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Sackgasse

Fast pünktlich auf die Minute lenke ich den leeren LKW auf den Hof der Spedition. Ich muss mich beherrschen, die Tür beim Aussteigen nicht laut zuzuknallen, denn ich bin stinksauer. Als ich vorhin während der Frühtour am Herner Kreuz war, hat mich der Juniorchef angefunkt. Daniel, mit dem ich eigentlich immer die wöchentliche Tour nach Borkum fahre, hatte unterwegs einen Unfall und fällt aus. Stattdessen wird heute Pietro den zweiten LKW steuern.

 

Ausgerechnet Pietro! Seit dem vorigen Herbst mein Kollege in der Spedition. Italienischer Herkunft, im Gegensatz zu mir stockhetero und schon seit Wochen der Grund meiner Wutanfälle. Denn dieses arrogante Arschloch schafft es immer wieder, bevorzugt behandelt zu werden, weil er seinen beeindruckenden Charme spielen lässt und die Tussen aus dem Büro ihm aus der Hand fressen. Aber was noch viel schlimmer ist, der Kerl ist der Verursacher meiner feuchten Träume.

 

Dass ich schwul bin, weiß hier außer Daniel niemand. Ist besser so, denn die meisten meiner Fahrerkollegen sind homophobe Vollidioten. Denen binde ich bestimmt nicht auf die Nase, dass ich, statt auf Riesentitten und Muschis, auf Typen mit geilen Knackärschen stehe. Typen wie Pietro.

 

Mir graut es schon vor der Tour. Wütend auf das ungerechte Schicksal stapfe ich Richtung Verwaltung. Vor dem Eingang blühen die Forsythiensträucher in leuchtendem Gelb. Der Frühling hat endlich begonnen. Wurde auch Zeit nach dem langen Winter mit Glatteis und Schneematsch ohne Ende. Doch im Moment habe ich keinen Blick für die Schönheiten der wieder erwachenden Natur. Als ich näher komme, beginnt eine auf einem der Sträucher sitzende Amsel laut zu trällern. Das blöde Vieh will mich doch verarschen! Ich werfe ihr einen finsteren Blick zu, mir ist gerade nicht nach fröhlichem Gesang zumute.

 

 

Im Büro angekommen, erledige ich routinemäßig den Papierkram und hocke mich dann in die Pausenecke, um mir einen Kaffee zu gönnen. Kurze Zeit später kommt Pietro herein und beginnt sofort mit Karin, der Sekretärin, zu flirten, was das Zeug hält. Die Planschkuh hängt förmlich an seinen Lippen und klimpert mit ihren dick getuschten Wimpern. Wahrscheinlich kleistert sie sich jeden Morgen ein ganzes Pfund Schminke ins Gesicht zwecks Restaurierung.

 

Frustriert beobachte ich die Szene, aber meine Laune wird davon nicht besser. Ich wüsste schon, was ich mit diesen roten Lippen anstellen könnte. Und diesen schwarzen, bestimmt herrlich weichen Locken. Dazu dunkelbraune, wunderschöne Augen. Und erst der Körper. Breite Schultern mit muskulösen Oberarmen, nicht künstlich im Fitnessstudio gezüchtet, sondern ganz natürlich entstanden. Schmale Hüften, lange Beine. Schlank, aber nicht mager.

 

Nur gut, dass ich am Tisch sitze, wäre wohl nicht zu übersehen, dass meine Hose mittlerweile zu eng wird. Das muss man sich mal vorstellen. Ich, der nie auch nur über die Möglichkeit einer festen Beziehung nachgedacht habe, würde dieser kleinen Ratte am liebsten schwanzwedelnd hinterherlaufen. Oder noch besser ihn besteigen. Wieso muss der Typ denn auch so verflucht attraktiv sein?

 

Bevor ich mich noch weiter in meine Fantasien reinsteigern kann, betritt zum Glück der Juniorchef den Ort des Geschehens. Leider hat er eine schlechte Nachricht für uns. Der Deutsche Wetterbericht hat eine Sturmwarnung für die Küstenregion gemeldet. Klingt nicht toll, ist aber typisch für das Frühjahr. Das kann ja heiter werden! Ich stehe nicht wirklich auf orkanartige Böen mit hohem Seegang, der die Fähre schwanken lässt wie eine Walnussschale.

 

Eine halbe Stunde später ist die Ladung sicher verstaut und es kann losgehen. Ich gehe noch schnell zur Toilette und bringe den Kaffee gleich wieder weg. Beim Verlassen des Verwaltungsgebäudes sehe ich als erstes, wie Pietro in sein Führerhaus steigt und den Motor startet. Als er dabei seinen süßen Knackarsch rausstreckt, werde ich schon wieder hart. Ganz große Klasse! Jetzt kann ich wieder kilometerweit mit einem Ständer fahren.

