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Du sollst deinen Nächsten lieben...

„Herr Hartmann! Herr Hartmann, hören Sie mich?“

 

 

Wie durch Watte dringt die Stimme allmählich in mein Bewusstsein. Vielleicht sollte ich einfach antworten, aber ich kann es nicht. Denn ich zittere am ganzen Körper wie Espenlaub, sogar meine Zähne klappern laut aneinander.

 

 

„Sie stehen unter Schock. Bitte nicht erschrecken, wenn es gleich piekt. Ich spritze Ihnen ein leichtes Beruhigungsmittel.“

 

 

Jemand hält meinen Arm fest, dann spüre ich den Stich der Spritze. Ich schaue wie gebannt darauf, sehe wie ein kleines Pflaster darüber geklebt wird. Mein Blick wandert weiter bis zu meinen Händen. Sie sehen merkwürdig aus. So rot. Und nicht nur meine Hände, auch auf meinem Hemd und meiner Hose sind große, dunkelrote Flecken.

 

Langsam lässt das Zittern nach und ich kann erkennen, wie eine Krankenschwester mit einem feuchten Tuch damit beginnt, meine Hände und Arme abzuwischen. Ein weißes Handtuch, das dabei immer roter wird. Warum wird es denn so rot? Ach ja, Blut! Björns Blut.

 

Ich starre darauf, kann immer noch nicht begreifen, was vorhin geschehen ist. Dabei hatte der Tag so schön angefangen.

 

 

***

 

 

Pünktlich um 8Uhr wurde ich unsanft vom nervigen Ton des Weckers aus dem Schlaf gerissen. Grummelnd habe ich mir das Kopfkissen über die Ohren gehalten. Sonntag, der einzige Tag um auszuschlafen. Sonst müssen wir immer pünktlich in unserem Friseursalon sein. Der Preis dafür, selbstständig zu sein. Aber mein Mann kannte keine Gnade. Lachend zog mir Björn das Kissen weg.

 

„Aufwachen, du Schlafmütze! Wenn wir nicht pünktlich losfahren, bekommen wir nachher keinen Parkplatz mehr. Da kommen bestimmt noch mehr Leute außer uns zum Christopher Street Day.“

 

Auch wenn ich wusste, dass er Recht hatte, ich wollte noch ein wenig im Bett bleiben. Deshalb zog ich ihn einfach über mich und küsste ihn stürmisch auf den Mund. Seufzend gab Björn nach. Als ich seine Hände auf meinem Körper spürte, zärtliche Berührungen, überall wo ich es gern hatte, war ich schlagartig hellwach. Schnell landeten unsere wenigen Klamotten auf dem Boden und Björn vögelte mich kurze Zeit später in den Himmel.

 

Als wir es endlich aus dem Bett und ins Badezimmer geschafft hatten, blieb nur noch wenig Zeit übrig für ein schnelles Frühstück. Kaffee und zwei Scheiben Toast mit Erdbeermarmelade. Dann mussten wir auch schon los, obwohl ich meinen Mann am liebsten zurück ins Bett gezerrt hätte. Er sah aber auch zu heiß aus in der engen, neongrünen Jeans und dem knappen, pinken Glitzershirt. Dazu passten perfekt die regenbogenfarbenen Strähnchen in seinem schwarzen Haar, die ich ihm erst gestern nach dem Blondieren reingefärbt habe. Ich bin ja eher der schlichte, unauffällige Typ, aber Björn liebt es schrill und bunt. Irgendwelche Zweifel an seiner sexuellen Orientierung kommen gar nicht erst auf. Ihm ist es auch in erster Linie zu verdanken, dass unser Salon so gut läuft. Die meisten der schwulen Jungs aus unserer Stadt kommen zu uns zum Haarschnitt, sogar einige Drag-Queens zählen zu unserer Stammkundschaft. Natürlich haben wir nicht nur Hairstyling im Angebot, auch Maniküre und Wellnessbehandlungen gehören inzwischen zu unserem Programm. Eine ausgebildete Kosmetikerin ist schon jahrelang Bestandteil unseres Teams.

