Physiklehrerin am Lycée hatte ihn seinerzeit sehr unfair behandelt. Jedenfalls empfand er das so. Ihr genäseltes 'Michel' klang ihm heute noch in den Ohren, wenn er seine Erinnerungen Revue passieren ließ. Wenn ihn jemand unvermutet so anredete, bekam er jedes Mal eine Gänsehaut.
Eine Mail von seinem anonymen Kontakt lag noch im Eingangskorb. Eigenartig, daß er sich gerade heute meldete. In den letzten zwei Wochen hatte er nichts von sich hören lassen.
'Sehr geehrter Herr Peters, ich würde mich freuen, wenn Sie mich gelegentlich über die Fortschritte bei Ihren Nachforschungen auf dem Laufenden halten würden. Wir machen uns hier alle große Sorgen um Professor Stein. Mit freundlichen Grüßen S.M.' Im Absenderfeld stand ein Einmalpostfach bei einem großen Anbieter. Keine Chance, etwas über seine Identität herauszubekommen.
Mike überlegte kurz und antwortete dann: 'Sehr geehrte(r) S.M., Ihre Nachfrage ehrt mich. Derzeit sind meine Fortschritte leider nur marginal. Allerdings verstehen Sie sicher auch mein Interesse, zu wissen, wer sich da so große Sorgen um seinen Kollegen(?) macht. Ich könnte Sie einfacher auf dem Laufenden halten, wenn ich wüßte, mit wem ich rede. Mit freundlichen Grüßen M.P.'
Er versuchte noch, die restlichen Mails zu Ende zu bearbeiten, aber nach einigen Minuten verschwammen die Buchstaben vor seinen Augen. Seine Konzentration ließ jetzt genauso schnell nach, wie er sie wiedergewonnen glaubte. Allerdings fühlte sein Körper sich noch nicht müde. Mike entschloß sich, auszugehen, um ein wenig auf andere Gedanken zu kommen. Es gab einige Kneipen im Marais, dem Stadtviertel, in dem er lebte, in denen er vielleicht Freunde treffen würde. Essen gehen mit Sébastien. Entspannt reden bei einem schönen Glas Rotwein in lauschiger Atmosphäre, das wäre jetzt was. Und falls er später in den Bars niemanden treffen würde, gab es noch einen Tanzclub in der Nähe der Rue des Archives. Dort konnte er immer prima abschalten.
Mike brauchte sich keine Sorgen darum zu machen, daß es ihm dabei an Unterhaltung und Ansprechpartnern mangeln würde. Er war hochgewachsen, wenn auch nicht allzu schlank. Er fand keine Zeit für ein regelmäßiges Training im Studio und er aß viel zu gerne und nicht immer regelmäßig. Das hinterließ Spuren auf seinen Hüften. Die blaugrünen Augen in seinem jungenhaften Gesicht strahlten aber große Herzlichkeit aus in Verbindung mit einer gewissen kindlichen Unschuld. Sein wilder, brauner Haarschopf, den er ebenso regelmäßig wie erfolglos mit Gel in Form zu bringen versuchte, unterstrich das perfekt. Er besaß ein freundliches Wesen und seine Manieren stammten aus der diplomatischen Schule seiner Mutter. So flogen ihm die Herzen beider Geschlechter zu, sobald man mehr als einige Worte mit ihm gewechselt hatte.
Außerdem hatte er sich bestens vernetzt und kannte eine Menge Leute. Er bevorzugte dabei privat allerdings Männer. Die kurzen Affairen, die er in seiner Studienzeit mit Frauen hatte, ließen ihn immer mit dem Gefühl zurück, daß dabei eine wichtige Komponente fehlte. Diese fand er in den Clubs des vierten Arrondissements.
Mike duschte ausgiebig, schnitt seinen Bart ganz kurz und zog sich frische Kleidung an. Kurzärmelig, Jeans und schwarze Sambas wählte er für einen lauen Abend wie heute. Er gelte seine Haare neu, legte ein leichtes Parfüm auf und warf sich noch einen dünnen Pullover um die Schultern. Dann marschierte er beschwingt die Treppen hinunter.
Gerade ging er zur Haustür hinaus, da klingelte sein Handy.
Den Beat der Musik hörte man selbst hier unten. Kleine Lautsprecher unter der Decke verbreiteten ihn. Kaum zu erkennen, weil sie mit Tarnnetzen verhängt war. Leise wummerten die Bässe, nach denen sich oben auf der Tanzfläche rhythmisch zuckende Leiber verrenkten.
Maurice Belloumi stand allein hier unten. So zeitig am Abend gab es nur wenig Gesellschaft. Zu früh, um Spaß zu haben. Er lehnte lässig an einer Backsteinmauer und beobachtete die leere Szene. In einigen Stunden würde es hier unten genauso voll werden wie oben. Schwitzende Körper streifen durchs Halbdunkel – taxierende Blicke – ein Markt für frisches Fleisch. Paare und Gruppen finden sich. Wechseln einige Worte. Dann verschwinden sie in einer der Kabinen, deren Türen jetzt alle offenstanden. Maurice kannte das von ungezählten Malen davor. Es lief jedes Mal gleich ab.
Aber das alles würde erst später passieren. Die Luft roch noch unverbraucht, wenn auch nicht angenehm. Nach verschüttetem Bier und kaltem Rauch. Ein Geruch, so penetrant, daß selbst die dicken Mauern ihn auszuatmen schienen. Auch wenn die Clubs in Paris auf behördliche Anordnung schon lange extra Zonen für Raucher ausweisen mußten, steckte der Geruch aus früheren Zeiten noch tief im Gemäuer. Keine Reinigung konnte ihm beikommen. Man würde das Haus abreißen müssen, um ihn zu beseitigen.
'Bald kommen weitere Noten dazu', dachte sich Maurice. Schweiß. Parfüm. Gummi. Leder. Halbnackte Männerkörper. Geilheit. Auch die hatte eine spezielle Note, die seine von Kindheit an überempfindliche Nase zielsicher zwischen all den anderen Gerüchen herausfiltern konnte.
Er stand schweigend da. Genoß die Ruhe und kaute einen Kaugummi. Die Daumen in die Taschen seiner Lederjeans gehakt. Ein schwacher, kalter Luftzug drang durch eine geöffnete Kellertüre. Ihn fröstelte kurz und die Nippel unter seiner Lederweste richteten sich auf. Er sah sehr männlich aus, wie er dastand, und er wußte um seine Wirkung auf andere. Sein Körper war mittelgroß mit breiten Schultern. Die Folgen regelmäßigen Sports. Seine Gesichtszüge sahen nicht ebenmäßig aus, aber interessant. Klare braune Augen, volle Lippen, eine etwas zu große, arabische Nase, leicht abstehende Ohren, kurze braune Haare und Sechstagebart. Eine Narbe an der linken Schläfe, die unter dem kurzen Haar bei diesem Licht nicht zu erkennen war, von einem Kampf, als sie zu einem Spiel von Saint Germain abkommandiert waren. Trainierte Arme mit sehnigen Unterarmen. Nicht zu muskulös, aber ein angenehmer Anblick. Die Ranken eines Tribals wanden sich um seinen Oberarm über die linke Schulter in Richtung Hals. Der leicht braune Teint seines algerischen Vaters kam hier unten leider nicht zur Geltung, aber bei Tageslicht schauten sich die Frauen nach ihm um, wenn er wieder im Arrondissement Streife ging.
Das interessierte ihn wenig. Er stand auf Männer. Richtige Männer, nicht die Zerrbilder aus den Lifestyle-Shows der privaten Fernsehsender. Kräftige Kerle, die auch mal nach Mann riechen durften und nicht nur nach After Shave. Die Art Männer, wie sie sich hier in einigen Stunden tummeln würden. Darauf wartete er. Für sie hatte er sich zurechtgemacht.
Die ersten Schatten kamen die Treppe hinunter. Standen im Licht, das von oben kam und versuchten, ihre Augen an das Halbdunkel zu gewöhnen, das hier unten herrschte. Er hatte Zeit genug, sie in Ruhe zu taxieren, ehe auch sie ihn erkennen konnten. Er kannte sie alle. Frühankömmlinge wie er. Nicht daß er die Gesichtszüge zugeordnet hätte. Dafür gab es zu wenig Licht. Aber etwas im Gang, in der Körperhaltung, der Größe, ein Räuspern oder ein Geruch genügte, um sie zu identifizieren. Maurice konnte sich das merken. Auch nach Jahren erkannte er zielsicher jemanden, dessen 'Profil' er einmal aufgenommen hatte. Seine Kumpels im Revier bewunderten ihn dafür, wie genau er jemanden beschreiben konnte, den er einmal gesehen hatte. Und sie tuschelten hinter seinem Rücken über die 'Schwuchtel'. Daran hatte er sich gewöhnt. Solange sie ihn nur respektierten, ließ ihn das kalt.
Er ging kurz nach oben an die Bar, um sich einen neuen Wodka Orange zu holen, der dritte oder vierte mußte es sein. Er drängte sich an den Leuten vorbei, die jetzt in größerer Zahl die steile Treppe hinab strömten. Verharrte einige Minuten an der Tanzfläche. Lauschte dem ewig gleichen Takt der Musik, der die Ohren betäubte. Hypnotische Blitze aus dem Stroboskop, die blendende Striche auf der Netzhaut hinterließen, wenn er die Augen schloß. Nicht zu lange, sonst verlor er das Gleichgewicht.
Der Barkeeper stellte einen Gin Tonic vor ihn hin. »Von dem Herrn da.« Er nickte in Richtung eines Gastes, der einige Stühle weiter saß. Der prostete ihm zu. Maurice prostete zurück und nickte dankend. Als der Mann Anstalten machte, zu ihm zu kommen, leerte er schnell das Glas, griff sich seinen Drink und drängte sich wieder in Richtung Treppe. Der Typ war nicht sein Fall. Viel zu alt. Das sah man sogar in dem schummrigen Licht am Tresen. »Salut, ich bin Jean…«, rief der ihm hinterher, aber da befand er sich schon auf dem Weg nach unten.
Maurice ging nicht mehr ganz trittsicher und fühlte eine verwegene Leichtigkeit in der Magengegend. Er steckte die Kondome, die er mit dem Wechselgeld erhalten hatte, achtlos in die Innentasche seiner Weste und besuchte den Abtritt. 'Toilette' zu sagen, wäre für diesen Ort geschmeichelt gewesen. Schnell erleichterte er sich, denn er haßte den Gestank von Urin. Er verabscheute auch die Männer, die hier ihren Abend verbrachten, um neue Kontakte zu knüpfen. Seine Welt sah anders aus. Für ihn spielte die Musik im Keller mit seinen dunklen Gängen und den Kabinen.
Allmählich füllten sich die unteren Räume. Die Uhrenapps auf den gelegentlich aufglimmenden Smartphones zeigten mittlerweile weit nach Mitternacht und viele Jungs hatten sich den Frust der Woche aus den Gliedern getanzt. Sie suchten nach Entspannung. Entspannung von der Art, wie es sie hier gab.
Maurice hatte genug gesehen. Mit einer unauffälligen Bewegung drückte er seinen Kaugummi in eine der Mauerfugen hinter seinem Rücken, stellte das Glas in einer Nische ab und folgte einem der Schatten. Der Schatten trug hohe Stiefel, eine Chaps und einen Harness. Er erschien etwas größer als er selbst und ein wenig schlanker. Genau das, was er jetzt brauchte.
Er zog die Lederweste enger an seinen Körper, damit sie die dezenten Hüftrollen verdeckte, die er trotz allem Trainings und Sports nicht loswurde. Hier unten zählten solche Details. Der Schatten, den man warf, durfte keine Schönheitsfehler haben. Hier im Darkroom – wahrscheinlich dem verrufensten Ort von ganz Paris – zählte die Schönheit. Oder die Facette, die man beinahe ohne Licht davon erkennen konnte.
Der Schatten vor ihm blieb kurz an der Wand stehen, um ihn und einige andere vorbeizulassen. Maurices Hand strich leicht über eine nackte Arschbacke des Schattens. Ein kurzer Blick, ein kaum angedeutetes Nicken des Kopfes in Richtung der Kabine vor ihnen. Das reichte normalerweise, damit man ihm folgte.