 

Fuck! Fuck! Fuck! Am liebsten würde ich jetzt im Strahl kotzen, nur leider würde das höchstens zu seiner Erheiterung beitragen. Alternativ denke ich über die Möglichkeit nach, ihn zu erwürgen. Aber auch das ist hier, mitten auf dem Hof vor etlichen Zeugen, wohl keine so gute Idee. Stattdessen steige ich ebenfalls ein und ab geht es.

 

 

Zum Glück ist in der Stadt nicht viel Verkehr und ich fahre zügig auf die Autobahn. Am Recklinghäuser Kreuz wechsele ich auf die A2 Richtung Oberhausen. Auch hier ist es heute ziemlich leer und ich brauche nicht lange bis zur A31. Von Pietro ist trotzdem nichts mehr zu sehen. Ich hoffe nur, ich kann den Vorsprung gleich aufholen.

 

Vielleicht habe ich ja nachher Glück und bin früh genug in Emden, um noch eine schnelle Nummer mit Jan zu schieben. Wäre nicht das erste Mal. Er arbeitet im Fährbüro und mein zuverlässiger Gayradar hat schon bei unserem ersten Treffen heftig ausgeschlagen. Auch wenn er nicht wirklich mein Typ ist, für den einen oder anderen Quickie reicht es allemal aus. Mein Schwanz sieht das ähnlich und zuckt in freudiger Erwartung. Das kann ja was geben! Zu meiner Erleichterung klingt die Erektion aber schon bald ab und ich kann wieder bequem sitzen.

 

Die Autobahnfahrt zieht sich mal wieder endlos dahin. Das ist der Nachteil an der A31. Flaches Land und es gibt nichts Interessantes zu entdecken, womit man sich ein wenig ablenken könnte. Mir wird allmählich langweilig bei der eintönigen Strecke. Als ich mich dabei ertappe, wie ich beginne, die Windkraftwerke am Rand des Friesenspießes zu zählen, drehe ich das Radio lauter. Fehlt noch, dass ich am Steuer einpenne. Hab keinen Bock darauf, damit zu enden, dass sie mich aus dem Führerhaus kratzen müssen.

 

Mittlerweile wird es immer stürmischer, der Wetterbericht hat leider recht gehabt. Stellenweise muss ich auf freier Strecke schon heftig gegenlenken, um auf der Spur zu bleiben. Ich bin gut in der Zeit, trotz einer kilometerlangen Baustelle mit Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60kmh und passiere gerade die letzte Ausfahrt vor dem Emstunnel. Einen Kilometer später sehe ich die Warnblinklichter der vor mir herfahrenden Autos aufleuchten. Stau! Verdammte Scheiße! Zu früh gefreut.

 

In diesem Moment klingt aus dem Radio der Verkehrsfunk mit der Meldung, dass es im Emstunnel zu einem Auffahrunfall mit einem schwer verletzten Motorradfahrer gekommen ist. Vollsperrung. Und es gibt kein Vor und Zurück. Konnte die Ansage nicht zehn Minuten früher kommen? Dann hätte ich den Emstunnel auf der Umgehungsstrecke umfahren können. Genervt greife ich zum Funkgerät und melde der Spedition, dass ich feststecke. Dabei erfahre ich, dass es Pietro anscheinend auch erwischt hat. So weit vor mir ist er dann wohl doch nicht mehr.

 

Jetzt heißt es abwarten. Die Minuten kriechen zäh wie Kaugummi dahin und mit jeder verstreichenden Minute verringert sich die Wahrscheinlichkeit, die 14Uhr-Fähre am Emdener Borkumkai noch pünktlich zu erreichen.

 

Inzwischen ist es schon 12.50Uhr und damit klar, dass wir es nicht mehr rechtzeitig schaffen können. Gerade, als es endlich wieder schrittweise weitergeht, meldet sich der Juniorchef über Funk bei mir. Emden ist gestrichen, die restlichen Fähren für heute sind ausgebucht. Stattdessen sollen wir nach Eemshaven fahren. Die Zollabfertigung würde er per Fax für uns erledigen. Leider gibt es noch ein Problem. Es sind nämlich gerade Osterferien und nur auf der letzten Fähre um 19.30Uhr wären noch zwei LKW-Plätze frei. Das bedeutet, wir können heute nicht mehr zurück und müssen die Nacht auf Borkum verbringen.