 

 

Zum Glück waren wir dann doch noch fast pünktlich am verabredeten Treffpunkt in der Innenstadt, trotz gefühlter tausend roter Ampeln und Schneckentempo. Beim Aussteigen aus dem Auto konnten wir schon unsere Freunde sehen, die offensichtlich nur noch auf uns warteten.

 

Schon vor Jahren haben wir uns einer kleinen LGBT-Gruppe angeschlossen. Regelmäßig trafen wir uns zu Demonstrationen für gleiche Rechte von Menschen wie uns, Menschen die gleichgeschlechtlich lieben. Und natürlich nahmen wir mit ihnen an mehreren CSD’s im Jahr teil.

 

Dennis kam uns schon ungeduldig entgegen: „Na ihr Langschläfer, habt ihr es mal wieder nicht aus dem Bett geschafft?“

 

Vielsagend und provokativ streichelte mir Björn über den Hintern und schaute grinsend zu Dennis: „Wir hatten noch etwas Wichtiges zu erledigen.“

 

Unser gemeinsamer Freund verdrehte nur die Augen und kicherte amüsiert: „Verstehe, wie konnte ich das nur vergessen?“

 

Lachend gingen wir drei zu den anderen unserer Gruppe, begrüßten alle und kletterten dann nacheinander auf den Leiterwagen. Schon gestern Nachmittag haben wir ihn zusammen in der großen Scheune von Olafs Eltern geschmückt. Mit bunten Luftballons, Regenbogenfahnen und Transparenten. Einige von uns werden hinter dem Wagen herlaufen und dabei selbst hergestellte Schilder tragen, mit unseren Forderungen nach Gleichstellung und Akzeptanz und gegen Diskriminierung und Ausgrenzung.

 

Als wir später am Abend nach getaner Arbeit noch zusammen gemütlich in unserer Lieblingskneipe saßen und ein Bier tranken, kam das Gespräch mal wieder auf die neuesten Attacken gegen Homosexuelle von Mitgliedern der Katholischen Kirche und dem Vatikan zu sprechen. Besonders Raphaela regte sich mal wieder tierisch auf über das homophobe, scheinheilige Geschwafel. Ihre Freundin Lara nahm sie daraufhin in den Arm und strich ihr beruhigend über den Rücken.

 

„Mach dir nichts draus, Sweetheart. Die Bande alter Männer im Vatikan ist einfach lernresistent und lebt immer noch im Mittelalter. Für die ist es angeblich unnatürlich, wenn sich zwei Menschen gleichen Geschlechts lieben. Die spinnen, die Römer!“

 

Björn und ich sahen uns nur kurz an, dann begannen wir laut zu lachen und unsere Freunde mit uns. Bei dem Spruch mussten wir alle unweigerlich an Asterix und Obelix denken. Als dann auch noch Lara einen Vergleich anstellte mit dem ganze Wildschweine futternden Hinkelsteinträger und dem feisten Kardinal, der für die letzten obskuren und hirnrissigen Anschuldigungen gegen Menschen wie uns, verantwortlich war, lag ich schon beinahe vor Lachen unter dem Tisch. Die Fantasie Stefans, Obelix im roten Kleidchen und mit Kardinalsmützchen gab mir dann den Rest. Ich hatte Bauchschmerzen und einen Lachkrampf, dass ich fast keine Luft mehr bekam.

 

Auf dem Heimweg lachten Björn und ich immer noch. Die Passanten, denen wir unterwegs begegneten, haben uns bestimmt für völlig bekloppt gehalten.

 

 

***

 

 

Zunächst lief bei der Christopher Street Parade alles wie jedes Jahr ab. Olaf fuhr routiniert den Traktor mit unserem Leiterwagen. Als wir an der Reihe waren, lenkte er ihn langsam auf die Straße und wir fuhren wie geplant im Demonstrationszug mit. Die Stimmung war ausgelassen und fröhlich, zahlreiche Zuschauer waren gekommen um mitzufeiern. Sie tanzten teilweise auf der Straße zu der Musik aus den Lautsprechern und es wurde fleißig fotografiert. Etliche der Teilnehmer der Parade trugen farbenprächtige, fantastische Kostüme, die sie selbst hergestellt und in die sie eine Menge Zeit und Geld investiert hatten. Auch wir winkten beim Vorbeifahren in die Kameras. Es war ein wirklich schöner Nachmittag für uns alle. Nicht nur Gleichgesinnte säumten unseren Weg, der Hauptanteil bestand eindeutig aus heterosexuellen Paaren, die unsere Forderungen nach gleichem Recht für alle, wie es eigentlich im Grundgesetz verankert ist, teilen. Viele hatten ihre Kinder dabei, die strahlend ihre kleinen Regenbogenfähnchen schwenkten. Für mich persönlich ist das der beste Beweis, dass niemand homophob geboren wird und selbst entscheiden kann, ob er ein missgünstiges Arschloch wird oder nicht.