Er betrat die Kabine und stand dort für einen Moment allein. Ein schwacher, roter Strahler beleuchtete – nein verdunkelte – die Ausrüstung, die an der Wand angebracht war, und die er zu benutzen gedachte. Sekunden reihten sich aneinander. Tröpfelten dahin, während er auf den Schatten wartete. Schon viel zu lange. Wo blieb er nur?
Jetzt stand jemand in der Tür, die er offengelassen hatte. Machte einen Schritt herein auf ihn zu. Das Gesicht erschien kurz im Lichtschein des Strahlers. Der Falsche! Maurice drängte sich rücksichtslos wieder aus der Kabine heraus, was ein Stöhnen und einen leisen Fluch zur Folge hatte »Salope!« Er kam gerade noch rechtzeitig, um 'seinen' Schatten mit jemand anderem in der Nachbarkabine verschwinden zu sehen. Verdammt!
Noch einige Drinks an der Tanzfläche. Noch ein Besuch auf dem Abtritt. Maurice taumelte auf der Treppe mehr nach unten, als daß er noch ging. Fing sich und folgte einem Kerl vor ihm. Schien auch ganz geil zu sein. Hochgewachsen und halbwegs schlank. Enge Jeans, Sneakers, Basecap und ein Markenpolo. Dezent parfümiert, ihm unbekannt, aber nicht unangenehm. Eigentlich sogar sehr angenehm, denn die anderen Gäste benutzten eher durchdringende Geruchsnoten. Die meisten davon empfand er als Gestank – ungeachtet dessen, daß die Düfte sicherlich sehr teuer waren.
Der Kerl hatte zu viel Stil für diesen Ort und diese Tageszeit. Maurice fühlte sich für einen Moment, als befände er sich in der Alien-Bar auf Tatooine, in der Luke Skywalker seinerzeit den verruchten Han Solo angeworben hatte. Sie standen eine Minute in einer dunklen Ecke. Versuchten das Gesicht des anderen durch die Finsternis zu erspähen. Vergebliche Liebesmüh. Als jemand in der Nähe mit der Taschenlampe seines Smartphones umherleuchtete, konnte er kurz einen sehr akkurat geschnittenen Bart erkennen. Die Augen blieben im Dunklen des Basecaps. Dann ging sein Mann weiter. Verweilte kurz vor der Türe einer offenen Kabine.
Maurice hatte lange genug gewartet. Er drückte von hinten gegen seinen Vordermann und schob ihn in die Kabine hinein. Eine Hand auf seinem Arsch ließ ihn fühlen, daß noch jemand hinter ihnen war und mitmachen wollte. Das konnte er nicht zulassen. Er wollte den Kerl für sich allein. Er drehte sich um und schob seinen Hintermann rücksichtslos aus der Kabine hinaus, so daß der gegen die Korridorwand flog und verriegelte die Türe hinter ihm. Das laute Fluchen ignorierte er.
Jetzt konnte man die Dunkelheit geradezu mit Händen greifen. Nur ein schwacher Lichtschimmer kam unter der Türe hindurch. Er drückte seinen Vordermann sanft, aber nachdrücklich auf die Liege, die sich in der Kabine befand. Tastende Hände strichen über seinen Körper, verweilten an den Nippeln, die sich unter der Berührung sofort aufrichteten, und fanden schließlich die Beule in seiner Lederjeans.
Eine Hand knetete und massierte. Die andere strich sanft über seinen Bauch, kreiselte ein paarmal um den Bauchnabel glitt dann höher und fand seine Brustwarzen wieder. Die Hand verschwand, kehrte Sekunden später naß zurück und verteilte die Spucke auf den Spitzen der Nippel, die mittlerweile ebenso hart wie seine Latte waren.
Beide Hände packten nun seine Arschbacken und zogen ihn dichter an den Körper des anderen heran. Maurice war zu erregt, um sich dagegen zu wehren. Er hörte ein leises Pusten und seine Brustwarzen fühlten sich plötzlich kalt an. Er erschauerte vor Geilheit. Der andere griff wieder in den Bund seiner Hose und begann sie aufzuknöpfen. Nur noch Sekunden und er würde den pochend harten Schwanz in der Hand halten.
Maurice spürte ein Fläschchen, das ihm unter die Nase gehalten wurde. Er nahm einen tiefen Atemzug. Rote Nebel erschienen vor seinen Augen Die Welt begann sich langsam zu drehen. Sein Fokus engte sich ein auf den Körper vor ihm. Die Beule in seiner Jeans begann zu spannen, als wolle sie ihr Gefängnis sprengen. Er stöhnte leise. Er wollte den Kerl. Jetzt und hier!
Mike landete im 'Chez Marianne', einem kleinen Restaurant im jüdischen Viertel. Er saß mit Sébastien an einem Tischchen vor der Türe. Zwar wehte gelegentlich der Dampf von E-Zigaretten herüber, aber eine warme Frühlingsbrise hielt die Luft rein und sorgte gleichzeitig dafür, daß das Sitzen angenehm war, und die Kälte, die noch vom Winter im Boden steckte, sich nicht in den Füßen festsetzen konnte.
Der Frühling ließ sich Zeit in diesem Jahr. An diesem Abend konnte man zum ersten Mal ohne Jacke auf die Straße gehen. Folglich tummelte sich halb Paris draußen. Es wurde jeden Tag später dunkel und auch danach herrschte eine lichte Dämmerung, die einen bis fast Mitternacht von dem Gedanken abbrachte, daß es schon spät sei und daß man am nächsten Morgen früh aufstehen müsse. Deswegen trieb es die Leute jetzt raus, als hätte der Winter ewig gedauert. Mike liebte dieses Klima und beobachtete in Ruhe die turtelnden Pärchen, die Hand in Hand vor den Schaufenstern der unzähligen kleinen Läden entlang schlenderten.
»Da hatten wohl zwei Seelen denselben Gedanken!« Sébastiens Stimme klang sanft und besaß einem rauchigen Unterton.
Mike nahm einen genußvollen Schluck Mouton Cadet aus dem Glas, das neben seinem leeren Teller stand.
»Ja, schön nicht? Ich habe mich nicht getraut, bei Dir anzurufen, weil wir die ganzen letzten Wochen praktisch immer aufeinander gehockt haben. Aber umso besser, daß Du vorhin durchgeklingelt hast!«
Er warf einen langen, fast zärtlichen Blick auf seinen besten Freund. Sie steckten seit dem Studium zusammen und kannten sich gegenseitig besser und intimer, als sie es ihren jeweiligen Partnern gestatteten.
Sébastien überragte Mike nochmals um einen halben Kopf, sein Körper wirkte aber viel schlanker, fast mager. Obwohl er einen nicht unbeträchtlichen Teil der Woche in Sportstudios verbrachte, wollten die Muskeln einfach nicht wachsen. In seinem hübschen, jungenhaften Gesicht standen zwei riesige, braune Augen. Zusammen mit den weit abstehenden Ohren und seinem breiten Lächeln ergab das ein Gesicht, das zwar wenig an einen kleinen Kasper erinnerte, aber super nett und sympathisch wirkte. Derzeit war Sébastien solo, aber seine häufig wechselnden Freundinnen zeigten, daß es eine große Zielgruppe gab für Männer wie ihn.
»Ich mußte heute abend einfach raus. Die letzten Recherchen für Dich sind mir ein wenig an die Substanz gegangen. Ich bin kaum zum Schlafen gekommen. Außerdem habe ich in der Firma auch einiges an Stunden gelassen. Ich bin schon vor Wochen über einige sehr umfangreiche Datenabfragen gestolpert und dann vor einigen Tagen jemandem auf die Schliche gekommen, der … aber das führt jetzt zu weit.«
Sébastien, der gerade etwas abwesend wirkte, sah Mike jetzt direkt in die Augen. »Irgendwas läuft derzeit bei mir nicht rund, weißt Du? Ich bin aber noch nicht dahintergekommen, wo es genau hakt. Ich muß ein paarmal drüber schlafen. Dann sortiert sich das.«
»Hey, paß bitte auf Dich auf, Séb!« Mike blickte besorgt auf seinen Freund, auf dessen lustiges Gesicht plötzlich ein Schatten von Müdigkeit fiel. Hatte er diese Ringe unter den Augen vorhin übersehen, oder lag das am flackernden Schein der Windlichter auf den Tischen?
Er nahm die Hände seines Freundes und sah ihm tief in die Augen. Wenn man die beiden nicht kannte, hätte man sie jetzt glatt für ein Paar halten können. »Séb, Du bist mir wichtig. Ich möchte nicht, daß Du Dich überarbeitest oder meinetwegen unnötige Risiken eingehst!«
»Soll das jetzt eine Liebeserklärung werden?« Um Sébastiens Mundwinkel zuckte es schon wieder spöttisch.
»Hey, dafür kennen wir uns wirklich ein wenig zu lange. Du weißt aber hoffentlich, daß Du mir trotzdem viel bedeutest. Irgendwie bist Du der kleine Bruder, den ich nie hatte.«
»Ein kleiner Bruder, der einen halben Kopf größer ist als Du«, grinste Sébastien. »Ein lustiges Paar sind wir!«
»Meine Mutter wäre übrigens begeistert, wenn ich Dich ihr als ihren neuen Schwiegersohn vorstellen würde. Aber das nur by-the-way.«
Sébastien riß die Augen weit auf uns sah Mike an, als käme der von einem anderen Stern. »Wie bitte? Das meinst Du jetzt nicht ernst.«
»Doch, meine ich. Maman findet Dich total knuffig und meint, Du wärest doch eine tolle Partie. Soll ich euch beide mal allein lassen?«
»Hilfe! Nein!« In Sébastiens Blick lag jetzt ein Anflug von Entsetzen. »Tu mir das nicht an. Bitte!«
»Keine Sorge, Séb. Du darfst auch künftig Einladungen aus dem Hause Peters bedenkenlos annehmen. Sie findet es nur schade, daß unser Geschmack, was Partner angeht, nicht kompatibel ist.«
»Stimmt. Auch, wenn ich schon öfter mal ernsthaft drüber nachgedacht habe – Gelegenheiten hatten wir zwei ja genug – kann ich halt nur mit Mädels.«
»Das ist doch heutzutage kein Verbrechen mehr.«
»Großer Bruder. Hm, an den Gedanken muß ich mich erst gewöhnen.«
»Ich bin sehr optimistisch, daß Dir das gelingt. Außerdem flirtest Du schon die ganze Zeit heimlich hinter meinem Rücken mit der blonden Kellnerin!«
»Die ist aber auch zu süß. Du weißt ja, ich mag es, wenn etwas mehr dran ist.«
»Siehste, ich auch. Aber Du hast wirklich einen Schlag bei Frauen. Wenn ich die Reaktion der Dame richtig interpretiere, ist sie auch an Dir interessiert. Vielleicht mache ich besser einen Abflug. Sonst denkt sie noch, Du hättest was mit mir.«
»Meinst Du wirklich, ich habe eine Chance bei ihr?«
»Nicht so schüchtern. Das ist doch sonst auch nicht Deine Art.« Mike leerte sein Glas. »Madame, l'addition s'il vous plait!«
Er sah seinen Freund verschwörerisch an. »Jetzt liegt es an Dir! Du darfst Dich später revanchieren.«
Er zahlte das Essen für beide und sagte im Gehen »Der Herr hier will sicher noch bleiben. Kümmern Sie sich gut um ihn. Er ist etwas Besonderes.«
Beide erröteten spontan. Mike winkte ihnen noch zu, während er die Gasse weiter hinunterschlenderte. Als er sich an der nächsten Straßenecke kurz umdrehte, hatte sich die Bedienung zu Sébastien gesetzt. 'Läuft!' dachte er und ging grinsend weiter.
Eine Amsel sang ihr Lied in einem der Bäume, die die Straße entlang gepflanzt waren, ehe sie schimpfend davonflog, als eine Elster ihr den Platz streitig machte. Aus einem Garten hinter einer Hofeinfahrt kam ein leichter, fruchtig süßer Duft von einem früh blühenden Strauch, einer Magnolie vielleicht. Mike sog den Geruch tief ein. Der Frühling war einfach die berauschendste aller Jahreszeiten. Zumal in Paris, für ihn sowieso die schönste Stadt der Welt. Bis zu den Banlieues hinter dem Périphérique zumindest.