 

So ein Mist! Aber egal, Hauptsache, wir können die Fracht nachher noch entladen, damit wir gleich morgen früh die erste Fähre zurück aufs Festland nehmen können. Gepennt wird im Führerhaus. Aber damit habe ich kein Problem. Meine Koje ist besser als ein Bett im Motel und ruhiger ist es in der Nacht auf einem leicht abseits gelegenen Parkplatz allemal.

 

 

Auf der restlichen Strecke gibt es keine Probleme mehr, ich kann mir also Zeit lassen. Als erstes fahre ich einen Rastplatz mit WC an und mache eine kleine Pause. Nach dem langen Stau muss ich mir dringend die Beine vertreten. Eine halbe Stunde später bin ich wieder unterwegs. In Eemshaven sehe ich dann auch Pietro wieder. Er ist genauso sauer über die Verzögerung wie ich und flucht leise auf Italienisch, als ich mit ihm zusammen die Formalitäten am Hafen erledige. Glücklicherweise klappt alles reibungslos. Der Juniorchef hat seinen Job wie immer gut gemacht.

 

Eine Stunde vor der Abfahrt reihen wir uns in die Schlange der LKWs ein. Als wir endlich die Rampe hochfahren dürfen, werde ich nach links und Pietro nach rechts auf die Ladefläche gewunken.

 

Als die Fähre wenig später ablegt, hat sich der Sturm bereits beruhigt und man spürt den Seegang nur noch leicht. Glück gehabt! Ich besorge mir am Kiosk ein Matjesbrötchen und gehe an Deck. Ich genieße die Aussicht von dort und die herrlich, frische Seeluft. Leider hatte Pietro wohl die gleiche Idee und folgt mir. Nur einen Moment bin ich von seinem Anblick abgelenkt, aber das reicht offensichtlich einer von diesen verfressenen Killer-Möwen, um mir das Brötchen aus der Hand zu klauen. Mein Gesichtsausdruck muss wohl selten dämlich sein, denn Pietro beginnt laut zu lachen. Na toll, ganz große Klasse!

 

Für einen kurzen Moment erscheint es mir äußerst verlockend, mich einfach über Bord in die Nordseefluten zu stürzen. Aber der Gedanke, als Fischfutter zu enden, ist dann doch nicht so lustig und ich lasse es bleiben. Stattdessen verfluche ich das räuberische Mistvieh. Zum Dank dafür fliegt es über meinen Kopf und scheißt mir mit Karacho auf meine Jacke. Pietro bekommt vor Lachen fast keine Luft mehr. Am liebsten würde ich ihn erwürgen oder alternativ über die Reling werfen.

 

Beleidigt verlasse ich das Deck und suche die Toiletten auf, wo ich notdürftig meine Jacke säubere. Das ist heute eindeutig nicht mein Tag!

 

Als ich wieder zurück auf dem Aussichtsdeck bin, ist von Pietro keine Spur mehr zu sehen. Stattdessen taucht Borkum am Horizont auf. Schon kann man den „Neuen Leuchtturm“ erkennen. Ein schöner Anblick, wie die kleinen Häuser allmählich immer größer werden.

 

Eine halbe Stunde später hat die Fähre angelegt und wir können endlich an Land fahren. Am Ziel angekommen, klappt das Entladen schnell und problemlos. Reine Routine. Kaum fertig, fahre ich den Brummi vom Hof des Hotels, das wir einmal in der Woche beliefern und fahre ein Stück aus dem Stadtzentrum heraus, um mir einen Parkplatz für die Nacht zu suchen.

 

Das Hallenbad hat noch geöffnet und ich schnappe mir meine Tasche mit Handtuch und Duschgel, um noch schnell zu duschen und meine Zähne zu putzen. Ich habe nämlich gleich noch etwas vor. Während des Entladens habe ich ein wenig auf dem Handy gegoogelt und dabei entdeckt, dass es hier auf Borkum eine Cruisingmöglichkeit geben soll. Das kommt mir wie gerufen!

 

 

Es wird schon dunkel, als ich mich dem angegebenen Waldgebiet nähere. Als ich um die Ecke in die letzte Straße laufe, sehe ich vor mir ein Sackgassen-Schild. Zwangsläufig muss ich grinsen. Na, wenn das nicht passt!

 

Voller Vorfreude betrete ich den Waldweg am Ende der Gasse. Hoffentlich ist jemand da, mit dem ich ein wenig Spaß haben kann. Meine Hand gleitet in meine Hosentasche und ich ertaste die Tube mit dem Gleitgel und die Kondome.

 

Ich gehe weiter und plötzlich erkenne ich hinter einem blühenden Strauch die Silhouette eines Mannes. Schnell gehe ich näher auf ihn zu. Als er hinter dem Gebüsch hervortritt und ich ihn erkenne, bleibe ich erschrocken wie angewurzelt stehen.