 

 

Dann, zwei Stunden später, bei der Abschlusskundgebung auf dem Marktplatz, passierte es. Ich spürte sofort, dass etwas nicht stimmte, als plötzlich Unruhe entstand und eine größere Gruppe von Menschen, für uns überraschend, um die Ecke kam. Wir wussten zwar, dass für heute auch eine Kundgebung von Gegnern der Homoehe geplant war, aber die sollten eigentlich einen anderen Weg nehmen.

 

Sie trugen Transparente, auf denen sie gegen Homosexuelle Stimmung machten und brüllten dabei homophobe Slogans.

 

Anscheinend waren auch einige von dieser französischen Gruppe, dabei, die schon in Frankreich mit ihren Hasstiraden Schlagzeilen gemacht hatten. Ich sah sie zum ersten Mal von Angesicht zu Angesicht. Offensichtlich hatte es ihnen nicht gereicht, in Paris für brutale Ausschreitungen verantwortlich zu sein, sie wollten den Hass auf gleichgeschlechtlich Liebende auch über Frankreichs Grenzen hinaus im benachbarten Ausland schüren.

 

Wie man unschwer erkennen konnte, waren diese religiösen Fanatiker nicht allein gekommen. Neonazis und andere Randalierer hatten sich darunter gemischt und forderten laut die Wiedereinführung des verfluchten Paragraphen für ein Verbot gegen Homosexualität, der für so viel Leid und Elend verantwortlich war. Der Hass getarnt mit religiösem Wahn und für ihre Zwecke zurechtgebogene Bibeltexte. Sie missbrauchen dafür einen Mann, der sich doch angeblich immer für die Schwächsten eingesetzt hat.

 

Diesmal war es Olaf, der sich am meisten über die schwachsinnigen, diskriminierenden und angeblich christlichen Sprüche aufregte: „Haben die überhaupt schon mal etwas von den zehn Geboten gehört? Besonders von: Du sollst deinen Nächsten lieben, wie dich selbst?“

 

Lara antwortete ihm: „Bestimmt nicht. Dann würden sie ja vielleicht merken, wie lieb sie sich selbst haben. Ich würde allerdings eher auf Selbsthass tippen. Muss doch traurig bei denen im Bett zugehen, wenn sie sich nur ständig Gedanken darum machen, wie es andere miteinander treiben.“

 

Raphaela kicherte und küsste ihre Partnerin zärtlich auf den Mund.

 

 

Als wir das sahen, entschlossen wir uns spontan, ein Kiss-In zu veranstalten. Björn stimmte begeistert zu, als Dennis den Vorschlag machte. Also stellten wir uns alle wenig später demonstrativ vor die Hassprediger und küssten uns innig. Liebe gegen den Hass und die Menschenverachtung dieser ewig Gestrigen.

 

 

Den schweren Stein, der aus der Gruppe der Homogegner geworfen wurde, sah ich nicht. Ich hatte die Augen geschlossen, fühlte nur Björns sanften Kuss, seine weichen Lippen auf meinen. Bis ich ein merkwürdig, dumpfes Geräusch hörte. Im selben Moment erschlaffte mein Mann in meinen Armen. Er fiel einfach um, nur in letzter Sekunde konnte ich verhindern, dass er auf den Boden knallte. Erschrocken starrte ich in sein blasses Gesicht. Sein Kopf, den ich mit einer Hand stützte, fühlte sich merkwürdig warm und feucht an. Entsetzt erkannte ich, dass mir eine rote Flüssigkeit über die Hand und den Arm rann.