Eine klare, helle Stimme riß ihn aus seinen Gedanken. »Hey Michel! So spät noch unterwegs?« Marie saß mit einigen Leuten aus der Redaktion vor einer Eckkneipe an der Straße.
»Nenn mich nicht immer Michel. Du weißt, ich mag das nicht.«
»Ja Michel. Komm, setz Dich ein wenig zu uns. Wir waren gut heute und ziehen noch ein wenig um die Häuser.«
Er zog sich einen leeren Stuhl vom Nachbartisch heran und setzte sich dazu. Ein oder zwei Bierchen würden nicht schaden nach dem Rotwein. Die männliche Bedienung, die er aus dem Cox kannte, nickte ihm im Vorbeigehen zu. »Wie immer, Mike?«
»Wie immer, Armand.« Minuten später kam der mit einem Glas Guinness zurück und Mike prostete einmal in die Runde.
Marie wirkte ziemlich aufgekratzt. »Die Jungs und Mädels haben heute den Physikerkongreß recherchiert, der so überraschend verschoben wurde. Die vielen Krankmeldungen kamen mir seltsam vor und was soll ich sagen: Amélie Gaston hier (sie deutete auf ein Mädchen in der Runde) hat etwas gefunden. Offensichtlich sind gleich mehrere der Teilnehmer mit etwas, das offiziell 'Burnout' genannt wird, in ärztlicher Behandlung.«
»Klingt, als wäre da etwas vorgefallen, das sie gerne unter Verschluß halten würden.«
»Genau! Ich konnte zwar nicht herausbekommen, was es genau ist, aber das erschien mir Grund genug für eine Recherche. Du bist doch einverstanden?« Mike nickte ihr kurz zu.
»Ich habe jeden hier auf einen anderen Teilnehmer des Kongresses angesetzt und wir haben nach einem gemeinsamen Faktor gesucht. Zusammen haben wir eine Menge an Informationen beschafft. Nicht alles aus offiziellen Kanälen, aber ich kann Dir sagen, die Jungs und Mädels hier wissen, wen und wo sie fragen müssen. Es war wieder Amélie, die es entdeckt hat. Die Gemeinsamkeit, die alle kranken Teilnehmer haben, liegt einige Wochen zurück. Sie trafen sich alle in einem Zeitraum von nur wenigen Tagen, mit – na, wem wohl?«
»Spann mich bitte nicht auf die Folter.«
»Mit dem Professor, der kurz darauf unter so seltsamen Umständen verschwunden ist.«
»Na, das ist eine Überraschung. Gute Arbeit, Leute! Armand, die nächste Runde geht auf mich.«
Die Reaktionen in der 'Runde' wirkten sichtlich erfreut. »Danke Michel!« prostete ihm ein Junge zu, dessen blasse, unreine Haut verriet, daß er viel zu wenig Zeit draußen verbrachte.
Mikes Blick ließ ihm das Bier im Glas gefrieren. »Nennen Sie mich bitte nie wieder Michel, wenn Sie jemals einen richtigen Job in dieser Redaktion haben möchten«, sagte er mit einer Schärfe in der Stimme, die den Jungen zu einer gestammelten Entschuldigung veranlaßte. »Das darf nur Marie und selbst die darf es eigentlich nicht.«
Er sah in die konsternierten Gesichter rundum und beeilte sich, zu beschwichtigen. »Marie hat recht. Ihr habt großartige Arbeit geleistet. Es sieht so aus, als hätte sie aus euch wildem Haufen ein richtiges Team gemacht. Ich bin beeindruckt, auch von Ihnen!« Er nickte dem blassen Jungen zu. »Macht bitte weiter so. Solche Leute brauchen wir in der Redaktion!« Mike lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Jetzt ist aber nicht die Zeit und der Platz für eine Teambesprechung. Wir machen das in der nächsten Woche. Und jetzt laßt uns lieber diesen tollen Abend genießen und ein wenig die anstrengende Woche vergessen.«
Marie warf ihm einen dankbaren Blick zu für die letzten Worte. Die Gesichter in der Runde hellten sich auf und der Gesprächsfluß kam wieder in Gang. Mike beteiligte sich noch eine Weile an der gemeinsamen Unterhaltung. Dann machte er sich wieder auf den Weg. Anscheinend verfolgte ihn die Arbeit sogar in seiner Freizeit. Aber er wußte einige Läden, die seine Leute sicher nicht kannten, und dorthin ging er jetzt.
Ein vorwitziger Sonnenstrahl weckte ihn am nächsten Morgen. Er hatte einen Weg gefunden durch die dicken, schwarzen Vorhänge, die an einer Seite seiner Schlafkammer das Fenster verdeckten. In minutiöser Kleinarbeit arbeitete er sich über den Fußboden, das Laken, das als Bettdecke diente, seinen Hals, Kinn und Lippen bis auf die Nasenspitze vor.
Maurice bemerkte im Unterbewußtsein wohl einen hellen Fleck in seinem Blickfeld, fühlte sich aber noch zu träge, die Augen ganz zu öffnen. Erst, als das Licht sein rechtes Augenlid erreichte, drehte er den Kopf beiseite. Sein erster Blick zwischen den Wimpern ging ins Dunkle. Schatten bewegten sich um das Bett, in dem er lag und Nebel aus glitzernden Funken kreisten um ihn. Benommen rieb er sich die Augen und hob den Kopf. Dann öffnete er die Augen ganz.
Im selben Moment kam der Schmerz. Unerträglich. Sein Kopf schien zu platzen. Mühsam und mit geschlossenen Augen richtete er sich auf und tastete sich leise stöhnend ins Bad voran. Das tödliche Licht ließ er draußen. Nur ein wenig, das durch den Türspalt schien und ihm die Orientierung erlaubte, damit er beim Pissen die Kloschüssel nicht verfehlte. Schnell noch etwas Wasser aus dem Hahn ins Gesicht.
Die kühle Feuchtigkeit linderte seinen Kopfschmerz ein wenig. Dafür meldeten sich andere Körperteile in seinem überforderten Hirn an. Immer noch halbblind tastete er sich in die Küche vor. Füllte den Kaffeefilter randvoll mit Kaffeepulver und stellte die Kaffeemaschine an. Dann saß er benommen am Küchentisch. Wartete, daß sie ihr Werk tat.
Nach einer Minute fiel ihm auf, daß er keinerlei Geräusch hörte. Die Maschine blubberte nicht. Mist, kein Wasser im Vorratsbehälter. Maurice füllte nach und der kochende Dampf schoß durch den Filter und verteilte einen Teil seines Inhalts auf der Arbeitsfläche.
Fluchend wischte er die Schweinerei auf. Zum Glück lief die Kaffeemaschine jetzt und bereitete ihm das Getränk zu, das ihn über die nächsten Stunden retten würde. Erinnerungsfetzen fegten durch sein gepeinigtes Gedächtnis. Stroboskoplicht auf der Tanzfläche. Er hatte wohl lange Party gemacht und gegen Ende des Abends ordentlich Dampf abgelassen. Er erinnerte sich nicht mehr an alles. Zuviel Alkohol in zu kurzer Zeit. Nur daß er einem Typen hinterhergestiegen war, der verdammt gut gerochen hatte. Sein Schwanz in der Unterhose pochte immer noch und die ziehenden Schmerzen in den Eiern verrieten ihm, daß er mehr als einmal abgespritzt hatte.
Er nahm sich die erste Tasse aus der Kanne, als die Maschine noch lief. Daß der restliche Kaffee aus dem Filter weitertropfte und zischend auf der Heizplatte landete, ignorierte er. Die bittere Flüssigkeit tat ihre Wirkung. Die roten Nebel vor seinen Augen lichteten sich. Die Schmerzen ließen nach und er konnte wieder klarer denken. Ein wenig bedauerte er, daß er seinen Sex nur auf diese Weise bekam. Immerhin hielt er sich für ziemlich tageslichttauglich. Aber sein Beruf ließ eine Beziehung nicht wirklich zu. Wie könnte er von jemandem erwarten, damit zu leben, daß er praktisch zu jeder Tages- und Nachtzeit Anrufe bekam und dann lossprinten mußte, weil wieder irgendwo ein Einsatz lief, der seine Anwesenheit erforderte.
Maurice liebte seinen Beruf und arbeitete mit vollem Einsatz. Aber mit Ende zwanzig war er noch zu jung, als daß man ihm Zeit und Ruhe für ein geregeltes Privatleben ließ. Er fand auch nichts dabei. Sex bekam er schon irgendwie. Liebe wurde überschätzt. Nur manchmal – wenn jemand so unverschämt gut roch wie der Typ von letzter Nacht – bedauerte er es ein wenig, daß er der war, der er war.
Ein Geräusch kam aus dem Schlafzimmer. Wie ein leises Stöhnen. Irgendwo in seinem Kopf ging ein Alarm los und Reflexe übernahmen die Kontrolle über ihn. Wie sie es auf der Polizeischule tausendfach geübt hatten, hechtete er aus der Küche, griff im Vorbeigehen die Pistole aus dem Halfter seiner Uniform, die im Flur an der Garderobe hing und stand Sekunden später mit entsicherter Waffe im Schlafzimmer.
Statt eines Einbrechers erwartete ihn dort jemand, der nackt in seinem Bett saß und sich stöhnend den Kopf hielt, so wie er es vor einigen Minuten auch noch getan hatte. Maurice erstarrte mitten in der Bewegung. Sehr geistreich sah er jetzt sicher nicht aus, wie er in Unterhose vor seinem Bett stand. Dennoch zuckte der Schreck über die Gesichtszüge des Mannes, der wohl die letzte Nacht mit ihm verbracht hatte.
Maurices Überraschung verwandelte sich in blankes Entsetzen, als er sich seinen Gast genauer ansah. Die klaren, blauen Augen, die erst erschrocken, dann aber zunehmend spöttisch erheitert blickten, standen in einem zwar hübschen und ebenmäßigen Gesicht, dessen Konturen aber unübersehbar einem gut erhaltenen Endfünfziger gehörten. Das war so gar nicht seine Zielgruppe. Er fluchte innerlich über die schlechte Beleuchtung in seinem Lieblingsclub und schwor sich, beim nächsten Mal weniger Alkohol zu trinken.
»Bonjour!«, begrüßte ihn sein Gast. »Das ist ja eine unerwartete Wendung. Spielen wir jetzt Verhaftung?« Der Blick des Mannes haftete dabei an Maurices Unterhose, die die Größe seiner Ausstattung nur ungenügend verhüllte. »Da fängt der Tag doch gleich viel besser an. Ich bin dabei!«
Ein böser Blick ließ ihn kurz verstummen. »Mein Name ist Jean-Luc, und wir haben die letzte Nacht zusammen verbracht, wie es scheint. Dennoch haben Sie wohl jemand anderen erwartet. Das tut mir leid.«
Maurices Blick wanderte wortlos in Richtung der Wohnungstür. Die Geste war unmißverständlich.
»Ich darf mich aber eben noch anziehen, hoffe ich.« Jean-Luc suchte in Ruhe seine Kleidung zusammen, die zwischen der Wäsche seines Gastgebers auf dem Boden des Schlafzimmers verstreut lag, und begann, sie anzulegen.
»Gute Reflexe übrigens. Kompliment!« Er versuchte, ein Gespräch in Gang zu bringen.
Die Antwort bestand aber aus eisigem Schweigen.
»Sie sind bei der Prefecture de Paris, oder? Ich glaube, ich habe sie dort schon gesehen. Welche Dienststelle?«
Er verstummte unter Maurices durchbohrendem Blick und zog sich wortlos zu Ende an. Im Flur griff er seinen Mantel und wandte sich zum Gehen.
»Wir können das auch gerne wiederholen. Ich hatte schon lange nicht mehr so viel Spaß. Was halten Sie davon?«, fragte er überflüssigerweise, als er schon in der Türe stand.
»Raus.« Mehr brachte Maurice nicht über die Lippen. Seine vor Wut und Scham brennenden braunen Augen sendeten eine unmißverständliche Botschaft an sein Gegenüber. Resigniert wandte sich Jean-Luc zum Gehen.