 

Pietro!

 

Jetzt stecke ich wirklich in einer Sackgasse!

 

Wenn er in der Spedition ausplaudert, dass ich mich nachts im Wald mit anderen Männern zum Sex treffe, dann bin ich erledigt. Vielleicht sollte ich mich auf der Rückfahrt doch im Meer ertränken!

 

Ich bin mit Sicherheit kreidebleich geworden und blicke ihn wie erstarrt an. Seine nächsten Worte kann ich wegen des lauten Rauschens in meinen Ohren zuerst gar nicht verstehen.

 

„Na endlich, Tom! Ich hatte schon befürchtet, du kommst nicht mehr.“

 

„Was?“ Ich mache gerade bestimmt einen äußerst debilen Eindruck auf ihn.

 

Pietro grinst mich herausfordernd an. „Hast du nicht gemerkt, dass ich hinter dir stand und mitgelesen habe, was du vorhin mit dem Handy gegoogelt hast?“

 

Ach du Scheiße! Aus der Nummer komme ich wohl nicht mehr heil raus. Was soll’s? Angriff ist die beste Verteidigung!

 

Deshalb blicke ich ihn finster an. „Und jetzt? Hast du ein Problem damit, dass ich auf Kerle stehe?“

 

Er fängt doch glatt laut zu lachen an. „Jetzt komm mal wieder runter! Um deine Frage zu beantworten, nö, gar nicht. Sag mal, Tom, ist dein Gayradar eigentlich kaputt? Sonst hättest du doch schon längst merken müssen, dass ich am gleichen Ufer fische wie du.“

 

Mir fällt vermutlich gerade die Kinnlade runter. Pietro und schwul? Das glaube ich nicht! Ungläubig schüttele ich den Kopf. Jetzt bin ich baff!

 

Pietro kichert leise. „Willst du mich jetzt noch lange anstarren oder können wir endlich vögeln?“

 

Er dreht sich um und lässt die Jeans samt Pants bis zu seinen Knien runterfallen. Als ich mich immer noch nicht rühre, dreht er seinen Kopf zu mir.

 

„Kommst du mal langsam in die Gänge? Mir frieren die Eier.“

 

Endlich erwache ich aus meiner Schockstarre und merke, dass ich gerade im Paradies gelandet bin. Doch bevor ich nach Gleitgel und Kondom greife, drehe ich meinen Traumprinzen erst einmal zu mir um und beginne ihn leidenschaftlich zu küssen. Sofort erwidert Pietro den Kuss und drängt sich mir entgegen. Er ist bereits steinhart, wie ich wenig später bemerke. Ich übrigens auch.

 

Als ich Minuten später in ihn eindringe, bin ich der glücklichste Mann auf Erden. Das hier ist so viel besser als meine einsamen Träume von meinem italienischen Engel. Pietro überlässt sich ganz meinem Rhythmus und gemeinsam landen wir kurz darauf auf Wolke 7.

 

 

 

 

Epilog

 

 

Seit dieser nächtlichen Episode auf der schönen Nordseeinsel ist mittlerweile ein halbes Jahr vergangen. Mein Traummann und ich sind seitdem zusammen. Ich kann es manchmal immer noch nicht glauben. Nie war ich glücklicher als mit Pietro an meiner Seite.

 

Übrigens, wir fahren beide nicht mehr für die Recklinghäuser Spedition. Stattdessen sind wir beide bei Pietros Onkel angestellt. Seitdem fahren wir gemeinsam Langstrecke. Neapel – Berlin und wieder zurück. Mein Schatz ist immer neben mir, denn wir wechseln uns beim Fahren ab. Ach ja, Pietros Onkel weiß Bescheid über uns und wir müssen uns nicht mehr verstecken.

 

Einziger Nachteil, manchmal vermisse ich die Überfahrt auf der Fähre und die Insel mit Hochseeklima in der Nordsee. Aber Pietro hat neulich den Vorschlag gemacht, im nächsten Sommer einfach mal dort Urlaub zu machen. Gerade habe ich nach einer netten Pension am Rande eines gewissen Waldgebietes gegoogelt und bereits im Voraus gebucht. Das wird mit Sicherheit ein unvergesslicher Urlaub für uns.

 

Und noch etwas. Sollte jemand einmal nachts einen abseits geparkten LKW mit italienischem Kennzeichen sehen, dessen Führerhaus rhythmisch wackelt, das könnte dann unserer sein.

 

 

 

 

Ende

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 01.03.2015

Alle Rechte vorbehalten

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