 

 

Dann brach um uns das Chaos aus und wir waren mittendrin.

 

 

Fast sofort waren wir umringt von mehreren Männern der Security und der Polizei. Menschen schrieen laut durcheinander. Nur am Rande hörte ich, wie jemand einen Notarzt anforderte. Von allem anderen bekam ich nichts mehr mit, erst als mich jemand nach Björns Namen fragte, antwortete ich, dass er mein Ehemann ist. Die Rettungssanitäter verfrachteten uns kurz danach in den Krankenwagen. Ich glaube, wir fuhren ziemlich schnell, mit Sirene und Blaulicht. Aber so genau weiß ich das nicht, ich hatte nur Augen für Björn, der da stumm und blass vor mir auf der Trage lag. Die ganze Zeit während der Fahrt hielt ich seine kalte, schlaffe Hand in meiner.

 

 

***

 

 

„Herr Hartmann! Können sie mich jetzt verstehen?“

 

Da ist die Stimme wieder und diesmal schaffe ich es, zu nicken.

 

„Können sie laufen? Sie dürfen jetzt zu Ihrem Mann.“

 

Taumelnd komme ich auf die Beine, vor Angst ist mir übel. Was ist, wenn Björn...? Nein, ich will nicht weiter darüber nachdenken. Was soll ich denn ohne ihn?

 

Die Schwester führt mich ein Stück den Gang entlang zu einer geschlossenen Tür. Sie klopft kurz, dann öffnet sie sie und lässt mich eintreten.

 

Ich traue mich kaum, das Zimmer zu betreten. Meine Füße sind schwer wie Blei. Im ersten Moment sehe ich nur blauen Stoff. Hier in der Notaufnahme sind die Betten zum Sichtschutz mit einem Vorhang voneinander getrennt. Die Schwester schiebt einen von ihnen zur Seite und endlich kann ich meinen Mann sehen. Er liegt kreidebleich in einem der schmalen Betten, um seinen Kopf hat er einen breiten, weißen Verband.

 

Zögernd trete ich näher, dann tragen mich meine Beine nicht mehr und ich falle schluchzend vor dem Bett auf die Knie.

 

 

Eine Hand berührt meinen Kopf und fährt sanft durch meine Haare. Verwirrt hebe ich den Kopf und sehe geradewegs in Björns braune Augen.

 

„Du bist wach?“, stammele ich erleichtert.

 

„Sieht ganz so aus.“ Björn lächelt mich an und mir fällt eine Zentnerlast vom Herzen.

 

„Oh Gott, ich halte solche Angst, dass du...“

 

Björn hält mir zärtlich den Mund zu: „Schsch, keine Sorge mein Liebling, es geht mir gut, ich habe nur eine Platzwunde und eine Gehirnerschütterung von dem Stein. Deshalb soll ich drei Tage zur Beobachtung hier im Krankenhaus bleiben. Du kennst doch meinen Dickschädel, der hält das aus.“

 

Ich lache und weine gleichzeitig vor Erleichterung. Björn zieht mich zu sich aufs Bett und ich umarme ihn. Am liebsten würde ich ihn nie mehr loslassen.

 

Noch immer laufen mir die Tränen runter. „Nie wieder Christopher Street Day“, flüstere ich.

 

Mein Mann schiebt mich ein wenig von sich und schaut mir in die Augen. „Sag mal, spinnst du? Jetzt erst recht! Ich lasse es nicht zu, dass diese homophoben Arschlöcher gewinnen. Niemals! Und wenn ich bei der nächsten Parade mit Schutzhelm rumlaufen muss!“

 

Dann grinst er: „Was meinst du, gibt es die auch in pink?“

 

Verblüfft starre ich ihn an, dann beginnen wir beide zu lachen.

 

„Bestimmt, und wenn ich einen extra für dich anfertigen lassen muss.“

 

Björn kichert. Und ich, ich bin so glücklich, dass nicht noch viel Schlimmeres passiert ist, dass ich ihm den Wunsch ganz bestimmt erfüllen werde.

 

 

 

 

 

Ende

 

 

 

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 04.11.2014

Alle Rechte vorbehalten

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