»Es tut mir wirklich leid, daß ich nicht der bin, den Sie sich erhofft haben.«
»Schon gut.«
»Ich gehe dann mal. Wie war noch Ihr Name?«
»Maurice … Belloumi.«
»Au revoir, 'Maurice Belloumi'. Ich jedenfalls freue mich, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben. Wir sehen uns sicher wieder.«
»Au'voir.«
Die Türe schloß sich und Maurice befand sich wieder allein in seiner kleinen Wohnung. Erst jetzt wurde ihm bewußt, daß er immer noch schußbereit und in Unterhose im Flur stand. Er sicherte seine Pistole wieder und unterdrückte die Versuchung, sie einfach neben seinen Schwanz in den Slip zu stecken, was sicherlich prima in einen der amerikanischen Pornos gepaßt hätte, die in seinem Lieblingsclub immer über die Bildschirme flimmerten. Er ließ sie stattdessen wieder im Holster verschwinden.
Dieser Jean-Luc hatte irgendwie Autorität ausgestrahlt. Im wirklichen Leben würde er sich wohl nicht so einfach die Handschellen anlegen lassen. Er hatte ihm wie selbstverständlich seinen vollen Namen verraten. Jetzt ärgerte er sich darüber. Es ging niemanden etwas an, was er in seiner Freizeit machte.
Er setzte sich in die Küche und nahm sich einen frischen Kaffee. Schwarz. Milch und Zucker hatte er einige Male versucht, aber das süße Zeugs war nichts für ihn. Er brauchte ihn pur. Die Sonnenstrahlen des Frühlingstages draußen hatten ihren Weg auch in seine Küche gefunden. Er zog die Vorhänge zu. Er fühlte sich jetzt nicht mehr wie ein Untoter, aber direktes Sonnenlicht tat immer noch weh. Er nahm einen Lappen und säuberte die Arbeitsfläche und die Kaffeemaschine von den letzten Resten der Kaffeeschlacht vorhin. Das dunkle Holz des alten Buffets besaß zum Glück eine dicke Lasur.
Etwas stimmte immer noch nicht. Es arbeitete in ihm, aber er kam nicht drauf. Noch nicht. Er füllte die verzinkte Gießkanne und goß die Dieffenbachie neben dem Küchenfenster. Dann widmete er sich seinen anderen Pflanzen. Die Phalaenopsis im kleinen Wohnzimmer hatte eine neue Knospe aufgemacht. Er roch daran. Leicht fruchtig und ein wenig süß. Sehr angenehm. Süß. Süß …
Er blickte auf. Süß, das war es! In der Luft hing noch der eher strenge Moschusduft von Jean-Lucs Parfüm. Der Mann mit dem Markenpolo, dem er in der letzten Nacht nach unten gefolgt war, trug ein dezentes, leicht süßes After Shave. Der Mann, mit dem er den geilen Sex gehabt hatte und der Mann, den er hinterher abgeschleppt hatte, waren also nicht derselbe. Maurice fluchte innerlich darüber, daß er wieder so viel getrunken hatte. Einige Sekunden lang stellte er sich vor, daß er den richtigen Typen (den mit dem Markenpolo) abgeschleppt hätte, und nicht diesen Jean-Luc. Sein Schwanz versteifte sich sofort und ein Schub Hormone vernebelte sein Gehirn.
Maurice verzichtete darauf, sich auf der Stelle einen runterzuholen. Seine Eier schmerzten immer noch. Das würde die Aktion nicht sehr erquicklich enden lassen. Die Kopfschmerzen bohrten hinter seinen Schläfen. Stattdessen goß er seine Pflanzen zu Ende, zog sich ein Tank Top und Trainingshose an und trainierte eine Weile mit seinen Geräten. Mit Hanteln, Expander und einer fest in den Boden geschraubten Turnbank konnte er auch zu Hause eine Menge für seine Kondition tun.
Schon als Jugendlicher hatten ihn die regelmäßigen Übungen geholfen, seine Stimmung zu stabilisieren und innerlich zur Ruhe zu kommen. Maurice hielt nicht viel von Gesellschaft und verhielt sich seinen Klassenkameraden gegenüber abweisend. Beliebt machte ihn das nicht. Nur wenige seiner Mitschüler versuchten ihn so zu nehmen, wie er eben war. Die meisten Jungs hatten ihn sich als Zielscheibe ihres Ärgers auserkoren und so kam es, daß es bei Streitereien regelmäßig um ihn ging. Ein angenehmer Nebeneffekt seiner Übungen war aber, daß seine Kraft zunahm und er nach einiger Zeit seinen Klassenkameraden Paroli bieten konnte, so daß die Kämpfe mit den Jungs, die ihn auf dem Kieker hatten, immer häufiger zu seinen Gunsten endeten.
Den Rest des Sonnabends verbrachte er mit Aufräumen und Waschen. Sein Dienstplan ließ hierfür leider keinen regelmäßigen Wochentag zu, so daß er sich nur um seine Wohnung kümmern konnte, wenn es sich gerade ergab. Heute zum Beispiel. Hinterher briet er sich ein Steak auf dem alten Gasherd, den er mit der Wohnung übernommen hatte. Er überlegte, nach dem Essen wieder auszugehen. Vielleicht traf er ja das Markenpolo noch einmal. Diesmal würde er nüchtern bleiben. Ihn auf der Stelle verhaften und zu sich abschleppen. Diesmal … Sein Schwanz pochte bereits wieder heftig und beulte die Hose weit aus.
So ging das nicht weiter. Er brauchte jemand regelmäßiges zum Ficken. Niemanden zum Heiraten. Jemand, zu dem er gehen konnte, wenn er geil war. Jemanden, der genau das brauchte und keine Ansprüche stellte.
Er beschloß, den angebrochenen Abend auf dem Sofa vor dem Fernseher zu verbringen. Im laufenden Programm kam keine Sendung, die ihn ansprach, also würde er eine DVD gucken. Besser keinen Porno. Das könnte heute schmerzhaft enden. Maurice entschloß sich zu 'Odyssee 2001', einem alten Science Fiction. Von diesen besaß er ebenfalls eine umfangreiche Sammlung.
Sein Handy klingelte, noch ehe der Donauwalzer im Vorspann zu Ende gespielt war.
»Salut Maurice, wir haben ein Problem.«
»Hi Rainier, warum überrascht mich das nich?«
»Wir sollen heute abend Leute für das Saint Germain Spiel im Sechzehnten abstellen.«
»Frag doch Stéphane, der hat viel weniger Überstunden als ich.«
»Der hat sich vorhin bis Dienstag krankgemeldet.«
»Was für ein unglaublicher Zufall.«
»Tut mir echt leid, aber Du bist schon der letzte, den ich anrufen kann. Ohne Dich stehen wir wirklich auf dem Schlauch!«
»Na gut, wird schon irgendwie gehen«, knurrte Maurice. »Gegen wen wird heute gespielt?«
»Ajaccio glaube ich. Zumindest wirst Du da eine halbwegs ruhige Kugel schieben können. Die Anzahl Korsen im Stadion und drum herum wird sicher übersichtlich bleiben.«
»Dein Wort in Gottes Ohr. Dann kann ich mich ja gleich wieder umziehen.«
»Sieh es positiv. Dann kommst Du nicht in Versuchung, später das Vierte unsicher zu machen.«
»Ich kann mich kaum halten vor Freude.« Maurice trennte die Verbindung und fluchte laut und unbeherrscht. Hätte er es doch nur klingeln lassen.
Er saß wieder in der Redaktion. Der letzte Abend mußte schön gewesen sein, auch wenn er sich nicht mehr an jedes Detail erinnerte. Jetzt fühlte er sich ausgeschlafen, erholt und hatte den Kopf frei. Er mochte es, allein zu arbeiten. Unter der Woche kamen Maries Praktikanten mit Fragen, Konferenzen wurden anberaumt und das Telefon klingelte. Keine Chance, in Ruhe zu schreiben oder sich gar auf etwas zu konzentrieren.
Mike lehnte sich in seinem Sessel zurück und genoß den Ausblick über den Garten einer Außenstelle der Kirche von Saint-Sulpice. Einer der Vorzüge, die seine leitende Stellung mit sich brachte, bestand in einem eigenen Büro im ersten Stock mit Blick nach draußen. Das 'Magazine' hatte ein Haus gemietet, das in einem Hinterhof in Saint-Germain sehr hübsch versteckt lag. Wenn man nicht genau wußte, wo man hinmußte, wies nur ein unauffälliges Schild in einer Seitenstraße auf den Wissenschaftsverlag hin.
Die letzten Mails hatte er rasch abgearbeitet und wollte gerade den Mailer schließen, als eine neue Nachricht im Eingangskorb erschien:
'Sehr geehrter Herr Peters, vielen Dank für Ihre Antwort. Ich bitte Sie um Verständnis, daß ein Lüften meiner Identität derzeit nicht in Frage kommt. Ich würde lieber selbst nachforschen, aber Ihnen stehen bessere Möglichkeiten zur Verfügung als mir. Sie verkehren in den richtigen Kreisen. Ich benötige ein Dokument, das Professor Stein kurz vor seinem Verschwinden erstellt hat. Es ist von großem persönlichem Wert für mich. Wenn Sie mir bei der Suche helfen würden, soll es Ihr Schaden nicht sein. Hierzu müssen Sie aber zunächst den Professor ausfindig machen und – wichtiger noch – er muß mit Ihnen reden. Sind Sie mit Ihrer Suche denn schon weitergekommen? Haben Sie Anhaltspunkte, daß er noch lebt? In Erwartung Ihrer baldigen Antwort. Mit freundlichen Grüßen S.M.'
Eine Falte auf seiner Stirn vertiefte sich. Dachte dieser Kerl etwa, er wäre bestechlich? Es gab zwar Mitglieder seines Berufsstandes, die sich nicht immer nach den Regeln der Zunft verhielten, aber daß man ihm das pauschal mit unterstellte oder sogar voraussetzte, verletzte ihn. Er entschloß sich, diesen Punkt zu ignorieren und tippte seine Antwort.
'Sehr geehrte(r) S.M., vielen Dank für Ihre Nachricht. Ich habe in der Tat gewisse Anhaltspunkte, die mich vermuten lassen, daß der Professor noch unter uns weilt. Es ist aber noch zu früh, jetzt ins Detail zu gehen. Sie tun das ja auch nicht. Vielleicht könnten Sie mir wenigstens einen Anhaltspunkt geben, nach welcher Art Dokument Sie suchen. Das würde mir bei meiner Arbeit helfen. Mit freundlichen Grüßen M.P.'
Mike überflog seine Antwort noch einmal und klickte dann auf 'senden'. Er besaß Routine im Umgang mit Kontakten, die anonym bleiben wollten oder mußten. Es gab hunderte Forscher in Ländern mit nicht demokratischer Regierungsform, die um ihre berufliche Zukunft fürchteten, wenn sie sich zu intensiv am wissenschaftlichen Diskurs in ihrem Fachgebiet beteiligten. Selbst in den Vereinigten Staaten gingen einige Wissenschaftler jetzt vorsichtiger zu Werke. Die Furcht vor einer neuen McCarthy-Ära war berechtigt und die Angst, durch allzu offenherzige Kommunikation als Whistleblower eingestuft zu werden, trieb viele akademische Mitarbeiter und auch manchen Professor ins Darknet, wenn sie über heiklere Themen diskutieren wollten.
Er hatte das 'Magazine' nie als Enthüllungsplattform gesehen und darin bestand auch nicht die Politik der Verlagsleitung. Bei manchen heiklen Themen wurde es zunehmend schwierig, an Informationen über den wissenschaftlichen Fortschritt zu kommen. Daher tolerierte es die Verlagsleitung, daß er seine Hinweise teilweise durch Recherchen im Darknet und aus anonymen Quellen erhielt, solange am Ende etwas herauskam, das wenigstens im nachhinein aus offiziellen Quellen belegt werden konnte.
Das Telefon klingelte mit unterdrückter Rufnummer. Mike meldete sich und eine unbekannte, männliche Stimme antwortete ihm.
»Herr Peters? Gut, daß Sie da sind. Sie kennen mich als 'Lobélia'. Wir haben uns bis dato nur per Messenger unterhalten.«
Mike hatte diesen Anruf erwartet. »Wie kann ich Ihnen helfen? Ich schließe aus der Art Ihrer Meldung, daß etwas im Busch ist.«
»Und wie etwas im Busch ist!« 'Lobélia' lachte gekünstelt. »Bei uns geht zur Zeit ziemlich die Post ab. Gleich drei Professoren und mehrere ihrer wissenschaftlichen Mitarbeiter haben sich in der vorletzten Woche krankgemeldet. Interessanterweise stehen in den Krankmeldungen durchweg keine organischen Ursachen, sondern Begriffe wie 'Streß-Burnout', 'mentale Erschöpfung' und 'multiple Panikattacken'. Die Arbeitsunfähigkeit muß eine tiefergehende Ursache haben.«
Mike verkniff sich die Frage, wie sein Informant an diese Daten gekommen war. »Noch interessanter ist aber, daß diese Krankmeldungen allesamt aus der Astrophysik und Informatik kommen. Interessiert Sie das?«
Mike horchte auf. Dieses Puzzlestück paßte auf verwirrende Weise zu den Informationen, die Marie und Amélie herausgefunden hatten. Auch dort wurden Physiker aus rätselhaften Gründen arbeitsunfähig und litten an verschiedenen psychologischen Problemen. Gab es da etwa einen Zusammenhang? Es wäre gut, mehr darüber herauszufinden.
»Klar interessiert mich das!« Mike nahm den letzten Schluck aus seinem Kaffeebecher, schauderte innerlich zusammen, als die kalte, abgestandene Flüssigkeit seinen Gaumen berührte und spuckte sie im Reflex zurück in den Becher. »Voraussetzung ist natürlich, daß Sie mir bei der Ursachenfindung helfen können.«
»Vielleicht kann ich das. 200 Euro in Bitcoin, wie immer? Und keine Spur zu mir natürlich!«
»Natürlich.« Wie sollte er seine Quelle auch offenlegen, wo er doch keine Ahnung hatte, wer sich unter dem Pseudonym 'Lobélia' verbarg. Selbst wenn er diesen Anruf zurückverfolgen könnte, würde er doch nur zu einer Prepaidkarte ins Nirvana führen. »Aber ich brauche von Ihnen alles, was Sie noch zu diesen Vorfällen in Erfahrung bringen konnten.«
»Viel ist es nicht, was ich noch weiß. Ich schicke es Ihnen nachher gesammelt über den üblichen Kommunikationsweg. Aber die Häufung dieser Vorfälle muß etwas bedeuten. Ein Professor aus Paris hielt übrigens vor einiger Zeit bei uns am MIT einige Gastvorlesungen. Vielleicht hat er zu gutes Gras mitgebracht.« 'Lobélia' versuchte, locker zu klingen, aber seine Nervosität ließ sich beinahe mit Händen greifen.
Mike brauchte einige Sekunden, um den Inhalt der Information zu verarbeiten. »Es handelte sich doch nicht etwa um Professor Walter Stein?«
»Ja, das könnte sein.«
»Okay, danke. Ich kümmere mich darum.«
»Danke für Ihr offenes Ohr. Den Code zu meiner Zahlung sende ich Ihnen über Telegram. Eines noch: Deswegen liegt mir auch daran, daß die Angelegenheit untersucht wird und nicht in Vergessenheit gerät. Seit einigen Tagen streifen hier Leute in dunklen Anzügen herum, die 'FBI' auf die Stirn tätowiert haben, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Klar.«
»Die scheinen unangenehme Fragen zu stellen. Die Leute, die sie interviewen, sind ziemlich durch den Wind hinterher. Mich haben sie zum Glück noch nicht gefunden, aber etwas ist da faul. Oberfaul. Wenn das so weitergeht, bekomme ich hier auch Streß-Burnout und multiple Panikattacken.« Aufgelegt.
Mike machte sich zunächst Notizen zu dem Gespräch, das gerade stattgefunden hatte. Dann stand er auf und holte sich einen neuen Kaffee aus dem Automaten im Flur, ein vorsintflutliches Teil, das schon bessere Zeiten gesehen hatte. Die Qualität des Getränkes, das er in Plastikbechern ausspie, verbesserte auf bemerkenswerte Weise das Betriebsklima. Hing der Haussegen zwischen zwei Teammitgliedern schief, so fand man bei einem Becher Kaffee schnell einen gemeinsamen Aufreger, über den man sich einig wurde. So geriet mancher Streit auf rätselhafte Weise in Vergessenheit.
Außerdem war auch dieser Kaffee besser als kein Kaffee und Mike brauchte ihn jetzt. Im Vorbeigehen streifte er mit dem Oberkörper den Türrahmen und stieß einen leisen Laut des Schmerzes aus. Seine Nippel waren seit letzter Nacht höllisch empfindlich und er hatte keine Ahnung, wie das passiert war. Einige von den Bieren in den Clubs, die er besucht hatte, hätte er sich wohl besser verkniffen. Er erinnerte sich nicht mehr an alle Details der zweiten Nachthälfte und konnte vermutlich dankbar sein, daß er am Sonnabendmorgen in seinem eigenen Bett aufwachte.
Sein Körper schien bei aller Zerschundenheit aber auf seine Kosten gekommen zu sein. Seine Gedanken flossen so klar wie schon lange nicht mehr. Was auch immer am Ende der letzten Nacht passiert war, hatte ihm gutgetan. Er erinnerte sich schwach an ein Gefühl tiefer Entspannung. An einen Geruch nach … nach was denn eigentlich? Jedes Mal, wenn er sich darauf konzentrierte, glitt ihm die Erinnerung wieder aus den Fingern und ließ ihn in der Gegenwart zurück.
PLING! Der Kaffeeautomat signalisierte, daß der volle Becher bereit zur Entnahme war. Mike nahm den Kaffee und ging an seinen Platz zurück. Er mußte das abschütteln. Mit der Zeit würde er dahinterkommen. So etwas ließ sich nicht erzwingen.
Er setzte sich wieder vor den Rechner und fing an zu planen. Er mußte zu Professor Stein, was sich schon auf den ersten Blick als ziemliche Herausforderung zeigte. Seine Unterkunft, die 'Kolonie' lag im zentralen Chile am Oberlauf des Rio Nuble östlich von San Fernando. Die nähere und weitere Umgebung sah auf der Karte nicht allzu zugänglich aus. Dort unauffällig hinzukommen, würde ein bis zwei Tage Fußmarsch durch Wildnis und bergiges Land erfordern. Zwar campte er gerne in der freien Natur. Diese Aktion stellte aber eine andere Hausnummer dar.
Das Telefon klingelte erneut. Mike meldete sich. »Magazine de la Science, Redaktion. Guten Tag?«
Die bekannte Stimme seines Freundes antwortete.
»Coucou Séb, schön von Dir zu hören! Geht's Dir gut?«
Sébastien klang ungewohnt nervös. »Entschuldige, daß ich schon wieder anrufe, aber wir könnten ein Problem haben. Was in meinem Leben nicht ganz rund läuft, habe ich zwar noch nicht rausgefunden, aber was vorgestern abend komisch war, muß ich Dir noch erzählen. Es fühlte sich im nachhinein so an, als ob ich nicht allein auf der Suche wäre, weißt Du?«
»Was bringt Dich auf diese Idee?«
»So Kleinigkeiten, wie ein Knacken in den Lautsprechern und daß das Licht der Webcam zwischendurch plötzlich anging. Ich habe das zwar am Rande wahrgenommen, mir aber zunächst nichts dabei gedacht. Jetzt kommt es mir komisch vor. Ich bin diesbezüglich kein Profi. Es muß auch nichts bedeuten, aber es ist besser, wenn man sich vorsieht. Du weißt ja, daß die Leute meist keinen Spaß verstehen, wenn man sie hackt. Besitzer von Hotels, die offiziell nicht existieren, sind da bestimmt besonders humorlos. Ich lasse mein Notebook lieber eine Weile aus, bis Du das Projekt beendet hast. Du hast alle Daten, die Du brauchst, oder?«
Wenn Séb ein ungutes Gefühl hatte, mußte er das ernstnehmen. »Die habe ich, und auch einen Plan, wie ich hinein- und wieder herauskomme, Séb.« Mike versuchte, beruhigend zu klingen. »Der Hin- und Rückweg macht mir da mehr Sorgen, weil diese 'Kolonie' so verdammt abgelegen ist. Das soll aber nicht Dein Problem sein. Tue mir bitte den Gefallen und halte von jetzt an die Füße still! Ein paar Tage business-as-usual tun Dir bestimmt gut.«
»Jaja, ich weiß. Die besonderen Herausforderungen der Systemadministration erschließen sich eh nur uns Nerds.« Sébastien klang jetzt wieder ruhiger. »Weißt Du, ich habe letzte Nacht einfach schlecht geträumt, und, als ich dann wach war, stundenlang gegrübelt, und die Recherche Revue passieren lassen. Später ist dann auch noch eine Drohmail in meinem Firmenpostfach eingetrudelt. Irgendwas mit 'Wir wissen, wo Du wohnst. Hör auf, uns nachzuforschen, oder Du wirst es bereuen!' Das hat mir dann den Rest gegeben, verstehst Du. Ich hatte mir zum Glück gleich nach Rechercheende ein Backup auf einen Stick gezogen, und das Notebook danach ausgeschaltet. Die Mail habe ich Dir am nächsten Morgen von der Arbeit geschickt. Wir sind also auf der sicheren Seite.«
»Soll ich Dir ein neues Notebook besorgen? Du weißt ja, daß ich für solche Fälle gewisse 'Rückstellungen' gebildet habe.«
»Ich weiß. Schließlich habe ich Dir damals die Antminer für den Verlag besorgt. Ich glaube aber, daß ich mir das gerade noch leisten kann, keine Sorge. Ich habe noch Daten und Programme, die ich irgendwann sichern muß. Das eilt aber nicht, wenn ich jetzt sowieso eine ruhige Kugel schieben darf.«
»Versprich mir bitte, daß Du stillhältst, bis ich aus Chile zurück bin! Wenn Dich jemand bedroht, ist es höchste Zeit für Dich, es ein wenig ruhiger angehen zu lassen. Je nachdem, in was der Professor verwickelt ist, legen wir hinterher unsere Strategie fest, okay?«
»Aye Captain! Ich wollte auch nicht nerven.«
»Du nervst nicht!«, widersprach Mike energisch, um dann etwas ruhiger hinzuzufügen: »Ich habe gestern nachmittag auf dem Sofa auch 'Die unendliche Jagd nach Professor Stein' gespielt, bis ich irgendwann aufgewacht bin.«
»Ein richtiger Albtraum wirft einen immer ziemlich aus der Bahn. Sieh zu, daß Du die Informationen bekommst, hinter denen Du her bist. Wie auch immer sie aussehen werden. Ich schmeiß Dir das Backup die Tage noch in den Briefkasten, damit Du die Daten im Original hast, wenn Du zurückkommst. Und paß Du auch auf Dich auf. Du begibst Dich immerhin körperlich in Gefahr. Ich riskiere nur meine Hardware.«
Mike verabschiedete sich von Sébastien und legte auf. Er plante und strukturierte seine Reise durch. Die nötigen Buchungen nahmen einige Zeit in Anspruch, bis alles zueinander paßte. Den Rückflug mußte er offenlassen. Er wußte ja nicht, wann er wieder in Santiago ankam. Er mietete gleich einen Wagen mit. Das gab weniger Probleme, falls etwas im Zielland schiefging. Dann rief er Marie an.
»Coucou Süße, ich bins. Entschuldige bitte die Störung am Wochenende. Ja, 'Süße'! Wenn Du mich immer 'Michel' nennst, nenne ich Dich eben 'Süße'.« Mike lachte. »Du wirst schon sehen, was Du davon hast. So, folgendes: Ihr müßt die Teambesprechung ohne mich machen. Mein Flug geht schon am Montagabend und ich werde Montagmorgen lieber etwas vorschlafen. Grüße alle von mir und sage ihnen, daß wir tatsächlich etwas auf der Spur sind … Lobélia hat mir von einer ähnlichen 'Epidemie' psychosomatischer Erkrankungen am MIT berichtet und es könnte sein, daß unser Professor auch hier seine Finger im Spiel hatte. Das müßt ihr herausfinden, bis ich zurück bin. Ich lasse Dir alle Informationen als Memo hier. Bitte veranlasse auch die Zahlung … Ja, wieder in Bitcoin. Ich bin so froh, wenn die ganze Sache über die Bühne ist … Ja, wir lassen es danach ein wenig ruhiger angehen.«
Daß er Angst hatte, daß ihnen die Sache über den Kopf wuchs, erzählte er Marie nicht. Sie war hart im Nehmen, aber sie würde sich Sorgen um ihn machen. Er bläute ihr nur ein, daß sie bei ihren Nachforschungen auf gar keinen Fall Spuren hinterlassen durften, die man ins 'Magazine' zurückverfolgen könnte. Dann legte er auf.
Maurice saß im Revier und schrieb seinen Bericht an den Einsatzleiter. Der Einsatz am vorgestrigen Abend lief ohne größere Probleme ab. Es gab keine Krawalle oder Schlägereien. Sie mußten aber einige volltrunkene Fans zur Ausnüchterung bringen. Bei einem von ihnen riß Maurice der Geduldsfaden und das bedeutete Papierkrieg. Jetzt füllte er eine Zeugenaussage aus, um sich abzusichern.
Haarklein berichtete er, wie der betrunkene Fan (sehr offensichtlich ein Korse, Maurice hatte seinen Dialekt kaum verstanden) nach dem Spiel vor dem Stadion laut geworden war. Alle Versuche, ihn zu beruhigen, schlugen fehl. Der Mann wurde aggressiv und die Situation drohte aus dem Ruder zu laufen. Schließlich hatte er eine Notbremse gezogen, den um sich schlagenden Pöbler mit einem Judogriff zu Boden gebracht und ihm Handschellen angelegt. Das entsprach durchaus der üblichen Vorgehensweise und bis auf einige blaue Flecken ging es hinterher allen gut. Aber der Einsatzleiter bestand auf einem genauen Bericht – falls der Mann Anzeige erstattete.
Martin Berthier kam um die Ecke und schaute ihm über die Schulter. Er war der Dienstälteste im Kommissariat und stand kurz vor der Pensionierung. Maurice mochte ihn von allen Leuten hier am ehesten leiden. Er lästerte nicht mit den anderen, als er spät nachts gesehen wurde, wie er betrunken aus dem 'Full Metal' kam und niemanden mehr erkannte. Vermutlich hatte er es auch Berthier und seiner Freundschaft mit François Mignon, dem Revierleiter, zu verdanken, daß der Vorfall nicht aktenkundig wurde.
»Du hast wirklich ein Talent, Dich in Schwierigkeiten zu bringen.« Berthier sprach freundlich. »Es gab nur einen einzigen Vorfall bei dem Spiel, aber Du mußt daran beteiligt sein.«
»Keine Ahnung warum.« Der Ärger in seiner Stimme ließ sich fast mit Händen greifen. »Vielleicht passiert das einfach, weil ich den Schwierigkeiten nicht aus dem Weg geh!« Etwas ruhiger fügte er hinzu: »Jedenfalls ist nix Schlimmes passiert. Ich hab mir nichts vorzuwerfen.«
»Das wollte ich auch nicht andeuten. Du bist ein guter Junge. Wenn Du Dir nicht gerade wieder selbst im Weg stehst.«
Maurice mochte es nicht, als 'Junge' bezeichnet zu werden. Angesichts des Altersunterschiedes konnte er sich aber auch schlecht dagegen wehren. So beschränkte er sich auf ein mißbilligendes Brummen und hämmerte auf die Tastatur ein, als wäre sie der Korse vom Wochenende.
»Du solltest mal mit den Jungs hier einen trinken gehen.« Berthiers Stimme klang beinahe väterlich. »Du bist schon mehr als ein halbes Jahr hier. Du machst einen guten Job. Alle respektieren Dich wegen Deiner Nase für spezielle Zusammenhänge und wegen Deines phänomenalen Gedächtnisses für Personen. So richtig beliebt bist Du aber nicht. Du sonderst Dich immer ab, wenn es persönlich wird.«
»Ich will mit den anderen auch privat nichts zu tun haben. Die lästern über meine Streifzüge am Wochenende. Jean-Jacques nennt mich 'Schwuchtel', geht aber selbst fremd. Und dieser Stéphane ist zusätzlich noch eine ganz faule Socke. Hat sich wieder gekonnt um den Bereitschaftsdienst gedrückt am Wochenende!«
»Ich weiß. Und Laurent hat neulich etwas über Deine Familie gesagt, was Dich offensichtlich getroffen hat. Ich habe gesehen, daß Dir fast die Hand ausgerutscht wäre.«
Maurice sah ihm direkt ins Gesicht und seine Augen blitzten. »Meine Familie geht hier niemand was an. Nur weil er aus ner besseren Gegend kommt als ich, gibt ihm das nicht das Recht, sich auf nen Podest zu stellen. Meine Eltern haben sich nie um mich gekümmert, warn nie für mich da, wenn ich Hilfe gebraucht hab. Ich laß sie einfach in Ruhe und hoffe, daß sie dasselbe tun. Bin froh, daß ich aus den Banlieues raus bin.«
»Den Sprung an die Polizeischule schaffen von dort aus auch nicht viele. Dafür hast Du meinen Respekt. Du zahlst aber einen hohen Preis, wenn Du Dich immer absonderst. Mach doch mal gute Miene zum bösen Spiel. Manchmal hilft es, wenn man zusammen einen draufmacht. Du lernst die anderen Jungs besser kennen und sie Dich.«
»Ich will die aber nicht näher kennenlernen. Und für Respekt kann ich mir nix kaufen.«, grollte Maurice. »Ich brauch das alles nicht. Mich kotzt es an, mit allen gut Freund sein zu müssen. Laßt mich einfach nur in Ruh.«
Berthier wandte sich resignierend ab. »Das ist wirklich schade. Du hast echt das Zeug zu mehr. Bei der Police Judiciaire suchen sie händeringend Leute mit Deinen Fähigkeiten. Du könntest in 1-2 Jahren an den Quai des Orfèvres wechseln, wenn Du nur ein wenig mehr Teamplayer wärst!«
»Ich kann aber nicht aus meiner Haut. Wenn mir jemand stinkt, dann sag ich ihm das. Wer damit nicht umgehen kann, der ist in meinen Augen kein Teamplayer. Und Leute, die über meinen Vornamen lästern und mich hinter meinem Rücken 'tapette' nennen, zweimal nicht!«
Berthier ging weiter. Hinter einem Regal stand der Revierleiter. Er bedeutete ihm mit einer Bewegung zu schweigen und bat ihn in sein Dienstzimmer. »Auf einen Kaffee bei mir?«
»Hast Du unser Gespräch mitgehört?«, fragte Berthier.
»Das war ja kaum zu vermeiden. Das ganze Revier hat mitgehört.« Er schloß die Tür hinter ihnen und öffnete das Fenster. »Scheiß auf Kaffee. Zigarette?«
»Gerne!« Beide standen sie eine Weile am offenen Fenster und rauchten nach draußen, damit die Rauchmelder keinen Alarm schlugen.
»Du wirkst sehr nachdenklich heute«, sagte Berthier nach einer Weile.
»Ich weiß wirklich nicht, was ich mit Maurice anfangen soll«, antwortete Mignon gedehnt zwischen zwei Zügen. »Der Junge macht noch das ganze Revier rebellisch. Ich kann das nicht unbegrenzt tolerieren.«
Berthier zog gedankenvoll an seiner Zigarette. Dann antwortete er: »Erinnerst Du Dich noch an die Zeit, als wir im Bois de Boulogne zusammen Streife gelaufen sind?«
»Natürlich.«
»Wir waren ein gutes Team damals, oder?«
»Das beste!«
»Wir waren beide grün damals. Du noch mehr als ich. Und Du warst ziemlich leicht aus der Fassung zu bringen.«
»Worauf willst Du hinaus, Martin?«
»Daß es einige Male ziemlich knapp war. Wenn wir nicht zusammengehalten hätten, hätte sicherlich einer von uns irgendwann ein Disziplinarverfahren am Halse gehabt.«
»Ja und?«, fragte Mignon.
»Du hast damals Deine Chance bekommen und Du hast sie ergriffen. Schau, was Du heute erreicht hast!«, sagte Berthier
Mignon knurrte. »Revierleiter im Vierten bin ich. Großartig.«
»Das ist sicher nicht das Ende der Fahnenstange. Ich bin hier bald weg, aber Du hast noch einige Jahre bis zur Pensionierung. Du mußt es nur wollen.«
»Und was soll ich Deiner Meinung nach jetzt tun?«
»Schreibe Maurice eine Empfehlung für die Police Judiciaire. Gib ihm die Chance, die Du auch bekommen hast. Ich bin überzeugt, er arbeitet an seinem Sozialverhalten, wenn man ihn seinen Fähigkeiten entsprechend fordert.«
»Und wenn nicht? Dann fällt das auf mich zurück und ich kann hier versauern, weil man meiner Menschenkenntnis nicht traut.«
Beide rauchten nachdenklich ihre Zigaretten zu Ende. »Ich muß jetzt auf Streife«, sagte Berthier schließlich.
»Au r'voir.«
»Au revoir François.«
Mike befand sich noch zu Hause und tippte eine Nachricht in seinen Rechner. Den gestrigen Tag hatte er in einer Art Wachkoma verbracht und sein Bett nur verlassen, als er es vor Durst nicht mehr aushielt. Die Müdigkeit von der durchwachten Freitagnacht erwischte ihn mit einem Tag Verspätung. Jetzt am Montagmorgen mußte alles schnell gehen. In einigen Stunden würde der Taxifahrer klingeln, der ihn zum Flughafen brachte. Je nach Stausituation dauerte die Fahrt gerne mal eine Stunde und er mußte auch noch für einen Interkontinentalflug einchecken. Dafür nahm er sich besser einen halben Tag Zeit. Eine unerwartet ausführliche Mail seines Tipgebers lag noch in seinem Posteingang. Sie lautete:
'Sehr geehrter Herr Peters,
vielen Dank für Ihre Nachricht und Ihre Offenheit. Ich weiß das zu schätzen. Ich weiß es auch zu schätzen, daß Sie sich um etwas bemühen, von dem noch nicht klar ist, zu was es führen wird. Leider kann ich Ihnen nach wie vor nicht alle Informationen geben, die Sie verlangen. Dies geschieht aus Selbstschutz, wie ich Ihnen gleich erläutern werde.
Wie Sie richtig vermuten, hatte ich vor seinem Verschwinden fachlich mit Herrn Professor Stein zu tun. Er bat mich um Rat, weil er mit einem Projekt nicht weiterkam, das anscheinend seine fachlichen Kompetenzen überstieg. Er hatte versprochen, mir eine Zusammenfassung seiner bisherigen Ergebnisse in Form einer Präsentation zugänglich zu machen.
Dieses Dokument habe ich leider nie erhalten. Dafür fingen Kollegen aus unserer und einigen Nachbarfakultäten an, sich seltsam zu verhalten. Sie wirkten verstört und waren kaum ansprechbar und wenn, redeten Sie eigenartiges Zeug von einer Bedrohung von außen, die sie mir aber nicht beschreiben wollten. Binnen weniger Tage waren sie alle arbeitsunfähig, so daß der wissenschaftliche Betrieb praktisch zum Erliegen kam.
Ich vermute, daß zwischen diesen Vorfällen und den Erkenntnissen von Professor Stein ein Zusammenhang besteht. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er anderen seine Ergebnisse vor mir gezeigt hat. Das wäre absurd. Seltsam ist aber, daß vor einigen Tagen im Fachbereich Leute auftauchten, die anfingen, aufdringliche Fragen nach unseren Forschungsergebnissen zu stellen. Einer von ihnen wagte es sogar, mir zu drohen, als ich ihm keine Antwort geben wollte. Ich denke, man kann mir nichts anhaben, weil ich nichts Unrechtes getan habe. Dennoch habe ich Angst.
Sollte sich am Ende Ihrer Nachforschungen alles in Wohlgefallen auflösen, werde ich mein Inkognito selbstverständlich lüften. Bis dahin bitte ich Sie um Ihr Verständnis.
Mit freundlichen Grüßen S.M.'
'Was es auch ist, das Professor Stein da verteilt hat, er hat es ziemlich flächendeckend getan,' dachte sich Mike. 'Und mein Tipgeber fühlt sich einfach nur übergangen. Das nagt an seinem Ego. Dabei sollte er doch froh sein, daß er sich genau deswegen noch seiner Gesundheit erfreut.'
Das schrieb er ihm aber nicht. Er beließ es bei einer kurzen Notiz, daß er in den nächsten Wochen unterwegs sei und sich hinterher melden würde. Danach packte er seine Sachen zu Ende. Zu seinem Koffer kam noch ein großer Survival-Rucksack dazu. Den würde er in Chile brauchen, wenn er mit dem Auto nicht mehr weiterkam. Hoffentlich hatte er sich gut genug vorbereitet auf das, was ihn da draußen erwartete. Die Hälfte der Sachen, die er am Sonnabend noch in einem Outdoor-Shop erstanden hatte, konnte er hinterher vermutlich unbenutzt wegwerfen. Aber Wasserbehälter, ein Mückennetz und eine große Reiseapotheke konnten zumindest nicht ganz falsch sein.
Einen Moment bedauerte er, daß er in diesem Jahr nicht am Dalida Themenabend im Queen teilnehmen konnte. Der fand genau in der Zeit statt, in der er sich außer Landes aufhielt. Früher ging er dort immer mit Séb hin und im letzten Jahr begleitete sie zusätzlich Marie. Sie alle verehrten diese Ausnahmekünstlerin und genossen es, nach ihren Hits zu tanzen. Hits, die lange vor ihrer eigenen Kindheit schon welche waren. Mit Leuten zu reden, die man das ganze Jahr nicht gesehen hatte. Pfefferminzlikör zu trinken. Verrückte Klamotten zu tragen. Im Chor laut mitzusingen, denn selbstverständlich kannte jeder alle Erfolge Dalidas auswendig.
Wieviel lieber würde er dorthin gehen als in die chilenische Wildnis. So ganz angefreundet hatte er sich mit seinem Vorhaben immer noch nicht. Aber leider ging nicht beides gleichzeitig. Das Projekt hatte Vorrang. Er konnte es unmöglich um eine Woche verschieben. Als einzige Kompensation gönnte er sich einen Dalida Ordner für den iPod. Einen umfangreichen Ordner. So konnte er wenigstens in Gedanken mitfeiern.
Mike schrieb noch eine Reihe Memos. Für Marie, an Séb, an die Verlagsleitung. Er packte zuletzt noch Salbe in die Reiseapotheke, denn seine Brustwarzen fühlten sich immer noch wund an. Dann sammelte er seine Siebensachen ein und verließ das Appartement.
Maurice saß in einem halbleeren Wartebereich im Justizpalast. Sie hatten ihn am Mittwochmorgen an den Quai des Orfèvres zitiert. So ultimativ klang der Anrufer, daß er nicht auf den Gedanken kam, auf stur zu schalten. Was zur Hölle wollten sie von ihm? Und warum hatte Martin Berthier ihm »Viel Glück!« hinterhergerufen, als er seine Pilotenjacke gegriffen hatte und wortlos gegangen war?
Weiteres Grübeln hatte keinen Sinn. Ihm fiel kein plausibler Grund ein. Daß ihn der besoffene Korse, den er vor einer Woche hochgenommen hatte, wirklich angezeigt hatte, glaubte er nicht. Selbst wenn, wäre das kein Fall für die Kriminalpolizei, sondern für ein Disziplinarverfahren. Was also sollte er hier? Maurice wurde unruhig und versuchte sich innerlich gegen alles, was ihm jetzt zustoßen konnte, zu wappnen. Worum es auch immer ging, den Kopf abreißen konnten sie ihm nicht. Außerdem hatte er Rechte.
Ein kleiner, etwas beleibter Mann kam um die Ecke. Glattrasiert, mit vollen Gesichtszügen und lebhaften Augen, die im Ruhezustand etwas verschmitzt guckten. Sein Alter sah man ihm nicht auf den ersten Blick an, aber Maurice schätzte, daß er etwa fünfzehn Jahre mehr auf dem Buckel haben müßte als er selbst. So Mitte bis knapp Ende Vierzig könnte er sein. Seine Anzughose saß verknittert, so als hätte er sie am Morgen nicht wechseln können und unter den Achseln seines Hemdes offenbarten sich während einer Bewegung kleine Schweißflecken.
Er blickte sich kurz in der Runde um und steuerte dann direkt auf ihn zu. Trotz seiner Rundungen wirkten seine Bewegungen dabei nicht ungelenk, sondern fast elegant.
»Sie müssen Maurice Belloumi sein«, sprach er ihn an.
»Stimmt, wie …«
»Mein Name ist Georges Lefebvre. Kommen Sie bitte mit.«
Der Mann drehte auf dem Absatz um und enteilte mit ungeahnter Geschwindigkeit. Maurice folgte ihm wortlos und hatte überraschenderweise Mühe, Schritt zu halten. Alles, was er sich vorgenommen hatte zu sagen, verflüchtigte sich auf den ersten Metern. Er fühlte sich zurückgeworfen in seine Schulzeit, wenn man ihn wieder einmal zum Direktor zitierte. Er war kein guter Schüler und mehrere Male beinahe von der Schule geflogen. Wenn es eine Schlägerei auf dem Pausenhof gegeben hatte, mischte Maurice immer mit, denn meist ging es um ihn. Um ihn und damit, daß sein Vater aus Algerien kam. Wenn ein Klassenkamerad seine Mutter als 'Araberschlampe' titulierte, brannten ihm regelmäßig die Sicherungen durch.
Etwas an diesem Mann vor ihm erinnerte ihn an Monsieur Dupont. Sein Mathematiklehrer stand damals als einziger zwischen ihm und einem Schulverweis. Nicht, daß er je besonders freundlich zu ihm gewesen wäre. Aber gelegentlich half er ihm, wenn wieder einmal alles auf der Kippe stand. Vor einer besonders schweren Klausur gab er ihm sogar eine Nachhilfestunde. Maurice mochte ihn nicht. Schließlich war er ein Lehrer. Aber er respektierte ihn, so wie Dupont ihn zu respektieren schien. Ohne diesen Lehrer hätte er niemals seinen Abschluß geschafft.
Georges Lefebvre öffnete vor ihm eine Tür, die in ein kleines Büro führte. Hinter der Tür stand ein Rennrad. Dieser unerwartete Anblick riß Maurice aus seinen Gedanken. Mit einer Geste bot Lefebvre ihm wortlos einen Platz gegenüber seinem Schreibtisch an, hinter dem er selbst Platz nahm. Maurice setzte sich stocksteif und breitbeinig auf den angebotenen Stuhl. Bloß jetzt keine Schwäche zeigen, ehe er nicht im Bilde war, was hier lief. Lefebvre lehnte sich zurück und musterte ihn eindringlich. Lange genug, daß Maurice sich unangenehm und wie auf der Schulbank fühlte. Dann – nach einigen quälend langen Sekunden – begann er zu sprechen:
»Monsieur Belloumi, bitte entspannen Sie sich. Das kann man nicht mit ansehen. Ich will Ihnen nicht schaden! Niemand will das.«
Maurice wollte instinktiv protestieren. Irgendwer hatte immer etwas gegen ihn. Er mußte sich wehren, um nicht untergebuttert zu werden. Etwas in den braunen Augen von Lefebvre wirkte aber tatsächlich freundlich.
»Sie fragen sich sicher, warum Sie hier sind. Wenn ich mir das hier ansehe«, Lefebvre wies auf einen dicken Aktenordner vor ihm, »frage ich mich das ehrlich gesagt auch. Sie scheinen der einzige Polizist in Paris zu sein, bei dem es nicht genügt, die Dienstakte digital zu führen. Beschwerden von Ihnen. Beschwerden von anderen über Sie. Disziplinarverfahren. Rechtsbehelfe. Sie haben in den Revieren, in denen Sie bisher waren, ordentlich für Unruhe gesorgt. Mir ist noch nicht klar, was ich mit Ihnen anfangen soll.«
»Ich laß mir eben nicht alles gefallen.«
»Das ist hier auch nicht der Punkt!« Eine plötzliche Schärfe in seinem Ton ließ Maurice aufhorchen und Lefebvres Augen schienen auf einmal zu blitzen. Jetzt wirkte er gar nicht mehr so nett und jovial. »Bis ich Sie instruiert habe, worum es hier geht, werden Sie nur reden, wenn Sie gefragt werden. Haben Sie das verstanden?!«
Maurice nickte verdattert.
»Die Sache ist folgende: Bei uns in der Kriminalpolizei sind einige Stellen unbesetzt und unsere Möglichkeiten, sie zu füllen sind begrenzt, denn wir haben einen Einstellungsstop.« Er blickte vielsagend auf Maurices Dienstakte. »Wenn es auf mich ankäme, wären Sie nicht meine erste Wahl. Allerdings sind zwei Leute, auf deren Ansichten ich Wert lege, in diesem Punkt anderer Meinung. Deswegen sitzen Sie heute hier.«
»Aber ich hab mich doch gar nicht …« Lefebvres Blick ließ ihn erneut verstummen.
»Mir ist klar, daß Ihr Name nicht auf der Bewerberliste steht. Eigentlich steht er auf keiner Liste. Sie scheinen aber Qualitäten zu besitzen, die Sie für eine Versetzung zur Kriminalpolizei geeignet machen könnten. Das zu beurteilen ist in der nächsten Zeit meine Aufgabe.«
»Äh … ja.« Maurice wußte nicht, wie ihm gerade geschah.
»Wenn ich das richtig sehe, fühlen Sie sich im vierten Kommissariat nicht wohl. Und sollte dies hier wirklich Ihre Berufung sein, so wäre uns doch allen geholfen.«
Maurice nickte langsam und Lefebvres Blick wurde etwas milder.
»Es wird folgendermaßen ablaufen: Sie bleiben offiziell im Vierten. Wenn die Sache nicht funktioniert, gehen Sie dorthin zurück. Ich werde Fran… Ihren Revierleiter instruieren, daß Sie nur eingeschränkt eingesetzt werden. Sie werden nachmittags hier erscheinen. Wir haben für alle in Frage kommenden Quereinsteiger einen Crashkurs organisiert. Es gibt viele Vorschriften, die Sie kennen müssen. Kennen und einhalten. Irgendwann in den nächsten Wochen – wann genau wird sich noch ergeben – werden Sie mir bei einem Fall assistieren. Sie haben nur einen Versuch. Vergeuden Sie ihn nicht!«
»Ich versteh das trotzdem nicht. Ich erfüll doch gar nicht die Voraussetzungen, um hier arbeiten zu können. Ich hab kein Bac. Meine Akte ist …«
»… eine Katastrophe. Milde gesagt.«
»Wer hat mich dann empfohlen?«
»Das sollte Sie momentan am wenigsten interessieren. Es gibt auch Positives in Ihrem Lebenslauf. Sie haben fünf Jahre bei der Gendarmerie verbracht. Sie haben sogar die Aufnahmeprüfung für die GIGN versucht.« Maurice errötete bei der Erinnerung an sein damaliges Scheitern. »Sie stammen aus den Banlieues. Das alles hat man Ihnen nicht in die Wiege gelegt, aber Sie haben es versucht und Sie haben sich bis hierher durchgebissen.«
Maurice begann, unruhig auf seinem Stuhl hin- und herzurutschen. Soviel Lob verkraftete er nicht.
»Wundert es Sie, daß ich das weiß?« Lefebvres Augen guckten wieder verschmitzt. »Sie glauben doch nicht, daß man nur mit Beziehungen auf den Stuhl kommt, auf dem Sie jetzt sitzen. Ein wenig Können gehört schon auch dazu und Ihre militärische Vorbildung und auch Ihre Herkunft spielen eine wichtige Rolle. Wir sind hier eine ziemlich bunte Truppe, und das müssen wir auch sein, damit wir uns mit unseren Fähigkeiten ergänzen können. Die Fälle, mit denen wir täglich konfrontiert werden, sind alles andere als 08/15. Deswegen sehen wir uns auch jeden sehr genau an, der hier möglicherweise arbeiten wird.«
»Ich muß … ehrlich, damit hab ich nicht gerechnet, als ich hergerufen wurde.« Maurice gewann langsam seine Fassung zurück.
Lefebvre erwiderte: »Es wird kein Zuckerschlecken für Sie. Das fehlende Abitur stellt kein großes Problem dar, aber die anderen Bewerber bringen bessere Startvoraussetzungen mit.« Wieder ein Seitenblick auf die Akte. »Sie müssen also Ihre speziellen Fähigkeiten einsetzen, um mithalten zu können. Reißen sich außerdem zusammen, wenn Ihnen jemand dumm kommt. Ein Team funktioniert nur, wenn alle zusammenarbeiten und persönliche Differenzen hintanstellen. Ein Krach oder eine Schlägerei und Sie sind raus! Fühlen Sie sich dem gewachsen, Mr. Belloumi?«
»Ich versprech lieber nichts. Nur, daß ich alles tun werd, um mich der Freundschaft von wem-auch-immer würdig zu erweisen. Von nem Job hier hab ich allerdings wirklich geträumt. Ich hab nur nicht damit gerechnet, dafür in Betracht gezogen zu werden. Ich werd nen wenig Zeit brauchen, das zu verarbeiten.«
»Zeit bekommen Sie. Aber verarbeiten Sie nicht zu lange. Sonst ist Ihr Zug abgefahren. Für heute sind wir fertig. Ich habe jetzt noch mehrere Leute einzuweisen. Wir sehen uns am Montag.«
Maurice verabschiedete sich kurz und wandte sich dann zum Gehen. Lefebvre rief ihm durch die Tür nach: »Noch eins: Daß Sie schwul sind, interessiert hier keinen. Gehen Sie also nicht gleich damit hausieren!« Maurices Wangen brannten. Das hatte bestimmt jeder im Großraumbüro gehört.
Na, und wenn! Die Zeiten waren vorbei, in denen er sich dafür geschämt hatte, er selbst zu sein. Mit erhobenem Kopf schritt er zwischen neugierigen Gesichtern entlang und machte sich auf den Rückweg ins Vierte. Da er dringend etwas Zeit und ein wenig frische Luft um die Nase brauchte, entschloß er sich, zu Fuß zu gehen. In Gedanken versunken wanderte er an Notre-Dame entlang und über den Pont Saint-Louis zum Quai d'Orleans. Er lief gerne hier am Wasser. Die Luft schmeckte frisch und unverbraucht und half ihm, den Kopf frei zu bekommen. Vielleicht bekam er gerade seine Chance. Er hatte keine Ahnung, wer sich da für ihn verwendet hatte, aber er nahm sich vor, sein Bestes zu geben und es nicht zu vermasseln.
Lefebvre schien ihm auf den zweiten Blick gar nicht so uneben zu sein. Er roch okay. Mit seiner offenen, direkten Art würde er klarkommen müssen. Anscheinend hatte er schon viel gesehen und er wirkte, als beurteilte er ihn fair und unvoreingenommen, obwohl er sichtbar nicht davon begeistert war, sich mit ihm auseinandersetzen zu müssen. Vielleicht durfte er später mit ihm zusammenarbeiten, wenn er sich bewährt hatte. Und das mußte er.
Sorgen machte ihm nur, was ihm in dem 'Crashkurs' erwarten würde, der ihm bevorstand. Gesetze und Vorschriften pauken, fiel ihm schon immer schwer. Hoffentlich konnte er in der Praxis gutmachen, was ihm da an Geduld fehlte.
Mike parkte seinen SUV an einer kleinen, namenlosen Lodge Turismo am Rio Tinguiririca, wo er sich für einige Tage eingemietet hatte. Das Anwesen mochte in früheren Zeiten einmal repräsentativ gewesen sein, eine letzte Bastion der Zivilisation am Rande der Wildnis. Heute wirkte es in dieser Lage etwas aus der Zeit gefallen. Stachelige Sträucher überwucherten das Gelände wie ein länger nicht mehr geschnittener Bart und niemand kümmerte sich um das, was er in seiner Hütte so trieb, nachdem ihn die Hausmeisterin wortreich eingewiesen hatte.
Er verstand allenfalls die Hälfte von dem, was sie ihm da erklärte. Spanisch sprach er nur gebrochen und er freute sich, daß er sich überhaupt einigermaßen verständigen konnte. Der Dialekt, den er hier hörte, hatte mit dem, was er einmal in der Schule gelernt hatte, nur entfernt etwas zu tun. Chile rühmte sich nicht umsonst, daß hier das schlechteste Spanisch der Welt gesprochen würde.
Mike gähnte ausgiebig und rieb sich die überanstrengten Augen. Er hatte unterwegs in San Fernando noch an einem Supermarkt haltgemacht und sich mit Getränken und Lebensmitteln für etwa eine Woche eingedeckt. Diese schleppte er jetzt zusammen mit dem Gepäck in seine Hütte. Dann schlief er bis zum nächsten Mittag durch und erwachte einigermaßen erholt, wenn auch durchgefroren. Hier im Hochland konnten die Nächte jetzt im Herbst schon kalt werden und die Hütte besaß keine Heizung. Den Nachmittag verbrachte er damit, die nähere Umgebung zu erkunden. Das Gelände stieg den Flußlauf hinauf deutlich sichtbar an. Dort mußte er entlang. Die 'Kolonie' lag etwa 15 km flußauf und 400 Meter höher an einem Nebenarm des Rios fernab von jeder befestigten Straße.
Er folgte der kleinen Straße, an der die Lodge lag, einige Kilometer flußaufwärts. Die Gegend wirkte nach dem Sommer ausgetrocknet und der Fluß führte nicht allzuviel und ziemlich schlammiges Wasser. Einige hundert Meter entfernt floß parallel zum Rio Tinguiririca ein anderes Flüßchen namens Rio Claro, dessen Wasser seinem Namen alle Ehre machte. Mike wunderte es, hier zwei so unterschiedliche Gewässer auf engstem Raum vorzufinden.
Der buschige, trockengrüne Pflanzenbewuchs rundherum erinnerte entfernt an das Innere von Korsika. Dort hatte er mit Séb vor mehreren Jahren ein paar Wochen gezeltet. Ein 'Männerurlaub', wie sie das damals nannten. In einer besonders frischen Nacht hatten sie sogar den Schlafsack geteilt.
Er passierte einige verstreute, alte und baufällige Hütten. Danach gab es nur noch Landstraße. Rechter Hand erhob sich ein rundlicher, einige hundert Meter hoher Hügel, der 'La Rufina' genannt wurde. Die Straße führte am Fluß entlang in einer weiten Rechtskurve darum herum. Auf halber Strecke befand sich zwischen Straße und Fluß eine plane Fläche, an deren Ende ein großer Schuppen stand. Das Gebäude wirkte, als hätte man es erst vor einigen Jahren gebaut und sein Anstrich zeigte nicht den kleinsten Makel.
Mike parkte in der Nähe und sah sich die Umgebung an. Näher als bis hierhin kam man ohne ein richtiges Geländefahrzeug nicht an die 'Kolonie' heran. Das Flüßchen verengte sich an dieser Stelle und passierte einen größeren Felsblock. Von der anderen Seite des Felsblocks ergoß sich ein noch kleineres Flüßchen in den Rio Tinguiririca. Es war nur wenige Meter breit und führte klares Wasser, entsprang also vermutlich direkt in den schroffen Bergen, die sich auf der anderen Seite in den Himmel reckten. Da ging es hoch hinauf auf über 3.000 Meter. Er konnte in der Ferne sogar Eisflächen glitzern sehen, wenn er die Augen zusammenkniff.
In diese Richtung mußte er. Die 'Kolonie' lag im Tal des Gewässers einige Kilometer aufwärts. Auf seinem Weg hierher hatte er nicht einen Menschen gesehen. Daher überraschte es ihn, mit welch starken Schlössern der Schuppen gesichert war. Es gab zwei Türen, eine zur Straße und eine zum Fluß. Von hier aus führten markante Reifenspuren zum Wasser und schienen am anderen Ufer weiter zu gehen. Mike vermutete, daß sich hier ein Zwischenlager an Vorräten für die 'Kolonie' befand, das mal von der einen, mal von der anderen Seite besucht wurde. Die Sonne stand schon recht tief im Westen. Er beschloß, es für heute dabei bewenden zu lassen, und erst morgen in das kleine Tal einzudringen.
Am nächsten Tag fühlte er sich ausgeruht. Die Morgenkühle weckte ihn zeitig und so befand er sich bereits am frühen Vormittag wieder an der Einmündung des kleinen Tales. Mike hätte vermutlich einfach durch den Fluß waten können. Das Wasser schoß zwar mit einiger Geschwindigkeit abwärts, war aber nicht sehr tief. Diesmal fuhr er aber einige hundert Meter weiter. Dort befand sich in der Nähe eines kleinen Gehöfts eine einfache Brücke, über die er trockenen Fußes auf die andere Seite kam.
Für heute hatte er sich vorgenommen, so weit wie möglich in Richtung der 'Kolonie' voranzukommen und unauffällig die Gegend für seinen eigentlichen Vorstoß zu erkunden. Er ging von der Brücke aus in möglichst gerader Richtung nach Norden. Er wußte, daß er irgendwann wieder auf das Flüßchen stoßen mußte, solange er nicht zu hoch hinauf in die Berge geriet. Hier auf der Südseite sahen sie zwar weniger steil aus als die Berge auf der Nordseite des Flüßchens, aber selbst 'wildromantisch' wäre keine passende Beschreibung gewesen.
Mike schlug sich bei sengender Sonne durch dornige Buschlandschaften, durch die sich unvermittelt Täler zogen. Die Luftlinie zur 'Kolonie' betrug nur etwa fünf Kilometer. Dazwischen lag aber eine Bergkette, deren Gipfel sich bereits 1.500 – 2.000 Meter hoch erhoben. Diese versuchte Mike in Flußnähe zu umgehen, was die Strecke, die er zurücklegen mußte, mehr als verdoppelte.
Nach einer Stunde befand er sich in den Hängen über dem Flüßchen, das nun in einem Bogen nach Osten floß. Fast wäre er der Versuchung erlegen, hinunterzuklettern und sich einfach im Tal einen Weg zu suchen. Zum Glück erkannte er schnell, daß das keine gute Idee wäre. Unten im Tal bewegten sich nämlich mehrere Lastwagen mit überdimensionalen Reifen voran, deren Muster bestimmt gut in die Spuren paßten, die er am Vortag in der Nähe des Schuppens gesehen hatte. Dort unten würde er nicht lange unentdeckt bleiben.
Er hielt sich lieber an die weniger bequeme, aber dafür sichere Route einige hundert Meter vom Ufer entfernt. Mike spürte nach der zweiten Stunde ziehende Schmerzen in den Beinen. Er würde sicher den Muskelkater seines Lebens bekommen. Zerstochen war er auch, teils von dem macchiaartigen Gestrüpp, teils von den Moskitos, die es auch hier im Hochland gab.
Er gönnte sich eine Viertelstunde Rast. Nicht zu lange, schließlich mußte er die Strecke am Nachmittag auch noch zurück. Er packte eine Flasche Wasser aus seinem Rucksack und trank es in kleinen Schlucken. Dann kletterte er weiter. Die Hänge wurden steiler und er hatte Mühe, nicht abzurutschen. Das Flüßchen mäandrierte sich unten im Tal in mehreren Schleifen nach Norden durch eine Art Schlucht. Mike stieg jetzt direkt nach oben, denn auf der anderen Seite der Hügelkette, um die sich das Wasser herumzwängte, mußte die 'Kolonie' liegen.
Schließlich erreichte er die Berggipfel und blickte hinunter auf die andere Seite. Unter ihm teilte sich das Wasser in zwei Arme und
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Mike Gorden
Bildmaterialien: endless creative
Cover: endless creative
Tag der Veröffentlichung: 17.12.2022
ISBN: 978-3-7554-2790-2
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Für Achim.
Für Kira und Debby, meine Musen.